Beiträge von Decima Seiana

    Seiana warf der Aurelia und dem Germanicus einen flüchtigen Blick zu und nickte ihnen leicht zu. „Salvete“, grüßte sie die beiden ruhig, und behielt ihre Miene bei, wie sie war – kühl, ruhig, ohne eine Regung. Auch wenn sie es ein wenig verwunderlich fand, dass eine Aurelia sich hier mit einem Germanicus als einziger Begleitung blicken ließ. Wenn sie nicht alles täuschte, war wohl kein Aurelius mehr in Rom anwesend, der auf den Anstand seiner weiblichen Verwandten hätte achten können... dennoch hätte die Frau eigentlich selbst darauf achten können. Aber das war nicht ihr Problem, schon gar nicht im Moment.
    Sie sah zu ihrem Bruder hinüber und bemühte sich um ein Lächeln, als der sie ansprach. „Ja... lange her. Ich kann mich gar nicht mehr so genau erinnern, wann das war... Oder welches Stück wir gesehen haben.“ murmelte sie zurück und richtete ihren Blick dann wieder nach vorne, als sich ein Gespräch zwischen ihrem Bruder und dem Iulius entwickelte. Die beiden schienen sich recht gut zu verstehen... andererseits war es schon immer Faustus gewesen, der sich um so vieles leichter damit getan hatte, sich mit anderen zu unterhalten, selbst mit Fremden ein lockeres Gespräch anzufangen und sich dabei wohl zu fühlen. Ihr hatte das noch nie so wirklich gelegen, selbst zu früheren Zeiten, als sie jünger gewesen war... als sie noch anders gewesen war.
    Sie war beinahe dankbar dafür, als das Stück nun anfing. Nicht weil sie sich darauf freute, sondern weil es die Gespräche größtenteils unterband, und weil sie nicht mehr zuhören wollte, wie leicht sich alle unterhalten, welchen Spaß sie hatten... es fiel ihr im Augenblick schwer, das so stoisch zu ertragen und sich nicht einmal etwas davon anmerken zu lassen. Es wäre wohl so oder so nicht ganz einfach gewesen, aber so, mit Seneca hier, so dicht bei ihr, dass sie seine Gegenwart, seine Nähe beinahe körperlich zu spüren meinte. Sie blickte sich nicht nach ihm um, versuchte nicht zu sehen, wo genau er Aufstellung bezogen hatte – es reichte ihr zu wissen, dass er in der Nähe von ihrem Bruder, und damit auch ihr war.
    Wie gebannt schien ihr Blick auf der Bühne zu haften und das Geschehen zu verfolgen, das sich dort entspann, und doch waren ihre Gedanken gänzlich anderswo... wenn auch nicht weit weg.

    „Gern geschehen, Flavus“, lächelte Seiana ihm zu. „Du kannst jederzeit zu mir kommen, wenn du Rat oder Hilfe brauchst. Vale bene“, verabschiedete sie ihn.

    Seiana runzelte leicht die Stirn, als Faustus erneut von Streit sprach. Es hatte keinen Streit gegeben. Sie hatte bis jetzt ja noch nicht einmal etwas davon gewusst, dass es überhaupt ein Problem mit Massa gab. „Moment“, erwiderte sie, nun wieder ein wenig irritiert, während sie versuchte zu sortieren, was ihr Bruder ihr da alles gesagt hatte. „Du... du willst was?“ Sie starrte ihn an. „Ich soll mich entschuldigen? Für was denn?“ Für einen Augenblick versuchte Seiana sich zu erinnern, was sie überhaupt genau geschrieben hatte – aber der genaue Wortlaut wollte ihr nicht mehr einfallen, nur der ungefähre Inhalt. Was allerdings war an dem so schlimm gewesen, dass Massa sich offenbar dermaßen verletzt fühlte? Männer! Warum konnte eine Frau nie deutliche Worte ihnen gegenüber verlieren, ohne dass sie sich gekränkt fühlten? Warum musste eine Frau immer irgendwelche Schleichwege nutzen?
    Seiana rieb sich die Stirn. „Ich weiß nicht mehr, was ich genau geschrieben habe. Aber es ging nicht um die Sache. Natürlich habe ich eine Meinung, aber was mit den Kindern passiert, ist deine Entscheidung. Nicht meine. Und auch nicht seine! Das ist das einzige, was ich ihm klar gemacht habe. Er kann Entscheidungen treffen für seine Familie, seine Nichten und Neffen. Aber doch nicht für unsere! Wie nahe wir uns stehen innerhalb der Gens tut da doch nichts zur Sache, nur, dass die Verwandtschaft in diesem Fall zu entfernt ist, als dass er etwas entscheiden könnte! Da könnte genauso gut mein Mann ankommen und Entscheidungen treffen wollen, oder ein Verwandter von Venusia!“ Sie konnte ein Seufzen nicht unterdrücken. Dass Massa sich zurückgesetzt fühlte, sich nur noch als Freund von Faustus' willkommen sah, war einfach lächerlich. Sie war überzeugt, dass sie das niemals so geschrieben hatte. „Und ich bin mir sicher dass ich erwähnt habe, wie viel er uns bedeutet. Dass wir seinen Rat schätzen und er immer willkommen ist. Dass ICH auf ewig in seiner Schuld stehen werde, weil er dir das Leben gerettet hat, weil er dich zu mir zurückgebracht hat. Das werde ich nie begleichen können.“ Seiana musste schlucken, als sie das sagte, als sie sich wieder daran zurück erinnerte. Nein, das war eine Schuld, die sie tatsächlich niemals würde begleichen können.
    Sie sah ihren Bruder an, wie er vor ihr stand, lebendig, und nahezu unversehrt. Gerade eben noch hatte er ihr stolz seinen Arm vorgeführt. Und wem hatte sie das zu verdanken? Massa. Sie schloss die Augen und seufzte erneut. Massa hatte ihren Bruder gerettet. Und genau der stand nun vor ihr und bat sie um einen Gefallen. Bat sie nur darum, über ihren Schatten zu springen und einem Mann eine Entschuldigung zu schreiben, der ihn gerettet hatte – und der ihm offenbar darüber hinaus unglaublich viel bedeutete. Selbst wenn sie nach wie vor keinen Grund sah, ihm zu schreiben – wie schwer konnte das schon sein? Wie groß war dieser Gefallen schon? Verglichen mit dem, was sie Massa schuldete. „Nie begleichen können“, wiederholte sie leise. „Ich werde ihm schreiben.“

    Seiana sah die Faust noch auf sich zukommen. Aber sie war so perplex in diesem Augenblick, dass sie nicht in der Lage war auch nur einen Finger zu rühren, geschweige denn sich irgendwie ausweichend oder verteidigend zu bewegen. Und auch danach stand sie erst mal für einen Moment wie erstarrt da, weil sie einfach zu fassungslos war von dem, was da gerade passiert war. Axilla. Hatte. Sie. Geschlagen. Geschlagen..


    Einen winzigen Moment dauerte es noch – dann loderte die Wut heiß in ihr hoch. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, und grob unterbrach sie Axilla, die gerade mit einer weiteren Tirade anfing: „DU hast mich in dieses Haus eingeladen, um MIR zu drohen. Vergiss das nicht, Iunia. Und was hier geschehen ist, wird dir noch leid tun.“ Mit diesen Worten drehte sie sich um und verließ das Atrium, ließ die tobende Iunia zurück, und verließ mit ihren Leibwächtern das Haus. Was Axilla in ihrer Rage abgesehen von den ersten paar Sätzen noch alles von sich gab, bekam Seiana schon gar nicht mehr mit.

    Es gab Momente, da war Seiana regelrecht dankbar dafür, dass ihr Mann so war, wie er war – ob nun distanziert oder desinteressiert, war an der Stelle ziemlich egal. In diesem Moment jedenfalls war sie froh darum, dass er nicht etwa auf die Idee kam zu kommentieren, wie sie über Sex sprach. Zu versuchen sie aufzuziehen. Oder gar anzüglich zu werden. Er nahm ihre Worte einfach hin, als wäre es völlig normal, dass sie so darüber sprachen, und dafür war Seiana dankbar.


    „Ich bin etwas überfällig“, antwortete sie nach einem kurzen Zögern. „Was aber noch nichts zu heißen hat.“ Nicht bei ihr, jedenfalls. Als ihre Mutter krank geworden war, als sie damals unter diesem Druck gestanden hatte, alles irgendwie geregelt zu bekommen, hatte es zum ersten Mal begonnen, dass ihre Blutung unregelmäßig kam und manchmal sogar ganz ausfiel. Mit den Jahren, der vielen Arbeit, die sie sich aufgehalst hatte, dem steigenden Druck hier in Rom allein für die Familie verantwortlich zu sein und ihren... emotionalen Problemen war das eher noch schlimmer geworden. Manchmal hatte sie den Eindruck, als nutzte ihr Körper diese eine Möglichkeit, die er hatte, um der Kontrolle ihres Geists zu entgehen und, nun ja, unzuverlässig zu sein. Seiana hatte sich schon lange damit abgefunden, und entsprechend gab sie auch nun in ihrer Ehe nicht mehr viel darauf, wenn ihre Blutung mal später kam oder gar ausblieb.
    Das allerdings war nichts, was sie ihrem Mann in dieser Detailtiefe erklären wollte. Sie hoffte einfach darauf, dass er wie zuvor ihre Worte einfach so hinnehmen würde und sich nicht weiter dafür interessierte, warum sie nun der Meinung war, dass es nichts zu heißen hatte. Und darüber hinaus hoffte sie zudem, dass sie tatsächlich noch nicht schwanger war... in den wenigen Augenblicken, in denen sie wirklich über diese Möglichkeit nachdachte, flehte sie zu allen Göttern, dass sie es nicht war, noch nicht, nicht jetzt. Wäre sie jetzt schwanger, hieße das nichts anderes, als dass auch Seneca als Vater in Frage kam. Sogar eher als ihr Mann, wenn sie nicht alles täuschte, obwohl sie darüber lieber nicht nachdachte. Noch nicht, hieß das. Sie wollte nicht schwanger sein. Das konnte nicht sein, nicht jetzt. Schlimm genug, dass sie ihren Mann betrogen hatte. Schlimm genug, dass sie scheinbar nicht aufhören konnte an Seneca zu denken. Sie konnte nun doch nicht schwanger sein und ein Kind zur Welt bringen, von dem sie nicht wusste, wer der Vater war – von dem sie nicht wusste, ob ihr Mann der Vater war. Von dem sie jetzt schon, ohne wirklich darüber nachzudenken, ohne über Zeiten zu grübeln, ohne mit einer Hebamme gesprochen zu haben, befürchtete, dass ihr Mann nicht der Vater war.
    Von diesen Gedanken ließ sie sich allerdings nichts anmerken. Sie gab ihnen nicht einmal wirklich viel Raum, schon gar nicht in diesem Moment, wo ihr Mann ihr gegenüber saß. Sie deutete einfach nur ein Achselzucken an und fügte noch hinzu: „Daher denke ich, dass wir nicht warten sollten, bis wir diesmal sicher sind. Das würde nur bedeuten, dass wir möglicherweise noch länger auf ein Kind warten müssen.“

    Auch Seiana hatte sich bereits auf der Tribüne eingefunden, auf dem Ehrenplatz, der ihr gebührte, als Frau des scheidenden und Schwester des künftigen Praefectus Praetorio. Sie mochte derartige gesellschaftliche Anlässe nicht, sie mochte die Menschenmassen nicht und die Notwendigkeit, höfliche Konversation zu üben, daran hatte sich in den letzten Jahren nichts geändert. Aber sie hatte Übung darin, eine ganze Menge Übung mittlerweile sogar, und immerhin der Menge entkam sie durch ihre gehobene Stellung inzwischen völlig. Und unabhängig war ihr Auftreten so stilsicher und routiniert wie stets. Sie trug eine elegante, exklusive Robe, dem Anlass angemessen, schmal geschnitten, in einem kühlen, dunklen Blau, das verziert war mit einem silbernen Muster, und hatte ihre Haare in einer komplizierten Frisur nach hinten stecken lassen. Als sie angekommen war, hatte sie hier und da einige andere prominente Ehrengäste begrüßt, die sich bereits auf der Tribüne eingefunden hatten, Senatoren und ihre Gattinnen und weitere Persönlichkeiten, bevor sie sich zu ihrer Familie gesellte. Catus und Stella waren da, und auch Messalina war gekommen. „Salvete“, lächelte sie den dreien zu. „Schön, euch hier zu sehen.“

    Seiana hatte im Grunde keine Lust auf einen Theaterbesuch. Nicht den geringsten. Dennoch hatte sie zugestimmt, als Faustus sie gefragt hatte, einfach weil es eine weitere Möglichkeit der Ablenkung bot. Ohne dass sie es wollte, ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, kreisten ihre Gedanken viel zu häufig um Seneca. Sie versuchte zu verdrängen, was gewesen war, versuchte ihn aus ihren Gedanken und aus ihrem Herzen zu verbannen, aber es wollte ihr nicht gelingen. Und sie schaffte es erst recht nicht, dass der Gedanke an ihn nicht mehr weh tat. Sie igelte sich innerlich ein und zeigte ein unnahbares, kühles Bild nach außen, aber sie schaffte es nicht, sich innerlich wirklich einzufrieren. Und so dachte sie an ihn, viel zu häufig, trotz allem was sie dagegen tat, obwohl sie sich in Berge von Arbeit stürzte.
    Dabei gäbe es ja genug anderes zu bedenken. Da war der Rücktritt ihres Mannes vom Posten des Praefectus Praetorio, von dem noch niemand etwas wusste, und den sie nach wie vor nicht einordnen konnte. Und ihr Bruder würde sein Nachfolger werden... auch etwas, was noch keiner sonst wusste. Seiana wusste nicht so recht, warum Vescularius ihren Bruder, den Sohn von Livianus, zum Prätorianerpräfekten machte... sie konnte sich nur vorstellen, dass er die Decimi noch mehr an sich binden wollte, die Gens des Triumphators. Völlig zu vertrauen schien er ihm jedoch nicht, jedenfalls verzichtete er nach wie vor nicht auf seine skythische Leibwache... Und vielleicht wollte er so auch die Garde schwächen. Seine eigene Leibwache und ein noch so junger Kommandant... sie liebte ihren Bruder über alles, und sie war überzeugt von seinen Fähigkeiten, aber er war jung, gerade für so einen Posten. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass der Kaiser keinen Hintergedanken gehabt hatte, als er sich ausgerechnet ihn ausgesucht hatte. Umso wichtiger war es, dass Faustus reibungslos in sein neues Amt kam. Dass er die Männer für sich gewann und auf sich einschwor. Egal was der Kaiser vorhatte mit seinen Skythen, noch waren die Prätorianer eine mächtige Truppe mit hohem Einfluss. Je schneller Faustus fest im Sattel saß, desto besser – und dann wäre er in der Lage, die Geschicke Roms mit lenken zu können. Vielleicht sogar die entscheidende Rolle in diese Bürgerkrieg zu spielen. Es war egal, welche Provinz wem folgte... nur wer Rom in seiner Hand hatte, konnte sich wahrhaft Kaiser nennen. Und Rom hatte nur, wer die Prätorianer auf seiner Seite wusste. Faustus musste also möglichst rasch zu einem Praefectus werden, dem seine Männer überallhin folgen würden, und sie war fest entschlossen, alles zu tun, um ihm dabei zu helfen – was sie ihm auch gesagt hatte. Ganz egal, was er brauchen würde von ihr.


    Genug zu bedenken also. Genug Arbeit sowieso. Dennoch kreisten ihre Gedanken immer noch zu häufig um Seneca. Deshalb hatte sie beschlossen ihre Familie zu begleiten, auch wenn sie keine Lust auf Theater hatte, einfach weil es eine weitere willkommene Ablenkungsmöglichkeit bot.
    Als sie gesehen hatte, wer Teil des prätorianischen Begleitschutzes war, hatte sie ihre Entscheidung zutiefst bereut. Nur rückgängig machen ließ sich da nichts mehr... und sie konnte Faustus auch nicht bitten, den Iunius spontan zurückzulassen. Es hätte nur Fragen aufgeworfen. So akzeptierte sie einfach nur die Tatsache, dass sie nun annähernd zwei Tage vor sich haben würde, die noch schlimmer sein würden als die zurückliegenden, an denen sie nichts anderes würde tun können, als einfach zu versuchen nicht an ihn zu denken, obwohl er ständig in ihrer Nähe sein würde, und verkroch sich hinter ihrer kälteklirrenden Mauer. Sie blieb in der Nähe ihres Bruders, nahm seinen Arm und ließ sich von ihm ins Theater bringen, begrüßte den Gastgeber und lächelte ihr vages, kühles Lächeln, das ihre Augen nie erreichte, angesichts der Blumen, die er verschenkte. „Iulius. Es freut mich, dich wieder zu sehen“, grüßte sie ihn höflich, und ließ sich im Anschluss neben Faustus nieder, lauschte den Unterhaltungen um sie herum, ohne jedoch von selbst an einer teilzunehmen.

    Für einen Moment passierte etwas, was ihr selten geschah: Seiana blieb die Sprache weg. Dass die Iunia nun dermaßen aggressiv werden würde, hatte sie nicht gedacht. Um genau zu sein, hätte sie wohl nicht einmal gedacht, dass Axilla überhaupt das Potential dazu hatte – obwohl sie ihr ja nun beileibe nicht wenig zutraute, und das sowohl im positiven wie auch im negativen Sinn.
    Dass sie erst mal sprachlos war, spielte aber überhaupt keine Rolle, weil Axilla sich gerade in Rage zu reden schien und noch lange nicht fertig war. Und Seiana dachte gar nicht daran, sie zu unterbrechen. Es war in der Regel meistens besser, die Leute in solchen Situationen erst mal einfach ausreden zu lassen... sie verschossen ihr Arsenal, und man selbst hatte ein wenig Zeit, sich den Gegenschlag zu überlegen. Da war nur dieser Schmerz, der es ihr schwer machte... den sie nicht so leicht unterdrücken oder wegschieben konnte wie sie es gerne hätte. Dieser Schmerz darüber, dass Axilla überhaupt Bescheid wusste. Dass Seneca sie hintergangen hatte. Guter, ehrlicher, ehrenhafter Mann? Ein Anflug von Bitterkeit mischte sich in die Härte in ihren Zügen, aber das war die einzige sichtbare Reaktion auf die Worte. Sie würde nicht über Seneca diskutieren oder gar streiten, nicht hier, nicht so, und schon gar nicht mit dieser Frau. Ganz abgesehen davon, dass Axilla es einfach nicht wert war, dass sie so viel Zeit darauf verschwendete – Seiana wusste genau, was dann passieren würde. Sie würde selbst in die Luft gehen, was für sich allein schon ein Zeichen von Schwäche war. Dazu kam, dass sie dann nicht mehr würde verhindern können, dass sie zeigte, wie getroffen sie gerade war davon, dass Seneca geredet hatte. Und das wollte sie um keinen Preis. Sie hatte nicht einmal vor mit Faustus darüber zu reden – nein, sie würde das irgendwo in sich verschließen und zum restlichen Bodensatz ihrer Seele schieben, wo es verrotten konnte, und sich im Übrigen noch mehr darauf konzentrieren sich noch unnahbarer zu machen. So dass sie in Zukunft nicht einmal mehr in Versuchung geraten konnte, noch einmal so dumm zu sein.
    Ganz davon abgesehen: wer wusste schon, ob das nicht eine Falle war? Hier war niemand, aber Seiana hatte keine Ahnung, ob sich nicht irgendwo noch jemand versteckte, Axillas Mann vielleicht, der dann später bezeugen würde, was sie gesagt hatte. Was ihr Untergang wäre. Sie wusste zwar nicht, welchen Grund Axilla haben sollte, ihr so zu schaden, aber vielleicht war es ihr ja nicht genug gewesen, ihr damals Archias wegzunehmen. Vielleicht gab sie ihr die Schuld daran, dass ihre erste Schwangerschaft unglücklich verlaufen war oder der Aelius sich umgebracht hatte, vielleicht glaubte sie ja, Seiana hätte sie und ihre Ehe verflucht. Vielleicht gab es sogar noch älteren Groll, den sie oder ihre Familie gegen die Decimi hegte, und das war überhaupt erst der Grund gewesen, warum sie sich an Archias herangemacht hatte. Seiana wusste zwar nichts von einer alten Fehde zwischen ihren Familien, aber das musste nicht unbedingt etwas heißen. Und falls das zutraf, würde es sogar einen Grund haben, warum Seneca sich überhaupt erst an sie heran gemacht hatte...
    Seiana rief sich in Gedanken zur Ordnung, und das nicht nur, weil die letzte Vermutung noch schärfer schmerzte als alles davor. Sie lief gerade Gefahr, sich in einer ausgewachsenen Paranoia zu verlieren. Es war schon genug, was hier lief, sie musste es nicht noch schlimmer machen, indem sie mehr hinein interpretierte als da war... und dann hier ihre Beherrschung verlor. Egal welche Gründe Axilla haben mochte, wichtig war nur: So lange nur Seneca es herumerzählte, konnte es leicht als übles Gerücht ohne jede Grundlage abgetan werden – wenn ihr Wort gegen seines stand, dürfte klar sein, wem geglaubt wurde. Aber wenn sie das hier nun selbst zugab und ein Procurator und seine Frau das bezeugten... Dieses Risiko würde sie nicht eingehen. Ganz sicher nicht.


    Äußerlich also in aller Ruhe wartete Seiana ab, bis Axilla fertig war. Ungerührt blieb sie stehen, als die andere zwei Schritte auf sie zutrat, mit einer Körperhaltung, die durchaus als drohend zu verstehen war, und mit Worten, die ohne jeden Zweifel drohend waren. Sie wusste nicht, was die Iunia sich da eigentlich einbildete. Da prasselten Ungeheuerlichkeiten auf sie ein, auf die es im Grunde gar keine Antwort gab – außer vielleicht der Bemerkung, dass es eine Klage wegen Verleumdung geben würde, wenn sie auch nur eines davon gegenüber einem anderen äußern würde. Und das betraf sowohl die dreiste Unterstellung, Seiana würde ihren Mann laufend betrügen, als auch die Bemerkung, Terentius hätte das verdient – etwas, was Seiana nun nicht so wirklich einordnen konnte, welchen Grund Axilla zu dieser Annahme hatte, aber danach würde sie ganz sicher nicht fragen.
    Wäre da nicht dieser Schmerz, sie hätte vielleicht sogar gelacht über den Auftritt. Aber nach lachen war ihr wirklich nicht zumute. Eher danach, sich zu verkriechen, allein zu sein, zu weinen – aber auch das war etwas, was sie sich nicht erlauben würde, auch später nicht, ganz im Gegenteil. Das einzige, was sie tun würde, war sich in Arbeit zu stürzen. „Sieh einer an“, kommentierte sie schließlich nur in kühler Verachtung, als Axilla endlich fertig war mit ihrer Tirade. „Und da dachte ich immer, du seist die Person, die als Letzte irgendjemandem Vorhaltungen machen könnte, wenn es darum geht sich Männer ins Bett zu holen, die dort nichts verloren haben.“ Sie musterte ihr Gegenüber eisig. „Du solltest nicht von dir auf andere schließen, Iunia. Im Gegensatz zu dir weiß ich, was das Wort Ehre bedeutet. Davon abgesehen: was und was ich nicht tue, geht dich nichts an. Aber wenn wir gerade dabei sind, deutliche Worte auszutauschen: es ist mir gleichgültig, was du glaubst oder meinst zu wissen. Solltest du allerdings auf die Idee kommen, diese Verleumdungen öffentlich zu wiederholen, um mir damit zu schaden, wirst du feststellen, dass die Gens Iunia noch sehr viel tiefer fallen kann als sie es ohnehin schon ist.“

    Seiana betrat das pompeische Atrium, und das ungute Gefühl, das sie hatte, wurde eher noch stärker, als sie sah wie menschenleer es war. Keine Sklaven. Nicht einmal jemand, der ihr etwas anbot. Nichts. Sie ließ ihren Blick durch das Atrium schweifen, rührte sich aber ansonsten nicht – bis sie plötzlich eine leichte Bewegung aus dem Augenwinkel sah und die Iunia entdeckte, die hinter einer Säule hervorkam. Ob sie gerade erst gekommen oder schon länger da gewesen war, konnte Seiana beim besten Willen nicht sagen. Aufmerksam blickte sie ihr entgegen, und ein wenig gespannt, innerlich zumindest. Obwohl sie nach wie vor nicht daran glauben wollte, dass es etwas mit Seneca zu tun hatte, wappnete sie sich unwillkürlich doch gegen alles.
    Das Problem war: nichts hätte sie wappnen können gegen die Worte, die nun kamen. Ich weiß es. Also doch. Im allerersten Moment wollte Seiana es immer noch nicht wahrhaben, wollte einfach nicht glauben, dass Seneca, der Mann, den sie kennen gelernt hatte, der so schüchtern, fast unbeholfen gewesen war auf dem Markt, und immer noch so zurückhaltend und angenehm auf dem Landgut, und so ruhig, so gelassen, so vertrauenswürdig gewirkt hatte, in dessen Gegenwart sie sich so wohl gefühlt hatte, und der schließlich so... zärtlich gewesen war, dass dieser Mann sie hintergangen hatte. Dass er herumerzählt hatte, was zwischen ihnen geschehen war. Dass er Axilla davon erzählt hatte. Von allen Menschen ausgerechnet dieser Frau. Ihr Magen zog sich zusammen und schien zu einem Klumpen Eis zu gefrieren, und für einen Augenblick fragte sie sich beinahe verzweifelt, wie sie es nur so weit hatte kommen lassen können, wie sie nur wieder einen Mann so nahe an sich hatte heran kommen lassen können, dass er in der Lage war sie auf diese Weise zu verletzen. Und das auch noch in so kurzer Zeit diesmal.
    Während ihr Inneres zu einer Eislandschaft gefror, blickte Seiana Axilla nach wie vor mit ruhiger Miene entgegen, sah man einmal von dem harten Zug um ihre Mundwinkel ab, und dem kalten, ebenso harten Glitzern in ihren Augen. Sie wusste nicht, was Axilla nun von ihr wollte, weswegen sie überhaupt meinte mit ihr reden zu müssen. Aber sie war entschlossen, dass sie sich hier keine Blöße geben würde. Keine Schwäche zeigen würde. „Dir auch einen schönen Tag“, grüßte sie kühl. Nur weil Axilla es an Höflichkeit mangeln ließ, hieß das ja noch lange nicht, dass sie sich dem anpassen musste. „Ich bin sicher, dass du einiges weißt. Was genau davon meinst du?“

    „Hab Dank“, erwiderte Álvaro höflich und trat einen Schritt zur Seite, um die Decima vorbei zu lassen, und selbst mit seinem Kollegen im Vestibulum zu warten.

    Sie deutete ein Nicken an, während sie zugleich gedanklich immer noch der Frage nachhing, warum er ausgerechnet jetzt zurücktrat. Sie mochte ihn nicht sonderlich gut kennen, aber sie kannte ihn mittlerweile gut genug um zu wissen, dass auf eventuelle Nachfragen nicht reagieren würde. Vielleicht war das bei seiner ersten Frau anders gewesen, Seiana hatte bis heute nicht herausfinden können, wie sein Verhältnis zu der Valeria gewesen war – sicher gab es da ein oder andere Geschwätz aus Sklavenmündern, und demzufolge hatten die beiden sich offenbar etwas näher gestanden. Andererseits war es kein großes Kunststück, sich in einer Ehe näher zu stehen als er und sie... und die Sklaven, die wirklich mehr hätten erzählen können, waren loyal und schwiegen. Und Seiana war nun nicht so sehr an seiner vorigen Ehe interessiert, dass sie da auf Biegen und Brechen hätte herausfinden wollen. Bezeichnend fand sie höchstens, dass er über die Valeria noch nie ein Wort verloren hatte. Andererseits mochte auch das daran liegen, wie ihre Ehe nun mal war. Und obwohl Seiana sich durchaus etwas anderes hätte vorstellen können... eine Ehe, in der sich zumindest annähernd so etwas wie Vertrauen entwickelte, wenn schon nicht Zuneigung im Lauf der Zeit, in der miteinander gesprochen wurde und nicht aneinander vorbei, abgesehen vom Austausch notwendiger Fakten, und der ihr Rat, ihre Meinung auch etwas zählte für ihn... hatte sie sich doch sehr schnell – vielleicht zu schnell – damit abgefunden, wie die Situation war. Sie hatte im Grunde immer noch keine Ahnung von dem Mann, mit dem sie verheiratet war, aber sie hatte größtenteils ihre Ruhe, und damit konnte sie leben.


    So oder so: die Frage, warum er jetzt zurücktrat, blieb offen. Sie verzichtete darauf nachzufragen, weil es wohl ohnehin nichts gebracht hätte, und konzentrierte sich stattdessen auf das nächste Thema. „Ist es auch“, antwortete sie, selbst ein wenig verwirrt nun wegen seiner Nachfrage. Und ein wenig zögerlich, weil sie nicht so recht wusste, wie sie das nun sagen sollte. Aber das Einfachste war immer noch, sich einfach auf kühle Distanziertheit zurückzuziehen. „Wir sind nun schon einige Zeit verheiratet. Möglich, dass ich schon schwanger bin, aber vielleicht sollten wir trotzdem unsere... Bemühungen intensivieren. Zumindest bis wir sicher sein können, dass das erste Kind unterwegs ist.“ Seiana wusste nicht, ob ihr Mann sich noch anderweitig vergnügte, und es interessierte sie auch nicht wirklich. Sie war auch nicht unglücklich darüber, dass er bisher nicht sonderlich häufig zu ihr gekommen war, um mit ihr zu schlafen. Nur bis wenigstens ein Kind da war... sie hatte einfach das Gefühl, dass ihr die Zeit davon lief.

    Seiana deutete ein Achselzucken an. „Natürlich wirst du sie vorher auch kennen lernen, ob sie deinen Vorstellungen entspricht. Aber im Großen und Ganzen... nein, kennen musst du sie nicht. Ich habe meinen Mann vorher auch nicht gekannt, und ich kann mich über meine Ehe nicht beklagen.“ Sie zögerte einen kurzen Moment, ob sie weiter sprechen sollte, aber dann gab sie sich einen Ruck. Was passiert war, war ohnehin kein Geheimnis, schon gar nicht in der Familie – und bevor Flavus sich allzu romantischen Vorstellungen hingab, war es besser, wenn sie den Finger in die eigene Wunde legte, um ihm deutlich zu machen, wie falsch das war. „Und ich gehe davon aus, dass du weißt, was mir mit dem Aelius passiert ist. Wir kannten uns. Wir kannten uns lange, und gut. Wir haben uns bewusst Zeit dafür gelassen. Und du weißt, was daraus geworden ist.“ Archias hatte sie sitzen lassen und eine andere geheiratet... und sich dann irgendwann vom Tarpeischen Felsen gestürzt, aus welchen Gründen auch immer. „Eine arrangierte Ehe mit einigen festen Grundpfeilern, die nichts mit so etwas Wankelmütigen wie Gefühlen zu tun haben, ist eindeutig besser.“ Bei seinen weiteren Worten lächelte sie vage. „Du machst das schon. Sicher ist es eine Bürde, aber wir Decimi halten noch viel mehr aus. Streng dich an, gib immer dein Bestes, der Rest ergibt sich dann. Die Erwartungen sind hoch, weil die Decimi gezeigt haben, dass sie viel zu leisten imstande sind.“ Dass sie den Erwartungsdruck damit wenn überhaupt noch erhöhte für Flavus, war Seiana zwar durchaus bewusst – aber wenn ihr Vetter liebe Worte hören wollte, die ihm versicherten, dass alles nicht so schlimm sei, war er bei ihr an der falschen Adresse. Seiana hielt nicht viel davon, andere zu verhätscheln, und sie machte da keinen Unterschied zwischen Sklaven, ihren Mitarbeitern oder Verwandten. Natürlich musste auch etwas Aufbauendes dabei sein, weswegen sie Flavus ja auch gesagt hatte, dass die Decimi dazu in der Lage waren viel zu leisten... aber was erwartet wurde musste eindeutig sein, so eindeutig, dass es daran nichts misszuverstehen gab. Nur mit einem entsprechenden Druck war Leistung zu generieren und später die gewünschten Ergebnisse zu sehen.

    Als Seiana die Botschaft von ihrer Lectrix bekommen hatte, hatte sie sofort ein ungutes Gefühl gehabt. Die Dringlichkeit, mit der sie geschrieben war, machten allein schon deutlich, dass es um ein wichtiges Thema ging, und es gab nicht sonderlich viel Auswahl, worum es da gehen könnte, wenn der Name Iunius im Spiel war. Seiana würde zwar behaupten, dass sie im Lauf der Jahre zu einer Art friedlicher Koexistenz mit Axilla gekommen war – wobei es im Grunde ja nur einen wirklichen Ausbruch offener Feindseligkeit gegeben hatte, weswegen Waffenstillstand vielleicht auch wieder übertrieben war –, aber dennoch ließ sich nicht leugnen, dass sie nur das Nötigste miteinander zu tun hatten, und sich im Übrigen aus dem Weg gingen. Da Axilla ihre Arbeit als Lectrix ordentlich erledigte und kein Grund zur Klage gab, war das ohne Weiteres möglich. Axilla würde sie niemals in einer privaten Angelegenheit um Rat oder gar Hilfe bitten, da war Seiana sich sicher. Und sie wagte doch zu bezweifeln, dass es etwas war, was die Acta betraf – es hätte sie gewundert, wenn die Lectrix da besser informiert war als sie. Außerdem hätte sie sie dann kaum zu sich nach Hause eingeladen.
    Was also blieb noch? Im Grunde noch nur Seneca. Diesen Gedanken allerdings ließ Seiana nicht wirklich zu. Sie wollte nicht daran denken, dass er erzählt haben könnte, was zwischen ihnen passiert war – egal wem. Die Möglichkeit war da, sicher, aber sie wollte einfach nicht daran glauben. Und doch blieb das ungute Gefühl in ihrer Magengegend, und begleitete sie bis in den nächsten Tag hinein, als sie zur angegebenen Stunde in Begleitung ihrer Leibwächter zur Casa Pompeia kam und einen von ihnen an die Porta klopfen ließ, der sie auch gleich ankündigte, kaum dass die Tür geöffnet worden war: „Meine Herrin Decima Seiana ist von Iunia Axilla zu einem Gespräch eingeladen worden.“

    Secundus und Sevilla? Nach dem ersten Schreckmoment, in dem Seiana geglaubt hatte Faustus könnte von Seneca erfahren haben, brauchte sie tatsächlich noch einen weiteren Moment, bis der Sesterz fiel bei ihr. Die Sache meinte er also? Seianas Stirn runzelte sich, als sie daran zurück dachte, nicht einmal so sehr wegen Massa – von dem hatte sie seit ihrem Brief nichts mehr gehört, was sie allerdings vielleicht als Hinweis hätte werten sollen, dass etwas nicht stimmte, wie ihr jetzt auffiel –, sondern wegen Venusia, die sie ja persönlich darauf angesprochen hatte.
    „Es war keine Meinungsverschiedenheit“, antwortete sie, und ohne es selbst wirklich zu merken, begann sie innerlich sich zurückziehen hinter ihren Schutzwall. „Er meinte Venusia erlauben zu dürfen, dass sie mit den beiden nach Germanien reisen kann – noch dazu ohne jede Rücksprache, er hat mir nur hinterher einen Brief geschrieben und mich vor vollendete Tatsachen gestellt. Daraufhin habe ich versucht ihm klar zu machen, dass er nicht das Recht hat, eine derartige Entscheidung für Magnus' Kinder zu treffen. Wir sind eine Gens, wir haben dieselben Vorfahren, aber er gehört nicht zur engeren Familie der beiden. Er kann so wenig über ihre Zukunft entscheiden wie Venusia.“ Sie unterdrückte ein Seufzen und beschloss, weiter auszuholen. Wenn das Thema schon auf dem Tisch war, konnte sie Faustus genauso gut gleich alles erzählen, was damit zusammenhing. „Das Ganze hat aber schon eine längere Vorgeschichte. Wenn du mit Venusia redest, wird sie sich vielleicht auch bei dir beschweren über mich, wir sind... ziemlich aneinander geraten. Sie will unbedingt mit den Kindern nach Germanien. Ich persönlich halte das für falsch – sie kann machen, was sie will, aber ich finde die Kinder sollten hier bleiben. Was ich ihr auch klar gemacht habe.“ Seiana hob ganz leicht die Schultern. „Trotzdem würde ich ihr da keine Steine in den Weg legen – ob und wie sie verreisen, ist letztlich deine Entscheidung, du bist der nächste männliche Verwandte der beiden hier, du zählst als Vormund. Wichtig war mir vor allem, dass sie auf dich wartet, auf deine Entscheidung... und dass die Kinder, wenn sie denn verreisen, bald wieder nach Rom kommen, zu ihrer Familie, und Venusia nicht etwa auf die Idee kommt, sie könnte mit den beiden in Germanien bleiben, wo sie jeden Bezug zu ihrer Familie verlieren. Livianus' leiblichen Kindern hat das ganz sicher nicht gut getan, dass sie in Britannien aufgewachsen sind und nicht hier oder in Tarraco bei der Familie.“ Sie machte eine kurze Pause, bevor sie fortfuhr: „Das hatte Massa mitbekommen, so ist das zustande gekommen. Und was Venusia betrifft: ihr habe ich auch gesagt, dass Massa eine derartige Entscheidung nicht treffen darf. Und ich habe mir erlaubt anzumerken, dass ich gerade in der momentanen Situation eine Reise nach Germanien für noch idiotischer halte als sowieso schon – beide germanische Provinzen haben sich auf Cornelius' Seite geschlagen, und die Gefahr ist zu groß, dass sie direkt zwischen die Fronten geraten, wenn die Legionen sich in Bewegung setzen. Tarraco wäre im Augenblick die bessere Alternative, wenn ausgerechnet jetzt eine Reise egal wohin sein muss.“

    Zitat

    Original von Decima Seiana
    Ich bin die nächsten Tage eher selten bis gar nicht online.


    Eingeschränkt wieder da. Ich weiß noch nicht genau, wie ich zum Schreiben komm, da kann's sein dass es noch etwas dauert im Moment.

    „Ja“, stimmte Seiana mit einem angedeuteten Lächeln zu. Nicht dass es ganz korrekt war, nicht dass er immer hinter alles kommen würde... oder gekommen war. Nach wie vor hatte er wohl keine Ahnung, was ihr Terentius wirklich angedroht hatte bei der Hausdurchsuchung. Und es gab andere Dinge, die sie ebenso sorgfältig verbarg. Aber er kannte sie wie kein anderer, und davon abgesehen war ihr nicht danach, sich auf eine – wenn auch lustig gemeinte – Kabbelei unter Geschwistern einzulassen. Und sie wollte, dass er ihr vertraute, und darauf, dass sie ihm vertraute. Mehr denn je hatte sie das Gefühl, dass sie ihn brauchte, den Halt, den er ihr gab, dass sie auf ihn zählen konnte, dass sie zusammenhielten. Da war es nicht gut, wenn er nun anfing zu glauben, sie würde ihm nicht alles – alles Wichtige – erzählen. „So oder so sollten wir diese Verbindung nicht aufgeben. Egal wie sie zustande gekommen ist, sie ist zu wichtig.“ Sie erwiderte die noch festere Umarmung ebenso und seufzte lautlos. Kinder. Himmel, Kinder. Es wäre ja nicht so eine große Sache, wenn sie nicht schon so alt wäre. Sie hatte nicht mehr allzu viel Zeit, das war das eigentliche Problem. Aber sie sagte nichts davon. Zum einen wollte sie nicht wirklich darüber reden, weil ihr das alles fast schon zu drängend war, zum anderen konnte sie sich noch gut daran erinnern, wie er am Vorabend ihrer Hochzeit reagiert hatte... und sie wollte nicht jammern. Und schon gar nicht, dass er das dachte. Also nickte sie nur. „Ja, du hast Recht. Warten wir einfach ab. ... Mh?“ machte sie dann, als er die Luft so stark ausstieß, dass sie es hören und spüren konnte. „Was ist?“


    Bei Faustus' nächsten Worten löste sie sich endlich ein wenig von ihm, ging auf genug Abstand, dass sie ihn ansehen konnte. Der Klang seiner Stimme machte sie ein wenig unruhig, und auch die Wortwahl klang irgendwie danach, als ob nun irgendetwas kommen könnte, was ihr weniger gefiel... und für einen winzigen Augenblick schien ihr Herz bis zu ihren Füßen zu sacken, als in ihr die Befürchtung aufkeimte, er könnte irgendwie, irgendwie, von der Sache mit Seneca erfahren haben. Vielleicht hatte ein Sklave doch mehr gemerkt, als gut war, und hatte geredet. Nicht dass einer der Sklaven vom Landgut hier wäre, aber ab und zu bestand ja Kontakt. Einige waren dabei gewesen, um ihre Sachen hierher zu bringen. Was also wenn... bevor sich ihr Gedankenkarussell noch schneller drehen konnte, sprach Faustus allerdings schon weiter, und Seiana spürte im ersten Moment nur Erleichterung, dass es nicht um Seneca ging. Dann allerdings runzelte sie die Stirn. Massa? Traurig und in seiner Ehre verletzt wegen einer Sache zwischen ihr und ihm? „Welche Sache?“ fragte sie irritiert nach, weil sie sich in diesem Moment keinen Reim darauf machen konnte, was Faustus überhaupt meinte.