Ruhig, nahezu regungslos lag sie anschließend neben ihm, auf dem Rücken – noch nicht abgewendet von ihm, ihm aber auch nicht zugewandt. Flüchtig fragte sie sich, ob er heute Nacht wohl hier bleiben würde... hin und wieder tat er das, und jedes Mal wünschte sie sich dann, er würde gehen, weil ihr die Nähe zu viel wurde. Nähe war ihr so häufig zu viel... nur die ihres Bruders war etwas anderes. Und Seneca. Mit Seneca hatte sie zum ersten Mal die Erfahrung gemacht, wie es war, auch gemeinsam mit einem Mann einschlafen zu wollen. Seine Nähe nicht nur zu genießen, wenn sie miteinander schliefen, sondern auch danach.
Häufig allerdings ging ihr Mann wieder, und auch heute erhob er sich nach einiger Zeit, was Seiana mit einiger Erleichterung registrierte. „Sicher“, erwiderte sie nur, auch wenn sie wusste, dass er auf ihre Antwort wenig geben würde, und fügte noch, bevor er ihr Cubiculum verließ, an: „Gute Nacht.“
Eine Weile blieb sie noch liegen... bevor auch sie sich noch einmal erhob, sich flüchtig mit Wasser benetzte, das in einer abgeteilten Ecke ihres Zimmers bereit stand, sich dann eine lockere Tunika überzog... und schließlich hinsetzte, in einen der Korbsessel, die wie schon in ihrem alten Cubiculum in der Casa Decima beim Fenster platziert waren. Gedankenverloren starrte sie hinaus. Sie hatte die Gedanken wunderbar verdrängen können in den letzten Momenten, aber jetzt waren sie wieder da, schienen regelrecht über sie herzufallen. Das vielleicht Schlimmste war: sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. Ihr Verstand sagte ihr, dass es so nicht weiter gehen konnte. Das Risiko war viel zu groß. Gäbe es schon Kinder, Söhne vor allem, deren Abstammung eindeutig war, wäre es nicht ganz so schlimm... immerhin hätte Terentius dann Erben, was das wichtigste war. Dann blieb nur noch die Frage, wie besitzergreifend er war... es gab Männer, denen war es bei einer Zweckehe wie der ihren, die vor allem von Distanz geprägt war, egal, was ihre Frau so trieb, solange es schon eigene Söhne gab und sicher gestellt war, dass ihnen kein weiteres, fremdes Balg untergeschoben wurde. Das einzige Problem hier war: so distanziert ihre Ehe auch war... Seiana konnte sich durchaus vorstellen, dass Terentius sehr besitzergreifend war. Dass er egal unter welchen Umständen kaum begeistert davon sein würde, wenn er herausfand, dass seine Frau ihn hinterging. Und diese Gedankenspiele waren ohnehin müßig: es gab noch keine Söhne. Es gab nicht einmal Töchter. Sie unterdrückte ein Schaudern, als sie daran zurückdachte, wie sie ihren Mann kennen gelernt hatte, wie diese Ehe zustande gekommen war. Es gab keine Ausflüchte, kein Umdeuten, keine Argumentation darum herum: das Risiko war zu groß, viel zu groß. Sowohl was ihren Ruf betraf als auch ganz konkret sie persönlich. Sie konnte das nicht fortführen.
Und es wäre ja auch so einfach, es nicht fortzuführen, das war der Vorteil. Es war ja nicht so, dass sie sich ständig über den Weg liefen und in Versuchung geführt wurden – es gab kaum eine Möglichkeit, ihn unauffällig, unbeobachtet, unbemerkt treffen zu können. Und trotzdem war es genau das, wonach sich ihr Herz sehnte. Egal was ihr Verstand ihr auch einzuprügeln versuchte: sie konnte nicht anders als trotzdem an ihn zu denken. So sehr sie sich auch vorhielt, dass es zu gefährlich war: sie konnte nicht anders als sich zu wünschen, ihn wieder zu sehen, wieder zu spüren, und sich zumindest in Gedankenspielen vorzustellen, wie es wieder dazu kommen könnte... selbstredend ohne dass jemand Verdacht schöpfen konnte. Sie sehnte sich nach ihm. Nach seiner Gegenwart, seiner Nähe, seiner Berührung. Nach der Ruhe, die er ausstrahlte, und der Geborgenheit, die sie bei ihm spürte. Sie fühlte sich selbst so viel ruhiger und entspannter, wenn er bei ihr war, eine Erfahrung, die schon so lange zurücklag bei ihr, dass sie fast vergessen hatte wie das war, und allein schon der Gedanke an ihn zauberte ein schwaches Lächeln auf ihre Lippen... das allerdings nahezu sofort wieder verschwand. Es ging nicht. Es ging nicht. Sie presste Lippen und Lider fest aufeinander und unterdrückte ein trockenes Schluchzen. Warum passierte ihr das? Warum? Hätte ihr Leben nicht einfach so weiter laufen können wie bisher? Warum um alles in der Welt hatte sie Seneca kennen und lieben lernen müssen, nur um dann nicht mit ihm zusammen sein zu können – nur um unter dem Wissen zu leiden...