Beiträge von Decima Seiana

    Nur langsam manifestierte sich in Seiana die Erkenntnis, dass es nicht Elena war, die hereingekommen war. Es war jedenfalls nicht Elenas Stimme, die da auf sie einredete. „Mmh?“ nuschelte sie erneut. Es dauerte noch einen Moment, bis sie realisierte, dass es Ophelia sein musste. Wirklich stören tat sie das nicht. Sie ließ die Worte der Sklavin einsickern, während sie ihren Kopf immer noch im Kissen vergraben hatte. Hätte sie geahnt, worüber Ophelia gerade nachdachte, oder was sie erst kurz zuvor in Archias’ kleinem Arbeitszimmer hatte aufräumen müssen, oder was dieser sie gefragt hatte, wäre sie nicht so ruhig liegen geblieben. Jeder in dieser kleinen Wohngemeinschaft wusste, was Archias umtrieb und woran er sich seit Tagen die Zähne ausbiss – selbst wenn sie gewollt hätten, für die Sklaven gab es keine Möglichkeit, das zu ignorieren. Nur Seiana bekam davon nichts mit, teils weil Archias sich in ihrer Gegenwart anders verhielt, teils weil sie selbst ihm gegenüber etwas unsicher war und oft gar nicht bemerkte, dass es ihm genauso ging. Sie wusste aber nichts von Ophelias oder Archias’ Gedanken, und so blinzelte sie nur in die Sonne, die nun ungehindert in das Zimmer strömte.


    Als jedoch die Bedeutung der letzten Worte Ophelias in ihr Bewusstsein drang, war Seiana schlagartig wach. Sie schnellte regelrecht hoch und setzte sich kerzengerade hin, während sie die Sklavin anstarrte. „Er hat was gesagt?“ fragte sie in einem Ton ungläubigen Staunens. Archias? Der notorische Einkaufsverweigerer? Der noch schlimmer war als sie? Der Krimskramsverabscheuer? Ausgerechnet er gab nun Ophelia Geld und schickte sie zusammen zum Einkaufen? Er musste doch wissen, was das bedeutete – Seiana konnte mit Klamottenkaufen nicht viel anfangen, dazu musste Elena sie meistens hinschleppen, aber ihr fielen eine Menge Dinge ein, die sie für diese Wohnung kaufen könnte, um sie ein bisschen ansehnlicher zu gestalten. Zum Markt gehen, gezielt Stände und Läden ansteuern, zuschlagen und wieder verschwinden, das war ihre Devise. „Er will, dass wir einkaufen gehen?“ echote sie, immer noch ungläubig.

    Elena unterdrückte den Impuls, Katander den Ellenbogenstoß mit gleicher Münze heimzuzahlen – allerdings konnte sie einen Schmerzlaut nicht unterdrücken. Sie ahnte jetzt schon, dass die Stelle in naher Zukunft blau anlaufen würden. „Na wenn sie nach Firas’ Brüllerei nicht schon alle wach sind, dann spätestens nach deiner“, murmelte sie verschlafen und stand auf, um sich an die Tür zu schleppen und brummelnd nachzufragen, was los war. Warum machte hier keiner Licht? Irgendwo mussten doch die Öllampen herumstehen, oder hatte die irgendwer geklaut? Ein albernes Kichern kam über ihre Lippen, als sie sich vorstellte, wie jemand sich die Mühe machte, hier einzusteigen – und sich dann nur die Öllampen krallte. Nun, was hier seinen Lauf zu nehmen begann, versprach heiter zu werden. Elena hatte wenig Lust, sich in der Dunkelheit ins Getümmel zu stürzen, also machte sie geistesgegenwärtig die Tür frei – gerade rechtzeitig, wie sich herausstellte, denn im nächsten Moment kamen Katander und Ophelia heraus – lehnte sich an die Wand, schloss die Augen und genoss das Bild, das sich anhand der Geräuschkulisse vor ihrem inneren Auge langsam abzeichnete.


    Seiana dagegen kaute immer noch auf einem Fluch herum, während sie ihre Stirn hielt, als jemand (Ophelia) von hinten gegen sie rannte. Sie strauchelte, versuchte noch sich zu fangen, aber ein Kasten am Boden – war das diese vermaledeite Werkzeugkiste, die da immer noch herumstand? – machte diesem Versuch ein Ende. Mit einem leisen Aufschrei fiel sie hin, und noch bevor sie irgendetwas sagen – zum Beispiel die anderen warnen – konnte, hatte sie das Gefühl, dass kurz nacheinander zweimal jemand auf sie trat. Dem Knall und dem Jammern nach dem ersten Mal zu schließen hatte Katander ebenfalls Bekanntschaft mit der Werkzeugkiste geschlossen, was in Seiana für einen Moment beinahe hämische Schadensfreude auslöste. Immerhin hatte er sie wegräumen sollen, wenn sie sich richtig erinnerte, darüber hinaus war er kurz davor auf sie getreten. Im nächsten Augenblick waren sämtliche Gedanken daran verschwunden, als sie den nächsten Tritt abbekam. Sie stöhnte auf und dankte den Göttern, dass wer auch immer über sie gestolpert war, nicht auf ihr gelandet war, und fühlte dann eine Hand in ihren Haaren. Ophelia? „Nein“, knurrte sie missgelaunt. Was zu viel, war wirklich zu viel. In ihrem Kopf breitete sich ein dumpfes Pochen aus, und ihr Rücken schmerzte von der üblen Behandlung, die er kurz zuvor erfahren hatte. „Jetzt seid doch einfach mal still!“ In den Moment des Schweigens, der danach folgte, hörte sie ein leises Stöhnen von draußen, wo die Treppe war. Seiana legte die Stirn auf den Boden und zählte in Gedanken und mit geschlossenen Augen bis drei, dann rappelte sie sich auf. „Archias lebt noch, und das wird er auch noch weiter.“ Wer bei Pluto war für dieses heillose Chaos eigentlich verantwortlich? „Gibt’s hier keine Öllampen mehr, oder was ist los? Elena!“ raunzte sie. Nein, wenn Seiana so kurz nachdem sie mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen worden war so etwas wie gute Laune gehabt hatte, dann war diese nun definitiv verflogen. „Kannst du nicht irgendwoher Licht auftreiben?“ Die Antwort kam etwas verspätet und klang etwas gedämpft – während die anderen im Hauptraum sich ineinander verknäult hatten, hatte Elena sich in die Küche getastet und dort nach Lampen gesucht. „Tut mir leid. Die sind alle leer, scheint’s.“

    Seiana befand sich irgendwo auf dieser Schwelle zwischen Schlaf und Wachsein, als Ophelia hereinkam. Die Vorhänge waren einen Spalt offen, und die Sonne hatte schon seit geraumer Zeit an ihrer Nase gekitzelt, aber es war noch früh am Morgen, und so wachte sie nur langsam auf. Als die Sklavin allerdings hereinkam und sie leise ansprach, war sie aber schon weit aus den Tiefen des Schlafs aufgetaucht, um sie zu hören und, nach einem weiteren Moment, die Augen aufzuschlagen. „Mmh?“ Sie blinzelte verschlafen in die Sonne und versuchte, um sich zu orientieren, aber ihre Lider fühlten sich reichlich schwer an. Sie war kein Morgenmuffel, aber sie gehörte auch nicht zu den Menschen, die in der Früh aus dem Bett sprangen und vor Tatendrang und Energie nur so strotzen – ihr passierte das eher selten, zu selten für ihren Geschmack. Sie streckte sich etwas, vergrub dann ihren Kopf wieder im Kissen und seufzte tief. „Morgen“, murmelte sie, ohne dabei die Augen wirklich zu öffnen – in der Annahme, Elena sei hereingekommen, um sie zu wecken.

    Natürlich kaufte Seiana nur das Nötigste. Eben das, was sie für nötig hielt 8) Was bei Kleidung tatsächlich eher wenig war, weil das ihr meistens wirklich keinen Spaß machte. Was Einrichtungsgegenstände und Dekorationen dagegen anging, konnte es durchaus mehr werden. „Ja“, erwiderte sie aber nur und grinste ihn herausfordernd an. „Nein, gar nicht…“ Sie warf einen Blick auf die Brote, die er genau in diesem Moment wieder auspackte. „Also, das da“, sie deutete auf die grüne Paste, „ist eine Art Mus, aus Kichererbsen, so nennen sie das Zeug hier.“ Unwillkürlich musste Seiana tatsächlich kichern. Sie fand den Namen nach wie vor einfach nur lustig. „Das ist ziemlich lecker. Das andere ist, also… das ist von Ophelia, die hatte was da, sie meinte wenn du Knochen auskochst, kriegt man das… und die schwarzen Dinger da drin, das sind klein geschnittene Oliven.“ Sie grinste fröhlich, gespannt, welches er nehmen würde, aber bevor er sich entschied, versuchte er erneut etwas herauszufinden über ihr Ziel – und kleckerte sich prompt etwas auf die Tunika. Seiana versuchte noch mit der Hand danach zu greifen, kam aber auch zu spät, und sie zuckte nur mit den Achseln. „Passiert – Hauptsache man sieht nichts davon.“


    Dass sie dann etwas verlegen wurde, schien Archias nicht zu entgehen – was Seiana nur noch verlegener machte. Sie war sich nicht sicher, ob sie wollte, dass er es merkte. Ihr war es lieber, wenn andere sie für sicher und souverän hielten, und Archias… nun ja, gerade bei ihm wollte sie, dass er sie dafür hielt, dass er einen guten Eindruck von ihr hatte. Auf der anderen Seite wollte sie ihm nicht etwas vorspielen, was sie nicht war. Aber wieder andererseits… Das Ganze war einfach zu verwirrend. Dass sie nicht wirklich bemerkte, wie unsicher Archias selbst auf einmal wurde, sondern nur mitbekam, dass er im Grunde wiederholte, was sie gesagt hatte, half auch nicht wirklich. Sie sah aus dem Fenster und versuchte, ihn unauffällig aus den Augenwinkeln zu beobachten. Hatte er denn überhaupt noch Interesse an ihr? Oder war es falsch gewesen, dass sie eingewilligt hatte bei ihm zu wohnen, hatte er sie zu gut kennen gelernt in den letzten Wochen, hatte er Seiten an ihr gesehen, die ihm nicht gefielen? Hatte ihn vielleicht ihr Feilschen abgeschreckt? Seiana wusste, dass das für Frauen ihres Standes nicht wirklich schicklich war, aber sie hatte doch das Gefühl gehabt, dass Archias gerade darauf keinen Wert legte… Auf einmal war sie sich nicht mehr so sicher, ob es eine gute Idee gewesen war, ihn heute Nachmittag mitzuschleppen, dorthin, wo sie hinwollte. Aber für einen Rückzieher war es zu spät, das hätte nur lächerlich gewirkt. Sie sah wieder zurück zu ihm und versuchte erneut zu lächeln. „Hrm. Ja. Also… allein sind wir ja, jetzt.“ Auf seine Frage vorhin war sie noch nicht eingegangen, und bevor das Schweigen drohte, zu lang zu werden, beschloss sie, ihm wenigstens etwas zu verraten. „Ähm. Ja, Richtung Hafen ist richtig. Aber nur die Richtung. Der Leuchtturm wird’s nicht, ich denk mal den hast du schon gesehen… Hm, ich aber noch nicht… Egal, ich hab was anderes vor.“ Jetzt lächelte sie wieder, etwas vorsichtig zwar, weil immer noch die Spur eines Zweifels vorhanden war, ob ihre Idee tatsächlich so gut war… aber es war auch schon wieder der Schalk zu sehen, die Schadenfreude, ihn auf die Folter zu spannen. „Dauert übrigens nicht mehr lang, bis wir da sind“, fügte sie noch hinzu, nach einem weiteren Blick auf die Umgebung.

    Seiana bemerkte, wie geplättet Archias war von ihrer Feilschaktion, und merkwürdigerweise machte sie das etwas stolz, dass er sich so beeindruckt zeigte. „Na ja… Also, wenn ich weiß was ich brauche, was ich will, und auch genau weiß wo ich das bekommen kann… dann geh ich schon gern einkaufen. Weil es dann nicht lang dauert. Kein Rumstehen, kein Warten… ach ja, das zählt nicht für Kleider, weil man da immer Probieren muss… Also manchmal mach ich das schon, aber meistens hab ich da keine Lust drauf. Oder halt das komplette Gegenteil, einfach nur gemütlich über die Märkte schlendern und gucken, aber das kann ich nur, wenn ich Zeit habe und wirklich nichts suche. Den ganzen Tag in Läden oder an Ständen verbringen, das artet nur in unnötigen Stress aus.“ Sie ließ ihren Blick über die Häuser streifen, an denen sie gerade vorbei getragen wurden, musterte die Verzierungen, die auf ihr Auge immer noch etwas fremdartig wirkten, bevor sie wieder den Aelier ansah. „Aber feilschen… Das ist einfach… toll! Ich meine, da geht es nicht ums Einkaufen, sondern um den Spaß, den du dabei hast. Wusstest du, dass manche Händler hier beleidigt sind, wenn du nicht handelst? Und zweimal haben mir welche sogar schon noch zusätzlich was Kleines geschenkt, weil sie meinten, es wäre so lustig gewesen, mit mir zu feilschen. Davor meinten sie noch, ich wär schuld dass ihre Kinder hungern müssten.“ Sie lachte kurz. „Aber da muss ich nur erzählen, dass bei uns drei hungrige Männer sitzen“, neckte sie ihn dann.


    Wieder sah sie nach draußen, prüfte kurz, ob sie tatsächlich auf dem richtigen Weg waren, und nickte dann zufrieden, da die Sklaven sich in die richtige Richtung bewegten. Dann grinste sie ihn wieder an. „Gar nicht. Das wirst du sehen, wenn wir da sind.“ Es konnte ihm nicht verborgen bleiben, dass es in Richtung Hafen ging, aber verraten würde sie ihm nichts, und mehr konnte er auch kaum erahnen. Dann beugte sie sich vor und legte ihre Hand kurz auf sein Knie, um es gespielt beruhigend zu tätscheln. „Mach dir nicht so viele Sorgen, Archias! Es wird alles gut, glaub mir.“ Seiana lehnte sich wieder zurück. „Ernsthaft. Elena und Katander wissen Bescheid, also sie wissen, dass ich zumindest versucht hab dich aus deinem Officium rauszuholen – und Katander meinte schon, dass mir das vermutlich gelingen würde. Mit einer Suchfahndung und deiner Festsetzung wegen Entführung wirst du also nicht rechnen müssen.“ Wieder musste sie verschmitzt lächeln. Irgendwie wurde das in seiner Gegenwart zu einer Dauereinrichtung, hatte sie das Gefühl. Es gefiel ihr. „Und selbst wenn, ich würd doch nicht zulassen, dass sich ein paar dahergelaufene Legionäre dich vorknöpfen… kann man mit denen auch feilschen hier, was meinst du?“ Oh ja, Seiana war momentan sehr gut gelaunt. Allerdings hatte Archias noch eine Frage gestellt, und sie wollte nicht, dass er dachte, sie würde das einfach übergehen. Allerdings hatte sie auch nicht wirklich eine Antwort darauf. „Von den anderen ist keiner dabei, weil…“ Wirklich bewusst darüber nachgedacht hatte sie nicht. Elena, Katander, und vermutlich auch Firas und Ophelia war natürlich klar gewesen, warum, und keiner von ihnen hatte gefragt, ob sie sie begleiten sollten – was allein Seiana eigentlich hätte misstrauisch sollen. Und was es auch hätte, wäre es nicht gerade um Archias gegangen. Irgendwie… hatte sie, ohne sich selbst darüber völlig bewusst zu sein, das Bedürfnis, mit ihm mehr allein zu unternehmen. Um ihn besser kennen zu lernen, noch besser. Weder sie noch Archias gehörten zu dem Typ Römer, die Sklaven als Gegenstände betrachteten und sich daher dennoch ungestört fühlten, wenn sie anwesend waren. Elena war Seiana eine gute Freundin, und sie mochte auch Katander, aber es gab Momente, da wollte sie keinen der beiden dabei haben, gerade weil sie sie so sah. „… na ja… weil eben. Hm. Von ihnen hat keiner gefragt. Und ich hätte auch nein gesagt, weil ich…“ Wieder stockte sie, und diesmal errötete sie etwas. Dann gab sie sich einen Ruck. „Ich glaube, ich wollte etwas Zeit mit dir allein verbringen.“

    Seiana grinste nur breit. „Na hör mal, ich wollte dir nur auch etwas Mitspracherecht lassen… Ich dachte Männer mögen das, wenn sie das Gefühl haben sie würden die Entscheidungen treffen.“ Sie stupste in leicht mit dem Ellenbogen in die Seite. „Außerdem wusste ich ja nicht, ob du Zeit hast, daher fand ich es etwas verfrüht, schon vorher eine Sänfte bestellt zu haben.“ Als sie angekommen war in Alexandria, hatte sie eine Sänfte dieses Taksi genommen, aber sie hatte nicht bezahlen müssen, weil das noch Titus Umbonius Imperiosus übernommen hatte – er hatte gemeint, das sei Teil des Services, ebenso wie der Gepäcktransport. „Taksi kenne ich, ich hab eine Sänfte von ihm genommen, vom Hafen hierher… Die waren zuverlässig. In Ordnung, dann lass uns eine Sänfte nehmen.“ Sie griff sich Archias’ freie Hand und lief los in die Richtung, in die er gedeutet hatte. „Es ist besser, eine Sänfte zu nehmen. Ist schon ein kleines Stück, und für die Überraschung ist es gut, wenn wir nicht total fertig von einem Fußmarsch sind.“ Sie grinste ihn verschmitzt von der Seite an, bog um eine Ecke und steuerte den länglichen Stand an, an der vier Sänften in grellem Gelb mit schwarz-weißen Mustern hintereinander standen, drei kleinere mit je zwei Sklaven, eine für eine Person, zwei für zwei Personen, und eine größere mit vier Sklaven. Seiana steuerte den Zwischenhändler an, der für Taksi offenbar die Verhandlungen übernahm – der konnte ja schlecht überall sein, außerdem hatte er es wohl kaum mehr nötig, selbst vor Ort zu sein –, und sprach ihn an.


    Eine vergleichsweise kurze, dafür aber lautstark geführte Verhandlung später, die geprägt war von Seianas sturem Festhalten an Latein, während der Händler wahlweise in gebrochenem Latein, Griechisch und Ägyptisch auf sie einredete oder schimpfte, grinste Seiana Archias an. „Komm. Wir kriegen die Sänfte billiger.“ Sie trat auf eine der offenen Zweisitzer zu und setzte sich hin. Der Händler sprach unterdessen mit den Sklaven und nannte ihnen das Ziel, dass Seiana ihm gesagt hatte, und dann ging es auch schon los. Die Sklaven hoben die Sänfte an, und in einer ruhigen Schaukelbewegung wurden Archias und Seiana über den Platz getragen, in eine Gasse hinein. Seiana sah kurz auf die Hände in ihrem Schoss und rieb sich mit der rechten unbewusst über die linke, die, mit der sie Archias’ Hand gehalten hatte. Dann sah sie hoch und schmunzelte. „Das ist lustig, hier. In Rom kann man zwar auch feilschen, aber hier, das ist eine gänzlich andere Liga. Wenn du’s drauf hast, kannst du echt einiges raushandeln. Ich geh ja eigentlich nicht so gern einkaufen, jedenfalls nicht Kleider oder so, wo man ewig braucht und die ganze Zeit nur am Rumrennen und Probieren ist… Aber hier hab ich glaub ich meine Leidenschaft entdeckt. Ich liebe es, zu handeln und den Preis zu drücken. Einfach nur so. Elena ist total überrascht von mir.“ Sie lachte und verschwieg, dass sie von sich selbst genauso überrascht gewesen war, anfangs. „Ich geh manchmal mit, wenn Katander oder Firas auf den Markt gehen, um Lebensmittel zu kaufen, nur um das Handeln zu übernehmen. Katander war das erste Mal auch perplex.“

    Seiana führte Archias die Treppe hinunter, hinaus aus dem Verwaltungsgebäude, nachdem er Bescheid gegeben hatte, dass er jetzt schon gehen würde. Draußen blieb sie zunächst für einen Moment stehen. „So. Der Weg ist ein bisschen weiter. Magst du trotzdem zu Fuß gehen, oder sollen wir uns eine Sänfte organisieren?“ Nicht weit von hier gab es eine Möglichkeit, sich eine Sänfte auszuleihen. „Ich wär ja eher für eine Sänfte… “ Immerhin kannte sie den Weg und wusste, was sie vorhatte. Aber möglicherweise wollte Archias auch ganz zumindest ein Stück laufen, war er doch den ganzen Vormittag gesessen. „Aber wir können auch laufen. Oder erst ein Stück laufen und dann eine Sänfte nehmen. Was meinst du?“

    Seiana nahm sich ebenfalls noch eine Brothälfte, die zweite, und freute sich darüber, dass Archias offensichtlich hin und weg war von dem Essen – das sie immerhin so angeordnet hatte. Das nächste Mal würde sie doch etwas noch Ausgefalleneres zubereiten. Elena musste sie halt dann fortschicken, oder noch besser, sie gab ihr frei, und Katander ebenfalls, dann konnte sie sicher sein, von ihr in den nächsten Stunden nicht gestört zu werden… und Ophelia würde ihr kaum widersprechen, wenn sie ihr entsprechende Anweisungen gab. Dann schob sie die Gedanken daran weg und aß ihr Brot auf, bevor sie Archias wieder aufmerksam und strahlend ansah. Sie freute sich, dass es klappte, und ein bisschen aufgeregt war sie auch, gespannt darauf, was er sagen würde.


    „Jetzt gleich? Sehr gut!“ Schon war sie auf den Beinen, noch bevor Archias seinen Stuhl ganz zurückgeschoben hatte. Der kleine Knall, mit dem die Lehne an das Regal schlug, ließ Seiana schon wieder grinsen. „Ist das in der Arbeitsbeschreibung mit drin? Dass du das Zeug hier kaputtmachen darfst?“ Sie zwinkerte ihm zu und verspürte auf einmal den Wunsch, ihm einen Kuss auf die Wange zu hauchen. Von sich selbst irritiert stand sie einen Moment da und musterte ihn verlegen, während er das Essen wieder einpackte, als ob er ihre Gedanken gelesen hätte, dann war das Grinsen wieder da, und sie wandte sich um, ohne dem Wunsch nachgegeben zu haben. „Okay, dann lass uns gehen.“

    Seiana zog die Augenbrauen hoch, als Archias sie so inständig darum bat, verschont zu bleiben von sämtlichen dekorativen Elementen. Und was redete er davon, dass er keinen Besuch kriegen würde, der Wert auf so etwas legte? Immerhin hatte er ihr doch erzählt, dass er Ritter werden wollte – die ‚richtigen’ Leute zu besuchen und sie zu sich einzuladen gehörte doch dazu, wenn man es gesellschaftlich in Rom zu etwas bringen wollte. Sie begann zu ahnen, wie wenig der Aelier vor ihr damit wirklich etwas anfangen konnte. Vielleicht gab es noch einen Grund, warum er ausgerechnet nach Ägypten gegangen war, gerade jetzt, wo sein Verwandter Kaiser geworden war. So weit weg von Rom, so weit weg von dem möglichen Einfluss, den er über seinen Namen hätte haben können – und so weit weg von den gesellschaftlichen Verpflichtungen, die das mit sich brachte. In diesem Moment stieg ihre Sympathie für Archias noch einmal an und wurde echte Zuneigung. Sie hoffte, dass er sich seine Unbekümmertheit erhalten möge, auch wenn das bedeutete, dass er eine Frau an seiner Seite brauchen würde, die sich für ihn um derlei Dinge kümmerte. Dass sie das möglicherweise sein würde. Aber wenn er so blieb… Für einen Moment musterte sie ihn und lächelte dabei versonnen, dann blinzelte sie kurz, als Archias noch etwas sagte. „Wie? Du willst von mir hören, dass ich nichts kaufe, was deine Wohnung ein bisschen… naja, aufpeppen kann?“ Er sah sie so bittend an, dass sie nicht nein sagen konnte – aber die Wohnung so lassen wie sie war? „Bist du dir sicher…“ War er. Sie sah es schon an seinem Gesichtsausdruck. Seiana seufzte. „In Ordnung. Ich kauf nichts von…“ Einen winzigen Moment hielt sie inne, als ihr klar wurde, was sie gerade im Begriff war zu sagen – genauer, zu wiederholen. Sie unterdrückte gerade noch so ein Grinsen. „…von meinem Geld. Also… so Hinstellerchen und so.“


    Sie war sich nicht ganz sicher, ob Archias die Pause bemerkt – und daraus die richtigen Schlüsse gezogen hatte, daher beeilte sie sich, dass Essen auszupacken. Grinsend nahm sie sich auch etwas. „Oh, gerne. Dankeschön.“ Sie aß auch, etwas langsamer, und kam dann auf das zu sprechen, weswegen sie eigentlich hier war. Das Essen war nur der Anfang gewesen, und zum Teil auch dazu gedacht, Archias ihrem Vorhaben geneigt zu stimmen 8) Etwas fasziniert betrachtete sie dann, wie der Aelier wieder zu sprechen anfing und es dabei schaffte, einigermaßen verständlich zu klingen, machte er sich doch nicht wirklich die Mühe, vorher hinunterzuschlucken. Was sie davon halten sollte, wusste sie nicht so genau. Auf der einen Seite gefiel ihr die lockere Art, die er an den Tag legte, und dass er sich nicht sonderlich um das scherte, was sich gehörte – auf der anderen hatte sie eben doch eine gewisse Erziehung genossen, hatte Regeln beigebracht bekommen, und so sehr sie sich gewünscht hatte, ausbrechen zu können, so wie es Faustus getan hatte, sie war eben doch nie ausgebrochen, hatte weiterhin nach den Regeln gelebt, und jetzt merkte sie, dass sie doch mehr davon geprägt war, als ihr klar gewesen war – und als sie wollte. Einen Moment sah sie ihn noch fasziniert an, dann grinste sie. „Also… wenn du’s schon so sagst: ein nein wird nicht akzeptiert.“ Dann strahlte sie, als Archias meinte, er könnte sofort mitkommen. „Großartig! Das ist toll, dass das jetzt so spontan klappt, ich hab mir schon gedacht das wird nichts… Oh, ich hoff das gefällt dir…“ Sie wollte schon aufspringen, aber ihr Blick fiel auf das Essen, und sie beherrschte sich – konnte aber nicht verhindern, dass sich ihre Beine unruhig bewegten. „Nein, du brauchst nichts. Ich kümmer mich um alles. Hm. Sag mal… Wie viel Hunger hast du noch? Ich meine… Können wir das Essen nicht mitnehmen und später noch mal eine Pause machen?“

    Seiana schlummerte ebenso selig. Die unruhigen Träume, die vor ihrer Abreise nach Alexandria manchmal ihre Nächte weniger erholsam hatten sein lassen, hatten aufgehört, als sie hier angekommen war. Von den seltsamen Geräuschen hörten weder sie etwas noch Elena, die im Zimmer nebenan schlief – was Seiana übrigens ein leicht schlechtes Gewissen verursachte. Die Wohnung hatte zwei Schlafzimmer, in einem davon waren die Sklaven untergebracht, das andere gehörte eigentlich Archias – der nun im Hauptraum auf einer Liege schlief. Nach der ersten Nacht hatte Seiana doch noch mit dem Gedanken gespielt, sich woanders eine Unterkunft zu suchen, oder zumindest selbst im Hauptraum zu schlafen, oder eine andere Lösung zu finden, aber Archias hatte davon nichts wissen wollen – weder davon, dass sie ging, noch davon, dass sie auf der unbequemen Liege schlief. Dabei war das Bett schlicht zu groß für sie… Von einem gesunden Schlaf hielten diese leisen Gewissensbisse sie allerdings nicht ab, sie führten höchstens dazu, dass Seiana sich vorgenommen hatte, sich in den nächsten Tagen auf dem Markt nach etwas umzusehen, was Archias’ Liege wenigstens etwas bequemer machen würde.


    Mit dem ruhigen Schlummer war es dann aber urplötzlich vorbei. Zuerst riss sie ein langgezogener Schrei aus dem Schlaf, zu dem sich sofort ein Krachen und Poltern gesellte, dass sie sich schlagartig und mit aufgerissenen Augen aufsetzen ließ. „Elena? Archias?“, fragte sie leise ins Dunkle hinein, dann lauschte sie, unsicher, wessen Stimme sie da eben gehört hatte, und zuckte im nächsten Moment schon wieder zusammen, als sie erneut jemanden schreien hörte – diesmal identifizierte sie eindeutig Firas, der nach Katander und dann Archias brüllte. Seiana schüttelte leicht den Kopf und tastete nach der Öllampe, die auf dem Tischchen neben dem Bett stand. Mit geübten Fingern versuchte sie, sie zu entzünden, musste dann aber mit einem leisen Fluch feststellen, dass sie leer war. Sie runzelte flüchtig die Stirn, weil Elena offenbar vergessen hatte, die Lampe aufzufüllen, dann zuckte sie die Achseln – alles eigentlich nutzlose Gesten im Dunkeln – und stand auf, um sich im Dunkeln den Weg zur Tür und hinaus in den Hauptraum zu tasten. Firas musste dort irgendwo stehen, jedenfalls rief er in diesem Moment erneut, etwas leiser diesmal, nach Archias – und dem fragenden Ton seiner Stimme entnahm Seiana, dass er ebenfalls nicht wusste, was los war. Warum er noch kein Licht gemacht hatte, war ihr allerdings schleierhaft.


    „Firas, kannst du bitte für Licht sorgen?“ Sie hörte, wie es in dem Zimmer der Sklaven nun auch laut wurde, und im nächsten Moment streckte Elena ihren Kopf aus dem Zimmer und nuschelte verschlafen: „Wasnloshia?“ Seiana zuckte die Achseln, ohne daran zu denken, dass Elena das kaum würde sehen können, dann tastete sie sich weiter nach vorne, in die einzige Richtung, aus der dieser Lärm gekommen sein konnte – der Treppe. Zumindest vermutete sie das, jetzt, wo sie langsam wacher wurde. Es hatte geklungen, als sei jemand hinunter gefallen, und die Tatsache, dass von Archias keine Spur zu sehen, oder besser zu hören, war, obwohl er im Hauptraum schlief, ließ sie Böses ahnen. „Archias? Wo steckst du?“ Sie tastete sich vorsichtig weiter, konnte aber kaum die Hand vor Augen sehen, und prompt lief sie gegen den Türrahmen. „Oh verfl…“ Sie schluckte den Rest des lauten Fluchs hinunter und presste stöhnend eine Hand an die Stirn, während sie sich mit der anderen abstützte. Bunte Sterne tanzten kurz vor ihren Augen, dann knirschte sie mit den Zähnen und tastete sich weiter, hinaus auf den Flur, wo die Treppe schon lauerte.

    Einen Moment grinste Seiana noch breit, bevor sie ein unschuldiges Lächeln aufsetzte. „Ausbluten lassen? Wie kommst du denn auf die Idee? So was würde ich doch nie tun…“ Erneut eroberte sich das Grinsen seinen Platz zurück auf ihr Gesicht. Sollte Archias tatsächlich nicht imstande sein, ihr egal welchen Wunsch abzuschlagen – was sie bezweifelte –, wäre sie die Letzte, die das ausnutzen würde. Aber es machte Spaß, ihn ein wenig aufzuziehen. Und seine Wohnung konnte tatsächlich etwas mehr Inhalt gebrauchen, fand sie. Was sie auch, immer noch grinsend, sagte. „Na ja, sei ehrlich, deine Wohnung ist schon extrem leer. Ein paar dekorative Elemente könnten da nicht schaden.“ Einen kurzen Moment schwieg sie, aber bevor Archias etwas sagen konnte, lachte sie und meinte: Krimskrams, das wäre wohl eins der netteren Worte, die du dafür finden würdest. Aber wart’s nur ab, wenn du irgendwann mal höheren Besuch bekommst, wirst du dankbar dafür sein, dass deine Wohnung nicht mehr so aussieht wie jetzt. Vor allem dann, wenn der Besuch seine Frau mitbringt und die viel Einfluss auf ihn hat. Du ahnst ja gar nicht, was eine schön eingerichtete Wohnung für einen Eindruck machen kann…“ Auf Frauen genauso wie auf Männer – Seiana war fest davon überzeugt, dass nicht alle Männer einen so minimalistischen Geschmack hatten wie Archias. Aber darauf würde sie achten, wenn sie ein paar Dinge kaufte für seine Wohnung…


    Während sie so mit ihm herumalberte, fiel ihr gar nicht auf, worüber sie eigentlich sprach und auch ernsthaft nachdachte – dass sie vorhatte, Einrichtungsgegenstände für seine Wohnung zu besorgen, als hätte sie irgendeine Befugnis dafür. Als stünde schon fest, weswegen sie eigentlich hierher gekommen war – herauszufinden, wie sie zu Archias stand. Sie war sich auch nicht ganz sicher, warum er sie nun für die Richtige hielt. Weil sie aus der richtigen Familie kam und gut aussah? Hätte sie ihn mit einer größeren inneren Distanz beobachten können, so wie es Elena möglich war, wäre ihr schnell klar geworden, dass das nicht der eigentliche Grund war für sein Interesse. Es mochte ein wichtiger Grund sein für die Familie, aus der er stammte, deren Anforderungen er genauso wenig übergehen konnte wie sie, aber es war eben auch nur das: wichtig, sofern es Familie und Tradition betraf. Unwichtig, sobald es zum Persönlichen kam. Umgekehrt wollte sie dasselbe für sich, wenn sie daran dachte zu heiraten. Aber sie hatte nicht die nötige innere Distanz für die Beobachtung, und sie hatte auch nicht den Kontakt zu Katander, den Elena hatte, der ihr ebenfalls eine Menge hätte erzählen können. Im Moment aber dachte sie auch gar nicht darüber nach, sondern saß entspannt auf dem Stuhl vor ihm und lachte mit ihm zusammen.


    Auf seine Nachfrage hin stellte sie das Päckchen auf den Tisch und schlug es langsam auf, und unter dem Papier tauchten mehrere Brothälften auf, belegt mit so gut wie allem, was die aelianische Küche zu bieten gehabt hatte – wäre es nach ihr gegangen, wären die Hälften tatsächlich mit allem belegt gewesen, aber bevor Ophelia hatte versuchen können, sie zurückhaltend darauf hinzuweisen, dass manche Dinge möglicherweise weniger geeignet waren, sie auf einem Brot anzurichten, hatte Elena schon auf die ihr eigene Art ein Machtwort gesprochen. Genauso waren Seianas Vorschläge, wie man die einzelnen Elemente kombinieren könnte, abgeschmettert worden von ihrer Leibsklavin, mit dem simplen Spruch: Und wem – außer dir vielleicht – soll das bitte schmecken, wenn du Olivenhälften und Schafskäse mit Honig übergießt? Ganz hatte Seiana sich ihre Vorstellungen nicht austreiben lassen, und so war das, was sich in dem Päckchen präsentierte, zwar immer noch ein wenig ausgefallener als üblich, aber immerhin waren sie alle drei davon überzeugt gewesen, dass es schmecken würde. Sie schob das offene Päckchen in die Mitte des Tisches und sah ihn erwartungsvoll an, nur um im nächsten Moment zu lachen, als sie seinen misstrauischen Gesichtsausdruck sah. „Was denkst du denn? Ich werd dich schon nicht verschleppen.“ Sie wartete, bis er sich ein Stück Brot genommen hatte, dann suchte sie sich ebenfalls eines aus – mit Hähnchenfleisch, auf römische Art zubereitet, aber mit einer ägyptischen Paste, von der Seiana nicht sicher wusste, woraus sie bestand, außer dass kleine Dattelstückchen darin waren. Sie biss ein Stück ab und wartete, bis sie hinunter geschluckt hatte, bevor sie weitersprach. „Das ist eine Überraschung. Also, ich hoffe, es ist eine Überraschung für dich. Aber das weiß ich jetzt ja noch nicht, deswegen werd ich dir bestimmt nichts verraten. Also? Kannst du den Nachmittag hier raus?“

    Einen Moment war Seiana verdutzt, als Archias auf ihr Rumalbern kaum reagierte, anstatt, wie sie angenommen hatte, sofort darauf einzusteigen. Flüchtig zuckten ihre Augenbrauen zusammen, und für einen Augenblick zweifelte sie an sich selbst, daran, wie albern sie sich tatsächlich in seiner Gegenwart geben konnte – ob ihr Eindruck, ihr Gefühl sie nicht vielleicht täuschte. Dann aber zuckte sie innerlich nur die Achseln und setzte sich, und als sie zu lachen begann, da grinste er zurück, und Seiana fühlte sich, als ob etwas in ihrem Inneren sich gelöst hätte. Sie bemerkte gar nicht, wie er sie ansah, so erleichtert fühlte sie sich für einen Moment, dass er doch noch gegrinst hatte. Sie hörte auf zu lachen, dafür breitete sich auf ihrem Gesicht ein Lächeln aus.


    Das Lächeln blieb, während sie ihm die Briefe reichte. „Kannst du nicht? Muss ich mir merken“, antwortete sie, jetzt auch grinsend, und mit einem Augenzwinkern. „Wer weiß, wann mir das noch mal zu gute kommt.“ Sie wartete, bis er die Briefe verstaut hatte, dann sprach sie die Überraschung an und schmunzelte, als sie seine Reaktion sah. „Also, zum einen hab ich was zum Essen mitgebracht… Ich dachte mir, nach einem langen Vormittag hast du sicher etwas Hunger…“ Sie zog ein Päckchen hervor, das, aufgeschlagen, verschiedene Häppchen präsentierte, nicht zu klein, da sie inzwischen zu wissen meinte, dass Archias lieber etwas Vernünftiges zu beißen hatte als etwas, das so klein war, dass man es komplett in den Mund schieben konnte. Ehrlicherweise musste sie auch zugeben, dass sie das Essen nicht selbst zubereitet hatte, sondern Ophelia und Elena. Aber sie hatte in der Küche gestanden und ihnen über die Schulter gesehen, hatte darauf bestanden, dass es Häppchen wurden, damit sie etwas Abwechslung bieten konnte, und am liebsten hätte sie tatsächlich mitgeholfen – was aber von Elena jedes Mal erfolgreich verhindert wurde, nicht etwa weil sie der Ansicht war, dass Seiana als Herrin so etwas nicht tun sollte, sondern weil sie wusste, dass ihre Herrin sich denkbar ungeschickt anstellte, was Essen betraf. Die Erfahrung hatte sie bereits vor Jahren machen dürfen, als Seiana darauf bestanden hatte, für Elena zu kochen – das Essen war genießbar gewesen, das war aber auch alles, was man darüber sagen konnte, wollte man nicht ins Negative abgleiten.


    Kurz beobachtete sie Archias, musterte sein Gesicht und musste schon wieder lächeln, als sie seine Züge sah, die noch so neu auf sie wirkten, dass sie oft das Bedürfnis hatte, ihn anzusehen – gleichzeitig aber kamen ihr seine Züge inzwischen schon so vertraut vor, als würde sie schon länger kennen. Die Mischung war seltsam, aber Seiana mochte sie. Einen kurzen Augenblick noch schwieg sie, um die Spannung etwas zu steigern, dann hielt sie es selbst nicht mehr aus. „… und dann… also wenn wir was gegessen haben, dann hoffe ich, dass du dir den Nachmittag frei nehmen kannst. Wenn nicht, ist es auch nicht so schlimm, wir können auch am späten Nachmittag losgehen oder morgen oder so“, beeilte sie sich hinzuzufügen. Sie wusste, dass es etwas riskant war, Archias in Alexandria etwas zeigen zu wollen, immerhin war sie erst kurze Zeit hier, er dagegen schon wesentlich länger – aber sie hoffte einfach, dass er noch nicht kannte, was sie erst am Tag davor mit Elena entdeckt hatte.

    Seianas Augenbrauen zuckten amüsiert nach oben. „Ach, so seh ich also aus? Dann wart mal ab wie das wird, wenn ich erst richtig Hunger habe.“ Seiana trank etwas, und währenddessen begann der Aelier zu erzählen, was hier zu sehen war, nur um darauf hinzuweisen, dass er für den nächsten Abend schon einen Plan hatte. Tatsächlich öffnete ihr Mund, um zu fragen, wovon er sprach, als er die Beantwortung dieser Frage von vornherein verneinte. Ihr Mund klappte wieder zu, und mit einer Mischung aus Neugier und gespielter Verärgerung sah sie ihn an. „Eine Überraschung? Und du willst wirklich nicht… Nein?“ Seiana seufzte, halb gespielt, halb im Ernst, als der Archias standhaft blieb. Mit einem Grinsen lehnte sie sich zurück, aber noch bevor sie zu seinen nächsten Worten etwas sagen konnte, brachten die Sklaven das Essen hinaus auf den Balkon. Die nächste Zeit verbrachten sie größtenteils schweigend, vollauf damit beschäftigt, ihren Hunger zu stillen. Der Spaziergang hatte Seiana mehr gefordert und war länger gewesen, als sie währenddessen und auch danach noch gemerkt hatte, wie sie jetzt an ihrem leeren Magen feststellte, der in Anbetracht der Speisen sich doch deutlich zu melden begann – und Archias schien es ebenso zu gehen, jedenfalls machte er ebenso wenig wie sie Anstalten, das einvernehmliche Schweigen zu brechen außer durch einen gelegentlich hingeworfenen Kommentar.


    Erst als sie fertig waren, griff Seiana wieder das Thema von zuvor auf. „Warum willst du Reise verschieben? Falls du das wegen mir machen willst, lass dich davon nicht abhalten. Du hast ja nicht einmal gewusst, dass ich komme. Und wenn du mich in deiner Wohnung nicht allein lassen willst, aus Angst ich könnte etwas anstellen, dann nimm mich doch einfach mit.“ Seiana zwinkerte. Sie wusste, dass die Inspektionen selbst langweilig sein könnten, aber sie musste ja nicht dabei sein. Sie war sich sicher, dass sie sich die Zeit würde vertreiben können. Der weitere Abend verging für Seiana wie im Flug. Was sie schon in Rom festgestellt hatte, bestätigte sich hier: es fiel ihr leicht, sich mit Archias zu unterhalten. Obwohl sie schnell müde wurde, immerhin war sie heute erst angekommen, war die eine Hälfte des Tages recht angespannt gewesen und hatte die andere Hälfte damit verbracht, quer durch eine fremde Stadt voller neuer Eindrücke zu laufen, war es eine angenehme Müdigkeit, und sie hatte keine Mühe, dem Gespräch zu folgen.


    Sim-Off:

    Gern :)

    Mit einem leichten Grinsen auf den Lippen betrat Seiana das Gebäude, in dem das Postofficium untergebracht war. Archias hatte keine Ahnung, dass sie vorbei kommen würde, hatte sie doch nichts davon erwähnt – aber es war Zeit gewesen, endlich ein paar Briefe zu schreiben. Selbst die wenigen Tage, die seit ihrer Ankunft inzwischen vergangen waren, waren schon zu viele gewesen, bedachte man, dass ihre Familie noch keine Ahnung hatte, wie die Reise verlaufen war. Aber die erste Zeit nach ihrer Ankunft war einfach… überwältigend gewesen. Alexandria war eine faszinierende Stadt, die regelrecht danach schrie, erforscht zu werden, mehr noch als Rom, und jeden Abend hatten ihre Füße geschmerzt, weil sie so viel herumgelaufen war. Sie wollte nichts verpassen von dem, was diese Stadt und mit ihr diese fremde Kultur zu bieten hatte – sie wusste nicht, was Archias von ihrem Erkundungsdrang hielt, aber Elena hatte bereits nach dem ersten Tag gestöhnt. Seiana war das egal. Es war ihr auch egal, ob ihre Leibsklavin dabei war oder nicht – aber das war Elena wiederum ein Anliegen, ihre Herrin nicht alleine durch die Stadt ziehen zu lassen, und auch jetzt war Seiana nur deshalb allein unterwegs, weil sie gesagt hatte, sie würde nur zum Postofficium gehen. Nur wenn der Aelier sie begleitete, nahm sie dankbar Seianas Angebot an, zu Hause zu bleiben. Es sei denn Katander war ebenfalls dabei, dann fand sie nicht nur plötzlich die Kraft, stundenlang zu laufen, sondern mysteriöserweise auch die Energie, beinahe ununterbrochen mit ihm zu scherzen und herumzualbern. Seiana konnte es nur recht sein. Sie sog die neuen Eindrücke regelrecht in sich auf wie ein ausgetrockneter Schwamm.


    Und dann war da noch Archias. Archias und was er ihr bedeutete, bedeuten mochte, bedeuten konnte. Sie wusste es nach wie vor nicht, versuchte es zumeist zu verdrängen und, jedenfalls vorerst, einfach die Zeit in Ägypten zu genießen, aber sie waren da, die Gedanken an die Zukunft, und selbst wenn sie nicht an die Oberfläche kamen, spürte sie sie doch im Grunde ihres Herzens. Der Aelier und sie verstanden sich gut. Sie waren inzwischen Freunde, das konnte Seiana ruhigen Gewissens behaupten, trotz der insgesamt noch eher kurzen Zeitspanne, die sie bisher miteinander verbracht hatten. Und doch wusste sie, konnte sie nicht ausblenden, dass mehr im Raum stand als Freundschaft. Dass er mehr wollte. Und dass sie, früher oder später, eine Entscheidung würde treffen müssen.


    Seiana schob die Gedanken weg, und ihr Grinsen vertiefte sich, als sie die Tür zu Archias’ Officium öffnete und ihn hinter seinem Schreibtisch sitzen sah. Oh ja, sie mochte ihn. Sie genoss seine Gesellschaft, schaffte er es doch immer wieder, sie zum Lachen zu bringen, zum Staunen, sogar zum Träumen. Er war einer der wenigen Menschen, in deren Gegenwart sie das Gefühl hatte, sich geben zu können wie sie war, und nicht wie andere es von ihr erwarteten. Mit einer fließenden Bewegung ließ sie sich auf dem Stuhl nieder, der für Besucher vorgesehen war, während sie den kleinen Beutel, den sie bei sich trug, daneben abstellte. Einen Moment lang versuchte sie, eine ernste Miene zu machen. „Ich grüße dich, Archias von den Aeliern.“ Obwohl sie sich redlich Mühe gab, konnte sie nicht verhindern, dass der Schalk in ihren Augen blitzte. „Es ist mir eine Freude, dir einen Besuch abzustatten, ist es doch schon so lange her, dass wir uns zuletzt begegnet sind…“ Wenige Stunden, um genau zu sein. Seianas Augen strahlten noch etwas heller, als der Schalk darin nun zu tanzen begann. „Allerdings suche ich dich in diesem Augenblick nicht privat, sondern in deiner Funktion als Praefectus Vehiculorum auf…“ Jetzt konnte sie nicht mehr. Sie presste eine Hand auf die Lippen, konnte ein Lachen aber trotzdem nicht unterdrücken. Mit der anderen zog sie drei Briefe hervor, die sie zusammen mit den dazugehörigen Münzen auf den Tisch legte. „Es wurde langsam Zeit, dass ich ein paar Leuten in Italia endlich schreibe. Bist du so lieb und verschickst sie? Ach, und ich hab eine kleine Überraschung für dich dabei…“


    An
    Faustus Decimus Serapio
    Castellum Legio I
    Mantua
    Provincia Italia


    Lieber Faustus,


    nachdem ich nun schon ein paar Tage in Ägypten bin, hier endlich ein Brief von mir. Erst mal: wie geht’s Dir? Wie läuft es in der Legion, was hast Du da im Moment zu tun? Hast Du öfter Gelegenheit nach Rom zu reisen und die Familie zu besuchen? Und hast Du etwas von Appius und Caius gehört?


    Tja was soll ich Dir erzählen? Die Seereise war lustig, wir hatten meistens gutes Wetter, zum Glück… Mir ist auch so langweilig genug geworden, für mehrere Tage auf einen Raum mit der Größe eines Schiffes beschränkt zu sein, ist nicht wirklich etwas für mich – ich will mir gar nicht vorstellen, wie es bei dauerhaft schlechtem Wetter gewesen wäre, wo wir unter Deck hätten bleiben müssen. Abgesehen davon, dass einem dann nur schlecht wird. Für Abwechslung hat immerhin Elena gesorgt – weißt Du noch wie sie früher war? Dass sie ständig mit irgendwelchen Fremden ins Gespräch gekommen ist, wenn sie die Gelegenheit dazu hatte? Daran hat sich nichts geändert, wenn überhaupt hat sie das noch perfektioniert. Manchmal hab ich das Gefühl, ich sollte sie als Vertreterin bei diversen Veranstaltungen schicken, und sie würde einen wesentlich besseren Eindruck machen als ich. Und nein, das ist nicht der Neid, der aus mir spricht, aber ganz und gar nicht, ich… gut, ich geb’s zu (guck nicht so, ich grinse gerade beim Schreiben, Du kennst mich). Ich würde das manchmal auch gern können – vor allem auf dem Schiff hatte es doch einige Vorteile, sie hat sogar den Kapitän dazu gekriegt, ihr seine Lebensgeschichte zu erzählen. Auf die Art habe ich aber auch Abwechslung gehabt, Elena sei Dank.


    Ansonsten war die Seereise ziemlich ereignislos. Ich würde Dir ja gern Geschichten erzählen von einem Seeungeheuer, das uns angegriffen hat, von tobenden Stürmen und Seeräubern, aber leider – oder sollte ich doch eher sagen, Neptun sei Dank – ist nichts passiert. Aber eine Geschichte kann ich Dir trotzdem schreiben, wenn es dir nichts ausmacht, dass sie erfunden ist. Wie auch immer, viele Unterhaltungen später sind wir im Hafen von Alexandria eingelaufen, und ich hab den Aelier in seinem Büro überrascht… Naja, und jetzt bin ich hier. Ich weiß noch nicht so recht, was daraus wird, oder was ich mir von dem Aufenthalt hier erhoffe, aber bis jetzt hat sich herausgestellt, dass es die richtige Entscheidung war herzukommen. Ich hab’s Dir vorher nicht erzählt, weil… naja, weil keine Zeit war, und weil… weil ich mich nicht getraut hab, um ganz ehrlich zu sein, aber Archias hat definitiv Interesse an mir, und ich, naja, ich möchte einfach… herausfinden, wie ich dazu stehe, weißt Du? Ob er in Frage kommt, nicht nur weil er aus einer angesehen Familie stammt und auch die „richtigen“ Ambitionen hat (Du weißt, was ich meine), sondern für mich… Ich denk einfach, es ist das Beste, wenn ich ihn kennen lerne. So, und wenn ich den letzten Abschnitt so durchlese, fällt mir auf, dass ich viel zu oft „naja“ geschrieben habe, und durcheinander ist es außerdem… und diese Punkte erst! Aber ich bin offen gestanden zu faul, den Brief noch mal abzuschreiben, also wirst Du wohl oder übel damit leben müssen …


    Viel mehr gibt es nicht zu erzählen, außer dass Alexandria eine faszinierende Stadt ist, die Dir sicher auch gefallen würde. Wer weiß, vielleicht können wir ja irgendwann mal zusammen noch einmal herkommen. Ach ja, und wir haben ein paar Ausflüge geplant, in den nächsten Wochen – dann hab ich sicher mehr zu erzählen!


    Liebe Grüße,
    [Blockierte Grafik: http://img77.imageshack.us/img77/1586/seianaunterschrift2aj2.png]


    Alexandria, ANTE DIEM XI KAL AUG DCCCLVIII A.U.C. (22.7.2008/105 n.Chr.)


    An
    Maximus Decimus Meridius
    Casa Decima Mercator
    Roma
    Provincia Italia


    Salve Meridius,


    nach inzwischen ein paar Tagen in Ägypten habe ich endlich einen ruhigen Moment gefunden, um ein paar Briefe zu schreiben. Ich weiß, ich hätte gleich nach meiner Ankunft einen Brief aufgeben müssen, um dich und die Familie über meine sichere Ankunft zu informieren, allerdings waren die ersten Tage etwas tumultartig, bis alles organisiert war.


    Die Seereise verlief recht ereignislos – die meiste Zeit war es schön, und ein wirkliches Unwetter hat es überhaupt nicht gegeben. Den Göttern sei Dank, ich war froh darüber, dass mir die Erfahrung eines Sturms auf See erspart geblieben ist. Die Gruppe, mit der ich zusammen gereist bin, ist übrigens sehr zu empfehlen – nur für den Fall, dass andere aus der Familie einmal alleine verreisen müssen, dies aber nicht gänzlich ohne jede Unterstützung tun wollen. In Alexandria selbst hat sich inzwischen etwas Normalität eingestellt. Ich habe den Aelier besucht, und wir werden in naher Zukunft einige Ausflüge unternehmen, sowohl in Alexandria als auch in der Umgebung. Gelegenheit, ihn näher kennen zu lernen, dürfte dabei sicher gegeben sein. Eine angenehme Unterkunft habe ich ebenfalls gefunden, nur das Essen hier ist etwas gewöhnungsbedürftig – aber man bekommt zwar so gut wie alles, was auch in Rom bekannt und beliebt, aber gerade was das Essen betrifft, sind die heimischen Spezialitäten natürlich verbreiteter.


    Ich hoffe, sowohl Dir als auch der Familie geht es gut – richte bitte allen meine herzlichsten Grüße aus. Mögen die Götter Dich stets behüten!


    Vale,


    [Blockierte Grafik: http://img77.imageshack.us/img77/1586/seianaunterschrift2aj2.png]


    Alexandria, ANTE DIEM XI KAL AUG DCCCLVIII A.U.C. (22.7.2008/105 n.Chr.)



    An
    Marcus Aurelius Corvinus
    Villa Aurelia
    Roma
    Provincia Italia


    Salve Aurelius Corvinus!


    Ich danke Dir sehr für Deinen Brief und Deine guten Wünsche! Verzeih mir bitte, dass ich Dich entgegen unserer Abmachung nicht von meiner Abreise in Kenntnis gesetzt habe, aber die Entscheidung ist recht überraschend gefallen, dementsprechend kurzfristig geschah die Ausführung – darüber hinaus muss ich mich in der Tat erst noch daran gewöhnen, nun einen Patron zu haben. Dennoch möchte ich damit mein Versäumnis nicht beschönigen, das ich aufrichtig bedauere. Danke auch für den Aushang – ich habe mich mit den genannten Personen in Verbindung gesetzt, allerdings keine Rückmeldung erhalten. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass ich mich auch ohne diesen Kontakt werde etablieren können.


    Alexandria habe ich sicher erreicht, und die Seefahrt war, alles in allem, recht ereignislos – ich könnte mir wohl etwas ausdenken, um einen spannenden Artikel für die Acta zu schreiben, aber dieser würde dann weitestgehend auf Fiktion beruhen, nicht auf Tatsachen, daher warte ich lieber noch ab. Selbstverständlich werde ich auch weiterhin schreiben, und da ich hier einige Ausflüge unternehmen werde, denke ich, dass ich auch genug Material haben werde, für Reiseberichte in jedem Fall.


    Mögen die Götter Dir wohlgesonnen sein!


    Vale,


    [Blockierte Grafik: http://img442.imageshack.us/img442/8797/seianaunterschriftkj1.png]


    Alexandria, ANTE DIEM XI KAL AUG DCCCLVIII A.U.C. (22.7.2008/105 n.Chr.)


    Sim-Off:

    Überwiesen :)

    Dass der Aelier auf das Thema ‚Wohnungsdekoration’ wohlweislich nicht weiter einging, fiel Seiana durchaus auf, aber sie verzichtete darauf, ihn nun noch damit aufzuziehen, obwohl ihr der ein oder andere Kommentar auf der Zunge lag. Stattdessen grinste sie, als er damit drohte, sie zu den Sklaven zu stecken. „Glaub mir, mit Elena hättest auch keine Freude. Sie hält dich dafür die ganze Nacht wach, weil sie so viel zu erzählen hat“, erwiderte sie mit einem Zwinkern. Im nächsten Moment bewegte der Aelier sich nach einer kurzen Geste weg von ihr zur Tür, nur um drinnen seinen beiden Sklaven knapp, aber unmissverständlich klar zu machen, dass es Zeit war zu essen. Seiana musste schon wieder grinsen und kam sich beinahe wie ein Spiegelbild zu dem seinen vor. Die nächsten Worte waren an Katander und Elena gerichtet, die offenbar immer noch unten vor der Tür standen, und diesmal konnte Seiana ein Lachen nicht mehr unterdrücken.


    „Bist du immer so kommunikativ mit deinen Sklaven? Oder nur, wenn du den halben Tag quer durch Alexandria gelaufen bist und kaum etwas gegessen hast?“ Sie folgte seiner Aufforderung und setzte sich auf eine der Liegen, nun doch froh, ihre Füße endlich ausruhen zu können, während ihre Mundwinkel schon wieder zuckten aufgrund seiner Anrede. „Ich danke dir, edler Aelius, für dein zuvorkommendes Benehmen.“ Mit einem huldvollen Nicken nahm sie seine Verbeugung zur Kenntnis, während in ihren Augen gleichzeitig der Schalk funkelte. Mit einer eleganten Bewegung zog sie die Beine hoch und legte sie auf die Liege, während sie sich etwas zurücksinken ließ und sich mit der Linken so abstützte, dass sie ihn ansehen konnte. Sie wandte kurz den Kopf zur Tür, als zu hören war, dass Elena und Katander herein kamen, dann sah sie wieder zur Archias. „In Ordnung. Viel passieren kann ja kaum. Was machst du hier eigentlich so, wenn du nicht gerade im Postofficium sitzt? Was unternimmst du abends, oder wenn du frei hast? Und hast du schon viel von Ägypten gesehen?“

    Seiana musterte den Aelier und lächelte leicht, kommentierte seine Worte aber nicht weiter. Sie war sich nicht ganz sicher, ob er sie nicht – trotz des Zwinkerns – ernst gemeint hatte, und sie wusste nicht so recht, wie sie darauf reagieren sollte, wenn er tatsächlich Präfekt werden wollte. Wieder fühlte sie sich hin- und hergerissen zwischen der Pflicht, die sie ihrer Familie gegenüber hatte, und dem was sie selbst, für sich persönlich, wollte. Dass er so ehrgeizige Pläne zu haben schien, machte ihn für eine Verbindung noch attraktiver, aber sie wollte mehr von Ehe. Sie war nicht so dumm daran zu glauben, dass Liebe eine Rolle spielen könnte, jedenfalls nicht bei ihrer Entscheidung, wen sie schließlich heiratete. Aber es war doch nicht zu viel verlangt, dass sie den Mann, an den sie sich binden würde, wenigstens mochte. Dass die Chance bestand auf ein zufriedenes Leben, und vielleicht mit der Zeit auch so etwas wie Liebe. Bis jetzt schien Archias beides zu erfüllen, Anforderungen, die sie allein ihrer Familie wegen an ihn stellen musste, sowie die Tatsache, dass sie sich in seiner Gegenwart wohl fühlte. Trotzdem war sie sich unsicher, und davon ganz abgesehen wollte sie nicht, dass er dachte, sie würde ihn nur aufgrund seiner vorhandenen Karrierechancen mögen. Oder als Ehemann in Betracht ziehen. Sie unterdrückte sowohl den Impuls zu seufzen als auch den, sich an die Stirn zu greifen, als die Gedanken in ihrem Kopf sich wieder schneller zu drehen begannen. Stattdessen lächelte sie erneut und zog nur leicht eine Augenbraue nach oben – und war froh, dass der Aelier anschließend das Thema wechselte.


    „Ich muss ja zugeben, dass ich auch zu den Frauen gehöre, die Blumen gerne haben. Genauso wie anderen Schnickschnack, wie du das nennst.“ Sie lachte leise. „Allerdings bei weitem nicht alles. Ich finde es muss zusammen passen und Geschmack aufweisen. Aber wenn es passt, und einem Zimmer, einer Wohnung Atmosphäre verleiht, dann wiegt es die Nachteile wie einen weiteren Staubfänger da stehen zu haben auf.“ Kaum begannen sie dann von ihren Leibsklaven zu sprechen, meinte Seiana leise Stimmen zu hören unter dem Balkon. Sie erwiderte Archias’ Blick und verbiss sich nur mühsam Grinsen, noch mehr, als sie seinen leisen Satz hörte. Dass der Aelier Interesse an ihr hatte, hatte sie nicht gemerkt – dass dessen Sklave Elena gefiel dagegen schon. Sie hatte nichts dagegen, solange Elena nicht etwas wirklich Dummes anstellte, aber Archias machte nicht den Eindruck, als ob er sonderlich begeistert wäre, also ging Seiana nicht weiter darauf ein, sah auch nicht hinunter, sondern sprach einfach weiter. „Aber-“ Archias ließ sie gar nicht zu Wort kommen, als sie erneut darauf hinweisen wollte, dass er nichts von ihrer Reise gewusst hatte. Aber ihre Entscheidung, hier zu bleiben, machte die Diskussion darüber ohnehin hinfällig. Einen Moment lang starrten sie sich an, Seiana genauso überrascht über die Worte, die ihren Mund verlassen hatten, wie Archias offenbar. Sie hatte es sich überlegt, aber es laut zu sagen, sich selbst zu hören, war noch einmal etwas anderes. Aber Seiana wäre nicht Seiana, wenn sie sich nicht im Griff gehabt hätte. Und Archias fing nach dem Bruchteil eines Augenblicks an zu strahlen und alberte herum. In Seiana löste das auch Heiterkeit aus, und auf ihrem Gesicht verbreitete sich ein Grinsen. „Schnarchen? Na nicht das ich wüsste. Allerdings schlaf ich dann ja auch, also ganz sicher kann ich das nicht sagen. Wobei, Elena, es gibt Tage da wirkt sie so unausgeschlafen, weiß du. Und auf dem Schiff noch öfter, da haben wir zusammen in einer Kabine geschlafen…“

    „Den Hähnchenmann noch nicht, soso“, schmunzelte Seiana. „Allzu lange kann das aber auch nicht mehr dauern, bei deiner Ausstrahlung.“ Sie verbiss sich ein Lachen und grinste nur. „Weißt du, es ist gar nicht so schwer, innerhalb kurzer Zeit was zu organisieren – du musst nur wissen was du willst, und dich dann darum kümmern. Und was heißt hier Klimbim? Davon hab ich noch nichts in deiner Wohnung gesehen, muss ich sagen. Ich kann ja noch nicht sagen, wie ihr Essen ist, aber was Einrichtung angeht, hat Ophelia auf jeden Fall Geschmack.“ Seiana ging nicht davon aus, dass es nur Zufall war oder ein Glückstreffer, dass die Sklavin eine stimmige Dekoration hatte wählen lassen. Die Wohnung war zwar nach wie vor etwas spärlich eingerichtet, aber das, was da war, passte zusammen, in ihren Augen jedenfalls. „Oh, um Elena mache ich mir keine Sorgen. Sie findet sich überall zurecht, besser als ich, denke ich manchmal. Außerdem, wenn ich nichts sage, interpretiert sie das gerne so, dass sie den Tag frei hat und durch die Gegend streifen kann. Und von Katander bekomme ich inzwischen auch den Eindruck, dass er… nun ja, großzügig auslegen kann.“ Seianas Grinsen wurde breiter. ‚Großzügig auslegen’ war noch, nun ja: großzügig formuliert, wenn man bedachte, dass er eines Tages mit einem Sklaven vor der Tür gestanden hatte.


    Archias’ nächste Worte trugen nicht unbedingt dazu bei, dass Seianas Grinsen abnahm – er begann zwar auf einmal sich zu räuspern und beendete seinen Satz dann anders, aber sie ahnte trotzdem, was er hatte sagen wollen. Dass er dasselbe mit ihr getan hatte, ging ihr allerdings nicht auf, stattdessen flogen ihre Gedanken kurz zu den beiden Sklaven, die sich offenbar recht gut verstanden. „Ja. Soll er sie mal beschäftigen… Wahrscheinlich löchert sie ihn mit Fragen und verwickelt jeden Fünften, dem sie auf der begegnet, in ein Gespräch… Auf dem Schiff jedenfalls kannte sie innerhalb kürzester die Lebensgeschichte sämtlicher Anwesenden, inklusive der Besatzung. Sogar den Kapitän hat sie dazu gebracht, ihr abends bei einem kleinen Spiel etwas von sich zu erzählen. Insofern… nein, wirklich langweilig ist es nicht geworden. Mit Elena ist das aber auch fast unmöglich, ihr fällt immer irgendetwas ein.“ Seiana wusste, wie viel Glück sie mit Elena hatte – natürlich viel ihrer Leibsklavin auch eine Menge Unsinn ein, sowohl gewollt als auch ungewollt, den sie dann wieder ausbügeln musste, aber all die guten Seiten Elenas wogen das bei weitem auf.


    Beim Thema Nächtigen wurde Seianas Miene nachdenklich. Erneut wünschte sie sich, Elena wäre hier, aber das war sie nicht. Und so oder so müsste sie diese Entscheidung alleine treffen. Archias zeigte ihr verschiedene Möglichkeiten auf, und die Tatsache, dass er nicht auf dem Boden schlafen müsste, wenn sie hier blieb, erleichterte sie – machte ihr die Entscheidung aber nicht unbedingt einfacher. Eigentlich wollte sie bleiben, aber da waren immer noch Zweifel, ob sie das wirklich tun konnte. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, was ihre Mutter dazu gesagt hätte. Auf der anderen Seite: sie hatte Elena dabei. Und es waren noch drei andere Sklaven anwesend. Und es war ja nicht so, dass sie im selben Zimmer schliefen… Und davon abgesehen waren sie in Alexandrien, nicht in Rom oder Tarraco oder auch Ravenna, wo seine nähere Familie lebte, wenn sie sich richtig erinnerte. „Es geht nicht darum, was ich möchte. Ich würde gerne hier bleiben, wenn ich ehrlich bin.“ Schon allein weil es wesentlich bequemer war, wenigstens für den heutigen Abend – und für die nächsten Tage vermutlich auch, jedenfalls wenn sie mit Archias viel Zeit verbrachte. „Und es kommt nicht in Frage, dass du zahlst. Du wusstest ja noch nicht mal, dass ich komme.“ Seiana überlegte noch einen Moment, dann gab sie sich einen Ruck. Wer sollte denn davon erfahren? Und selbst wenn, würde sie sich rechtfertigen können, schlicht und einfach weil sie sich nichts vorzuwerfen hatte. Sie sah Archias in die Augen. „In Ordnung. Wenn es dir nichts ausmacht, dann würde ich gerne bleiben.“

    „Den Sommer in Rom hab ich noch gar nicht erlebt. Aber ich hab schon gehört, dass es nicht sonderlich angenehm sein soll dann, in den meisten Stadtteilen jedenfalls. Gegen Hitze hab ich prinzipiell eigentlich nichts – mal sehen wie es wird.“ Dann grinste sie. „Wie, bezahlen? Du musst hier bezahlen? Hast du nicht schon alle für dich so eingenommen, dass sie dich beschenken?“ Anschließend blieb ihr der Mund offen stehen, als Archias begann, von Ophelia zu erzählen und was sie tat. Den Bruchteil eines Augenblicks später erkannte sie an den Funkeln in seinen Augen, dass er einen Witz machte. „Soso, tut sie also… Nein, davon hast du mir noch nichts erzählt!“ Ihre Stimme nahm einen gespielt entrüsteten Tonfall an, doch schon sehr bald breitete sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht aus, und sie lauschte mit nur mühsam unterdrücktem Lachen seiner Geschichte. Katander kaufte also auch einfach mal einen Sklaven, wenn er das Nötigste holen sollte… „Na hoffentlich setzt Katander Elena keine Flausen in den Kopf…“ Jetzt musste sie doch lachen. „Aber es scheint sich ja gelohnt zu haben. Ich geh davon aus, dass die Einrichtung auch bereits ihren Stempel trägt.“ Seiana dachte an den Blumenstrauß. „Ich bin gespannt “, fügte sie noch hinzu, als Archias auf das Essen zurückkam.


    Anschließend schwieg sie für einen Moment. Sie sollten nicht mehr zum Schiff zurückgehen, nicht am Abend jedenfalls. Das ließ ihr eigentlich nur die Möglichkeit, jetzt schon zu gehen. Dass Archias von einer Alternative wusste, erleichterte sie, weil sie noch nicht gehen wollte – als ihr aber klar wurde, was er damit meinte, zögerte sie. Konnte sie denn hier schlafen? Sie presste nachdenklich die Lippen aufeinander und ließ ihren Blick wieder über die Häuser schweifen. Konnte sie? Als unverheiratete Frau in der Wohnung eines unverheirateten Mannes nächtigen, der nicht mit ihr verwandt war, dafür aber um sie warb? Auf der anderen Seite hatte sie ihre Leibsklavin bei sich, und wer sollte schon davon erfahren – sie kannte hier in Ägypten niemanden, und die Chancen standen denkbar gut, dass sie hier auch niemanden treffen würde. Trotzdem war sie sich nicht sicher, und sie wünschte sich Elena herbei, um sie um Rat fragen zu können – auch wenn sie sich denken konnte, was ihre Sklavin sagen würde. „Ich weiß nicht…“ Sie seufzte leise, als sie erneut daran dachte, dass sie jetzt noch nicht gehen wollte. „Das Angebot ist lieb von dir, und ich geb zu, dass es verlockend ist… Müsstest du denn wirklich auf dem Boden schlafen?“