Die Frage… noch nicht die Antwort. Siv begriff nicht ganz, was die Frau damit meinte, nicht Bezug auf die Melodie – wie konnte denn eine Melodie eine Frage sein? Und nur für den Fall, dass sie eine Frage sein konnte: wie konnte sie zur Antwort werden? Siv war recht pragmatisch, und selbst wenn sie es nicht wäre, sie hatte sich mit so etwas noch nie beschäftigt. Aber der Satz gefiel ihr irgendwie. Und ganz davon abgesehen lebte Siv schlicht ihre Gefühle, und die Musik hatte sie berührt, hatte sie aufgewühlt, hatte ihre Gefühle, das gesamte Chaos, das gerade in ihr herrschte, angefacht und zum Lodern gebracht. Sie ignorierte es, als ein weiteres Ziehen sich in ihrem Bauch lang zog, un nickte stattdessen wie zum Gruß, als die Fremde sich ihr vorstellte, mit einem klingenden Namen, der so lang und fremdartig war, dass sie wohl Mühe gehabt hätte, sich ihn zu merken, hätte sie nicht zumindest den ersten bereits gekannt aus Homers Odyssee. Schweigend sah sie dabei zu, wie Penelope ihre Tafeln betrachtete. Siv wollte nicht stören, und sie war auch nicht unbedingt auf ein Gespräch aus. Die Musik hatte sie einfach nur… so sehr berührt, dass sie hier bleiben wollte. Nur für den Fall, dass Penelope noch einmal spielte. Und bereits nach wenigen Augenblicken stellte sie fest, dass sie die Gesellschaft dieser Frau angenehm fand. Penelope schien sich nicht großartig daran zu stören, dass Siv hier war und einfach da saß und ihr zusah. Ruhig schien sie durchzugehen, was sie aufgezeichnet hatte, und Siv konnte nicht einmal ansatzweise ahnen, was in ihr vorging – aber sie ließ sie in Ruhe. Einer der Gründe, warum Siv sich so zurückzog in den letzten Tagen, war der, dass alle Welt etwas von ihr zu wollen schien. Sie wollten wissen, wie es ihr ging, sie wollten wissen, ob sie sich nicht freute über die Freiheit, sie wollten wissen, was sie vorhatte zu tun, sie… fragten einfach und fragten und hörten nicht auf damit. Entweder sie waren aufgeregt darüber, dass sie frei war oder weil die Geburt nun so dicht bevorstand, oder reagierten seltsam auf die Bemerkung, dass sie, Siv, immer noch nicht wusste, was sie tun wollte, oder sie waren besorgt, weil sie zwischendurch bemerkten, wie schlecht es ihr ging… Idolums Gesellschaft war Siv nicht nur deswegen so lieb, weil sie Pferde und speziell den Hengst einfach liebte, sondern auch, weil Idolum nichts sagte, nichts fragte, nichts erwartete. Und es war so… angenehm, dies endlich mal wieder auch in menschlicher Gesellschaft erfahren zu dürfen. Corvinus… in den guten Momenten, die sie hatten, war es mit ihm genauso. Wenn es gut war, zwischen ihnen, dann verbrachten sie einfach nur Zeit miteinander. Waren beisammen, ohne… Erwartungen. Siv sehnte sich danach, nach dieser so einfachen, schlichten Art des Glücks.
Penelope war nicht Corvinus. Aber sie war ein Mensch, und Siv stellte in diesem Augenblick fest, dass es ihr gut tat, zur Abwechslung mal wieder menschliche Gesellschaft zu haben. Menschliche Gesellschaft, die nichts erwartete von ihr, die einfach nur war – und der sie deshalb nicht gleich wieder entflüchten wollte. Siv atmete tief durch und begann, sich zu entspannen, als Penelope sie dann doch ansprach. Die Frage war simpel genug, aber für Siv so zwiespältig wie es nur ging. Sie wühlte etwas auf, dem sich die Germanin eigentlich lieber nicht stellen wollte, ihre ganze Situation – andererseits freute sie sich auf die Geburt, oder besser, auf den Moment danach. Wenn sie die Schwangerschaft endlich hinter sich hatte und ihr Kind in den Armen halten konnte. Siv lächelte leicht, und eine Spur von Wehmut tanzte in ihren Augenwinkeln, weil sie sich nicht gänzlich auf die Freude auf ihr Kind konzentrieren konnte. Weil es nicht los zu lösen war von ihren Problemen. "Bald. Ich… denke, die nächsten Tage." Sie legte den Kopf leicht schief, und fast mochte es wirken, als lausche sie einen Moment in sich hinein, als ein weiterer Schmerz ihren Unterleib durchfuhr. Dann machte sie eine Kopfbewegung hin zu den Tafeln. "Wenn… das die Frage ist. Was ist die Antwort?"