Von mir auch alles Gute.
Beiträge von Decima Seiana
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Für den Bruchteil eines Moments versteifte Seiana sich, als sie die unerwartete Berührung spürte – dann erinnerte sie sich daran, dass es Faustus war und entspannte sich. Lehnte sich leicht an ihn und ließ innerlich Stück für Stück zu, dass sie den Halt annahm, den er ihr anbot, sowohl körperlich als auch seelisch. „Nur fast alles?“ bemerkte sie zunächst mit einem Verziehen der Lippen, das mit gutem Willen als angedeutetes Lächeln hätte ausgelegt werden können, in dem müden Versuch, das Gespräch ein wenig aufzulockern. Sie gab es allerdings schnell wieder auf und wiederholte, nun in leicht verteidigendem Tonfall: „Ich dachte es wäre leichter so. Leichter einfach nicht mehr darüber zu reden. Die Hochzeit war da beschlossene Sache. Und die drohende Anklage vom Tisch.“ Sie konnte ein leichtes Schaudern nicht unterdrücken, als sie erneut daran zurück dachte. Exempel statuieren, hallte es in ihrem Kopf. Bis heute zweifelte sie nicht daran, dass ihr Mann zur Not weitere Dinge fingiert hätte, damit der Prozess auch sicher zu ihren Ungunsten verlaufen wäre.
Sie lehnte sich noch enger an ihn, als ihr plötzlich kalt wurde, und überlegte für einen Augenblick, was sie noch sagen sollte. Sie wollte nicht noch mal darauf hinweisen, dass sie gar keine Wahl gehabt hatte als das alleine zu machen, weil ja keiner sonst da gewesen war. Es war nicht Faustus’ Schuld, niemand trug daran die Schuld, es war einfach so gewesen. Und vermutlich hätte sie zumindest versucht, das auch dann allein zu lösen, wenn er da gewesen wäre – auch wenn ihr das wohl nicht gelungen wäre. „Ich versuch’s“, versprach sie ihm stattdessen nur. „Ich vertrau dir. Und ich mein auch nicht dich beschützen zu müssen, nur... warum soll ich dich mit den Sachen aufregen, die eigentlich schon vorbei sind.“Und dann sprach er etwas an, was bei ihr so ungefähr die Auswirkung eines Schlags in die Magengrube hatte. Sie rührte sich nicht, aber plötzlich hatte sie ein flaues Gefühl im Magen, und es war eine seltsame Mischung aus Wärme und Kälte, die sie durchströmte. Scheidung. Sie schloss die Augen und dachte plötzlich nicht mehr an das, was gewesen war, was zu dieser Hochzeit geführt hatte – sondern an jenen Grund, der eine Scheidung um so vieles verlockender erscheinen ließ als noch vor kurzem. Seneca. Ließe sie sich scheiden, wäre sie frei für ihn. Sicher nicht frei ihn zu heiraten, schon allein weil er das nicht durfte, und erst recht nicht frei offen zu ihrer Affäre mit ihm zu stehen, weil es einfach unter ihrer Würde und der ihrer Familie war, ihre Ehre beschmutzen würde, wenn sie Gefährtin eines Soldaten war. So üblich dieses Lebensmodell auch sein mochte, es war nichts für eine Frau aus ihren Kreisen. Aber sie wäre immerhin frei, Zeit mit ihm zu verbringen, auch wenn es im Geheimen sein müsste... es würde sie nicht zur Ehebrecherin machen, und die Konsequenzen wären geringer, sollte es heraus kommen. So lange sie verheiratet war, konnte und durfte sie es sich eigentlich nicht leisten, auch nur daran zu denken zu wiederholen, was auf dem decimischen Landgut geschehen war. Eigentlich... faktisch dachte sie doch daran, wann immer sie die Sehnsucht nicht rigoros genug unterdrücken konnte.
Aber eine Scheidung kam nicht in Frage. Vom Praefectus Praetorio ließ man sich nicht scheiden, schon gar nicht, wenn die Ehe so zustande gekommen war wie ihre. Und das war nicht der einzige Grund, warum eine Scheidung, zumindest jetzt, einfach unklug wäre. „Nein“, antwortete sie. „Ein Prozess könnte auch jetzt noch angezettelt werden, sobald wir nicht mehr unter seinem Schutz stehen. Vielleicht würden sie dann sogar Onkel Livianus in Tarraco aufsuchen... Vinicius Hungaricus hat auch seit einiger Zeit zurückgezogen auf seinem Landgut gelebt, und ihn haben sie in die Carcer gezerrt. Und als er entlassen wurde, um seine Verbannung anzutreten, muss er kaum wieder zu erkennen gewesen sein...“ Sie schwieg einen Augenblick, dachte wieder an Seneca, und die Traurigkeit schien zu groß zu werden. Sie drehte sich um und umarmte ihn nun ebenfalls, schlang ihre Arme um seine Taille und legte ihren Kopf an seine Brust. „Und so lange ich Terentius nicht mindestens ein Kind geboren habe, kann ich mich nicht scheiden lassen. Sonst zerreißen sich die Leute das Maul, wenn ich nicht mal das zustande gebracht hab.“ Dass sie dann noch mehr Schwierigkeiten haben würde einen neuen Mann finden, nicht in ihrem Alter und ohne bewiesen zu haben, dass sie noch Kinder bekommen konnte, erwähnte sie nicht. Es stimmte zwar... das einzige was dann noch bleiben würde, war ihr Einfluss und der ihrer Familie – und das war nur für Männer interessant genug, die schon genügend Erben hatten. Aber sie war ja schon bei ihrer jetzigen Ehe nicht sonderlich erpicht darauf gewesen sie zu schließen, auch wenn sie die Umstände außen vor ließ... der Gedanke, gleich nach einem neuen Mann zu suchen, wenn sie sich irgendwann von ihrem jetzigen scheiden ließ, und sich damit erneut jede Möglichkeit zu verbauen, Seneca vielleicht zu sehen, schien ihr völlig absurd. Und wenn sie Terentius Kinder geboren hatte... war es gesellschaftlich nicht mehr ganz so problematisch, wenn sie danach unverheiratet blieb. -
Zuerst schien Faustus noch nicht zu verstehen, was sie sagen sollte. Es kam das unvermeidliche Aber du hast doch gesagt.... Ja. Hatte sie. Was hätte sie auch sonst tun sollen, wo es doch ohnehin nichts mehr zu ändern, nichts zu tun gab? Seiana starrte weiterhin auf die Wasseroberfläche, einen Moment, noch einen... und dann war er da. Dieser eine Moment, in dem Faustus begriff. Sie musste ihn nicht einmal ansehen dafür, sie hörte es am Klang seiner Stimme. Schweigend hörte sie, was er sagte, und schwieg noch Momente länger, bevor sie schließlich die Arme um ihren Oberkörper schlang und ein leichtes Achselzucken andeutete. „Weil es nichts gebracht hätte“, antwortete sie leise, und immer noch ohne ihn anzusehen. „Ich wollte dich nicht damit belasten, und ich dachte es wäre leichter. Als du zurück in Rom warst, da war es ja schon vorbei... da hatte ich eine Lösung.“
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Sie hatte zu viel Erfahrung darin wie es war, einen Menschen, der ihr so viel bedeutete, fern von sich zu wissen, und das noch dazu in irgendeiner Situation, die gefährlich, um sagen zu können dass sie sich keine Sorgen um ihn machen würde. Da war die allgemeine Lage momentan... und dann machte sie sich natürlich Gedanken, wie es ihm gehen würde. Sie wollte nicht, dass er litt, nicht wegen ihr, nicht wegen dem, was letzte Nacht passiert war, und doch... wenn ihr eigenes Gefühlsleben auch nur irgendein Indiz dafür war, wie es ihm vielleicht ging, dann würde sich das kaum verhindern lassen. Wieder wurde ihr schmerzhaft bewusst, dass es falsch gewesen war – nicht nur wegen der Umstände, auch deswegen, wie es ihnen beiden nun damit wohl gehen würde –, aber gleichzeitig konnte sie sich einfach nicht dazu bringen, es zu bereuen. Schon gar nicht, wenn er sie so wie jetzt küsste. Sie lehnte sich an ihn, obwohl er die Rüstung trug und sie ihn dadurch kaum spüren konnte, nur seine Hände, seine Lippen, und erwiderte den Kuss... und diesmal war er es, der sich sanft von ihr löste. Fast schon widerwillig trat sie einen Schritt zurück und dann noch einen, als er sich abwandte. Entgegen seiner Worte ging sie noch nicht zurück in die Villa, blieb stehen und sah ihm zu, wie er sich seine Kapuze ins Gesicht zog, so tief, dass sie sein Gesicht nicht mehr sehen konnte – seine Augen nicht mehr sehen konnte. Aus irgendeinem Grund erfüllte sie das mit einer unbestimmbaren Trauer. Fast als ob diese Geste nun aussagte, was sie von nun an erwarten würde, sollten sie sich je wieder begegnen. Unwillkürlich trat Seiana noch einen Schritt zurück und noch einen, während er aufstieg und sie ihre Lippen so fest aufeinander presste, dass ein harter Zug darum erschien. Für ein paar Augenblicke blieb sie noch stehen und sah ihm nach, wie er davon ritt... dann wandte sie sich endgültig um und verschwand wieder in der Villa.
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Seiana kam, als ihr die Sklaven Bescheid gegeben hatten, dass er für die Abreise bereit war. Sie verließ die Landvilla, und als sie ihn sah, vollständig gerüstet, in Schwarz, ganz der Prätorianer, stockte sie für einen Moment. Er sah nicht mehr aus wie der Mann, der heute Nacht bei ihr gewesen war. Er sah aus wie der Mann, der geschickt worden war um nachzusehen, ob hier alles in Ordnung war. Der nun nach Rom reiten und dort ihrem Mann Bericht erstatten würde. Der gemeinsam mit anderen gekommen war, um ihr Haus zu durchsuchen... Und dann wandte er ihr sein Gesicht zu, sah sie an Und Seiana sah nur den Soldaten, wie so viele ihrer Verwandten bis hin zu ihrem Vater, und so viel mehr noch: wie ihr Bruder. Der inzwischen genau die gleiche Rüstung trug wie Seneca.
Sie gab sich einen Ruck und setzte sich wieder in Bewegung, ging auf ihn und sein Pferd zu und hielt dann in gebührendem Abstand an. „Iunius.“ Ihr so typisches, vages Lächeln glitt über ihre Lippen, aber diesmal erreichte es nicht nur nicht ihre Augen – es stand in krassem Gegensatz zu dem, was sie fühlte, und was in ihren Augen wohl zu lesen war. „Ich danke dir für die Zeit, die du dir genommen hast...“ Seiana unterbrach sich. Es war lächerlich. Sie hatte sich vorgenommen, es hier schon beginnen zu lassen, so zu tun, als wären sie flüchtige Bekannte, aber sie fragte sich gerade allen Ernstes warum. Warum sollte sie das tun, jetzt, hier, wo das vermutlich die einzige Möglichkeit war, die ihnen noch blieb? Warum sollte sie hier jetzt schon etwas vorspielen, für wen – für etwa für Sklaven? Mit einem ungeduldigen Wink gab sie den wenigen, die gerade da waren, zu verstehen, dass sie verschwinden sollten. Es mochte sie vielleicht wundern, aber wirklich Fragen stellen würde keiner. Warum auch? Sie hatte auch den Nachmittag und das Abendessen mit ihm größtenteils allein verbracht. Und es gab Dinge, die man nicht einmal vor Sklavenohren besprach, gerade als Mitglied der Prätorianer – oder Frau ihres Praefectus.
Sie wartete, bis sie allein war mit ihm, dann trat sie näher an ihn heran, bis sie dicht vor ihm stand, hob eine Hand und legte sie an seine Wange. „Seneca...“ Einmal noch seinen Namen aussprechen. Seine Haut fühlen. „Pass auf dich auf.“ -
Seiana löste ihre Hand von seinem Gesicht und stand endgültig auf, und Seneca folgte ihr, nur um erneut nach ihrer Hand zu greifen. Sie erneut zu küssen. Und obwohl sie es nun nicht mehr schaffte, sich nur auf ihn zu konzentrieren und den Rest der Welt auszublenden, obwohl es dadurch jetzt deutlich schmerzhafter war als gerade eben noch im Bett, konnte sie nicht anders als seine Zärtlichkeiten zu erwidern. Nicht mehr lange, und er würde weg sein... und ob sie sich dann noch einmal wieder sehen würden, und vor allem so wie jetzt, wussten nur die Götter. Wie konnte sie da nicht jetzt noch jede Gelegenheit nutzen, die ihr blieb.
Am liebsten hätte sie ihn aufgehalten, als nun er sich von ihr löste. Aber sie rührte sich nicht. Sah ihm nur schweigend dabei zu, wie er sich seine Tunika überstreifte, erwiderte seinen Blick, wann immer er sie ansah, was er recht häufig tat – und obwohl Seiana sich darüber freute, war es doch auch gerade das, was sie umso trauriger werden ließ. Wenn eines klar wurde durch sein Verhalten, dann dass nicht nur sie, sondern auch er leiden würde unter dem, worauf sie sich eingelassen hatten in der Nacht. Aber es ließ sich nicht ändern, jetzt ohnehin nicht mehr... und zumindest was sie betraf, bereute Seiana es auch nicht. Trotz allem, was dagegen sprach, trotz allem, was es falsch machte, brachte sie es nicht fertig es zu bereuen, sich auf ihn eingelassen zu haben. Nur was das für die Zukunft bedeutete, wusste sie beim besten Willen nicht zu sagen.
„Irgendwie“, wiederholte sie und lächelte traurig, bis nur noch die Tür da war, die sie ansehen konnte. Momente lang blieb sie noch stehen wo sie war, bevor sie sich mit langsamen, müden Bewegungen umdrehte und nach einer Tunika griff, die sie sich überzog. Sie wartete, ließ noch etwas Zeit verstreichen, bevor sie eine Sklavin zu sich rief und sich von ihr herrichten ließ für den Tag, während eine andere ein leichtes Frühstück brachte, von dem sie allerdings nur wenig aß. Ihre Miene war ruhig, sie mochte höchstens weit abwesender wirken als normalerweise, aber dass sie still war und kaum auf die Sklaven achtete, waren sie zumindest ohnehin gewohnt von ihr. So oder so wurde kaum gesprochen, und als sie schließlich fertig war, erhob Seiana sich und verließ ihr Cubiculum, um den Prätorianer zu verabschieden, den ihr Mann geschickt hatte um hier nach dem Rechten zu sehen.
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Seiana behielt einen glatten, ruhigen Gesichtsausdruck bei, aber es fehlte nicht viel und sie hätte Flavus gesagt, dass er sich gar nichts herausnehmen konnte, was sie betraf. Allerdings blieb sie ruhig, lächelte sogar vage, und hörte ihm weiter zu. Dann allerdings hob sie tatsächlich ein wenig amüsiert die Augenbrauen. „Flavus, ich glaube nicht dass du dir jetzt schon Sorgen darum machen musst, dass du eines Tages eine Familie gründest. Du bist jung. Und du bist ein Mann. Männer haben Zeit.“ Bei Männern war das in mehrerlei Hinsicht etwas anderes als bei Frauen. Sie hatten Zeit, weil ihnen die Natur keinen Strich durch die Rechnung machte, oder bei weitem nicht so früh wie Frauen... und weil die Gesellschaft lange nicht dermaßen strikte Erwartungen an sie hatte, was das Heiraten betraf. Schon gar nicht in dem Alter.
Und auch seine weiteren Vorstellungen ließen sie milde lächeln. „Du musst die Frau gar nicht kennen lernen. Wenn es so weit ist, dass du heiraten möchtest, überlegen wir uns welche Familien in Frage kommen... welche vorzeigbare Töchter in annehmbarem Alter hat. Und stellen eine Anfrage. Vorausgesetzt das ist überhaupt nötig – wenn deine Karriere weit genug fortgeschritten ist, wird sich wohl der ein oder andere Vater an dich wenden. Glaub mir: die Bürde, deiner Familie keine Schande zu machen, wiegt eindeutig schwerer“, meinte sie trocken. -
Irgendwie. Auch wenn Seiana wusste, wie flüchtig dieses irgendwie war, und wie utopisch... klammerte sie sich doch daran, und sei es auch nur für diesen Moment hier, so lange er noch da war. Wenn er gegangen war, aufgebrochen nach Rom, war immer noch Zeit genug sich Gedanken zu machen. Und Vorwürfe. Viel zu viel Zeit.
Die viel zu schnell kommen würde, denn auf ihre Frage hin reagierte er nicht so, wie sie gehofft, sondern so, wie sie befürchtet hatte. Bald. Seiana schloss die Augen und legte ihren Kopf an seine Schulter, atmete tief den Geruch ein, den er ausströmte, nahm die Wärme auf, die von ihm ausging, strich sacht über seine Haut und ließ die wenige Zeit, die sie noch hatten, in gegenseitigem Schweigen verstreichen.Und irgendwann war auch dieser letzte Rest gestohlener Zeit vorbei. Leise Geräusche begannen herein zu dringen, ein Zeichen dafür, dass die ersten Sklaven aufgestanden waren und ihren morgendlichen Pflichten nachgingen. Nicht lange, und jemand würde auch hier herein sehen, in dem Wissen, dass Seiana stets früh aufstand, sie fragen, ob sie etwas wollte, und sich um den Raum kümmern, so bald sie gegangen war. Für einen winzigen Augenblick erlaubte sie sich vorzustellen, was wäre wenn alles normal wäre... wenn sie einfach liegen bleiben könnten. Sich von den Sklaven etwas zu essen bringen lassen und den Tag einfach hier verbringen könnten, so lange, bis es ihnen selbst überdrüssig wurde. Einen winzigen Augenblick lang. Dann verdrängte sie die Vorstellung so rigoros, als hätte es nie gegeben, als wäre es nicht einmal denkbar. Langsam, beinahe widerwillig löste sie sich von Seneca, richtete sich auf und sah dann noch einmal zu ihm hinunter, strich mit einer Hand über seine Wange. „Du solltest versuchen, ungesehen in dein Zimmer zu kommen. Es so aussehen lassen, als hättest du dort die Nacht verbracht.“ Sie traute ihren Sklaven... trotzdem ging es nicht an, dass sie nun, wo die Nacht vorbei war, immer noch so taten als existiere der Rest der Welt nicht, auch wenn sie abgeschiedener kaum sein konnten. Und es war einfach besser, wenn keiner der Sklaven mit Gewissheit sagen konnte, was passiert war. Selbst wenn jemand gehört hatte, dass sie heute Nacht nicht allein gewesen war – wenn es so wirkte, dass Seneca in seinem Bett geschlafen hatte, hätte es genauso gut sein können, dass sie sich einen Sklaven oder einen der Veteranen ins Bett geholt hatte. Was sie betraf machte das wohl kaum einen Unterschied, wenn ihr Mann das herausbekam, aber es minimierte das Risiko für ihn, sollte je einer der Sklaven ins Plaudern kommen.
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Diesmal meinte sie ein Zögern zu spüren... beinahe so etwas wie Widerstand. Und es verunsicherte sie, nahezu sofort. Aber bevor es so weit gehen konnte, dass sie sich zurückgezogen hätte, war es schon wieder verschwunden, vorbei, und sie hatte das Gefühl, dass er wieder da war, bei ihr war, ganz bei ihr. Wie in der Nacht gab es nur sie zwei, für diese Momente ohne Gedanken und Zweifel.
Sie sah ihn an, später, als sie immer noch halb unter ihm lag, sein Gesicht in ihren Händen. Sie hob ihren Kopf leicht an und küsste ihn sanft, zog ihn dann mit sich hinunter. „Wir finden einen Weg“, versprach sie ihm, leise, und ohne wirklich darüber nachzudenken was sie da eigentlich sagte. Oder wie sie dieses Versprechen halten sollte. Oder was es sie kosten könnte. So dicht bei ihm, so erfüllt, so überwältigend seiner Wärme und seines Geruchs bewusst, dachte sie nicht an die Zerrissenheit, die sie im Grunde jetzt schon spürte, dachte nicht an richtig oder falsch, weder daran ob es richtig war, sich das vorzunehmen, noch daran ob es gut war oder richtig, ihm Hoffnungen zu machen. Ihm und sich. Was zählte war nur was jetzt war, und dass sie ihn jetzt nicht einfach so gehen lassen wollte, mit nichts als dieser einen Nacht. „Irgendwie...“ Sie küsste ihn noch mal, leicht, und blieb so, verharrte mit ihrem Gesicht an seinem und schloss die Augen. „Das hier... du. Wir.“ Sie presste kurz die Lippen aufeinander, weil sie sich so unbeholfen anstellte. Aber sie wusste ja noch nicht einmal genau, was sie ihm sagen wollte – wie hätte sie da die richtigen Worte finden können? „Ich will nicht, dass das alles war. Ich weiß nicht wie... aber... irgendwie...“ Sie verstummte. Sie war es nicht gewöhnt, überhaupt nicht, so um Worte verlegen zu sein, und noch weniger, dass sie sich in der Sache nicht sicher war. Diese eine Nacht hier war eine Sache. Aber weitere Treffen? Geplante noch dazu? Was machte das aus ihr? Sie war verheiratet, bei allen Göttern, und so verständlich es vielleicht gewesen sein mochte, dass sie hier in ihrer Einsamkeit nachgegeben hatte, ihren Gefühlen, ihren Wünschen... es wäre nicht mehr so verständlich, wenn sie das in Rom wiederholte. Wenn sie jetzt schon plante, das in Rom zu wiederholen. Und trotzdem wollte sie genau das. Und fühlte sich innerlich zerrissen auf eine Art, die bereits jetzt zu schmerzen begann, obwohl er noch hier war und allein seine Anwesenheit den Riss noch halbwegs zusammenhielt.
Und genau das würde bald enden. Was blieb ihr denn dann noch, wenn nicht die Hoffnung auf ein Wiedersehen? Sie wollte nicht, dass er ging, aber das änderte nichts daran, dass er gehen würde, und dass es jetzt nicht mehr allzu lang dauern konnte, bis es so weit war. Er wurde in Rom erwartet. „Wie lange noch?“ fragte sie dennoch, halb in der Hoffnung, dass er ihr versicherte noch Zeit zu haben. -
Ihre Worte hatten nicht den gewünschten Effekt. Anstatt dass Faustus sich davon irgendwie ablenken ließ, weil sie ja doch recht viel erklärt hatte, ließ er sich davon nicht beirren. Und wies darauf hin, dass sie im Grunde gar nichts gesagt hatte. Prätorianer. Er war schon ganz richtig bei den Schwarzröcken, fand sie.
Für einen Augenblick überlegte Seiana, wägte ab. Dann seufzte sie lautlos und gab sich einen Ruck. Sie musste ihm mehr sagen – sie kannte ihn gut genug um zumindest zu ahnen, dass er nicht so schnell locker lassen würde. Da waren sie sich doch recht ähnlich, was so etwas betraf. Wenn sie hier nun stur blieb, gab es die reelle Chance, dass er weiter forschen würde, und selbst wenn nicht: es bestand die Gefahr, dass er durch Zufall darüber stolperte. Er war Tribun der Prätorianer, Seiana zweifelte nicht daran, dass er Zugriff auf alle Unterlagen hatte, dass es nicht wirklich etwas gab, was ihr Mann vor seinen Männern diesen Rangs vorenthielt – auch vor Faustus nicht. So wie sie den Terentius kannte, störte ihn das vermutlich überhaupt nicht, wenn ihr Bruder herausfand wie es zu dieser Hochzeit gekommen war. Insofern sollte sie vielleicht sogar froh sein... besser er erfuhr wenigstens ansatzweise von ihr davon, als dass er es durch Zufall in den Archiven der Prätorianer herausfand. „Es ist nicht wichtig, weil es vorbei ist“, erwiderte sie und suchte dann zögerlich nach den richtigen Worten. „Es war... du weißt doch, dass die Prätorianer hier waren. Mehr als einmal. Das Haus durchsucht haben. Die Acta auch.“ Sie räusperte sich und deutete ein Achselzucken an, und für einen flüchtigen Augenblick dachte sie zurück, dachte an die Angst, die sie gehabt hatte, die fieberhaften Überlegungen, die Tage der quälenden Ungewissheit. „Da wäre es... hätte es zu einem Prozess kommen können.“ -
Als er sich von ihren Lippen löste, blieb sie trotzdem mit ihrem Gesicht dicht bei seinem, lauschte auf seine Worte und spürte, wie sich seine Lippen dazu bewegten an ihrer Haut, während sie ihren Kopf leicht nach unten neigte, bis er an seiner Halskuhle zum Ruhen kam. Sie war es jetzt, die wegsah, nach unten, auf seine Brust, und dorthin legte sie nun auch eine ihrer Hände, leicht links vom Brustbein, dort, wo sie sein Herz schlagen spüren konnte, so ruhig, so kräftig, so beständig. Sie glaubte ihm, glaubte, dass er die Wahrheit sagte. Glaubte ihm, dass er an sie denken würde. Und glaubte ihm als er sagte, dass er wiedersehen wollte, würde, musste. Und doch konnte sie nun nicht mehr anders als daran denken, wie unmöglich das schien. Es war noch nicht einmal so sehr die Tatsache, dass sie in unterschiedlichen Welten lebten, dass sie wohl nicht einmal dann mit ihm hätte zusammen sein können, wenn sie frei gewesen wäre, weil es unter ihrem Stand und Status gewesen wäre, mit einem Optio zusammen zu sein, der noch nicht einmal heiraten durfte, der sie noch nicht einmal zu einer ehrbaren Matrona hätte machen können. Es war vielmehr die Tatsache, dass sie eben nicht frei war. Mehr noch: sie war mit seinem Vorgesetzten verheiratet. Und das wiederum machte das hier nicht nur für sie gefährlich, sondern auch für ihn. Hätte ihr Mann nichts mit ihm zu tun, müsste er sich darüber kaum Gedanken machen – Konsequenzen im Fall, dass es herauskam, müsste dann wohl nur sie wirklich tragen. Aber so, wie die Konstellation bei ihnen war? Ihr Mann hätte alle Möglichkeit dazu, sich an Seneca zu rächen, sollte er das je herausfinden, nicht nur dass, sondern mit wem seine Frau ihn betrogen hatte. Und sie wollte Seneca das nicht antun. Sie wollte nicht, dass er dieses Risiko einging, noch dazu wo mehr auf dem Spiel stehen könnte als nur seine Karriere – denn dass ihr Mann nicht zimperlich war, die Erfahrung hatte sie ja selbst schon machen können.
„Seneca...“ setzte sie an zu reden, und immer noch war sie es, die ihn nicht ansah. Es war klar, was sie nun sagen musste. Sie beide wussten es – aber einer von ihnen musste es doch aussprechen. Musste sagen, wie unmöglich das hier war. Dass es keine Fortsetzung geben durfte. Dass es sich nicht gehörte und dass sie Ehebrecher waren und dass das Risiko zu groß war. Aber sie brachte es nicht, fertig, das auszusprechen. Die Worte waren da, fein säuberlich zurecht gelegt, und die Maske lag bereit, um sich dahinter zu verkriechen, wenn er dann aufstand und ging und sie allein ließ. Aber sie brachte sie nicht über die Lippen. Seiana schloss für einen Moment die Augen und kämpfte mit sich, mit dem Riss in ihrem Inneren, dachte an ihren Mann und an die Konsequenzen für sie und für ihre Familie, wenn das herauskam – aber sie konnte einfach nicht.
Das Problem war nur: sie war ebenso wenig gut darin wie er, ihre Gefühlen in Sprache zu kleiden, ihnen Worte zu verleihen, mit denen sie sie hätte aussprechen können. Sie hatte das so lange schon nicht mehr getan. Deswegen, und weil sie ihn noch nicht loslassen, noch nicht gehen lassen wollte, weil sie ihn noch einmal spüren und das teilen wollte, was letzte Nacht gewesen war, bevor sie ihn gehen lassen musste, zeigte sie ihm auf andere Art, was sie fühlte. Sie zog ihn zu sich, noch näher, als er ohnehin schon gewesen war, drängte ihren Körper an seinen auf eine Weise, die kaum misszuverstehen war, ließ ihre Hände auf Wanderschaft gehen und verschloss seine Lippen mit einem weiteren Kuss. Ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie ihn erneut spüren wollte, um sich und in sich. Drängender waren ihre Berührungen und Bewegungen diesmal, fordernder und zugleich verzweifelter als in der Nacht, aber um nichts weniger leidenschaftlich, und wenn es möglich war, gab sie ihm diesmal noch mehr von sich. Er sollte wissen, dass es ihr genauso ging. Dass auch sie an ihn denken würde. Dass sie ihn bei sich haben wollte – und würde, wenn es die Umstände nur erlauben würden. -
Wieder ein Lächeln, ein schwaches, mit geschlossenen Augen, als sie seine Hand an ihrer Wange spürte. Genoss einfach nur die Berührung. Erst als er erneut etwas sagte, öffnete sie ihre Augen und sah ihn wieder an. Und bereute es beinahe, als sie die Traurigkeit nun auch in seinem Blick lesen zu können meinte, noch bevor er weiter sprach, und vielleicht war das der Grund, warum er seinen Blick nun abwandte und nach draußen sah. Sie öffnete leicht ihre Lippen und küsste seinen Daumen, der sie gerade berührte. Und obwohl es ihr so unendlich leid tat, dass das hier bald zu Ende sein würde, freute sich ein Teil von ihr trotzdem... über das, was er sagte. Was er andeutete. Dass sie ihm etwas bedeutete, dass es nicht nur ihr so ging, dass die letzte Nacht etwas Besonderes gewesen war. „Ich...“ setzte sie an, schien aber nicht die richtigen Worte finden zu können. Warum war sie so hilflos in diesen Dingen, warum konnte sie sonst so gut reden... und jetzt schienen ihr die Worte zu fehlen? „Ich wünschte, ich könnte daran etwas ändern“, flüsterte sie schließlich, und jetzt konnte sie nicht mehr verhehlen, dass sie traurig war. Sie streichelte erneut über seine Wange und übte dann sanften Druck auf seine Haut aus, so dass er sie wieder ansah, und mit einer fließenden Bewegung führte sie ihren Kopf daraufhin dicht an seinen heran, und küsste ihn. Zum ersten Mal an diesem Morgen. Noch hatten sie Zeit, ein bisschen immerhin. Ein bisschen. In der Villa war noch nichts zu hören, was hieß, dass noch nicht einmal die Sklaven wach waren. „Ich wünschte, ich könnte einen Platz für uns schaffen“, wisperte sie an seinen Lippen zwischen zwei Küssen.
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An seiner veränderten Atmung spürte sie, dass auch er aufgewacht war, und sie drehte ihren Kopf so, dass sie ihn ansehen konnte. Den Ausdruck in seinen Augen konnte sie nicht so recht deuten... vielleicht, weil sie zu viel darin gespiegelt sah, was sie selbst empfand, und in ihr herrschte ein zunehmender Widerstreit, den sie aber eigentlich gar nicht wollte – weder in sich spüren noch in seinen Augen sehen.
Und auch ihm schien es so zu gehen, jedenfalls so, dass er den Anbruch des Tages noch aufschieben wollte. Den Anbruch des Teils, in dem sie würden aufstehen müssen und schließlich irgendwann so tun, als sei nichts passiert. Sie wusste nicht, wie spät es war, wusste nur, dass sie um diese Zeit für gewöhnlich tatsächlich schon aufgestanden war – aber warum sollte sie das heute? Es gab hier ja ohnehin nichts zu tun für sie, nicht wirklich, es war nur eine Aneinanderreihung von Tagen. Und Seneca... sie wagte es nicht, in die Zukunft zu denken, wagte nicht sich zu überlegen, was wohl kommen mochte, aber ihr war klar, dass das hier gut und gerne die einzige Gelegenheit sein würde, die sie hatten. Die einzige zumindest, die so unbeschwert war, in der es ihr nicht wie gestohlene Zeit vorkam, sondern ganz natürlich, dass sie mit ihm zusammen war.
Seiana schloss die Augen, als ihr klar wurde, was sie da eigentlich dachte. Dass sie doch in die Zukunft dachte, und mehr noch: dass sie darüber nachdachte, ihn wieder zu sehen. Irgendwie. Irgendwo. Ihn wieder zu treffen und dasselbe wieder zu erleben, was sie heute Nacht geteilt hatten. Dabei war allein der Gedanke daran schon falsch, so falsch. Und doch gleichzeitig so... selbstverständlich. Als wäre es das einzig Richtige.Sie öffnete die Augen wieder, als sie ihren Namen hörte, aus seinem Mund, zum ersten Mal, und sie konnte nicht anders als sein Lächeln zu erwidern – auch wenn das ihre einen Hauch von Trauer zeigte, eine Trauer, die sie aber noch zu unterdrücken versuchte. Sie erwiderte das Lächeln, seinen Blick, und löste eine ihrer Hände schließlich, um sie erneut an sein Gesicht zu legen, wie schon in der Nacht, und sacht über seine Wange, seine Schläfe, seine Stirn zu streichen. „Guten Morgen“, antwortete sie leise und lächelte erneut. „Seneca.“
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Seiana sah ihren Bruder immer noch nicht an, auch als der nicht locker lassen wollte. Für einen winzigen Augenblick verfluchte sie sich selbst, dass ihr das vorhin heraus gerutscht war – aber bei Faustus hatte sie sich noch nie so gut unter Kontrolle gehabt wie sonst. Es war bei ihm nicht nötig, so einfach war das, weil sie ihm vertraute. Nur in dieser Hinsicht... es war nicht so, dass sie ihm da nicht vertrauen würde. Sie war sich nur nicht so sicher, ob es so gut war, wenn er davon erfuhr. Und es würde ganz sicher nichts bringen, das Thema war immerhin erledigt und Vergangenheit, es gab nichts mehr, was Faustus tun könnte. Seiana atmete tief ein und schnitt eine leichte Grimasse. „Ja“, gestand sie schließlich ein. Das war ja noch nicht mal gelogen – es war ja Ärger wegen der Acta gewesen. „Du weißt doch, wie das ist. Irgendwer ist immer unzufrieden und beschwert sich, viele bei mir, manche bei denen, von denen sie denken sie hätten Einfluss auf mich... so wie der iulische Senator damals, der sich an Onkel Livianus in Germania gewendet hat, offenbar in dem Glauben, ich würde die Acta nicht eigenständig leiten, sondern mich jederzeit von meiner Familie zurückpfeifen lassen...“ Sie warf Faustus einen kurzen Blick von der Seite zu und deutete ein Achselzucken an, bemüht, möglichst gleichgültig zu wirken. „Und manche gehen eben noch einen Schritt weiter.“
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Er blieb. Auch nachdem sie den Kuss beendet hatten, blieb er, griff sogar nach ihr, ihrer Hand, hielt sie fest. Und Seiana wurde es immer noch nicht zu viel, diese Nähe zu ihm. Im Gegenteil. Sie hatte das Gefühl, ewig so da liegen zu können, ihn zu spüren, zu fühlen, seinem langsamer werdenden Atem zu lauschen. Sie legte ihren Kopf auf seine Brust und lauschte nicht nur seinem Atem, sondern auch seinem Herzschlag, der so ruhig war, so kräftig, so beständig. Sie merkte, wie er schließlich einschlief, hörte es an seinem Atem, und rührte sich nach wie vor nicht, genoss nur dieses Gefühl der Wärme, mit dem sie dieses simple beieinander Liegen erfüllte. Und sie blieb liegen, wie sie war, eng an ihm, bis der Schlaf auch sie einholte.
Als Seiana am nächsten Morgen aufwachte, fühlte sie sich so... ausgeruht und wohl wie schon lange nicht mehr. Keine Träume. Kein unruhiger Schlaf. Sie blinzelte in das schwache Licht des noch jungen Tags, und spürte, dass irgendetwas anders war... aber erst nach und nach, während sie langsam, aber zunehmend aus dem Reich des Schlafs auftauchte, wurde ihr bewusst was. Dass da jemand neben ihr war. Jemand, der nicht ihr Mann war. Seiana öffnete langsam die Augen und betrachtete das, was sie sah. Ihr Atem ging nach wie vor ruhig... aber so gut verdrängen wie in der Nacht konnte sie in diesem Augenblick zwischen Schlaf und Wachsein nicht mehr, was das hier nach sich ziehen konnte. Aus so vielen Gründen falsch... und doch fühlte es sich so richtig an. Hier mit ihm zu liegen und mit ihm aufzuwachen. Ihn nicht nur neben sich zu haben, sondern bei ihr, so dicht, dass sie sich berührten. Auch etwas, was für Seiana ungewöhnlich war. Raghnall hatte sie immer fortgeschickt... bei ihrem Mann hingegen konnte sie das kaum, wenn er zu ihr kam und bleiben wollte – und gelegentlich wollte er das. Aber immer löste sie sich im Lauf der Nacht von ihm, wandte sich um, suchte Abstand zwischen sich und ihn zu bringen, so dass sie allein da lag. Hier... wirkte es immer noch so, als wären ihre Körper irgendwie miteinander verschmolzen, als wären sie eine Einheit mit nur zufällig zu vielen Gliedmaßen für einen Menschen. Sie hatten sich in der Nacht bewegt, sicher, aber immer noch war die Verbindung gehalten, fast als hätten sie auch im Schlaf beständig die Nähe des anderen gesucht. Sie spürte, wie sich ein Riss ankündigte in ihrem Inneren, wie sich diese zwei Teile ihrer selbst an ihr zu zerren begannen, richtig und falsch, falsch und richtig. Ihre Finger suchten nach seinen und schlossen sich um sie, während sie sich beinahe verzweifelt wünschte, die Zeit still stehen lassen zu können. Diesen Moment zu bewahren.
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Nähe. Wärme. Haut an Haut. Was sie sonst um jeden Preis mied, konnte sie plötzlich genießen – mehr noch als das: hatte das Gefühl es zu brauchen, sehnte sich danach, so sehr, dass das, was sie bekam, fast nicht genug zu sein schien. Aber sie zögerte, sich noch mehr an ihn zu schmiegen als sie es ohnehin schon tat, aus Furcht, es könnte ihm zu viel werden, aus Furcht, gerade das könnte ihn veranlassen, sich zu verabschieden. Und sie allein zurück zu lassen.
Sie wollte nicht, dass er ging. Sie wollte, dass er bei ihr blieb, diese eine Nacht, die ganze Nacht. Sie verzichtete darauf darüber nachzudenken, was am Morgen kam – was hätte das schon gebracht? Sie wusste wohl um all die Dinge, die das hier eigentlich so undenkbar machten, so unmöglich. Sie hatte sich dennoch dafür entschieden, dafür, sich ihm endgültig zu öffnen, sich auf ihn einzulassen und das, was er in ihr auslöste. Und sie hatte sich durchaus bewusst dafür entschieden – nicht in einem einzigen, großen Gedankengang, sondern eher in vielen kleinen, in jedem einzelnen Moment, in dem sie ihm ein bisschen mehr von sich preis gegeben hatte, anstatt die kühle Maske aufzusetzen und ihn abtropfen zu lassen, bis hin zum heutigen Abend, wo sie diese letzte Grenze überwunden und ihn berührt hatte. Ja, sie hatte sich bewusst dafür entschieden. Und ebenso bewusst verweigerte sie sich nun jedem Gedanken an das, was später kommen würde. Noch waren sie hier, nur sie beide, und Seiana wollte das nicht aufgeben, nicht jetzt. Der Moment würde früh genug kommen, in dem sie es musste... aber so lange es nicht nötig war, wollte sie es nicht. Und sie hoffte, dass er ihr diesen Gefallen tat. Dass er bei ihr blieb, die Nacht über, dass er mit ihr einschlief und sie weiterhin seine Nähe spüren ließ, selbst im Traum.Sie erwiderte seinen Blick stumm, als er sie ansah, und als er sie dann küsste, wagte sie es doch, sich noch ein wenig näher an ihn zu schmiegen. Sein Blick, sein Kuss, all das wirkte nicht so, als ob er vorhatte zu gehen... oder als ob er sich auch nur wünschte, gehen zu können. Ihre Hand strich über seine Brust und fuhr dann langsam nach oben, zu seinem Gesicht, wo sie sie flach auf seine Wange legte und mit dem Daumen sacht über seine Lippen strich. Sie sah ihn so gern an. „Seneca“, murmelte sie schließlich, zum ersten Mal eine vertrautere Anrede verwendend, und das einfach nur so, einfach nur um zu sehen, wie sich sein Name anhörte, wenn sie ihn aussprach, wie er auf ihrer Zunge schmeckte, wie es sich anfühlte, ihn so zu nennen. Aber sie wusste nicht, was sie sonst noch hätte anfügen sollen. Sie wollte nicht mit etwas Profanem das Schweigen stören. Und das, was bedeutender war, dafür fand sie nicht wirklich Worte... außer dem Morgen, und darüber wollte sie nicht reden. Nicht jetzt. Also beließ sie es schlicht bei seinem Namen, der für sich schon genug auszusagen schien, in ihren Ohren jedenfalls, strich nur noch einmal sacht mit ihrem Daumen über seine Unterlippe und streckte ihm dann wieder ihren Kopf entgegen, um ihn erneut zu küssen.
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Noch näher, noch schneller, noch intensiver. Seiana glaubte zu vergehen unter seinen Berührungen, erzitterte ein ums andere Mal und schien doch nicht genug bekommen zu können, wollte mehr von ihm. Ihr Verlangen, ihr Hunger schien keine Grenzen mehr zu kennen, genauso wie der seine, so wie er sie berührte, wie er sie vereinnahmte, wie er alles nahm, was sie zu geben hatte, bis sie schließlich beide den Höhepunkt erreichten, und Seiana bebte, erschauderte unkontrolliert unter seinen Händen, seinen Bewegungen, seinem Körper, grub eine Hand in sein Haar und zog seinen Kopf nah an ihren heran, suchte mit ihren Lippen die seinen, strich darüber und löste sich wieder minimal, in dem ihr selbst unerklärlichen Bedürfnis, ihn anzusehen. Sie konnte nicht einmal mehr klar denken, sie verging in einem Schauer aus Lust, aber dieser eine Wunsch machte sich beinahe ebenso brennend bemerkbar: sie wollte ihn sehen, ihm in die Augen sehen, während dieses Moments höchster Leidenschaft.
Später hätte sie nicht sagen können, wie lange es gedauert hatte. Ihr Zimmer war nur von wenigen Öllampen erleuchtet, aber diese waren gut gefüllt, so dass sie auch jetzt noch vor sich hin flackerten, wo sie neben ihm lag, erfüllt von einem merkwürdigen Gefühl tiefer, aber zugleich zufriedener Erschöpfung. Ihr Körper schien immer noch zu dampfen, und obwohl sie nach wie vor keine Decke über sich gezogen hatten, war ihr nicht kühl... noch nicht. Was auch kein Wunder war, denn abgesehen von der Wärme, die ihr eigener Körper ausstrahlte, war auch seiner nach wie vor erhitzt. Und Seiana lag dicht bei ihm, suchte nach wie vor seine Nähe, seine Berührung.
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Seiana lächelte vage, als es nun Faustus war, der nachgab. Der sogar vollstes Verständnis zeigte. Es sollte sie eigentlich freuen, aber... so ganz wohl war ihr dabei immer noch nicht. Es fühlte sich nicht richtig an, irgendwie. Als ob sie ihm etwas wesentliches verheimlichte. Seiana räusperte sich. „Ja, das wäre sehr gut“, erwiderte sie, und ließ diesmal bewusst offen, ob sie ihm überhaupt die gewünschten Informationen geben würde... sondern ließ es so klingen, dass es so verstanden werden könnte, dass sie eben das natürlich auf jeden Fall machen würde, anstatt vorher schon abzuwägen, was sie überhaupt weitergab. „Dann können wir besprechen, wie die Acta-Quellen geschützt werden können. Wie vermieden werden kann, dass überhaupt herauskommt, von wem du deine Informationen hast.“
Sie folgte ihm zum Brunnen nach seiner Aufforderung – diesmal glitt ein echtes Lächeln über ihre Züge. Vorsichtig streckte sie die Hand aus und strich über seinen lädierten Arm. „Das ist fantastisch. Das ist wirklich gut verheilt.“ Sie strich kurz über das Narbengewebe und zog dann wieder ihre Hand zurück. Sie freute sich, dass er seinen Arm wieder so gut nutzen konnte, dass er so beweglich war – es hatte Tage gegeben, da hatte sie nicht geglaubt, dass er so weit wieder heilen würde.
Gerade wollte sie fragen, ob er noch Schmerzen hatte, als Faustus ihr zuvorkam. Mit einer Frage, die etwas aufgriff, von dem sie zuvor gar nicht so wirklich gemerkt hatte, was sie da von sich gegeben hatte. Was sie da verraten hatte, eigentlich. Für Augenblicke erstarrte sie beinahe zur Statue, starrte ihren Bruder nur an und wusste nicht, wie sie nun reagieren sollte. Dann deutete sie ein Kopfschütteln an. „Ich... hör zu, das... war nichts“, murmelte sie und wandte sich ab von ihm, um sich nun selbst dem Wasser zu widmen, es intensivst zu betrachten. „Nichts wichtiges. Es hat sich alles zur Zufriedenheit geklärt.“ -
Seiana bebte unter seinen Berührungen, wand sich gemeinsam mit ihm, gab sich ihm hin... und hatte das Gefühl, dass er sich ihr hingab. Dass er sich genauso verlor wie sie. Sie hätte ihm die Führung überlassen, aber irgendwie war das nichts, was er beanspruchte, was er gar einforderte... vielmehr war er so vorsichtig wie die ganze Zeit schon, und erst im ständigen Geben und Nehmen wuchs die Leidenschaft, und nahm die Vorsicht im Gegenzug ab – auch wenn sie nie völlig zu verschwinden schien. Auch das war Seiana neu, diese Sanftheit, die sich durch alles zu ziehen schien, jede Berührung, jede Bewegung schien geprägt davon, gleich wie leidenschaftlich, wie heftig sie wurden. Und sie wurden leidenschaftlich. So vorsichtig, beinahe zaghaft er sich ihrer zuerst annahm, steigerte es sich doch bald, der Tanz wurde schneller, wurde intensiver, und Seiana verlor jeden Bezug zur Realität, nicht nur zu all dem, was sie zuvor schon von sich geschoben hatte, auch ihr Zimmer, das schwache Licht, die Gerüche und Geräusche hier hörten plötzlich auf zu existieren. Es schien nur noch ihn und sie zu geben, und so wie er sich ihrer annahm, wie er sie berührte und anfachte und vorwärts jagte, so antwortete sie, bog sich ihm entgegen und umschlang ihn mit ihren Beinen, mitgerissen von ihm und zugleich getrieben von dem Wunsch nach noch mehr Nähe, mehr Tiefe, während ihre Finger und Lippen zugleich über verschwitzte Haut glitten. Nur noch sie beide gab es, und das nicht einmal mehr getrennt voneinander, sondern als Einheit, sie beide, bis Seiana das Gefühl bekam sich völlig zu verlieren in diesem Wir, und sich selbst zugleich nie so spürte wie in diesem Moment, in dem sie mit ihm vereint war und gemeinsam mit ihm Erfüllung fand. Sie kannte das nicht. Nicht so. Nie so. Und sie war überwältigt und hingerissen von dem, was sich ihr da gerade eröffnete, was seine Nähe, seine Haut auf ihrer, sein Körper an ihrem... was er ihr bedeutete.
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Er folgte ihr. Obwohl Seiana nicht mehr wirklich Zweifel daran gehabt hatte, obwohl sie nicht mehr wirklich befürchtet hatte, er könne sie nun noch zurückweisen, huschte doch ein Lächeln über ihre Züge, als er ihr folgte. Mehr noch als das... nach ihr griff, sie wieder an sich zog. Nur zu bereitwillig ließ sie zu, dass sich ihre Körper wieder aneinander schmiegen konnten, überließ es ihm, die letzten paar Schritte zu ihrem Bett zu finden, und konzentrierte sich lieber sofort wieder auf ihn. Seine Berührung. Seine Nähe. Seiana war beinahe verblüfft und gleichermaßen fasziniert, wie sehr sie das einnahm. Mitnahm. Sie, die sonst so auf Distanz bedacht war, der sonst Berührung, ein zu enger Kontakt nur allzu häufig unangenehm war. Sicher hatte sie schon mit anderen Männern geschlafen... nicht wirklich vielen, zwei, drei, aber dennoch – genug. Es ging nicht ohne Berührung. Aber in den allermeisten Fällen hatte sie die Erfahrung gemacht, dass es ihr dennoch nicht leicht fiel, diese Grenze zu überwinden, an jenen Punkt zu kommen, an dem es auch ihr nichts mehr ausmachte, weil Leidenschaft überhand nahm... wenn sie denn überhaupt an diesen Punkt kam. Selten hatte sie es so genossen, einfach nur berührt zu werden und zu berühren, nicht in diesem Stadium. Es war klar, worauf das hier hinaus lief... aber so weit waren sie noch nicht, und wo Seiana sonst häufig versuchte, schnell zur Sache zu kommen, schien sie hier nicht genug bekommen zu können.
Stück für Stück erforschte sie seinen Körper und ließ zu, dass er umgekehrt das gleiche tat, schob störenden Stoff beiseite, bis er so sehr störte dass sie sich dessen entledigte, strich über nackte Haut, zeichnete Konturen von Muskeln nach, mit Fingern und Lippen und Zunge, setzte ein was ihr zur Verfügung stand, ohne darüber nachzudenken, mit wachsender Leidenschaft, genoss zugleich seine Berührungen, mit denen er ihre Haut in Flammen zu setzen schien, ein Feuer, das sich tiefer und tiefer in sie hineinfraß, bis sie irgendwann noch mehr wollte von ihm, bis es ihr nicht mehr genug war, ihn Haut an Haut mit ihrer zu fühlen, sondern ihm noch näher kommen, ihn in sich spüren wollte, und sie sich an ihn drängte und sich ihm öffnete, ihm anbot zu nehmen, was ohnehin schon sein war, von dem Moment ihres ersten, so vorsichtigen Kusses an.