Beiträge von Decima Seiana

    Seianas Augenbrauen wanderten ein winziges Stück nach oben. Der Duccius hatte eine sehr eigenwillige Art, Komplimente zu machen, fand sie, aber sie nickte nur darauf. Obwohl sie sich mehr und mehr von diesem Mann abhängig machte, war sie doch erleichtert, dass er zustimmte. Sie brauchte ihn einfach. So ungut es war, sich von einem Mann so abhängig zu machen, und so bitter das in gewisser Hinsicht auch für ihren Stolz sein mochte, aber sie brauchte ihn. Und immerhin: er verhielt sich neutral ihr gegenüber. Er behandelte sie nicht wirklich als Gefangene, als jemand, der auf seine Hilfe angewiesen war – seit seine erste Forderung vom Tisch war, hieß das. Seiana half das durchaus, um sich leichter damit abzufinden.


    Schweigend hörte sie ihm im Anschluss zu, wie er mögliche Ansprechpartner durchging... und als er zu Aurelius Lupus, seiner Base und ihrem Bruder kam, sah Seiana ihn überrascht an. „Er hat was?“ Sie konnte nicht recht glauben, was sie da gehört hatte... warum hätte Faustus eine Aurelia mitnehmen sollen auf den Feldzug? Was um alles in der Welt konnte diese getan oder gewusst haben, dass er das für nötig hielt?
    „Die Germanici...“ führte sie dann seine Überlegungen weiter. „Ich würde mich nicht auf sie verlassen. Avarus ist zwar mit meiner Tante verheiratet, aber er war vor mir Rector, und das viele Jahre lang... und er hat die Schola Atheniensis geprägt, sie als Institution immer hochgehalten und um jeden Preis gegen äußere Einflüsse verteidigt. Ich glaube kaum, dass er begeistert davon sein wird, sie abzuschaffen.“ Sie nippte nachdenklich an ihrem Weinbecher, unschlüssig, ob sie Flavius Gracchus zumindest erwähnen sollte. Allerdings... wenn sie dem Mann ohnehin schon alles in die Hände legte, was die nahe und mittelfristige gesellschaftliche Zukunft der Decimi anging, konnte sie ihm auch alles anvertrauen. „Flavius Gracchus.“ Sie räusperte sich. Einer der führenden Köpfe der Verschwörung... wenn man den Proskriptionslisten des Vescularius trauen durfte. „Er hat während der vergangenen Monate Unterschlupf in der Casa Decima gefunden. Sollte er sich allerdings dazu entscheiden, sich im Gegenzug für die Decimi einzusetzen, will ich dass seine Fürsprache in erster Linie meinem Bruder zugute kommt.“ Sie deutete ein Achselzucken an. „Der Weg über den Kaiser ist vielleicht nicht der schlechteste... aber auch das hängt davon ab, wie Cornelius seine Regentschaft angeht.“

    Seiana lehnte sich erneut an die Brüstung, diesmal mit dem Ziel, sich ein wenig zu entlasten. Es ging ihr weit besser als noch vor wenigen Tagen, aber so gut dann doch wieder nicht, dass sie die ganze Zeit stehen konnte, ohne es zumindest zu spüren. Die frische Haut an ihren Füßen war noch empfindlich und ohne den Schutz von Hornhaut, und auch sonst wurde sie immer noch schneller müde als normalerweise. Auf den Stuhl wollte sie sich allerdings auch nicht setzen... es stand nur einer da, und sie wollte sich in diesem Gespräch ungern physisch auf eine andere Ebene begeben. Es reichte schon, dass sie sonst nicht auf Augenhöhe mit dem Duccius war, weil sie seine Gefangene war. Sie musste sich nicht auch noch die Blöße geben, Schwäche zu zeigen.


    „Das ist mir durchaus klar, Duccius“, antwortete sie. Langsam drehte sie den Weinbecher in ihren Händen und überlegte. Sie konnte seine Hilfe gut gebrauchen, wenn sie eine Reform der Schola erreichen wollte... verdammt gut sogar. Dass es dann letztlich sein Projekt werden würde, dass er die politischen Lorbeeren ernten würde, wenn es durchkam, war ihr klar, ließ sich aber nicht ändern. Wenn sie selbst Klinken putzen ging, würde das nicht einmal einen Bruchteil dessen bringen, was der Duccius erreichen könnte. Selbst wenn die Decimi anders da stehen würden, wäre es von Vorteil gewesen sich der Hilfe wenigstens eines Senators zu versichern, der sie im Vorfeld schon unterstützte. Es war ihr nur nicht sonderlich angenehm, dass sie sich in allen Belangen nur auf den Duccius verließ... verlassen musste. Es machte sie so abhängig von nur einer Person. Aber Tatsache war auch, dass ihr kein anderer einfiel, den sie fragen könnte, selbst wenn sie nicht gefangen wäre. Die Bande zu den Aureliern waren seit Corvinus' Tod ziemlich eingeschlafen, auch wenn sie vielleicht auf Ursus zugehen könnte, der immerhin mit Mattiacus recht gut befreundet gewesen war. Und dann war da noch Flavius Gracchus... aber was auch immer dieser vielleicht – oder auch nicht – für die Decimi zu tun gedachte: Faustus musste der Nutznießer sein. Abgesehen davon, dass ihr Bruder es gewesen war, der den flavischen Senator bei ihnen versteckt hatte, hätte Seiana es auch dann nicht anders gewollt, wenn sie es gewesen wäre. Es ging darum, sein Leben zu retten. Dieser Trumpf war einer, der einzig und allein für Faustus ausgespielt werden musste. Wenn es denn überhaupt ein Trumpf war.


    Seiana atmete tief ein und strich nachdenklich über den Becher. „Ich bin überzeugt davon, dass mein Konzept tragfähig sein wird. Ich muss es noch ausbauen... und mit ein paar Mitarbeitern der Schola besprechen, ihre Ideen anhören, von ihnen prüfen lassen, es verfeinern. Aber es wird funktionieren.“ Sie sah ihn an. „Vertraust du meiner Arbeit genug, um die politische Ebene zu übernehmen?“ Nicht dass sie davon ausging, dass er einfach blind alles übernehmen würde, was sie sagte – allerdings hatte sein Kommentar zuvor schon deutlich gemacht, dass er sich zumindest für Details eigentlich nicht sonderlich interessierte. Was wiederum hieß, dass er sich auf ihre Zusammenfassungen verlassen müsste... oder er hatte sonst noch jemanden an der Hand, den er ihr aufs Auge drückte und mit dem sie zusammenarbeiten sollte, oder der zumindest ihr Konzept prüfen würde.

    Und die, die nicht schon mit angestellt waren? Die jeweiligen Vorbesitzer hatten an Seiana alle Sklaven übertragen, die in ihrem Besitz waren, und das waren einige - und ich weiß schon von drei Betrieben, die eigentlich 9 Sklaven hätten bringen müssen, bei denen aber nur 1 angestellt war und übertragen wurde. Gibt es da eine Möglichkeit, diese Sklaven eben auch noch zu übertragen?

    Da fällt mir grad noch auf: die Sklaven der jeweiligen Vorbesitzer wurden damals auch weiter gegeben. Könnten die bitte jetzt auch noch mitübertragen werden? Falls es einfacher ist, könnten auch alle an Seiana überschrieben werden, dann übernehm ich die Verteilung.

    http://img261.imageshack.us/img261/6518/raghnall.png Kaum dass Seiana von den Soldaten fortgebracht worden war, war Raghnall schon wieder in der Insula verschwunden – und nur kurze Zeit später kam er, Álvaro im Schlepptau, wieder heraus. Die Amme, die Sklavin, Bran, das musste erst mal reichen, auch wenn er das Kind irgendwie ein bisschen ins Herz geschlossen hatte – kein Wunder, wenn sich seine Mutter schon so emotionslos zeigte. Aber später konnte er immer noch nach dem Rechten sehen... jetzt war erst mal wichtig zu sehen, was die Decima gemeint hatte mit: Aton. Er ist Senator. Wenn dieser Aton tatsächlich Senator war, konnte er nur einer sein, der unter Vescularius hatte verschwinden müssen – und damit war er einer, der jetzt, wo Cornelius gewonnen hatte, auf der Sonnenseite des Lebens stand. Einer, der den Decimi helfen konnte... vielleicht helfen würde. Immerhin hatten sie ihn bei sich versteckt, während all dieser Zeit.


    Raghnall sah also zu, dass Álvaro und er schleunigst zur Casa Decima kamen, und als sie dort den Mob sahen, der sich davor versammelt hatte, fackelten sie nicht lange und umrundeten das Haus, um Lieferantenzugang beim Stall zu nutzen... der, insofern hatten sie Glück, tatsächlich nicht belagert wurde von irgendwelchen Menschen, die irgendwas kaputt hauen wollten. Zuerst wollten die Veteranen hinter der Tür auch sie nicht reinlassen... aber nachdem sie sie erkannt hatten, und sich vergewissert hatten, dass es in der Nebengasse nach wie vor ruhig war, wurde die Tür geöffnet – und hinter ihnen gleich wieder verrammelt. Von den Veteranen erfuhr er auch eine Kurzzusammenfassung dessen, was passiert war... und wo er die Bewohner finden würde. Wo sie zu finden sein sollten, jedenfalls, wenn sie sich alle an die Anweisung gehalten hatten. Mit schnellem Schritt kam Raghnall also in den Stall, und tatsächlich, da sah er den Mann, der als Aton nun schon geraume Zeit in der Casa Decima gelebt und sich um die Bücher gekümmert hatte. Einer der Decimi stand bei ihm, einer der jungen, die Raghnall sowieso nicht so wirklich ernst nahm. Er nickte dem Decimus zu und wandte sich dann an den anderen Mann... Aton. Den Senator. Wenn seine Herrin Recht hatte. „Entschuldigt...“, machte er erst mal auf sich aufmerksam, überlegte flüchtig, wie er vorgehen sollte... und beschloss dann, einfach mit der Tür ins Haus zu fallen. „Senator. Ich muss dich sprechen.“





    SKLAVE - DECIMA SEIANA

    Irgendetwas, was sie gesagt hatte, schien den Mann zu irritieren. Seiana wusste nicht, was es war... aber seine Reaktion war zu sehen. Sie grübelte darüber nach, was sie wohl Falsches gesagt haben mochte, aber es wollte ihr nicht einfallen, was es gewesen sein könnte. „Es ist immer leichter, ein Vorhaben in Worte zu fassen als es in die Tat umzusetzen...“ antwortete sie, aber es war im Grunde nur eine leere Worthülse, weil sie nicht recht wusste was sie antworten sollte. Und war dann erst recht perplex, als er das Gespräch plötzlich abwürgte und auf seine Pflichten verwies. Für lange Momente stand sie da und sah ihn nur an... unschlüssig, was sie tun sollte. Seit sie wieder in die Casa gezogen war, war er der erste Mensch, mit dem sie sich wirklich unterhalten hatte. Und sie hatte festgestellt, dass es ihr gut getan hatte... auch wenn sie sich noch nicht der Familie stellen wollte, tat es ihr doch gut, ein wenig Gesellschaft zu haben.
    Seine Worte allerdings machten deutlich, dass er kein Interesse mehr daran hatte, die Unterhaltung fortzuführen, aus welchen Gründen auch immer... und Seiana sah sich im Augenblick nicht in der Lage, ihm eine aufzuzwingen. Vermutlich hätte sie es nicht einmal dann getan, wenn es ihr gut gegangen wäre, denn obwohl er nicht gekleidet war in Senator, nicht hergerichtet war wie ein Senator, war er dennoch einer – und in diesem Moment wirkte er auch wie einer auf sie. „Wie du wünschst“, murmelte sie also nur schließlich, neigte leicht ihren Kopf und wollte schon verschwinden... hielt dann aber doch noch mal inne. Wieder wusste sie nicht so recht, woran es lag. Vielleicht hatte sie tatsächlich nur das Bedürfnis, noch etwas zu sagen, sich zu entschuldigen. Vielleicht war sie sich aber auch nur einfach nicht sicher, ob sie in die Einsamkeit ihres Cubiculums zurück wollte. Ob sie sie ertragen würde. „Verzeih bitte, wenn ich etwas Unangemessenes gesagt habe. Ich wollte dir nicht zu nahe treten.“

    Seiana musterte ihn ein wenig irritiert bei seinem Ausbruch. Immerhin hatte sie bereits deutlich gemacht, dass sie sich keine Hoffnungen machte, was sie selbst betraf... aber das hieß ja noch nicht, dass sie es nicht wenigstens versuchen konnte, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Ein großes Projekt mochte riskant sein, weil sie endgültig weg vom Fenster sein würde, wenn Cornelius ablehnte... aber wenn es funktionierte, konnte es ihren Hals retten, im übertragenen Sinn. Und sie glaubte einfach nicht daran, dass in ihrem Fall irgendwelche kleinen Schritten sonderlich viel brachten. Entweder sie kam mit einem Knall zurück, oder gar nicht, einen anderen Weg sah sie nicht wirklich. „Ich hatte die letzten Tage ausgiebig Zeit, mir Gedanken zu machen, Duccius“, konterte sie mit einem leicht ironischen Unterton. „Wie du bereits sagtest... alles hängt von Cornelius ab. Falls er einige Dinge neu strukturieren möchte, würde sich in meinen Augen die Schola anbieten, wo so einige Strukturen verkrustet sind. Wenn ihm dabei mein Vorschlag gefällt, kann es meiner Familie und unserem Stand nur nutzen. Wenn nicht, glaube ich kaum dass ich es noch schlimmer mache durch einen simplen Vorschlag, der dem Staat nebenbei einiges an Geld in die Kasse spülen wird.“ Nicht dem Cornelius persönlich. Eigentlich nicht, hieß das, aber natürlich stand es dem Kaiser frei, auch seine Privatkasse nebenbei zu füllen, wenn er das für angemessen hielt. „Die Schola ist derzeit sehr strikt organisiert... Es zählt kaum, welche Vorbildung ein Bürger mitbringt. Genauso wenig zählt, welche Bildung er sich bei Lehrenden aneignet, die nicht in der Schola lehren oder zumindest von ihr abgesegnet sind. Diese Formen sollten in meinen Augen mehr Anerkennung erfahren.“ Sie deutete ein Achselzucken an. „Was am leichtesten umzusetzen ist, wenn es keine Institution mehr gibt, die sich und ihre Absolventen von vornherein für etwas besseres hält.“ Was in der Vergangenheit durchaus das ein oder andere Mal der Fall gewesen war. „Sondern nur noch eine, die die Bildung, gleich wo oder von wem sie erworben wurde, anerkennt, sofern sie einen gewissen Standard erfüllt.“


    Bezüglich Aquilas nickte Seiana nur noch leicht. Sie wusste nicht genau, wann er nach Rom reisen würde, aber da der Krieg an sich vorbei war, da der Cornelius gesiegt hatte und hoffentlich bald endgültig wieder Ruhe eingekehrt war, konnte es nicht mehr allzu lange dauern.

    Und wieder: Faustus war abgeschrieben. Seianas Herz blutete bei dem Gedanken daran, mit jedem Mal, dass der Duccius diese Tatsache erwähnte, ein bisschen mehr. Sie würde alles dafür geben, wenn sie nur ihren Bruder retten könnte. Und als er die Loyalität der Decimi zu Rom infrage stellte, hatte Seiana für einen Augenblick Mühe, sich zu beherrschen. Ihre Familie war nichts, wenn nicht loyal zu Rom. Alles was sie waren, alles was sie hatten, hatten sie Rom zu verdanken. Und Rom stand und fiel nicht mit einem einzelnen Kaiser, der durch einen Bürgerkrieg abgesetzt wurde, gleich ob das nun rechtens gewesen war oder nicht. Loyalität zu Rom bedeutete so viel mehr, als loyal zu einem Kaiser zu sein... Der Duccius musste das wissen, genauso gut wie sie.


    Aber sie sagte nichts dazu. Er hatte Recht, was die römische Gesellschaft betraf. Die Sieger dieses Kriegs. Es war völlig egal, wie loyal und aufrichtig die Decimi waren, sie hatten sich auf die falsche Seite geschlagen, das war das einzige, was im Augenblick zählte. „Ich mache mir keine Hoffnungen, dass ich diese Angelegenheit unbeschadet überstehe, Duccius. Auch wenn ich es gerne würde.“ Zum ersten Mal glitt so etwas wie ein Lächeln über ihre Züge, auch wenn es kein sonderlich fröhliches war. „Ich dachte daran, dem Cornelius eine Reform Schola Atheniensis vorzuschlagen. Sie hat ein großes Vermögen angehäuft im Lauf der Zeit, da sie von der Steuerpflicht befreit war... im Zuge der Reform könnte dieses Vermögen der Staatskasse übertragen werden, was nach den Ausgaben für den Krieg sicherlich von Nutzen sein wird. Meinen Posten in der Schola würde ich dabei aufgeben. Was die Acta angeht... ich hatte vor Cornelius zu bitten, mich als Auctrix zu belassen, um ihm meine... Loyalität beweisen zu können. Ich habe mich immer um eine gewisse Ausgewogenheit bemüht, selbst in letzter Zeit, als die Acta von Vescularius an die Kandare genommen wurde.“ Immerhin war sie schon in der Acta gewesen, als noch Divus Iulianus Kaiser gewesen war, und als Auctrix war sie unter Ulpianus eingesetzt worden – nicht von Vescularius. „Wenn Cornelius meiner Bitte nicht stattgibt... wird es so sein.“ Sie zögerte einen winzigen Moment und gab sich dann einen Ruck. „Sofern es nicht die Chancen meiner Verwandten beeinträchtigt, rehabilitiert zu werden, würde ich mich natürlich ebenfalls über deine Fürsprache freuen, sofern das möglich ist.“


    Sie stieß sich von der Brüstung ab und nahm sich einen Becher, in dem sie ein wenig Wein mit Wasser verdünnte. Dass er einem Tirocinium fori positiv gegenüber stand, ließ sie zum ersten Mal etwas positiver denken. „Marcus Aquila“, antwortete sie auf seine Frage. „Enkel des Meridius. Nach meinen letzten Informationen aus Tarraco brennt er darauf, nach Rom zu kommen und den Cursus honorum zu beschreiten. Wäre der Bürgerkrieg nicht ausgebrochen, wäre er wohl schon hier.“ Sie trank einen Schluck und deutete dann ein Kopfschütteln an. „Nein, dabei nicht. Allerdings gibt es einige junge Decimi, sowohl in Rom als auch in Tarraco, die für eine künftige eheliche Verbindung geeignet wären.“

    Seiana hörte sich schweigend an, wie der Duccius Stück für Stück abarbeitete, wenn sie aufzählte. Es klang nicht allzu schlecht, was er sagte – sah man von ihrem Bruder ab. Es war nicht so, dass sie eine andere Auskunft erwartet hätte... trotzdem schloss sie für einen Moment die Augen und lehnte sich nun selbst an die Brüstung, während sie weiter zuhörte. Sie wollte nicht wahrhaben, dass es für Faustus den Tod bedeuten konnte. Sie konnte sich noch nicht einmal wirklich mit dem Gedanken befassen. Sie konnte einfach nicht. „Das ist mir klar“, murmelte sie schließlich, als der Duccius damit endete, dass all diese Dinge letztlich vom Cornelius abhingen, davon, wie dieser gedachte seine Regentschaft anzutreten. Wenn er wollte, dass Köpfe rollten, würde es nichts geben, was der Duccius würde tun können. „Was auch immer machbar sein wird für dich.“


    Seiana räusperte sich. „Unabhängig davon, was machbar ist, um diejenigen meiner Verwandten zu schützen, die vom Vescularius profitiert haben“, ohne sich selbst zu erwähnen, fuhr sie fort, „ich möchte meine Familie ganz generell so weit aus der Schusslinie nehmen wie möglich. Ich möchte den Decimi, die nichts mit dem Krieg oder Vescularius zu tun hatten, einen... Start in Rom ermöglichen, der so unbelastet wie möglich ist. Wenn du einen jungen Decimus bei dir ein Tirocinium fori ableisten lässt, wäre das sicher ein Signal.“ Und eine Hilfe, denn im Augenblick jemanden zu finden, der einen Decimus aufnahm für ein Tirocinium, würde sehr schwierig werden. „Und ich dachte daran, mittelfristig wieder eine Verbindung durch eine Ehe herzustellen. Um das Band der Freundschaft auch in Rom für alle sichtbar zu machen.“

    Seiana reagierte kaum auf seine Worte. Es gab ohnehin nichts, was Seneca tun konnte... oder was er hätte tun können, wäre er in Rom gewesen zum Zeitpunkt der Scheidung. Davon abgesehen war auch der Terentius und die Scheidung etwas, woran sie nicht wirklich denken, woran sie sich nicht erinnern wollte. Also sagte sie einfach gar nichts, sondern blieb nur sitzen wie sie war... bis der Soldat, der sie die ganze Zeit beobachtet hatte – was Seiana jetzt erst so wirklich mitbekam –, Seneca zum Gehen aufforderte. Sie strich flüchtig noch einmal über seinen Handrücken, bevor sie sich zurücklehnte auf der Pritsche und sich innerlich verschloss, abhärtete gegen die Einsamkeit, die gleich wieder über sie hereinbrechen würde.

    Mit einem weiteren Nicken nahm Seiana seinen Kommentar hin, auch wenn insbesondere sein Dank in ihren Ohren wie Hohn klang. Ihr Blick fiel ein weiteres, ein letztes Mal auf die Tabula. Auf der sie selbst unterzeichnet hatte, was sie für so grundfalsch hielt, nach wie vor, und von dem sie nach wie vor glaubte, dass es das einfach nicht wert war – dass nichts es wert sein würde, was der Tribun ihr nun bieten mochte. Die Decimi würden sich wieder aufrappeln, ob mit oder ohne Hilfe des Duccius, es würde nur länger dauern ohne ihn. Die Kinder hingegen würden verloren sein. Sie würden als Duccii aufwachsen, wenn nicht mit dem Namen, dann doch dem Gefühl nach. Sie würden sich nicht als Decimi sehen, sie würden die Bindung zu ihrer eigentlichen Familie und das Wissen über ihren hispanischen Ursprung verlieren. Und so wie die Dinge im Moment standen, würden alle glauben, dass sie ihr Einverständnis dazu gegeben hatte... keiner würde die Duccii als das sehen, was sie wirklich waren: Menschen, die einen Dreck auf Familie gaben, und die nicht davor zurück scheuten, das römische Recht zu umgehen und der Familie eines toten Römers dessen Kinder wegzunehmen. Momente lang haderte sie erneut mit sich... und war kurz davor, die Tabula zu nehmen und sie die Brüstung hinunter zu werfen. Was sie davon abhielt, war letztlich dieser einer Gedanke, den sie stets gehabt hatte: dass ihr Bruder dafür gewesen wäre. Dass er keinen Gedanken daran verschwendet hätte, wo die Kinder eigentlich hingehörten, sondern sie Venusia anvertraut hätte.


    Das änderte nun nichts daran, was Seiana empfand, und dass sie sich selbst anwiderte, weil sie diese Forderung erfüllte. Aber wenn sie schon so tief sinken musste, auf diese Art mit ihrer Familie umzugehen, dann würde sie wenigstens alles nutzen, was sich daraus an Vorteilen für sie ergab. Und das war in ihren Augen einiges. Der Duccius konnte kein Interesse daran haben, dass je bekannt wurde, was hier wirklich gelaufen war... und er konnte die Kinder nicht als Geisel verwenden. Wenn Seiana sich einer Sache sicher war, dann dass Venusia nicht zulassen würde, dass den Kindern etwas zustieß. Womit diese nun allerdings zu einem Pfand wurden, das für die Decimi arbeitete – nicht für die Duccii. Ein Schritt aus der Reihe, eine Aktion gegen die Decimi... und sie würde diesen Schrieb widerrufen – was nur umso leichter wurde, wenn er darauf verzichtete, einen männlichen Verwandten der Kinder unterzeichnen zu lassen, einen, der nach römischem Recht auch tatsächlich die Vormundschaft hatte. Sie würde bekannt machen, dass die Duccii die Kinder ihrer Familie gegen deren Willen entrissen hatten, und ein Kopfgeld darauf aussetzen, dass sie wieder dorthin gebracht wurden, wo sie wirklich hingehörten. Ganz egal wie sehr am Boden die Decimi im Moment sein mochten: jeder Römer würde in dieser Sache ihrer Meinung sein. Kinder hatten nichts bei der Familie der Mutter zu suchen, sie gehörten zur Familie des Vaters, und wenn bekannt wurde, wie die Duccii sich Magnus' Kinder geholt hatten, würden sie nicht viel mehr als Verachtung in der römischen Öffentlichkeit dafür erfahren. Ganz davon abgesehen, dass es möglichen politischen Feinden der Duccii Munition in die Hand gab. Nein. Duccius Vala tat besser daran dafür zu sorgen, dass sie nie einen Grund hatte publik zu machen, wie Magnus' Kinder wirklich in die Obhut seiner Familie gekommen waren.


    Seiana trat einen Schritt von dem Tisch zurück, als dieser abgeräumt und neu gedeckt wurde, das Siegel ihrer Familie immer noch in ihrer Hand, ihre Miene immer noch ausdruckslos. „Die Haftbedingungen meines Bruders und des anderen Decimus' – Varenus, wenn ich mich nicht irre. Können sie verbessert werden?“ Was auch immer in der Macht des Duccius' stand... dass er zumindest ihren Bruder aber kaum aus dem Carcer herausholen würde können, war auch Seiana klar. „Decimus Varenus war bislang in der Kanzlei tätig, er ist Klient von Pompeius Imperiosus, Procurator a libellis. Ich gehe davon aus, dass er gerne weiterhin in der Kanzlei tätig sein möchte. Decimus Massa, Centurio der Classis Misenensis und ausgezeichneter Veteran des Feldzugs gegen die Blemmyrer in Aegyptus... es wäre schade, würde seine militärische Laufbahn beeinträchtigt. Mein Bruder...“ Seiana zögerte kurz, und zum ersten Mal schwankte ihre Stimme, huschte ein Schatten über ihr Gesicht. Sie wusste nicht, was der Duccius für machbar hielt, aber er hatte zunächst ganz allgemein nachgefragt, wer wo saß, wer Hilfe brauchte... oder sie verdiente. Dennoch war auch ihr klar, dass er kaum etwas würde tun können für ihren Bruder. „Wenn er nicht zu Tod oder Exil verurteilt werden würde, würde ich das sehr begrüßen.“

    Seiana war im Moment nicht wirklich in der Lage darauf zu achten, wie Seneca wohl auf ihre Worte oder ihr Verhalten reagierte – geschweige denn sich so zu geben, wie man es wohl von ihr erwarten würde. Sie dachte noch nicht einmal daran, dass es vielleicht seltsam wirken mochte. Er kam allerdings wieder auf das Kind zu sprechen, gerade, als sie die Gedanken abgeschüttelt hatte... und sprach dann noch ein Thema an, das ihr unangenehm war. Seiana schloss die Augen und schwieg einen langen Moment, bevor sie, ohne auf die Sache mit dem Kind zu reagieren, auf letzteres antwortete: „Ich bin nicht mehr verheiratet.“

    „Tatsächlich?“ murmelte Seiana zurück, als der Sklave ihre Antwort zum Anlass nahm, noch mal weit ausführlicher zum Thema Wetter Stellung zu nehmen. Für einen Moment suchte sie sogar nach Worten, nach etwas, was sie hätte erwidern können... den Sklaven sollte sie sich gewogen halten, das war ihr sogar in ihrem Zustand klar. Aber ihr wollte nichts einfallen, nichts von dem höflichen Geplänkel, das ihr sonst mittlerweile so leicht über die Lippen kam, nach jahrelanger Übung. Sie war zu müde... und sie hatte auch nicht wirklich Lust darauf, mit dem Mann jetzt über das Wetter zu reden. Also ließ sie es und griff stattdessen nach der Schüssel, und wie versprochen begann der Sklave nun davon zu reden, was sie wirklich interessierte. Sie nahm noch einen Löffel und bemühte sich, sich auf seine Worte zu konzentrieren. Rom gefallen, das war klar. Aber Soldaten, die wenig beladen waren? Dann gab es scheinbar nur wenig Plünderungen. Was das mit der Castra sollte, darauf konnte sie sich keinen Reim machen, aber das interessierte sie auch weniger, ganz im Gegensatz zum Palast. „Ist Vescularius schon gefasst? Und gibt es Nachricht aus dem Süden, von der Classis Misenensis, den Truppen Cornelius'?“ Gerade davon hatten sie herzlich wenig Nachricht erhalten, selbst vor der Belagerung, und seit die Legionen aus Germania Rom erreicht hatten, war gar nichts mehr durchgedrungen.

    „Ja. Es ist erst zwei Wochen alt...“ Zu jung, um schon zu reisen, selbst wenn nicht gerade Bürgerkrieg geherrscht hätte. Und sie hatte die Anweisung gegeben, dass das Kind erst dann fortgebracht werden sollte, wenn es alt genug war, um eine solche Reise auch gut zu überstehen. „Meine Familie weiß nichts, ich war in einer unserer Insulae im Pomerium, am Tiberufer...“ Sie wollte nicht an das Kind denken. Sie konnte im Augenblick ohnehin nichts tun... und sie wollte so wenig an das Kind denken, wie sie es getan hatte als sie noch in der Wohnung gewesen war. Das war wohl der einzige Vorteil an ihrer momentanen Situation: sie musste sich nicht entscheiden, ob sie es sehen wollte oder nicht, weil ihr diese Entscheidung abgenommen war. Kein Raghnall, der sie damit nervte. Oder einfach mit dem Kind zu ihr kam... Seianas Brauen zogen sich schmerzlich zusammen bei der Erinnerung. Bring es weg, hatte sie gedacht. Ihre eigene Tochter. Sie suchte in sich nach einer Empfindung, aber... da war nur das vage Gefühl, dass sie doch etwas empfinden müsste. Das, und diese Leere.
    Seiana vertrieb diese Gedanken. „Ich bin so froh, dass es dir gut geht.“ Sie lehnte sich wieder nach vorn, brachte ihr Gesicht nah an seins und legte ihre Hände auf seine Brust, seine Schultern. Sie wollte nur, dass er sie hielt, so lange es möglich war.

    Sie war eingeschlafen, nachdem sie keine Tränen mehr übrig zu haben schien... mit schmerzendem Kopf und ausgelaugtem Körper. Und als wäre der Zusammenbruch nötig gewesen, dass sie sich wirklich entspannen konnte, schlief sie deutlich besser als in den vergangenen Wochen. Aber das lag vielleicht auch nur daran, dass sie zum ersten Mal seit Wochen wieder in einem vernünftigen Bett lag.
    Nachdem sie aufgewacht war, hatte sie gebeten zum Balneum gebracht zu werden, und wie der Duccius angeordnet hatte: sie durfte sich frei bewegen. Sie wurde zwar auf Schritt und Tritt bewacht, aber sie durfte sich durch die Castra bewegen – und so wurde sie zum Balneum gebracht, wo sie sich waschen konnte, ausgiebig, in einem einfachen Zuber zwar, aber doch einer, der groß genug war um sich hinein zu setzen, mit erwärmtem Wasser und einfacher Seife. Sie wusch sich den ganzen Schmutz vom Leib und genoss das Gefühl, endlich wieder sauber zu sein, kümmerte sich um ihren Körper, all die Vernachlässigungen, die kleinen und größeren Verletzungen... nur für ihr Gemüt fand sie nicht so schnell etwas, was ihr half. Das Loch in ihr war immer noch da... genauso wie der verletzte Stolz, das schlechte Gewissen, der Schmerz darüber, nun auch noch ihre Familie verraten zu haben.


    Die Bewegungsfreiheit, die man ihr gestattete, nutzte Seiana kaum. In den Tagen, die folgten, suchte sie zwar hin und wieder das Balneum auf, aber im Übrigen blieb sie in dem Zimmer, das man ihr zugewiesen hatte. Sie bekam etwas zu lesen, als sie darum bat, und das war es, womit sie sich hauptsächlich beschäftigte: lesen – und eigene Gedanken aufzuschreiben, wenn auch nichts, was irgendwie tatsächlich von Wert gewesen wäre für jemand anderen zu lesen. Sie gab sich nicht der Illusion hin, dass hier irgendetwas vor fremden Augen sicher wäre.
    Tage vergingen so, und zumindest körperlich begann es ihr tatsächlich besser zu gehen – die Umgebung und das Essen wirkten, und einfache, aber vernünftige Kleidung und ganz generell die Möglichkeit, wieder auf ihr Äußeres zu achten, taten das ihrige dazu. Als es klopfte und ein ihr unbekannter Soldat den Raum betrat, war Seiana also präsentabel – so schlecht ging es selten, dass sie sich körperlich gehen ließ, wenn sie die Möglichkeit hatte darauf zu achten. Trotzdem folgte sie nicht sofort, sondern wartete kurz, bevor sie die Tür öffnete und sich von dem Soldaten durch die Castra und schließlich auf einen der Türme bringen ließ, wo der duccische Tribun schon auf sie wartete.


    Die Fröhlichkeit, mit der er sie begrüßte, irritierte Seiana... und schien ihr reichlich unangemessen zu sein, auch wenn er in einer Position war, in der er sich leisten konnte, sich zu verhalten wie auch immer es ihm gefiel. Sie kontrollierte ihre Miene allerdings sorgfältig, achtete darauf, dass sie unbewegt blieb, dass nichts verriet, wie es in ihr aussah. Zu sehr hatte sie noch daran zu knabbern, was beim letzten Gespräch war, und was durch die Begegnung hier wieder aufgefrischt wurde, und das war ja nicht das einzige, was noch in ihr vorging. Sie wollte nicht, dass der Duccius irgendetwas davon merkte. Sie nickte leicht auf seinen Gruß hin, sagte aber nichts, und sah dann hinüber zu dem Tischchen, auf das er wies. Sie war nicht überrascht von dem, was sie darauf fand, als sie hinging und die Tabula zu sich zog, um sie zu überfliegen. Wenn überhaupt war sie überrascht davon, dass er ein decimisches Siegel hatte... andererseits: drei Decimi hier in Gefangenschaft. Sie konnte kaum davon ausgehen, dass ihr Haus unangetastet geblieben war. Ihre Miene verhärtete sich ein wenig, als sie innerlich wieder einen Stich spürte. Aussichtslose Situation. Verrat an der Familie. Verletzter Stolz.
    Seiana konzentrierte sich darauf, einen Eispanzer um all das zu legen, der verhinderte, dass ihr diese Gefühle in die Quere kommen würden. Sie nahm langsam den Schreibgriffel zur Hand und setzte ihre Unterschrift unter den Text, bevor sie zu dem Siegel griff und das Zeichen der Decimi ins Wachs drückte. „Du solltest zusätzlich noch einen Decimus unterzeichnen lassen. Da die Kinder sich meines Wissens nach im Moment in Tarraco aufhalten würde ich Decimus Livianus empfehlen.“ Wo sein Tonfall fröhlich war, war ihrer kontrolliert neutral. Sie legte die Tabula weg, behielt das Siegel jedoch in der Hand, und sah auf. „Soll ich gleich noch ein Schreiben aufsetzen nach Hispania, dass die beiden wieder hergeschickt werden?“



    Decima Seiana s.d.


    In Anbetracht der Umstände in der sich das Reich und Rom befinden und noch einige Zeit befinden werden sind wir in Rom zu der Erkenntnis gelangt, dass wir jene in Sicherheit wiegen müssen welche sich selbst nicht schützen können. Aus diesem Grund entspricht es auch unserem Willen, dass Decima Sevilla und Lucius Decimus Secundus mit ihrer Mutter Duccia Venusia zu ihrer Familie nach Mogontiacum gehen, um dort als lebendes Band der Decimi und Duccii aufzuwachsen.


    Auf ihrer Reise soll ihr jede Unterstützung angedeihen, die einem Mitglied unserer Familie zuteil würde. Decimi, Klienten und afilii sind angehalten ihre sichere Heimkehr nach Germania zu gewährleisten.


    Dies entspricht unserem Willen.


    [Blockierte Grafik: http://img844.imageshack.us/img844/4183/seianaunterschrift4.png] [Blockierte Grafik: http://img843.imageshack.us/img843/4205/decimatabulasiegel.png]
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    Seiana begriff in diesem Moment gar nicht so wirklich, warum sich Seneca überhaupt für das Kind interessierte. Nicht einmal sie interessierte sich wirklich dafür. Die Frage, was wohl mit ihm passiert war oder wie es ihm ging, berührte sie nur am Rande und bereitete ihr sicher kein Kopfzerbrechen. Wenn sie sich überhaupt erlaubte, darüber nachzudenken, war da eher eine gewisse Form der Erleichterung, dass sie es zur Welt gebracht hatte, bevor sie verhaftet worden war. „Sklaven“, murmelte sie, ein bisschen zusammenhanglos. „Bran. Oder Álvaro. Sie haben es.“ Seiana musterte Seneca, und fast schien es, als könnte sie ihn zum ersten Mal wirklich sehen. Er war tatsächlich hier... ihre Lippen verzogen sich ganz leicht zu etwas, das mit viel Fantasie als Lächeln durchgehen mochte. „Nein.“ Sie glaubte kaum, dass er irgendetwas tun konnte, und sie wollte es auch gar nicht... es reichte schon, dass er das Risiko eingegangen war sie zu besuchen, sie wollte nicht dass er noch mehr auf sich nahm, nur um ihr zu helfen. Sie legte eine Hand an seine Wange. „Du bist lebst, das ist schon genug“, wisperte sie

    Verständig. Verständig. Das Wort echote in ihrem Kopf mit dumpfem Hohn. Sie hatte sich verständig gezeigt. So konnte man es auch nennen. In ihren Augen hatte sie gerade ihre Familie verraten – das einzige, wofür sie in den vergangenen Jahren gelebt hatte. Alles, was sie getan hatte, war für ihre Familie gewesen, dafür, sie zusammenzuhalten und ihren Status zu wahren. Und jetzt... war sie nicht nur gezwungen zuzusehen, wie ein Teil ihrer engsten Familie weggerissen wurde – sie war gezwungen, zur treibenden Kraft dahinter zu werden.
    Mit immer noch versteinerter Miene ließ sie sich zu dem Zimmer in der Castra bringen, wo sie von jetzt an offenbar bleiben würde, und als sie eintrat, mischte sich Erleichterung mit schlechtem Gewissen in ihr. Das hier war nicht nur weit besser als die Zelle, es war sogar besser als die einfache Insula, in der sie die letzten Wochen verbracht hatte. Aber sie wusste auch, womit sie sich das erkauft hatte. Ihr war klar, dass ihr Bruder vermutlich anders dachte, was Magnus' Kinder betraf. Und ihr war auch klar, dass sie keine Wahl gehabt hatte, dass es so oder so so gekommen wäre. Dass die Frage nur gewesen war, ob sie daraus Vorteile schlagen konnte oder nicht, wie der Duccius gesagt hatte... Und dass es unfassbar dämlich gewesen wäre, diese Vorteile auszuschlagen, wenn sie sowieso keine Wahl hatte. Trotzdem fühlte es sich falsch an. Sie hatte in vergangenen Jahren ihre Vorstellungen von Ehre, von Idealen so sehr verbogen, bis sie denen ihrer Jugend nicht mehr vergleichbar waren. Das einzige, was in seiner Wertigkeit für sie gleich geblieben war, wenn überhaupt noch gewonnen hatte, war die Familie gewesen... und für die Familie war es hauptsächlich gewesen, dass sie alles übrige verbogen hatte. Sie hatte sich sogar von Faustus Opportunismus vorwerfen lassen, weil sie dafür plädiert hatte, sich rechtzeitig auf Seiten des Kaisers zu stellen, der gewann. Jetzt auch noch das aufzugeben... diese letzte Bastion in ihr einzureißen, die ihr noch etwas bedeutete, für die sie so viele Opfer gebracht hatte...


    Seiana war zu dem Bett gegangen und hatte sich gesetzt, blieb dann regungslos, die Tür längst geschlossen, und begann schließlich zu weinen, lautlos, nur ihre Schultern zuckten immer heftiger. Die ganzen letzten Wochen hatte sie sich zusammengerissen, sich aufrecht gehalten, um nur ja nicht zusammenzubrechen, weil es einfach nicht möglich gewesen war, nicht mit dem Bürgerkrieg, der Scheidung, der Schwangerschaft. Später dann im Carcer hatte sie sich genauso wenig gehen lassen können, weil alles so... hoffnungslos geschienen hatte, dass sie sich einfach abgekapselt hatte. Jetzt aber, wo sie in diesem Zimmer war mit seinen kleinen Annehmlichkeiten, wo sie zum ersten Mal wieder einen Hoffnungsschimmer sah, wo sie zum ersten Mal spürte, wie die Last der vergangenen Wochen ein wenig von ihr abließ – und wie zugleich ihr schlechtes Gewissen wie ein dumpfer Schmerz an ihr nagte, konnte sie plötzlich nicht mehr. Sie war in letzter Zeit irgendwie ständig an ihre Grenzen gekommen, und jetzt, wo das zumindest für den Moment nicht mehr erforderlich schien... wurde ihr all das zu viel. Wie eine Krankheit, die erst ausbrach, wenn man sich nach einer anstrengenden Arbeit beginnen konnte sich zu entspannen, brach Seiana erst jetzt unter dem Druck zusammen, wo er sich zu heben begann. Ohne es bewusst zu wollen, sank sie zur Seite und zog die Beine an den Körper, und weinte weiter, stumm, aber haltlos. Sie hatte keine Wahl gehabt, das wusste sie. Und es musste jemanden geben, der die Leichen im Keller hatte. In jeder Familie, jeder, die Erfolg haben wollte, musste es so jemanden geben. Seiana war sich nur nicht ganz so sicher, ob sie dauerhaft damit leben konnte, dass sie diejenige für ihre Familie war.

    Er rief schon wieder die Wache, ohne auf ihre Worte zu reagieren... und Seiana begann sich zu fragen, ob das ganz allgemein eine germanische Unart war, oder einfach nur dieser Mann. Wie zuvor allerdings sah sie ihn nur weiter an und wartete ab, was jetzt kam – etwas anderes blieb ihr auch kaum übrig –, und was sie hörte, zeigte ziemlich deutlich, dass diesmal die Unterredung tatsächlich beendet war. Und dass sie nun wohl doch das Richtige gesagt zu haben schien, jedenfalls in den Ohren des Duccius... Seiana versuchte nicht daran zu denken, was das hieß. Nicht daran, was sie noch vor wenigen Momenten gesagt hatte, wozu sie letztlich eingewilligt hatte. Sie wartete nur darauf, bis der Duccius sie endgültig entließ, erhob sich dann und verabschiedete sich mit einem leisen: „Vale“, bevor sie sich umdrehte und sich von dem Soldaten wegbringen ließ.

    Seiana begriff zuerst nicht ganz, was das folgende Schauspiel sollte, und sie sah noch weniger Sinn darin, auch wenn ihr beim Wortwechsel des Duccius mit der Wache dann doch klar wurde, was er wohl bezwecken wollte. Mit einer Miene, die fast noch versteinerter war als zuvor, ließ sie das Schauspiel über sich ergehen, hielt seinem Blick dabei stand und wartete im Grunde nur darauf, dass er sich entschied – ob er sie tatsächlich wieder wegschickte, oder ob er die Wache unverrichteter Dinge wieder gehen ließ.


    Er ließ sie hier bleiben... und verdeutlichte noch einmal, was Sache war. Als ob sie eine Erinnerung gebraucht hätte – wobei: vermutlich hatte sie das, auch wenn sie sich das nur widerwillig eingestand. Sie wollte Magnus' Kinder nicht fortgeben, und sie wollte schon gar nicht diejenige sein, die das ganze auch noch besiegelte. Ginge es nur nach ihr, sie hätte rundheraus abgelehnt. Sie hätte ihm sein Hilfsangebot um die Ohren gepfeffert. Aber der Tribun hatte Recht: so wie die Dinge lagen, würde er es auf die ein oder andere Art durchsetzen können, dass die Kinder den Decimi weggenommen wurden. Und davon abgesehen ging es nicht nur nach ihr... und Faustus würde keine Einwände haben, nicht dagegen – das würde vermutlich sogar die so ziemlich einzige Sache sein, gegen die er nichts einzuwenden haben würde, wenn sie sich mit dem Duccius tatsächlich einig wurde, vermutete sie.
    Aber wie es aussah, wollte ihr der Duccius nicht einmal die Möglichkeit lassen, auf ihren Bruder zu verweisen in dieser Sache. „Was willst du von mir hören, Duccius? Mein Einverständnis zählt nichts im römischen Recht. Das meines Bruders hingegen tut es, und ich habe gerade gesagt: ich bin mir sicher, dass er es gibt. Er nennt Venusia Tante, er weiß, dass Magnus' Kinder bei ihr gut aufgehoben sind.“ Das wusste sie auch. Aber sie gehörten nicht zu ihr. Und sie gehörten nicht nach Germanien. Nie. Magnus' hätte das nicht gewollt, und dass Venusia als seine Witwe keinen Gedanken daran zu verschwenden schien, begriff Seiana nicht. Sie brachte es nicht über sich, einen anderen Gedanken auch nur zuzulassen. Gar nicht zu reden davon, wie unglaublich bitter diese Situation für ihren Stolz war. „Er würde sein Einverständnis so oder so geben, also... wenn du von mir ein ja hören willst: ja. Wenn du von mir hören willst, dass ich mich dafür einsetze, dass Venusia eine Bestätigung meines Bruders bekommt, dass sie im Namen der Kinder entscheiden darf: das werde ich. Wenn du von mir hören willst, dass ich dafür sorgen werde, dass... der Rest meiner Familie erfährt mit welcher Freude wir Magnus' Kinder in die Obhut ihrer Mutter und seiner geliebten Ehefrau übergeben haben: ich werde es tun.“