Eleva musterte den Ianitor etwas irritiert, während Seiana, die dessen mürrische Worte ebenfalls gehört hatte, sich nichts ansehen ließ. Aber insgeheim zog sich ihr Magen etwas zusammen. Eine etwas freundlichere Begrüßung hätte sie sich dann doch erhofft – auch wenn sie wusste, dass der Mann gar nicht wissen konnte, wer sie war. Und dennoch… trugen diese Worte nicht gerade dazu bei, ihre Aufregung zu mindern. Aber sie hatte sich gut genug unter Kontrolle, und so war ihr kaum etwas davon anzumerken. Elena antwortete inzwischen. „Die Herrin Decima Seiana ist aus Tarraco angekommen. Sie wird, wie besprochen, zukünftig bei ihrer Familie in Rom bleiben.“ Seiana warf ihrer Sklavin einen strafenden Blick zu, den diese allerdings nicht sehen konnte – und selbst wenn, hätte sie ihn vermutlich ignoriert. „Sie möchte zunächst dem Hausherrn ihre Aufwartung machen.“
Beiträge von Decima Seiana
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Kaum war Seiana in Rom angekommen, hatte Elena sie auch schon auf den Markt geschleppt. Wenn es nach ihr gegangen wäre, hätte sie die ersten Tage hauptsächlich im Haus verbracht, mit ihren Verwandten geredet, sich einigermaßen eingerichtet und alles kennen gelernt. Aber Elena hatte davon nicht sonderlich viel gehalten und beschlossen, dass sie hinaus musste. Und da die nur wenige Jahre ältere Spanierin – mit der sie als Kind schon gespielt hatte – sich so etwas auch herausnehmen durfte, jedenfalls wenn sie alleine waren, und Seiana wusste, dass es wenig Sinn hatte zu diskutieren, hatte sie nachgegeben. Vor Elena, weil es schlicht einfacher war, in Wirklichkeit aber auch, weil ein Teil von ihr wirklich raus wollte – aber das hätte sie nicht zugegeben. Das musste sie auch gar nicht, denn Elena wusste es vermutlich ohnehin. Es wurde Zeit, dass sie sich ablenkte, dafür war sie nach Rom gekommen. Die letzten Monate hatte Seiana damit verbracht, die letzten Angelegenheiten ihrer Mutter zu ordnen, soweit sie das konnte, hieß das, und private Dinge durchzusehen. Aber eigentlich war es nur Beschäftigungstherapie gewesen, denn ihre Mutter war schon länger leidend gewesen, und vieles hatte sie selbst noch erledigt, in alter Manier, so wie sie immer gewesen war – mit strenger Hand und ohne Widerspruch zu dulden. Aber sie war immer schwächer geworden, und es hatte Seiana das Herz gebrochen, dabei zusehen zu müssen, ohne helfen zu können. So streng ihre Mutter immer gewesen war, so sehr sie selbst früher gegen sie rebelliert hatte, hatte sie sie doch über alles geliebt. Und so war sie bei ihr geblieben, hatte sich um sie gekümmert, war einfach für sie da gewesen… Seiana presste die Lippen zusammen. Faustus war nicht da gewesen, und das hatte ihrer Mutter letztlich das Herz gebrochen. Sie hatte es nie wirklich gezeigt, aber Seiana kannte sie gut genug um es dennoch zu merken. Aber ihr Bruder hatte vermutlich nicht einmal geahnt, wie es um ihre Mutter stand… Sie wusste, was er getrieben hatte, hatte den Boten dazu gebracht es ihr zu erzählen, auch wenn ihre Mutter es vor ihr verbergen wollte und vermutlich an die Decke gegangen wäre, wenn sie herausgefunden hätte, dass Seiana gegen ihren Willen gehandelt hatte. Und auch sie machte sich Sorgen um Faustus, wie ihre Mutter, aber gleichzeitig war sie sich auch sicher, dass er immer auf seinen Füßen landen würde – vielleicht hatte er Schwierigkeiten, vielleicht ging es ihm schlecht, aber er würde sich auf die ein oder andere Art wieder fangen, zumindest hoffte sie das. Auch wenn sie nach wie vor einen Groll gegen ihn hegte, weil er gegangen war… Sie hatte selbst immer ihre Schwierigkeiten gehabt mit ihrer Mutter, und sie hatte so gut verstehen können, warum es Faustus fort gezogen hatte. Viel zu gut… daher hatte sie sich auch mit ihm zerstritten. Nicht weil er Mutter und sie allein lassen wollte, sondern weil er gehen konnte – im Gegensatz zu ihr. Sie hatte keine Möglichkeit gehabt zu fliehen, auszubrechen, und dabei hatte sie sich genau das mehr als einmal gewünscht. Wie gern hätte sie ihn vor zwei Jahren einfach begleitet… aber das war nicht in Frage gekommen, bei ihr noch viel weniger als bei ihm. Das war der wahre Grund, warum sie wütend gewesen war, auch wenn sie bei ihrem Streit mit Faustus andere Gründe vorgeschoben hatte, um diesen einen zu verbergen.
Und so ging Seiana nun mit Elena über den Markt, besah sich die Stände, ohne wirklich etwas kaufen zu wollen. Sie würde sich vermutlich vor allem mit Kleidung neu eindecken müssen, jedenfalls war Elena dieser Meinung, aber das hatte Zeit, fand sie. Heute ließ sie sich einfach treiben – vielleicht zu sehr, denn sie sah nicht die Frau mit dem Bauchladen, die sich gerade umdrehte, durch die Menge schob und darauf verließ, dass die Menschen ihr auswichen. Bevor Elena oder sie reagieren konnten, wurde Seiana vom Bauchladen zur Seite gedrängt, stolperte und stieß gegen einen Mann [Aelius Archias], der mit drei anderen herumstand und offenbar gerade in einer Unterhaltung war. Seiana trat schnell einen Schritt zurück, nachdem sie ihr Gleichgewicht wieder gefunden hatte, und neigte leicht den Kopf. „Verzeiht mir die Ungeschicklichkeit.“
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Seiana seufzte erleichtert, als sie die Casa Decima Mercator in Rom endlich erreichte. Der Reise hierher war lang gewesen, und sie war froh, sie hinter sich zu haben. Auch wenn ein Teil von ihr aufgeregt war, was sie nun hier erwarten würde, in Rom, bei ihrer Familie… Sie war sich nicht sicher ob die Entscheidung, hierher zu kommen, wirklich richtig gewesen war. Aber was sollte sie noch in Hispanien, nachdem ihre Mutter gestorben war? Tarraco war ihre Heimat, aber nachdem Faustus fort war und ihre Mutter nun nicht mehr lebte, gab es kaum noch etwas, was sie dort hielt. Die letzten Monate hatte sie damit verbracht, irgendwie die Zeit herumzukriegen, sich nicht gehen zu lassen, Haltung zu bewahren – vor allem wenn sie Bekannte traf, was im Grunde ständig passierte. Nur bei Elena, ihrer Leibsklavin, zeigte sie manchmal, wie es wirklich in ihr aussah. Und so konnte es einfach nicht weiter gehen. In Tarraco gab es zu viel Bekanntes, zu viele Bekannte, die meinten Mitleid zeigen oder gar heucheln zu müssen, zu viele Erinnerungen und gleichzeitig zu wenig Menschen, die ihr wirklich noch etwas bedeuteten. Und so war in den letzten Monaten in ihr der Gedanke gereift, dass es möglicherweise besser war, einfach irgendwo anders neu anzufangen.
Nun stand sie als vor dem Haus ihrer Familie in Rom. Seiana hatte Briefkontakt gehabt, hatte gefragt ob sie willkommen war, und ihre Ankunft auch angekündigt, und sie hoffte, dass auch dieser letzte Brief angekommen war und sie tatsächlich erwartet wurde. Sie nickte Elena zu, und diese klopfte an.
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Hallo,
ich würd gern Mitglied bei der Decima werden...
Stand: Plebejerin
Name: Decima Seiana
Wohnort: Rom -
Einen Moment lang herrschte Stille, und dieser Moment schien sich für Seianas Empfinden zu einer halben Ewigkeit zu dehnen. Sie war sich beinahe unangenehm bewusst darüber, dass sein Blick auf ihr ruhte, aber sie ließ sich nichts anmerken, sondern wartete, einen höflichen Gesichtsausdruck aufgesetzt, bis er den Namen seines Vorgängers wiederholte, in einem Tonfall, der zu implizieren schien, dass ihm dieser Name überhaupt nichts sagte. Aber bevor sie sich darüber wundern konnte, erklärte er schon, was mit Orosius passiert war – und gleich darauf, wer er war. Ein Bekannter von Faustus. Aus Alexandria. Für einen Augenblick erlaubte sie sich, in Gedanken abzuschweifen, hin zu jener Zeit, als sie selbst dort gelebt hatte für ein paar Jahre... aber was davon übrig war, war nur noch ein schwacher Nachhall. Leichter war ihr Leben dort gewesen, mit Archias. So seltsam locker, wie es weder davor noch danach je wieder gewesen war, nicht einmal in jener Phase in Rom, als die Verlobung mit Archias noch angedauert hatte. Weniger rigide war ihr Leben gewesen, weniger von Zwängen bestimmt. Und davon war sie mittlerweile so weit entfernt, dass sie sich das nur noch schwer vorstellen konnte. „Ich freue mich, einen Freund meines Bruders kennen zu lernen. Falls es dir in diesem Haus an irgendetwas mangeln sollte, kannst du dich in seiner Abwesenheit gerne jederzeit an mich wenden, Aton“, erwiderte sie, und in ihrer Stimme lag Ehrlichkeit. Wo sie jedem anderen Hausgast dasselbe aus purer Höflichkeit angeboten hätte, ohne es jedoch wirklich ernst zu meinen, ohne zu erwarten, dass der Gast tatsächlich zu ihr kam – bei diesem meinte sie es ehrlich. Sobald ihr Bruder ins Spiel kam, war es anders... nicht nur weil es ihre Pflicht war, sich als nächste Verwandte so gut es ging um seine Angelegenheiten zu kümmern, sondern weil sie es wollte. Weil sie ihn liebte. Und weil es im Moment so ziemlich das einzige war, was sie für ihn tun konnte.
„Ich habe davon gehört... es aber nicht gelesen bisher.“ Und sie würde es wohl auch nicht so bald lesen, weil sie offenbar gar keine Abschrift hier hatten. Der Bibliothecarius klang irgendwie traurig, als ihm das klar wurde und er es aussprach, und das anschließende Flüstern berührte sie irgendwie. „In welcher Bibliothek?“ fragte sie nach. „Vielleicht ist es möglich, eine Abschrift von dort zu bekommen.“ Sie deutete ein Lächeln an. „Den Schild des Herakles nehme ich aber gerne mit.“ Wie lange war es her, dass sie etwas einfach nur aus Vergnügen gelesen hatte? Sie konnte sich nicht so recht erinnern. Vielleicht wurde es wieder Zeit dafür... auch wenn sie sich nicht sicher war, ob sie dafür Konzentration aufzubringen imstande war, war es trotzdem einen Versuch wert.