Seiana schloss die Augen. Die wohlige Entspanntheit vor fort... weniger aus ihrem Körper als vielmehr aus ihrem Geist. Da waren sie wieder, all die Gedanken, und drehten sich vornehmlich um die Probleme, die die Schwangerschaft mit sich bringen könnte, wenn es schlecht lief. Und seine Reaktion trug nichts dazu bei, es besser zu machen. Sie spürte, dass er unzufrieden war mit ihrer Antwort. Sein letzter Satz hatte etwas von einem trotzigen Kind, und selbst wenn sie das falsch verstand – er war unzufrieden.
Seiana blieb noch einen Augenblick liegen, schweigend, dann noch einen, und noch einen weiteren, aber dann hielt sie nicht mehr aus, was ihr gerade eben noch so gut getan hatte, die Wärme, die körperliche Nähe zu ihm. Sie ertrug es plötzlich nicht mehr, berührt zu werden, und so zog sie sich zurück, innerlich wie äußerlich. Sich einfach nur umzudrehen kam dabei nicht in Frage, das... hatte viel zu viel von einer Ablehnung, und sie wollte ihn ja nicht ablehnen, sie wollte ihn eigentlich nicht weg stoßen, sie wollte nur... sie brauchte etwas Raum, etwas Abstand. Also stand sie auf und ging hinüber zu dem Tisch, auf dem Seneca zuvor den Krug mit Wein abgestellt hatte, den der Wirt ihm gegeben hatte. Sie wollte eigentlich nichts, aber es war ein Grund aufzustehen, wenn auch ein vorgeschobener Grund, und sie machte weiter damit, schenkte sich ein und nippte an dem Becher. Nur um gleich darauf das Gesicht ein wenig zu verziehen, gehörte der Wein doch ganz eindeutig nicht zur besten Sorte. Trotzdem nippte sie noch einmal daran, während sie es sorgfältig vermied, ihn anzusehen.
Beiträge von Decima Seiana
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Seiana war da anderer Ansicht, aber sie sagte nichts darauf. Bestenfalls würde darauf er dann nichts mehr sagen, schlimmstenfalls würde es in eine Unterhaltung darüber enden, welche Fehler sie hatte... und sie musste nicht vor ihm ausbreiten, was an ihr alles mangelhaft war. Was nicht genug war. So küsste sie nur noch einmal seine Schulter, und rückte vorsichtig noch ein kleines Stückchen näher an ihn heran. Sie wollte das nicht so offensiv tun, wusste nicht, ob er vielleicht etwas dagegen hatte, aber sie sehnte sich nach seiner Nähe. Am liebsten hätte sie sich ganz an ihn geschmiegt, aber so, wie es war, ging es auch schon – ihr Arm auf seinem Brust, ihr Kopf mittlerweile an seiner Schulter, ihr Körper nah genug an seinem, dass sie die Wärme spüren konnte, die er ausstrahlte.
Und dann fragte er noch einmal nach dem, was vorhin gewesen war. Völlig aus dem Blauen heraus, so kam es Seiana vor, und es erwischte sie kalt in ihrer wohligen Stimmung. Ihr Körper verspannte sich, ihre Finger hörten auf, über seine Brust zu streicheln, und unwillkürlich rückte ihr Kopf wieder ein ab von ihm. „Nein“, antwortete sie, und ihre Stimme klang beinahe schroff... und als ihr das bewusst wurde, biss sie sich auf die Unterlippe. „Nein, du hast nichts falsch gemacht“, fügte sie an, und diesmal war ihr Tonfall sanfter. „Es ist nichts... nichts was...“ Ja, was? Nichts wichtiges. Gelogen. Nichts was ihn etwas anging. Auch gelogen. Und sie wollte ihn nicht anlügen. Nicht ihn. Aber der Satz hing immer noch unvollendet in der Luft, und das Schweigen zog sich in die Länge. Seiana holte Luft. „Mach dir keine Gedanken.“ -
Erschöpft, aber erfüllt mit einer wohligen Zufriedenheit, die Seiana selten spürte, lag sie da, als Seneca sie noch einmal küsste. Ihre Brust hob und senkte sich nach wie vor in schnellem Rhythmus, und sie genoss dieses Gefühl, den Nachklang des eben Erlebten, der noch durch ihren Körper hallte, die Zufriedenheit, die Erschöpfung, diese vollkommene Entspannung.
Und mitten in diese Entspannung hinein hörte sie, was Seneca sagte, so leise, dass sie nicht einmal wusste ob es für sie bestimmt gewesen war. Einen Augenblick lang rührte sie sich kaum, erwiderte nur den Kuss, den er ihr gab, bevor er sich dann von ihr löste, um sich neben ihr auszustrecken. Es war etwas anderes, jetzt. Anders als in Ostia, wo sie so verletzt gewesen war, verletzt und verletzlich, als er es ihr das erste Mal gesagt hatte. Es hatte nichts von der Hilflosigkeit, die damals mitgeschwungen hatte, nichts von der Hoffnungslosigkeit, nichts von dem Schmerz. Es hatte nicht weniger glaubhaft geklungen in Ostia, nicht weniger ehrlich... aber jetzt klang es so viel positiver. So wie ihre Worte zuvor auch, fiel ihr nun auf. Ein schwaches Lächeln hob ihre Mundwinkel, als sie nun auch ihren Körper zur Seite drehte, in seine Richtung. Sie legte einen Arm auf seine Brust, streichelte mit ihren Fingern zart über seine Haut, die noch feucht vom Schweiß war, rückte ein wenig näher an ihn heran und küsste seine Schulter. Auch das war ungewohnt für sie, dass keiner aufstand und ging, den anderen zurückließ, sondern sie einfach weiter beieinander lagen... und dass sie es noch genauso mochte wie in den Albaner Bergen, obwohl sie sich lange nicht mehr so einsam und verloren fühlte, wie sie es dort getan hatte. „Ich weiß nicht, womit ich dich verdient hab.“ -
Da passt man einmal nicht auf... so was aber auch... Ist wieder Platz
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Seiana hatte das Gefühl, endgültig in Flammen aufzugehen, als Seneca ihrer Aufforderung nachkam. Sie zitterte und schauderte unter seinen Berührungen, reagierte auf seine Bewegungen, kam ihm entgegen und teilte seinen Rhythmus. Sie liebte es ihn zu spüren, an ihr, in ihr, und fast noch mehr liebte sie die Hingabe, die er zeigte, all diese kleinen Details, die sie für ihn brennen ließen. Sie erwiderte seine Liebkosungen und kam ihm noch mehr entgegen, wollte ihn noch näher, noch tiefer, während seine Finger sich mit ihren schweißnassen verhakten. Immer schwerer wurde ihr Atem, während sie das Gefühl hatte in einem Taumel aus Lust zu vergehen, in dem sie jedes Zeitgefühl verlor, in dem er Welle um Welle über sie hereinbrechen ließ, bis sie irgendwann nicht anders konnte als loszulassen und ihm endgültig jegliche Führung zu überlassen. Ihre Finger krampften sich um seine, während sie auf den Höhepunkt zusteuerte, und ihre Lippen suchten ein ums andere Mal nach ihm, seinen Lippen, seiner Haut, was auch immer sie von ihm zu spüren bekam.
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Selten genug geschah es, dass ihr Verstand, ihr bewusstes Denken wirklich keine Rolle mehr spielte in dem, was sie tat, keinen Einfluss mehr hatte auf sie. Aber als sie hörte und spürte, wie Seneca auf ihre Berührungen reagierte, verflüchtigten sich auch ihre Gedanken, und zurück blieb nur Verlangen, angetrieben durch nicht viel mehr als das, was sie spürte, und die Laute der Lust, die er von sich gab. Und als Seneca sie dann erneut zu sich zog, sich mit ihr drehte, bis er erneut über ihr war, gab es keine Gedanken mehr, verschlungen vom Feuer, von diesem lodernden Brennen, das er in ihr entfachte. Das einzige, was zählte, war er, waren sie beide, und ihr Verlangen nacheinander... und sie genoss es nur umso mehr, weil es so selten war für sie, dass es so war. Seine Berührungen tanzten über ihre Haut, und sie hatte das Gefühl unter seinen Händen zu zerfließen. Ihre Finger vergruben sich in seinen Haaren, als seine Lippen plötzlich an ihrem Ohr waren, und Seiana keuchte leise auf, als sie seine Worte hörte. „Dann nimm mich“, wisperte sie zurück, und noch während sie das sagte, setzte sie ihren Körper weit offensiver ein, um ihren Worten Nachdruck zu verleihen. „Nimm mich“, wiederholte sie schwer atmend, drängte sich an ihn und umschlang ihn mit ihren Beinen, um sich mit ihm zu vereinen.
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And all the roads we have to walk are winding
And all the lights that lead us there are blinding
There are many things that I would like to say to you
But I don't know howBecause maybe
You're gonna be the one that saves me
And after all
You're my wonderwall~ Oasis – Wonderwall ~
Seiana war sich nicht sicher, ob Seneca ihr wirklich glaubte, dass es nichts war, aber in jedem Fall ließ er sich ablenken, fragte nicht weiter nach, und das war ihr genug. Es war ja nicht nur, dass sie gar nicht sicher war, ob sie überhaupt wollte, dass er von ihrer Schwangerschaft erfuhr... auch wenn es sich kaum vermeiden lassen würde, dass er irgendwann doch erkennen würde. Es war auch, dass sie selbst einfach nicht daran denken wollte. Auch wenn sie sonst gern einen Plan hatte, eine Struktur, in diesem Fall hatte sie sich bislang noch nichts dergleichen zurecht gelegt. Es war seltsam. Da wuchs etwas in ihr heran, etwas, das nicht zu ihr gehörte, das ein Teil von ihr war, ohne wirklich ein Teil von ihr zu sein, das etwas Anderes war, etwas Fremdes. In ihrem Körper. Sie hatte das nicht unter Kontrolle. Sie konnte es nicht steuern. Es verunsicherte sie... es machte ihr fast sogar ein wenig Angst. Genug in jedem Fall, dass sie sich nicht damit beschäftigen wollte, nicht einmal so weit, um das zu planen, was sie planen konnte.
Natürlich war sie also erleichtert, dass Seneca nicht nachfragte, und sie ließ ihre Lippen und Hände weiter über seinen Körper wandern, bis er sie wieder zu sich zog, sein Gesicht an ihrem und flüsterte ihr etwas zu. Seiana verharrte und sah ihn für einen Moment einfach nur an, strich dann über sein Gesicht, fuhr zärtlich die Konturen seiner Braue nach, seiner Wangenknochen, seines Kiefers. Er war für sie da. Es gab nichts, was er tun konnte, um ihr zu helfen. Nach wie vor war in erster Linie sie es, die in der Schusslinie stand... und er konnte nichts tun. Schon gar nicht, ohne sich selbst dabei in Gefahr zu bringen, und selbst dann zweifelte sie daran, ob er ihr wirklich würde helfen können. Aber er war für sie da. Er war für sie da. Seiana konnte gar nicht aussprechen, was das für sie bedeutete. „Du...“ Sie strich noch einmal sein Gesicht entlang und senkte dann ihren Kopf, küsste ihn. „Ich liebe dich“, wisperte sie zwischendrin, und löste ihre Lippen schließlich von seinen, um sich erneut seinem Körper zu widmen, Hals, Brust, und weiter hinunter, in tiefere Regionen, mit denen sie sich eingehender beschäftigte.
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Natürlich fiel es ihm auf. Seiana merkte es an seiner Reaktion, dem leicht verwunderten Blick, den er ihr zuwarf, und wie er seine Hand von selbst fortzog und zwar weiter machte, aber ihren Bauch mied. Sie schloss die Augen, als seine Lippen an ihrem Hals spürte. „Nein. Doch“, korrigierte sie sich rasch, als ihr klar wurde, dass er ihr die perfekte Ausrede geliefert hatte, hatte aber das Gefühl, dass sie noch etwas sagen musste... „Nicht wichtig“, schob sie also noch nach, und machte die Verwirrung damit wahrscheinlich komplett. Sie legte ihre Hände an seine Wangen, umrahmte seinen Kopf und küsste ihn innig, und während sie das tat, drehte sie sich so, dass sie auf ihm zu liegen kam. „Nicht so wichtig“, murmelte sie erneut an seinem Mund, bevor ihre Lippen weiter wanderten, seine Wange küssten, seinen Hals, seine Brust.
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Stück für Stück landete ihre Kleidung irgendwo neben ihnen, bis da nichts mehr war, was sie noch trennte, und Seiana nutzte es, ausgiebig, erkundete seinen Körper mit Fingern und Lippen und genoss es, dass er das gleiche mit ihr tat. Dann allerdings drängte etwas anderes zwischen sie, in ihrem Kopf, als er das erste Mal über ihren nackten Bauch strich, der noch keine Wölbung zeigte, keine jedenfalls, die wirklich auffiel, und Seiana dankte den Göttern dafür, dass es relativ lang dauerte, bis man einer Frau tatsächlich ansehen konnte, dass sie schwanger – erst recht, wenn sie es das erste Mal war und stets auf ihren Körper geachtet hatte, darauf, dass er straff blieb, oder besser: die ihren Körper stets unter Kontrolle gehabt hatte so wie sie. Sie hasste die Vorstellung, dass sich das noch ändern würde, aus so vielen Gründen, aber bisher war es erträglich gewesen... selbst die berüchtigte Übelkeit der ersten Monate hatte sich bei ihr in Grenzen gehalten, wobei Seiana nicht zu sagen wusste, ob sie tatsächlich weniger anfällig war oder ob ihr Kontrollwahn über sich selbst und die anfängliche Leugnung der Schwangerschaft sogar so weit reichte, dass ihr Körper entsprechend reagierte. So oder so hatte sie noch wenig gemerkt, abgesehen davon, dass sie empfindlicher geworden war, verletzlicher, aber sie war geübt darin, auch solche Dinge zu unterdrücken – egal aus welchem Grund sie sich nun so fühlte.
In diesem einen Moment allerdings, als Seneca das erste Mal ihren nackten Bauch berührte, da konnte sie die Schwangerschaft nicht ignorieren. Sie sog ruckartig tief Luft ein und legte ihre Hand kurz auf seine, unschlüssig ob sie sie dort festhalten oder weg stoßen sollte, und mit einem Mal war alles da, was sie sonst verdrängte: das ungeborene Kind, die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, dass Seneca der Vater war, die ganzen Probleme, die das mit sich brachte, der Verdacht ihres Mannes, der schon entfacht war, die Ungewissheit, wie das alles weiter gehen sollte, und die erschreckende Tatsache, dass sie Mutter wurde, sie, ausgerechnet sie, die das weder wollte noch sich vorstellen konnte, sondern im Grunde nicht mehr als eine leidige Pflicht darin sah... die sie nun, mit dieser Schwangerschaft jedenfalls, noch nicht einmal erfüllte, vorausgesetzt ihr Mann war so misstrauisch, dass er dieses Kind nicht als seines annahm. Schnell ließ sie ihre Hand weiter gleiten, seinen Arm hinauf zu seiner Brust, ohne etwas anderes mit seiner Hand auf ihrem Bauch getan zu haben als sie zu berühren, und sie schmiegte sich an ihn, suchte mit ihren Lippen nach seinen und küsste ihn drängend, in der Hoffnung, dass die rasenden Gedanken in ihrem Kopf sich einfach verflüchtigten unter seinen Berührungen. -
Vergiss die Regeln. So schlicht. So einfach. Vergiss die Regeln. Sie hatte sie schon vergessen, verdrängt, verworfen. Was sonst blieb ihr auch übrig? Sie wollte mit Seneca zusammen sein. So furchtbar wenig Stunden sie auch haben mochten miteinander, so furchtbar knapp ihre Zeit auch bemessen war, sie wollte ihn. Und ihn haben zu können, ihn zu spüren, und zu wissen, dass er sie genauso wollte, war jedes Risiko wert, oder jedenfalls glaubte Seiana das in diesem Augenblick.
Sacht drängte er sie in Richtung des Betts, das aufgrund der geringen Größe des Raums ohnehin recht nah war, und Seiana ließ sich von ihm führen, während sie zugleich noch mehr von ihm spüren wollte, noch mehr berühren. Ihre Lippen schienen beinahe verschmolzen zu sein, aber ihre Hände wanderten über seinen Körper, strichen über Haut und Stoff und wieder Haut. Langsam ließ sie sich auf das Bett sinken, als sie die Kante an ihren Beinen fühlte, ohne Zögern, ohne Widerstand – und ohne sich von ihm zu lösen. Sie wollte Seneca. Wenn sie verdammt war deswegen, dann war sie es ohnehin schon längst, seit den Albaner Bergen, seit sie sich dort auf ihn eingelassen, sich ihm geöffnet hatte, anstatt zu tun was sie immer tat: kühle Distanz zu wahren. Und sie war froh darum. Froh, dass es ihn gab, froh, dass sie sich eingelassen hatte... froh, dass er in ihrem Leben war. Und dass sie ihn jetzt, in diesem Augenblick, spüren konnte, die zunehmende Hitze, die sein Körper ausstrahlte, seine Lippen auf ihren, die Geschmeidigkeit von Haut und Muskeln unter ihren Händen. Schon längst hatten sich ihre Finger unter den Stoff seiner Tunika gemogelt, um noch mehr Haut erkunden zu können, während sie leise seinen Namen murmelte, einfach so, weil ihr danach war, weil sie den Klang liebte. -
Es brauchte so wenig, damit er reagierte. Es spielte überhaupt keine Rolle, ob sie unsicher war oder nicht so recht wusste, was sie tun sollte – es musste einfach nicht viel sein. Auf ihn zuzugehen reichte schon aus, dass er sie erneut in seine Arme zog. Er ließ sie weder zappeln noch erwartete er, dass sie irgendwelche Verführungskünste an den Tag legte, die sie einfach nicht hatte. Auch dafür liebte sie ihn, dass er sie mit einer im positiven Sinn fast schon gedankenlosen Selbstverständlichkeit einfach berührte, dass das alles so... natürlich für ihn zu sein schien.
„Ein paar?“ murmelte sie als Erwiderung zwischen zwei Küssen, und wenn ihre Lippen nicht so beschäftigt gewesen wären, hätte sie gelächelt. „Du bringst mich dazu, gegen alle meine Regeln zu verstoßen.“ Ein Kribbeln lief über ihre Haut, als sie seine Finger in ihrem Rücken spürte, und sie lehnte sich enger an ihn, mit einer Hand auf seiner Brust, der anderen in seinem Nacken, wo sie sacht durch seine Haare strich mit ihren Fingern. „Du mir auch“, antwortete sie in der nächsten winzigen Pause, in der sich ihre Lippen kurz voneinander lösten, küsste ihn erneut und fügte danach an. „Jeden Tag.“ Wann immer sie an ihn gedacht hatte. Sie hatte nicht immer das schlechte Gewissen gespürt, und auch nicht immer die vage Furcht davor entdeckt zu werden... aber die Sehnsucht war stets da gewesen. Aber jetzt, in diesem Augenblick, war Seiana nicht danach, darüber nachzudenken, die Melancholie zuzulassen, die das bedeutete. Sie lächelte nun doch, fast ein wenig verschmitzt – was so selten vorkam, dass sie selbst gar nicht mehr wusste, dass sie das konnte –, und berührte seine Lippen erneut mit ihren. „Muss an deinen Führungsqualitäten liegen.“ -
Seiana wartete, nicht sonderlich gern, aber geduldig, bis Seneca wieder zurückkam – und nahm dann zögernd seine Hand, als er ihr anbot. Sie kam sich tatsächlich seltsam dabei vor, Hand in Hand mit ihm durch den Hauptraum der Taberna zu laufen. Diese Selbstverständlichkeit, die in dieser Geste lag, war ungewohnt für sie, und vor all den Leuten fast schon unangenehm. Trotzdem ließ sie zu, dass er ihre Hand hielt und sie so zwischen den Tischen hindurch lotste, durch Gäste, die keinen zweiten, häufig nicht mal einen ersten Blick für sie übrig hatten... zuerst war sie unschlüssig gewesen, ob es so gut war, dass hier doch recht viele Leute waren, aber bereits nach ein paar Schritten nahm sie an, dass es von Vorteil war – dass es daran lag, dass sich kaum einer für sie auch nur ansatzweise interessierte.
Seneca führte sie die Treppe hinauf und wandte sich dann nach rechts, öffnete eine Tür, und Seiana folgte ihm in das Zimmer hinein. Einfach, aber sauber. So, dass es weder im positiven noch im negativen einen zweiten Blick wert gewesen wäre. Sie schloss die Tür hinter sich und sperrte damit einen Großteil des Lärms von unten aus, nur recht schwaches Stimmengewirr drang nun noch herein. Zwei Schritte führten sie in den Raum hinein, während sie langsam die Palla löste, sie abnahm und auf das Bett legte, bevor sie vor Seneca stehen blieb, ein wenig unschlüssig, was sie jetzt tun sollte. „Gut gewählt, Centurio“, lächelte sie schwach und strich sacht über seine Wange, kam dann noch näher zu ihm, bis ihre Körper sich berührten, und küsste ihn.
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Kurz hoben sich ihre Mundwinkel an, als sie Senecas Hand die ihre streifen spürte, dann zog Seiana die Palla enger um sich, vor allem um ihren Kopf, so dass ihr Gesicht in der Dämmerung und im Schatten des Stoffs kaum erkennbar war für jemanden, der nicht gerade direkt vor ihr stand. Es machte ihr nichts, dass sie nur nebeneinander herliefen, dass sie keinen Körperkontakt währenddessen hatten. Für gewöhnlich mochte sie direkten Kontakt mit anderen Menschen nicht einmal, und obwohl das bei Seneca anders war, wäre es ihr dennoch komisch vorgekommen, ihn zu berühren, während sie einfach irgendwohin gingen. Ein wenig überrascht hingegen war sie allerdings, dass er einfach an dem Karren vorbeilief, weil sie nicht gedacht hätte, dass das Gasthaus, das er im Sinn hatte, tatsächlich so nah war. Ohne etwas darüber zu sagen, folgte sie ihm aber einfach nur, während ihre Leibwächter sich um den Karren kümmerten und ihnen folgten.
Es dauerte tatsächlich nicht allzu lange, bis sie das Gasthaus erreichten, auch wenn Seiana feststellen musste, dass sie es nicht mehr gewohnt war, lange Strecken zu Fuß zu gehen. Und auch das Gasthaus selbst war... weit einfacher, als sie es gewohnt war mittlerweile. Sie war bei weitem nicht übersprudelndem Luxus aufgewachsen wie Patrizier oder manche Plebejer, deren Familien bereits seit Generationen reich waren, das ganz sicher nicht. Sie wusste noch von früher, wie es anders war, kannte ein einfacheres Leben – freilich weit entfernt von ärmlich, sie hatten stets genug, um gut leben zu können, aber dennoch war es eben einfacher gewesen –, und wusste zudem auch, wie bescheiden die Umstände auf Reisen waren. Allein: in den vergangenen Jahren hatte sie nichts davon mehr erlebt. Seit sie aus Aegyptus zurückgekehrt war, war sie nirgendwo mehr hingereist, was weiter als höchstens eine Tagesreise von Rom entfernt war – abgesehen von der Reise nach Mantua, die ihr Mann und sie nach ihrer Hochzeit gemacht hatten, wo sie ähnlich einfache Unterkünfte erlebt hatte, und auch das war nun schon wieder einige Jahre her. Und was Rom selbst anging... Ihre Familie hatte in den vergangenen zwei, drei Jahrzehnten einen unglaublichen Aufstieg geschafft, und seit sie in Rom war, lebte Seiana in und mit einem Luxus, den sie sich früher kaum hätte vorstellen können. Sie hielt nicht viel von Prunk und Protz, wie ihn manche an den Tag legten, aber das änderte nichts daran, dass sie die Annehmlichkeiten nicht nur einfach hatte, sondern dass diese auch bis zu einem gewissen Grad selbstverständlich für sie geworden waren.
Allerdings war ihr letztlich völlig egal, ob das Gasthaus einfach war. Sie konnte Zeit mit Seneca verbringen, das war es, was zählte. Sie hielt sich im Hintergrund, behielt die Palla weiter eng um sich geschlungen, so dass ihr Gesicht im Schatten blieb, während sie darauf wartete, dass Seneca mit dem Wirt sprach und sie sich zurückziehen konnten. -
Ein Gasthaus. Seiana zögerte kurz, aber sie ging davon aus, dass Seneca es nicht vorschlagen würde, wenn er es nicht für sicher halten würde. Er war Prätorianer, wenn er nicht wusste, welche Orte sicher waren, wusste es wohl niemand.
Sie nickte leicht. „Das klingt doch gut...“ Sie sah zu dem Reisewagen hinüber, mit dem sie gekommen war, und zögerte kurz. Für einen winzigen Moment loderte ihr schlechtes Gewissen auf, und die Furcht davor entdeckt zu werden. Aber sie hatte sich eigentlich um alles gekümmert. Sie hatte eine Begründung, eine gute – so gut sogar, dass sie so oder so heute Nacht nicht nach Hause kommen würde, weil das nur wieder Fragen aufgeworfen hätte, warum sie doch zurückkam, wo sie doch nicht nur ihre Betriebe in Rom, sondern auch den in Ostia sowie die Landgüter ihrer Familie in der Gegend inspizieren wollte. Und sie wollte Zeit mit Seneca verbringen. Sie sehnte sich nach ihm. Sie brauchte ihn. Er war einer von genau zwei Menschen auf der Welt, bei dem das so war, auch wenn sie nie gewollt hatte, dass es so weit kam, nie gewollt hatte, dass es außer Faustus noch jemanden geben würde, der ihr so nahe stand... so nahe, dass sie ohne ihn nicht mehr sein zu können meinte. So nahe, dass es ein Loch in ihre Brust reißen, sie ihn einen endlosen Abgrund stürzen würde, sollte er sie auf die ein oder andere Art verlassen. Sie brauchte ihn, und das hier war einer der seltenen Augenblicke, in denen sie sich das auch eingestand. „Ich kann auch bis morgen“, antwortete Seiana schließlich, und ihre Stimme zitterte leicht, während sie darum kämpfte, ihre Gefühle wieder unter Verschluss zu kriegen. Ihre Hand krampfte sich leicht in den Stoff seiner Tunika über seiner Brust, während sie tief durchatmete. „Ich habe... ich kontrolliere meine Betriebe, dafür muss ich auch nach Ostia... da bleibe ich dann in der Regel immer über Nacht.“ -
Für einen Moment war Seiana irritiert, als Seneca davon sprach, dass es wohl kein so günstiger Zeitpunkt für eine Beförderung war. Flüchtig sah sie hoch, mit fragender Miene – dann begriff sie. Er hatte den Bürgerkrieg im Sinn. Sie hingegen hatte an ihren Mann gedacht, was passieren könnte, wenn es nicht bei dem Verdacht blieb... und wenn er herausfand, mit wem sie ihn betrog. „Wenn du bereit dafür bist, dann ist es immer ein guter Zeitpunkt, befördert zu werden“, erwiderte sie allerdings nur leise, ohne zu erklären, woran sie gedacht hatte. „Du wirst hervorragend sein als Centurio, davon bin ich überzeugt.“ Und vielleicht, wenn alles gut ging, würden die Prätorianer gar nicht zum Einsatz kommen. Vielleicht würde der Krieg sich schon vorher entscheiden, zu schnell, als dass die Garde noch eingreifen müsste oder könnte. Müsste, weil die Truppen des Vescularius siegten... könnte, weil sie verloren, und das so massiv, dass auch die Garde daran nichts hätte ändern können. Sollte letzteres der Fall sein, betete Seiana nur zu allen Göttern, dass Faustus Verstand genug besaß, um die Seiten zu wechseln und den Siegern Rom kampflos zu liefern – und so nicht nur eine Menge Blutvergießen in den Straßen der Stadt zu verhindern, sondern auch seine Familie zu retten, seinen Stand, sein Vermögen, vielleicht sogar sein Leben.
„Ja, ich auch“, stimmte sie mit einem leisen Seufzen zu. So negativ belastet die meiste Zeit in den Albaner Bergen für sie war, umso mehr hob sich die Zeit mit Seneca davon ab. „Keine Versteckspiele... kein Risiko. Ich wünschte...“ Sie vollendete den Satz nicht, sondern fuhr nach einer kurzen Pause mit etwas anderem fort: „Hast du etwas geplant? Irgendetwas, wohin wir uns zurückziehen können?“ Ein bisschen mehr Abgeschiedenheit und vor allem Schutz vor neugierigen Augen, die zufällig auf der Via Appia vorbei kommen mochten, konnte nicht schaden. Und Seiana ging nicht davon aus, dass Seneca vorhatte hier beim iunischen Familiengrab zu bleiben. Ganz abgesehen davon, dass es eine heilige Stätte war – Seiana wollte gar nicht allzu lange hier bleiben, nicht einmal in der Nähe davon. Sie hatte kein Problem damit, sich mit einer lebendigen Iunia anzulegen. Aber sie musste nicht den Zorn der Toten auf sich ziehen. „Wie lange hast du überhaupt Zeit?“
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Seiana lächelte schwach bei seinen Worten. „Ganz sicher war ich mir nicht... aber ich konnte mir auch nichts anderes vorstellen, worauf deine Worte hätten hinweisen sollen.“ Sie sollten etwas vereinbaren, einen Code, den sie beide kannten, den sie beide würden entziffern können, und... Seiana presste die Lippen aufeinander. Ein Code. Um sich treffen zu können. Sie war schon eine Ehebrecherin, sie betrog ihren Mann bereits – dass sie mit Seneca nur einmal tatsächlich geschlafen hatte, machte da wohl keinen Unterschied –, aber bisher war es immer noch... es war nie geplant gewesen. Das hier war das erste Treffen, das den Ansatz einer Planung hatte... und das, was ihr nun gerade durch den Kopf gegangen war, das war... es würde ihren Betrug auf eine andere Ebene heben. Seiana wusste selbst nicht, warum das noch eine Rolle spielte, wo sie doch schon eine Betrügerin war, und wo sie sich zudem schon längst darüber klar geworden war, dass sie nicht bereit war Seneca aufzugeben. Trotzdem tat es das, trotzdem scheute sie allein vor dem Gedanke daran zurück, ihren Mann nicht mehr nur sporadisch, sondern systematisch zu hintergehen.
Sie verdrängte die Gedanken daran. Seneca und sie waren hier, zusammen, und seit den Albaner Bergen war das hier das erste Mal, dass sie nicht quasi dauerhaft in Gefahr waren, entdeckt zu werden, dass sie ein wenig Zeit hatten, dass ihr Treffen nicht überschattet war von etwas anderem. Und Seiana hatte nicht vor, daran jetzt etwas zu ändern. Sie lehnte sich noch näher an ihn, legte ihren Kopf an seine Brust und atmete seinen Geruch ein – und sah wieder auf, rasch, als Seneca ihr von seiner Beförderung erzählte. „Das... herzlichen Glückwunsch!“ Seiana umarmte ihn und gab ihm einen Kuss. Eine Beförderung zum Centurio, bei der Garde, in seinem Alter, das war nicht unbedingt normal. Und es hieß, dass er ein Stück weit sicherer war. Je höher Seneca in der Hierarchie stand, desto schwieriger würde es sein, ihm etwas anzutun. Sie lächelte. „Das ist großartig, Seneca“, wisperte sie an seinen Lippen. „Wann wurdest du befördert?“
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Seiana wartete außerhalb des Grabmals, ein wenig entfernt von der Straße, und bemühte sich, geduldig zu sein. Aber es fiel ihr schwer zu warten, während ihr Leibwächter im Grabmal verschwand und eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr auftauchte... es konnte sich gar nicht um einen wirklich langen Zeitraum handeln, und das wusste sie auch, aber Seiana kam es dennoch so vor. Sie rieb sich über Mund und Kinn und betrachtete den Reisewagen, mit dem sie hierher gekommen war, ein eher einfaches Modell, in dem man sicher nicht jemanden wie sie vermuten würde, und drehte sich dann wieder um, um zum Eingang zu sehen... bis schließlich ein verhüllter Mann hervortrat, der sich gleich, noch bevor sie sich hätte Sorgen machen können, als Seneca zu erkennen gab. Seiana holte tief Luft, und ein sachtes Lächeln zeigte sich auf ihrem Gesicht. Sie gab Bran, der hinter Seneca aus dem Grabmal trat, mit einem Wink zu verstehen, sich ein wenig zurückzuziehen und aufzupassen, sie zu warnen, falls sich jemand näherte, bevor sie sich Seneca zuwandte. Ihrem Geliebten. Sie spürte ein Kribbeln, als sie zum ersten Mal tatsächlich diesen Begriff in Gedanken nutzte. Geliebter. Zum ersten Mal in ihrem Leben. Für einen winzigen Moment schloss sie die Augen und seufzte lautlos, bevor sie sie wieder öffnete und Seneca endlich berührte, sich nur leicht an ihn lehnte und eine Hand an seine Wange legte. „Natürlich“, antwortete sie leise, obwohl das so natürlich gar nicht war. Es hätte so viel dazwischen kommen können... aber sie war. Sie beide waren da. „Es tut so gut dich zu sehen“, murmelte sie einfach das, was ihr auf der Zunge lag, ohne großartig nachzudenken, was sie selten tat.
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Von mir auch alles Gute
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[Blockierte Grafik: http://img209.imageshack.us/img209/2221/bran.png]
Bran verdrehte die Augen, als der Kerl nicht einfach nur bejahte, sondern meinte das Spiel weiterspielen zu müssen. Aber immerhin gab er sich zu erkennen, war ja auch schon etwas. „Sie ist“, bestätigte er und warf dem Mann die Schriftrolle als Beweis zu, die erst am Morgen den Weg in die Acta gefunden hatte. Dann allerdings schüttelte er andeutungsweise den Kopf. „Wie wär's wenn du rausgehst? Und dabei deine Kapuze abnimmst, dass sie dein Gesicht sehen kann.“
CUSTOS CORPORIS - DECIMA SEIANA -
[Blockierte Grafik: http://img209.imageshack.us/img209/2221/bran.png]
Bran blieb sofort, kaum dass vor ihm plötzlich ein Mann auftauchte, und sein Körper spannte sich augenblicklich an. „Ich bin auf der Suche nach Paris“, antwortete er dennoch in ruhigem Tonfall – und das obwohl er den Satz unglaublich dämlich fand... aber was tat man nicht alles, wenn Herrin das so wollte. Angespannt blieb er trotzdem, schon allein weil die Decima ihm eingeschärft hatte, vorsichtig zu sein. Und dass er den Mann nicht erkennen konnte, ließ Bran tatsächlich vorsichtig sein.
CUSTOS CORPORIS - DECIMA SEIANA