Gerade noch rechtzeitig kam Elena vorbei, um Decima Seiana ebenfalls für den Kurs anzumelden.
Beiträge von Decima Seiana
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Die Miene des Händlers machte recht deutlich klar, dass er die Iunierin offenbar doch wieder erkannte. Allerdings schien er sich noch nicht so recht sicher zu sein, ob ihn ihr Wiedererscheinen freuen oder doch eher erschrecken sollte, seinem Gesichtsausdruck nach zu schließen – nun, dachte Seiana sich im Stillen, wüsste er, was auf ihn zukommen würde, wäre ein Schreck wohl angemessen gewesen, denn dass er diesmal auch wieder den Kürzeren ziehen würde, war für sie klar. Sie mochte Einkaufen nicht, aber das Handeln machte ihr Spaß. Und ihre gegenwärtige Situation, in der sie eigentlich gar nichts brauchte, sondern genauso gut nach Hause gehen könnte, um sich umzuziehen, war eine hervorragende Basis.
Axillas Grinsen, dass diese dem Händler zuwarf, ließ jedoch ganz kurz eine Augenbraue Seianas nach oben wandern, wirkte es doch fast anzüglich – vor allem dafür, dass sie den Händler nicht kannte. Bei all ihren Versuchen, einen Weg zu finden zwischen ihrer doch recht strengen Erziehung und dem, was von Frauen ihres Standes erwartet wurde auf der einen Seite und ihren eigenen Wünschen, ihrem Freigeist auf der anderen, war das etwas, was sie nicht getan hätte. Nun, vielleicht lag es am Alter – sie schätzte die Iunierin auf irgendetwas zwischen fünfzehn und achtzehn ein, und zumindest als sie noch fünfzehn war, hätte sie keine Bedenken gehabt. Aber inzwischen hatte sie aufgehört zu rebellieren – und versuchte einen angemessenen Weg zu finden, was ihr, wie sie fand, recht gut gelang inzwischen. Kurz blitzte der Gedanke auf, wo sie jetzt wäre, wäre ihre Mutter nicht gestorben. Nicht in Ägypten, so viel war klar. Ihre Mutter hätte das niemals zugelassen. Seiana seufzte lautlos und wandte sich dann der Auslage zu, um etwas herumzustöbern. Gelegentlich zog sie eine Tunika hervor und besah sie sich genauer, und sie musste zugeben, dass der Händler einige recht schöne Stücke dabei hatte, aber ein ausgedehnter Einkauf sollte das ja eigentlich nicht werden, und so schnappte sie sich schließlich eine recht schlichte Tunika ohne große Verzierungen, in einem ebenso schlichten, aber doch stilvollen Schnitt. Der einzige Nachteil war, dass sie strahlendweiß war – was in den Straßen Ägyptens nicht lange so bleiben würde. Sie wandte sich an Axilla, die ebenfalls etwas herumstöberte. „Weißt du, ob der Händler eine Möglichkeit bietet, die Sachen anzuprobieren? Wenn die Tunika passt, würde ich sie auch gleich tragen.“
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„Mhm“, murmelte Elena nur auf die Frage, ob sie und Katander hier bleiben würden, während der nur ein ebensolches Grinsen zur Schau trug wie sie und gar nichts sagte, sondern sie nur an sich zog. Mit einem Lachen sah sie dann aber doch noch einmal hoch, als Ophelia begann, Firas zu kitzeln, und dieser mit einem Schrei hoch schreckte. Grinsend beobachtete sie, wie die beiden anfingen zu diskutieren, während Ophelia immer wieder ihre Geheimwaffe einsetzte, aber dann spürte sie Katanders Finger an ihrer Seite. „Untersteh dich“, kicherte sie leise, ließ dann aber Ophelia und Firas Ophelia und Firas sein und schmiegte sich wieder an Katander, im Grunde nur darauf wartend, dass die beiden endlich gingen.
Im anderen Raum hingegen war Seiana inzwischen fertig mit ihrer Wäsche und den sonstigen Vorbereitungen, was bei ihr nie allzu lange dauerte – sie legte Wert auf ein angemessenes Erscheinungsbild, aber sie verschwendete selten wirklich viel Zeit darauf, zumal sie es dezent ohnehin lieber mochte, was Schminke und Kleidung betraf. In ihren Augen war der Punkt schnell erreicht, an dem eine Frau nur noch überladen wirkte. Nachdem sie also fertig war, ging sie hinüber in das große Zimmer, an das die übrigen grenzten, und wartete darauf, dass Ophelia wieder kam, in Begleitung von Firas, denn dass ihre Sklavin und Katander dankend auf diesen Einkauf verzichten würden, wenn sie im Gegenzug die Chance hatten, alleine zu sein und frei zu haben, war ihr klar.
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Grobkeramik ist da
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Seiana hatte das deutliche Gefühl, dass Axilla nicht über ihren Verlust reden wollte. Trotzdem blieb sie kurz stehen und sah sie ernst an. „Das wirst du nicht. Dass es leichter wird, heißt nicht, dass du sie vergisst oder ihr Andenken verrätst.“ Einen Moment zögerte sie noch, dann fügte sie hinzu: „Wenn du mal reden möchtest, dann kannst du dich gern an mich wenden.“ Sie mochte die junge Frau irgendwie – und sie wusste aus eigener Erfahrung, wie viel leichter es manchmal war, sich jemandem anzuvertrauen, der fremd war – vor allem wenn dieser ähnliches erlebt hatte. Es war schon seltsam… dass das Verständnis, das Mitleid von den Personen, die man gut kannte, die einem vertraut waren, in gerade derart schwierigen Situationen zu viel wurde, dass man es nicht aushalten konnte, wie sie sich verhielten. Sie selbst hatte es in Tarraco nicht mehr ausgehalten, die Blicke, die Kommentare, alles. Und so setzte sie jetzt ein Lächeln auf, drückte Axilla noch einmal kurz die Schulter und ließ sie dann los. Die Iunierin hatte ihr Angebot gehört, ob – und wann – sie darauf eingehen wollte, war ihre Sache.
Trotzdem hing Seiana einen Augenblick noch ihren Gedanken nach, dachte an ihre Mutter, an die Monate der Krankheit vor ihrem Tod, daran, wie sie sich um sie gekümmert hatte, wie sie zu den Göttern gefleht hatte, sie möge wieder gesund werden, und doch gewusst hatte, dass ihr Flehen nicht erhört werden würde. So hörte sie nur mit halbem Ohr hin, als Axilla erzählte, wohin sie vor der Mittagshitze geflohen war in ihren ersten Tagen in Alexandria, sonst hätte sie womöglich nachgefragt, ob sie Archias kennen gelernt hatte. So aber lächelte sie nur etwas abwesend und nickte. „Langsam wird es etwas besser. Man merkt schon, dass der Hochsommer nachlässt, langsam.“ Dann zog sie die Augenbrauen hoch und lachte. „Um die Hälfte herunter gehandelt hast du ihn? Oh, handeln macht mir auch Spaß, hätte ich früher nie gedacht. Auf der anderen Seite kann man in Rom und Tarraco auch nicht wirklich feilschen, jedenfalls nicht so wie hier – die Händler würden das kaum mit sich machen lassen, nicht in dieser Form.“ Sie folgte Axilla zu dem Stand hinüber und vergaß ganz, sich vor dem nun Kommenden – nämlich dem Tuniken raussuchen, anprobieren, ansehen und ansehen lassen, beurteilt werden, neue Tuniken raussuchen, wieder anprobieren… – zu gruseln, wie sie es sonst immer tat. „Ach, der Händler wird schon nichts sagen. Wenn du ihn um die Hälfte runtergehandelt hast, kann er doch eigentlich froh sein, dass du kein Geld dabei hattest…“
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Gespannt sah Seiana Archias an, wartete auf eine Reaktion, musterte sein Gesicht, sah Überraschung, Schrecken und wieder Überraschung darauf. Und dann, ganz langsam, breitete sich ein Grinsen darauf aus. Und, nur um den Bruchteil eines Augenblicks versetzt, spiegelte ihr Gesicht dieses Grinsen. Es gefiel ihm. Es gefiel ihm sogar so gut, dass er zuerst nur stammelte. Seiana strahlte. „Na ja, also, gedacht hab ich mir, dass wir zwei alleine reingehen und alles ausprobieren. Ich hab das vor ein paar Tagen mit Elena entdeckt, du glaubst gar nicht, was ich ihr alles versprechen musste, damit sie darauf verzichtet das hier gleich selbst zu erkunden…“ Dann zog sich eine hauchzarte Röte über ihre Wangen. Hatte sie das gerade tatsächlich gesagt, allein, mit ihm, da reingehen? Auf der anderen Seite hatte sie ihn ja hierher geschleppt, und… Seiana schob die Gedanken weg. Sie wusste, was eigentlich von ihr erwartet wurde, einer alleinstehenden Frau, aber sie hatte Jahre damit verbracht, sich zurückzuhalten, zu lernen, wie sie sich zu verhalten hatte, auf alles zu verzichten, was ihr Spaß machte, so schien es ihr… Trotzdem ließ sich nicht leugnen, dass das nicht war, was eine Römerin tun sollte, und sie fragte sich, was Archias davon hielt. „Also, wie gesagt, ähm, wenn du möchtest. Ich meine… hm, also…“ Wäre er mitgekommen, wenn er es schlecht finden würde? Würde er jetzt so grinsen? Sollte sie ihn fragen? Einen Moment lang wünschte sie sich, sie könnte seine Gedanken lesen.
Egal. Seiana schob die Grübeleien weg und lächelte erneut. „Ja. Also. Ich würd vorschlagen wir lassen das mit dem Umziehen, wie gesagt, der eine Trägersklave holt was. Und dann hast du später auch kein Problem mit dem Fleck da“, sie deutete grinsend auf den Fleck, der zwar durch das Trocknen inzwischen verblasst, aber doch immer noch zu erkennen war. „Dann legen wir los?“
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„Aus Tarraco?“ Seiana warf der Iunierin einen überraschten Blick zu und lächelte dann. „Meine Familie stammt auch aus Tarraco. Bis vor wenigen Monaten habe ich dort noch gelebt.“ Dann verstummte sie für einen Moment und sah Axilla ruhig an. In ihrem Blick lag sowohl Mitgefühl als auch Betroffenheit – echte Betroffenheit, war ihre Mutter doch selbst erst vor kurzer Zeit gestorben. Sie war allerdings nicht nach Rom ihrer Verwandten wegen gereist, sondern weil sie es in Tarraco nicht mehr ausgehalten hatte – und weil sie geglaubt hatte, Rom könne ihr mehr geben als Tarraco, nicht mehr Luxus oder ähnliches, sondern mehr Leben… Allerdings hatte sie dort festgestellt, dass es nicht der Ort war, auf den es ankam. Axillas Worten und ihrer Betrübtheit nach zu schließen waren ihre Eltern ebenfalls erst vor kurzem gestorben waren, und Seiana legte ihr die Hand auf die Schulter, kurz nur, war die Geste doch fast zu vertraut in Anbetracht der Tatsache, dass sie sich gerade erst begegnet waren. Aber sie hatte das Bedürfnis, ihr irgendwie ihr Mitgefühl zu zeigen. „Meine Eltern leben auch nicht mehr. Es wird leichter, mit der Zeit.“ Mehr erzählte sie nicht, für den Moment. Sie hatte das Gefühl, dass Axilla nicht gern über dieses Thema sprach, und sie selbst tat es auch nicht. Nur, worüber sollte sie sonst reden, um abzulenken? Sie konnte der Iunierin auch kaum erzählen, dass sie von Tarraco aus erst nach Rom gereist war, und das auch erst vor noch gar nicht allzu langer Zeit… Sie konnte doch nicht zugeben, dass sie zweimal innerhalb eines Jahres mehr oder weniger alles über den Haufen geworfen hatte, was ihr Leben ausmachte, und quer durch das Reich gereist war, nur um… nun ja… einem Gefühl zu folgen. Das Gefühl, dass es richtig war, das zu tun. Seiana unterdrückte ein Seufzen. Nein, das konnte sie eigentlich keinem erzählen.
Allerdings musste Seiana sich nichts anderes einfallen lassen, um von diesem Thema abzulenken, denn Axilla genügte schon die Frage nach ihrer guten Laune. Seiana konnte nicht anders als lächeln. „Oh, ich finde gar nicht, dass das albern klingt. Im Gegenteil. Kleine Dinge können viel ausmachen. Und manchmal reicht es auch schon, dass die Sonne scheint – auch wenn sie das hier jeden Tag tut, aber… na ja. An manchen Tagen sieht sie trotzdem strahlender aus.“ Seiana überlegte kurz und fügte dann hinzu: „Oder auch weniger strahlend, je nachdem wie man’s sieht. Wenn sie nicht ganz so strahlt, ist es auch nicht ganz so heiß…“ Immerhin lag Alexandria am Meer, was doch die ein oder andere frische Brise garantierte. Seiana mochte sich gar nicht vorstellen, wie es selbst jetzt noch im Landesinneren glühen mochte tagsüber.
Inzwischen befanden sie sich mitten in dem Teil des Marktes, der scheinbar Kleidung vorbehalten war. „Welcher Stand ist es denn?“
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Als Axilla vorausging, wurde Seianas Lächeln für einen Augenblick gequält, aber sie beherrschte sich sofort wieder. Mit ein paar schnellen Schritten war sie an der Seite der Jüngeren und machte den Mund auf, um sich an dem Gespräch zu beteiligen – fand allerdings zunächst keine geeignete Lücke, um auch etwas anbringen zu können. Sie schmunzelte und fühlte sich ein bisschen an Elena erinnert – was dazu führte dass sie gleich wieder an die vergangene Nacht denken musste und wie Elena gelacht hatte. Seltsamerweise stellte sie fest, dass sie das irgendwie schon gar nicht mehr so sehr störte. Seiana erwiderte Axillas Lächeln, als diese sich gerade entschuldigte für ihren Redeschwall. „Oh, kein Problem. Meine Sklavin ist auch so.“ Seianas Mund blieb kurz offen stehen. „Damit wollte ich dich nicht beleidgen, ich meinte das nicht negativ, im Gegenteil“, beeilte sie sich dann zu versichern. „Ich meine nur, du brauchst dir bei mir keine Gedanken machen.“ Hoffentlich hatte sie die Kurve noch gekriegt, zumal sie den Vergleich wirklich in keinster Weise beleidigend gemeint hatte. „Also…“ Mal sehen ob sie alles auf die Reihe bekam. „Ich hab hier auch nur wenige Römer getroffen bisher. Das mag aber auch daran liegen, dass ich meistens mit Elena unterwegs bin – meiner Sklavin. Elena ist in der Lage alle möglichen Menschen kennen zu lernen, aber Römer sind selten dabei. Na ja, hier jedenfalls.“ Seiana lächelte kurz. „Mmh… Einige Wochen inzwischen. Keine zwei Monate.“ Seiana stellte erstaunt fest, dass sie gar nicht so genau sagen konnte, wie lange sie nun schon hier war – und sie nicht wirklich wusste, wo die Zeit bisher geblieben war. In der Zwischenzeit hatten sie den Saftstand schon weiter hinter sich gelassen und hatten nun jede Menge Stände um sich, an denen Tuniken verkauft wurden. Seiana bemühte sich, nicht daran zu denken, was gleich auf sie wartete. „Was ist mit dir? Bist du hier aufgewachsen? Ach, und warum bist du so gut drauf, gibt es dafür einen Grund?“
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In dem Moment, in dem die Iunierin antwortete und dabei strahlte wie die Sonne selbst, wusste Seiana, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Was hatte sie sich auch dabei gedacht? Sie wusste doch, dass Frauen wie sie in der Minorität waren, dass es herzlich wenige gab, die Einkaufen, vor allem Kleidung einkaufen, so gestalteten wie sie. Seiana ging da ähnlich vor wie ein General, der einen Angriff plante: vorstoßen, schnell zuschlagen, noch schneller zurückziehen. Sie konnte lange Zeit verbringen an Ständen und in Läden, die Einrichtungsgegenstände hatten, vor allem wenn sie künstlerisch angehaucht waren, konnte dort Stunden mit Verkäufern fachsimpeln, wenn es um die farbliche Variation in der Gestaltung griechischer Vasen ging, aber Kleidung? Sie fand so selten das, was sie wirklich wollte… da war es im Grunde noch angenehmer, vorher ihre Vorstellung zu verkünden und dann jemanden kommen zu lassen, der ihr die passenden Sachen auf den Leib schneiderte. Das allerdings war zu teuer, um es ständig zu machen.
Nun jedenfalls stand Seiana da und fühlte sich etwas hilflos, wollte eigentlich nur kurz eine Tunika kaufen, und sah gleichzeitig Axilla vor sich, die sie derart anstrahlte, dass sie genau wusste, ihr schlechtes Gewissen würde sie noch die nächsten Tage foltern, wenn sie nun doch einen Rückzieher machte. Und wer wusste es schon, vielleicht wurde es ja ganz nett. Es konnte jedenfalls nicht schaden, hier jemanden kennen zu lernen. Also erwiderte sie das Lächeln – wenn auch nicht ganz so strahlend – und nickte. „Sehr gut, das klingt doch… hervorragend.“ Es kam alles auf die Einstellung an. Wenn Elena sie über einen Markt schleifte, weil sie sich mal wieder in den Kopf gesetzt hatte, Seiana die „Freuden des Einkaufens“ zu zeigen, dann ging sie meistens von vornherein in Abwehrhaltung und jammerte. Bei ihrer neuen Bekanntschaft konnte sie das kaum tun – was vielleicht von Vorteil war, um etwas, nun ja, unvoreingenommener an diese Sache heranzugehen. „Dann zeig mal, wo dieser Stand ist.“
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Die junge Frau ihr gegenüber schien erleichtert zu sein, dass sie keinen Aufstand machte, was Seiana auch verstehen konnte. Wäre der Großteil des Getränks auf deren Tunika gelandet, wäre es ihr genauso ergangen. Sie drehte sich kurz zur Seite und stellte den auf so effektive Weise geleerten Becher auf dem Stand ab, winkte nur kurz ab, als der ihr gleich ein weiteres andrehen wollte, und wandte sich wieder Iunia Axilla zu, wie sie sich inzwischen vorgestellt hatte. „Mmh.“ Sie erneut auf ihre Tunika hinunter, die tatsächlich bereits wieder zu trocknen begann. Trotzdem würde es eine Zeitlang dauern, bis sie ganz trocken war, und der Fleck selbst würde auch dann bleiben, auch wenn ihr Saft reichlich verdünnt gewesen war. Dann sah sie überrascht wieder hoch. „Oh, nein, bitte. Das ist wirklich nicht nötig. Das war genauso wenig deine Schuld wie meine. Wahrscheinlich sogar noch weniger, ich hab mich ja überhaupt nicht umgesehen vorher, ob da jemand steht.“ Was zu erwarten gewesen war. Immerhin war das hier ein Stand, und Menschen stellten sich an, um sich etwas zu kaufen. Aber sie brauchte eine andere Tunika, und durch die Worte der Iunierin war die Entscheidung gefallen. Seiana wollte nicht, dass sie ihr eine neue Tunika zahlte, aber sie wollte noch weniger, dass Axilla nun dachte, Seiana lehnte ab weil sie doch wütend war. „Aber, hm, wir können trotzdem gern zusammen gehen. Ich meine, ich brauche was anderes zum Anziehen, und nach Hause gehen will ich jetzt nicht. Und ein bisschen Gesellschaft wäre ganz nett beim Einkaufen.“ Seiana hatte keine Ahnung, ob Axilla ihre Abneigung gegen Einkaufen teilte – und sie dachte in diesem Moment nicht daran, was sie sich möglicherweise einbrockte. Und sie ahnte auch nicht, dass Axilla gerade auf der Suche nach Schuhen war und diese Einkaufstour sich möglicherweise weit ausgedehnter gestalten konnte, als sie wollte. Aber wer wusste schon, was passieren würde – vielleicht schaffte die Iunierin ja, was Elena seit Jahren vergebens versuchte: nämlich Seiana die angenehmen Seiten des Einkaufens zu zeigen.
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Seiana konnte sich nicht helfen, aber sie war gleich viel versöhnlicher gestimmt, als die junge Frau sich so bei ihr entschuldigte. Etwas bekümmert blickte sie noch einmal an ihrer Tunika hinunter, dann sah sie hoch und lächelte, wenn auch etwas schief. Die Schuldfrage war für sie nun geklärt. „Oh, nein, nein. Du konntest ja nicht ahnen, dass ich mich so plötzlich umdrehe. Ich glaube heute ist einfach nicht mein Tag.“ Nicht nach dieser Nacht. Vielleicht sollte sie sich das mit den Thermen noch mal überlegen, am Ende lief sie noch Gefahr zu ertrinken, oder sich bei der Massage etwas zu brechen oder ähnliches. „Dafür kann keiner was. Höchstens die Götter, vielleicht wollen sie mir eins auswischen“, scherzte sie noch, dann hielt sie für einen winzigen Moment inne. Wollten sie? Nur warum? Vielleicht weil sie bei Archias wohnte, anstatt sich irgendwo ein Zimmer zu nehmen, was dem Anstand mehr Genüge getan hätte? Allerdings war bisher nichts passiert, wofür sie sich hätte schämen müssen, das konnten auch die Sklaven bezeugen, und es würde auch nichts passieren. Nein, die Götter hatten damit nichts zu tun, sie hatten einfach beide nicht aufgepasst. „Hm, na ja… Ich glaub so kann ich nicht weiter rumlaufen hier…“ Sie seufzte lautlos. Den ganzen Weg wieder zurück? Nein, darauf hatte sie keine Lust. Die einzige Alternative wäre, sich hier irgendwo eine Tunika zu kaufen, aber das… war auch nicht unbedingt nach ihrem Geschmack. Klamotten kaufen. Sie konnte gerade noch ein Kopfschütteln zurückhalten und vertagte die Entscheidung um ein paar Momente, indem sie andere anlächelte und sich endlich vorstellte. „Salve übrigens. Ich bin Decima Seiana.“
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Seiana musste etwas warten, aber schließlich bekam sie das Gewünschte. Sie nickte dem Händler zu und kramte aus ihrem Beutel ein paar Münzen heraus, um zu bezahlen, dann nickte sie noch einmal und drehte sich um, um sich ein schattiges Plätzchen zu suchen. Allerdings kam sie nicht weit. Um genau zu sein, sie kam noch nicht einmal einen Schritt weit. Gerade als sie sich in der Drehung befand, prallte sie gegen jemanden, der – für sie zumindest – völlig überraschend dort aufgetaucht war. „Wuah!“ machte sie überrascht – und im nächsten Moment ergoss sich schon der Inhalt ihres Bechers über sie und die Person, die nun – aufgrund ihrer Drehung, die Seiana halb hatte vollenden können – schräg neben ihr stand. Der Hauptteil landete auf ihrer eigenen Tunika, die andere, eine junge Frau, bekam nur ein paar Spritzer ab. Seiana wusste noch nicht so ganz, ob sie darüber froh war oder nicht, hatte sie doch noch nicht entscheiden, ob dieses Malheur nun ganz ihre Schuld war oder hauptsächlich ihre Schuld oder nur zur Hälfte ihre Schuld oder nur zu einem kleinen Teil ihre Schuld oder womöglich gar nicht ihre Schuld, sondern die der anderen. Oder ob vielleicht einfach gar keiner Schuld hatte. „Äääh…“ Sie sah an ihrer Tunika hinunter, die zu tropfen begann. „Ja. Äh. Oh nein…“
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Es würde ein langer Tag werden. Ein seeehr langer Tag. Seiana rieb sich den Nacken und unterdrückte ein Stöhnen. Am liebsten wäre sie heute morgen gar nicht erst aufgestanden, aber das kam nicht in Frage. Ganz egal, was in der Nacht passiert war… Sie unterdrückte ein erneutes Stöhnen, als sie daran dachte, wie erst Firas und dann Katander ihren Rücken malträtiert hatten. Oder war es erst Katander und dann Firas gewesen? Sie wusste es nicht. Es war auch egal. So oder so, heute war sie allein unterwegs. Keine Ophelia, kein Firas, kein Katander und schon gar keine Elena, die sie in der Nacht so schändlich ausgelacht hatte. Dafür würde sie büßen, das hatte Seiana sich fest vorgenommen, und angefangen hatte sie damit, dass sie sie nicht mitgenommen hatte, nicht hierher auf den Markt – auf dem Seiana allerdings selbst gar nicht wusste, was sie hier wollte – und auch nicht später mit in die Thermen – die sie aber erst noch finden musste. Dumm nur, dass Elena gar nicht wusste, was sie vorhatte, weil Seiana heute früh kaum ein Wort gesagt hatte. Und dumm auch, dass Elena das vermutlich überhaupt nichts ausmachte – selbst wenn sie es gewusst hätte –, konnte sie doch die Zeit jetzt mit Katander verbringen. Egal. Irgendetwas würde ihr schon einfallen. Sie war nicht umsonst mit drei Brüdern aufgewachsen und hatte die Jungs zu Hause sauber im Griff gehabt, wann immer einer aufmucken wollte. Nun ja… nicht unbedingt immer im Griff gehabt… Aber sie hatte sich nie etwas gefallen lassen, sie hatte nie geduldet, dass ihre älteren Brüder ihr halfen, und sie war regelmäßig explodiert, wenn sie mitbekommen hatte, dass irgendjemand Faustus auf die Pelle rückte. Und an Ideen, wie sie so manchem eins auswischen konnte, hatte es ihr nie gemangelt. Also würde ihr auch für Elena etwas passendes einfallen. Oh ja. Seiana blieb kurz stehen und streckte sich etwas, was zur Folge hatte, dass ihre Wirbel knackten. Die Thermen. Sie war niemand, der sie oft aufsuchte, keine von den Frauen, die jede zweite Woche dorthin liefen, aber ab und zu… tat es einfach gut. Und nach dem, was gestern Nacht gewesen war, und so, wie ihr Rücken sich gerade anfühlte, war es einfach absolut nötig. Sie seufzte leise und wandte sich einem Stand zu, an dem es Getränke gab. Einen Augenblick überlegte sie, dann bestellte sie sich einen mit Wasser vermischten Fruchtsaft.
Sim-Off: Reserviert
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Nachdem Elena verneint hatte, dass es in der Küche noch Licht gab, schloss Seiana – trotz der Dunkelheit – erneut die Augen und zählte diesmal bis zehn. Als Katander gestand, dass es seine Schuld war, tat sie dasselbe noch mal. Ansonsten hätte sie nicht garantieren können, dass sie nicht einfach losbrüllte, um Ordnung in diesen Haufen zu bekommen. Von Ophelia kam der erste sinnvolle Vorschlag, aber Seiana war derzeit nicht in der Stimmung, um auf irgendwen zu hören. „Nein“, lehnte sie kategorisch ab. „Am Ende stolpert einer auf der Treppe und wir fallen wieder alle übereinander!“ Dann schwieg sie wieder und fing erneut an lautlos zu zählen, weil sie selbst merkte, dass sie etwas zu gereizt reagierte im Moment. Aber sie entschuldigte sich auch nicht für ihren Tonfall. Elena unterdessen kam wieder aus der Küche hervor und hielt wohlweislich den Mund, hatte sie doch schon am Tonfall ihrer Herrin erkannt, dass das im Moment einfach das Klügste war. Als Katander dann aber plötzlich ihre Hand ergriff und lauthals verkündete, er hätte sie, als sie dann auch noch Firas’ Kommentar hörte, konnte Elena nicht mehr. Sie fing an lauthals zu lachen. „Ooooh ihr Götter!“ Sie klammerte sich an Katander und barg ihren Kopf an seiner Schulter, um das Lachen wenigstens etwas zu unterdrücken, dann schob sie ihre Hand noch dazwischen und presste ihre Zähne gegen ihren Handballen. Das Lachen schüttelte sie, und schon traten die ersten Tränen aus ihren Augen.
Seiana dagegen glaubte ihren Ohren nicht zu trauen. „Elena!?“ – „Es tut mir ja leeeiiid.“ Inzwischen glich Elenas Lachen beinahe nach einem Schluchzen. „Aber du musst zugeben, dass das hier echt witzig ist. Stell dir das doch mal vor, wie wir grad aussehen!“ – „Oh ja, wirklich sehr witzig. Verzeih mir wenn ich erst morgen lache. Auf dich ist ja auch keiner draugetreten“, knurrte Seiana zurück, aber schon nicht mehr ganz so übel gelaunt wie zuvor. Während Elena sich weiter bemühte, ihren Lachkrampf endlich unter Kontrolle zu kriegen, tastete sie sich weiter, ungeachtet dessen, was die anderen tun mochten. Sie war nicht in der Stimmung, auf irgendwelche Vorschläge zu hören oder irgendwelche Hände zu greifen. Am nächsten Morgen würde ihr leid tun, dass sie Ophelias Vorschlag so wenig beachtet und die anderen drei so angeranzt hatte, einfach weil sie normalerweise niemand war, der Sklaven so behandelte, aber im Moment war sie einfach müde, und ihr Rücken schmerzte inzwischen fürchterlich. „Götter, morgen sind die Thermen dran“, murmelte sie halblaut, dann trafen ihre Hände auf etwas weiches, da, wo sie die Tür vermutete. Wer war noch mal an der Tür? „Firas?“ Egal. Sie schob ihn etwas zur Seite und tastete sich weiter, bis an die Treppe, wo sie langsam anfing, Stufe für Stufe hinunter zu gehen. Die Stille allerdings machte inzwischen auch sie etwas nervös. „Archias, sag was. Wo bist du?“
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Bitte meinen neuen Buchhändler-Betrieb freischalten. Vielen Dank im Voraus
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Seiana grinste ihn an und fasste, wie schon zuvor vor dem Postofficium, seine Hand, um ihn hinter sich herzuziehen. Sie hoffte wirklich, dass Archias gefallen würde, was sie mit ihm vorhatte – von den Ängsten, die er gerade durchstand, hatte sie nicht die geringste Ahnung, was auch gut so war, denn sonst hätte sie vielleicht versucht, sich von ihrer eigenen Aufregung abzulenken, indem sie seine Ängste noch schürte
Die Sänfte blieb stehen, wo sie war, mitsamt den Sklaven, bis auf den einen, den sie losgeschickt hatte. Seiana derweil ging mit Archias auf den Eingang zu, der offen war und über dem ein Schild mit der Aufschrift Ludus, Casus et Iocus prangte. Sie trat hinein in den kleinen Gang, der sich dahinter auftat und zeigte, dass zumindest an dieser Stelle hinter dem Zaun ein kleines Häuschen verbarg, und wandte sich an das Fenster, hinter dem ein junger Ägypter saß, ob nun Sklave oder nicht, war nicht so genau zu erkennen. „Salve.“ Sie lächelte, kannte sie den jungen Mann doch noch von gestern, als sie mit Elena hier gewesen war und sich erkundigt hatte, was sich dahinter überhaupt verbarg. Mitgemacht hatten sie nicht, sie hatten ihn aber überreden können, sie mal gucken zu lassen – woraufhin Elena am liebsten gleich davon geflitzt wäre. Seiana hatte sie aber zurückgehalten, hatten sie doch zum einen nicht die Zeit gehabt und war sie zum anderen sofort auf den Gedanken gekommen, mit Archias herzukommen. Nachdem es überhaupt erst Elenas Neugier gewesen war, die dazu geführt hatte sich zu erkundigen, was sich hinter dem Zaun verbarg, war sie etwas beleidigt gewesen, dass nun Seiana und Archias den Vorrang haben sollten – aber Seiana hatte ihr versprochen, dass sie dafür sorgen würde, dass Katander und sie ebenfalls hierher kommen konnten. Allein. Den ganzen Tag frei. Sie, Seiana, würde ihnen alles spendieren. Damit hatte Elena sich zufrieden geben. Der junge Mann vor ihr ihr erwiderte ihr Lächeln, was seiner für sein Alter fast schon zu professionellen Art allerdings wenig schadete. „Oh, schon wieder da? Wieder nur reinschauen?“ Sein Blick wanderte kurz von ihr zu Archias und dann wieder zurück. „Nein“, Seiana grinste. „Diesmal richtig.“ Sie reichte dem jungen Mann ein paar Münzen, dann winkte sie Archias, ihr zu folgen.
Sie gingen weiter, durch den kleinen Gang hindurch, und traten auf der anderen Seite wieder ins Freie. Und vor ihnen erstreckte sich ein weites Gelände. Ganz am Anfang, zu ihrer Linken, war noch ein längliches Gebäude zu sehen, in dem im Abstand von wenigen Schritten Türen eingelassen waren. Ansonsten breitete sich rechts und links von ihnen der Zaun aus. Im Abstand von etwa zwei Schrittlängen war ein breiter Wassergraben eingelassen, über den in regelmäßigen Abständen Hängebrücken führten – direkt vor ihnen befand sich eine von diesen. Und dahinter waren die verschiedensten Dinge zu sehen. Kurz gesagt, es schien ein Hindernis-Parcours zu sein mit allen Schikanen. Auf der rechten Seite konnte man etwas weiter weg sehen, wie sich der Wassergraben nach innen erweiterte. In dem Becken waren verschieden hohe und breite Baumstämme, einige im Boden verankert, einige lose vor sich hin treibend, und gerade versuchte eine Gruppe junger Leute, von einer Seite zur anderen zu gelangen – was unter viel Gespritze und Gejohle vonstatten ging. Dahinter konnte man vage einen Bereich erkennen, in dem es verschiedene Möglichkeiten gab sich zu verstecken, von Barracken angefangen über Baumstämme, Holzstapel, Strohballen bis hin zu Konstrukten aus Schilden, ähnlich wie Legionäre sie trugen. Was dort vorging, war schwer zu erkennen, aber auch da waren ein paar Menschen unterwegs, und es schien etwas durch die Luft zu fliegen. Nach links hin schien es und weiter in der Mitte konnte man ein paar Hochstände sehen, manche verbunden durch mehrere sich kreuzende, schmale Hängebrücken, manche allein für sich stehend, jedoch mit ein paar herunterhängenden Seilen. Direkt vor ihnen, nach der Hängebrücke, gab es ein Gerüst – fünf stabil aussehende Holzpfähle ragten in die Höhe, untereinander waren sie verbunden durch verschiedene Seile, so dass man hinüber klettern konnte. Und es gab noch jede Menge mehr. Seiana drehte sich strahlend zu Archias um, die kurzen Zweifel von vorhin für den Moment vergessen. „Also, wir haben verschiedene Möglichkeiten. Erst mal können wir uns umziehen, wenn du möchtest, das bieten sie an, sie haben Tuniken hier, weil man ziemlich sicher dreckig wird – aber ich hab einen der Träger losgeschickt, etwas von uns zu holen, Elena weiß Bescheid, also können wir auch bleiben wie wir sind. Dann können wir uns einer Gruppe anschließen, da müssen wir vielleicht ein bisschen warten, bis genug da sind – die werden dann aufgeteilt und treten gegeneinander an. Wir können aber auch nur zu zweit rein, das hatte ich jedenfalls vor…“ Seiana unterbrach sich und wurde wieder leicht rot, dann, bevor er dazu kam zu antworten, kam noch etwas: „Und, was sagst du?“
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Seiana fiel nicht wirklich auf, dass Archias die Brote wegpackte, war sie doch zu beschäftigt damit, sich verlegen zu fühlen – und ihn zu beobachten. Heimlich. Das hieß, sie versuchte es. Allerdings war sie in solchen Dingen nicht wirklich geschickt, bevorzugte sie doch für gewöhnlich eher die direkte Art. Dementsprechend bemerkte sie zwar, dass sein Blick zu ihr wanderte – aber sie sah nicht, wohin. In dem Augenblick, in dem die Gefahr drohte, er könnte sehen wie sie ihn beobachtete, wandte sie ihren Blick nämlich schnell ab und auf die Straße hinaus. Wäre ja noch schöner, wenn sie dadurch womöglich preisgab, wie verwirrt sie gerade war, wegen ihm. Als sie das nächste Mal vorsichtig nach ihm lugte, sah er irgendwo anders hin, betrachtete irgendetwas Interessantes in den Kissen, so schien es ihr zumindest, und wieder war sie hin- und hergerissen, fühlte sich teils erleichtert, dass er sie nicht mehr ansah, teils enttäuscht – dass er sie nicht mehr ansah. Sie schloss für einen Moment die Augen und presste die Zähne aufeinander. Das konnte doch einfach nicht wahr sein, wie verhielt sie sich denn gerade? Faustus würde sich vermutlich halbtot lachen, wenn er sie so sehen könnte, so verlegen, beinahe verschämt – sie, die früher besser ausgeteilt hatte als so mancher Junge, mit denen sie und ihre Brüder gespielt hatten, und das nicht nur verbal. Oh nein, sie hatte sich auch gern körperlich angelegt, und wenn sie nach Hause gekommen war, hatte es immer Ärger gegeben, jedenfalls wenn herausgekommen war, was sie getrieben hatte… Sie hatte immer unfair gefunden, dass derartige Spiele und Streitereien bei ihren Brüdern nie ein solches Problem gewesen war wie bei ihr, und das nur, weil sie ein Mädchen war. Abgehalten hatte sie der Ärger aber nie.
Die Ablenkungstaktik funktionierte jedoch, sowohl für sie als auch für ihn, augenscheinlich. Sie musterte kurz seine Tunika und konnte einen leichten Fleck erkennen, dort, wo das Gelee hingefallen war, aber wenn sie erst einmal fertig waren mit dem, was sie vorhatte, wäre das nicht weiter schlimm, vermutete sie. Seiana würde dafür noch vorsorgen, aber das verriet sie ihm nicht, nicht dass er noch erriet, was sie vorhatte. „Du warst noch nicht auf dem Leuchtturm?“ fragte sie, etwas überrascht. „Na dann können wir da ja auch noch mal hingehen. Höhenangst hab ich nicht, und selbst wenn, würde mich das nicht davon abhalten, das auszuprobieren.“ Sie grinste wieder. Angst hielt sie selten davon ab, etwas zu tun, was sie wirklich tun wollte. Sie grinste noch breiter, als sie seine enttäuschte Miene sah. „Jaaa, etwas anderes“, neckte sie ihn. Die Sänfte derweil bewegte sich am Hafen vorbei und weiter. Ein paar Schiffe zogen an ihnen vorbei, oder besser, sie an ihnen, sie konnten den Leuchtturm weiter draußen sehen, und weiter trugen die Sklaven die Sänfte. Sie ließen den Hafen selbst hinter sich, bewegten sich aber weiter am Ufer entlang, und die Häuser wichen etwas zurück. Größere Gebäude waren hier zu sehen, hier lagerten die Händler ihre Vorräte und Waren – die reicheren Händler, was man sowohl am Zustand der Gebäude als auch der Straßen sehen konnte. Überhaupt machte die Gegend zwar den Eindruck, dass hier gearbeitet wurde und sich selten tatsächlich höhergestellte Personen herverirrten, aber sie war nicht heruntergekommen und wirkte im Gegensatz zu der Hafengegend und manch anderen nicht so, als sei es gefährlich, sich hier zu bewegen. Die Händler, die hier ihre Ware zwischenlagerten, konnten sich eigens engagiertes Wachpersonal leisten.
Wirklich lange waren sie nicht mehr unterwegs – sie entfernten sich genug vom Hafen, dass der Gestank ihnen nicht mehr um die Nase wehte, und auch das Meer entschwand vorübergehend ihrem Blick, weil nun auch auf dieser Seite Gebäude standen. Allerdings blieb der salzige Geruch ebenso wie das Geschrei der Möwen. Vor ihnen öffnete sich die Straße nun zu einem größeren Platz, an dessen anderem Ende ein übermannshoher Zaun zu erkennen war, in das ein Tor eingelassen war. Seiana sah wieder zu Archias, diesmal aufgeregt, und am liebsten hätte sie sich bewegt, hätte mit den Füßen auf dem Boden getippt oder ihre Hände geknetet, aber sie riss sich zusammen. Als die Sklaven sie Sänfte dann aber absetzten, sprang sie auf und war mit einem Satz draußen. Sie sprach kurz auf einen der Sklaven ein, der darauf hin verschwand, dann wandte sie sich Archias zu, und diesmal konnte sie ihre Aufregung nicht mehr unterdrücken. „Na, schon gespannt?“
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Nicht mehr... Aber nach dem Wochenwechsel wieder
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Seiana nickte zustimmend, als Ophelia davon sprach, die anderen gleich zu fragen. „Ja, mach das.“ Im Moment brauchte sie sie ohnehin nicht, sie hatte noch nie viel davon gehalten, sich beim Anziehen oder Waschen helfen zu lassen von Sklaven – es sei denn sie musste sich für einen größeren Anlass fertig machen. Sie schmunzelte, als Ophelia weitersprach. Das Verhältnis sowohl zwischen ihr und Elena als auch Katander und Archias war vertraut genug, dass die beiden Sklaven sich auch vor ihnen kaum mehr Mühe gaben als vor dem Rest der Welt, zu verheimlichen, wie es zwischen ihnen stand. „Ja, ich kenne sie… Und ich bezweifle, dass sie mitkommen werden, wenn sie die Wahl haben. Auch wenn zumindest Elena vermutlich kurz darüber nachdenken wird.“ Das Schmunzeln wurde zum Grinsen, und sie nickte Ophelia noch einmal zu, woraufhin diese verschwand, während Seiana damit fortfuhr, sich anzuziehen.
Im Zimmer der Sklaven unterdessen machte Elena, als Ophelia hereinkam, fast genau das gleiche wie Seiana wenige Augenblicke zuvor: „Mmh?“ Mit dem winzigen Unterschied, dass es bei ihr wesentlich brummeliger klang. Wie konnte man so früh am Morgen schon so nervtötend gut gelaunt sein? Vormittags, ja, mittags, nachmittags, abends – bitte! Es gab viel zu viele Leute, die den Tag damit verbracht miese Laune zu haben. Aber morgens? Wenn man gerade erst aufwachte? Gab es denn niemanden, der – ein – b i s s c h e n – RESPEKT hatte vor der Schlaftrunkenheit anderer Menschen? Sie brauchte ja nicht lange, wirklich nicht, bis sie morgens in die Gänge kam und ihr übliches strahlendes Wesen zum Vorschein kam, aber ein bisschen brauchte sie eben doch, die Sonne schien ja auch nicht von jetzt auf gleich, nun ja, sonnig vom Himmel herab, sondern brauchte etwas, bis sie dort angekommen war und ihre volle Stärke entwickelt hatte. Und Elena brauchte eben auch. Etwas. Je nach Umständen auch weniger. Wesentlich weniger. Diesmal brauchte sie nur, bis sie realisierte, was Ophelia gesagt hatte, dann war sie wach. Sie richtete sich halb auf und stützte sich auf einem Ellenbogen ab „Bitte? Mit Seiana einkaufen gehen? War das ihre Idee?“ Elena kicherte. „Mh, das heißt ja, wenn du fragst ob wir wollen, haben wir frei…“ Sie tauschte einen Blick mit Katander. „Verlockend. Seiana über den Markt zu schleppen ist eindeutig verlockend.“ Noch ein Blick zu Katander. „Aber ich glaub momentan würd ich lieber im Bett bleiben… Wir können ja nachkommen…“ Mit diesen Worten ließ sie sich wieder zurücksinken, auf den Lippen ein eindeutiges Grinsen, und begann an Katanders Hals zu knabbern.
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Ophelia schien, gelinde gesagt, überrascht zu sein, als Seiana sich so plötzlich aufsetzte. Die Decima grübelte kurz darüber nach, was Archias ihr erzählt hatte über die Sklavin – so weit sie sich erinnern konnte, war sie noch nicht lange hier. Allerdings genügten auch wenige Tag mit Archias, genauer, es genügte eigentlich schon ein Moment, wenn das Thema darauf kam, um herauszufinden, was er davon hielt, „unnützes Zeug“ zu kaufen. Und es, noch schlimmer, in seine Wohnung zu bringen. Aber nein, da stand die Sklavin vor ihr, bestätigte noch einmal, dass das die Worte des Aeliers gewesen seien, und zeigte ihr die Münzen, die er ihr gegeben hatte. Tatsächlich. Auf sein Geld war Seiana nicht angewiesen – wäre sie es, wäre sie nicht nach Ägypten gekommen –, aber es war nicht gerade wenig, und es zeigte ihr, dass Ophelia tatsächlich recht hatte: es schien ihm ernst gewesen zu sein. Oder war das nur eine Falle, um ihr dann am Abend spaßeshalber vorhalten zu können, was sie aus seiner Wohnung gemacht hatte?
Letztlich war das egal. Und alles, was nun passierte, allein seine Schuld. Ein verhaltenes Grinsen flog über Seianas Gesicht. „Was ich davon halte… Na ja, ich denke er ist selber schuld, wenn er dir Geld gibt und ausdrücklich sagt, wir sollen einkaufen gehen…“ Sie stand auf und ging hinüber zu der Waschschüssel, zog sich die Schlaftunika über den Kopf und begann, sich für den Tag fertig zu machen. Die Anwesenheit der Sklavin störte sie dabei nicht, war sie doch von klein auf nichts anderes gewöhnt. „Was ist mit den anderen? Weißt du ob sie mitkommen möchten? Ich finde wir können die Gelegenheit nutzen und uns alle einen schönen Tag machen. Wir können ja später irgendetwas kaufen auf dem Markt, was wir dann heute Abend gleich essen können, ohne dass Elena oder du noch großartig etwas machen müsst.“ So verlockend die Aussicht für Elena war, auf den Markt gehen zu können mit einer Menge Geld in der Tasche, Seiana war sich ziemlich sicher, dass sie dieses Angebot ausschlagen würde. Sie und Katander würden sich sicher nicht die Gelegenheit entgehen lassen, alleine zu sein, dazu hatten sie viel zu selten die Möglichkeit. Aber Firas wollte vielleicht mitkommen.