Beiträge von Decima Seiana

    Seiana ließ den beiden die Zeit, die sie brauchten, um die Nachricht zu verdauen und sich die Unterlagen anzusehen. Dexter blieb still und beschäftigte sich mit den Schriften über die Schneiderei, während Albinus schließlich das Reden übernahm – und zustimmte. Da Dexter selbst nichts weiter dazu sagte, beschloss Seiana, seine Zustimmung vorauszusetzen... sonst hätte er wohl widersprochen. „Wie ihr beide euch die Verwaltung des Hofes aufteilt, bleibt euch überlassen. Und wie ihr generell mit euren Betrieben umgeht, ist ebenso eure Sache – auch wenn ich dir zustimmen muss, dass fähige Verwalter ihren Vorteil haben. Ab einer gewissen Größe und Anzahl kann man sich nicht mehr um alles selbst kümmern. Nicht so, dass der Betrieb dennoch zufriedenstellend läuft.“ Sie deutete ein kurzes Lächeln an. „Dann werde ich euch die Betriebe entsprechend überschreiben. Habt ihr noch weitere Fragen hierzu?“

    Nachdem Seiana mit Albinus und Dexter gesprochen und alles so weit geklärt hatte, ging sie ihre Unterlagen weiter durch... und beschloss, gleich mit dem nächsten Decimer zu sprechen. Wenn sie schon dabei war, konnte sie sich auch um alles kümmern, dann war zumindest dieser Part erledigt. Sie schickte also wieder einen Sklaven los, diesmal um Casca zu holen.

    Seiana bedeutete den beiden, sich einfach zu bedienen, und lächelte dann leicht, als Dexter sofort auf den Punkt kam. Sie hatte zumindest vorgehabt, sich erst ein wenig zu unterhalten, zu fragen, wie es den beiden ging – auch wenn höfliches Geplänkel nicht gerade zu ihrer Lieblingsbeschäftigung gehörte, hatte sie doch vor langem schon gelernt, dass es sich gehörte... und manche Türen öffnete. Und Familie war ohnehin etwas anderes. Aber es war ihr nur Recht, wenn sie gleich zur Sache kommen konnte. „Ich möchte, dass ihr beide ein wenig mehr Verantwortung für die Familie übernehmt. Ihr seid alt genug, ihr beginnt eure ersten Schritte nach euren Lehrjahren... es wird Zeit dafür. Euer Vater ist ähnlicher Ansicht wie ich.“ Sie musterte beide kurz. „Ich möchte, dass ihr beide euch um den Gemüsehof auf unseren Ländereien bei Ostia kümmert. Der Hof ist sehr groß, daher erfordert die Verwaltung einiges... es würde sich anbietet, wenn ihr beide euch das teilt. Der Hof ist bereits seit langem in Familienbesitz.“ Und sie erwartete, dass die beiden sich anstrengten... und ihn nicht etwa in den Ruin wirtschafteten, auch wenn sie das nicht laut aussprach. Vor ihr saßen immerhin keine ihrer Mitarbeiter, sondern zwei Verwandte. Statt einem vorauseilendem Tadel also setzte sie lieber ein Lächeln auf. „Zudem gibt es eine Schneiderei hier in Rom, Catus hatte sie gegründet, und da er Rom verlassen hat, bräuchte diese nun einen neuen Besitzer. Da du bereits in der Schola arbeitest, Albinus, hatte ich dabei an dich gedacht, Dexter.“ Mit den letzten Worten schob Seiana einige bereits vorbereitete Unterlagen über den Tisch, zu den Betrieben, von denen sie vorhatte sie den beiden zu überschreiben. „Darin findet ihr schon mal einen groben Überblick. Habt ihr Fragen?“

    Seiana nickte leicht, als sie seine Bestätigung hörte, was den möglichen Kursinhalt anging, und machte sich eine kurze Notiz auf einer Tafel, bevor sie wieder aufsah... um sich seine Reaktion auf ihre weiteren Worte nicht entgehen zu lassen. Von einem Moment auf den anderen schien er seine Eloquenz zu verlieren und wirkte regelrecht verlegen um Worte. Seiana behielt ihre Mimik streng unter Kontrolle, ihr Gesichtsausdruck blieb höflich, kühl, etwas interessiert, aber ansonsten recht nichtssagend... innerlich allerdings war ihr fast ein wenig nach Schmunzeln zumute, als sie seine Sprachlosigkeit registrierte. Ein Impuls, der ihr aber rasch wieder verging, als sie sah, dass sich die Mundwinkel des Iulius nun plötzlich nach oben zu biegen begannen. Es war nur der Ansatz eines Grinsens, aber bei Seiana führte er nun dazu, dass sie eher das Bedürfnis hatte die Stirn zu runzeln. Ihre Miene blieb weiterhin unbewegt, nur im Ausdruck ihrer Augen schien sich ein leichter Tadel widerzuspiegeln. Der Duumvir hatte – ihrer Meinung nach jedenfalls – nun keinen Grund zu grinsen wegen dieser Sache.
    Immerhin versuchte er, sich zusammenzureißen, und erzählte ein wenig. Ihrem Bruder sei Dank also... Faustus. Seiana hatte ihn damals gar nicht gefragt, was danach noch passiert war, sie war zu sehr mit sich beschäftigt gewesen, mit sich, mit Seneca, mit dessen vermeintlichem Verrat... und der Erleichterung darüber, dass es nicht so gewesen war, wie sie geglaubt hatte, auch wenn sich im Nachhinein herausgestellt hatte, dass Seneca da tatsächlich eine unglaubliche Dummheit begangen hatte, die ihr jede Menge Schwierigkeiten eingebrockt hatte. Was bei dem Theaterstück vorgefallen war, hatte sie da kaum interessiert, und Faustus selbst hatte das Thema auch mehr nicht zur Sprache gebracht... jetzt allerdings begann Seiana sich doch zu fragen, was da wohl noch vorgefallen war. Ihr Kopf neigte sich ein winziges Stück zur Seite, als sie den Iulier plötzlich in einem etwas anderen Licht betrachtete. Ob das wohl ein Typ Mann... Jüngling... war, auf den ihr Bruder stand? Ihre Mundwinkel verzogen sich erneut zu einem kühlen Lächeln, in dem ein wenig Schärfe lag. „Nun, ich hoffe doch, dass du bei möglichen Kursen ein genaueres Augenmerk auf den Inhalt legst als du es offensichtlich bei deinem Theaterstück getan hast. Mein Bruder wird dich nicht jedes Mal retten können, wenn unter deiner Ägide etwas schief läuft.“

    Seiana musterte ihren spontanen Besucher. Helvetius Commodus. Enkel eines Senators. Womöglich verwandt mit Varenus' Frau, was schon einmal ein Plus für ihn wäre... falls es denn so war, aber danach konnte sie ihn später noch fragen. „Ja... wir haben im Moment in der Tat einige Vakanzen.“ Sie lehnte sich leicht zurück und wartete einen Moment, als der Scriba den Raum erneut betrat und zwei frische Becher sowie Wein und Wasser brachte, bevor er die gebrauchten, die am Rand des Schreibtischs standen, mitnahm. Als er den Raum wieder verlassen hatte, bedeutete Seiana dem Helvetier mit einer Geste, sich zu bedienen, bevor sie fortfuhr: „Was, denkst du, würde dich als Praeceptor qualifizieren?“

    Der Scriba nickte nur und erhob sich, um dem Helvetier Wasser und Wein bereit zu stellen, von dem er sich würde bedienen können, und nahm dann selbst wieder Platz, um in aller Ruhe weiter zu arbeiten. Während der Besucher wartete, verließ jemand das Büro der Rectrix, und ein weiterer Besucher kam und wurde von dem Scriba hinein gewinkt. Als auch dieser das Officium nach einiger Zeit wieder verließ, erhob sich der Scriba wieder und betrat nun selbst das Zimmer der Rectrix, um dann, als er nach wenigen Momenten wieder auftauchte, den Helvetier herbei zu winken. „Die Rectrix empfängt dich jetzt.“


    Eben jene saß hinter ihrem Schreibtisch, der penibel aufgeräumt war, und sah dem Gast mit einem kühlen, aber höflichen Lächeln entdecken. „Salve, Helvetius. Setz dich bitte. Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs?“

    Es sprach für die Professionalität des Scribas, dass er sich nicht das geringste anmerken ließ, was er wohl über den Auftritt des Helvetiers denken mochte. Insbesondere nicht über den Part, wo es hieß: Geh und frag. Es gab immer, immer, die Leute die hier herein marschierten und meinten, Befehle erteilen zu können. Was sprach eigentlich dagegen, ganz normal zu fragen? Sie waren doch alle keine Barbaren hier, sondern vernünftige, zivilisierte Leute... sollte man jedenfalls meinen.
    Davon allerdings ließ sich der Scriba, wie bereits erwähnt, nichts anmerken. „Die Rectrix ist augenblicklich in einem Gespräch, an das sich noch ein weiteres anschließt. Danach besteht die Möglichkeit, dass sie Zeit für dich findet. Möchtest du in der Zwischenzeit hier warten?“ Der Scriba deutete leicht zu einigen Stühlen, die an der Wand zu seiner Linken standen.

    Auch Verderbliches war in diesen Tagen nicht allzu sehr in Gefahr, tatsächlich zu verderben... es sei denn, es fehlten einem die Mittel, die Waren in eine größere Stadt zu transportieren. Dort allerdings wurde man gerade die Lebensmittel schneller wieder los, als man zusehen konnte. „Mir ging es genauso... So lernt man aber am schnellsten“, erwiderte sie mit der Andeutung eines Lächelns. „Im Augenblick nein, tut mir leid. Es gibt hauptsächlich allgemeine Kurse... und natürlich kannst du dich jederzeit in der Bibliothek der Schola umsehen und für dich selbst studieren.“


    Als sie ihm schließlich sagte, warum sie wieder hier war, ertönte ein Ausruf neben ihr, der durch die Art, wie er gesprochen wurde, beinahe wie ein Fluch klang. Seiana konnte das nachempfinden... würde diese Ehe zu ihren Gunsten geschieden, würde die Trennung von ihr gewollt sein, hätte sie sich hier wohl von ihrem Einzug an anders verhalten. So, wie sie sich zurückgezogen hatte, musste allerdings jedem klar sein, dass sie den Nachteil hatte... selbst wenn gewisse Dinge anders lägen. Wenn sie jünger wäre... oder schon Kinder hätte.
    Schweigend hörte sie seiner Reaktion darauf zu, und obwohl Dexter noch so jung war, noch unter Patria Potestas, noch kaum jemand, dessen Wort wirklich etwas zählte außerhalb dieser Mauern, war sie dennoch erleichtert, freute es sie sogar beinahe, dass er so vorbehaltlos zu ihr hielt. Familie. Blut war nun mal dicker als Wasser.


    Sie atmete tief ein und wollte etwas erwidern, als Dexter einen Schritt auf sie zukam – und innehielt. Seiana sah, wie sich sein Gesichtsausdruck plötzlich wandelte, wie erschrocken er auf einmal wirkte. Für ein paar Momente schien sich fast so etwas wie Entsetzen auf seiner Miene auszubreiten. Der Blick war Seiana unangenehm – es war ihr generell unangenehm, zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, aber das hier war noch einmal eine Spur heftiger –, und sie war froh, als dieser spezielle Ausdruck schwand. Weniger froh allerdings, als Dexter sie nun berührte und durch seine Haltung und seinen Blick klar zu machen, dass er nach wie vor eine Antwort erwartete... jetzt womöglich noch mehr als zuvor. Seiana erstarrte für einen winzigen Augenblick – sie mochte Nähe nicht sonderlich; sie ertrug sie, wenn es sein musste, und es gab nur wenige Ausnahmen, in denen sie sie wirklich und wahrhaftig zulassen konnte... und seit der Sache mit Terentius mochte sie zu große Nähe und insbesondere angefasst zu werden noch viel weniger –, dann zwang sie sich dazu, sich wieder zu entspannen. „Nun, es gibt nicht viel zu erzählen, offen gestanden.“ Sie zwang auch ein weiteres Lächeln auf ihr Gesicht, zählte lautlos im Kopf und beschloss schließlich, dass sie lange genug stehen geblieben war, um Dexter hoffentlich nicht vor den Kopf zu stoßen. Sie deutete ein leichtes Achselzucken an, passend zu dem, was sie gerade gesagt hatte, und bewegte sich dabei unmerklich ein wenig zur Seite, so dass seine Hand, so hoffte sie, von ihrer Schulter rutschen würde. Einfach so. Man bewegte sich im Gespräch nun mal... das musste nichts heißen. „Wir waren eine ganze Zeit lang verheiratet... ohne dass es einen Erben gegeben hätte.“ Wie oft hatte sie sich Gedanken darüber gemacht, was um alles in der Welt sie erzählen sollte? Seiana wusste es nicht mehr... aber jetzt kam die Lüge, ausgerechnet diese Lüge, wie von selbst über ihre Lippen, glatt, reibungslos und ohne jedes Anzeichen dafür, dass es anders sein könnte als sie es gerade sagte. „Es war sein gutes Recht, die Konsequenzen zu ziehen.“

    „Herein“, rief Seiana, als es schließlich an ihrer Tür klopfte, und setzte ihr typisches vages Lächeln auf, als sie Albinus und Dexter eintreten sah – ein wenig nichtssagend, wenn auch nicht ganz so kühl wie sie es gegenüber Fremden pflegte. „Salvete, ihr beiden. Es freut mich, dass ihr Zeit hattet.“ Mit einer entsprechenden Geste bot sie ihren Verwandten an, sich zu ihr an ihren Schreibtisch zu setzen. „Möchtet ihr etwas trinken?“

    Ein Herein deutete dem Klopfenden an, dass er eintreten konnte – was er betrat, war jedoch zunächst das Vorzimmer der Rectrix, wo ihn ein Scriba nun erwartungsvoll ansah. „Wie kann ich dir helfen?“ Unwahrscheinlich zwar, dass er etwas anderes wollte als einen Termin mit der Rectrix... trotzdem gab es gewisse Höflichkeitsregeln – und dazu gehörige Floskeln –, die dieser Mann einhielt.

    Er strahlte Untersicherheit aus, fand sie. Es waren die kleinen Zeichen, die sie dazu führten: wie sich seine Finger um Schriftrolle schlossen. Wie er auf seine Unterlippe biss. Wie er brauchte, bis er eine Antwort zu finden schien. Seiana wusste nicht recht, was sie davon halten sollte, aber es rührte etwas in ihr an, vielleicht weil sie Unsicherheit selbst so gut kannte. Weil sie viel Zeit darauf verbrachte, sie in sich wegzuschließen. Im nächsten Moment zog sie sich innerlich zurück. Vielleicht war es ja genau das, was sie so denken ließ – sie sah ihn, in dem Wissen, dass er ein Freund ihres Bruders war, sah sein Verhalten, und schloss von sich selbst auf ihn. Vielleicht war er einfach nur nicht sicher, wie er sich ihr gegenüber verhalten sollte, zwar als Gast des Hauses, als Gast ihres Bruders, aber dennoch als Peregrinus, als bibliothecarius.
    „Ja... Allein ein Besuch von Alexandrias Bibliothek würde wohl ausreichen, den Bestand aller anderen als zu gering zu erachten.“ Sie streckte ihre Hand aus und nahm die Schriftrolle entgegen, versuchte währenddessen seinen Blick einzufangen, aber Aton sah beharrlich woandershin, nur nicht ihr in die Augen. Für einen Moment berührten sich ihre Finger, als die Schriftrolle von seiner Hand in ihre wechselte, dann zog sie ihren Arm wieder zurück, die Schriftrolle nun bei ihr, in ihren Händen.


    „Den Froschmäusekrieg kenne ich bereits.“ Es war nicht schlecht gewesen, nur nicht unbedingt ihr Geschmack... sie wollte gerade etwas darüber sagen – mehr um überhaupt etwas zu sagen als aus dem Grund heraus, dass sie tatsächlich über den Froschmäusekrieg hätte sprechen wollen –, als Aton das Thema von selbst aufgriff, und es in eine gänzlich andere Richtung drehte. Nun war sie es, die schwieg, die das Schweigen sich in die Länge strecken ließ. Ohne sich darüber bewusst zu sein, begannen ihre Finger die Schriftrolle zu drehen und zu wenden. Faustus. „Nein“, wisperte sie. Dass Atons Stimme ihre eigenen Gefühle irgendwie zu spiegeln schien, machte es nicht einfacher. „Noch keine.“ Obwohl sie so darauf wartete, so darauf hoffte, endlich von ihm zu hören. Obwohl er so nah war dieses Mal, dass doch im Grunde jeden Tag eine Botschaft eintreffen könnte. Seiana schluckte, gegen den Kloß in ihrem Hals, und starrte auf den Papyrus in ihren Händen. „Man sollte meinen, dass ich es mittlerweile gewohnt bin, in dieser Lage zu sein...“ Trotzdem war es dieses Mal nicht nur wieder das gleiche, sondern irgendwie sogar noch schlimmer... weil er doch so nah war. So nah. So ein kurzer Weg für einen Boten, wenn man bedachte, welche Strecken früher zwischen ihnen gelegen hatten. Seiana räusperte sich leise. Sie ertrug die Gedanken daran nicht, die Vorstellung, was Faustus alles passiert sein könnte, und Schweigen forcierte es nur. Ohne nachzudenken kam eine Frage über ihre Lippen: „Du und mein Bruder... seid ihr gute Freunde? Wie hast du ihn kennen gelernt?“ In Alexandria, das hatte er ihr erzählt, aber Seiana wollte mehr wissen. Sie wollte etwas von Faustus hören, etwas, das nichts mit der Sorge von jetzt zu tun hatte.

    Seiana saß da, leicht zurück gelehnt, die Ellbogen auf den Lehnen und die Hände locker in ihrem Schoß verschränkt, und musterte den Duumvir, während er sprach. „Du hast natürlich Recht, dass wir in der momentanen Situation einen bedauerlichen Mangel an Mitarbeitern haben und jede helfende Hand gebrauchen können. Und deine bisherigen Aktivitäten sprechen durchaus für dich... aus deinem Wunsch, durch Lehren auch selbst zu lernen, schließe ich, dass du zumindest zunächst in erster Linie allgemeine Studien übernehmen würdest, ist das richtig?“ Sie wartete kurz die Antwort ab, bevor sie fortfuhr: „Dein Alter würde in der Schola weniger ein Problem sein... ich denke als Duumvir wirst du es weit schwerer gehabt haben dich zu beweisen. War das Stück, das du hattest aufführen lassen, eigentlich noch länger ein Thema in der Stadt?“ erkundigte sie sich mit einem angedeuteten Lächeln, und diesmal lag eine gewisse Schärfe darin.

    „Ja, dein Vorschlag ist gut. Dann werde ich mit deinen Söhnen sprechen und alles weitere veranlassen.“ Seiana verzog ihre Lippen zu einem kurzen Lächeln, das auch noch auf ihren Zügen blieb, als Varenus weiter sprach. Der Weg des Kaufmanns war sicher kein schlechter... und ganz sicher ehrbar. Aber sie hätte es lieber gesehen, würden sich Varenus' Söhne entweder dem Militär oder der Politik – und damit verbunden dann doch irgendwann auch dem Militär – zuwenden. Aber es lag nicht bei ihr, sich da einzumischen, also nickte sie nur. „Wenn er ein paar Familienbetriebe übernimmt, kann er sich sicher weiter auf diesem Weg entwickeln und profilieren. Und falls ihm das Kaufmannsdasein allein nicht mehr genügt, kann er immer noch auf fähige Verwalter zurückgreifen.“

    Die Tage vergingen unglaublich zäh und langsam. Seiana wartete, wartete darauf, dass sich etwas änderte, wartete darauf, dass etwas passierte... wartete darauf, dass sie Nachrichten bekam von der Schlacht. Als Faustus in Parthien gekämpft hatte und später in Ägypten, da war das schon quälend genug gewesen... aber es war klar gewesen, dass jede Nachricht unendlich lange dauern dauern würde, bis sie sie erreicht hätte, wenn sie denn überhaupt ankam. Jetzt, wo sie im Grunde nur wenige Tagesritte trennten, musste Seiana feststellen, um wie viel quälender es war, nun auf Nachricht zu warten. Wenn man wusste, dass Nachrichten aufgrund der Umstände arg verspätet oder womöglich gar nicht ankommen würden, machte man einfach weiter mit seinem Leben... schon allein weil einem nichts anderes übrig blieb. Wenn man allerdings wusste, dass jede mögliche Nachricht nur Tage entfernt war, dann... fiel es unglaublich viel schwerer, einfach zum Alltag überzugehen und weiter zu machen. Man tat irgendwie nichts anderes mehr als darauf zu warten. Auf eine Nachricht, von der man noch nicht einmal wusste, ob sie überhaupt abgeschickt worden war... von der man nur wusste, dass sie irgendwann eintreffen würde, früher oder später.


    Die Nachrichten, die eintrafen, waren völlig anderer Natur. Die Botschaft der Kanzlei kam leider viel zu kurzfristig, als dass sie noch rechtzeitig darauf hätte reagieren können, aber sie würde zurückschreiben... und um einen neuen Termin bitten. Ein weiteres Schreiben ließ sie dann erst mal an ihrem Schreibtisch sitzend zurück, ohne dass sie sich rührte. Sie saß da und starrte darauf, und fragte sich, wie viele schlechte Nachrichten noch kommen würden. Und wie viele sie noch ertragen konnte.
    Sie wusste nicht, wie lange sie so da gesessen hatte – irgendwann riss sie sich los von Flavus' Brief, schob den Stapel an Botschaften und weiterer Arbeit beiseite und schickte einen Sklaven los, um Albinus und Dexter zu sich zu rufen. Sie brauchte jetzt Ablenkung, und im Gespräch war so etwas immer noch am leichtesten zu finden.

    Seiana deutete ein Nicken an. „Laufen deine Geschäfte gut?“ fragte sie, innerlich ein wenig abwesend. Da war noch die Sache mit Catus' Betrieben zu klären... aber was das betraf, wollte sie vorher mit Varenus sprechen, bevor sie sie seinen Söhnen anbot. Wenn Catus allerdings viel Stress hatte... nun ja. Es war seine Entscheidung, und er würde auf Dauer wohl noch lernen, dass es sich lohnte, Geld zu investieren in gute Verwalter... und diesen dann zu vertrauen. Nicht dass sie sich selbst leicht damit getan hatte, genau das zu tun, ganz im Gegenteil, aber irgendwann war sie dazu gezwungen gewesen, weil es einfach zu viel gewesen war.


    Als Dexter sie dann nach ihrem Hiersein fragte, zögerte sie einen Moment, während sie ihn den Garten hinaus starrte. „Terentius und ich haben uns scheiden lassen. Ich werde also hier bleiben.“ Fragte sich nur wie lange. Sie wollte nicht wieder heiraten... keine politische Ehe, jedenfalls. Aber Seneca war so weit außerhalb ihrer Reichweite, dass ihr der Gedanke gar nicht kam, und gar nicht mehr zu heiraten... so sehr sie das wollte, und so wenig sie selbst Ausschau halten würde – wenn ihr Bruder wieder hier war und ihr einen neuen Ehemann vorschlug, würde sie nicht nein sagen. Aber vielleicht hatte sie ja Glück. Ein Großteil der heiratsfähigen Männer würde sie schlicht und ergreifend nicht mehr wollen.

    Seiana trat ein wenig zurück, näher zum Säulengang heran, wo Dexter stand. Aus dem Haus drang noch kein Licht... eines der Dinge, an denen man den Bürgerkrieg und die zwangsläufige Rationierung von Gütern auch hier in Rom merkte. Obwohl der Himmel zu dieser Jahreszeit häufig wolkenverhangen war und das Zwielicht zudem recht früh einsetzte, wurde im Haus dennoch erst dann Licht entzündet, wenn es tatsächlich zu dunkel wurde. Es war purer Luxus, selbst an düsteren, verregneten Tagen, schon vorher Lampenöl zu verbrauchen – ein Luxus, den sie sich für gewöhnlich leisten konnten, aber während eines Bürgerkriegs war es besser, sich einzuschränken... auch wenn mit genügend Geld auch entsprechend Vorräte aufgestockt werden konnten – Verschwendung musste in Zeiten wie diesen nicht sein, fand Seiana.


    „Und du hast dir gedacht, du leistest mir Gesellschaft“, führte sie seinen Satz weiter und lächelte vage. Und hielt dann für einen Moment inne, als Dexter sie nach ihrem Befinden fragte. Wie es ihr ging. Normalerweise wäre ihr Antwort klar gewesen, ganz egal, wie es wirklich in ihr aussah, aber irgendetwas in Richtung gut kam nicht in Frage. Sie war frisch geschieden, auch wenn sie das ihrer Familie noch nicht gestanden hatte – geschieden, ohne Kinder, und ohne irgendeinen Grund, politische Differenzen, oder die Aussicht auf einen neuen, einflussreicheren Mann, oder einen anderen Grund politischer oder gesellschaftlicher Natur. So wurde recht deutlich, dass die Scheidung nicht von ihr ausgegangen war und für sie von Nachteil war. Dazu kam ihr derzeitiges Aussehen... Nein. Sie konnte nicht einfach behaupten, es ginge ihr gut, es wäre zu offensichtlich, dass es nicht stimmte.
    Seiana hob schließlich leicht die Schultern an. „Es geht“, wiederholte sie ihre Antwort von zuvor, auf seine Frage ob ihr kalt war, und fügte nach einigem Zögern an: „Ich hatte schon bessere Tage, um ehrlich zu sein, aber ich komme zurecht.“ Sie schwieg erneut einen Moment und sah in den Garten hinaus, bevor sie wieder zu Dexter zurücksah. „Und dir?“