Beiträge von Caius Aelius Archias

    Caius sah Seiana ungläubig an, versuchte aber, neutral zu gucken. Wieso lachte sie denn jetzt? War das witzig? Unbeschwert hörte sich das jedenfalls nicht an. Caius glaubte ihr keinen einzigen Gluckser.


    »Naja, ich dachte... Wegen der Feier«, sagte er und zuckte mit den Schultern. Wieder mal. Wenn man ihm rechts und links ein Gewicht an den Arm hing, hätte er bald Schultern wie ein Rhinozeros. Caius wusste nicht so recht, was er von der Situation halten sollte. Das war merkwürdig, extremst merkwürdig, aber er wusste nicht, was er machen sollte.

    Nach dem Aufstehen war Caius sich plötzlich nicht mehr sicher gewesen, ob es wirklich so eine gute Idee war, hierher mitzugehen. Schließlich war er aber hier, und das bedeutete, dass Katander ihm klar gemacht hatte, dass er nicht plötzlich kneifen konnte. Caius befürchtete nur, dass es tatsächlich sterbenslangweilig werden würde. Und dieser Eindruck verstärkte sich noch mal, nachdem sie das riesige Haus betreten hatten. Sklaven standen scheinbar an jeder Ecke, an der nicht gerade irgendwas anderes rumstand. Caius staunte, ärgerte sich aber gleichzetig deswegen über sich selbst und darüber, dass manche Leute auch zeigten, dass sie Geld hatten, statt es einfach nur zu haben.


    Er überließ Seiana die Führung. War ja ihr Patron, der heiratete. Oder nee, irgendein Verwandter von dem. Seiana bahnte sich einen Weg durch das atrium und die verhältnismäßig wenigen Gäste, die bisher hier waren, und blieb dann schließlich vor dem Brautpaar stehen, das wohl gerade jemand anderen abgefertigt hatte. Im Gegensatz zu Seiana erkannte er erstmal nur den Duccier, der gerade zur Seite sah, mit einer blassen Gestalt in Grün, die er nur von hinten sah. Hatte der also auch ne Freundin.


    »Guten Morgen«, sagte Caius dann, nachdem Seiana schonmal Glückwünsche an den Mann und an die Frau gebracht hatte.
    »Freut mich, euch kennenzulernen. Ich wünsche euch natürlich auch alles Gute.« Caius lächelte höflich und unterließ es, seine rostfarbene Tunika zurechtzuzuppeln. Ein Geschenk hatte er nicht dabei. Er fand, dass er die beiden dafür viel zu wenig kannte, und er war ja auch gar nicht eingeladen gewesen und nur als Begleitung von Seiana dabei. Und die hatte ihr Geschenk eben schon abgegeben. Trotzdem kam Ursus ihm irgendwie bekannt vor. War das nicht der Patrizier gewesen, der damals bei der compitalia mitgemacht hatte?


    Und dann sah er sie.

    »Ja, nein, also...« Verdammt. Caius seufzte. Er wusste ja noch ziemlich genau, wie sie reagiert hatte bei Imperiosus' Feier. Trotzdem fand er es nicht nur gemein, sondern auch anstrengend, sie anzulügen. Ihm blieb da gar keine Wahl. Also versuchte er, das so weit runterzuspielen wie es nur ging.


    »Also, mit der Arbeit im Palast ist es wirklich stressig. Ich hab da selber gerade gar nicht so wirklich Zeit für meine Läden. Neulich hatte ich mich mit Axilla unterhalten, sie hat ein bisschen Langeweile momentan. Und da dachte ich, dass sie mir ein wenig helfen könnte. Sie hat ja ziemlich lange in Alexandrien gewohnt und kennt da die wichtigsten Leute und weiß wie der Hase läuft. Deswegen hab ich sie gefragt, ob sie nicht eine Idee hat. Sie hat versprochen, dem strategos zu schreiben. Mal sehen, was bei rumkommt. Und sie hat ein Auge auf meine Betriebe. Also, auf die Bücher.« Puh. Caius fühlte sich gerade um mehrere Kilos leichter.
    »Sei nicht böse.«

    »Ich könnte jetzt behaupten, dass ich dieses Mal zufälligerweise einen goldenen Apfel dabei habe, aber ich fürchte, ich muss leider passen«, erwiderte Caius, der sich noch ganz genau an diesen folgenschweren Kuss erinnerte. Und an alles, was danach kam... Manchmal glaubte er, dass er den Abdruck der Fibel, auf die er damals draufgetreten war, immer noch unter dem Fuß hatte.


    Caius tat, als würde er überlegen. Ihm fielen augenblicklich mehrere Szenarien ein, und jedes für sich genommen hatte im entferntesten auch was mit dem Ausritt zu tun, aber eben nur im entferntesten. Den scheinbaren Ausschlag gab der Wink mit dem Fuß.
    »Uachz.... Ich merke schon, die Alternativen lassen einen direkt den ersten Vorschlag toll finden. Na gut. Dann soll das dein Preis sein, wenn du gewinnst. Und wenn ich gewinne?« Dann würde er am liebsten über sie herfallen. Fast hätte er das auch gesagt, aber er riss sich am Riemen und ließ sie erstmal einen Vorschlag machen, während er selber einen vagus zog und einen ihrer ordinarii wegschnappte.

    In vier Tagen schon! Caius' Hirn warf eine ganz und war weibliche Frage auf: Was zieh ich denn da um Iunos Willen bloß an? Naja, er würde schon was finden.
    »Meinst du nicht, dass dein Aurelius da dann böse wird?« fragte Caius zweifelnd. Er konnte sich nicht vorstellen, dass ein Patrizier das einfach so durchgehen lassen würde, wenn seine Klienten schlichtweg keinen Bock mehr auf Langeweile hatte und deswegen abhaute.


    »Naja, es geht so. Ich muss mich erstmal einarbeiten. Da ist einiges neu, und teilweise sind die Ablagesysteme echt veraltet, aber das kann man ja ändern. Allerdings muss man dafür erstmal den Durchblick haben. Als ob das nicht schon genug wär, hab ich vor ein paar Tagen auch noch erfahren, dass mein Verwalter in Ägypten mit meinem Schiff und dem Geld durchgebrannt ist. Ich hab grad also eine Menge Sachen am Hals und weiß echt nicht, wie ich das schaffen soll. Ich bin wirklich froh, dass ich...« Caius hielt inne und blinzelte. Seiana wusste noch nicht, dass er Axilla als seine scriba und so eingestellt hatte, und er hatte das große Gefühl, dass es ziemlichen Stunk geben würde, wenn er damit so einfach rausplatzte.
    »Äh, ja, ich bin froh, dass...ich noch keinen Herzkapser bekommen hab. Irgendwie muss ich mein Zeug jetzt so hierher schaffen. Da bin ich quasi nur noch am Briefeschreiben«, rettete er sich vorerst. Das ließ ihn sich nicht unbedingt gut fühlen, aber vermutlich besser als wenn das so nebensächlich rausgekommen wär.

    Caius spielte eigentlich gern. Wirklich. Aber gerade hätte er lieber seine schwarzen Spielsteine links liegen gelassen und mit was anderem gespielt. Aber das war weder möglich noch eine gute Idee. Zerstreut baute er also mit Axilla zusammen das Spielfeld auf und ließ ihren herausfordernden Spruch bis auf ein Grinsen mit hochgezogenen Brauen unkommentiert.


    Als alle Steine standen und Axilla ihren ersten Zug gemacht hatte, überlegte Caius, was er als erstes tun sollte. Links Platz schaffen für den vagus oder rechts erstmal einen ordinarius setzen? Prüfend sah er zu Axilla, die gerade irgendwie schien, als wär ihr nun wieder warm. Er atmete tief ein und aus und sah sie dabei mit einem Blick an, der ihr sagen würde, dass er ganz genau wusste, dass sie wusste, was sie da machte. Er nahm ihr nicht ab, dass das Zufall war.
    »Was machst du denn? Jetzt bin ich versucht, gleich aufzugeben«, erwiderte er und machte eine ratlose Geste.
    »Wobei... An welche Art Tribut hast du denn gedacht, göttliche imperatrix? Vielleicht überleg ich es mir ja noch mal, gewinne selbst und lasse dich den Tribut entrichten!«

    »Dann nächste Woche«, entschied Caius also einfach und nickte. Damit hatte sich das Thema erstmal für ihn erledigt, und zwar so lange, bis er es nicht mehr weit wegschieben konnte, sondern das Essen tatsächlich anstand. Aber bis dahin floss noch einiges an Wasser den Tiber hinunter.


    »Ja, ich komm ja auch mit«, meinte er dann und setzte sich wieder auf. Wenn sie schon wegen ihm dieses Essen verlegte, dann konnte er auch so einen steifen Patrizierempfang aushalten. Außerdem kamen da bestimmt einige Senatoren und so, vielleicht ergab sich da ja was. Und wenn nicht, dann konnte er sich immer noch den Bauch vollschlagen und den teuren Wein trinken. Wenn er genauer darüber nachdachte, dann war das vielleicht doch nicht so schlecht. Seine Miene hellte sich etwas auf.
    »Ich weiß, ich hatte...« Einfach was anderes im Sinn? Keine Lust?
    »...nicht so viel Zeit. Du weißt schon, im Palast und so. Mein Vorgänger hat scheinbar nicht sonderlich schnell gearbeitet.« Caius zuckte mit den Schultern.
    »Wir gehen zu deinem Patron. Wird sicher ganz nett werden. Wann soll denn die Feier steigen?«

    Zwei Jahre noch. Und in spätestens dreien würde sie dann vermutlich ihr erstes Kind haben, und das wär nicht so ein Ausrutscher wie bei ihnen. Caius seufzte leise. Irgendwie fühlte er sich auch gar nicht wie ein Vater. Vermutlich war es besser, wenn das mit den Kindern noch ne ganze Weile dauern würde...


    Dass Axilla plötzlich ein wenig unwohl war, merkte Caius. Er hatte die Bewegung gesehen, mit der sie zum Bauch gegeriffen hatte. Und jetzt lag ihre Hand da, und er musste automatisch daran denken wie das ausschauen würde, wenn sie jetzt kugelrund wär und lächelte. Sie wär bestimmt eine gute Mutter. Auch wenn ihre Söhne sicher alle zur Legion gehen müssten, dachte er bei sich. Sonst sagte er nichts dazu. Axilla wollte ja lieber eh nicht darüber reden, und er hätte auch nichts sagen können, was lustig gewesen wäre oder sie abgelenkt hätte.


    Drinnen war es deutlich wärmer. Auch Caius war es jetzt etwas frisch geworden. Sein blaues Stückchen Stoff legte er trotzdem nicht wieder um. Allein war das umständlich, und wie eine Frau mit Dreieckstuch dasitzen wollte er auch nicht. Also legte er den Überwurf nur zusammen und dann neben sich. Er bezog wieder Stellung im Sessel und ließ Axilla die Liege. Auf der räkelte sie sich dann auch gleich, was Caius ein schiefes Grinsen abverlangte.


    »Ich würde der imperatrix gerade jeden Wunsch erfüllen«, erwiderte er und zwinkerte Axilla dann zu. Auch wenn sie blass und dünn war, hatte sie trotzdem noch ihre Wirkung auf ihn, auch wenn die gerade aus nicht mehr bestand als darin, dass er sie mit Blicken berührte.
    »Ich lasse dir den ersten Zug«, sagte er und meinte das ausnahmsweise gar nicht mal zweideutig.

    Caius glaubte daran. Er glaubte aber auch, dass Seiana für sie beide wollte, dass die Traditionen und die Regeln und alles was da sonst noch wichtig war eingehalten wurde. Ihm persönlich war das nicht so wichtig. Ihr schon. Und vielen anderen auch. Also war er der Meinung, dass Seiana das für sie tat, für sie darauf achtete, dass alles stimmte, damit alle anderen zufrieden waren und keiner blöken konnte, weil was falsch war.


    »Ist mir egal wann«, sagte er erst, weil es ihm wirklich egal wa. Dann dachte er allerdings daran, dass er Axilla versprochen hatte, übermorgen vorbeizukommen, und er richtete sich halb auf.
    »Obwohl, besser in drei Tagen. Nächste Woche ist dir sicher zu spät, oder? Ich hab nämlich diese Woche noch nen bisschen zu tun.« Auf seinem Schreibtisch stapelten sich sogar tatsächlich unsortierte Ernennungen und sowas.


    Caius hatte allerdings angenommen, dass das schon alles war. Dass Seiana deswegen gekommen war, war ihm spätestens bei ihrer Frage nach dem Treffen klar geworden. Aber dann kam noch was. Er sollte mit zu einer Patrizierhochzeit? Zweifelnd sah er Seiana an. Naja, sagte er sich. Warum nicht? Immerhin würde sie dann nicht schon wieder einen Grund haben, ihn in den Boden zu reden.
    »Wenn du möchtest, dass ich mitkomme?« sagte er und hob eine Schulter, um sie dann wieder fallen zu lassen. Seiana wusste schließlich, was er von Patriziern hielt.

    »Ja«, sagte Caius zähneknirschend. Und das war vielleicht das Schlimmste daran. Seiana mochte nicht unbedingt viel von Zärtlichkeiten gleich welcher Art vor der Ehe halten, aber auf ihre Art setzte sie sich dann doch irgendwie ein. Caius wär es andersrum fast lieber gewesen.


    »Wann denn überhaupt?« fragte er sie ein wenig lustlos. Er hatte eigentlich nicht sonderlich viel Lust auf so ein Essen. Nicht wegen Seianas Familie, sondern weil sie ihm eigentlich keine Wahl ließ, irgendwie abzulehnen. Caius ließ sich nach hinten umfallen, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und sah zur Decke. Dann seufzte er wieder, dachte an Alexandrien und Seiana und Axilla, und wie seltsam die Situation gerade war, in die er sich gefangen fühlte. Das war wie zwei Rollschuhe, an die man geschnallt war und die einen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit in verschiedene Richtungen zogen.

    So, sui iuris, kein tutor, alles prima. Da hatte es ihr Zukünftiger ganz schön leicht. Und es waren auch nicht so viele da, die man vorher alle um Erlaubnis fragen musste. Das hatte was für sich. Axillas Bewerber würden es da echt leicht haben, glaubte er. Irgendwie machte der Gedanke daran ihn etwas grummelig, aber warum, wusste er auch nicht.


    »Es sollte aber schon auch auf den Menschen ankommen. Find ich zumindest«, sagte er und sah flüchtig zu Axilla hin.
    »Was bringt dir das, wenn du jemanden heiratest, bei dem du dich überwinden muss, auch nur ein Wort zu reden? Oder...andere Sachen zu machen? Die Leute, die sich nur darauf beschränken, machen irgendwas falsch, wenn du mich fragst. Es muss ja nicht gleich Liebe sein, aber sowas wie eine Gemeinsamkeit wär doch schon mal nen Anfang.« Das war vielleicht eine ziemlich neumodische Sicht der Dinge, aber Caius war eben so. Seiana und er hatten sich ja auch gleich auf Anhieb sympathisch gefunden. Caius dachte daran, wie er sie auf dem Markt hier in Rom kennengelernt hatte, aber dann erzählte Axilla weiter und er hörte ihr wieder zu.


    »Was? Wieso sollte jemand das verbieten?« verwundert starrte er Axilla an. Wenn er Kinder hätte, dann würde er das natürlich nicht verbieten. Er würde sogar wollen, dass seine Kinder beide Familien achteten, seine und die seiner Frau. Das gehörte sich so, und außerdem war das wichtig. Dass Axilla ein wenig den Schritt beschleunigte, bemerkte er gar nicht richtig.
    »Ich fänd das falsch. Niemand sollte verblassen. Außerdem sollten Eheleute immer gemeinsam entscheiden. Ich käm nie auf den Gedanken, meiner Frau sowas zu verbieten. Es sei denn, der Ahn wär ein Halunke und Mörder gewesen, dann müsste man schon drüber reden...«


    Und plötzlich kam der Durchgang wieder in Sicht.
    »Ist das ein Scherz? Ich zock dich ab, kleine Imperatorbraut!« 8)

    »Fein«, sagte Caius.
    »Dann ess ich eben mit deiner Familie zu abend.«


    Das klang nicht nur resigniert, sondern auch irgendwie ablehnend. Caius hatte Seiana immer vorher gefragt, ob sie mitkommen wollte. Und er wurde jetzt gar nicht gefragt, sondern musste einfach kommen, weil Seiana davon ausging, dass er damit irgendwelche Wogen glättete. Das war schon nicht mehr zum Rumpfen, das war zum Haare ausreißen! Und dann der Kommentar. Caius musste echt aufpassen, dass er nicht irgendwas Blödes sagte. Irgendwas, das er später bereuen würde. Sowas wie »Vielleicht seid ihr das nicht.« oder sowas. Er presste nur die Lippen aufeinander und starrte zu Seiana hoch, die immer noch im Zimmer stand.


    Er studierte genaustens ihr Gesicht. Den Schwung der Augenbrauen, die Grübchen, die gerade so gut wie nicht zu sehen waren, die Linie ihrer Lippen und die Züge um die Augen herum. Er kannte sie, aber irgendwie erkannte er sie nicht so recht wieder. Wo war die schlammbespritzte Frau hin, der er im Dreck den Antrag gemacht hatte? Irgendwie hatten sie sich selbst verloren bei den ganzen Veranstaltungen in den letzten Monaten. Caius wirkte nicht mehr genervt. Er seufzte jetzt, sah weg und ließ die Schulter hängen. Das war auf einmal alles eine Tunika zu groß für ihn. Am liebsten hätte er sich auf der Stelle umgezogen.

    Ein Sklave steckte die Tür rein, wollte augenscheinlich was fragen, stockte dann aber und verschwand ziemlich schnell wieder. Caius hatte das gar nicht bemerkt, er stand mit dem Rücken zur Tür, aber Seiana musste es gesehen haben.


    »Du meinst nicht Meridius?« fragte Caius ruhig. Das war der einzige Onkel, den er kannte. Und der hatte auch nichts gegen eine Verbindung gehabt. Später zumindest.
    »Moment mal. Soll ich jetzt wirklich zu jedem hindackeln, der vielleicht irgendwann mal darüber entscheiden könnte, ob eine Ehe mit dem Kaiserhaus gut genug für die Decimer sind?« fragte Caius dann bewusst provozierend. Seiana wusste, dass er sich nicht wirklich auf seine Verwandtschaft berief, sondern wert darauf legte, selbst was zu leisten. Aber irgendwie fand er das doch schon ziemlich komisch. Die Sache war mit Meridius schließlich schon abgeklärt worden, mit Seianas Bruder hatte er es versucht. Sollte er jeden männlichen Verwandten nun darum bitten?


    Caius setzte sich wieder aufs Bett.
    »Ich weiß einfach nicht«, sagte er und hob die Schultern.

    Caius schnappte nach Luft, um automatisch zu widersprechen, da pflichtete Seiana ihm bei und er sah sie nur verdutzt an, dabei die Luft wieder rauslassend. Und dann kam der lange Sermon. Caius hasste lange Sermone, und Seiana war verdammt gut darin. Bei seiner Mutter hieß es dann immer nur: Augen zu und durch. Also handhabte das Caius hier genauso und hörte sich an, was Seiana so vorbrachte.
    »Ja!« warf Caius ein, als Seiana mal kurz Luft holte. Nicht nur, weil er gedacht hatte, dass es sich um einen Scherz handelte, sondern auch, weil er natürlich widersprechen musste. Das ging gar nicht anders. Dann schwieg er wieder und ließ sie weiter blubbern. Wie ein Vulkan kurz vor der Eruption, und Caius konnte sich nicht mal in Sicherheit bringen. Obwohl er in seinem eigenen Zimmer stand!


    »Ich kenn deinen Onkel doch schon«, brachte er dann ein, vollkommen verwirrt. Er war ihn hier schon mal besuchen gewesen, hier in Rom. Und Seiana hatte ihn dann in Alexandrien getroffen. Caius runzelte verärgert die Stirn.
    »Meine Freunde, ja? Wieso nur meine, hm? Sind die dir nicht gut genug? Dann tut's mir leid, dass ich dich mitgeschleppt hab. Was soll ich denn noch machen, ich hab versucht mit deinem Bruder zu reden, ich hab mit deinem Onkel gesprochen. Soll ich deinem Urgroßvater vielleicht noch die Füße massieren und deinem Großcousin den Bart zupfen?« Caius sah Seiana miesepetrig an. Er war ja nicht wirklich sauer, es war nur irgendwie so, dass keiner ihn wirklich verstand. Glaubte er.

    Caius rollte mit den Augen.
    »Oh Mann Seiana«, nörgelte er.
    »Ich hab's dir doch schon mal gesagt: Ich hab ihn nicht wirklich rausgefordert! Ich wollte ihn kennenlernen verteidigte sich Caius und stand jetzt doch wieder auf. Er ging zum Fenster. Da konnte man jetzt endlich wieder hingehen, ohne irgendwas drüber zu steigen. Auch wenn der Boden davor irgendwie klebrig war und seine Sandalen lustige Geräusche beim Gehen machten. Irgendwie war er ein bisschen froh darüber, dass er sich jetzt wieder auf sicherem Terrain bewegen konnte. Das Theman hatten sie ja schon mal gehabt, und Caius wusste, wie Seiana dazu stand. Das war allemal besser, als es nicht zu wissen und blind loszureden.


    Finster grollend stand er vor dem Fenster und hatte hier auch wieder die Arme verschränkt. Eitler Pfau. Dann war er eben Soldat, na und? Das hieß noch lange nicht, dass er mehr Grips hatte oder toller war als Caius.
    »Ja, ich weiß das«, zischte er.
    »Ich hab's doch versucht, aber centurio Oberschlau wollte ja nicht reden, der wollte sich lieber prügeln. Und jetzt soll ich schon wieder hingehen und mit ihm reden? Soll er mir wieder eine runterhauen?« Caius hatte sich inzwischen zu Seiana gedreht und gestikulierte wild herum.
    »Ich bin vielleicht nicht so überlegt wie andere, aber ich bin auch nicht total bescheuert. Das mit dem Wangehinhalten ist die Sache von Christianern, nicht von Römern.« Caius' Stirn hatte sich tief in Falten gelegt, Ein wenig konnte er Seiana ja verstehen. Aber das wollte er eigentlich gar nicht. Zumindest nicht, wenn es dabei um ihren Bruder ging, den centurio Mordswichtig.


    »Anstandsbesuch?« fragte er dann argwöhnisch.
    »Wie meinst du das nun wieder?«

    »Ja, zum Glück sind wir keine Griechen«, bemerkte Caius und dachte daran, dass er dann vielleicht auf kleine Jungs stehen und Axilla den ganzen Tag weggesperrt werden würde. Grausige Vorstellung, also ließ man das besser bleiben.
    »Scheinbar bist du dann eine recht gute Partie, hm?« neckte er sie.
    »Ein Wunder, dass sich da noch niemand an dich rangeschmissen hat.« Ein prüfender Blick wurde in ihre Richtung abgeschossen.
    »Was würdest du denn machen, wenn du plötzlich einen Bewerber hättest?«


    »Och naja, meine Mutter ist da nicht so. Sie hält einem zwar vieles vor, aber das nicht. Dea Dia sei Dank«, plauderte Caius weiter.
    »Und es ist gar nicht so schlecht, dass meine Eltern in Ravenna wohnen, weil da die Luft besser ist« sagte Caius und äffte den letzten Teil des Satzes nach. Kurz darauf sah er sie erschrocken an, als sie zusammenfuhr und Aua sagte und dabei lachte.
    »Ist was? Ist alles in Ordnung?« fragte er gleich und stützte Axilla mit beiden Händen. Dann seufzte er.
    »Mann. Jag mir doch nicht so nen Schreck ein«, beschwerte er sich halb ernst. Zu der Sache mit Ägypten sagte er nichts.

    Seiana setzte sich und Caius machte sich dran, sein Bett zu machen. Dann setzte er sich auf die Fußkante und sah Seiana an.
    »Ja«, sagte er und fühlte sich ganz schlecht. Und dann sagte sie auch noch, dass sie das lieb von ihm fand. Dabei war er selber ja nicht mal wirklich auf die Idee gekommen... Aber Caius lächelte nur wie festgetackert. Auch darauf, sie jetzt noch zu küssen, kam er gar nicht. Er hatte genug damit zu tun, sich irgendwie so zu verhalten, dass Seiana nicht gleich merkte, welcher Orkan in ihm wehte.


    »Ja, wenn du Zeit hast?« meinte er auf ihren Vorschlag hin und nickte. Zu Axilla würde er ja heute eh nicht mehr gehen können, immerhin aß sie mit ihrer Familie und dann sähe es doof aus, wenn er da hereinspazierte. Dann kniff er die Augen leicht zusammen, als Seiana fragte, wann er denn mal vorbei käme.
    »Deinem Bruder hab ich eigentlich nichts mehr zu sagen«, meinte er kurz angebunden und reckte das Kinn nach vorn. Zusätzlich verschränkte er in einer Abwehrhaltung die Arme vor der Brust. Dieser Handwurst Serapio und er würden sich wohl niemals grün werden, so sehr Seiana das auch versuchte. Und Caius hatte daran überhaupt gar kein Interesse mehr. Wenn es nach ihm ginge, dann war die Hochzeit auch für Serapio gelaufen, aber leider ging es da nicht nur nach ihm. Er seufzte leise.
    »Und dein Onkel? Ist der denn jetzt wieder in Rom?« automatisch ging Caius davon aus, dass Seiana Meridius meinte.

    »Äh... Nein?« Das klang eher wie ein Ja, also schob Caius gleich mal ein unbestimmtes Grinsen hinterher. Bona Dea, er hätte sich lieber auf so ein Gespräch vorbereiten sollten! Jetzt hatte er den Salat.
    »Oh. Ist wirklich nicht schlimm. Möchtest du dich setzen?« Schande, sein Bett war noch gar nicht gemacht... Caius deutete auf den Schreibtischstuhl. Der war schon frei. Auf dem Schreibtisch lagen akkurat alle unnützen und nützlichen Dinge geordnet. Keine schmutzigen Klamotten lagen rum, alle Kisten waren weitestgehend ausgepackt und eigentlich war alles in Ordnung soweit. Bis auf das Bett. Und die Muscheln, den Sand und die Suppenreste. Caius war das verdammt peinlich. So peinlich, wie es ihm gegenüber Caenis gewesen wäre, seiner Mutter. Und er stellte gleichzeitig fest, dass ihm das bei Axilla nicht die Spur peinlich gewesen wär.


    »Ich wollt eigentlich die Tage mal bei dir rumkommen. Fragen, ob du vor der caristia noch mal Abendessen möchtest oder sowas.« Caius zuckte mit den Schultern, bog aber irgendwie ein fast echtes Lächeln hin. Bona Dea, er war total nervös!

    »Ich mach mir da nichts draus«, verkündete Caius dann und zuckte die Schultern.
    »Stell dir mal vor, du suchst dir als Kerl jemanden, der total hübsch ist. Und am nächsten Morgen bekommst du die Krise, weil die Fassade abbröckelt. Dann lieber ganz natürlich und normal. Ich mag ganz weiße Frauen eh nicht so.« Obwohl das ja das römische Ideal war. Genau genommen war es Caius ja egal, ob die Frau nun sehr käsig war oder nicht, aber weil Axilla eben nicht käsig war, normalerweise jedenfalls, drehte er das einfach mal so hin. Auch wenn sie gerade eher aussah wie ein Sack Mehl (die Farbe, nicht die Form!).


    »Oh, so bald schon?« Dann hatte sie ja kurz nachher Geburtstag. Nach der Hochzeit. Caius' Blick hing einen Moment in der Luft, dann lächelte er wieder. Darüber hatte er ganz vergessen, auf ihren Kommentar einzugehen. Außerdem versuchte er, sich das Datum irgendwie so zu merken, dass er es auch wieder aus dem Gedächtnis kramen konnte, wenn es so weit war.
    »Ich bin ein waschechtes Julikalendenkind«, sagte er und meinte damit, dass er am 01.07. geboren worden war.
    »Kurz nach Mitternacht war ich da.« Caius hatte sich nie was aus seinem Geburtstag gemacht. Für ihn war das ein Tag wie jeder andere auch. Als er noch klein war, hatte er oft die anderen eingeladen, aber seitdem er neun war oder so nicht mehr.


    »In jedem Fall!« bekräftigte Caius glatt noch mal.
    »Öhm, keine Ahnung? Ich bin kein Bo... Botoxianer, frag mich nicht«, erwiderte er auf die Frage nach den Blüten einer Dattelpalme. Und er war sich auch nicht so ganz sicher, ob er wissen konnte, dass man Bienen brauchte, um Früchte entstehen zu lassen.

    Caius hasste es, aufzuräumen. Andererseits wollte er auch niemanden an seine Sachen lassen, der das für ihn machte. Und das hieß in logischer Konsequenz, dass er es selber machen musste. Wie viele Jahrzehnte er nun schon dabei war, in mühevoller Kleinarbeit seinen Mist zu sortieren und wegzupacken, wusste er nicht, aber es waren gefühlte fünfzig Jahre. Das Schlimmste war dabei nicht mal, dass hinterher alles so ordentlich war, dass es unbewohnt wirkte, sondern dass er zu viel Zeit hatte, um nachzudenken (abgesehen davon, dass er die Zeit auch lieber anders genutzt hätte). Gerade kniete er auf dem Boden und sammelte die Muscheln wieder ein, die zwischen dem Sand lagen. Ziemlich viele davon waren einfach kaputt geknackt, als er selber oder Axilla draufgetreten war. Beim Gedanken an die zwei Tage musste er grinsen, obwohl das ja eigentlich nichts zum Grinsen war, wenn jemand starb. Aber die Tage an sich hatten ihm schon ganz gut gefallen. Und dann klopfte es, und als Caius hoch schaute, stand Seiana da und sah sich anerkennend im Zimmer um.


    Sie weiß es! schoss es Caius sofort durch den Kopf, als er sie erschrocken anstarrte. Das nächste, was er sich fragte, war Was bei Iunos auslandender Oberweite tut sie hier? Er hatte sie eigentlich fragen wollen, ob sie heute Abend mit ihm was essen wollte, aber irgendwie war es nur bei dem Gedanken geblieben. Bei dem, den Axilla vorgeschlagen hatte. Caius hatte sich dann dagegen entschieden, sich aber selber erst eingeredet, es vergessen zu haben und dann, dass es zu spät sei, um sie für denselben Abend noch einzuladen. Und jetzt stand sie da und sah ihn an, als hätte sie's gewusst!
    »Oh, äh... Hallo«, sagte er, und seine Ohren bekamen einen leichten Hauch von Röte. Dann fiel ihm auf, dass er immer noch auf dem Boden hockte und den Muschelsucher spielte. Er ließ die gesammeltenMuscheln fallen, rappelte sich schnell auf und klopfte sich den Sand von den Knien.
    »Hab gar nicht mit dir gerechnet...«