Sie war eingeschlafen, nachdem sie keine Tränen mehr übrig zu haben schien... mit schmerzendem Kopf und ausgelaugtem Körper. Und als wäre der Zusammenbruch nötig gewesen, dass sie sich wirklich entspannen konnte, schlief sie deutlich besser als in den vergangenen Wochen. Aber das lag vielleicht auch nur daran, dass sie zum ersten Mal seit Wochen wieder in einem vernünftigen Bett lag.
Nachdem sie aufgewacht war, hatte sie gebeten zum Balneum gebracht zu werden, und wie der Duccius angeordnet hatte: sie durfte sich frei bewegen. Sie wurde zwar auf Schritt und Tritt bewacht, aber sie durfte sich durch die Castra bewegen – und so wurde sie zum Balneum gebracht, wo sie sich waschen konnte, ausgiebig, in einem einfachen Zuber zwar, aber doch einer, der groß genug war um sich hinein zu setzen, mit erwärmtem Wasser und einfacher Seife. Sie wusch sich den ganzen Schmutz vom Leib und genoss das Gefühl, endlich wieder sauber zu sein, kümmerte sich um ihren Körper, all die Vernachlässigungen, die kleinen und größeren Verletzungen... nur für ihr Gemüt fand sie nicht so schnell etwas, was ihr half. Das Loch in ihr war immer noch da... genauso wie der verletzte Stolz, das schlechte Gewissen, der Schmerz darüber, nun auch noch ihre Familie verraten zu haben.
Die Bewegungsfreiheit, die man ihr gestattete, nutzte Seiana kaum. In den Tagen, die folgten, suchte sie zwar hin und wieder das Balneum auf, aber im Übrigen blieb sie in dem Zimmer, das man ihr zugewiesen hatte. Sie bekam etwas zu lesen, als sie darum bat, und das war es, womit sie sich hauptsächlich beschäftigte: lesen – und eigene Gedanken aufzuschreiben, wenn auch nichts, was irgendwie tatsächlich von Wert gewesen wäre für jemand anderen zu lesen. Sie gab sich nicht der Illusion hin, dass hier irgendetwas vor fremden Augen sicher wäre.
Tage vergingen so, und zumindest körperlich begann es ihr tatsächlich besser zu gehen – die Umgebung und das Essen wirkten, und einfache, aber vernünftige Kleidung und ganz generell die Möglichkeit, wieder auf ihr Äußeres zu achten, taten das ihrige dazu. Als es klopfte und ein ihr unbekannter Soldat den Raum betrat, war Seiana also präsentabel – so schlecht ging es selten, dass sie sich körperlich gehen ließ, wenn sie die Möglichkeit hatte darauf zu achten. Trotzdem folgte sie nicht sofort, sondern wartete kurz, bevor sie die Tür öffnete und sich von dem Soldaten durch die Castra und schließlich auf einen der Türme bringen ließ, wo der duccische Tribun schon auf sie wartete.
Die Fröhlichkeit, mit der er sie begrüßte, irritierte Seiana... und schien ihr reichlich unangemessen zu sein, auch wenn er in einer Position war, in der er sich leisten konnte, sich zu verhalten wie auch immer es ihm gefiel. Sie kontrollierte ihre Miene allerdings sorgfältig, achtete darauf, dass sie unbewegt blieb, dass nichts verriet, wie es in ihr aussah. Zu sehr hatte sie noch daran zu knabbern, was beim letzten Gespräch war, und was durch die Begegnung hier wieder aufgefrischt wurde, und das war ja nicht das einzige, was noch in ihr vorging. Sie wollte nicht, dass der Duccius irgendetwas davon merkte. Sie nickte leicht auf seinen Gruß hin, sagte aber nichts, und sah dann hinüber zu dem Tischchen, auf das er wies. Sie war nicht überrascht von dem, was sie darauf fand, als sie hinging und die Tabula zu sich zog, um sie zu überfliegen. Wenn überhaupt war sie überrascht davon, dass er ein decimisches Siegel hatte... andererseits: drei Decimi hier in Gefangenschaft. Sie konnte kaum davon ausgehen, dass ihr Haus unangetastet geblieben war. Ihre Miene verhärtete sich ein wenig, als sie innerlich wieder einen Stich spürte. Aussichtslose Situation. Verrat an der Familie. Verletzter Stolz.
Seiana konzentrierte sich darauf, einen Eispanzer um all das zu legen, der verhinderte, dass ihr diese Gefühle in die Quere kommen würden. Sie nahm langsam den Schreibgriffel zur Hand und setzte ihre Unterschrift unter den Text, bevor sie zu dem Siegel griff und das Zeichen der Decimi ins Wachs drückte. „Du solltest zusätzlich noch einen Decimus unterzeichnen lassen. Da die Kinder sich meines Wissens nach im Moment in Tarraco aufhalten würde ich Decimus Livianus empfehlen.“ Wo sein Tonfall fröhlich war, war ihrer kontrolliert neutral. Sie legte die Tabula weg, behielt das Siegel jedoch in der Hand, und sah auf. „Soll ich gleich noch ein Schreiben aufsetzen nach Hispania, dass die beiden wieder hergeschickt werden?“
Decima Seiana s.d.
In Anbetracht der Umstände in der sich das Reich und Rom befinden und noch einige Zeit befinden werden sind wir in Rom zu der Erkenntnis gelangt, dass wir jene in Sicherheit wiegen müssen welche sich selbst nicht schützen können. Aus diesem Grund entspricht es auch unserem Willen, dass Decima Sevilla und Lucius Decimus Secundus mit ihrer Mutter Duccia Venusia zu ihrer Familie nach Mogontiacum gehen, um dort als lebendes Band der Decimi und Duccii aufzuwachsen.
Auf ihrer Reise soll ihr jede Unterstützung angedeihen, die einem Mitglied unserer Familie zuteil würde. Decimi, Klienten und afilii sind angehalten ihre sichere Heimkehr nach Germania zu gewährleisten.
Dies entspricht unserem Willen.
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