Ein Lächeln zuckte kurz um Seianas Lippen – und die Bewegung erinnerte sie mit einem winzigen Schmerz an die lädierten Stellen. Sie nahm ebenfalls Platz, nachdem sie die Schriftrolle hervorgezogen hatte, mit der Catus die Betriebe ihr übertragen hatte. „Es ist leicht, deine Kinder wertzuschätzen. Sie sind fleißig, jedenfalls nach allem, was ich höre. Was Albinus angeht... er war den Sommer über regelmäßig Gast in der Bibliothek der Schola. Er hat sich die Chance verdient“, erwiderte sie. Albinus hatte es ihr leicht gemacht, seiner Bewerbung zu entsprechen und ihn anzustellen. Sie räusperte sich leicht. „Es handelt sich um einen recht großen Gemüsehof, der an unsere Ländereien in Ostia anschließt. Entweder übernimmt ihn einer deiner Söhne, oder bewirtschaften ihn gemeinsam, wenn sie das möchten – groß genug ist er definitiv, dass man sich die Arbeit teilen kann. Außerdem hat Catus in seiner Zeit hier in Rom eine Schneiderei gegründet, die ebenfalls jemand weiterführen muss.“
Beiträge von Decima Seiana
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Obwohl Seiana wusste, dass es wenig Sinn hatte allzu viel darüber zu grübeln, was die nächsten Wochen wohl bringen würden – dafür war die Lage einfach zu unsicher, während sich das Reich im Bürgerkrieg befand –, tat sie es natürlich trotzdem weiterhin, versank tief in Gedanken darüber, welche Alternativen ihr offen stünden je nach Entwicklung der Situation, je nach Stand zwischen den Kämpfenden, je nach Sieger, je nach zeitlicher Dauer, je nach... allem möglichen. Sie war gern gewappnet. Sie war gern vorbereitet. Sie war gern in Kontrolle. Dass ihr das diesmal so wenig möglich war, machte sie auch jetzt noch nervös, wo sie wenigstens einen Schritt weiter war. Als würde eine Schwangerschaft nicht schon genug Unwägbarkeiten bedeuten, als wäre das schon nicht genug Kontrollverlust, den sie da erleiden musste, weil etwas Fremdes in ihrem Körper wuchs, etwas, das sie gar nicht kontrollieren konnte – und das dafür sorgte, dass sie selbst ihren eigenen Körper nur noch bedingt unter Kontrolle hatte. Das reichte offenbar nicht... es mussten auch noch weitere Unsicherheiten dazu kommen, die es unmöglich für sie machten, zu weit in die Zukunft zu planen, was sie am liebsten getan hätte.
So in Gedanken versunken, bemerkte Seiana nicht, dass sich ihr jemand näherte, bis sie die Stimme hörte. Rasch wandte sie den Kopf, als sie den Klang hörte, und hatte wie stets seit ihrem Wiedereinzug sofort ein leicht ungutes Gefühl dabei, gesehen zu werden. Sie schlang ihre Arme noch ein wenig fester um sich und zuckte kurz zusammen, als ihre geprellten Rippen protestierten, hatte sich aber sofort wieder im Griff und setzte ein vages Lächeln auf. „Es geht“, erwiderte sie ruhig. Es war kalt, hier draußen, der Winter kündigte sich deutlich an, man konnte es im Wind spüren... vor allem im Wind. Aber noch hielt es sich in Grenzen, und mit der warmen Kleidung ging es tatsächlich noch, auch für sie, die eher schnell fror. „Was führt dich hier heraus?“
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Seiana sah auf, als Varenus tatsächlich kurze Zeit später das Tablinum betrat, und setzte ein Lächeln auf. Sie hämmerte sich ein einfach zu ignorieren, wie sie aussah, in der Hoffnung, wenn sie so tat als sei nichts, würden sich alle anderen danach richten, und neigte grüßend den Kopf. „Varenus. Danke, dass du einen Augenblick für mich erübrigst.“ Nach der Begrüßung trat sie an einen Tisch und zog eine Schriftrolle zu sich heran. „Ich will dich nicht zu lange aufhalten, daher komme ich gleich zum Punkt: Catus hat Rom verlassen und mir seine Betriebe überschrieben.“ Sie sah wieder auf. „Ich würde die Verwaltung gerne deine Söhnen übergeben. Sie sind alt genug, um ihren Teil der Verantwortung zu übernehmen, was die Familie und unsere Güter angeht, finde ich... Sofern du nichts dagegen hast, würde ich mit beiden sprechen und alles in die Wege leiten.“
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Ein Sklave klopfte an die Tür, und, als sie geöffnet wurde, führte er wie aufgetragen aus: „Domina Seiana bittet dich, ihr im Tablinum Gesellschaft zu leisten, sofern du einen Moment Zeit für sie hättest, Dominus.“
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Stück für Stück ging es ihr wieder besser... nicht wirklich gut, und nach wie vor sah man für ihren Geschmack zu viel von dem, was Terentius getan hatte, aber: es ging ihr wieder besser. Gut genug, um sich nicht mehr verkriechen zu können. Und es gab etwas, um dass sie sich kümmern musste – kümmern konnte, hieß das, weil es sie nicht direkt selbst betraf, aber dafür doch für eine Ablenkung gut war, während es zugleich dafür sorgte, dass sie nach und nach wieder in Kontakt mit ihrer Familie kam. „Geh zu Varenus und bitte ihn darum, ins Tablinum zu kommen, wenn er ein wenig Zeit für mich erübrigen kann“, wies sie also einen Sklaven an, der sich gleich davon machte.
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Ohne sich zu regen, stand Seiana da, mit eng um ihren Oberkörper geschlungenen Armen. Es war kalt hier im Hortus, selbst am Rand im Schatten des Gebäudes, selbst mit wärmender Stola, und sie fröstelte – worüber sie allerdings dankbar war, denn jeder, der sie zufällig so sehen mochte, würde ihre Haltung wohl darauf schieben. Und es stimmte ja auch, es half... genauso stimmte aber auch, dass sie das Gefühl hatte, sich festhalten zu müssen, um nicht auseinander zu fallen. Sie hatte in den vergangenen Tagen, seit es ihr wieder etwas besser ging, versucht, die Bruchstücke ihres Lebens zu sortieren... aber es wollte ihr nie so recht gelingen. Was zum Teil daran lag, dass sie innerlich immer noch wie gelähmt schien von dem, was geschehen war, von Terentius, von den Prügeln, von dem Rausschmiss. Zum Teil allerdings auch daran, dass sie nach wie vor davor zurück scheute, sich überhaupt wirklich mit ihren Problemen zu beschäftigen.
Aber sie würde nicht darum herum kommen, das wusste sie. Je länger sie brauchte, bis sie sich endlich aus dieser Starre löste, die die Scheidung und das damit verbundene Desaster ausgelöst hatte, desto schwieriger würde es werden. Seiana seufzte lautlos und schlang ihre Arme noch ein wenig enger um den Körper, als ein kalter Windhauch durch den Garten wehte. Eine Bestandsaufnahme. Sie brauchte erst mal eine Bestandsaufnahme. Aber schon damit hatte sie ihre Schwierigkeiten, weil sie jedes Mal, wenn sie versuchte sich daran zu machen, sich verzettelte... sie wollte es innerlich aufzählen, all das, was schief gegangen war, worum sie sich kümmern musste, aber sie kam nie sonderlich weit. Sie verzettelte sich in Gedanken an mögliche Lösungswege genauso wie in Kleinigkeiten, vornehmlich in Kleinigkeiten, hieß das, alles um von dem abzulenken, was im Augenblick ihr größtes Problem war, das sie schlicht und ergreifend seit ihrem Rausschmiss aus der Casa Terentia verdrängte. Um jeden Preis, unter allen Umständen verdrängte. Aber jetzt, wo sie hier im Garten stand, eingehüllt in warmen Stoff und trotzdem frierend, zwang sie sich dazu, sich dem zu stellen, zum ersten Mal. Sie war schwanger. Immer noch, und inzwischen recht weit fortgeschritten. Sie dankte den Göttern, dass es Winter wurde, dass man ihr bekleidet immer noch nichts ansehen konnte, schon gar nicht jetzt, wo sie dank der Kälte noch leichter Kleidung tragen konnte, die verschleierte... nicht, dass sie zugenommen hatte, dass sie insgesamt weiblichere Formen bekommen hatte, das nicht... aber dass sie schwanger war, sah man nicht. Sie hatte nicht allzu viel zugenommen, und das Wenige verteilte sich – nur wer sie nackt sah, konnte wohl erkennen, dass sich ihr Bauch zu wölben begann, aber da gab es nun niemanden mehr, dem das auffallen konnte. Trotzdem hatte sie gar keine andere Wahl, als sich endlich damit zu beschäftigen. Sie war schwanger. Ihr Mann hatte sie verstoßen. Sie konnte nicht zulassen, dass das bekannt wurde. Es wäre eine Sache gewesen, wenn er das Kind nicht angenommen hätte, sie hätte behaupten können es wäre tot geboren worden, aber so, wo er sich von ihr getrennt hatte? Nein. Sie musste irgendwie verhindern, dass jemand mitbekam, dass sie schwanger war. Und das hieß, dass sie irgendwann in der nächsten Zeit die Casa würde verlassen müssen... um irgendwo das Kind auf die Welt zu bringen, wo sich niemand darum kümmern würde.
Nur wo sollte sie hin? Faustus hatte dringend davon abgeraten, auf eines der Landgüter zu gehen, solange Bürgerkrieg herrschte. Und in eines ihrer Mietshäuser hier in Rom wollte sie eigentlich nicht gehen... schon gar nicht um dort ein Kind auf die Welt zu bringen. Nein, so schwer ihr das auch fiel: im Moment war es wohl das Beste, noch abzuwarten... die Gunst zu nutzen, die die Götter ihr wenigstens in dieser Hinsicht schenkten, solange man ihr nichts ansah, und hier zu bleiben. Nachrichten erreichten Rom nur spärlich im Augenblick, aber die Prätorianer waren nun schon seit mehrere Tage fort. Was auch immer geschah, wie auch immer dieser Krieg ausging, Seiana betete darum, dass die Entscheidung schnell fiel. Dass wer auch immer verlor, die Niederlage akzeptierte... und sich nicht einfach nur zurückzog, die Wunden leckte und einen neuen Versuch startete, und so diesen Bürgerkrieg immer weiter in die Länge zog. Was sie stattdessen allerdings tun konnte, war endlich eine Hebamme aufzusuchen. Sich untersuchen zu lassen. Und trotz der ungewissen Situation im Moment gewisse Dinge zu organisieren – auch wenn sie nicht planen konnte, wie es genau laufen würde, konnte sie doch für verschiedenste Varianten vorbereitet sein.
Nur an eines konnte sie nicht denken: dass Faustus und Seneca in diesem Krieg kämpften. Und dass sie vielleicht nicht wieder kommen würden. -
„Eine erneute Vorstellung deinerseits ist nicht mehr nötig, Duumvir“, lächelte Seiana zurück, so vage und kühl wie eh und je, ohne dass daraus zurückzuschließen wäre, was in ihr vorgehen mochte. Sie kannte den Iulius, und da das hier kein Überraschungsbesuch war, sondern ein vereinbarter Termin, hatte sie auch Zeit gehabt sich vorzubereiten.
„An einem Sitzplatz soll es nicht scheitern. Ich hoffe, du hattest eine angenehme Reise hierher.“ Mit einer leichten Handbewegung bedeutete sie ihm, sich zu setzen, als er statt eines Getränks nur darauf verwies, nahm dann selbst Platz und lehnte sich leicht zurück, ihr Gegenüber musternd. „Nun, Iulius. Du hattest mir geschrieben, dass du an der Schola tätig werden möchtest“, kam sie dann gleich zum Punkt. „Warum willst du das?“
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Seiana musterte den Mann, als dieser sich zu ihr umdrehte, mit diesem vagen Gefühl, dass sie ihn irgendwoher kannte. Was nicht allzu ungewöhnlich war, immerhin befand sie sich im Haus ihrer Familie... sie war sich nur unsicher, woher sie ihn kannte. Sie zwang sich zu einem angedeuteten Lächeln, als er antwortete, ihre Entschuldigung abtat, während ihr unangenehm bewusst wurde, dass er sie nun ansah. Und damit auch die Spuren der Verletzungen in ihrem Gesicht sehen konnte, die Schwellung und dunklere Färbung am Auge, die aufgeplatzte Lippe... eine ihrer Hände zuckte nach oben in dem Drang, es irgendwie zu verdecken, aber da gab es keine Möglichkeit, außer die Hand oben zu behalten – also wandelte sie die Bewegung nur dazu ab, sich eine nicht vorhandene Strähne aus dem Gesicht zu streichen und die Arme danach zu verschränken, um ungewollte Bewegungen dieser Art zu vermeiden. „Decima Seiana“, antwortete sie auf seine Vorstellung hin und musterte ihn dann erneut, diesmal eindringlicher. Bibliothecarius? Der Mann vor ihr wirkte nicht wie einer, seine Haltung, seine Sprache, seine Ausstrahlung... hätten sie nie vermuten lassen, dass er hier arbeitete. Sie hatte vermutetet er wäre ein Verwandter, den sie lange Jahre nicht gesehen hatte, oder vielleicht ein Freund der Familie, der zu Besuch war... aber kein Angestellter. Davon abgesehen hatten sie doch einen Bibliothecarius gehabt... das war einer der wenigen Sklaven außer ihren eigenen, die sie wirklich kannte, weil sie hier häufig Zeit verbracht hatte, vor ihrer Ehe. Und Seiana konnte sich nicht vorstellen, dass der Bibliothecarius... der ehemalige, hieß das nun wohl – seine Aufgabe hier freiwillig aufgegeben hätte.
„Nein... nichts spezielles, heißt das. Ich wollte nur... ein bisschen stöbern. Ein paar Schriften suchen, die ich mitnehmen kann für lange Abende in der nächsten Zeit.“ Sie versuchte sich erneut an einem Lächeln und räusperte sich. „Was ist mit deinem Vorgänger... Orosius?“
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Der Scriba, der dem Iulius öffnete, war bereits informiert – und lotste den Duumvir von Ostia nach einer kurzen Vorstellung und Begrüßung ins Officium der Rectix, wo Seiana sich erhob, als der Gast hereinkam. „Salve, Duumvir. Es freut mich, dass du die Zeit hattest nach Rom zu kommen. Kann ich dir etwas anbieten?“
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Seiana neigte leicht den Kopf. „Nun... dann wünsche ich dir einen guten Einstand. Sollte dir noch etwas einfallen – meine Tür steht dir jederzeit offen.“
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Seiana wusste, dass sie sich nicht ewig in ihrem Cubiculum verstecken konnte. Schon gar nicht lange genug, bis sich wenigstens ein Teil ihrer Probleme von selbst erledigt haben würde. Also verließ sie es auch bereits nach wenigen Tagen das erste Mal wieder. Sie hatte nicht vor, gemeinsam mit der Familie zu essen oder dergleichen, noch nicht, schon allein, weil man noch viel zu deutlich die Spuren sah, die Terentius hinterlassen hatte... und sie fühlte sich noch nicht bereit dafür, den Blicken zu begegnen, oder gar Fragen zu beantworten – nicht von mehreren gleichzeitig. Aber wenn sie hin und wieder einem oder zwei Verwandten begegnete, würde das gehen... und so würde es leichter sein, wieder einer Cena beizuwohnen, irgendwann, wenn sie es nicht mehr hinauszögern konnte.
Als sie ihr Cubiculum verlassen hatte, hatte sie zum Garten gewollt, um ein wenig frische Luft zu schnappen, aber als sie auf dem Weg dorthin an der Bibliothek vorbei kam, beschloss sie, dieser einen Besuch abzustatten. Der Vorrat an Schriftrollen in ihrem neu eingerichteten Cubiculum musste aufgestockt werden, und die Chance, dass sie dort gleich der halben Familie begegnen würde, war eher gering einzuschätzen... dachte sie jedenfalls. Kaum hatte sie jedoch leise die Tür geöffnet und war eingetreten, drang eine Stimme an ihr Ohr, die davon zeugte, dass sie nicht alleine sein würde hier. Sie zögerte einen Moment, unschlüssig, ob sie nicht lieber gehen sollte... zögerte lange genug, um festzustellen, dass etwas anders war, dass das keine Unterhaltung war, die da stattfand, sondern dass jemand etwas rezitierte. Einen Text einübte. Seiana betrat den Raum vollends und schloss vorsichtig die Tür hinter sich, bevor sie weiter hinein ging und sich dem Sprecher näherte, der weiter hinten, beschienen von einer Öllampe, Pergamente vor sich, mit dem Rücken zu ihr Passagen wiederholte. Versonnen stand Seiana da und lauschte ihm. „Gönnt Rettung; beiden“, echote sie ihn leise, ohne dass ihr wirklich bewusst war, dass sie laut sprach. Gönnt Rettung; beiden. Sie schickte ein Stoßgebet zu den Göttern, dass Faustus und Seneca beide wohlbehalten zurückkehren würden. Erst nach einem weiteren Moment wurde ihr klar, dass sie beide Male laut gesprochen, nicht gedacht hatte, und unwillkürlich machte sie einen Schritt zurück. „Verzeih bitte, ich wollte dich nicht stören.“ Und blieb dann doch stehen, als sie daran dachte, dass sie nicht ewig davon laufen konnte vor einer Begegnung mit Menschen, die nicht zu dem kleinen Kreis ihrer engsten Sklaven zählten.
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Schmerzen. Jedes Mal, wenn sie sich bewegte. Und meistens auch dann, wenn sie sich nicht bewegte. Das waren vornehmlich die Eindrücke, die Seiana aus ihren ersten paar Tagen, seit sie wieder in die Casa Decima eingezogen war, blieben. Ihre letzte Begegnung mit Terentius hatte sehr effektiv dafür gesorgt, dass sie ihr Bett bislang kaum verlassen hatte... und genauso effektiv, dass sie mit der damit einhergehenden Untätigkeit kein sonderliches Problem hatte. Nahm sie etwas gegen die Schmerzen, waren diese zwar gelindert, aber ihre Gedanken dafür merkwürdig dumpf, zäh und manchmal zusammenhanglos... nahm sie nichts, konnte sie sich beinahe ebenso schlecht konzentrieren.
Nach den ersten paar Tagen allerdings konnte sie eine Verbesserung spüren, genug, dass sie wieder klarer denken konnte – und damit auch wieder das Bedürfnis spürte, sich zu beschäftigen. Sich abzulenken. Von den Scherben, in die ihr Leben schon wieder zerbrochen war. Von den Problemen, die auf sie warteten... die alten, die größer geworden waren, und die neuen, die dazu gekommen waren. Sie musste sich damit beschäftigen, das wusste sie, sie musste Lösungen finden, aber jedes Mal, wenn sie es versuchte, drehten sich ihre Gedanken im Kreis, schien sie keinen Ansatz zu finden, wie sie wenigstens halbwegs glimpflich aus dem Dilemma heraus kam, in das sie sich hinein manövriert hatte... sie schien immer nur daran denken zu können, wie groß die Probleme waren, wie unlösbar, wie sehr sie versagt hatte.Entsprechend düster waren ihre Gedanken... Und kaum dass nach ein paar Tagen die Schmerzen auf ein halbwegs erträgliches Maß abgeklungen waren, war sie auch schon wieder auf den Beinen, um sich davon abzulenken, zwang sich regelrecht dazu, setzte sich an ihren Tisch, arbeitete, las, beschäftigte sich irgendwie, in der Regel länger als ihre Energiereserven reichten. Aber ihre Probleme schienen einfach übergroß zu sein... und die einzigen beiden Menschen, denen sie vertraute, waren im Krieg, und die Götter allein wussten, ob sie wieder kommen würden. Und so wollte es ihr nicht so recht gelingen, die Düsternis abzuschütteln.
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Seiana zuckte ein wenig zusammen, als Faustus plötzlich hochfuhr – und war dann plötzlich ebenso zerknirscht wie er. Straßenkämpfe in Rom. Natürlich konnten sie das nicht gebrauchen, er hatte Recht, dass es galt das zu verhindern. „Nein... mach dir keine Gedanken“, murmelte sie leise zurück. „Du hast Recht.“
Als Faustus ihr eine Schriftrolle gab, nahm sie sie entgegen und überflog sie kurz, bevor sie mit einem schwachen Lächeln wieder hoch sah und nickte. „Das ist gut. Ich werde das zu Prozessbeginn veröffentlichen, ich denke da passt es zeitlich ganz gut hin... wenn die Leute sowieso ihren Augenmerk darauf richten.“
Sie rollte das Papyrus wieder zusammen, und eine Weile unterhielten sie sich noch, bevor Faustus sich schließlich wieder verabschiedete – ein weiteres Mal für wohl längere Zeit. -
Daran lässt sich doch was ändern... ist wieder Platz.
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Seiana war durchaus ein wenig überrascht gewesen, als sie erfahren hatte, wie eingeschränkt der Kreis derer war, die als Zuschauer zugelassen waren. Sie hätte gedacht, der Kaiser würde diesen Prozess groß aufziehen, mit möglichst breiter Öffentlichkeitswirkung – sicher bestand dabei die Gefahr, dass Vinicius und seine Anhänger den Prozess als Bühne für sich nutzten, aber die Oberhand hatte immer noch der Kaiser... und auch für ihn wäre es eine Bühne gewesen. Aus dem Prozess hätte ein Spektakel sondergleichen werden können, und Seiana schätzte Vescularius durchaus so ein, dass er Spektakel liebte. In diesem Fall schien er lieber vorsichtig zu sein, was die Frage aufwarf, warum... Aber vielleicht wollte er sich das Spektaktel auch nur für die Vollstreckung des Urteils aufheben – denn an dem Ausgang dieses Prozesses hegte Seiana keinen Zweifel.
Dass hingegen sie zu dem exklusiven Kreis an Zuschauern zählte, der zu diesem Prozess überhaupt zugelassen worden war, verwunderte Seiana kaum. Sie war leicht auf Linie zu trimmen – nicht nur weil die Acta ein Staatsorgan war, sondern auch wegen ihrer Familie, vor allem wegen ihres Bruders. Sie hatten zu viel gewonnen unter diesem Kaiser, hatten zu viel zu verlieren. Was ihr ganz und gar nicht gefiel, aber ändern konnte sie daran auch nichts, wollte sie nicht nur sich, sondern auch ihre Verwandten nicht gefährden. Sie konnte nur testen, wie weit sie die Regeln, nach denen sie spielen musste, dehnen konnte, und selbst das war schon riskant.Ruhig saß sie da, während sie auf den Beginn des Prozesses wartete, beobachtete wie Kaiser und Ankläger ihre Plätze einnahmen, wie Vinicius herein gebracht wurde, und wie der Prozess schließlich eröffnet wurde.
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So ungewöhnlich es sein mochte, dass eine Frau diese Stellung innehatte: die Decima hatte diese Stellung bereits seit Jahren inne. Was einem gut informierten Prätorianer nicht hätte entgehen dürfen
Auf die Worte des Soldaten reagierte der Sklave nur mit einem Nicken, und Seiana selbst überhaupt. Sie ging nur an den Wachen vorbei, ohne sie eines Blickes zu würdigen, und verschwand im Palast, begleitet von dem Subauctor und einem Miles. -
Allerdings konnten Frauen zu der von uns bespielten Zeit ihren Vormund selbst auswählen, wenn der Vater gestorben war oder sie aus der patria potestas entlassen hatte - und den hat sie auch nur benötigt, wenn es um den Verkauf von Eigentum ging, nicht beispielsweise zur Verwaltung des eigenen Vermögens. Und sie konnten ihre Rechte einklagen, wenn der Vormund nicht ihren Wünschen entsprechen gehandelt hat. Im Fall eines Familienstreits konnte das meines Wissens nach dann sogar der jeweilige Prätor sein, der dafür eingesprungen ist, wenn mit männlichen Verwandten gar nichts mehr ging.
Siehe z.B. hier:
ZitatNach einem unter Claudius erlassenen Gesetz ging die Vormundschaft nach dem Tod des Vaters nicht auf dessen Nachkommen über, so dass eine Frau, deren Vater verstorben war oder sie aus der väterlichen Gewalt entlassen hatte, wie ein Mann frei von Patria Potestas und geschäftsfähig war, soweit es sie selbst betraf. Sie war damit frei, sich zu verheiraten und scheiden zu lassen und über ihr Vermögen zu verfügen und es testamentarisch zu vererben. Nur für die Veräußerung von Vermögenswerten wie Immobilien und Sklaven brauchten sie einen Vormund, den sie selbst wählen durfte, um ihren Geschäften auctoritas zu verleihen.
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Mein Fehler, sorry. Ist geändert
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Tage waren vergangen, seit ihr Mann sie mit seinem Verdacht konfrontiert hatte. Tage, in denen er nichts sagte – und in denen Seiana sich nicht traute zu fragen. Tage, in denen sie irgendwann fast zu hoffen begann, sein Verdacht hätte sich möglicherweise gelegt. Es blieb immer noch das Problem mit dem Kind, das immer drängender wurde, je mehr sie die Veränderungen ihres Körpers spürte und allmählich auch zu sehen begann, aber dafür... würde ihr schon irgendetwas einfallen. Wichtig war zunächst einmal nur, dass Terentius seinen Verdacht entweder doch abtat, oder er vielleicht zu dem Schluss gekommen war, dass es nicht so wichtig war, nicht so lange nach außen alles stimmte, nicht so lange sie noch eine Chance auf ein gemeinsames Kind hatten. In diesen Fällen könnte sie irgendwie zu einer Lösung kommen. Was machte es auch schon? Sie wusste von so einigen Frauen, gerade auch in ihrer Schicht, die ihre Männer betrogen, und manche von ihnen wussten davon – und scherten sich augenscheinlich nicht darum. Gut, keiner von ihnen war noch ohne Erbe, aber das ließ sich ja ändern, dass sie Kinder bekommen konnte, war ja nun zumindest erwiesen.
Ja, sie begann ganz sacht die Hoffnung zu hegen, dass es vielleicht doch nicht so schlimm sein würde wie sie zunächst angenommen hatte. Gerade als sie allerdings an diesen Punkt gekommen war, brach dieses fragile Konstrukt der Hoffnung in sich zusammen. Besser gesagt: ihr Mann zerstörte es. Gnadenlos. Eines Tages kam er nach Hause und brüllte nach ihr, und als sie seine Stimme hörte, konnte sie schon spüren, wie ihre Hoffnung in sich zusammenfiel und nichts übrig ließ als eisige Leere, in der langsam Furcht aufzudämmern begann. Er wartete nicht, bis sie ins Atrium kam, sondern kam zu ihr, in ihr Officium, noch bevor sie die Tür erreicht hatte, und als diese aufgerissen wurde und mit einem Krachen an die Wand flog, prallte sie erschrocken einen Schritt zurück. Und machte dann noch einen, als sie ihren Mann sah, mit einem Ausdruck kalter, berechnender Wut auf seinem Gesicht, in seinen Augen. Und unwillkürlich, ohne etwas dagegen tun zu können, musste sie wieder daran denken, wie sie sich kennen gelernt hatten, wie es überhaupt dazu gekommen war, dass sie geheiratet hatten. Wie er gekommen war, um ihr Haus zu durchsuchen, um irgendetwas zu finden, was er gegen sie verwenden konnte. Wie er ihr gedroht hatte. Sie hatte es mehr oder weniger erfolgreich geschafft, das alles zu verdrängen seit ihrer Hochzeit, und obwohl da immer diese Distanz zwischen ihnen geblieben war, hatte er ihr seitdem doch nie mehr einen Anlass gegeben, daran zurückzudenken. Bis jetzt. Und jetzt war alles wieder da, so frisch, als wäre es gestern geschehen – und Seiana spürte auch die Furcht wieder, die sie damals empfunden hatte.
Sie konnte im Nachhinein nicht mehr genau sagen, welche Worte gefallen waren oder was genau passiert war. Sie wusste nur noch die traurigen Höhepunkte, und dass irgendwie einer zum anderen geführt hatte. Sie konnte sich noch daran erinnern, dass er sie beschuldigt hatte ihn betrogen zu haben, an die unsägliche Furcht, als er davon sprach, dass er sich um ihren Liebhaber gekümmert habe, und die eisige Kälte, die nach ihrem Herzen zu greifen schien bei diesen Worten – und obwohl sie nach wie vor nichts zugab, um keinen Preis etwas zugeben wollte, schien ihm diese erste Reaktion, der Schock, die Angst auf ihren Zügen als Beweis zu genügen. Das war der Moment, in dem er ihr die erste, wohlkalkulierte Ohrfeige gab, die sie zurück taumeln ließ. Und sie zugleich für Augenblicke sprachlos machte, nicht so sehr vor Schmerz oder Schreck, sondern eher vor Fassungslosigkeit, weil sie trotz all dem, was sie Terentius zutraute, doch nicht wirklich darauf vorbereitet gewesen war. Eine zweite Ohrfeige folgte, die sie wieder zur Besinnung brachte und zugleich nun den Schmerz fühlen ließ – und dann war da plötzlich Verwirrung, als sie den Namen Vibienus hörte. Vibienus. Nicht Iunius. Aus irgendeinem Grund schien ihr Mann zu dem Schluss gekommen sein, dass sie ihn mit dem Acta-Mitarbeiter betrogen hatte, was so abwegig gar nicht war, wenn man bedachte, wie viel Zeit sie vor allem dort verbrachte. Was ihr sonst noch durch den Kopf gegangen war, wusste sie nicht mehr. Nicht viel, vermutlich, mit ihrem wütenden Mann vor sich, der nach einer Erklärung verlangte, sie weiter schlug, als sie diese schuldig blieb, und nur immer noch wütender zu werden schien, als sie sich weiterhin weigerte, etwas zu sagen. Etwas zuzugeben. Das war das, woran Seiana sich festklammerte, das, was sie auch im Nachhinein noch klar im Kopf hatte, neben der Schmerzen. Nichts sagen. Nichts zugeben. Zu groß war die Gefahr, dass sie dann vielleicht Seneca verriet. Sie klammerte sich an den Gedanken an ihn, an ihr letztes Zusammentreffen, und versuchte Halt darin zu finden, um nicht einfach alles mögliche zu sagen, ob nun wahr oder unwahr, nur damit Terentius aufhörte.
Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie das durchgehalten hätte, nichts zu sagen – nicht sonderlich lange, vermutete sie. Aber es dauerte auch nicht übermäßig lange, bis es vorbei war. Nachdem er sich abreagiert, seiner Wut Luft gemacht hatte, verlor ihr Mann das Interesse an ihr, oder allem, was sie hätte sagen können. Vermutlich spielte es für ihn ohnehin keine Rolle mehr, weil er seinen Beweis hatte, seine Bestätigung dessen, was ihm irgendjemand erzählt hatte, irgendeine Frau, eine, die von ihrer Affäre wusste, eine, die ihr Böses wollte. Senecas Gesicht verwandelte sich plötzlich zu Axillas vor ihren Augen, und ein Funken zündete sich in ihr, ein Funken voll Wut und Hass – ein Funken, der für den Moment allerdings keine Chance hatte sich auszubreiten. Ihr Mann hatte das Interesse verloren, warf ihr nur noch hin, dass er sie nicht mehr sehen wollte... dass sie bis zum Abend aus seinem Haus verschwunden sein sollte. Und ließ sie dann allein, an ihrem Schreibtisch kauernd, die Spuren seiner Hände immer sichtbarer werdend auf ihrem Gesicht und ihrem Körper. -
Der Sklave verzog keine Miene, fragte sich aber insgeheim, warum um alles in der Welt ein Mann erwartet worden war. Da fand DER Prozess des Jahres statt – und die Praetorianer glaubten ernsthaft, es würde jemand geringeres als die Auctrix selbst daran teilnehmen? Noch dazu, wo der Kreis an Zuschauern so exklusiv war? Das mochte verstehen, wer wollte, er tat das sicher nicht.
Allerdings: er musste nicht erst mit seiner Herrin Rücksprache halten. Er hätte auch nicht gewusst, was er sie genau fragen sollte, immerhin war sowohl das Durchsuchen Standard an gewissen Orten – als auch, dass diese Durchsuchung immer und unter allen Umständen von Männern durchgeführt wurden. Nie von Frauen. Frauen gab es nicht beim Militär. Und seine Domina war mit Sicherheit nicht die erste Frau, die je den Palatin betrat. „Selbstverständlich ist sie einverstanden“, antwortete er und machte ein paar Schritte zurück, um der Auctrix und ihrem Begleiter – einem Subauctor – vorbei zu lassen. Beide positionierten sich so, dass die Soldaten sie problemlos würden durchsuchen können, und selbstverständlich würde die Durchsuchung ohne auffälliges Ergebnis ausfallen, da sie nichts bei sich trugen, was ein Problem hätte darstellen können.