Beiträge von Aureliana Siv

    Siv bekam nichts mehr von dem mit, was um sie herum vorging. Sie hatte nur noch Augen für das Kind. Ihr Kind. Ihren Sohn. Erst als Frija sie aufforderte, ihn ihr zu geben, wurde sie wieder auf ihre Umgebung aufmerksam, und ihr erster Impuls war, Frija zu sagen, dass sie sich zu Hel scheren solle. Sie würde einen Dreck tun ihren Sohn aus der Hand geben. Niemals! Da mochte die andere noch so sehr Germanin sein, noch so sehr geholfen haben, noch so sanft klingen jetzt… Aber Siv wusste, dass diese Reaktion lächerlich war. Dass niemand ihrem Sohn etwas Böses wollte. Dass Frija ihn nur waschen wollte, was auch gut und sinnvoll war. Dennoch fiel es ihr schwer, einfach dazu liegen und nichts zu tun, als die Germanin den Jungen fortnahm von ihrem Bauch. Sie achtete nicht auf Penelope, die sich um die Nachgeburt kümmerte und dann vom Stillen sprach. "Ja", murmelte sie abwesend, während sie Frija im Blick behielt. Genauer, ihr Kind, um das Frija sich kümmerte. Siv war nur noch erschöpft, sie fühlte sich ausgelaugt wie noch nie in ihrem Leben, jedenfalls kam es ihr so vor – und alles in ihrem Unterleib fühlte sich unsagbar wund und schmerzhaft an, strapaziert bis zum Äußersten. Und dennoch wollte sie am liebsten aufstehen und das selbst machen, was Frija gerade tat. Das da war ihr Kind… Sie hatte ein Kind… Siv konnte es immer noch nicht glauben. Monatelange Schwangerschaft, in der das Kind in ihr gewachsen war und gewachsen und gewachsen, und sie konnte es trotzdem nicht ganz glauben, dass er jetzt da war. Ihr Sohn.


    Sie rückte mühsam ein wenig zurück auf dem Bett, weg von der Kante, und ließ sich von Penelope dabei helfen, die ihr gleich auch noch die verschwitzte und dreckige Tunika auszog, während sie immer wieder versuchte, einen Blick auf das Kind zu werfen. Bis Frija ihn ihr schließlich zurückbrachte. Ihn ihr in die Arme legte. Sivs angespannter Gesichtsausdruck verwandelte sich ein Lächeln, müde, aber trotzdem strahlend. Und dann wurde er wieder angespannt, als sie ihn an ihre Brust legte, aber das Stillen nicht sofort funktionierte. Verunsichert sah sie auf, und es brauchte kurz Penelopes Hilfe, die selbst Erfahrung hatte mit dem Stillen, ein paar Handgriffe, eine andere Position des Kindes, bis es dann, endlich, klappte. Und Siv strahlte wieder. Und wurde immer müder und müder. Das bisschen an Aufmerksamkeit, das sie noch aufbringen konnte, schenkte sie voll und ganz ihrem Kind. Es störte sie nicht, dass Penelope und Frija begannen, sie sauber zu machen, wie sie Tücher und Schüsseln wegräumten, sie bemerkte nicht einmal wirklich, wie sie ihr eine frische Tunika anzogen. Es flog vorbei wie ein Traum. Real war nur das kleine Wesen in ihren Armen, das allzu bald fertig getrunken hatte und eingeschlafen war. Real, bis auch Siv selbst in einen erschöpften Schlaf fiel.



    Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen,
    die Sonne stand zum Gruße der Planeten,
    bist alsobald und fort und fort gediehen,
    nach dem Gesetz, wonach du angetreten.
    So musst du sein, dir kannst du nicht entfliehen,
    so sagten schon Sibyllen, so Propheten;
    Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt
    geprägte Form, die lebend sich entwickelt.

    J.W. Goethe



    ~ finis ~



    Sim-Off:

    Ich möchte euch allen ganz herzlich danken für das Zusammenspiel in diesem Thread!

    Die Griechin antwortete nicht. Die Griechin antwortete einfach nicht! Obwohl Siv fix und fertig war, machte es sie halb wahnsinnig, dass Penelope nichts sagte, und sie versuchte sich hoch zu kämpfen, weit genug, um sehen zu können, was los war – aber es gelang ihr nicht. Mit einer weiteren, allerdings weit schwächeren Wehe kam noch etwas heraus, die Nachgeburt, wie Siv wusste, aber das war ihr egal. Sie wollte ihr Kind sehen. Sie konnte kaum noch klar denken, aber sie wollte – ihr – Kind – sehen! "Penelope…" Wieder versuchte sie, hochzukommen, wieder machten Erschöpfung und Schmerzen ihr einen Strich durch die Rechnung, was Siv nun erst recht aufregte, wenn es auch nur ein Abklatsch war im Vergleich zu dem, was ihr Temperament normalerweise leistete. Es konnte doch einfach nicht wahr sein, dass ihr Körper so schlapp machte! Aber selbst der Gedanke hallte nur schwach in ihrem Kopf. Und dann, plötzlich, erfüllte sich die stickige Luft im Zimmer mit einem Schrei. Dem Schrei eines Babys. Ihres Babys. Einen Augenblick lang war sie wie erstarrt, dann begann sie zu zappeln. "Wo, wo ist es, ich will mein Baby sehen, ich…"


    Ihre Stimme verlor sich im Nichts, als Penelope nun aufstand und Siv staunend das Kind sah, das sie in ihren Armen hielt. Dass sie ihr auf ihren nun flachen – nun, nicht wirklich flachen, aber doch deutlich flacher, als sie es gewohnt gewesen war – Bauch legte. Sivs Lippen teilten sich, standen offen, und auch ihre Augen weiteten sich, als sie das kleine Leben sah, das auf ihrem Bauch lag. Während sie ganz vorsichtig atmete, spürte sie die Bewegungen, die es – er! – machte, spürte, wie seine Ärmchen und Beinchen ganz schwach umherstießen, teils ins Leere, teils gegen ihren Bauch. Ganz langsam, vorsichtig, aber ohne jedes Zittern oder Zögern hob Siv ihre Hände und legte sie behutsam rechts und links neben ihr Kind. Ihren Sohn. Ihr Sohn. Flüchtig kam ihr der Gedanke, dass das ganz in der Familie lag. Wie bei ihren Eltern. Wie bei vielen ihrer Brüder. Das Erstgeborene war ein Sohn. Siv begriff es noch gar nicht. Das kleine Wesen dort war also das, was bis vor kurzem in ihrem Bauch gewesen war. Von innen gegen ihre Bauchwand gestoßen hatte, so heftig teilweise, dass die Bewegungen jetzt fast schwach dagegen wirkten. "Hey…", wisperte sie. Vielleicht wäre das der Moment für große Worte gewesen, für eine Begrüßung ihres Kindes, für ein Dankgebet an die Götter, aber Siv fiel nichts anderes ein als eben das: "Hey…" Vorsichtig, behutsam, zärtlich strichen ihre Finger über die immer noch verschmierte Haut ihres Sohns, befreiten ihn von weiterem Blut und Schmiere, und hielten schließlich eine Fingerkuppe an die winzigen Finger, die, wenn auch schwach, bereits in einem Reflex danach griffen.

    Hätte Siv nicht schon längst jedes Zeitgefühl verloren, spätestens jetzt wäre es so weit gewesen. In ihrer subjektiven Wahrnehmung hätte es sich um Stunden handeln können, die sie so da lag und Wehe um Wehe über sich ergehen lassen. Sie überstand die erste Presswehe. Und die nächste. Und auch die darauffolgende. Sie presste und keuchte, versuchte vernünftig zu atmen, wie Frija es ihr sagte, strengte sich an, dann mit dem Pressen inne zu halten, wann immer Penelope sie dazu kommandierte, was ganz eindeutig nicht einfach war, weil das Kind nun im Geburtskanal steckte und einfach alles in ihr danach schrie, es herauszupressen, während sie selbst am liebsten geschrieen hätte: rein oder raus, aber bei Hels düsteren Horden, ENTSCHEID DICH ENDLICH!!! Aber Siv fehlte nun sowohl die Kraft als auch der nötige Atem zum Fluchen, und so blieb es bei unartikulierten Schreien. Penelope und Frija in jedem Fall klangen zuversichtlich, jedenfalls immer dann, wenn Siv ihrer Umgebung genug Aufmerksamkeit schenken konnte, dass sie mitbekam, was sie ihr sagten. Und obwohl sie selbst nicht mehr wirklich in der Lage war zu beurteilen, ob oder wie gut sie das alles machte, gelang es ihr doch größtenteils, die Anweisungen umzusetzen.


    Und dann, irgendwann – Siv hatte auch schon lange aufgehört zu zählen, wie viele Wehen sie nun bereits hinter sich hatte – kam eine, von der sie meinte es müsste sie nun endgültig zerreißen. Nicht so sehr, weil die Wehe selbst so stark gewesen wäre, sondern weil sich nun etwas zu verkeilen schien. War es bisher wenigstens Stück um Stück vorwärts gegangen, schien nun ein Riesenpfropf den, nun ja, den Ausgang zu blockieren. Ihr ganzer Körper schien zu verkrampfen unter der Wehe, und Siv lief hochrot an vor Anstrengung, während sie sich nach Kräften, die nicht mehr allzu zahlreich vorhanden waren, bemühte, zusätzlich zu pressen – und dann, plötzlich, als ob sich etwas löste, als ob ein scheinbares Hindernis verschwand, rutschte das Köpfchen mit einem Mal ganz heraus. Siv konnte es spüren, spürte auch die momentane Erleichterung, weil ein Teil des Drucks nun fehlte und die Wehe verklang. Erschöpft ließ sie für einen Augenblick ihren Kopf gegen Frijas Brust sinken, die hinter ihr saß und sie nach wie vor stützte, aber nur wenige Momente später kam schon die nächste Wehe. Und dem Kopf folgten nicht nur die Schultern, sondern gleich darauf der ganze Körper. Mit einem tiefen Aufkeuchen, das sowohl Erschöpfung als auch Erleichterung verriet, ließ Siv sich zurückfallen, gegen Frija, als ganz plötzlich der Druck in ihrem Unterleib, zwischen ihren Beinen verschwunden war. Nur um im gleichen Augenblick schon wieder den Kopf zu heben, und ihre Stimme klang leise, erschöpft, und ungläubig, während sie sich zugleich bemühte, sich aufzusetzen, was ihr allerdings kaum gelang, weil sie viel zu fertig war. "Was… ist, ist es da? Und in Ordnung? Wo…"

    Siv keuchte heftig, selbst als die Wehe wieder vorbei war. Nach und nach bekam sie ernsthaft das Gefühl, dass ihre Kraft anfing sie zu verlassen, und sie betete zu Hel und Frigg, dass es bald vorbei war, dass ihr Kind endlich kam und sie nicht noch länger mit Wehen malträtierte, die immer schlimmer zu werden schienen. Für lange Augenblicke bekam sie nichts mehr von dem mit, was um sie herum vorging, sie keuchte nur und schluchzte und bemühte sich, den Schmerz irgendwie in den Griff zu kriegen, sich wenigstens etwas zu beherrschen, wieder zurückzufinden in die Realität, nachdem die Wehe endlich vorbei war. Schwach trieben germanische Worte an sich vorbei treiben, meinte zu hören, dass es ein Gebet war, aber erst als sie Penelope mit eindringlicher Stimme ansprach, schaffte Siv es tatsächlich, genug Aufmerksamkeit zusammen zu kratzen, um wirklich zuzuhören. "In Ordnung", keuchte sie. Andere Wehen. Das verstand sie. Sie kannte ja auch den Ablauf einer Geburt, nicht aus eigener Erfahrung, aber sie war öfter dabei gewesen, hatte es gesehen. Andere Wehen. Sie würde das Bedürfnis haben zu pressen, das hieß, dass es bald vorbei war, vorausgesetzt dieses Kind hatte nicht denselben sturen Dickschädel wie sein Vater, den es unbedingt durchsetzen wollte. Dann konnte das Ganze vielleicht doch noch ein wenig länger dauern. Wäre Siv nicht so fertig gewesen, sie hätte in diesem Augenblick wieder gelacht, als sie das denken musste. Derselbe Dickschädel wie der Vater… oder die Mutter. Einen großen Unterschied machte das wohl kaum, wie sie ehrlicherweise zugeben musste.


    Trotz allem wusste Siv auch um die Gefahr, die gerade in dieser Phase bestand und die Penelope auch ansprach. Dass etwas riss, kam gar nicht mal so selten vor, und Siv wusste, wie schlecht so etwas teils verheilte. Sie nickte ein paar Mal und schickte erneut ein Stoßgebet zu Hel, flehte sie um Kraft an, damit sie es schaffte, Penelopes Anweisungen Folge zu leisten, und überstand gleich darauf erneut schreiend die nächste Wehe, die ihr noch heftiger schien als die vorige. "In Ordnung", wiederholte sie dann noch mal, heftig keuchend. "Ich versteh dich. Ja. Ich…" Und dann kam schon wieder die nächste Wehe, und diese schien, wie Penelope angekündigt hatte, anders zu sein. Der Schmerz war ein anderer, der Druck war ein anderer, baute sich stetig in ihrem Unterleib auf. Die Muskeln zogen sich zusammen, und plötzlich meinte Siv zu spüren, wie… etwas… nein, jemand in Bewegung geriet. Noch tiefer rutschte. Und plötzlich in einer Art, einer Stellung, einem Ort in ihrem Körper festzustecken schien, der es ihr schier unmöglich machte, nicht zu pressen.

    Sivs Lachen verklang schließlich, und sie atmete nur noch erschöpft, froh um die kleine Verschnaufpause. Dass Corvinus einfach so klein beigab, rang ihr noch einmal ein Lächeln ab, und hatte sie sich zuvor noch gefragt, ob ihm so etwas je passiert war, war sie sich jetzt sicher. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass er sich jemals so hatte herumkommandieren lassen, nicht einmal als Kind. Und dann auch noch von einer Person, die ihm gerade mal bis zur Brust zu reichen schien. Plötzlich musste sie an eines ihrer ersten Treffen denken, damals, wie er sich die Hand verletzt und sie ihn verarztet hatte. Wie er herumgemotzt hatte, weil sie angeblich zu grob gewesen war. Wie sie herumgemotzt hatte, weil sie ganz und gar nicht grob gewesen war, sondern einfach nur nicht zimperlich, er dafür aber verweichlicht, jedenfalls hatte sie das gefunden. Vor allem dafür, dass er selbst schuld gewesen war. Und wie sie sich danach unterhalten hatten. Er war auf sie eingegangen… aber er hatte nicht klein beigegeben. Nicht so wie jetzt. Müde, aber mit einem Lächeln auf den Lippen, schloss sie die Augen, hatte aber nur einen Moment Ruhe, bis die Griechin schon wieder etwas von ihr wollte. "Was?" murmelte sie, aber in dem Moment griffen Frija und Penelope schon zu und halfen ihr, an den Rand des Betts zu kommen, wo die Griechin begann, sie zu untersuchen. "In Ordnung", antwortete sie auf den Vorschlag mit dem Wasser hin, auch wenn sie bezweifelte, dass es ein Vorschlag von der Sorte gewesen war, der ihr Einverständnis voraussetzte. Irgendwelche Schamgefühle bei der Untersuchung hatte auch Siv nicht. Es war nicht so, dass Sport bei ihnen nackt ausgeübt wurde – oder auch nur eine derart große Rolle spielte wie in Griechenland, beispielsweise –, aber sie stammte aus einer Kultur, in der die Familie teils auf engstem Raum beieinander lebte, und in der der erste Beischlaf in der Hochzeitsnacht im Beisein der Verwandten geschah. Schamgefühl war da einfach fehl am Platz.


    Sie fuhr sich erneut durch die feuchten Haare und rieb sich dann ihre Schulter. Die Tunika klebte inzwischen an ihrer verschwitzten Haut. Und dann musste sie wieder lächeln, als sie Penelopes Kommentar hörte. Nein, auch in dieser Hinsicht war Siv nicht übermäßig viel Schamgefühl gestraft. Bei einer Geburt ging es einfach nicht anders, das war völlig normal. Aber sie war Penelope trotzdem dankbar, dass sie daran dachte und ihr helfen wollte. "Ja… danke." Es dauerte nicht lange, bis die Griechin mit dem Wasser, den Schüsseln und den Tüchern wieder am Bett war, und Siv tat, was Penelope und Frija ihr auftrugen, versuchte mitzuhelfen, so gut es ging, und seufzte dann leise, als das warme Wasser über ihren Bauch zu fließen begann. Wie Penelope empfohlen hatte, nutzte sie diese Gelegenheit auch, um sich zu erleichtern – nicht dass es ihr sonst tatsächlich peinlich gewesen wäre, aber bei dem Geräusch des plätschernden Wassers konnte sie in diesem Moment gar nicht anders –, aber lange Gelegenheit, die entspannende Wirkung zu genießen, hatte sie nicht. Als Penelope das nächste Mal Wasser schöpfte, spürte Siv plötzlich, wie es trotzdem wieder feucht, nein, nass wurde, und für einen winzigen Augenblick wunderte sie sich, weil ihre Blase sich ganz sicher nicht schon wieder hatte leeren müssen. Dann, bevor sie tatsächlich begreifen konnte, dass gerade die Fruchtblase geplatzt war, verkrampften sich ihre Muskeln ein weiteres Mal, als die nächste Wehe mit ungeahnter Heftigkeit ihren Körper erschütterte, und wieder schrie sie auf, lauter und anhaltender diesmal als noch zuvor, schien der Schmerz doch immer schlimmer zu werden, während sie zwischendurch versuchte zu atmen und zu hecheln, wie die beiden Frauen es ihr vormachten.

    Siv schickte Hel – und Iuno, sicherheitshalber – einen aus tiefstem Herzen kommenden Dank, dass nun auch eine Germanin anwesend war, eine, die wusste, wie die Gebräuche und Gepflogenheiten in ihrer Heimat waren. Und bei der Gelegenheit dankte sie gleich auch noch mal für Penelopes Anwesenheit. Die Griechin war einfach… großartig, fand Siv. Keine Germanin, aber wie sie auftrat, wie sie die anderen herumscheuchte und im Griff hatte und ihr, Siv, zwar Verständnis, aber kein Mitleid entgegen brachte, nicht meinte, sie irgendwie betuteln zu müssen wie eine Glucke ihre Küken… Sie nicht behandelte, als ob sie krank wäre und gar nichts könnte… Das tat Siv gut, das tat ihr sehr gut, und half ihr weit mehr, als wenn sie bei ihr gesessen und sie bemitleidet hätte. Die Stimmung im Raum war so, wie Siv fand, dass sie sein sollte. Und dann kam die nächste Wehe, und Siv vergaß die Stimmung und Penelope und Frija, klammerte sich nur an die Hand der Griechin und spürte den Druck von Frijas Hand in ihrem Rücken. Als sie vorbei war, trank sie einen Schluck von dem Sud – im Gegensatz zu Penelope wusste sie, was für Kräuter es waren – und sah dann wieder auf, als Cimon wieder hereinkam. Für ein Lächeln fehlte ihr in dem Moment allerdings die Kraft, stattdessen musterte sie Frija erneut. Alrichs Dorf… das sagte ihr nichts. "Sarolfs Dorf", murmelte sie und wollte mehr erzählen, wollte mehr fragen, zum Beispiel ob Frijas Mann auch Germane war, aber dann rollte die nächste Wehe über sie, und diesmal hatte Siv zum ersten Mal wirklich das Gefühl, als ob es sie innerlich zerriss. "THURSENverDAMMTEeiteeeeaaaaaargh", begann sie, und wieder zerflossen die Worte in einem unartikulierten Aufschrei. Glühendes Feuer schien in ihrem Leib zu wüten, und die Muskeln in ihrem Bauch zogen und verkrampften sich auf eine Art, dass Siv mehr den Eindruck hatte, sie glichen sich windenden Schlangen als etwas, worüber sie noch die Kontrolle hatte.


    Dass die Tür erneut aufgerissen wurde, bekam sie in diesem Augenblick nicht mit. Erst als die Wehe vorbei war, nahm sie wahr, wer da plötzlich mitten im Raum stand und sie entsetzt anstarrte. Verwirrt, verunsichert, völlig perplex starrte sie zurück. Sie hätte mit vielem gerechnet, aber nicht, dass Corvinus hier auftauchen würde. Und sie wusste nicht, was sie davon halten sollte. Die ganzen letzten Tage, Wochen… seit er sie freigelassen hatte… sie hatten sich kaum gesehen. Seit er mit Celerina wieder gekommen war von ihrem Kurzurlaub, gar nicht mehr. Siv hatte geglaubt, er hätte kein Interesse mehr, weder an ihr noch an dem Kind, das seines war. Dass er jetzt hier war… Nein, sie wusste definitiv nicht, was sie davon halten sollte. Aber sie musste nichts sagen, denn Penelope ging plötzlich in die Luft wie Fafnir selbst. Siv betrachtete die Szene, sah von Corvinus zu Penelope und wieder zu Corvinus, inzwischen bereits völlig fertig von den Schmerzen – und sie begann zu lachen. Es war kein lautes Lachen, und es mochte sich wohl ein wenig seltsam anhören, weil es erschöpft klang und weil es wehtat, zu lachen, waren ihre Bauchmuskeln gerade doch strapaziert genug, aber sie konnte einfach nicht anders. Es war ein Bild für die Götter, wie die kleine Griechin da stand und auf die beiden Männer verbal einprügelte, Corvinus, der nicht gerade klein oder schwächlich wirkte, und Cimon, der noch weniger so wirkte. Sie hob eine Hand und strich sich die verschwitzten Haare aus der Stirn, während sie sich fragte, ob Corvinus so etwas wohl jemals passiert war. Sie sah ihn an und versuchte zu verdrängen, wie er sich verhalten hatte die letzten Male, als sie sich gesehen hatten. Er war jetzt hier. Das hieß doch, dass er wenigstens an dem Kind nicht so ganz uninteressiert war, wie sie sich selbst hatte glauben machen wollen. Auch wenn es vermutlich nichts änderte an der Situation, auch wenn das hier nur eine Kurzschlussreaktion von ihm war, war er doch hier. "Es passt schon", versicherte sie ihm.

    "Und was ist mit Hunden?" Irgendwie fand Siv, dass das Argument mit der Größe nicht so ganz passte. Pferde waren größer, ja, aber Hunde zum Beispiel waren kleiner. Und die litten auch nicht solche Schmerzen, sonst würden Hündinnen ganz anders reagieren, wenn sie warfen. Und wenn Hündinnen warfen, dann in der Regel mehr als nur einen einzigen Welpen. Warum also war das bei Menschen so – denn dass es eben doch nicht daran lag, dass alle anderen einfach verweichlichter waren als sie, diese Ansicht konnte Siv einfach nicht mehr aufrecht erhalten. Sie tendierte zwar nach wie vor dazu zu denken, dass andere weniger aushielten als sie, aber so sehr von sich eingenommen war sie dann doch nicht, dass sie sich einbildete, die Schmerzen wären bei ihr stärker als bei anderen Frauen. War das, weil Menschen auf zwei Beinen gingen? Oder hing das mit dem Fell zusammen? Siv hatte keine Ahnung, nur das mit der Größe erschien ihr nicht schlüssig. Aber sie war inzwischen zu erschöpft, um wirklich zu argumentieren, und so blieb es bei der eher matten Nachfrage, die sie nicht weiter ausführte. Sie fand es nur ein wenig unfair von den Göttern, dass sie das so verteilt hatten.


    Es dauert nicht mehr lang. Siv schloss für einen Moment die Augen und hoffte, dass die Griechin recht hatte, während sie die Ruhephase nutzte, um wieder Kraft zu sammeln. Gleichzeitig musste sie grinsen, als sie hörte, wie Penelope aufbrauste und Cimon herumscheuchte. Der Nubier tat ihr ein wenig leid, aber Penelope so zu hören, fand Siv witzig. Hel hatte es gut mit ihr gemeint, als sie dafür gesorgt hatte, dass sie der Griechin über den Weg lief. Die Schimpferei hörte sich so normal an, fand sie. Als wäre überhaupt nichts, nichts besonderes jedenfalls. Es klang wie etwas, was man jeden Tag hören konnte. Es war so viel besser, als aufgeregtes Herumgewusel. Und dann, plötzlich, drangen vertraute Laute an ihr Ohr. Mit einem Ruck hob sie ihren Oberkörper an und stützte sich mit den Armen auf dem Bett ab, und für einen Moment sprachlos starrte sie die andere Germanin an. "Heilsa", antwortete sie dann, und im Gegensatz zu der anderen sprach sie aufgeregt auf Germanisch weiter: "Du stammst auch aus Germanien? Aus welcher Sippe? Hast du Brix schon kennen gelernt, er ist au-uuuuuuuh-aaaaaaaaaaaargh", ging die angefangene Frage in einen Schrei über, als die nächste Wehe kam und sich in ihren Unterleib zu krallen schien. Diesmal krampfte Siv, die gerade halb aufgerichtet war, sich vornüber und ein wenig schräg zur Seite vor Schmerz.

    Siv versuchte zu tun, was Penelope ihr sagte, versuchte auf diese Art zu atmen, und war jedes Mal dankbar, wenn sie ihr den Rücken rieb und so einen Teil des Schmerzes weg zu massieren schien. Überhaupt musste sie sich – in den Pausen zwischen den Wehen – nun eingestehen, dass sie froh war, jemanden hier zu haben. Jemanden, der sich auszukennen schien. Dem sie nicht sagen musste, was zu tun war. Sogar die Götter hatte sie angerufen, zwar eine griechische – wie sie ihr erklärt hatte, nachdem Siv gefragt hatte, sobald der griechische Gesang beendet war –, aber immerhin. Sie hoffte, dass Frigg und Iuno das reichte, dass sie sich damit begnügten, dass Siv sie nur stumm um Beistand anflehen konnte, oder wahlweise in einem Schrei oder Fluch. Genauso wie Hel, ihre persönliche Schutzgöttin. Dafür hatte sie in der Ruhezeit zwischen den Wehen noch weiter gefragt, was genau sie gesungen hatte. Erstaunt hatte sie festgestellt, dass sie Artemis’ Beistand erfleht hatte. Dass Artemis die Göttin der Jagd war, das wusste Siv. Dass sie auch für die Geburten zuständig war, war ihr hingegen neu. Und es gefiel ihr. Es gefiel ihr, dass sie, Siv, den Beistand einer Jagdgöttin bekommen würde. Es gefiel ihr sogar ausgesprochen gut. Es passte zu ihr, fand sie.


    Und dann kam wieder die nächste Wehe, und Siv konzentrierte sich nur darauf, sie zu überstehen, atmete und fluchte und atmete wieder und drückte dabei Penelopes Hand, die sie ihr gereicht hatte, während ihre andere sich in das Laken krallte. Dass Cimon plötzlich hereinplatzte, bemerkte sie gar nicht, und auch das Klopfen nahm sie nicht wahr. Und auch als die Wehe vorbei war, brauchte sie einen Moment, bis sie realisierte, dass jemand da war. "Cimon", murmelte sie, ein wenig überrascht. Sie wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte, dass der Nubier da war. Nicht, dass sie ein Problem damit hatte, aber Männer hatten bei einer Geburt eigentlich nichts zu suchen, auch in Germanien nicht. Andererseits war es ja nicht so, als ob ihr Leben sonderlich normal wäre. Sie war das einzige Mädchen in einem reinen Männerhaushalt gewesen und hatte eine entsprechende Erziehung genossen, war verwöhnt gewesen und hatte weit mehr Freiheiten gehabt als andere Mädchen, bis hin zu dem Punkt, dass sie erst später hatte heiraten müssen als die meisten anderen. Sie war eine Germanin, eine ehemalige Sklavin, sie lebte in Rom, liebte einen Römer und trug sein Kind in sich, das gerade mit großer Energie danach verlangte, in den nächsten Stunden geboren zu werden. Sie hatte Iuno geopfert für die Gesundheit ihres Kindes, obwohl sie überzeugt davon war, dass die germanischen Götter letztlich die stärkeren waren, und jetzt lag sie hier und hatte sogar Artemis mit eingeschlossen in den Kreis der Göttinnen, die sie um Beistand bat. Ernsthaft: was war schon normal bei ihr? Sie lächelte ihm erschöpft zu und strich sich das verschwitzte Haare aus der Stirn. "Oh Hel, bei Pferden ist das doch auch nicht so schlimm…"

    Siv bemerkte Cimons Blick durchaus, aber sie reagierte nicht darauf. Es war nun mal normal. Es hieß nicht, dass es ihr gefiel, aber es war normal, und das war auch nicht die erste Vorwehe, die sie gespürt hatte. Und, wenn sie es recht bedachte, gefiel es ihr doch – hieß das doch, dass die Geburt tatsächlich immer näher rückte, und die Geburt hieß, dass die Schwangerschaft vorbei war. Und das Ende der Schwangerschaft bedeutete nichts anderes, als dass zahlreiche andere Beschwerden enden würden. Auch wenn das wiederum hieß, dachte Siv, während sie ein Seufzen unterdrückte, dass zahlreiche andere beginnen würden, wohl. Aber sie freute sich eindeutig darauf, wieder beweglicher zu sein, und wieder arbeiten zu können.


    Sie musterte Cimon. "Menschenmengen mag ich auch nicht. Und… na ja, zu einsam ist nicht gut. Aber allein sein… das ist was anderes." Sie zog nachdenklich ihre Unterlippe zwischen die Zähne und ließ sie dann wieder los, als Cimon mehr oder weniger das aussprach, was sie zuvor gedacht hatte. Freiheit war für ihn nicht greifbar… Es bestätigte nur, dass sie mit ihm kaum darüber diskutieren konnte. Wenn er Freiheit so gar nicht kannte, sich nichts darunter vorstellen konnte… so wenig, dass er sie Angst davor hatte, anstatt sie zu glorifizieren, was sicher auch manche gebürtige Sklaven taten… war es einfach hinfällig. Seine letzte Frage allerdings wischte diese Gedanken fort und richtete sie auf das, was sie selbst gerade so beschäftigte. Siv presste die Lippen aufeinander und sah weg von Cimon, starrte eine Regalreihe an. "Ich weiß es nicht", murmelte sie. "Vielleicht ist es besser zu gehen…" Sie räusperte sich und sah dann doch wieder den Nubier an, mit einem leichten, etwas schiefen Grinsen, das nicht wirklich fröhlich wirkte. "So lange das Kind noch nicht geboren ist, bleibt mir aber kaum was übrig, als zu bleiben."

    Siv wusste nicht so recht, was sie darauf sagen sollte. Wer das Kind auffangen sollte? Oder waschen? Moment, was hieß das, dass sie keine Kraft mehr haben würde aufzustehen? Beim besten Willen, sie war kein verweichlichtes Weibchen wie manche ihrer Schwägerinnen… Aber sie erinnerte sich an den Schmerz von gerade eben, und sie beschloss, jetzt nichts zu sagen, was ihr in ein paar Stunden vielleicht unglaublich dumm vorkommen würde. Und, Fakt war, sie hatte sich ja tatsächlich keine Gedanken darüber gemacht, was nach der Geburt zu tun war. Wie ihr Baby versorgt werden musste. Es war nun mal kein Fohlen, das nicht lange nach der Geburt schon auf eigenen Beinen stehen konnte… Widersprechen wollte sie dann allerdings, als Penelope in ihrem Zimmer ihr befahl, sich hinzulegen. Hinlegen! Also bitte, musste das denn sein? War es nicht genug, dass sie hier war? Aber sie schaffte es kaum, den Mund aufzumachen, da fiel Penelope ihr schon ins Wort, und ein scharfes Sofort klingelte in Sivs Ohren. Mit dem Befehlston einer Mutter hatte sie nun gar keine Erfahrung. Väter redeten anders mit einem, Brüder sowieso. Vielleicht war das der Grund, dass etwas geschah, was selten passierte: Siv gehorchte widerspruchslos. Sie legte sich hin, auf die Seite, wie Penelope angeordnet hatte, legte einen Arm unter ihren Kopf ab als Stütze und sah zu der Griechin auf, als diese sich zu ihr setzte. Als sie ihre Hand nahm und über ihren Bauch führte, flog ein Lächeln über Sivs Gesicht. "Ja", antwortete sie. Dass das Kind sich gesenkt und gedreht hatte, hatte sie in den letzten Tagen mehrmals überprüft. Sie war etwas unbedarft, was die Geburt anging, oder besser: leichtsinnig, konnte man es vielleicht nennen. Sie machte sich nicht allzu viele Gedanken darüber. Natürlich wusste sie, dass eine Geburt gefährlich war, dass nicht wenige Kinder starben, dass auch die Mütter manchmal starben oder bleibenden Schaden davon trugen. Aber was geschah, das lag in der Hand der Götter, war Sivs Meinung. Wenn es den Göttern gefiel, lebten sie und ihr Kind. Wenn nicht, dann nicht. Sie wollte nicht sterben, und sie wollte schon gar nicht ihr Kind verlieren, aber solche Dinge passierten, und sie konnte nichts dagegen tun – und Siv hegte schlicht ein großes Vertrauen in die Götter und das Leben.


    "Ich glaube nicht. Aber…" Siv überlegte kurz. Cadhla und Fhionn hatten sicher schon Geburten miterlebt, ebenso wie sie, aber beide waren nicht mehr hier. "Sofia ist nicht zu gebrauchen. Dina… auch nicht. Niki schon, das ist die Köchin." Sie lachte leise. "Die schlachtet auch gern, die hat kein Problem damit. Ehm… dann sind da noch Saba und Arsinoe… Arsinoe geht. Saba… Ich glaub da ist Dina besser. Charis… Und Caelyn ist wieder da." Es gab noch ein paar mehr Sklavinnen, die herum liefen, aber diese verrichteten die einfachsten Arbeiten, denen traute Siv noch weniger zu als den aufgezählten. Und sie hatte mit ihnen noch weniger zu tun. Sie hätte sogar lieber Sofia um sich in diesem Moment als jemanden, mit dem sie kaum etwas zu tun hatte. Im nächsten Augenblick krampfte sich ihr Körper wieder zusammen, als die nächste Wehe kam, aber sie hatte das Gefühl, dass es ein wenig besser war als zuvor, als sie noch gestanden war, und auch schneller wieder vorbei. Im Bett liegen hatte doch seine Vorteile.



    ~ Ein paar Stunden später ~


    Im Bett liegen hatte eindeutig seine Vorteile. Diesmal dachte Siv es zähneknirschend, als die nächste Wehe über ihren Körper zu rollen begann. Es war leichter im Liegen, aber das änderte nichts daran, dass die Abstände zwischen den Wehen kontinuierlich kürzer geworden waren – und die Wehen selbst stärker, wenn auch nicht ganz so kontinuierlich, sondern eher in Schüben. Sie wusste nicht, wie spät in der Nacht es mittlerweile war. Es war ihr auch so ziemlich egal. Inzwischen waren die Schmerzen stark genug, dass sie einfach nur wollte, dass dieses Kind endlich herauskam – und dabei hatten die Presswehen noch nicht angefangen. "Bei Garms stinkendem Atem, wann ist das endlich vorbei?!?" fluchte sie lautstark, kurz bevor die Wehe ihren Höhepunkt erreicht hatte, und dann ging das Fluchen in einen Aufschrei über, bevor sie ihn zurückbeißen konnte. Siv hatte in den letzten Stunden viel und schillernd geflucht, hauptsächlich auf Germanisch, aber auch auf Latein, und sogar griechische Flüche waren dabei gewesen, die sie gelernt hatte. Flüche und Schimpfwörter, das war das, was Siv sich in einer fremden Sprache zuerst merken konnte, und in diesen Stunden machte sie von ihrem Wissen reichhaltigen Gebrauch. Je stärker die Wehen wurden, desto mehr wurden jedoch die Flüche von Stöhnen oder Schreien abgelöst, weil Siv nun während der Wehen mehr und mehr den notwendigen Denkzustand verlor, auch noch Worte zu formulieren, um dem Schmerz Luft zu machen.

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    Sofia fiel tatsächlich nicht auf, dass Corvinus etwas merkwürdig reagierte. Aber es wäre ihr vermutlich auch nicht aufgefallen, wenn sie nicht so aufgeregt gewesen wäre. Was sie jedoch durchaus bemerkte, waren seine Worte. Mit großen Augen starrte sie ihn an. "Woher soll ich das denn wissen?" fragte sie perplex zurück. "Ich hab keine Ahnung wie schnell so eine Geburt geht!" Sie starrte ihn weiter an. Bescheid. Ja. Bescheid geben, genau das hatte sie vorgehabt, erst Corvinus, dann den anderen. Aber sie blieb doch noch stehen, weil sie seine Frage irgendwie so kalt erwischt hatte. Und dann! Dann fiel ihr auf, dass er noch etwas gefragt hatte. "Äh. Ich weiß nicht. Also, ich hab sie auf dem Gang getroffen. Da war die Frau bei ihr, die Griechin aus Alexandria, Ursus’ Gast", antwortete sie eifrig. "Mh… Ich… denk mal… sie hat sie in ihr Zimmer gebracht?"


    Kaum dass Corvinus ihr dann einen Auftrag gegeben hatte, nickte sie schon eifrig und sprang zur Tür. "Ja, werd ich. Mach ich!" Und schon war sie wieder auf und dann davon. Brix Bescheid zu geben hatte sie allerdings schon auf halbem Weg wieder vergessen – stattdessen platzte sie nun in die Küche, wo die meisten Sklaven gerade zu Abend aßen, und tischte ihnen ihre Neuigkeit auf. Brix war nicht anwesend, aber bis auch er von der nun unmittelbar bevorstehenden Geburt erfahren würde, konnte es nicht mehr lange dauern.





    MARCUS AURELIUS CORVINUS[/quote]

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    Das Soffchen starrte ihren Herrn an, als hätte er, freundlich formuliert, nicht mehr alle Nadeln an der Tanne. Wobei, fiel ihr auf, und bei dem Gedanken musste sie kichern, das passte sogar, also der Vergleich, denn es ging ja um Siv, und Siv stammte aus Germanien, und da wuchsen bekanntlich viele Tannen, und anderes Nadelgestrüpps. Oder doch nicht? Auch egal. "Na Siiiv!" rief sie dann aus, als sie ihre gedankliche Nadel-Analogie beendet hatte. "Also nein, Siv ist nicht so weit, aber das Kind, ich meine, es kommt, die Geburt, also, sie hat Wehen!"





    MARCUS AURELIUS CORVINUS

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    Sofia machte sich nicht viel daraus, dass Siv sie angefahren hatte. Das passierte Soffchen ungefähr dreimal am Tag, mindestens. Sie ignorierte es meistens einfach, ging darüber hinweg – sie hätte nicht so sein können wie sie war und trotzdem die meiste Zeit fröhlich, wenn sie sich tatsächlich zu Herzen nahm, wie die Menschen um sie herum häufig auf sie reagierten. Und so war alles, woran sie gerade denken konnte, die bevorstehende Geburt. Wem sie als erstes Bescheid sagen würde, war klar: dem Dominus, selbstverständlich! Gut, Siv war nun frei, aber immerhin war sie seine Sklavin gewesen, noch dazu seine Leibsklavin, und er hatte sie freigelassen, rechtzeitig vor der Geburt, so dass das Kind nicht nur frei sein würde, nein, es würde alle Möglichkeiten offen haben. Und er war ja jetzt ihr Patron. Er musste das erfahren, fand sie. Und sie war sich sicher, dass er es auch erfahren wollen würde. Oooh das war ja so aufregend!


    Einen Augenblick später stand sie mitten in Corvinus’ Officium. Oh, sie hatte noch geklopft davor, aber eine Antwort hatte sie nicht abgewartet. "Es ist so weit, es ist so weit!" platzte sie aufgeregt heraus.





    MARCUS AURELIUS CORVINUS

    Siv stand da, nachdem sie die Bibliothek verlassen und spätestens in diesem Moment hätte sie wohl doch angefangen zu argumentieren, sich dagegen zu wehren, dass einfach so über ihren Kopf hinweg bestimmt wurde, als der Schmerz sich wieder seinen Weg bahnte durch ihren Unterleib. Sie streckte die Hand aus und tastete nach der Wand, stützte sich ab und hielt mit der anderen ihren Bauch. "In Ordnung", keuchte sie. "Ich glaub du hast recht." Was für ein Eingeständnis das für sie war, davon hatte Penelope wohl nicht die geringste Ahnung.


    Als der Schmerz jedoch nachließ – der noch nicht wirklich lange andauerte – und Siv wieder aufsah, stand außer Penelope noch jemand vor ihr. Sofia. Siv glaubte sie traf der Schlag. "Siv? Siiiv?"
    Siv verdrehte die Augen. "Sofia. Was willst du?" Soffchen starrte sie an. "Das… du… Es kommt? Das Baby kommt?"
    Die Germanin knirschte mit den Zähnen. "Sofia-", versuchte sie einzuhaken, aber das Soffchen plapperte gleich weiter: "Das ist doch großartig, oh Siv, da müssen wir ja was vorbereiten, es kommt tatsächlich?!?"
    "SOFIA!" fuhr Siv auf.
    Große Augen starrten sie an. "Ja?"
    "Geh. In Ordnung? Geh einfach!"
    Sofia starrte sie einen Moment lang an, perplex, fast erschrocken, dann strahlte sie schon wieder los. "Oh das ist so aufregend, so schrecklich aufregend, ich werd gleich den anderen Bescheid geben!" Und mit diesen Worten verschwand das Soffchen. Siv sah ihr, immer noch zähneknirschend, hinterher, bevor sie sich in Bewegung setzte und gleichzeitig zu Penelope meinte: "So viel zu den Frauen hier. Es gibt keine Hebamme. Und ich hab keine Schwestern. … Oder sonst Verwandte, nicht hier", fügte sie etwas verspätet hinzu. "Und, also… ich dachte… das geht doch, allein. Also nicht ganz, aber viele brauch ich doch nicht. Und… du hast Sofia erlebt. Ich glaub die haben eh alle keine Erfahrung. Weniger als ich, jedenfalls. Ich hab früher geholfen. Ich weiß wie das geht", erklärte Siv, etwas unbedarft, während sie nun bei ihrem Zimmer angekommen waren.

    Penelope lächelte, dabei war es Siv ziemlich ernst damit. Sie wollte nicht, dass andere wegen ihr einen Aufstand machten. Nicht, damit die anderen weniger zu tun hatten, sondern weil sie nicht im Mittelpunkt von so viel Aufregung stehen wollte. Jedenfalls nicht dann, wenn dann alle sahen, dass sie schwach war und Schmerzen hatte – da war es ihr egal, dass es völlig berechtigt war und sich kein Mensch etwas denken würde. Ihr war es unangenehm. Als Penelope dann auf ihren nächsten Kommentar hin zuerst lachte, flackerte in Sivs Augen kurz erneut Trotz auf, und die Worte der Griechin trugen nicht unbedingt dazu dabei, dass sie sich dafür entschieden hätte in ihr Zimmer zu gehen. In ein paar Stunden? Das war noch ewig! Hel, sollte sie jetzt stundenlang in ihrem Zimmer versauern, wo sie keinerlei Ablenkung hatte, nichts? Nichts außer der Wiege, die dort stand, etwas am Rand, am Fußende ihres Betts. Nicht zu übersehen. Der feingeschnitzte, geschwungene Pferdekopf, die Flügel an den Seiten, das dunkle, kostbare Holz… Am liebsten hätte sie die Wiege rausgeworfen. Sie war wunderschön… aber sie erinnerte sie an den, der sie ihr geschenkt hatte. Nein, sie legte nicht allzu großen Wert darauf, viel Zeit in ihrem Zimmer zu verbringen. Aber Penelope sprach weiter, und dann wurde auch Siv klar, warum es sinnvoll war, wenn sie jetzt ging. Wenn das hier jetzt… tatsächlich… also, ganz wirklich… die Geburt war… dann würden die Abstände zwischen den Wehen sich stetig verkürzen. Andererseits, noch war der Abstand doch noch groß…


    Der Abstand zwischen den Wehen und ob sie in ihr Zimmer sollte oder nicht, war aber dann erst mal vorübergehend vergessen, als es um die anderen ging. Andere Frauen. Während Penelope ihre Tafeln verstaute, starrte Siv sie an, aber bevor sie etwas antworten konnte, war die Griechin schon wieder bei ihr. Und diesmal zog sie sie mit sicherem Griff aus dem Sessel hoch, so dass Siv gar nicht auf die Idee kam, sich möglicherweise zu wehren. Die Frau war ziemlich resolut, stellte sie fest. Unter anderen Umständen hätte ihr das gefallen, zuvor hatte es ihr gefallen, aber in diesem Moment, wo sie mehr oder weniger das Opfer wurde, war Siv sich nicht mehr so sicher, ob es ihr gefiel, dass sie plötzlich so gar kein Mitspracherecht mehr zu haben schien. Gemeinsam gingen sie zur Tür, und die Germanin wehrte sich immer noch nicht. Sie hatte das deutliche Gefühl, dass Penelope tatsächlich keine Widerrede dulden würde, und etwas überrumpelt davon, dass ihr nicht nur einfach ihr Willen nicht gelassen wurde, sondern dass sie gar nicht so wirklich dazu kam, ihn zu äußern, befand Siv sich schon auf dem Gang, bevor sie es wirklich realisierte. Dort stand sie einen Moment und sah Penelope an, aber die schien darauf zu warten, dass sie ihr den Weg zeigte.

    Diesmal zog sich ihr Leib für einen Moment so heftig zusammen, dass Siv keine Augen mehr für Penelope hatte und das, was sie tat. Erst als sich eine Hand auf ihren Bauch legte, realisierte sie, dass die andere aufgestanden und zu ihr gekommen war, und einen Moment später sah sie hoch, während der Schmerz langsam nachließ. Was Penelope dann allerdings sagte, ließ Siv für einen Moment die Stirn runzeln. Warum sie nichts gesagt hatte? "Ich hab das öfter, in letzter Zeit. Es kommt und geht." Wobei es in den ganzen letzten Tagen nie so gewesen war wie heute, musste sie eingestehen, wenn auch nur sich selbst gegenüber. Gerade die letzten Male war ihr durchaus aufgefallen, dass die Schmerzen… häufiger zu kamen. Regelmäßiger. Und von Mal zu Mal ein wenig intensiver zu werden schienen. "Ich will nicht sagen, es kommt, und alle fangen an herum zu rennen, und dann kommt es doch nicht", fügte sie fast trotzig hinzu.


    "In… Oh", machte Siv. "Mein Zimmer. Ja. Ehm. Meinst du das muss jetzt schon sein?" Sie war eigentlich nicht sonderlich scharf darauf, jetzt Stunden um Stunden im Bett zu verbringen. Sie hatte eigentlich eher darauf spekuliert, sich quasi erst kurz vor der Geburt hinzulegen, das Kind auf die Welt zu bringen und das würde es dann sein. So sehr sie in den letzten Monaten auch gemerkt hatte, dass Schwangere tatsächlich ihren Zustand nicht einfach nur als Ausrede benutzten, dass sich tatsächlich etwas tat, dass vieles stimmte von dem, was sie bei anderen Schwangeren miterlebt hatte und es eben nicht nur irgendwie Gerede oder Übertreibung war, wie sie immer gedacht hatte, hatte Siv im Grunde doch keine Vorstellung von einer Geburt. Schon gar nicht von einer Erstgeburt. Sicher hatte sie schon mehreren Geburten beigewohnt, hatte mitgeholfen. Aber so wie Siv nun mal war, war sie irgendwie tief in sich der Überzeugung, dass sie… nun ja… einfach mehr aushielt als viele andere. Es musste doch einen Vorteil haben, mit lauter Brüdern aufzuwachsen. Würde sie heute eine Geburt miterleben, sie würde anders darüber denken, die Schmerzen sicher anders einschätzen – aber ihre Erinnerungen an Geburten stammten aus einer Zeit, als sie noch um einiges jünger war. Und vor allem wesentlich mehr Selbstüberschätzung ihr eigen nennen durfte. Und dann sagte Penelope noch etwas, was Siv stutzen ließ. "Eh. Welche Frauen?"

    Ordnung. Ordnung… Siv erinnerte sich plötzlich an ihr Gespräch mit Straton, dem flavischen Sklaven, vor so langer Zeit. Auch sie hatten über Ordnung gesprochen, und auch er hatte von Unordentlichem, von Wildem, Ungezügeltem so gesprochen, als ob es… nun ja, etwas Schlechtes wäre. Und Siv… sie hatte sich verändert. Sie sah viele Dinge anders seit damals. Bei Hel, wie lange war dieses Gespräch nun her? Sie war erst ganz kurz in Rom gewesen, damals… Aber was gleich geblieben war, war ihre Auffassung, dass man Natur nicht bändigen konnte, dass Natur… etwas ganz eigenes hatte. Dass Natur, wilde, ursprüngliche Natur, genau so war, wie sie sein sollte. Es verhielt sich mit der Natur fast umgekehrt wie Penelope es von Musik beschrieben hatte – Siv fand, man konnte vieles wegnehmen, austauschen… Weil sich ohnehin alles im Wandel befand. Bäume verloren ihre Blätter und bekamen neue, Pflanzen und Tiere starben und wurden geboren, Blüten verwelkten und blühten erneut… Aber der Wald, die Natur als Ganzes blieb, wie sie war. Allerdings, wenn sie Penelopes Worte zugrunde legte, dann hieß das vielleicht nur, dass Natur einfach keine Perfektion brauchte. Und was sie mit ihrer Melodie gemacht hatte, indem sie… nun ja… einfach nur geordnet hatte, das fand Siv faszinierend. Allerdings begriff sie immer noch nicht komplett, und sie wusste nicht so recht, was sie sagen sollte – was aber für Penelope kein Problem darzustellen schien. Sie begann weiter zu arbeiten, und Siv saß da und beobachtete sie, fasziniert und gleichzeitig erleichtert, erleichtert einfach nur hier sitzen zu können und sich zu entspannen. Die ruhige Aura, die Penelope verströmte, ihr konzentriertes Arbeiten, die Atmosphäre, die das verbreitete, fand Siv angenehm.


    Als Penelope dann, ohne wirklich mit dem Arbeiten angefangen zu haben, plötzlich hochsah und sie ansprach, schüttelte Siv fast erschrocken den Kopf. "Nein, gar nicht. Stört es dich denn, wenn ich hier bleibe?" Sie hoffte, Penelope würde es nicht stören, hoffte, sie könnte hier bleiben – und tatsächlich schien sie nichts dagegen zu haben, und so blieb Siv einfach sitzen und ließ ihre Gedanken treiben, während sie einfach nur zuhörte, hörte, wie das Musikstück unter Penelopes fachkundiger Bearbeitung reifte. Bis, plötzlich, ein weiterer Schmerz durch ihren Leib zuckte, stärker als der letzte. Ihre Finger krallten sich um die Lehne, und Siv spannte sich unwillkürlich an, während sie zugleich für einen Moment die Luft anhielt.

    Grausam? Grausam und einsam stellte er sich die Freiheit vor? Jetzt starrte Siv Cimon an, als wäre er soeben vor ihren Augen aus Hels Reich empor gestiegen. Grausam? Vermutlich war es dies – dieses Wort, und der plötzliche Schmerz in ihrem Bauch, der dazu führte, dass sie für einen Moment den Fokus auf ihre Wut verlor –, dass sie nun zum ersten Mal sah, dass Cimon umgekehrt genauso wenig begriff, was sie meinte, wie sie umgekehrt. Wie sollte sie jemandem erklären, was Freiheit bedeutete, der Angst davor hatte? Wie sollte sie mit jemandem über Stolz diskutieren, ja, fast schon streiten, der keine Ahnung hatte, was Stolz war? Jedenfalls keine Ahnung, was Stolz für sie war. Es war… hinfällig, begriff Siv in diesem Augenblick. Cimon und sie hatten zwei so unterschiedliche Sichtweisen, dass es schlicht hinfällig war, über Konzepte wie Freiheit oder Stolz zu diskutieren. Wenn Freiheit für ihn grausam war… Siv schüttelte ganz leicht den Kopf. Und dann lächelte sie Cimon vage an. "Ja. Alles in Ordnung. Das ist", sie verdrehte leicht die Augen, "normal", seufzte sie. Dass es normal war, hieß nicht dass es ihr gefiel. Und dann sagte sie doch noch etwas zu dem vorigen Thema, obwohl sie eigentlich beschlossen hatte, es auf sich beruhen zu lassen, als ihr klar geworden war, wie sinnlos eine Diskussion war. "Freiheit ist nicht grausam. Du… du siehst das vielleicht anders, aber das ist es nicht. Und Einsamkeit kann auch gut sein." Sie seufzte und ließ ihren Blick durch die Bibliothek schweifen. "Bist du öfter hier?"

    Siv sah überrascht hoch, als Penelope plötzlich aufstand und ihr kurzerhand ein Kissen zwischen Rücken und Lehne steckte, bevor sie sie leicht zurückdrückte. Siv gehorchte der leichten Geste, wusste sie doch inzwischen selbst, was half und was nicht – aber der Schmerz, der durch ihren Unterleib gezuckt war, war von anderer Art als die ständige Belastung durch das zusätzliche Gewicht. Dennoch half die Entlastung ein wenig, und wie schon in der letzten Zeit verklang der Druck. "Danke." Siv legte eine Hand an ihren Bauch, der in den letzten Tagen beständig tiefer gesunken war, und um ihre Mundwinkel zuckte es kurz in einem angedeuteten Lächeln, bevor sie wieder zu Penelope sah, die nun zu einer Antwort ansetzte. Und Siv starrte sie an. Kosmische Klarheit und Schönheit? Siv wusste nicht so recht, was sie damit anfangen sollte. Und was Penelope weiter erzählte, half ihr nicht unbedingt dabei, es besser nachzuvollziehen. Ganz leicht zogen sich ihre Augenbrauen zusammen, während sie sich bemühte zu verstehen, was Penelope sagte. Es war doch Musik – wie konnte es da ungeordnete Gedanken sein? Aber Gefühle, ja, Gefühle, oder zumindest hatte die Melodie Gefühle in ihr ausgelöst. Oder eher verstärkt. Siv hob ihr linke Hand an den Mund und nahm in einer fast kindlich anmutenden, überlegenden Geste kurz ihren Daumennagel zwischen die Zähne. Wie konnte Musik einen Menschen edler und gütiger werden lassen?


    Bevor Siv ihre Verwirrung allerdings in Worte fassen konnte, setzte Penelope bereits ein weiteres Mal an, und diesmal brachte sie zu Sivs Erleichterung ein praktisches Beispiel. Unwillkürlich lächelte sie wieder, als Penelope einen kleinen Teil der Melodie von zuvor erneut spielte. In ihren Ohren klang es so wie eben – einfach schön. Sie hörte nichts davon, dass es nur Fragmente wären. "Aber… das ist doch…" Siv verstummte wieder, als Penelope weitersprach und noch mehr erzählte, über Einheit und Ordnung und Harmonie, und sie beschloss abzuwarten. Sie wurde das Gefühl nicht los, dass das etwas war, wovon sie schlicht überhaupt keine Ahnung hatte, und dass es besser war, Penelope einfach erst mal machen zu lassen, denn offensichtlich schien sie einen Plan zu haben. Etwas anderes wäre es gewesen, wenn Siv irgendwelche Form von Grundkenntnissen gehabt hätte – dann hätte sie wohl nahezu sicher ihren Senf dazu gegeben. Aber so gab es einfach nichts, was sie hätte hinzufügen können. Sie wusste nicht einmal genug, um gezielt nachfragen zu können. Also wartete Siv, auch wenn es ihr zunehmend schwerer fiel, da Penelope einfach nur dasaß und herumprobierte und hin und wieder etwas auf den Tafeln ausbesserte. Je länger sie allerdings arbeitete, desto mehr begann Siv zu hören, wie die Melodie sich veränderte. Oder nein, nicht veränderte, nur… veränderte. Sie konnte den Unterschied nicht in Worte fassen, sie hörte nur, irgendetwas war anders, ohne dabei jedoch die Melodie von zuvor zu zerstören. Und obwohl Siv von der Melodie zuvor schon zutiefst berührt gewesen war, ob sie Stein und Bein geschworen hätte, dass es nichts daran auszubessern gab, saß sie jetzt mit offenem Mund da, starrte Penelope und ihr Instrument an und fragte sich, wie das hatte passieren können. Was die andere Frau getan hatte. Es war gleich, und es war doch nicht gleich, und Siv versuchte den Unterschied zu fassen, konnte es aber nicht, und das machte sie ganz kirre, und: es schien so offensichtlich zu sein. Nun, da sie es gehört hatte, wie es als… nun ja, als Antwort klang, da war offensichtlich, was zuvor gefehlt hatte. Oder zu viel gewesen war? Erst wenn man keinen Ton mehr weglassen konnte…? Jetzt war Siv doch wieder verwirrt. "Das ist…" Sie hob die Hand, wie um nach etwas zu greifen, aber Musik war eben nicht greifbar. "Ich kann das hören. Den Unterschied", meinte sie etwas zögerlich. "Und du… hast einfach nur… geordnet? Ich meine, nicht einfach nur, aber… das ist der Sinn? Die Ordnung?"