Beiträge von Decima Seiana

    „Der... was?“ kam es über Seianas Lippen, als Faustus weiter sprach. Überrascht – was ihr selten passierte, und noch seltener anzusehen war – starrte sie ihn an. Eques. Eques? Sie? Das war doch seit Jahren nicht mehr vorgekommen, dass eine Frau zum Eques erhoben worden war, auch wenn es grundsätzlich möglich war. „Das... nein, das wusste ich noch nicht...“ Eques. Sie. Das war... Seiana hatte Mühe, ihre Gedanken zu ordnen. Das war eine Auszeichnung sondergleichen, gerade für sie als Frau, und das war wohl mit ein Grund dafür, dass es ihr im Augenblick so schwer fiel, die Worte, die Bedeutung wirklich zu begreifen. Und dann sprach Faustus weiter, Kaiser hin oder her, und da, noch bevor sie sich wirklich darüber freuen konnte, wurde ihr bewusst, dass das durchaus auch Nachteile haben konnte... ihre Familie schien enger an Vescularius gebunden zu sein als je zuvor, und Seiana konnte sich nicht helfen: sie hielt das nicht für gut. Grundsätzlich konnte es nicht schaden, sich seine Unabhängigkeit zu bewahren – Seiana hatte das bei sich selbst immer gewollt, und sie kam mehr und mehr zu der Auffassung, dass es auch für ihre Familie das Beste war, sich nicht zu sehr an irgendjemanden von Einfluss zu binden, auch nicht wenn es der Kaiser war. Und jetzt, in der momentanen Lage, mit dem drohenden Bürgerkrieg noch viel mehr.


    Faustus fügte gleich darauf allerdings noch etwas an, und Seiana runzelte leicht die Stirn. Mittlerweile hatte sie in Erfahrung gebracht, dass der Procurator gar nicht in Rom gewesen war, als die Iunia sie zu sich bestellt hatte, er selbst konnte also gar nichts von dem Gespräch – wenn man es denn überhaupt als Gespräch bezeichnen konnte – mitbekommen haben. Trotzdem konnte es freilich sein, dass seine Sklaven ihm berichtet hatten. Es war zwar niemand anwesend gewesen, aber das hieß nicht, dass es keine Lauscher gegeben hatte – und selbst wenn nicht: es dürfte Zeichen genug sein für jeden halbwegs klar denkenden Sklaven, dass etwas los war, wenn das Atrium des Hauses für einen Besuch leergefegt sein sollte von jeglichen Anwesenden. Und das der Pompeius auch von ihrer gemeinsamen Vergangenheit wusste, hatte er vermutlich einfach nur eins und eins zusammengezählt und war deswegen zu dem Schluss gekommen, dass es Ärger gab. „Ich bin mit ihr vor kurzem aneinander geraten“, gestand Seiana zögernd ein. Sie wollte ihren Bruder nicht anlügen, nicht wegen so etwas, aber sie musste aufpassen, dass sie nicht zu viel verriet. „Vielleicht hat er davon etwas mitbekommen und hat es deshalb angesprochen.“

    Seiana versuchte sich auf ihren Atem zu konzentrieren. Ein, aus, ein, aus, immer schön ruhig, immer schön regelmäßig. Sie war dankbar dafür, dass sie im Peristyl waren, dass sie frische Luft bekam. Drinnen im Haus wäre ihr jetzt wohl schlecht geworden, und auch so verging das flaue Gefühl in ihrem Magen nicht so schnell, wie sie es gern hätte – aber immerhin wurde es nicht schlimmer. Sie verstand immer noch nicht, warum sie so empfindlich war, verdrängte den einzig möglichen Grund dafür, so wie sie ihn seit Wochen mittlerweile verdrängte, und weil sie es schlicht nicht wahrhaben wollte, weil sie es so gekonnt verdrängte, hielten sich wohl auch die Reaktionen ihres Körpers noch größtenteils in Grenzen, waren kaum vorhanden, und was da doch an Veränderungen da war – dass ihr gelegentlich übel war, oder dass ihre Laune häufiger wechselte und schwerer war zu kontrollieren –, schob sie auf andere Dinge oder unterdrückte sie eisern.


    „Er hat Recht“, entgegnete sie nach einem längeren Moment des Schweigens schließlich. „Wenn Venusia wieder in Germanien leben wollen würde, würde ich ihr die Kinder wegnehmen. Wenn es meine Entscheidung wäre, jedenfalls. Ich versteh nicht, warum er das für so abnormal hält, dass ich finde die Kinder gehören zu ihrer eigenen Familie.“ Es war einfach leichter, nun darauf einzugehen, als auf den Rest, den Massa ihr vorgeworfen hatte. Oder darauf, wie sehr sie das getroffen hatte – und warum. „Ja. Irgendwer muss sie zusammenhalten. Wenn ich dafür der Tyrann der Familie bin, bitte, ist es halt so.“ Bei den letzten Worten schwang Trotz in ihrer Stimme mit, und sie bemühte sich, den leisen, fast schon verzweifelten Unterton, der ebenfalls da war, zu unterdrücken. „Was ist mit dir? Wie geht’s dir?“

    Ein Lächeln flog über Seianas Gesicht, als Varenus ihren Bruder nicht nur erwähnte, sondern so positiv von ihm sprach. „Ja. Die Familie bedeutet ihm alles.“ Sie nickte leicht. „Das werde ich, wenn ich ihn sehe... allerdings denke ich doch, du siehst ihn häufiger, immerhin lebt ihr unter demselben Dach.“ Sie nippte an ihrem Becher und machte dann eine abwehrende Handbewegung. „Ich habe mich gefreut, sie hier unterstützen zu können. Noch dazu, wo sie eine so ehrbare Aufgabe angestrebt hat“, bekräftigte sie noch einmal, und sie meinte das ehrlich. „Nun, dass sie älter wird, mag ein Grund sein. Aber ich denke auch, dass sie einfach sehr viel Unterricht und viele Aufgaben hat. Der Vestalinnendienst ist anspruchsvoll, da ist es nicht verwunderlich, dass sie wenig Zeit hat“, versuchte sie ihren Vetter ein wenig zu beruhigen.


    Beim nächsten Thema überlegte Seiana ein wenig, hörte zu, was Varenus von seinen Gedanken erzählte – sah nur kurz ein wenig überrascht auf bei dem Ausruf, dass er das Militär hasste. Kurz zuckte eine ihrer Augenbrauen nach oben, immerhin war der Rest der Familie doch sehr militärisch geprägt... aber es hatte vielleicht seine Gründe, dass Varenus mit seiner Familie jahrelang in Genua gelebt hatte, nicht in Rom oder in Tarraco, wo seine engsten Verwandten ihre Hauptsitze hatten. „Nun... es dürfte schwer werden, einen Patron zu finden, der nichts oder wenig mit dem Militär zu tun hat und unserer Familie zugewandt ist, wenn du unsere lange Militärtradition bedenkst.“ Den Hinweis konnte sie sich nicht verkneifen. „Im Moment ist es etwas schwierig, weil viele Rom verlassen haben – nicht nur echte oder mögliche Verräter, auch andere, die aus Angst vor dem Bürgerkrieg gegangen sind. Wie sieht es denn in der Kanzlei aus, bei den Procuratoren?“

    Seiana ließ sich von den pompeischen Sklaven ins Haus geleiten, und während ihre Begleiter irgendwo in den Tiefen der pompeischen Casa verschwanden, wurde sie zum Triclinium gebracht. Wo sie den Hausherrn antraf – den sie allerdings nur flüchtig zu Gesicht bekam, weil er gerade schon wieder am Gehen war. Vermutlich doch noch etwas zu tun, schätzte sie, während sie im Triclinium zu warten begann, dass der Pompeius wieder auftauchte. Oder, noch besser, die Iunia. Seiana war wirklich nicht scharf darauf, Axilla noch mal zu begegnen, nicht nach dem Schlag, den sie ihr verpasst hatte, und nicht nach den Unterstellungen, der Verleumdung, den Beleidigungen. Nicht nach dieser Feindseligkeit, die ihr bei ihrem letzten Besuch hier entgegen geschlagen war. Sie wusste noch nicht einmal, warum Axilla so feindselig gewesen war. Wie sie auf die Idee kam, sie würde sich mit Seneca nur ihre Langeweile vertreiben, oder mit ihm spielen, oder was auch immer es genau gewesen war, was sie ihr da vorgeworfen hatte. Und wie sie darauf kam ihr zu unterstellen, sie würde ihren Mann gleich mit mehreren anderen betrügen. Ausgerechnet sie, Seiana, die seit ihrer Kindheit ihr Leben damit verbracht hatte, das zu tun, was richtig war, und tugendhaft, und ehrbar – auch wenn es ihr in den letzten Jahren mehr und mehr um den Schein nach außen gegangen war, den es zu wahren galt. Und sie hatte das perfektioniert, nicht nur ihre Fassade nach außen, auch ihr Verhalten. Sie hatte sich kaum je einen Fehltritt geleistet, und die wenigen, die es gab, waren nie bekannt geworden – bis auf diesen jetzt, der auch nie bekannt geworden wäre, wenn Seneca nicht geredet hätte. Ihr Ruf in Rom könnte nicht tadelloser sein, sah man mal davon ab, dass sie sitzen gelassen worden war von ihrem Langzeit-Verlobten, und dass sie zu lange unverheiratet gewesen war – und natürlich davon, dass sie wohl als gefühlloser Eisklotz verschrien war.


    Nein, so unbedingt mit der Iunia reden wollte Seiana nicht. Aber es ging nicht um sie, es ging um Seneca, und um seinetwillen war sie hier. Und so schlecht konnten die Chancen doch gar nicht stehen, wenn man von ihrem letzten missglückten Treffen absah. Sie war über ihren Schatten gesprungen und hatte Axilla von einer freien Mitarbeiterin, die ab und zu einen Artikel geschrieben hatte, zur Subauctrix gemacht. Sie hatte sich danach stets professionell verhalten gegenüber der Iunia. Natürlich war sie kühl gewesen und distanziert, aber das war Seiana bei jedem – genau wie sie zu jedem, einschließlich Axilla, fair war. Welche Vergangenheit die Iunia und sie teilten, dass sie nie wirklich warm geworden war mit ihrer Lectrix, hatte Seiana sich nie anmerken lassen, und sie hatte schon gar nicht zugelassen, dass es ihre Zusammenarbeit beeinflusste. Weswegen sie die Iunia dann auch zur Lectrix befördert hatte. Und bei Axilla schien es auch so angekommen zu sein, dass sie die Vergangenheit einfach nur ruhen lassen wollte – warum sonst hatte sie ihr Katander gebracht, als Salinator wenigstens Archias' Sklaven freigegeben hatte? An jenem Tag hatten sie sich sogar ein wenig unterhalten, über die üblichen höflichen, aber knappen Wortwechsel hinaus, Seiana hatte von ihrem Bruder gesprochen, das wusste sie noch, weil sie damals so in Sorge gewesen war um Faustus, der irgendwo in der Wüste unterwegs gewesen war auf seinem letzten Feldzug, und sie mal wieder nicht gewusst hatte, ob er lebend zurückkommen würde... Nach all dem, was sie sich in den letzten Jahren an professioneller Zusammenarbeit aufgebaut hatten, musste es doch möglich sein, mit der Iunia jetzt vernünftig zu reden, auch wenn es für Seiana sowohl nach dem verbalen als auch dem physischen Angriff erneut einen Sprung über ihren Schatten abverlangte. Aber es ging nicht um sie. Sondern um Seneca. Also wartete sie geduldig darauf, dass sich jemand im Triclinium blicken ließ.

    Seiana wartete zwar nicht an der Porta, aber sie stand nahe genug, um zu hören, was gesagt wurde. Und sie war... gelinde gesagt verwirrt. Zum einen, weil der Ianitor offenbar gar nicht nach der Iunia selbst geschickt hatte, sondern nach ihrem Ehemann – aber das konnte doch unmöglich der Usus hier sein... sie hatte zumindest nie den Eindruck gehabt, dass Axilla sich bevormunden lassen würde. Eher konnte sie sich das Gegenteil vorstellen, vielleicht nicht bevormunden, aber manipulieren. Zum anderen überraschte es sie ein wenig, dass Pompeius sie zum Essen einlud, und dann noch so spontan.
    Allerdings: sie wollte mit der Iunia reden, damit die Sache ein für alle mal geklärt war. Und es würde sich sicher während eines solchen Essens die Gelegenheit ergeben, auch mal alleine mit ihr zu reden... und ihr Mann war einer der mächtigsten Männer der Kanzlei. Es wäre dumm, die Gelegenheit nicht zu nutzen, um ihre Bekanntschaft wieder etwas aufzufrischen. Wenn man überhaupt von Bekanntschaft reden konnte, nachdem sie nur einmal hier zum Essen gewesen war, mit Archias damals noch... als ihr zum ersten Mal aufgefallen war, dass etwas nicht stimmte, weil die Iunia sich so schamlos an ihn geschmiegt hatte. Was noch passiert war bei diesem Essen, in diesem Haus, dieser unsägliche Kuss, verdrängte Seiana einfach. Sie nickte Álvaro leicht zu und schickte dann Bran, ihren anderen Leibwächter, fort mit der Botschaft, in der Casa Terentia ausrichten zu lassen wo sie war, bevor er wieder zurückkommen sollte. Álvaro indes wandte sich wieder an den Ianitor: „Meine Herrin nimmt die Einladung gerne an.“

    Und wieder schafften es Massas Worte, ihr die Luft wegzunehmen. Schnitten in sie hinein, wie mit rasiermesserscharfen Klingen, und raubten ihr die Luft zum Atmen. Tyrann, echote es in ihrem Kopf. Der Mutter die Kinder wegzunehmen. Wenn es so schön klang, ihr solche Vorwürfe zu machen, was spielte die Wahrheit da dann noch für eine Rolle? Dass es doch Venusia gewesen war, die der Familie die Kinder hatte wegnehmen wollen? Dass es der Duccia frei stand, bei den Kindern zu bleiben – aber dass sie eben nicht verwandt war mit ihnen, dass sie kein Recht hatte die Erziehung zu bestimmen, oder gar wo sie aufwuchsen? Es gab römische Familien, die die Witwen hinaus warfen, spätestens wenn die Kinder alt genug waren, und Venusias Kinder waren eigentlich alt genug. Trotzdem sprach kein Decimer, auch sie nicht, davon, es der Duccia zu verweigern hier zu leben, in der Casa Decima, und für ihre Kinder da zu sein. Keine andere Meinung lässt du zu.
    Seiana presste die Lippen aufeinander, und um ihren Mund erschien ein harter, verbitterter Zug. Sie wollte nur das Beste für die Familie. Wenn sie sich damit unbeliebt machte: bitte. Es war ja nicht so, dass sie das nicht schon kannte, von der Schola, von der Acta, wo ihre Art, ihre kühle und manchmal harte Hand bei vielen nicht sonderlich beliebt war. War nicht die Iunia das beste Beispiel dafür, dass sie offenbar einfach hassenswert war? Sie hatte Axilla nicht nur fest in die Acta geholt, sondern sogar zur Lectrix befördert, trotz allem, was gewesen war – und dennoch schien die Iunia sie zu hassen, so sehr, dass sie ihr gleich mehrere Affären andichten wollte, kaum dass sie von ihrer einzigen erfahren hatte.


    Während Faustus und Massa weitere Worte austauschten, heftige Worte, machte Seiana einen Schritt zurück, dann noch einen, bis sie in ihrem Rücken eine Säule spürte, an die sie sich lehnte. Der kühle Steine beruhigte sie, wenigstens etwas, und während die Worte an ihr vorbeirauschten, ohne dass sie wirklich deren Inhalt zu begreifen schien – Schwäche? Von welcher Schwäche sprach Massa da, etwa von Faustus' Arm? –, versuchte sie ihre Atmung zu kontrollieren. Sie begriff es nicht. Sie war doch sonst nicht so, sie konnte sich doch sonst beherrschen, sie begriff einfach nicht, warum Massas Worte sie so trafen, und sie begriff noch viel weniger, warum auch ihr Körper plötzlich nicht mehr beherrschbar zu sein schien, warum sie sich auf einmal so schwach fühlte, sie so schnell atmen musste, sich ihre Knie so weich anfühlten und ihr Magen so flau, obwohl sie weder krank noch übermäßig müde war. Aber die Gedanken halfen ihr nicht, und sie konnte das Rätsel sowieso nicht ergründen – und sie stand einfach nur da, an die Säule gelehnt, bleicher als normal, was aber im Schatten kaum erkennbar war, und hörte regungslos dem Wortwechsel der beiden Männern zu – reagierte auch nicht, als Massa schließlich am Schluss noch einmal das Wort an sie wandte. Nichts mehr schuldig. Noch ein Stich. Er hatte nicht die geringste Ahnung... Sie würde ihm ewig schuldig sein, gleich wie er sich verhielt, gleich ob er das annahm. Aber sie sagte nichts, auch dann nicht, als er sich wieder auf den Weg zurück ins Triclinium machte.

    Seiana war sich nicht so sicher, ob sie die genauen Umstände überhaupt wissen wollte, wie der Kaiser – und seine Familie! – zu Tode gekommen waren. Es war einfach leichter, Distanz zu wahren, wenn sie nicht zu viel wusste... Distanz, die nötig war, um einen Weg zu finden, der ihnen möglichst viele Optionen offen ließ. Auch wenn das opportunistisch war. Seiana wollte, dass ihre Familie diesen Bürgerkrieg heil überstand. Wenn sie allerdings hörte, so wie jetzt, dass Valerianus' Tod qualvoll gewesen sein musste, wenn sie gezwungen wurde an das zu denken, was sie sonst am liebsten verdrängte – dass auch seine Frau und sein Sohn umgebracht worden waren –, fiel es ihr so viel schwerer sich auf das einzige zu konzentrieren, was doch in ihren Augen wirklich zählte: den Schutz, das Wohlergehen ihrer Familie. Fiel es ihr so viel schwerer sich davon zu überzeugen, dass es wirklich das einzige war, was zählte. Dass es nicht doch noch mehr gab als das... Dinge, an deren Wichtigkeit und Einfluss sie zu glauben aufgehört hatte. „Ja, du... du hast Recht“, murmelte sie, und als sie ihn ansah, lag ein leicht gequälter Ausdruck in ihren Augen. „Nur...“


    Sie ließ ihren Satz unvollendet, hörte nur weiter zu und nickte leicht. Lächelte am Schluss sogar, als Faustus von ihren Medici sprach. „Sicher. Soll ich dir für dich den hübschen schicken?“ rang sie sich sogar zu einem Scherz durch, bevor sie wieder ernst wurde. „Ja, das ist gut. Es gibt noch zu viele Gerüchte... Ein öffentliches Geständnis würde die Meinung der Leute sicherlich mehr zu Vescularius' Gunsten beeinflussen.“ Was entscheidend sein konnte im kommenden Bürgerkrieg... Faustus hatte sich entschieden, ganz offensichtlich, und Seiana überraschte das noch nicht einmal. Ihr Bruder war anders als sie, in dieser Hinsicht jedenfalls, er konnte ihre Beweggründe vielleicht nachvollziehen, aber sie bezweifelte, dass er jemals selbst so würde denken oder gar handeln können. Und wenn sie ehrlich war, dann wollte sie auch gar nicht, dass er an diesen Punkt kam. Es reichte, dass einer von ihnen beiden seinen Idealismus größtenteils verloren hatte. „Meinst du, Vinicius wird sich überzeugen lassen?“

    Tut mir leid – gerade auch weil du dir Mühe gemacht hast, recht ausführlich zu antworten –, aber ich habe mich dagegen entschieden, dich aufzunehmen. Ich glaube bei einer anderen Familie bist du besser aufgehoben. Viel Erfolg bei der Suche und viel Spaß im IR :)

    Seiana fühlte sich, als ob jemand einen Kübel Eiswasser über sie ausgeschüttet hätte. Sich beschäftigen und vergnügen. Tyrann. Eigenes Leben. Warum nur hatte sie das Gefühl, er sprach gar nicht von Stella, sondern von ihr? Was hatte Faustus gesagt, Massa hatte sich in seiner Ehre verletzt gefühlt aufgrund ihres Briefs? Warum hätte er sich in seiner Ehre verletzt fühlen sollen – wenn nicht deswegen, dass er im Grunde der Meinung war, dass eigentlich sie, als Frau, sich nicht einzumischen hatte in die Belange der Familie, völlig egal, ob es hier um die Kinder des Bruders ihres Vaters ging? Und warum sollte er seine Cousine als Tyrann bezeichnen, die noch ein halbes Kind war im Grunde, und die er zudem seit Jahren nicht gesehen hatte? Nein. Seiana war sich sicher, dass er damit nur sie meinen konnte, dass ihm nicht gefiel, wie eng ihre Beziehung zu ihrem Bruder war, dass er fand sie solle sich um andere Dinge kümmern, weil er doch ein eigenes Leben zu führen hatte. Massa hatte keine Ahnung. Nicht die geringste Ahnung. Sie hatte geglaubt, damals, als sie sich kennen gelernt hatten, als sie gesprochen hatten, dass er verstand, was Faustus und sie verband, dass er bis zu einem gewissen Grad sogar sie verstand, obwohl sie sich kaum kannten, aber das war wohl ein Irrtum gewesen. Er schien ja noch nicht einmal zu verstehen, wie Familienzusammenhalt in Rom funktionierte. Seiana hatte keine Ahnung, ob die in Griechenland lebenden Römer das anders handhabten, aber eine Ehe sine manu hieß in Rom, dass die Frau nicht in die Familie ihres Mannes überging, sondern ihrer eigenen verhaftet blieb. Und damit nicht nur das Recht, sondern die Pflicht hatte, sich um deren Wohlergehen zu kümmern und Verantwortung zu übernehmen, vor allem dann, wenn sonst niemand da war der das tun könnte.


    All das lag ihr auf der Zunge, sie wollte es ihm sagen, wollte es ihm entgegen zischen, dass die Griechen ihre Frauen vielleicht wegsperrten, aus dem öffentlichen Leben fernhielten und auch sonst keinerlei Einmischung wünschten, aber dass Römer anders waren, und das auch in Griechenland lebende Römer sich an römische Sitten halten sollten und nicht die griechischen. Aber sie bekam nichts davon heraus. Sie schwamm innerlich in einem Meer aus Eis, versuchte gegen die überwältigende Kälte anzukämpfen, die das helfende Maß überschritten hatte im Moment, die zwar den Schmerz, den verletzten Stolz blockte, die sie aber zugleich auch lähmte. Sie stand nur da, wie erstarrt, und sah Massa an, mit versteinerter Miene, und sie hätte sich vermutlich noch wesentlich länger nicht regen können, wenn Faustus und seine Reaktion sie nicht aus ihrer Starre gerissen hätten. Überrascht beobachtete sie, wie er zunächst verbal und dann körperlich auf Massa losging, auf ihn einschimpfte, ihm Schläge versetzte... und konnte dann nicht anders als Genugtuung zu verspüren. Unter fast allen anderen Umständen hätte sie wohl versucht dazwischen zu gehen, hätte die beiden aufgefordert, sich nicht wie Kinder zu benehmen – aber so, jetzt, nach dem, was Massa gesagt und wie sie es verstanden hatte... bekam er einfach nur, was er verdiente. Es freute sie nicht. Es erfüllte sie mit tiefer Genugtuung, die nichts mit Freude oder Triumph zu tun hatte. „Du bist Römer, Massa. Benimm dich auch so“, fauchte sie, als er sich nach den Schlägen genug gefasst hatte, um zu reagieren. „Aber wenn du dich selbst als Grieche siehst, bist du bei der Classis gerade richtig.“

    [Blockierte Grafik: http://img718.imageshack.us/img718/5630/alvaroh.jpg]


    Ohne sich je wirklich darüber abgesprochen zu haben, hatte es sich so eingespielt, dass Álvaro stets die Aufgabe übernahm seine Herrin irgendwo anzumelden, sofern sie nicht noch andere Sklaven dabei hatte. Brans Zunge und sein ganzes Verhalten war zu... locker, um es freundlich zu umschreiben, als dass es sinnvoll gewesen wäre ihm solche Aufgaben zu übertragen. Und er hatte auch gar keine Lust darauf, Álvaro kannte ihn mittlerweile gut genug, um das zu wissen.


    „Meine Herrin Decima Seiana wünscht die Lectrix Iunia Axilla zu sprechen“, antwortete er auf die Frage des Ianitors. „Sie wollte dies eigentlich in der Acta tun, hat sie dort jedoch knapp verpasst, wie es scheint. Ein Subauctor meinte, die Lectrix befände sich bereits auf dem Heimweg und sei hier zu erreichen, wenn es dringend sei.“ Ganz so hatte der Subauctor das freilich nicht gesagt, da war nur etwas von einer Botschaft gewesen... aber nun ja. Gesagt hatte er in jedem Fall, dass die Iunia sich bereits verabschiedet hätte mit den Worten, sie würde nun nach Hause gehen.





    CUSTOS CORPORIS - DECIMA SEIANA

    Zu 1. Ich glaube du hast meine Frage falsch verstanden - ich meinte: hast du schon mal in einem RPG wie dem IR mitgespielt? Was du aufzählst, sind alles PC-Spiele mit tollen Grafiken und Knöpfen zum Drücken. Das IR ist ein Schreib-RPG. Was du jetzt schon sehen kannst, ist alles, was es hier gibt, da tut sich nichts anderes mehr auf.
    Mir ist der Punkt deshalb wichtig, weil in der Gens Decima doch recht viel Wert auf das Rollenspiel gelegt wird - auch mal ausführlicheres Beschreiben des Charakters, ausgespieltes Familienleben, im Durchschnitt eher längere Beiträge... lieber mal länger auf einen Post warten bzw. dafür brauchen als einen Zweizeiler abzuliefern, solche Sachen. Also: hast du schon mal in einem reinem Schreib-RPG mitgespielt (bzw. schreibst anderweitig Geschichten oder so)?


    Zu 2. Wenn du zu einer Familie willst, die eher im gesellschaftlichen Mittelfeld angesiedelt ist, bist du bei uns falsch ;) Die Decimer sind zwar weder Patrizier noch gehören sie zur Nobilitas, aber gesellschaftlich stehen sie trotzdem recht weit oben - es gibt einige Senatoren und Legaten in der Familie, und der aktuelle Praefectus Praetorio ist ein Decimus. Wenn du also zu einer "sehr schlichten" Familie willst, solltest du dir eine andere suchen.


    Zu 4. Ja, die Spielleitung kann den Namen noch ändern.

    Erst mal hallo und herzlich Willkommen im IR :)


    Freut mich dass du zur Gens Decima willst. Vorher hab ich allerdings ein paar Fragen an dich:


    1. Hast du schon mal in einem RPG mitgespielt?
    2. Wie bist du auf die Gens Decima gekommen?
    3. Wie stellst du dir deinen Charakter vor - und hast du evtl. schon Ideen, was du mit ihm anstellen willst?
    4. Da es bei uns in der Familie schon einen Faustus gibt, würde ich dich bitten, dir im Falle einer Aufnahme bei der Gens Decima einen anderen Cognomen auszusuchen. Wird sconst sehr verwirrend, wenn da zwei mit demselben Namen rumspringen ;) Wärst du damit einverstanden?


    Grüße, Seiana

    Natürlich ging sie nicht wieder hinein. Sie blieb, sie strich weiter über seine Haut, unter der die Muskeln eisenhart zu sein schienen, so angespannt, dass sie fast meinte es müsste in sie übergehen. Aber nach und nach entspannte er sich ein wenig, und Seiana trat noch einen Schritt näher, strich mit ihrer Hand nun über seinen Rücken und legte ihren Kopf leicht an seine Schulter. Sie konnte so gut nachvollziehen, wie er sich gerade fühlen musste... Ostia, der Theaterbesuch, diese paar Tage, in denen sie geglaubt hatte Seneca hätte sie verraten, in böser Absicht verraten, lagen noch nicht allzu lange zurück.


    Sie sagte immer noch nichts, hätte auch nicht gewusst was, aber sie hoffte dass es ihm erst mal einfach nur half, dass sie da war. Und dann hörte sie ein Räuspern, irgendwo hinter sich, wandte sich leicht um – und entdeckte Massa, der nun auf sie zukam, in einem so lässigen Schlendergang, dass Seiana sich fragte, ob er tatsächlich so dreist war, oder ob ihm einfach nicht bewusst war, wie das wirkte. Aber da sie ihn bei weitem nicht als dummen Menschen kennen gelernt hatte, glaubte sie nicht wirklich daran, dass er das nicht wusste.
    Sie blieb stehen, wo sie war, veränderte nur leicht ihre Haltung – und das allein ließ es schon so wirken, als würde sie sich schützend vor ihren Bruder stellen. „Was willst du hier, Massa? Deine Cousine vermisst dich sicher bei der Cena.“ Ein Gespräch wäre sicher nicht das Schlechteste... Seiana war sich nur nicht so sicher, ob es jetzt so klug war.

    Als der Subauctor ihr sagte, die Lectrix sei bereits wieder weg, hätte Seiana am liebsten geflucht. Aber sie schickte ihn nur mit einer Handbewegung wieder weg... und beschloss kurzerhand, die Iunia dann eben daheim aufzusuchen, wo sie nach den Worten des Subauctors war. Sie hatte sich dazu entschieden, mit ihr zu reden, dann wollte sie es gleich hinter sich bringen, und wenn das hieß, dass sie sich doch noch einmal auf ihr Terrain begeben musste – bitte. Dieses Mal war sie besser vorbereitet... und dieses Mal brannte keine schmerzhafte Enttäuschung tief in ihr, die sie kaum noch klar denken ließ. Bessere Voraussetzungen als beim letzten Mal.

    Stumm hörte Seiana ihrem Bruder zu. Stumm, und mit einem merkwürdigen Gefühl in der Magengegend. Der Vinicius. Verraten hatte er sich... also stimmte es tatsächlich. Seiana war sich bis jetzt nicht sicher gewesen, wer wirklich hinter dem Mord steckte, aber sie zweifelte nicht an Faustus' Worten, oder daran, dass er dem Vinicius tatsächlich die Wahrheit hatte entlocken können. Allein schon weil er Livianus' Sohn war, hatten es doch glaubwürdig klingen müssen, als er sich als scheinbarer Unterstützer offenbart hatte... gerade für jemanden, der davor nur gefoltert worden war, der nach Hoffnung, oder nur ein paar freundlichen Worten, regelrecht ausgehungert sein musste.


    Und Faustus fragte nun sie, was er tun sollte, mit diesem Mann. Senator. Consular. Hochverräter. Sie presste die Lippen aufeinander. „Ich glaube das. Ich glaube, dass... wenigstens ein paar der Verschwörer, wenn es eine Gruppe um Vinicius und Tiberius war... tatsächlich das Beste für Rom im Sinn hatten“, begann sie, langsam, zögerlich, nach Worten suchend. Sie legte sich eine Hand auf die Stirn und rieb sich darüber, erhob sich dann und ging ein paar Schritte, während sie in Gedanken die verschiedenen Optionen durchging, sichtete, welche Vor- und Nachteilen es gab. Was wohl richtig wäre. Was wohl klug wäre. Dann wandte sie sich wieder zu Faustus um. „Ich glaube, dass es sinnvoll wäre ihn zu schützen. Ich weiß, es ist opportunistisch, und du willst das nicht hören, aber... wenn Vescularius den Bürgerkrieg verlieren sollte... könnte der Vinicius dafür sorgen, dass du – wir – glimpflich davon kommen.“ Seiana musterte ihren Bruder. „Dagegen spricht, dass er zu bekannt ist. Die Leute fragen nach ihm, sein Bruder ist ja immerhin schon in die Verbannung geschickt worden, und Vescularius wird ihn auch nicht vergessen haben. Aber vielleicht könntest du ihn hinhalten, bis der Bürgerkrieg entschieden ist. Umgekehrt könntest du auch versuchen ihn dazu zu bringen, sich vor allen Leuten schuldig zu bekennen. Das ist das, was dem Kaiser noch fehlt, dass einer der Verschwörer öffentlich erklärt, den Mord geplant zu haben – und das wird er dir sicher vergelten, wenn du ihm das liefern kannst.“ Sie seufzte leise und hob in einer fast hilflosen Geste leicht die Schultern. „Wenn du wissen willst, was richtig ist... ich weiß es nicht. Wenn du unser Recht zu Grunde legst, musst du Hochverrat bestrafen. Wenn du unsere Geschichte betrachtest... Kaisermord ist nicht immer bestraft worden, und es war... nicht immer falsch, so zu handeln. Und was moralisch richtig ist? Epiktet* hält die innere Einstellung für wichtiger, genauso wie Aristoteles schon, und andere.“ Nur dass gerade Aristoteles Mord dabei ausgeschlossen hatte. Aber galt das auch dann, wenn das Wohl eines ganzen Imperiums auf dem Spiel stand, jedenfalls in den Augen der Verschwörer? Und dass Vinicius Ähnlichkeit mit Livianus hatte, oder dass Faustus seiner Familie verpflichtet war, machte es nicht einfacher. „Andererseits wirst du genauso viele Philosophen finden, die das Ergebnis höher bewerten als die Absicht.“



    Sim-Off:

    *Lebt zwar noch, aber ich geh mal davon aus, dass seine Lehren zu unserer Zeit trotzdem schon bekannt sind.

    Nach dem Gespräch mit Seneca hatte Seiana überlegt... gegrübelt vielmehr. Ob sie ihre Idee tatsächlich in die Tat umsetzen, ob sie mit Axilla wirklich noch einmal reden sollte. Nach ihrem letzten Aufeinandertreffen hatte sie eigentlich wenig Lust darauf... verständlicherweise, schon allein weil sie nicht noch einmal Bekanntschaft mit Axillas Faust machen wollte, und sie war sich bei weitem nicht sicher, ob die Iunia sich genug beherrschen konnte. Entsprechend war sie der Iunia in den vergangenen Tagen bewusst aus dem Weg gegangen, wenn sie denn gleichzeitig in der Acta waren.
    Allerdings: es ging nicht nur um Seneca, oder um sie, oder irgendwelche Konsequenzen daraus – denn ganz gleich, was Seneca beteuert hatte, sie traute der Iunia keinen Fingerbreit über den Weg –, es ging auch um die Arbeit. Axilla war immer noch Lectrix. Wäre sie nicht die Verwandte von Seneca, Seiana hätte sie hochkant rausgeworfen, aber so... musste noch einmal ein Gespräch her, wenigstens eines, um zu klären, wo sie standen.


    An diesem Tag war Axilla ebenfalls in die Acta gekommen... und als es schon später Nachmittag war, schickte sie einen Subauctor, der gerade zum Gespräch gewesen war, mit den Worten hinaus: „Bevor du gehst, schick die Lectrix noch zu mir.“ Später Nachmittag. Nur noch wenige Mitarbeiter in der Acta, noch weniger als ohnehin schon zur Zeit – der drohende Bürgerkrieg hatte ihre Zahlen deutlich dezimiert –, dazu ihr Büro im hinteren Teil, dafür aber zentral im Gebäude, so dass nicht gelauscht werden konnte... und dazu neutraler Grund. Freilich trotzdem nicht ideal, aber besser als alles andere an möglichen Orten, die ihr eingefallen waren.

    Seiana konnte mit der verlegenen Art der Helvetia wenig anfangen. Nicht weil sie verlegen war – das kannte sie nur zu gut von sich selbst –, aber weil sie diese, in ihren Augen jedenfalls, so deutlich zur Schau stellte. Männer reagierten darauf, das war Seiana durchaus klar... trotzdem hielt sie nichts davon. Nicht von echter Verlegenheit, wenn sie so deutlich gezeigt wurde, denn genau daran sollte eine Frau arbeiten, und erst recht nicht von gespielter, um das als Mittel einzusetzen von einem Mann zu bekommen, was frau wollte.


    Davon ließ sie sich allerdings nichts anmerken. Sie lächelte nur und sah zu Faustus, um seine Antwort abzuwarten – ob Messalina würde kommen können oder nicht, wusste sie nicht, aber sie ging davon aus dass er darauf eine Antwort würde geben können. Allerdings schien Faustus nun endgültig wie erstarrt zu sein. Sie wartete. Einen Moment. Noch einen. Besorgnis schlich sich in ihren Blick. Und dann stand ihr Bruder auf, abrupt, entschuldigte sich und verließ das Triclinium.
    Es dauerte nur den Bruchteil eines Moments, bis Seiana ebenfalls reagierte. Mit einem Lächeln, das diesmal allerdings mehr als zuvor ihr kühles Standardlächeln war, wandte sie sich an die Gäste in ihrer Nähe. „Wenn ihr mich auch entschuldigt?“ Ohne weiteren Kommentar, ohne Erklärung – auf die Schnelle wäre ihr ohnehin nichts eingefallen, nichts Plausibles, aber bis sie zurückkamen, würde sie hoffentlich etwas wissen –, und folgte ihrem Bruder hinaus.


    Sie ging ihm nach, ins Peristyl, näherte sich ihm zögernd und legte ihm sacht eine Hand auf die Schulter. Und strich erst mal ein paar Mal darüber, ohne etwas zu sagen, weil ihr jeder Kommentar – geht's, alles in Ordnung, irgendetwas in der Richtung – so absolut deplatziert vorkam in diesem Augenblick.

    Seiana setzte ein Lächeln auf, das der Helvetia versichern sollte, dass es überhaupt keinen Grund gab sich befangen zu fühlen. „Keine Sorge. Mein Bruder und ich finden schon andere Gelegenheiten, Zeit miteinander zu verbringen.“ Wie zufällig berührte sie Faustus am Arm, strich darüber, aber es war nicht zufällig, sie versuchte, ihm auf diese Weise wenigstens etwas Halt zu geben. „Wie hast du Bekanntschaft mit unserer Stella geschlossen, Helvetia? Hat Decimus Varenus' Frau euch bekannt gemacht?“

    Irgendwie ging das nicht ganz in die Richtung, die Seiana im Kopf gehabt hatte... aber Faustus machte nicht gerade den Eindruck, als wollte er im Moment irgendetwas anderes hören als das, was zu seinen Worten über Massa passte. Aber möglicherweise war es ganz gut, erst mal einfach abzuwarten. Auch wenn er vielleicht gar nicht reagierte... Sie wusste ja nicht, was Faustus geschrieben hatte, aber zumindest auf ihren Brief hatte Massa bis heute nicht reagiert, obwohl er ihrem Bruder offenbar gesagt hatte, dass er darüber nicht begeistert gewesen war. Aber darüber jetzt zu grübeln hatte wenig Sinn. Wenn Massa nicht zur Garde kam, würde sie ihm nun wohl doch schreiben müssen – und je nachdem, was sich bis dahin getan hatte, konnte sie vielleicht auch das hier ansprechen. Das Thema Garde zumindest, über Faustus würde sie ganz sicher nichts so sensibles zu Papier bringen.


    „Faustus...“ Seiana hob hilflos die Schultern. Sie war doch nicht so, weil sie es so unbedingt wollte. Sie war so, weil sie nicht stark genug war. Weil sie nicht anders gekonnt hatte, um mit den Enttäuschungen in ihrem Leben umzugehen. Weil sie solche Sachen genauso mitrissen wie ihren Bruder... und sie keinen Weg gesehen hatte, anders damit fertig zu werden, wenn sie sich nicht davon fertig machen lassen wollte. Sie war nicht stark genug. Sie war nicht so stark wie ihr Bruder.
    Trotzdem setzte sie nun ein Lächeln auf, als Faustus weiter sprach, und schlang einen Arm um seine Taille, als er seinen um ihre Schulter legte. „Ja, so was... kann ich gut“, erwiderte sie und versuchte nun leicht zu klingen. „Aber du, du bist doch der beste Präfekt, den die Garde je haben kann. Was soll eine Mischung aus uns beiden da noch besser machen können?“ Erneut huschte ein Lächeln über ihre Züge, das allerdings ziemlich schnell verblasste. „Du kannst mich immer um Rat fragen, das weißt du“, antwortete sie. „Worum geht es?“