Beiträge von Decima Seiana

    Seiana spürte das Zurückzucken, obwohl es nur einem Hauch glich, lag ihre Hand doch an seiner Wange. Zart strich sie ihm noch einmal darüber, bevor sie ihren Arm wieder zurückzog. Sie lauschte den Worten ihres anderes Bruders und fühlte sich auf einmal zerrissen. Was ihre Mutter für sie gewollt hatte… Hatten ihre Brüder Recht? War das das Richtige für sie? Für die beiden hier offenbar, aber was war mit ihr? Hätte ihre Mutter gewollt, dass sie nach Rom ging, dass sie ihre eigenen Pläne versuchte zu verwirklichen? Sie wusste es einfach nicht. Für einen Moment fühlte sie sich allein, aber sie zwang ein angedeutetes Lächeln auf ihr Gesicht und nickte zustimmend. „Ja, wenn du diesmal wieder gehst, dann schreib bitte. Ich würde gerne wissen, wie es dir ergeht…“


    Im nächsten Moment verschwand das Lächeln wieder von ihrem Gesicht und machte einem verdutzten Ausdruck Platz, als zuerst Appius sie nach möglichen Verehrern fragte und Faustus dann auch noch in dieselbe Kerbe schlug. „Ähm“, machte sie, einen der seltenen Augenblicke erfahrend, in denen ihr die Worte fehlten. „Also. Hm.“ Dann stimmte sie in Appius’ Lachen ein, und Schalk blitzte in ihren Augen auf. „Oh ja, dutzendweise Verehrer, natürlich. Alle hecheln sie hinter mir. Nein, aber ernsthaft – ich weiß es nicht. Ich muss ehrlich gesagt gestehen, dass ich darauf eher weniger achte.“ Sie dachte an den Aelier, dessen Interesse an ihr durchaus zu merken gewesen war, jedenfalls wenn sie Elenas Worten glauben schenken durfte. „Von einem weiß ich, dass er wohl Interesse hat.“ Sie zögerte einen Moment. Wie viel sollte sie erzählen? Sie war sich ja selbst nicht sicher, was sie von Archias halten sollte, oder von seinem Besuch bei ihrem Onkel, oder davon, dass er nicht mit ihr selbst geredet hatte… Wobei sie auf der anderen Seite gestehen musste, dass das kein unübliches Vorgehen war. Sie war mehr Unabhängigkeit gewöhnt, aber das war bei weitem nicht bei allen Frauen der Fall. „Im Moment ist er nicht in Rom, aber wir haben Briefkontakt. Mal abwarten…“ meinte Seiana schließlich, ihre Worte bewusst eher neutral wählend. Sie war verwirrt, was den Aelier anging – und sie ließ sich nur ungern anmerken, wenn sie verwirrt oder unsicher war, weswegen sie sich in solchen Situationen meistens zurückhielt. Was sie in diesem Moment nicht bedachte war, dass ihre Brüder sie kannten.

    Zitat

    Original von Lucius Germanicus Matrinius
    Marcus Aelius Callidus, dein Posteingang ist voll!
    So kann ich dir leider keine Antworten zum CRV schicken.
    Ich hoffe, dass es morgen auch noch geht!


    Ebenso :)

    „Oh, das war kein Problem“, versicherte Seiana lächelnd. Noch vor wenigen Minuten war es ein Problem gewesen, als sie sich zum wiederholten Mal gefragt hatte, was sie hier eigentlich tat und ob sie an den Aurelier wirklich mit diesem Anliegen herantreten könnte, aber jetzt, wo Corvinus ihr gegenüber saß und sie anlächelte, war das beinahe vergessen. Nervös war sie immer noch etwas, aber damit konnte sie nun umgehen, wo es so weit war. Sie wartete, während der Aurelier dann eingehend ihr Mitbringsel betrachtete, und bei seinem anschließenden Kommentar fühlte sie eine Mischung aus Verlegenheit und Erheiterung in sich aufsteigen. „Nun, die Betonung sollte eher auf dem Wort ‚Weise’ liegen denn auf ‚in Damenkleidern’. Die Statue erschien mir geeignet für dich – auch wegen des Anliegens, das ich habe. Ich denke, was das betrifft, würde es uns beiden helfen, wenn Minerva uns unterstützt.“ Seiana hätte sich beinahe auf die Zunge gebissen, als sie diese Worte ihren Mund verlassen hörte, aber sie konnte sich gerade noch rechtzeitig daran hindern. Sie hatte inzwischen von dem Aurelier zwar den Eindruck, dass er recht gelassen war und ihren Spruch nicht falsch verstehen würde, nur sicher wissen konnte man das nie. Und Fakt war, dass sie es tatsächlich nicht ganz ernst gemeint hatte, sondern etwas aufziehend, auf sie beide bezogen. Aber nachdem sie die Worte nun einmal gesagt hatte und nicht mehr zurücknehmen konnte, war es besser sich normal zu geben – hätte sie nun verlegen gewirkt, hätte er vielleicht gerade dadurch den Eindruck bekommen, sie hätte ihn gemeint. Und der Auctor wirkte erfreut über die Statue, was er auch alsbald bestätigte, also hatte ihr Gefühl richtig gelegen, und das war ihr im Moment das Wichtigste. Sie nahm es als gutes Omen für das, weswegen sie eigentlich hier war.


    Als Seiana ihm dann schließlich ihr Anliegen mitteilte, wirkte Corvinus überrascht, und für einen Moment hielt sie fast den Atem an, während sie zu entscheiden versuchte, ob nun positiv oder negativ. Sein Blick wurde prüfend, aber sie bemerkte auch das kurze Schmunzeln, und innerlich atmete sie ein wenig auf. Noch hatte sie es nicht hinter sich, aber die erste Hürde hatte sie schon einmal genommen. „Mein Patron“, wiederholte sie bestätigend und lächelte kurz. „Für eine Überraschung bin ich immer gut.“ Dann wurde sie ebenfalls ernst. „Nun, ich habe mich entschieden, mir einen Patron zu suchen, weil ich gerne ein Geschäft kaufen möchte.“ Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, ihm so direkt zu erzählen, weswegen sie einen Patron wollte – es gab genug Allgemeinheiten, die sie ihm auf seine Frage hätte antworten können. Aber das war nicht wirklich ihre Art, schon gar nicht wenn es um wichtige Dinge ging, und davon abgesehen hatte sie den direkten Weg nun schon eingeschlagen – also konnte sie auch genauso gut so weitermachen. Und ein Patron-Klienten-Verhältnis sollte, ihrer Auffassung nach, ohnehin von Ehrlichkeit und Vertrauen geprägt sein. „Im Moment lebe ich größtenteils auf Kosten meiner Familie hier in Rom, und ich muss sagen, das gefällt mir nicht wirklich. Ich möchte gerne für mich selbst verantwortlich sein. Das ist auch der Grund, warum ich nicht einen meiner Verwandten um Geld bitte, was ich sicherlich hätte tun können – aber wenn ich mir etwas aufbaue, möchte ich das selbst tun, oder besser, mit Hilfe meines Patrons, so wie jeder andere auch. Ich mache mir darüber schon länger Gedanken, und jedes Mal komme ich zu dem Schluss, dass das, für mich jedenfalls, der beste Weg ist. Der einzige.“ Sie trank einen Schluck und musterte ihn währenddessen kurz, um seine Reaktion einschätzen zu können, aber es wollte ihr nicht so recht gelingen, in seinem Gesicht zu lesen, also fuhr sie fort. „Auch über diejenigen, die als Patron in Frage kommen, habe ich nachgedacht – und du bist meine erste Wahl. Wir kennen uns bereits, unsere Familien sind über die Aurata verbunden, wir beide über die Acta, und zumindest ich bin der Meinung, dass ich dich genug einschätzen kann, um diese Entscheidung treffen. Ich respektiere dich und deine Arbeit. Natürlich kann ich mich irren, aber…“ Seiana zuckte andeutungsweise mit den Achseln. „…ich gehe nicht davon aus.


    Was konkret das Geschäft betrifft, ich dachte an eine Töpferei. Ich habe mich bereits erkundigt, und es gäbe zwei, die in Frage kämen für mich – kleine Betriebe, so dass ich mich selbst erst einmal einarbeiten kann. Das wäre auch der nächste Punkt, bei dem ich zunächst gerne deine Hilfe in Anspruch nehmen würde – ich habe zwar etwas Erfahrung, was das Führen von Geschäften, die Erledigung von Finanzen und alles, was damit zusammenhängt, betrifft, aber ich denke, es ist doch noch einmal etwas anderes, das völlig auf sich allein gestellt zu erledigen. Ich kann mir vorstellen, dass ich anfangs einige Fragen haben werde. Wenn du mehr darüber wissen möchtest, was ich mir gedacht habe, ich habe Unterlagen mitgenommen über die zwei Geschäfte und ein paar meiner Aufzeichnungen.“ Sie deutete mit dem Kopf in Elenas Richtung, die noch eine zweite Tasche mit sich trug. „Kommen wir zur Gegenleistung. Das Naheliegendste ist natürlich, dir Töpfereiwaren günstiger anzubieten, wenn du sie brauchst.“ Auch darüber hatte sie sich erkundigt, und sie wusste, dass die Aurelier in der Nähe Roms einen Olivenhain besaßen – aber sie musste ihm nicht unbedingt auf die Nase binden, dass sie sich über ihn informiert hatte. „Selbstverständlich stehe ich dir zur Verfügung, wenn du Hilfe oder Unterstützung benötigst, wie es für eine Klientin angemessen ist. Im Übrigen wollte ich dich nach deinen Vorstellungen fragen, was ich darüber hinaus als Klientin für dich tun kann.“

    Seiana hielt betroffen inne, als Appius auffuhr. Sie konnte seine Meinung nicht teilen, obwohl oder vielleicht gerade weil sie den Tod, mehr noch, das Sterben ihrer Mutter so nahe und direkt mitbekommen hatte wie keiner ihrer Brüder. Aber sie konnte ihn auch verstehen. Auch wenn sie nie so abfällig über die Götter gesprochen oder auch nur gedacht hatte, auch wenn sie nie wirklich den Glauben daran verloren hatte, dass es einen Sinn hatte, hatte sie doch mit dem Leben gehadert. Und die Frau zu verlieren, die man liebte und heiraten wollte, in ihrem Alter, war noch etwas anderes als die Mutter zu verlieren – war das doch etwas, das früher oder später einfach passierte, wenn das Leben seinen normalen Gang nahm.


    Sie schwieg, als Appius dann plötzlich aufstand und zum Fenster ging, wusste, wie so oft in der letzten halben Stunde, nicht was sie sagen sollte, und wartete einfach ab – und tatsächlich, nach nur wenigen Augenblicken drehte Appius sich wieder um und kam zu ihr. Seiana schloss kurz die Augen, als er sie auf die Stirn küsste. „Da gibt es nichts zu verzeihen, Appius. Vielleicht ist es vermessen, das zu sagen, wenn man selbst nicht derselben Situation war, aber ich kann nachvollziehen, wie es dir gehen muss. Und wir sind eine Familie, mehr noch, wir sind Geschwister – wir haben uns lange nicht gesehen, aber daran ändert sich nichts. Wenn wir untereinander uns nicht so zeigen können, wie wir sind, wo dann?“ Sie hob eine Hand und strich Appius langsam über die Wange.
    „Es gibt nichts zu verzeihen“, wiederholte sie leise.

    „Vielen Dank.“ Elena lächelte dem großen Dunkelhäutigen noch einmal zu, bevor sie ihm gemeinsam mit Seiana ins Atrium der Villa folgte, wo Aurelius Corvinus saß, umringt von einer kleinen Traube aus Menschen. Sie blieben stehen, wo der Ianitor es ihnen geheißen hatte, und warteten, bis er seinen Herrn auf sie aufmerksam gemacht hatte. Seiana erwiderte das Lächeln und neigte grüßend den Kopf, während Elena sich vorbildlich zurückhielt. Der Ianitor erntete von beiden Frauen ein Nicken und ein Lächeln, als er ihnen noch einmal kurz Bescheid gab und dann wieder verschwand. Seiana setzte sich auf einen Sessel, den ihr ein Sklave angeboten hatte, und akzeptierte Wein, mit so viel Wasser verdünnt, dass es im Grunde schon wieder umgekehrt war – Wasser mit etwas Wein darin. Anschließend warteten sie. Seiana war sich sicher, dass es nicht stimmen konnte, aber ihr Zeitgefühl behauptete steif und fest, dass mindestens eine Stunde vergangen war, bis der Aurelier endlich die Letzten verabschiedete und sich zu ihr gesellte.


    „Salve, Aurelius Corvinus. Wie geht es dir und deiner Familie?“ Sie lächelte ihm zu, und während er ihr gegenüber Platz nahm und sie auch gleich fragte, was sie hierher geführt hatte. Ihr war es nur recht, dass er gleich auf den Punkt kam – sie hatte sich zwar darauf eingestellt, zunächst ein bisschen Konversation zu betreiben, aber das konnte ihrer Meinung nach auch gut warten, bis sie ihr Anliegen vorgebracht und, wenn möglich eine positive Antwort bekommen hatte. „Nun, wenn du so direkt fragst – ich habe ein Anliegen.“ Und die Zeit hatte sie nicht zufällig ausgewählt, um es vorzubringen. „Aber zuerst möchte ich dir etwas geben.“ Sie bedeutete Elena, einen Schritt vorzutreten. Die Sklavin benahm sich heute mustergültig, machte zwei kleine Schritte, lächelte – nicht so strahlend wie an der Tür, eher sachter, dem Gegenüber und seiner Stellung im Vergleich zu ihr angemessen – und platzierte mit einer leicht angedeuteten Verbeugung einen in dunkelblauen Stoff eingeschlagenen Gegenstand auf dem kleinen Tisch neben dem Aurelier. In Seianas Kopf erweiterte sich das stumme Versprechen eines simplen Einkaufsbummels zu einer ganzen Einkaufstour, bei der Elena weitestgehend freie Hand haben würde – für Seiana wusste nur zu gut, dass das ein großes Opfer für sie bedeutete, aber dass Elena sie jetzt so unterstützte, war ihr das wert. Zumal sie wusste, dass es ihrer Leibsklavin, obwohl diese es natürlich beherrschte, nicht leicht fiel, sich derart zu benehmen, entsprach es doch weder ihrer Art noch den Ansprüchen, die Seiana normalerweise an sie stellte. „Ich bin neulich auf den Märkten unterwegs gewesen, und als ich das“, Seiana machte eine Kopfbewegung zu dem Gegenstand, der, wenn Corvinus das Tuch zurückschlug, sich als kleine, aber schöne Statue der Minerva entpuppen würde, aus leicht rötlichem Gestein, in das Einschlüsse und Schlieren sowohl dunklerer als auch hellerer Natur zu sehen waren. Die filigrane Figur war so gearbeitet, dass diese zufällig von der Natur hervorgerufenen Unregelmäßigkeiten im Stein wie bewusste Verzierungen wirkten, die sich um den Körper der Statue schmeichelten, „gesehen habe, musste ich an dich denken. Und da ich dich sowieso aufsuchen wollte, habe ich beschlossen, es für dich mitzunehmen.“


    Tatsächlich war sie auf der Suche gewesen nach etwas, was sie dem Aurelier mitbringen könnte, denn mit einem Anliegen wie dem ihren wollte sie nicht mit leeren Händen dastehen. Insofern stimmten ihre Worte aber, als dass sie schon den Mut verloren hatte, etwas zu finden, was ihr wirklich angemessen erschienen wäre – als sie an diesem kleinen Stand die Statue entdeckt hatte, und ihr dabei wirklich der Auctor in den Sinn gekommen war. Darüber hinaus gehörte Minerva nicht nur zu ihren Lieblingsgöttern, sondern stand auch für all die Dinge, die sie beide brauchen würden, wenn die Zusammenarbeit mit Erfolg beschieden sein sollte, also hatte es ihr wie ein gutes Zeichen erschienen, als sie sie gesehen hatte. Sie wartete einen Moment, bis der Aurelier die Statue betrachtet hatte, dann ergriff sie wieder das Wort. Sie hatte sich zuvor schon überlegt, wie sie es vorbringen sollte, und auch den vorangegangen Moment noch gegrübelt, hatte sich Worte zurecht gelegt und Formulieren – aber jetzt erschien es ihr am besten, einfach direkt zu sagen, weswegen sie gekommen war, ohne große Umschweife und oder Herumreden. Sie konnte dem ohnehin nicht viel abgewinnen, und sie ging davon aus – sie hoffte es! – dass es Aurelius Corvinus ebenso ging, schon allein weil er sicher genug Menschen um sich hatte, die erst nach langer Rede auf den eigentlichen Sinn ihrer Ansprache kamen, wenn es denn überhaupt einen gab. So viel jedenfalls meinte sie mitbekommen zu haben aus den Fetzen, die zu ihr während der Salutatio herüber geweht waren. „Was mein Anliegen betrifft – ich bin hier, weil dich bitten möchte, mein Patron zu werden.“

    Elena, die inzwischen wusste worum es ging, setzte ihr strahlendstes Lächeln auf, wofür Seiana ihr in Gedanken versprach, baldmöglichst einen Einkaufsbummel mit ihr zu machen. „Salve. Meine Herrin Decima Seiana lässt anfragen, ob Aurelius Corvinus Zeit hätte, sie zu empfangen.“

    Seiana hatte lange hin und her überlegt, ob sie diesen Schritt machen sollte, und sie hatte auch mit niemandem darüber gesprochen, nicht einmal mit Elena oder einem von ihren Brüdern. Aber nun stand sie hier, gegen Ende der morgendlichen Salutatio, weil sie hoffte, dass der Aurelier dann am ehesten Zeit für sie würde erübrigen können, nachdem er mit seinen Klienten gesprochen hatte. Sie war etwas aufgeregt, aber im Grunde überzeugt davon, dass sie das Richtige tat, dass es sich lohnen würde. Mit einem Nicken wies sie Elena an, zu klopfen.

    Faustus stimmte ihr zu, aber etwas anderes hätte Seiana auch kaum erwartet. Erneut warf sie ihm einen kurzen Blick zu, der mehr um Hilfe suchte als alles andere, während Appius einen Schluck Wein trank – ob er damit Zeit schinden wollte, ob er nicht wusste was er sagen sollte, ob er auswich oder sich selbst Mut machen wollte, konnte Seiana beim besten Willen nicht sagen. Sie griff ebenfalls nach ihrem Weinbecher, trank aber nichts, sondern drehte ihn nur nachdenklich in ihren Händen und starrte in die rote Flüssigkeit, die im warmen Licht der Öllampen zu funkeln schien. Erst als ihr älterer Bruder wieder das Wort ergriff, sah sie hoch, sah ihn an, während er zu erzählen begann, zuerst von zu Hause, warum er gegangen war, ohne ein Wort, ohne eine Nachricht, was er getan hatte… Um schließlich zu dem Moment zu kommen, in dem ihn das Schicksal offenbar so hart getroffen hatte. Mit jedem Wort wurde ihr Gesichtsausdruck betroffener, und als Appius eine Pause machte, wusste sie nicht, was sie sagen sollte, und so schwieg sie, bis er wieder das Wort ergriff und seine Geschichte zu Ende erzählte.


    Langsam beugte sie sich vor, griff nach Appius’ Hand und drückte sie kurz, bevor sie sich wieder zurücklehnte. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll, Appius. Es tut mir so leid… Ich weiß, dass es in der Situation kaum etwas gibt, was man sagen oder tun kann…“ Sie musste an ihre Mutter denken, an die letzten Wochen und Monate, in denen es immer mehr bergab gegangen war – und sie konnte nicht sagen, was leichter war. Einen geliebten Menschen zu verlieren, wie es Appius geschehen war, so schnell, so unvorhergesehen… oder langsam, über einen längeren Zeitraum, dem Leiden dieses Menschen zusehen zu müssen, ohne etwas tun zu können außer einfach da zu sein, was oft genug so unglaublich schwer war, und mit jedem Mal noch schwerer wurde – aber dafür die Gelegenheit zu haben, sich wenigstens ein bisschen vorbereiten zu können auf den Verlust, der unweigerlich folgen würde, die Gelegenheit zu haben, Abschied zu nehmen. Seiana seufzte leise. „Ich denke nur, jeder von uns muss den Weg gehen, der richtig für ihn ist. Auch wenn es manchmal fast zu schwer scheint… Irgendwas haben sich die Götter dabei gedacht, irgendwie hat es doch einen Sinn, auch wenn man ihn nicht gleich erkennen kann, und es vielleicht nie tut.“

    Seiana neigte den Kopf leicht zur Seite, während sie dem Aurelier lauschte. Der Gedanke, für die Acta zu schreiben, faszinierte sie. Es wäre eine Möglichkeit, das, was sie ohnehin gerne tat, auf eine andere Ebene zu heben – es nicht nur für sich selbst zu tun, als Zeitvertreib, der von manchen vielleicht sogar belächelt werden würde, wüssten sie davon. Nicht dass Seiana viel auf derlei Meinungen gab, aber es machte eben doch einen Unterschied, und wenn es nur der war zu wissen, dass das, was sie geschrieben hatte, ungleich mehr Leute erreichen würde… Dass es auch Schwierigkeiten geben konnte, war ihr durchaus klar, vor allem weil sie jetzt schon wusste, dass sie eher Meinungsartikel denn neutrale Berichte schreiben würde.


    „Nein, beim Domus der Acta war ich noch nicht. Allerdings dürfte es nicht schwer sein, es zu finden.“ Die Via Flaminia kannte sie, die Via Rosa zu finden sollte also kein Problem darstellen. Und Elena und sie gemeinsam waren noch überall hingekommen, wenn auch die Kombination ihrer völlig unterschiedlichen Orientierungsweisen – sie selbst durch vorige Beschreibungen und Logik, Elena nach Gefühl, wobei Seiana sich fragte, wie um alles in der Welt man sich in einer Stadt wie Rom nach Gefühl zurecht finden konnte… bei Elena funktionierte es aber tatsächlich – zu regelmäßigen, mal mehr, mal weniger hitzigen Diskussionen führte. Manchmal fragte die lebhafte Sklavin auch irgendjemanden, was Seiana meistens gar nicht gefiel – nicht weil sie ein Problem damit hatte, nach dem Weg zu fragen, sondern weil es meistens damit endete, dass sie sich, dank Elena, die großen Spaß dabei hatte sich mit allen möglichen Menschen zu unterhalten, oft die halbe Lebensgeschichte des Befragten anhören konnte, bevor sie Wegbeschreibungen bekamen. „Wie gesagt, ich würde mich sehr freuen, wenn ich für die Acta schreiben könnte.“ Sie lächelte, nach wie vor erfreut über diese Gelegenheit, die sich da so spontan ergeben hatte. „Auch auf die Gefahr hin, dass es dann Beschwerden gibt. Damit kann ich umgehen – so lange das für die Acta oder für dich kein Problem ist, heißt das.“

    Seiana saß im Garten, sprachlos. Sprachlos war sie die meiste Zeit gewesen, seit sie von Meridius erfahren hatte, weswegen der Aelier kurz vor seiner Abreise nach Ägypten hier gewesen war. Ihr Onkel hatte wenig Zweifel gelassen – weder daran, dass die Aelier eine achtsame Familie waren und eine Heirat mit einem von ihnen eine gute Verbindung war, noch daran, dass er Archias’ Anfrage für, nun, etwas voreilig hielt, gemessen daran, dass sie sich kaum kannten. Sie hatte nicht gewusst, was sie sagen sollte, was ihr recht selten passierte. Nicht einmal eine Floskel war über ihre Lippen gekommen, zunächst, und so hatte sie sich schon bald entschuldigt und zurückgezogen. Um nachzudenken, vorgeblich. In Wirklichkeit, um den Schockzustand zu verarbeiten, in dem sie sich befand. Archias hatte um ihre Hand gebeten. Ein Teil von ihr weigerte sich schlichtweg, das zu glauben, während ein anderer schon begann, sich darüber aufzuregen, dass er ihr gegenüber keinen Ton davon hatte verlauten lassen – und ein dritter leise flüsterte, dass es nun ja nicht so wäre, dass es keine Anzeichen gegeben hätte bisher… Der Ton manchmal, in seinen Briefen, das was zwischen den Zeilen stand – Seiana sprang auf, flitzte in ihr Gemach und holte die Briefe, die sie bisher bekommen hatte, bevor sie sich wieder nach draußen verzog. Es konnte doch nicht sein, dass sie davon nichts gemerkt hatte – aber genauso wenig konnte es sein, dass nichts zu merken gewesen war, wenn er solche Absichten hegte… Sie überflog die Briefe und war verwirrt – waren sie noch beim letzten Lesen recht eindeutig gewesen, wusste sie nun nicht mehr, was sie von manchem Satz halten sollte. Und die Stimme in ihrem Inneren machte es nicht besser, als sie nun noch darauf hinwies, dass auch manches der bei dem Besuch gefallenen Worte wohl nicht so harmlos gewesen waren, wie sie geschienen hatten. Aber bei dem Gedanken an den Besuch fiel es Seiana zum Glück nicht schwer, ihre Verwirrung auf die Seite zu schieben und sich wieder aufzuregen, innerlich – was fiel dem Aelier eigentlich ein? Dieser Besuch musste es gewesen sein, an diesem Tag war er bei Meridius gewesen, und danach hatte er sie besucht und mit ihr geredet, war in eben diesem Garten herumgegangen, und hatte kein Sterbenswörtchen von dem verraten, was ihn hierher getrieben hatte!


    Wieder raschelte der Papyrus, diesmal als Seiana die Briefe zur Seite warf. Wieso hatte er nichts gesagt? Sie war sich durchaus im Klaren darüber, dass er wohl davon ausgegangen war, sie hätte zumindest noch einen Vormund, den er fragen müsste – aber dennoch hätte er ihr doch auch etwas sagen können. Davon abgesehen, wie war er überhaupt auf diese Idee gekommen? Er kannte sie kaum, genauso wenig wie sie ihn, in diesem Punkt musste Seiana Meridius beipflichten. Auf der anderen Seite… sie konnte Dutzende von Beispielen nennen, Mädchen und Frauen, die sie kannte, die verheiratet worden waren, ohne ihren Gemahl vor der Hochzeit wirklich näher zu kennen… Letztlich war es ihre Entscheidung – ihr Vater war tot, und sie hatte auch keinen Vormund, der ein Mitspracherecht hatte, was ihre Angelegenheiten betraf. Was aber nicht hieß, dass sie nicht dennoch gebunden war, an die Familie, ihre Werte, ihr Ansehen. Sie konnte nicht irgendwen heiraten, in diesem Bewusstsein war sie aufgewachsen, und der Aelier war nicht irgendwer, ganz und gar nicht, er war im Grunde sogar mit dem Kaiserhaus verwandt… Und sie fand ihn sympathisch, hatte ihn sympathisch gefunden, die wenigen Male, die sie sich getroffen hatten jedenfalls. Und seine Briefe zeugten ebenfalls davon. Unwillig schüttelte sie den Kopf, als ihr klar wurde, dass sie gerade begann, in Gedanken was wäre wenn zu spielen. Es kam doch überhaupt nicht in Frage, dass sie sich davon so verwirren, so aus der Fassung bringen ließ – sie war eine Decima, sie war bodenständig. Und doch, einen Heiratsantrag bekam man nicht jeden Tag, schon gar nicht über einen solchen Umweg. Und sie musste ihn in Betracht ziehen, schon allein weil er von einem Aelier kam. Die Familie stand im Vordergrund, so hatte sie es immer gelernt, so hatte ihre Mutter es ihr eingebläut, und wenn sie davon ausging, dann war die Familie, aus der ihr zukünftiger Gatte stammte, von immenser Wichtigkeit. In ihr schwirrte es, während Seiana gleichzeitig versuchte, Abstand zu gewinnen und einen freien Kopf zu bekommen. Dennoch konnte sie nicht verhindern, dass ihre Gedanken weiter nur um dieses Thema kreisten, Vor- und Nachteile abwägten, sowohl privater als auch familiärer Natur. Sie bekam es einfach nicht aus ihrem Kopf: Was wäre wenn…

    An Caius Aelius Archias
    Kapeleion Archaon
    Alexandria, Aegyptus


    Lieber Archias,


    wie ist es in Ägypten? Hast du dich inzwischen mit den Vorschriften und Regeln vertraut machen können, die du in deinem letzten Brief erwähnt hast? Und wie steht es mit der Wohnungssuche? Hast du schon etwas gefunden? Und die Pyramiden, warst du schon bei ihnen? Ich sollte dir vielleicht abraten, wenn es so gefährlich ist… aber ich muss gestehen, ich würde mich davon auch nicht abhalten lassen. Ich habe Bildnisse davon gesehen, und Geschichten gelesen – ich würde diese Bauten nur zu gerne selbst besichtigen! Falls ich jemals Ägypten bereisen sollte, und du noch dort bist, dann bestehe ich darauf, dass du mir alles zeigst.


    Was Brüder betrifft: ich habe drei davon, aber das konntest du ja nicht wissen. Zur Zeit sind sie alle hier in Rom, das heißt zwei von ihnen – Faustus, von dem ich dir geschrieben habe, ist die meiste Zeit in Mantua, wo er stationiert ist. Aber er findet doch hin und wieder eine Gelegenheit, nach Rom zu kommen und uns zu besuchen. Im Übrigen geschieht hier viel, und doch wieder nichts… Die Factio Aurata hat sich vor kurzem bei uns getroffen, der Abend war recht angenehm. Nun ja, um ehrlich zu sein, eher langweilig. So ein Anlass ist zwar immer eine gute Möglichkeit, neue Kontakte zu knüpfen und Menschen kennen zu lernen, aber im Großen und Ganzen ziehe ich privatere Treffen doch vor, wo man natürlicher sein kann und nicht so viel, nun ja, gezwungene Konversation läuft. Aber wie bereits erwähnt, dieser Abend war doch recht angenehm. Ich habe vor allem Bekanntschaft gemacht mit Mitgliedern der Gens Aurelia, zwei jungen Damen, sowie mit dem Auctor der Acta, den ich erst kürzlich wieder getroffen habe – bei diesem zweiten Treffen sind wir mehr ins Gespräch gekommen, und stell dir vor, ich werde nun für die Acta schreiben. Wenn ich gut bin, könnte ich sogar ganz offiziell Subauctrix werden, was sagst du dazu?


    Gladiatorenkämpfe sind recht spannend, aber ich muss zugeben, dass sie mir nicht so sehr zusagen. Pferderennen dagegen liebe ich. Und welcher Factio ich angehöre, dazu muss ich wohl kein Wort mehr verlieren. Ich glaube, wenn wir uns wiedersehen, muss ich ein ernstes Wort mit dir reden – ausgerechnet die Veneta? Um einen Vergleich zu ziehen: ich würde dem Schiff, so du denn eines gekauft hast, mit Sicherheit nicht den Namen Veneta geben – denn dann kannst du davon ausgehen, dass es Schiffbruch erleiden wird. Aurata stattdessen würde versinnbildlichen, dass es zwar Stürmen begegnen, diese aber weitestgehend unversehrt überstehen wird. Im Übrigen spiele ich auch mit dem Gedanken, einen Betrieb zu eröffnen – ich merke einfach, dass ich etwas zu tun brauche. Für die Acta zu schreiben ist ein Anfang, aber ich glaube nicht, dass mir das auf Dauer reichen wird, und es ist mir definitiv nicht genug, nur zu Hause zu sitzen oder in der Stadt unterwegs zu sein. Rom zu erkunden ist schön, aber es kommt der Moment, an dem man, wenn auch noch lange nicht alles, so doch genug gesehen hat, jedenfalls für den Augenblick… und da ich nicht sonderlich gerne einkaufen gehe, muss ich einen anderen Weg finden, mir die Zeit zu vertreiben. Darüber hinaus reizt mich der Gedanke, zum ersten Mal in meinem Leben wirklich unabhängig zu sein – natürlich werde ich im Haus meiner Familie wohnen bleiben, aber es ist trotzdem ein Unterschied, wenn man für sich selbst sorgen kann.


    Viel Spaß beim Lesen der neuen Acta, bis bald,
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    Lieber Katander,


    und, wie läuft es? Ist dein Herr immer noch so anstrengend, hast du es geschafft, für ihn eine Wohnung aufzutreiben?


    Oh, das klingt sehr interessant, was du schreibst… Der Senator hat Seiana leider noch nichts gesagt, aber lange wird er es nicht mehr aufschieben können – er hat einfach viel zu tun, daran liegt es, denke ich. Nun ja, mal abwarten wie sie reagiert, wenn sie erst mal Bescheid weiß… Aber nach Ägypten zu reisen ist eine gute Idee, das würde sie auf jeden Fall gerne (und ich auch). Mal sehen, was ich einfädeln kann, viel wird es nicht brauchen, um das anzustoßen. Aber wie gesagt: ich weiß nicht, wie sie reagiert, wenn sie erst mal erfährt, was dein Herr für Absichten hat.


    Es tut mir leid, dass ich diesmal nicht viel schreiben kann – aber Seiana hat mir erst jetzt Bescheid gegeben, und sie will, dass der Brief noch heute fortgeschickt wird, wofür natürlich ich sorgen muss, und das ist selbstverständlich nicht das einzige, was sie will… Ich will ja nicht meckern, und meistens hab ich dazu auch keinen Grund, aber manchmal ist sie einfach… na ja, eine Herrin. Ich denke du weißt, was ich meine.


    Viele Grüße, und vielleicht sehen wir uns ja bald,
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    Sim-Off:

    Familienwertkarte :)

    Seiana grinste, konnte aber nicht verhindern, dass sie leicht rot wurde. „Appius, du übertreibst. Davon abgesehen bist du mein Bruder, du musst das sagen. Aber danke.“ Sie stellte sich kurz auf die Zehenspitzen und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange, dann ließ sie beide eintreten und rückte Appius einen Sessel zurecht, bevor sie ihm ebenfalls einen Becher Wein einschenkte und ihm diesen reichte. Danach machte sie es sich ebenfalls bequem, nippte an ihrem Wein und schüttelte auf Faustus’ Frage hin den Kopf. „Nein, ich wusste nicht dass du nach Germanien bist.“ Wie auch, Appius hatte sich nicht mehr gemeldet, nachdem er verschwunden war, genauso wenig wie Faustus – und im Gegensatz zum Jüngsten der Familie hatten die Kontakte ihrer Mutter über den Zweitältesten nichts herausfinden können, oder sie hatte es nicht mitbekommen.


    Die Beine inzwischen wieder angezogen, gelegentlich einen Schluck Wein trinkend, lauschte Seiana den Erzählungen von Appius, und musste unwillkürlich den Aelier denken, der ihr ebenfalls von Germanien berichtet hatte. Archias war aber schnell aus ihren Gedanken verschwunden, als Appius davon sprach, dass er verliebt gewesen war. Betroffen hielt sie inne, als er einen Unfall erwähnte – aber es gab nur einen kurzen Moment, in dem er die Fassung zu verlieren schien, dann sprach Appius bereits weiter, ging darüber hinweg, als wenn es nichts wäre, schien nicht darüber reden zu wollen… Und sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Appius hatte sie noch länger nicht mehr gesehen als Faustus, und auch wenn sie ein gutes Verhältnis hatten, war es doch nicht so eng wie das zu ihrem jüngsten Bruder. Sie musste feststellen, dass sie schlicht nicht wusste, was sie sagen könnte, um Appius auch nur zu verdeutlichen, dass sie da war, wenn er sie brauchte… und sie fühlte sich auf einmal hilflos. Der Blick, den sie Faustus zuwarf, drückte genau das aus: Hilflosigkeit. Sollte sie das tun, was Appius offenbar das liebste war, nämlich darüber hinweg zu gehen? Oder sollte sie ihm wenigstens sagen, dass er darüber reden konnte, wenn er wollte – vielleicht dachte er ja, sie würden nichts hören wollen darüber…


    Seiana biss sich kurz auf die Unterlippe, dann zwang sie sich zu einem Lächeln. „Es klingt aufregend, was du erlebt hast.“ Einen Moment zögerte sie noch, dann gab sie sich einen Ruck. Sie hatte nie ein Blatt vor den Mund genommen, und auch wenn sie in den letzten Jahren gelernt hatte, wann es besser war – in den meisten Fällen hieß das, wann es sich für eine Frau gehörte – zu schweigen, betraf das doch nicht ihre Brüder, egal wie lange sie sie nicht gesehen hatte. „Hör mal… es tut mir leid, was du erlebt hast. Was der Frau passiert ist, die du geliebt hast. Ich weiß nicht, ob du darüber reden willst oder nicht, aber wenn du willst, dann kannst du das. Ich möchte nur, dass du das weißt.“

    Seiana nickte verwirrt. „Ja, ich habe es auch gehört… Keine Ahnung…“ Sie beobachtete Faustus, wie er aufstand und ebenfalls zur Tür kam, und musste schmunzeln, als er sich selbst davon überzeugte, dass im Gang niemand war. „Spuken?“ Das Schmunzeln wurde zu einem Grinsen. „Ja, vielleicht war es ein Geist.“ Dann zog sie überrascht die Augenbrauen hoch, als Faustus kurzerhand beschloss, auf die Suche nach dem zu gehen, der geklopft hatte. „In Ordnung, ich warte dann hier…“ sagte sie, die ersten beiden Worte noch hinterher gerufen, die letzten nur noch gemurmelt, als ihr Bruder um die Ecke bog. Einen Moment lang stand sie noch da und lächelte einfach nur, froh darüber, dass Faustus wieder da war, dass sie sich verstanden, so wie früher, als hätte es ihren Streit und die vergangenen zwei Jahre gar nicht gegeben… Und auch wenn er sich verändert hatte, war er doch noch derselbe, immer noch so spontan und ungestüm wie früher…


    Immer noch mit einem Lächeln auf dem Gesicht zuckte sie schließlich die Achseln und schloss die Tür, wusste danach aber nicht so recht, was sie tun sollte, während sie wartete. Kurz überlegte sie, ob sie auch hinterher gehen sollte, einfach weil sie nicht gern untätig herumsaß und wartete, aber dann setzte sie sich doch wieder hin und betrachtete erneut die kleine Statue, auf ihrem Gesicht ein weicher, fast schon zärtlicher Ausdruck. Lange musste sie allerdings nicht warten, denn schon nach kurzer Zeit klopfte es erneut an ihrer Tür, und diesmal riss sie sich sofort los von der Statue, sprang hoch und öffnete schwungvoll die Tür. „Appius!“ rief sie überrascht aus. Auf Maximian’s Beerdigung hatte sie ihn zum ersten Mal seit Jahren wieder gesehen, und dort hatten sie nicht wirklich viel Gelegenheit gehabt zu reden – und danach war er schnell wieder verschwunden und, soweit sie wusste, nicht mehr in der Casa aufgetaucht. Umso mehr freute sie sich, dass er jetzt da war – und Faustus ihn zurückgeholt hatte, nachdem es offenbar sein Klopfen gewesen war, dass sie zu spät gehört hatte. Sie trat einen Schritt auf ihn zu, stellte sich auf die Zehenspitzen und umarmte ihn herzlich „Es ist so schön, dich zu sehen… euch beide“, sie grinste in Faustus’ Richtung. „Ich hoffe du hast auch etwas Zeit und bleibst länger als beim letzten Mal. Wir hatten gar keine Gelegenheit wirklich miteinander zu reden.“ Sie ließ Appius los und strahlte ihn an, dann machte sie eine einladende Handbewegung. „Na los, kommt rein. Für dich auch Wein?“

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    Elena runzelte leicht die Stirn, während sie versuchte, den schnellen Worten der anderen Sklavin zu folgen, die noch dazu eine grausige Aussprache hatte. Was sie aber sagte, erregte tatsächlich Elenas Mitleid. Die Flavia hatte definitiv kein Recht, fremde Sklaven herum zu kommandieren, aber sie gehörte offenbar zu denen, die so dachten – und ihre eigene Sklavin würde es ausbaden müssen, wenn sie einfach gingen. Elena unterdrückte ein Seufzen. Eigentlich hatte sie wenig Lust darauf, herumzustehen und zuzusehen, während andere den Spaß beim Einkaufen hatten, aber ein letzter Blick auf den mitleidsheischenden Blick der Sklavin, und Elena zuckte schließlich mit den Achseln. „Meinetwegen“, brummte sie vor sich hin, während sie sich an Ziaar wandte, der sie gerade auf Griechisch ansprach. „Na ja, sie will… also ihre Herrin will was für ihren Bruder kaufen, weiß aber nicht was ihm passt… Und sie will dass du die Sachen anprobierst. Hm.“ Elena kaute kurz auf ihrer Unterlippe herum. „Also nur dass du Bescheid weißt, wenn du nicht möchtest, musst du das nicht. Nur weil wir Sklaven sind, heißt das nicht, dass uns jeder Römer rumschicken kann wie’s ihm passt. Aber hier…“ Sie sah kurz zu der anderen Sklavin. „Na ja, ihre Herrin gehört wohl zu denen, die es denken. Wir könnten gehen, aber sie müsste es dann ausbaden, deswegen würd ich vorschlagen, machen wir’s einfach… Zeit genug haben wir. Was meinst du?“

    „Vollstens zur Verfügung… Etwas anderes würde ich auch nicht erwarten.“ Seiana erwiderte seine Verbeugung mit einem angedeuteten, dafür aber umso huldvolleren Neigen des Kopfes, und grinste anschließend breit. „Ja, also… Obst hätte ich da. Ah ja, und Gebäck. Wenn du mehr möchtest oder etwas anderes, kann ich Elena Bescheid sagen, dass sie noch etwas holen soll.“ Seiana holte von einem Tisch an der Wand eine Schüssel, die gefüllt war mit den unterschiedlichsten Obstsorten, und eine flache Schale, in der Kleingebäck angerichtet war, stellte beides auf den Tisch bei den Sesseln und schenkte dann sowohl ihrem Bruder als auch sich Wein ein, bevor sie sich ebenfalls setzte. Für einen Moment damenhaft, wohlerzogen, wie es sich gehörte für eine Frau ihres Standes, aber im nächsten Moment wurde ihr bewusst, dass sie das bei Serapio gar nicht musste. Mit den Armen stemmte sie sich noch einmal kurz hoch und zog mit Schwung die Beine auf den Sessel, so dass sie nun darauf saß, den Oberkörper leicht zur Seite geneigt.


    Neugierig musterte Seiana den Beutel, bevor sie wieder zu Serapio sah. „Ja, Tsiáhar ist angekommen. Das Schwert hat Meridius in Verwahrung genommen, wenn du es möchtest. Sonderlich viel habe ich nicht mit ihm zu tun, aber Elena meint, er ist nach wie vor… sehr schweigsam und zurückhaltend.“ Was vermutlich kein Wunder, bedachte man die Umstände, unter denen er Sklave geworden war – aber darüber wollte Seiana sich jetzt keine Gedanken machen, stattdessen beobachtete sie gespannt, wie ihr Bruder aus dem Beutel einen mit Stoff umschlagenen Gegenstand hervorzog. Anschließend weiteten sich ihre Augen, als nach und nach die filigrane Statue zum Vorschein kam, gearbeitet aus Alabaster, Figur, Haare, alles kunstvoll bis ins kleinste Detail gefertigt, mit einer kleinen Mondsichel im Haar und zwei Mondsteinen als Augen. Serapio stellte sie auf den Tisch, und Seiana streckte die Hand aus, um sie zu berühren, hielt dann aber inne. Ihre Hand verharrte kurz vor der handgroßen Statue, blieb in der Luft hängen, als Seiana für einen winzigen Moment das Gefühl hatte, dass es falsch wäre, die Figur in die Hand zu nehmen. Schließlich berührte sie sie doch, aber ihre Finger strichen nur sacht über das Haar bis zu der Mondsichel, wo sie erneut verharrten, bevor Seiana die Hand wieder zurückzog und ihren Bruder anlächelte. „Sie ist wunderbar, Serapio.“


    Seiana war so vertieft in den Anblick dieser zarten Frauengestalt, dass sie im ersten Moment das Klopfen nicht wahrnahm – erst als Serapio sich neben ihr bewegte und zur Tür sah, realisierte sie, dass wohl jemand geklopft hatte. „Herein?“ Seianas Blick wurde wieder von der Statue angezogen, während sie wartete. Elena oder einem anderen Sklaven hätte diese kurze Aufforderung genügt, um einzutreten, aber als nach einem Moment keine Antwort kam, stand sie auf, um selbst die Tür zu öffnen – nur stand davor niemand mehr. Seiana warf einen kurzen Blick nach links und rechts, aber auch der Gang war leer. Mit einem erstaunten Achselzucken wandte sie sich um und sah Serapio mit einer Mischung aus Verwunderung und leichter Verwirrung an. „Keiner mehr da.“

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    Der alte Ianitor der Casa Decima Mercator schüttelte kurz den Kopf und grübelte, ob es tatsächlich geklopft hatte oder ob er sich verhört hatte. Dann allerdings ging er doch langsam zur Tür, um nachzusehen – sicher war sicher, und auch wenn er alt war, seinen Dienst verrichtete er immer noch vorbildlich. Nur konnte es manchmal schon etwas dauern, bis er die Tür wirklich erreicht hatte…


    Schließlich aber schwang sie auf, und Marcus blinzelte nach draußen und musterte den jungen Mann, der davor stand. "Salve. Wie kann ich dir helfen?"

    Seiana fiel durchaus auf, dass ihre Erwiderung auf seinen Scherz eher Überraschung auslöste, und sie unterdrückte ein Seufzen und ermahnte sich nur stumm, sich zurückzuhalten. Im Grunde hatte sie sich daran gewöhnt, wohlerzogen und anständig zu sein, aber es gab Tage, an denen verfluchte sie die Tatsache, dass sie sich selten so geben konnte wie sie war, weil anderes von ihr erwartet wurde. Trotzdem ging sie nun einfach darüber hinweg und sprach weiter, als ob nichts gewesen wäre – jetzt noch darauf einzugehen und sich etwa zu entschuldigen hätte sie vermutlich erst wirklich in eine peinliche Lage gebracht.


    Seiana warf einen kurzen Blick auf die Sklaven des Aureliers, zu denen sich inzwischen Elena gesellt hatte und dort geduldig wartete. Eine Augenbraue zuckte kurz nach oben, als Seiana ihre Leibsklavin sah, die dieses Mal offenbar tatsächlich nur das auf den Märkten getan hatte, was sie wollte, und nicht noch herumgeschlendert war. In Gedanken nahm sie sich vor, irgendwann in der nächsten Zeit mit Elena wirklich einkaufen zu gehen – Rom bot tatsächlich viele Möglichkeiten, die sie bisher noch kaum genutzt hatte, und zumindest Elena tat sie damit einen Gefallen. Der Blick auf die Sklaven währte aber nur kurz, dann wandte sie sich wieder dem Mann neben ihr zu. „Ich muss gestehen, dass ich das nicht ganz verstehen kann. Für die Acta schreiben zu können ist doch… ich weiß nicht, natürlich ist es Arbeit, aber es ist doch auch eine Ehre. Und es ist leicht, sich zu beschweren, aber dann nichts zu tun, um es zu verändern.“ Seiana musterte den Aurelier, und langsam breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus, als sie sein Angebot hörte. „Das klingt sehr gut. Wann ist immer der Redaktionsschluss? Und wo erfahre ich, welche Themen frei sind?“

    Nachdem Faustus verschwunden war, hatte Seiana sich dem Essen gewidmet und dann wieder zurückgezogen – nur um ungeduldig darauf zu warten, dass ihr Bruder endlich kommen würde. Das hieß, eigentlich war sie hin und hergerissen, mal ließ sie ihrer Ungeduld freien Lauf, lief in ihrem Zimmer hin und her und wusste nicht so recht, was sie mit sich anfangen sollte, mal bemühte sie sich, sich zusammenzureißen und sich, nun ja, zu benehmen. Aber wirklich konzentrieren konnte sie sich ohnehin auf nichts, und so war sie schon bald wieder auf den Beinen und räumte im Zimmer herum und beschäftigte sich einfach irgendwie.


    Dann, schließlich, endlich klopfte es, und ohne eine Antwort abzuwarten kam Faustus in ihr Zimmer, wesentlich gepflegter noch als zuvor, aber das war ihr völlig egal – er hätte auch völlig heruntergekommen aussehen können, und sie hätte trotzdem nur das Strahlen in seinen Augen gesehen. Sie ließ die Schriftrollen fallen, die sie gerade zum dritten Mal umsortiert hatte, und kam ihm entgegen, um ihn noch einmal zu umarmen. „Hab ich dir schon gesagt, wie schön es ist, dass du bist? Und ich hoffe für dich, dass du wirklich noch Zeit hast und nicht schon bald wieder zurück musst, sonst kannst du was erleben“, drohte sie ihm scherzhaft, noch während sie ihn an sich drückte. Dann ließ sie ihn wieder los und zog ihn an der Hand hinüber zu der kleinen Sitzgruppe am Fenster, während sie neugierig auf den Beutel sah, den er schwenkte. „Ach was, sag bloß… Hast du mir was mitgebracht? Irgendwas… Parthisches, würde ich sagen? Schmuck vielleicht?“ Seiana grinste. „Komm setz dich, willst du was trinken? Oder hast du noch Hunger?“