Beiträge von Decima Seiana

    „Ja, tu das.“ Die Zusammenstellung würde ohnehin einer ihrer Sklaven erledigen, aber es war gut zu wissen, dass sie etwas Zeit haben würde um die Angaben selbst noch zu überprüfen, bevor sie sie weiter gab. „Ich werde mich bemühen, sie dir recht rasch zurück zu geben.“


    Seiana nahm den Dank mit einem Nicken und einem Lächeln entgegen. „Es war selbstverständlich, mich um Messalina zu kümmern. Wir sind eine Familie.“ Nichts anderes wäre in Frage gekommen. „Ich hoffe es geht ihr gut im Tempel. Der Weg, den sie beschreitet, ist sicher kein einfacher... aber eine große Ehre, für sie und ihre Familie.“ Bei der anschließenden Frage dann strich sie sich nachdenklich über das Kinn. „Nun, gerne. Hast du dir schon Gedanken gemacht über einen möglichen Patron gemacht?“

    Seiana lächelte vage, kommentierte aber nicht weiter, inwiefern ihre Arbeit in diesen Zeiten nun schwieriger war als sonst. Natürlich war es schwieriger... natürlich galt es noch vorsichtiger zu sein als ohnehin schon mit dem, was man veröffentlichte, zumal der neue Kaiser empfindlicher war als seine Vorgänger... und die Acta ohnehin schon einmal in seinen Fokus gerückt gewesen war, eine Erfahrung, die Seiana nicht unbedingt wiederholen wollte, auch wenn sie zumindest von den Prätorianern nun nichts mehr zu befürchten hatte.


    „Stella ist eine Cousine aus dem griechischen Zweig unserer Familie “, ging sie stattdessen auf seine anschließende Frage ein und wollte noch etwas anfügen, als nun die Aufforderung kam sich zu setzen. Sie nickte dem Helvetius noch einmal kurz zu, der sich in Stellas Nähe setzte, und ging selbst zu Faustus, um sich bei ihm niederzulassen – nicht nur weil ihr der Platz zustand, sondern auch um in seiner Nähe zu sein. Sie war sich nicht ganz so sicher, wie sich Massas plötzliches Auftauchen auf ihn auswirkte, und sie wollte... einfach da sein. Und tatsächlich wirkte Faustus abwesend... nicht gut. Gar nicht gut. Am liebsten hätte sie ihn irgendwie von den Gästen weg gelotst, wenigstens für einen Moment, aber ihr fiel kein triftiger Grund ein, der nicht auf Aufsehen gesorgt hätte, wenn sie beide so kurz vor dem Essen das Triclinium noch einmal verließen. Keiner jedenfalls, den man ihr abgekauft hätte, denn sie wagte zu bezweifeln, dass sie ein mögliches in-Ohnmacht-fallen oder ähnliches so gut hätte vorspielen können, dass keiner etwas bemerkte. Sie könnte freilich auch verkünden, dass sie schwanger war... aber auch das war kein gutes Thema, wusste das doch noch nicht einmal ihr Mann selbst, jedenfalls nicht mit Sicherheit, und Faustus wollte sie eigentlich auch alleine einweihen, bevor es der Rest der Familie erfuhr... und ein paar ihr zumindest fremde Gäste noch dazu. Ganz davon abgesehen, dass gerade diese Schwangerschaft auch keine von der angenehmen Sorte war, und das lag nicht daran, dass sie übermäßig unter Übelkeit litt – ganz im Gegenteil hielt sich zumindest das bei ihr in Grenzen.
    Aber immerhin: das war doch ein Thema, was sie im Hinterkopf behalten konnte, sollte doch noch eine Ablenkung nötig werden. Für den Moment würde es allerdings hoffentlich reichen, wenn sie einfach ein wenig von ihm ablenkte. Ohne sich etwas vno ihren Gedanken anmerken zu lassen, lächelte sie der Helvetia zu, die auf Faustus' anderer Seite Platz genommen hatte und scheinbar etwas gemerkt hatte. „Oh, es war sicher wieder ein anstrengender Tag, nicht wahr, Faustus? Ich kenne das schon von meinem Mann. Bevor mein Bruder ihm nachgefolgt ist auf den Posten des Praefectus Praetorio, habe ich ihn oft tagelang kaum zu Gesicht bekommen. Jetzt habe ich zwar mehr von ihm, dafür sehe ich meinen Bruder kaum noch...“

    Sie kannte Massa lange nicht so gut wie Faustus... aber sie hatte einen anderen Eindruck von ihm gewonnen in der Zeit, in der er hier in Rom gewesen war. Möglich, dass sie sich da getäuscht hatte, oder dass Massa einfach auch seine ernsten, beständigen Momente hatte... sie konnte das kaum beurteilen.
    Im nächsten Augenblick schon hatte sie das Gefühl, dass sich ihr der Magen umdrehte. In Terentius Schuld stehe ich jetzt auch deswegen. Für einen winzigen Moment schloss sie die Augen, und ein bitte nicht geisterte durch ihren Kopf. Nicht noch mehr Schuld, die sie bei ihrem Mann hatten. Nicht noch mehr Abhängigkeit. Diese ganze Ehe gründete auf dieser Einseitigkeit, und so wenig das in ihrem alltäglichen Leben eine Rolle spielte, konnte Seiana es doch nie wirklich vergessen. Es gefiel ihr nicht. Und es machte ihr Leben mit ihm nicht gerade angenehmer. Und die Sache mit Seneca wurde dadurch auch nur umso schwieriger, mehr als sie ohnehin schon war...
    Sie verdrängte die Gedanken und strich Faustus sacht über die Schulter. „Du brauchst ihn nicht. Du hast hier genug Männer, auf die du dich verlassen kannst. Die Besten des Reichs. Und du bist ihr Kommandant. Auch wenn es dir so vorkommt, dass er dich im Stich gelassen hat: du brauchst ihn nicht, nicht für deine Arbeit, nicht für deinen Dienst bei der Garde.“ Aber persönlich schien er ihn zu brauchen, und dafür fand sie nicht so leicht Worte. Seiana konnte sich nur zu gut vorstellen, wie dieser Brief, den er ihm geschrieben hatte, wohl aussehen mochte... und Faustus schien es fast zu bereuen. Zu bereuen, dass er ihn abgeschickt hatte, und zu bereuen, dass es vorbei war, wie er behauptete. „Naja...“, begann sie zögernd. „Wenn das wirklich eine Entscheidung gegen dich war, wird so ein Brief auch nichts mehr ändern. Dann ist es vielleicht ganz gut so, dass er merkt, dass du Bescheid weißt. Und wenn es doch etwas anderes war... wird ihm vielleicht klar, was er getan hat.“


    Als er dann allerdings davon sprach, dass er gern so wäre wie sie, starrte Seiana ihn für einige Augenblicke betroffen an. Wie sie? „Das willst du ganz sicher nicht“, antwortete sie, fast schon ein wenig schroff.

    Es verwunderte Seiana doch ein wenig, dass die Pinnia sie nicht zu kennen schien, nicht einmal dem Namen nach. Immerhin war sie nicht nur lange Zeit Auctrix... sondern zudem Frau des ehemaligen Praefectus Praetorio, und damit eine der mächtigsten Frauen Roms, nach den Frauen der kaiserlichen Familie, die es im Moment nicht einmal gab. Eine Machtstellung, die sie nicht einmal wirklich verloren hatte durch den Rücktritt ihres Mannes – immerhin war jetzt ihr Bruder Praefect der Garde. Andererseits: schon die Helvetier gehörten nicht zur politischen Elite, und die Gens Pinnia war Seiana noch weniger ein Begriff. Vielleicht waren diese Leute einfach zufrieden mit dem, was sie hatten, und interessierten sich nicht für das, was über ihren Horizont hinausging.
    Ihr Lächeln allerdings blieb freundlich-kühl, und von ihren Gedanken war ihr nicht das Geringste anzumerken. „Oh, nein, Pinnia“, konterte sie nur leichthin – das einzige, was vielleicht zu merken war, mochte ein leicht herablassender Unterton in ihrer Stimme sein. „Faustus ist mein Bruder. Ich bin mit seinem Vorgänger verheiratet.“


    Sie ließ sich von einem Sklaven einen Becher verdünnten Wein reichen, als Stella die Vorstellung übernahm, und dann betrat plötzlich Massa den Raum... und Seiana wurde schlagartig wachsam. Sie hatte ihr Gespräch mit Faustus nicht vergessen... und sie hatte keine Ahnung, wie er nun reagieren würde auf Massas Erscheinen. Dazu kam, dass sie selbst noch etwas mit Massa zu klären hatte, oder vielmehr: er mit ihr, eigentlich, nach Faustus' Worten. Aber das hatte Zeit bis später. Sie verkniff es sich, zu ihrem Bruder zu sehen, blieb dem Helvetius zugewandt, der ein Gespräch mit ihr begonnen hatte, ließ aber einen Teil ihrer Aufmerksamkeit auf den anderen Gästen, auf Massa und ihren Bruder im Speziellen. „Salve, Massa. Ich danke dir... Es ist schön dich zu sehen.“ Sie lächelte ihm flüchtig zu und wandte sich dann wieder an Helvetius, als Massa sich den anderen Gästen zuwandte. „Verzeih die Unterbrechung“, lächelte sie auch ihm zu, ohne dabei allerdings wesentlich wärmer zu wirken. „Die Verbindungen sind die eine Voraussetzung für eine Karriere in Rom... Ehrgeiz ist die andere, und in meinen Augen die wichtigere. Wenn du über den nötigen Ehrgeiz verfügst, bin ich mir sicher, dass wir noch von dir hören werden.“

    Also: die Decimer gehören auch zu den angeseheneren Gentes... und sie hätten durchaus auch genug Einfluss - gerade im Moment -, um Achaeus in eine höhere Position zu bringen, falls dein Charakter das wollen würde, was er ja aber offenbar nicht tut... *g* Von daher: anecken in der Familie würdest du bei uns daher wohl auch, jedenfalls bei manchen, da wird es zumindest welche geben, die versuchen werden dir reinzureden.


    Da du aber schon meintest, dass das für dich kein Problem wär im Spiel, und die Decimer auch schon öfter das ein oder andere schwarze Schaf hatten, sag ich mal ja :) Alles weitere können wir per PN klären, wenn du freigeschaltet bist.

    Auch Seiana war der Einladung gefolgt und betrat das Triclinium, kaum dass sie angekommen war. Sie war zwar nicht vor den helvetischen Gästen eingetroffen – was sie gerne getan hätte, immerhin gehörte sie zur Familie, sie fand es wäre besser gewesen, wenn auch sie vorher da gewesen wäre... aber sie hatte zu viel um die Ohren gehabt und es nicht früher geschafft –, aber sie kam pünktlich: mit dem Essen hatte noch keiner angefangen, sie standen sogar noch. „Salvete“, grüßte sie höflich-kühl, wie es ihre Art war, in die Runde, insbesondere die Gäste, die da waren. „Stella, hab Dank für die Einladung“, lächelte sie dann dem Mädchen zu, bevor sie sich an Faustus wandte und flüchtig umarmte.

    Sie war sich nicht so sicher, ob sie gerade das richtige sagte, oder ob es genug war... aber Faustus nutzte die Gelegenheit, um gleich weiter zu reden, was ihr wiederum Zeit verschaffte. Ihm zuzuhören, weitere Informationen zu bekommen, nachzudenken. Sie wollte ja das richtige sagen, das Problem war nur: sie hatte so furchtbar wenig Erfahrung in solchen Gesprächen, wenn es darum ging, einfach für andere da zu sein. Und noch weniger, wenn es um solche Themen ging. Da änderte sich auch nichts daran, dass sie hier mit ihrem Bruder saß, dem einzigen... oder fast dem einzigen... Menschen, für den sie sich auch wirklich und aufrichtig bemühte, einfach nur da zu sein, wenn es das war was er brauchte. „Rangfragen?“ fragte sie etwas verwirrt nach – allein zur Garde berufen zu werden war doch schon eine Beförderung für sich, wie konnte es da die Frage nach dem Rang geben?


    Seiana strich ihm kurz über die Haare, als sein Kopf für einen Moment an ihrer Schulter ruhte, aber schon im nächsten Moment schnellte er wieder nach oben, und Faustus schimpfte weiter. Und sie konnte nicht anders als sich für einen winzigen Moment zu denken, dass er tatsächlich ein wenig dramatisch war... aber das war er schon immer gewesen, anders als sie, und es hatte sie schon immer gefesselt, dass er so viel Leben versprühte. So viel Leidenschaft. Sie liebte ihn dafür.
    Was es nun allerdings nicht leichter machte zu reagieren. Sie dachte daran zurück, wie Massa ihr gegenüber von Faustus gesprochen hatte, wie auch in seinen Worten durchgeklungen war, dass er etwas Besonderes für ihn war... und sie dachte daran, dass Massa ihrem Bruder das Leben gerettet hatte. Sie war sich nur nicht so sicher, ob Faustus davon jetzt würde hören wollen. „Vielleicht... hat er seine Meinung geändert. Was Rom betrifft, oder auch was dich betrifft... aber ich glaube nicht, dass er dich früher angelogen hat“, versuchte sie vorsichtig zu formulieren, was ihr im Kopf herumging. „Ich meine, du kennst ihn sicher weit besser als ich, aber die paar Mal, die ich mit ihm gesprochen habe, hat er doch recht... aufrichtig gewirkt. Hast du ihn gefragt, warum er ablehnt?“ Nein, scheinbar nicht, denn zumindest momentan schien er gar nichts mehr von Massa wissen zu wollen – auch wenn Seiana ihm das nicht ganz abnahm. Allein dass er sich so aufregte zeigte doch, wie viel er ihm bedeutete. Und Massa nun einfach zu ignorieren war ja auch keine Lösung, immerhin war er immer noch ein Decimus. Aber sie könnte darauf wetten, dass Faustus das erst recht nicht würde hören wollen. „Briefe können... missverständlich wirken. Wie meiner ja offenbar auch. Aber warum er nichts dazu gesagt hat, dass er sich doch anders entschieden hat... dass er nicht nach Rom will... ich versteh dass dich das verletzt. Würde mir genauso gehen.“ Sie lächelte traurig. „Wenigstens besteht nicht die Gefahr, dass du ihm hier öfter begegnest.“

    „Ich mir auch nicht. Ich glaube, nicht mal er...“ lächelte sie zurück, und damit war das Thema erst mal abgehakt. Und Seiana war überrascht, als Faustus plötzlich loslegte. Sie hatte tatsächlich Mühe, ihm zu folgen, alles zu begreifen, was er sagte, weil es so viel und so schnell war. Eines allerdings wurde ihr recht schnell klar: Massa war mit Sicherheit nicht nur ein entfernter Verwandter, der für ihn zu einem guten Freund geworden war. Massa war für ihn viel mehr als das, sonst würde er sich kaum derart aufregen. Und es dauerte nicht lang, bis er das auch tatsächlich aussprach.


    Sie atmete tief durch und versuchte, sich zu konzentrieren, ihm weiter zu folgen. Verliebt also, in Massa. Sie wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte, was aber wohl daran lag, dass ihr Bruder bisher nie so wirklich mit ihr über seine Liebschaften gesprochen hatte. Eines allerdings war mehr als eindeutig: es ging ihm schlecht. Er litt darunter, und das war etwas, was Seiana gerade jetzt – vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben – mehr als nur nachvollziehen konnte. Und sie wünschte sich, sie könnte ihm helfen... könnte irgendwie verhindern, dass er litt. Aber sie wusste noch nicht einmal so recht, was sie dazu sagen sollte. „... aber es passiert trotzdem“, vollendete sie seinen Satz. Und rückte dann ein Stück näher zu ihm, umarmte ihn sacht. „Ich... bist du denn sicher, dass er nichts mehr von dir wissen will? Ich meine, hat er das geschrieben, hat er das als Grund genannt, warum er nicht zur Garde möchte?“

    Ruhig, nahezu regungslos lag sie anschließend neben ihm, auf dem Rücken – noch nicht abgewendet von ihm, ihm aber auch nicht zugewandt. Flüchtig fragte sie sich, ob er heute Nacht wohl hier bleiben würde... hin und wieder tat er das, und jedes Mal wünschte sie sich dann, er würde gehen, weil ihr die Nähe zu viel wurde. Nähe war ihr so häufig zu viel... nur die ihres Bruders war etwas anderes. Und Seneca. Mit Seneca hatte sie zum ersten Mal die Erfahrung gemacht, wie es war, auch gemeinsam mit einem Mann einschlafen zu wollen. Seine Nähe nicht nur zu genießen, wenn sie miteinander schliefen, sondern auch danach.
    Häufig allerdings ging ihr Mann wieder, und auch heute erhob er sich nach einiger Zeit, was Seiana mit einiger Erleichterung registrierte. „Sicher“, erwiderte sie nur, auch wenn sie wusste, dass er auf ihre Antwort wenig geben würde, und fügte noch, bevor er ihr Cubiculum verließ, an: „Gute Nacht.“


    Eine Weile blieb sie noch liegen... bevor auch sie sich noch einmal erhob, sich flüchtig mit Wasser benetzte, das in einer abgeteilten Ecke ihres Zimmers bereit stand, sich dann eine lockere Tunika überzog... und schließlich hinsetzte, in einen der Korbsessel, die wie schon in ihrem alten Cubiculum in der Casa Decima beim Fenster platziert waren. Gedankenverloren starrte sie hinaus. Sie hatte die Gedanken wunderbar verdrängen können in den letzten Momenten, aber jetzt waren sie wieder da, schienen regelrecht über sie herzufallen. Das vielleicht Schlimmste war: sie hatte keine Ahnung, was sie tun sollte. Ihr Verstand sagte ihr, dass es so nicht weiter gehen konnte. Das Risiko war viel zu groß. Gäbe es schon Kinder, Söhne vor allem, deren Abstammung eindeutig war, wäre es nicht ganz so schlimm... immerhin hätte Terentius dann Erben, was das wichtigste war. Dann blieb nur noch die Frage, wie besitzergreifend er war... es gab Männer, denen war es bei einer Zweckehe wie der ihren, die vor allem von Distanz geprägt war, egal, was ihre Frau so trieb, solange es schon eigene Söhne gab und sicher gestellt war, dass ihnen kein weiteres, fremdes Balg untergeschoben wurde. Das einzige Problem hier war: so distanziert ihre Ehe auch war... Seiana konnte sich durchaus vorstellen, dass Terentius sehr besitzergreifend war. Dass er egal unter welchen Umständen kaum begeistert davon sein würde, wenn er herausfand, dass seine Frau ihn hinterging. Und diese Gedankenspiele waren ohnehin müßig: es gab noch keine Söhne. Es gab nicht einmal Töchter. Sie unterdrückte ein Schaudern, als sie daran zurückdachte, wie sie ihren Mann kennen gelernt hatte, wie diese Ehe zustande gekommen war. Es gab keine Ausflüchte, kein Umdeuten, keine Argumentation darum herum: das Risiko war zu groß, viel zu groß. Sowohl was ihren Ruf betraf als auch ganz konkret sie persönlich. Sie konnte das nicht fortführen.
    Und es wäre ja auch so einfach, es nicht fortzuführen, das war der Vorteil. Es war ja nicht so, dass sie sich ständig über den Weg liefen und in Versuchung geführt wurden – es gab kaum eine Möglichkeit, ihn unauffällig, unbeobachtet, unbemerkt treffen zu können. Und trotzdem war es genau das, wonach sich ihr Herz sehnte. Egal was ihr Verstand ihr auch einzuprügeln versuchte: sie konnte nicht anders als trotzdem an ihn zu denken. So sehr sie sich auch vorhielt, dass es zu gefährlich war: sie konnte nicht anders als sich zu wünschen, ihn wieder zu sehen, wieder zu spüren, und sich zumindest in Gedankenspielen vorzustellen, wie es wieder dazu kommen könnte... selbstredend ohne dass jemand Verdacht schöpfen konnte. Sie sehnte sich nach ihm. Nach seiner Gegenwart, seiner Nähe, seiner Berührung. Nach der Ruhe, die er ausstrahlte, und der Geborgenheit, die sie bei ihm spürte. Sie fühlte sich selbst so viel ruhiger und entspannter, wenn er bei ihr war, eine Erfahrung, die schon so lange zurücklag bei ihr, dass sie fast vergessen hatte wie das war, und allein schon der Gedanke an ihn zauberte ein schwaches Lächeln auf ihre Lippen... das allerdings nahezu sofort wieder verschwand. Es ging nicht. Es ging nicht. Sie presste Lippen und Lider fest aufeinander und unterdrückte ein trockenes Schluchzen. Warum passierte ihr das? Warum? Hätte ihr Leben nicht einfach so weiter laufen können wie bisher? Warum um alles in der Welt hatte sie Seneca kennen und lieben lernen müssen, nur um dann nicht mit ihm zusammen sein zu können – nur um unter dem Wissen zu leiden...

    Seiana erwiderte die Umarmung, und zum ersten Mal seit Tagen spürte sie, wie sich wenigstens ein Teil ihrer inneren Anspannung zu lösen begann. Allein Faustus' Gegenwart wirkte schon so, obwohl es nichts gab, was er tun konnte um ihr momentan zu helfen. „Schön dich zu sehen“, murmelte sie noch in der Umarmung, dann folgte sie seiner Aufforderung und trat ein, sah zu, wie er die Sklaven fortschickte, wie er den Raum so sorgfältig verschloss, und fragte sich dann ob es nicht doch um mehr ging als er geschrieben hatte... wenn er so bedacht darauf war keine Zuhörer zu haben.
    Erst mal allerdings lächelte sie, und es war eines ihrer seltenen ehrlichen. Sie konnten sich sehen, und das bedeutete Seiana unglaublich viel. Nach den langen Jahren, in denen sie nicht einmal bei Problemen die Möglichkeit gehabt hatten, sich auf die Schnelle zu besuchen, war sie nach wie vor weit davon entfernt es nun für selbstverständlich zu nehmen, dass er jetzt hier war. Auch wenn sie ihm zustimmen musste, dass sie sich öfter mal einfach so treffen sollten. „Vielleicht sind wir es nur noch zu wenig gewohnt, wieder in derselben Stadt zu leben“, ließ sie sich sogar zu einem kleinen Scherz hinreißen, einfach weil sie froh war, hier zu sein, bei ihm. Es reichte, um ihre Laune beträchtlich zu heben, und wenigstens für den Moment alles zu verdrängen, was ihr im Kopf herum geisterte. Seneca. Seine Cousine, und die Sorge, ob er sie wirklich davon abhalten konnte sie zu verleumden. Ihr Mann. Und dann dieser Verdacht einer vermaledeiten Schwangerschaft, der sich immer mehr erhärtete. Verdrängt, für den Moment. Sie nahm den Becher, bevor sie sich zu Faustus setzte und ein leichtes Achselzucken andeutete... und sich bemühte, sich von seiner Frage nicht in die Realität zurückholen zu lassen, nicht jetzt schon, nicht so schnell. „Ganz gut...“, erwiderte sie, immer noch mit einem Lächeln, das aber schon gedämpfter war, und suchte nach Worten, die keine Lüge waren, aber eben auch nicht die Wahrheit preisgaben. „... Terentius und ich versuchen gerade... nun ja, uns daran zu gewöhnen, dass er deutlich mehr Zeit in der Casa verbringt als früher. Ich habe zwar noch genauso viel zu tun, aber es ist eben doch etwas anderes als vorher...“ Sie nippte an ihrem Becher. „Was ist mit dir? Schon eingearbeitet?“

    Als Seiana die Nachricht von ihrem Bruder bekommen hatte, hatte sie nur kurz geantwortet – nicht mehr als eine mündliche Botschaft, überbracht von einem Sklaven, die nicht mehr beinhaltete als: ich komme. Was sie am Abend des darauffolgenden Tages auch tat. Selbst wenn sie Termine gehabt hätte, hätte sie sie wohl abgesagt, wenn es sich irgendwie hätte einrichten lassen. Sie sah ihren Bruder viel zu selten, dafür dass sie nun beide wieder in Rom waren... auch wenn sie ja bereits aus ihrer Ehe wusste, wie viel der Prätorianerpräfekt um die Ohren hatte. Und sie selbst hatte auch nicht wenig zu tun. Umso mehr ein Grund, seiner Einladung nachzukommen. Und davon ganz abgesehen: seine Botschaft hatte ziemlich deutlich anklingen lassen, dass es ihm wichtig war, mit ihr zu reden, und beides – sowohl was Massa anging als auch diese Cousine – interessierte Seiana auch.


    Zum vereinbarten Zeitpunkt also war sie zur Casa Decima gekommen, Ephialtes hatte sie eingelassen, und während ihre Leibwächter sich in die Küche zu Candace zurückzogen, ließ sie sich von Silas zu ihrem Bruder bringen.

    Seianas Stirnrunzeln vertiefte sich ein wenig. „Ja... du hast Recht.“ Sie kamen näher und immer näher, verstanden schließlich auch, was er sagte, über seine Schwester, aber wie das genau zusammenhing, begriff Seiana nicht ganz – schon allein deshalb, weil sie gerade nicht wirklich die Energie in sich finden konnte, darüber nach zu grübeln. Aber lösen konnte sie das auch auf andere Art. Als sie sich fast heran waren, räusperte sie sich, um zunächst auf sie aufmerksam zu machen, bevor sie das Wort ergriff: „Salve, Catus... Alles in Ordnung?“

    Sie hielt inne, als er sie auf Abstand hielt zunächst, wieder mal unschlüssig, wieder mal unsicher. So betrachtet zu werden wie gerade, war... sie konnte es nicht einmal genau benennen. Es war ihr nicht völlig unangenehm, aber sie wusste auch nicht so recht, ob sie es mochte. Sie wusste einfach nicht, wie sie damit umgehen, darauf reagieren sollte... einfach nur da stehen, seinen Blick erwidern und sonst nichts tun war mit Sicherheit nicht die eleganteste Variante. Dennoch tat sie kaum mehr als das, bis er schließlich doch zu ihr kam, nachdem auch er seine Tunika ausgezogen hatte. Nur kurze Zeit später lagen sie auf dem Bett, tauschten Küsse und Berührungen, und ihre Körper begannen sich im Einklang zu bewegen, im selben Rhythmus, dem Seiana sich hingab.

    Seiana war erleichtert, als er, nach ihrer Initiative, die Führung an sich nahm. Sicher hätte sie gewusst, wie sie hätte weiter machen müssen, aber es wäre... für sie zumindest mühsam geworden. Sie war nicht geschaffen dafür, glaubte sie, dass ihr Mann sie in dieser Hinsicht einfach machen ließ, und am liebsten war es ihr ohnehin, wenn sie erst mal das Stadium erreicht hatten, in dem sie über diese Spielchen hinaus waren und es zur Sache ging, wo Fragen und Unsicherheiten naturgemäß irgendwann einfach auf der Strecke blieben, wenigstens für den Moment. Gedanken aller Art... die Seiana jetzt schon rigoros verdrängte, so gut es ging. Jeden Gedanken an ihre Unsicherheit und was sie verursachte, jeden Gedanken daran, wo sie überhaupt standen in ihrer Ehe, jeden an eine mögliche Schwangerschaft und vor allem jeden an Seneca. Sie hätte nicht damit gerechnet, dass ihr Mann ihr Gespräch als Anlass nehmen würde, heute schon mit ihr zu schlafen, aber da es nun mal so war, konnte sie die Gelegenheit auch nutzen und sich wenigstens für diesen Zeitraum von den Grübeleien befreien.


    Bereitwillig ließ sie sich also zurückdrängen, folgte seinen Bewegungen und überließ ihm die Initiative, reagierte aber auf seine Berührungen, erwiderte sie, küsste ihn weiter... bis sie beinahe das Bett erreicht hatten. Mit einer raschen Bewegung und ohne lange darüber nachzudenken machte sie einen größeren Schritt zurück, um etwas Raum zu haben, und entledigte sich ihrer Tunika, bevor sie ihn wieder zu sich zog – bevor er etwa auf die Idee kommen könnte, sie allzu lange anzusehen.

    Zitat

    Original von Aulus Iunius Seneca
    Sie war abgelenkt, er hatte sie abgelenkt, gut, zu diesem Zeitpunkt nicht im positiven Sinne, aber sie hatte ihn immerhin nicht einfach ignorieren können. Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht, kaum zu bemerken aber doch war es da.
    Auch Seneca bemerkte die Gestalt am Baum in einiger Entfernung und verstand deshalb nur allzu gut warum sich Seiana ein wenig distanzierte, auch wenn er sie gerne näher bei sich gehabt hätte und nicht weiter weg, aber es war sinnlos weiter darüber nachzudenken.
    "Vielleicht tut er das, dann hoffe ich nur dass er keine Detailfragen zum Stück nennt.", witzelte Seneca noch ein wenig und blickte nach vorn, "Wer ist das dort am Baum, ein Verwandter?", sicher, es wäre logisch gewesen, entweder ein Verwandter oder ein Sklave mit Freizeit, aber so genau hatte er sich den gesamten Clan der Decimer nicht angeschaut um sich an jedes einzelne Gesicht zu erinnern..


    Seiana lächelte flüchtig. „Sonst müsste ich mir was überlegen, falls er das tut.“ Andererseits war es zumindest nicht unwahrscheinlich, dass Faustus ohnehin mitbekommen hatte, dass sie nicht ganz da gewesen war. Er kannte sie besser als sonst ein Mensch auf der Welt... wo sie anderen etwas vorspielen konnte, gelang ihr das bei ihm kaum. Und wenn sie ehrlich zu sich war, dann wollte sie das bei ihrem Bruder auch gar nicht.
    Sie gingen weiter, näherten sich dem Baum, und Seiana sah für einen Augenblick konzentriert nach vorne. Es fiel ihr schwer, auf die Entfernung schon Gesichtszüge auszumachen, aber der Blondschopf verriet deutlicher als alles andere, wer dort stehen musste. „Catus“, antwortete sie. Und runzelte dann leicht die Stirn, als sie im Näherkommen beobachtete, wie er nach oben sah, nach unten, wieder nach oben... und sich scheinbar zu unterhalten schien. „Was macht er denn da?“

    „Sicher, ich lasse dir gerne die Informationen zukommen, die du brauchst“, erwiderte Seiana mit einem vagen Lächeln. „Bis wann bräuchtest du die Zusammenstellung? Oder hat es ein bisschen Zeit?“ Sie trank ebenfalls einen kurzen Schluck. „Was deine nächste Frage angeht: sicher kann zu diesem Thema etwas veröffentlicht werden. Ein Aufruf an alle Grundstücksbesitzer, sich mit den geforderten Informationen zu melden... es würde sich anbieten, das auch über die Acta laufen zu lassen.“ Ihr Lächeln wurde eine Spur wärmer. Es war zwar im Grunde nur eine Kleinigkeit, und es sprach nicht das Geringste dagegen, diesen Aufruf in der Acta zu veröffentlichen – trotzdem wusste sie zu schätzen, dass Varenus zuerst mit ihr darüber sprach. Er hätte genauso gut einfach in der Kanzlei alles ins Rollen bringen können – wenn sie einen Brief von dort bekam, wurde befolgt, was die Anweisung war, da hatte sie kaum Spielraum. „Ich würde in einem solchen Fall allerdings keinen Artikel machen, sondern die Aufforderung der Kanzlei im Wortlaut veröffentlichen.“

    Als er einige Zeit später wieder kam, sah Seiana von der Schriftrolle hoch und legte sie weg. Ein wenig verblüfft stellte sie fest, dass er die Zeit offenbar – auch – dazu genutzt hatte, sich selbst noch etwas herzurichten, und sofort war der Gedanke da, dass sie das vielleicht doch auch hätte tun sollen. Sie wusste zwar nicht genau was, aber irgendwas, um genug zu sein. Gleich darauf schalt sie sich in Gedanken einen Narren. Auch wenn er nicht wirklich häufig bei ihr gewesen war seit der Hochzeit, war es doch nicht so, dass sie zum ersten Mal miteinander schliefen. Sie erhob sich, und blieb dann für einen Moment stehen. Sie wartete irgendwie immer darauf, dass er kam, dass er sich nahm, was er wollte, und wenn er das nicht tat... fühlte sie sich verunsichert. Sie wusste nicht, warum er jetzt zögerte. Weil es für ihn doch nur eheliche Pflicht war und er lieber woanders wäre? Sie könnte es ihm nicht einmal verdenken, dass er lieber bei einer anderen Frau wäre, einer, die... anders war, egal ob nun Lupa, Sklavin oder gar Römerin. Oder weil er wollte, dass sie zu ihm kam? Warum auch immer er das wollen könnte... es machte ihr die Sache jedenfalls nicht unbedingt leichter.
    Aber es war lächerlich, hier stehen zu bleiben und zu warten, bis er doch zu ihr kam, wo sie beide gerade... einfach nur da standen und sich ansahen. Seiana setzte sich also in Bewegung und kam langsam auf ihn zu, bis sie ihn erreicht hatte... zögerte kurz, und überwand dann mit einem kleinen Schritt auch noch die letzte Distanz, so dass sie nun so dicht bei ihm war, dass sich ihre Körper an mehreren Stellen berührten. Sie waren verheiratet. Es gab keinen Grund, sich so unbeholfen zu fühlen, kein Grund, so unsicher zu sein, wie sie es so häufig zu sein schien in seiner Gegenwart, erst recht, wenn es darum ging körperliche Nähe zu teilen. Sie war es trotzdem... aber sie musste ja nicht zulassen, dass es ihr Handeln bestimmte. Einfach ignorieren und weiter machen. Was auch den Vorteil hatte, dass sie diese peinliche Phase umso schneller hinter sich ließen. Deswegen also kam sie nicht nur zu ihm, sondern stellte sich auch leicht auf die Zehenspitzen, um ihn auf den Mund zu küssen.

    Zitat

    nachdem sie ihm eingeschenkt hatte was er wollte – falls er etwas wollte –


    Nachdem Seiana seine Antwort abgewartet hatte, schenkte sie ihm also etwas zu trinken ein – und zog dann ein wenig verwundert die Augenbrauen hoch. Sie hatte ihm doch mit einer Handbewegung bedeutet, sich setzen zu können. Was wollte er – eine gesonderte, extra ausgesprochene Einladung? „So war meine Geste gedacht, Varenus“, lächelte sie kühl zurück. „Dass du dich gerne setzen kannst.“

    „Ich... habe nicht wirklich aufgepasst heute, muss ich gestehen“, erwiderte sie und warf ihm einen kurzen Blick zu. „Ich war abgelenkt.“ Von was musste sie wohl kaum erwähnen... und sie wollte es auch gar nicht, wollte nicht daran denken, wie sie sich noch vor wenigen Stunden gefühlt hatte... gerade in seiner Gegenwart. Andererseits: unter anderen Umständen wäre sie in seiner Gegenwart wohl auch abgelenkt gewesen... bei diesem Gedanken musste sie lächeln. Sie hätte ihn erneut gerne berührt, selbst wenn es nur flüchtig gewesen wäre, aber mittlerweile kamen sie langsam wieder zurück in Sichtweite... oder zumindest meinte Seiana jemanden zu erkennen, ein Mensch, der bei einem Baum stand, auch wenn dieser noch ein Stück entfernt war. Unwillkürlich vergrößerte sie den Abstand zwischen sich und Seneca ein wenig, nicht so viel, dass es hastig wirkte oder auch nur wirklich auffallen würde... aber genug, um nun eine deutliche Distanz zwischen ihnen zu haben. Genug, dass sie ganz sicher nicht mehr wirken würden als wären sie mehr als nur zufällige Bekannte, sie, Frau und Schwester seiner Vorgesetzten, er, der als Begleitschutz mitgekommen war. „So etwas in der Art hatte ich mir schon gedacht... ich hatte nur gehofft, ich müsste sonst niemandem gestehen, dass ich nicht aufgepasst habe.“ Sie lächelte erneut flüchtig. „Aber vielleicht erzählt mir mein Bruder von selbst, was er davon gehalten hat, ohne dass ich ihn fragen muss.“