Faustus schien nicht gerade begeistert von ihren Worten zu sein, und das wiederum veranlasste Seiana – fast wie in einem Spiegelbild – dazu, ihre Stirn leicht zu runzeln. Sie wusste nicht, was er sich dabei dachte. Oder was er sich vorstellte. Und sie war sich auch ein wenig unschlüssig, was sie darauf sagen sollte. Vielleicht wäre es das Beste, wenn sie einfach so tat, als gebe sie nach. Wenn sie ihn in dem Glauben ließ, dass... Seiana schalt sich gedanklich selbst. Was dachte sie da eigentlich? Wenn es einen Menschen gab in dieser Welt, dem sie vorbehaltlos vertraute, dann war es ihr Bruder. Wie kam sie nur auf die Idee, ihm gegenüber nicht ehrlich sein zu wollen?
Und trotzdem blieb da doch noch das vage Gefühl, wenigstens vorsichtig zu sein mit dem, was sie sagte. Wie sie es sagte. Nicht so sehr weil sie Streit vermeiden wollte oder befürchtete, er könnte wütend werden, sondern einfach... einfach nur... weil es leichter war? Ein bisschen vielleicht, aber das war es nicht wirklich. Der eigentliche Grund lag darin, warum sie überhaupt darüber nachgedacht hatte, ihm etwas vorzumachen. Wenn man Menschen dazu zu bringen gedachte zu tun, was man von ihnen wollte... dann erreichte man das am einfachsten dadurch, in dem man sehr bewusst darauf achtete, was man ihnen wie sagte. Man konnte es auch Manipulation nennen. Und nicht dass Seiana ihren Bruder manipulieren wollte, aber sie wollte doch zumindest, dass sie in gewisser Hinsicht gemeinsam agierten. Dass sie sich auf ihn verlassen konnte. Sie gestand sich das nicht wirklich bewusst ein, aber dennoch hatte sie plötzlich kein sonderlich gutes Gefühl in der Magengegend, als sie zu einer Antwort ansetzte, mit der sie versuchte beiden Bedürfnissen gerecht zu werden: „Die liegt bei dir, Faustus.“ Sie sah ihn an. „Ich muss nur vorsichtig sein. Die Leute mi denen meine Mitarbeiter oder ich reden verlassen sich auf unsere Vertraulichkeit. Sie würden nicht mehr reden, wenn sie wüssten, dass alles an die Prätorianer weiter gegeben wird – sonst würden sie ja direkt zu euch kommen. Es muss strikt klar sein, dass die Acta absolut vertrauenswürdig ist.“
Beiträge von Decima Seiana
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Unwillkürlich schloss Seiana die Augen, als ihre Lippen sich berührten. Sanft, so sanft wie sie es noch nie erlebt hatte. Es war immer anders gewesen, bisher. Drängender. Härter. Fordernder. Manchmal auch schlicht und ergreifend unbeteiligt. Aber die Sanftheit, die sie in diesem Kuss spürte, und diese... diese Vorsicht, diese Zurückhaltung, nicht von ihrer Seite, sondern von seiner, war ihr neu. Und wirkte umso hinreißender auf sie, da sie ehrlich schien. Und er schien nicht enden zu wollen, der Kuss. Weder er noch sie machten Anstalten, ihn zu beenden, stattdessen spürte Seiana nun eine Hand an ihrer Wange... und die andere auf ihrem Körper. Sie reagierte auf die Berührung, indem sie sich ihm noch ein Stück näherte – wie alle Annäherung bisher eher langsam, sacht... aber jene Vorsicht, die sich in der Angst vor Zurückweisung gründete, wurde geringer. Sie näherte sich ihm, bis ihre Körper sich tatsächlich berührten, und sie seufzte leicht, ihre Lippen immer noch an seinen, als sie es schließlich taten. Sie hatte das Gefühl nicht genug bekommen zu können von ihm... und genoss sie jede einzelne Berührung, wollte sie um keinen Preis missen, um keinen Preis beschleunigen, wollte auskosten, was hier entstand.
Und genau das tat sie. Sie zitterte leicht unter seinen Berührungen, und erwiderte sie, ließ auch ihre Hände über seinen Körper streichen, über langsam und kontinuierlich Stoff, noch langsamer dort, wo sie auf Haut trafen. Und stets blieb ihr Gesicht an seinem. Ihre Lippen lösten sich durchaus von seinen, strichen sacht über Kinn und Wangen oder ruhten einfach nur für Momente regungslos an seiner Haut... aber sie ließ ihren Kopf wo er war, schien es nicht über sich zu bringen, sich von ihm zu trennen, jetzt, wo sie sich einmal so nahe gekommen waren. Fast als befürchte sie, dieser einzigartige Moment, der seinen Anfang gefunden hatte an diesem Abend, könne ein allzu rasches Ende finden, wenn sie nun wieder Distanz zuließ.
Und doch ließ sie schließlich Distanz nicht nur zu, und sondern löste sich von selbst ein wenig. Eine Winzigkeit nur, gefolgt von einem Schritt nach hinten. Einem sehr kleinen, einem, der sie nicht wirklich fortbrachte von ihm... was sie auch gar nicht wollte. Ihr Ziel war ein anderes, das wurde auch ersichtlich aus dem sachten Druck, mit dem sie ihn dazu zu bewegen versuchte ihr zu folgen, Stück für Stück, hin zu ihrem Bett. -
Von mir auch alles Liebe
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Von mir auch alles Liebe!
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Er stieß sie nicht fort. Er schob sie auch nicht weg. Er zeigte nicht einmal den Hauch einer Ablehnung... ganz im Gegenteil. Er schloss nur die Augen, und er sah so aus, als genoss er ihre Berührung. Und so ließ sie ihre Hand, wo sie war, strich sacht über seine Haut – bis er sich doch bewegte. Im allerersten Moment befürchtete Seiana, jetzt könne die Ablehnung kommen, der Hinweis darauf, dass sich das hier nicht ziemte, egal wie sehr er das wollen mochte, unter gar keinen Umständen, oder, noch schlimmer, dass er das hier nicht wollte. Dass er sie nicht wollte. Weil sie nicht gut genug war, wie so häufig...
Aber nichts dergleichen geschah. Ganz im Gegenteil legte er seine Hand auf ihre, hielt sie an seiner Wange, und öffnete dann wieder die Augen. Sah sie an, ohne ein Wort zu sagen. Und hob dann seine andere Hand, um ihr durchs Haar zu streichen. Diesmal war sie es, die kurzzeitig die Augen schloss, und ihr Kopf neigte sich, nur eine Winzigkeit, aber er neigte sich seiner Hand entgegen. Sie wusste, was das hier bedeutete, es stand mit geradezu brennender Klarheit vor ihrem inneren Auge. Sie wusste, dass das hier nicht richtig war. Sie wusste, dass sie das hier eigentlich nicht dulden sollte, aus so vielen verschiedenen Gründen.
Und sie wusste auch, dass ihr all das egal war. Er hatte ihr etwas gegeben, was sie schon seit langem nicht gespürt hatte, vielleicht noch nie in dieser Form, dieses Gefühl der Geborgenheit, der Sicherheit – und sie wollte darauf nicht verzichten. Nicht jetzt, nicht heute Abend. Nicht heute Nacht. Das einzige, was dich dieser Welt wirklich entrücken kann... Sie wollte für den Moment nichts mehr wissen von den Zwängen, die ihr Leben bestimmten. Sie wollte fort, wollte sich befreien davon, und sei es nur für einen kurzen Zeitraum. Und sie wollte, dass er ihr dabei half, dass er bei ihr blieb. Wollte ihn spüren, seine Nähe und seine Berührungen und all das, was ihn ausmachte, auskosten, wenigstens für diese eine Nacht, ganz egal was das für den Morgen bedeuten mochte.
Und trotz all dem war sie immer noch vorsichtig, so unendlich vorsichtig. Sie konnte nicht verführen. Sie wusste nicht, wie das ging. Und sie hätte es auch nie bewusst versucht, wäre das Risiko einer Zurückweisung nie eingegangen, wenn auch nur der Hauch eines Zweifels seinerseits zu spüren wäre. Aber noch spürte sie davon nichts... er war zurückhaltend, bedächtig wie sonst auch jetzt, aber sie meinte zumindest nichts zu spüren, was darauf hingedeutet hätte, dass er nicht wollte. Stattdessen näherte sich nun sein Kopf dem ihren, langsam, und sie reagierte beinahe ohne nachzudenken, näherte sich ihm so zaghaft wie er ihr, immer weiter, nach wie vor instinktiv auf jedes Zeichen der Zurückweisung achtend, das aber nie kam... bis sich ihre Lippen schließlich trafen. Seiana schloss die Augen, öffnete leicht ihre Lippen, um seinen Geschmack wahrzunehmen, und genoss den Moment dieser ersten, sachten Berührung. -
Seiana sah auf. „Hast du Beweise dafür? Ich meine, mehr als die Tatsache, dass Tiberius offenbar beim Statthalter von Syria war?“ Sie deutete ein Kopfschütteln an und rief sich nun selbst in Erinnerung, dass es doch im Grunde egal war. Sie deutete ein Achselzucken an. „Der Senat hat schon seine Daseinsberechtigung. Wenn vernünftige Senatoren berufen werden. Wenn sie ihren Aufgaben nachkommen. Die Zeiten der Republik waren nicht die schlechtesten... ich glaube nicht, dass das Reich allein mit dem Ritterstand regierbar wäre. Das ist ein Grund, warum ich glaube, dass Vescularius nicht der beste Kaiser wäre...“ Jetzt stand auch sie auf, stemmte eine Hand in die Hüfte und rieb sich mit der anderen den Nacken. Er verstand nicht, wie sie... wie sie was? Wie sie so denken konnte? Seiana seufzte leise. Natürlich verstand er das nicht, das hatte sie vorher schon geahnt. Faustus war ein guter Soldat, aufrecht, stolz, loyal, und ihre Mutter wäre sicher verdammt stolz gewesen, hätte sie ihn nun so sehen können. Es ging ihm um Ehre. Es ging ihm darum, das Richtige zu tun. Natürlich war es ihm wichtig, keinem zu dienen, der auch nur ansatzweise mit dem Kaisermord hätte zu tun haben können. Und es war ihm wichtig, dem rechtmäßigen Kaiser zu dienen, dem, der von Valerianus dazu eingesetzt worden war. Aber guter Soldat und Ehre hin oder her... hier in Rom brachte einen das nur bedingt weiter. Man sah es ja an Livianus, der es nie wirklich lange hier ausgehalten hatte, bis er sich schließlich ganz aus diesem Sumpf zurückgezogen hatte, der Roms Gesellschaft und Politik war. Und sie fürchtete, Faustus würde es genauso gehen, wenn er nicht acht gab. Wenn er nicht ein bisschen... realistischer wurde. Weniger Idealismus an den Tag legte. In Rom kam es nicht auf Ehre an, sondern auf Klugheit, auf Beziehungen, und auch darauf, sich im richtigen Moment für dies oder das auszusprechen... oder eben nicht, und das unabhängig von der eigenen Meinung. Aber was sollte sie sich darüber jetzt auslassen? Sie wollte sich genauso wenig streiten, und sie wagte es zu bezweifeln, dass Faustus das Ganze so sehen würde wie sie. Nein... besser sie hielt den Mund darüber. Für den Moment war es ohnehin besser, wenn sie sich an Vescularius orientierten, und sollte dieser tatsächlich fallen... würde sie Faustus schon irgendwie überzeugen können, das zu tun, was das Beste für ihn und die Familie war. Und nicht etwa das, was in seinen Augen richtig wäre...
„Wir sind uns einig“, bestätigte sie und lächelte sacht, trat zu ihm und griff nach seiner Hand. „Ich bin auf deiner Seite, Faustus, egal für was du dich entscheidest.“ Sie drückte seine Hand kurz. „Ja... sofern ich kann.“
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Seiana nickte leicht auf seine einsichtigen Worte hin, aber sie sagte nichts mehr dazu. Er schien es begriffen zu haben – da war es nicht nötig, noch mehr dazu zu sagen.
Beim nächsten Thema allerdings hatte sie schon wieder das Bedürfnis, die Augenbrauen hochzuziehen. Nicht eilig mit Kindern? In was für einer Welt lebte Flavus – oder lag das daran, dass er sich als Mann – als junger Mann noch dazu – kaum je Gedanken darüber gemacht hatte? Kinder in die Welt zu setzen, war die wichtigste Aufgabe einer Frau. Die einzige, die wirklich zählte. Alle anderen Aufgaben im Haushalt konnten, zumindest in ihrer Gesellschaftsschicht, von Sklaven oder Angestellten übernommen werden. Kinder in die Welt setzen, dem Ehemann Erben zu schenken, das war etwas, worum keine Matrona herum kam, keine, die nicht irgendwann gesellschaftlich geächtet werden wollte. „Ich wiederhole mich nur ungern, Flavus, aber: es ist keine Frage des Wollens. Es ist meine Pflicht.“ Ihr götterverdammte Pflicht. Und sie hatte nicht mehr viel Zeit, sie zu erfüllen, nicht in ihrem Alter. Bedachte man die Sterblichkeitsrate bei Kindern, wurde sie besser heute als morgen schwanger... damit ihr auch noch Zeit blieb ein zweites oder drittes zu bekommen. Und bedachte man die Sterblichkeitsrate bei Müttern, gerade bei den älteren... nein, daran wollte sie lieber nicht denken. „Bekomme ich nicht bald Kinder“ – jetzt, wo sie endlich verheiratet war, was ja auch schon lange genug gedauert hatte, genug für zahllose Gerüchte über sie –, „käme das meinem gesellschaftlichen Tod gleich. Würde meine Arbeit bei der Acta mich daran hindern, Kinder zu bekommen, hätte mein Mann jedes Recht, zu verlangen, dass ich damit aufhöre – oder sich von mir scheiden zu lassen.“
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Seiana verfolgte die Aufnahmezeremonie schweigend im Hintergrund. Erst als sie vorbei war und Messalina kurz noch einmal zu ihr kam, rührte sie sich wieder. Flüchtig strich sie dem Mädchen über die Haare. „Ich wünsche dir hier alles Gute, Messalina“, antwortete sie mit einem angedeuteten Lächeln, bevor auch sie sich verabschiedete und das Atrium Vestae verließ.
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Seiana musterte den Iunius nachdenklich. „Ich kann mir vorstellen, dass es nicht immer einfach ist Befehle auszuführen.“ Ein schwaches Lächeln huschte flüchtig über ihre Lippen. Er beherrschte sich im Dienst, weil er sich beherrschen musste... „Ich weiß nicht, ob ich das so gut könnte.“ Sicher beherrschte auch sie sich, was ihre Gedanken und Meinung betraf, sie überlegte sich sehr genau, wann sie was sagte – aber wenn sie etwas wirklich los werden wollte, dann musste sie damit auch nicht hinterm Berg halten, sondern konnte es auch sagen. Mehr noch, sie war ja diejenige, die ihren Mitarbeitern die Anweisungen gab. Wo es ihn offenbar störte, sich ständig kontrollieren zu müssen – im fachlichen Bereich, sozusagen –, da hätte sie es auch gestört, wenn sie keine andere Wahl gehabt hätte. Sie allerdings sprach von der Kontrolle über sich selbst. Über ihre Gefühle. Über alles, was einen schwach sein ließ... was einen verletzbar machte.
„Aber ich bin mir sicher, die gewöhnlichen Milites sind froh darum, nicht großartig nachdenken zu müssen... wie so viele andere Menschen auch. Was ich meine ist: Kontrolle – in dem Fall von außen – hilft beispielsweise denen, die es aus irgendwelchen Gründen gerne einfach haben.“ Sie machte eine Pause, dann fügte sie deutlich leiser an: „Und Kontrolle hilft auch dann, wenn man Halt braucht. Sicherheit.“Als er dann auf ihre Frage antwortete, stellte sie fest, dass er sie falsch verstanden hatte. Sie hatte eigentlich gemeint, was er an sich hatte, was ihn so besonders machte, dass sie auf ihn so reagierte. Dass sie sich in seiner Gesellschaft wohl fühlte. Dass ihr seine Art eine Ruhe vermittelte, die sie sonst selten kannte. Aber dass er ihre Frage falsch verstand, oder besser, wie er sie stattdessen verstand, gab auch schon Aufschluss. Darüber, dass es ihm offenbar genauso ging wie ihr. Dass da tatsächlich etwas zwischen ihnen war, nicht nur etwas, was sie so empfand. Und was er danach weiter ausführte, ließ jeden Zweifel, den sie daran noch gehabt haben mochte, verstummen. Ohne dass sie etwas dagegen tun konnte, wurde ihr plötzlich ein wenig warm. Sie war ihm vertraut. Seiana konnte gar nicht sagen, warum ihr das so wichtig war... vielleicht weil sie sich geöffnet hatte, aber das war nicht alles. Sie hatte sich ja geöffnet, hatte sich Stück für Stück auf ihn eingelassen, weil sie sich wohl fühlte in seiner Gegenwart. Weil sie seine Art mochte. Weil er ihr das Gefühl gab, nicht allein zu sein... und sie zu verstehen. Deswegen bedeutete es ihr so viel, dass es ihm ebenso zu gehen schien. Nicht umgekehrt.
Sie erwiderte seinen Blick, schweigend, weil sie nicht wirklich wusste was sie darauf sagen sollte. Worte schienen irgendwie fehl am Platz. Alles, was die Stimmung hätte zerstören können, schien fehl am Platz. Aber alles, was sie nicht zerstören würde, war es genauso... weil sie nun mal waren, wer sie waren. Seiana schloss für einen Moment die Augen und zögerte. Sie wollte nicht, dass das hier endete. Sie wollte nicht, dass er ging und sie allein ließ. Sie war sich bewusst über die möglichen Konsequenzen, sie wusste vor allem, dass das genau das war, was sie sich seit Jahren verbot, um sich nicht abhängig, verletzlich zu machen. Trotzdem war es so, und in diesem Moment gestand sie sich ein, dass sie es gar nicht anders wollte.
Als sie die Augen wieder öffnete, blickte der Iunius gerade zum Fenster hinaus, nachdenklich, fast ein wenig traurig schien er. Und ohne wirklich darüber nachzudenken, setzte Seiana sich in Bewegung und kam zu ihm hinüber. Bei ihm angekommen hob sie die Hand und berührte langsam, beinahe zögerlich, sein Gesicht. Nur sachte, mit ihren Fingerspitzen, jederzeit bereit die Berührung wieder zu beenden, würde sie auch nur den kleinsten Hinweis darauf entdecken, dass ihm das unangenehm war, strich sie über seine Stirn die Schläfe entlang zu seiner Wange. „Nein“, murmelte sie. „Schlecht ist es nicht.“ -
Seiana war sich nicht sicher, ob ihr Man ihr überhaupt zuhörte. Wirklich überraschend fand sie das allerdings nicht, immerhin war ihr Verhältnis zueinander distanziert – wirkliches Interesse am anderen hatte bisher wohl keine von ihnen gezeigt, auch wenn Seiana sich gelegentlich wenigstens bemühte so zu tun. Die Frage war nur: warum war er dann hier?
Die Auflösung kam mit den nächsten Worten – und diesmal war Seiana überrascht. Und konnte das auch nicht verbergen. Sie starrte ihn. Er wollte aufhören? Er? Nachdem die Worte erst mal gesackt waren, lehnte sie sich zurück und musterte ihn nachdenklich, während sich das Schweigen ausbreitete. So, wie er über Vescularius bisher gesprochen hatte, verwunderte sie das doch ein wenig, dass er sich ausgerechnet jetzt zurückzog – immerhin sah es gerade nicht unbedingt so aus, als ob der aktuelle Kaiser in Rom verlieren würde. Es sei denn... ihr Mann wusste mehr. Hatte Informationen über weitere Treuebekundungen zu Cornelius. Über Truppenbewegungen. Irgendwas, was einen Sieg des Gegenkaisers wahrscheinlicher werden ließ... oder zumindest Vescularius' nicht ganz so sicher. Das könnte durchaus etwas sein, was ihn wohl dazu bewegen würde jetzt schon vorsichtig zu agieren. „Ja... abzuwarten ist eine kluge Entscheidung.“ Nicht dass er ihren Segen dafür brauchte, oder auch nur wollte – das merkte sie ein ums andere Mal. Oder zumindest hatte sie den Eindruck, dass ihn ihre Meinung herzlich wenig interessierte. „Und dass du mehr Zeit haben wirst, ist ganz gut. Wir...“ Sie räusperte sich. „Darüber wollte ich ohnehin schon seit einiger Zeit mit dir reden. Wir sollten langsam... eine Familie gründen. Kinder zeugen.“ Was schlecht ging, wenn er kaum da war, und sich noch weniger Zeit nahm, um sie mit ihr zu verbringen. Und sie wurde nicht jünger, sie wollte wirklich langsam schwanger werden – sonst fürchtete sie, dass es irgendwann zu spät sein würde. Oder aber ihr erstes Kind auch ihr letztes und zugleich ihr Tod, weil ihr Körper nicht mehr mitspielte. Schwangerschaften waren generell immer ein Risiko, und je älter die Frau wurde, desto mehr... und noch einmal mehr, wenn es dann die erste war.
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„Und du glaubst, Valerianus hätte seinen Sohn nicht zu seinem Nachfolger ernannt irgendwann?“ gab Seiana nur zurück, zuckte dann aber die Achseln. Es war ohnehin egal. Maioranus war so tot wie sein Vater.
Und dann kam die Reaktion, die sie befürchtet hatte. Er regte sich auf. Und wie. Kaltschnäuzig, warf er ihr um die Ohren, und für einen winzigen Moment musste sie an Archias denken. Wie hatte er sie genannt? Eisprinzessin? Schneekönigin? Irgendwie so. Honor et Fortitudo. Das war der Moment, in dem sich ihre Wangen mit einer leichten Röte überzogen, als Faustus das sagte. Stumm hörte sie sich an, was er noch zu sagen hatte, ohne zu versuchen, ihn zu unterbrechen. Er hatte ja Recht, irgendwie. Nur: was sollten sie schon tun? Wenn Seiana eines gelernt hatte in der Zeit, in der sie alleine in Rom gewesen war, dann das: man musste zusehen, wo man blieb. Gerade als Frau. „Ja. Ich bin opportunistisch“, antwortete sie schließlich, und obwohl sie sich bemühte kühl zu klingen, konnte sie nicht verhindern, dass in ihrer Stimme mitschwang, dass sie verletzt war. „Als Frau hat man nicht allzu viele Möglichkeiten, sich zu behaupten, schon gar nicht wenn man auf sich allein gestellt ist. Honor et Fortitudo.“ Sie schnaubte. „Hätte ich das beachtet, hätte ich einen Prozess in Kauf nehmen müssen, statt Terentius zu heiraten.“ In diesem Moment wurde ihr gar nicht bewusst, was sie da eigentlich gesagt hatte. Sie beobachtete nur ihren Bruder, wie er herumlief, hörte wie er die Luft ausstieß. Hörte, wie er von seiner Angst sprach, die falsche Entscheidung zu treffen. Sie blieb sitzen, aber sie verschränkte die Arme vor ihrem Oberkörper, während ihre Gedanken rasten. Sie wusste doch auch nicht wirklich, was sie ihm raten sollte. Für sie wäre der Weg eigentlich klar, aber... Honor et Fortitudo...... Kaninchen. Opportunisten. So war sie vielleicht, aber nicht er, nicht Faustus, so war er nicht, so konnte er gar nicht sein. „Wenn du mich fragst, wen ich unterstützen würde, wenn ich die freie Wahl hätte – wenn ich mir keine Sorgen machen müsste um uns, unsere Familie: ich würde Cornelius vorziehen. Nicht weil ich glaube, dass er der rechtmäßige Erbe ist – sondern weil ich glaube, dass er den besseren Kaiser abgibt. Vescularius ist... zu willkürlich. Umgibt sich mit zu vielen... nun ja: Opportunisten und Speichelleckern. Und er versucht nahezu grundlos eine einflussreiche Gruppe nahezu komplett auszuschließen. Und wenn er es wirklich nicht war: er versucht mit dieser Sache seine politischen Feinde loszuwerden, was zwar irgendwo verständlich ist, aber bedenklich für das Reich, wenn es so gar keine kritischen Stimmen mehr gibt. Ich glaube jedenfalls nicht, dass da wirklich alle auf dieser Liste ihre Finger im Spiel hatten... wäre Onkel Livianus noch in Rom, unser Familienname würde auch auf dieser Liste stehen. Und du weißt, dass Livianus niemals Hand gegen den Kaiser erhoben hätte.“ Sie holte tief Luft. „Aber wenn du mich fragst, wen ich unterstütze... jetzt. Hier.“ Eigentlich war ja schon klar, was sie sagen würde – es war klar, als sie zuvor die Formulierung freie Wahl genutzt hatte. „Vescularius“, sagte sie einfach. „Wir sind hier, in Rom. Du bist Prätorianer. Massa ist Optio. Flavus möchte den Cursus Honorum beschreiten. Varenus will in der Kanzlei anfangen. Messalina ist gerade Vestalin geworden. Wir können doch gar nicht anders, als uns mit ihm gut zu stellen, wenn wir nicht alles aufgeben, unsere gesamte Familie hier entwurzeln und auf eine Odyssee quer durch das Imperium schicken wollen.“ Sie machte eine kurze Pause und fügte dann noch leise an: „Wenn es dir hilft: ich glaub nicht so recht daran, dass er es war. Wir haben vor einiger Zeit in der Acta über ihn berichtet, und dafür auch mit ihm gesprochen. Er... hat ehrlich gewirkt, als er von seiner Freundschaft zu Valerianus sprach.“ Sie glaubte nur nicht, dass er ein guter Kaiser sein würde.
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Eine klare Linie. Sie sollten eine klare Linie haben. Seiana war nicht wirklich begeistert von dieser Aussage. Augenblicke lang schwieg sie mit aufeinander gepressten Lippen, bevor sie etwas sagte. „Ich weiß es nicht. Faustus, ich habe keine Ahnung, was da wirklich gelaufen ist. Fakt ist doch, dass es so einige gibt, die vom Tod des Kaiser profitieren... und solche, die noch profitieren könnten. Die Senatoren, gerade die patrizischen, würden weit mehr von einem Imperator Cornelius haben... aber Vescularius ist Imperator. Und er musste damit rechnen, dass Maioranus irgendwann in naher Zukunft die Macht für sich beansprucht. Und wer rechtmäßiger Kaiser ist, sagt noch nichts darüber aus, wer der Mörder war.“ Wenn Tiberius tatsächlich dahinter steckte, dann war in jedem Fall etwas gewaltig schief gelaufen. Der Plan hatte mit Sicherheit nicht so ausgesehen, dass nun Vescularius in Rom auf dem Kaiserthron hockte.
Obwohl sie nach wie vor leise sprach, warf sie zwischendurch immer mal wieder einen aufmerksamen Blick in die Runde, um sicher zu gehen, dass sie nicht belauscht wurden. Aber es war niemand zu sehen, keine Bewegung, und von ihrem momentanen Standpunkt aus hätten sie es gemerkt, hätte sich ihnen jemand genähert. „Ich...“ Seiana zögerte einen Moment, unschlüssig, ob sie wirklich sagen sollte, was ihr auf der Zunge lag. Ob Faustus würde nachvollziehen können, warum sie so dachte. Oder ob er sich nicht eher aufregen würde darüber. Allerdings: irgendwie war klar, dass sie sich nach ihm orientieren würde. Sie mochten schon ein paar Mal aneinander geraten sein, und das ziemlich heftig, aber sie würde niemals einen Bruch mit ihrem Bruder riskieren. Wenn er sie so gar nicht verstehen konnte, konnte sie ihre Meinung immer noch begraben und nie mehr äußern, und ihn widerspruchslos unterstützen, aber vorher sollte er sie wenigstens einmal gehört haben, fand sie. „Es spielt keine Rolle, wer der rechtmäßige Kaiser ist.“ Es spielte auch keine Rolle, wer der Mörder war. Kaiser wurden umgebracht... und wer danach an die Macht kam, sorgte für die entsprechende Geschichtsschreibung. So einfach war das doch im Grunde. „Es spielt auch keine Rolle, wer ein guter oder schlechter Kaiser wäre, oder wer gravitätischer ist. Wir haben einen Bürgerkrieg vor uns. Und wir sollten so flexibel bleiben, dass wir am Ende nicht auf der falschen Seite stehen.“
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Wiewas, meiner? Nie!
Ist wieder Platz *g*
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Nachdem Seiana die Vorstellung übernommen hatte, lehnte sie sich zurück und betrachtete nur, wie die Männer sich kurz unterhielten. „Lass dir ruhig Zeit“, warf sie nur mit einem vagen Lächeln ein, als Catus sich unterbrach und davon sprach, sich erst etwas frisch zu machen – und zuckte dann ganz leicht zusammen, als plötzlich die Buchrollen auf den Boden klapperten. Noch während Flavus dazu kam und beim Aufheben half, war auch schon ein Sklave zur Stelle und half ebenfalls, und in kürzester Zeit waren die Schriftrollen wieder aufgehoben.
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Seiana deutete ein Achselzucken an. Ja, vielleicht hatte ihr Mann mehr Zeit, wenn es wieder ruhiger wurde. Vielleicht auch nicht. Im Großen und Ganzen würde sie das auch gar nicht mal so schlecht finden, so hatte sie wenigstens ihre Ruhe, nur... sie sollten langsam ans Kinder denken. Nicht dass Seiana unbedingt scharf darauf war, Kinder zu bekommen, aber sie hatte da einfach keine Wahl. Und ihr lief langsam die Zeit davon. Schwangerschaften waren nie einfach, und sie war mittlerweile in einem Alter, in dem das Risiko eindeutig zunahm. Zumal sie noch nie ein Kind bekommen hatte bisher.
Sie schob die Gedanken daran weg, wie so häufig in letzter Zeit, beschloss nur, auch nicht zum ersten Mal, ihren Mann irgendwann mal darauf anzusprechen, wenn sich die Gelegenheit ergab.
„Ich auch“, antwortete sie anschließend auf die Gerüchte hin. Es gab so viele – zu viele. Seiana wollte wissen, woran sie war, woran sie alle waren, und umso aufmerksamer hörte sie ihrem Bruder nun zu. Und tatsächlich erzählte der ihr ein paar konkretere Sachen... interessanter fand sie aber fast, wie er das sagte. Vom Cornelius schien er ganz eindeutig nicht begeistert zu sein. „Natürlich nicht. Du bist keiner meiner Informanten, ich würde nichts veröffentlichen, so lang du mir nicht sagst dass du das willst.“ Und wenn sie dieselben Informationen von woanders bekam, würde sie mit ihm reden. Nachdenklich fuhr sie sich über die Stirn. „Syrien. Diese Gerüchte stimmen also“, murmelte sie leise, so leise, dass das Rauschen des Wassers sie beinahe komplett übertönte. „Cornelius als Gegenkaiser. Es heißt, Germania – beide Provinzen – unterstützt ihn auch. Aegyptus... rebelliert zumindest. Und wenn die Gerüchte über Germania wahr sind, wird auch Alexandria sich auf kurz oder lang Cornelius anschließen.“ -
„Ja! Ja“, versicherte sie – vielleicht ein wenig zu hastig und zu... bemüht, wie ihr im Nachhinein auffiel. Aber es stimmte schon, anständig war er. Wenn sie sich denn sahen. Sie fühlte sich nur nach wie vor unsicher in seiner Gegenwart, unsicher und fremd. Wieder sah sie nach unten, diesmal aber auf ihre beiden Hände, und lächelte schwach, als sie den leichten Druck spürte. Sie erwiderte ihn, und strich mit ihrem Daumen dann sacht über seine Handfläche. So gut. Es tat so gut, ihn endlich wieder hier zu haben. Sie hatte beinahe vergessen, wie sich das anfühlte, nichts vormachen zu müssen, sich geben zu können wie sie war, einfach bei jemandem zu sein, dem sie vorbehaltlos vertraute. „Neulich hatten wir einen größeren Krach. Er wollte, dass ich wegbleibe aus Rom, auch als die Unruhen vorüber waren... ich hab darauf bestanden zu bleiben. Du siehst, wer sich durchgesetzt hat.“ Jetzt lachte sie leise, bevor sie wieder ernster wurde. „Er hat nur sehr wenig Zeit, und das schon seit längerem. Ich... kenn ihn nach wie vor kaum.“ Im Grunde wusste sie nur, dass er skrupellos genug gewesen war, ihr etwas anhängen zu wollen, um ein Exempel zu statuieren. Dass er ein Opportunist war. Und dass er sie gerne mal wie einen seiner Soldaten behandelte und meinte sie herum kommandieren zu können. Davon abgesehen war er ziemlich zurückhaltend. Ihr gegenüber jedenfalls. „Aber er behandelt mich gut. Wenn er da ist.“ Zeit, das Thema zu wechseln, fand sie. „Wie war deine Reise? Sind die Gerüchte wahr?“
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Er reagierte kaum, wiederholte ihre Worte nur. Für einen Moment war Seiana sich unsicher, ob sie sich doch nicht nur etwas einbildete. Ob er tatsächlich gern hier war. Ob er nicht doch einfach nur höflich war ihr gegenüber, nicht mehr und nicht weniger. Aber dann fügte er doch noch etwas an, was Seiana sogar ein schwaches Lächeln entlockte. „Ja, vielleicht. Mich würde es freuen.“ Flüchtig sah sie nach draußen in die Dunkelheit. Sie könnten sogar nachhelfen. Könnten sich verabreden, auf den Märkten, einfach so, einfach um sich zu unterhalten. Ohne dass jemand etwas mitbekam und sich das Maul darüber zerriss, dass sie sich mit einem Optio abgab, der noch dazu nicht einmal der Sohn eines Senators oder Ritters war. Und ohne dass jemand falsche Vermutungen, oder noch schlimmer, Behauptungen aufstellte.
Sie schob diese Gedanken fort, unterdrückte zugleich ein Seufzen und lauschte dem Schweigen, das im Moment herrschte, bis es vom Iunius erneut unterbrochen wurde. Und was er sagte, erwischte sie erneut. Schutzlos, das war es, sie hatte ihren Schutz aufgegeben. Und jetzt musste sie irgendwie damit klar kommen. „Sie macht nicht vieles kaputt!“ entgegnete Seiana, plötzlich heftig, auf seine ersten Worte, bevor sie diesmal tatsächlich seufzte und sich kurz über die Augen fuhr. „Entschuldige. Es ist nur... ich habe die Erfahrung gemacht, dass Kontrolle vor mehr Unheil und Schmerz bewahren kann, als sie womöglich verursacht.“ Seiana hatte das schon immer vorgehalten bekommen, gerade früher, als sie noch anders gewesen war. Eine römische Dame hatte sich zu beherrschen... und nicht so zu sein wie sie. Und ihre Mutter hatte ihr das ja auch vorgelebt, hatte nie wirklich den Schmerz über den Tod ihres Mannes gezeigt, und später nie jenen über die Söhne, die andere Wege einschlugen als von ihr gewünscht, der älteste und der jüngste fortgegangen, der mittlere ins innere Exil. Und als sie krank geworden war, hatte sie sich auch da nicht gehen lassen. Das waren die ersten Momente gewesen, in denen Seiana wirklich gelernt hatte, wie sehr eine eiserne Selbstbeherrschung helfen konnte... so sehr sie das zuvor auch versucht hatte sich anzueignen – erst als ihre Mutter so krank geworden war, hatte sie es tatsächlich gelernt. Gelernt, weil sie es erlebt hatte. Und später dann die Sache mit Archias... Archias, der ihr Hoffnung gemacht hatte, die Hoffnung, dass es doch anders möglich war. Nur um sie dann sitzen zu lassen. Sie musterte den Iunius und konnte nicht anders, als daran zu denken, dass Axilla seine Verwandte war... aber so wenig sie tatsächlich mit der Iunia anfangen konnte, so unterkühlt ihr Verhältnis sein mochte, den alten Groll hegte sie mittlerweile nicht mehr gegen sie. Über die Jahre hatte sich wenigstens der gelegt.Sie winkte leicht – und in einer Geste, die beinahe müde wirkte – ab, als er sich für sein Beispiel entschuldigen wollte. „Ich weiß, was du meinst. Und du hast Recht. Wir würden uns kaum hier unterhalten, und schon gar nicht so, wenn... wenn ich mich verhalten würde, wie ich mich verhalten müsste.“ Sie zuckte etwas hilflos mit den Achseln. „Ich weiß nicht warum. Du... du hast eine Art...“ Sie räusperte sich. „Ich mag deine Gesellschaft. Die Unterhaltung mit dir. Und deine Art lässt mich vergessen, wie wichtig mir meine Kontrolle für gewöhnlich ist.“ Natürlich tat auch der abgeschiedene Ort hier das seine dazu, aber Fakt war, dass sie dem Iunius schon vorher offener gegenüber getreten war. „Sag du mir, was das ist.“
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Seiana lächelte flüchtig, als er auf ihre Frage nach einer Gefährtin antwortete – lächelte so flüchtig und beiläufig, wie ihre Frage und seine Antwort gewesen war. Und hakte es dann ab. Würde er darüber mit ihr sprechen wollen, hätte er wohl ausführlicher geantwortet... aber vielleicht war das ganz einfach kein Thema, über das sie sprechen sollten.
Anschließend zögerte sie ein wenig. „Nun, meine Familie ist größtenteils weit verstreut.“ Sie deutete ein Achselzucken an. Wie viel sollte sie noch eingestehen? Sie konnte ihm doch schlecht sagen, dass sie mit den Decimern, die derzeit in Rom waren, keine allzu große Bindung hatte. Dass er, der Iunius, sie jetzt schon besser kannte als jeder Decimus in Rom, und vermutlich auch besser als die meisten anderen noch lebenden Decimi, von ihrem Bruder abgesehen. Sie schlang die Arme leicht um ihren Oberkörper, als ihr das bewusst wurde – und entspannte sich gleich darauf wieder ein wenig, als seine nächsten Worte erneut deutlich machten, warum das so war. Warum sie ihm so viel preisgab von sich. Weil er eine Ruhe ausstrahlte, die wohltuend war, für sie jedenfalls. Weil er nicht aufdringlich war. Und weil sie offenbar einiges gemeinsam hatten.Und dann kam der Moment, in dem sie doch zu bereuen begann, ihn noch hereingebeten zu haben – in dem sie in jedem Fall zu bereuen begann, diese Frage gestellt zu haben. Ihre Lippen pressten sich zu einem immer schmaleren Strich zusammen, und sie wankte, innerlich, versuchte sich erneut hinter ihrer in langen Jahren gebauten Mauer zu verbergen, versuchte eine kühle Maske aufzulegen – und schaffte es doch nicht ganz. Es waren nicht seine einleitenden Worte, die dazu führten dass sie sich unglaublich verletzlich fühlte. So wollte sie wirken. So wollte sie sein. Kein Schmerz mehr zulassen, niemandem mehr die Gelegenheit geben, ihr weh zu tun. Und es half ihr auch bei weiteren Dingen – den Status ihrer Familie zu wahren, ihre Arbeit gut, sehr gut zu erledigen.
Nein. Das war es nicht, was sie erschreckte. Was sie sich schutzlos fühlen ließ. Es war das, was er danach sagte. Die Einschätzung, zu der er später gekommen war. Ja, er hatte eine Art, die dazu führte, dass sie sich wohl fühlte in seiner Gegenwart, dass sie seine Gesellschaft genoss, dass sie sich gern mit ihm unterhielt – und dass sie ihm mehr preisgab. Aber dass er den Eindruck bekommen hatte sie hätte Angst verletzt zu werden... dass er das erkannt hatte... für Augenblicke schnürte es ihr die Kehle zu, weil es sie so... so verwundbar machte. Sie fragte sich, ob er überhaupt wusste, was er da aussprach, was das für sie hieß, dass er das erkannt hatte. Aber sie hatte wohl zu viel von sich gezeigt, als dass es sie hätte verwundern dürfen.
„Kontrolle hilft. Sie hilft auch in der Einsamkeit. Sie hilft gegen Grübeleien, wenn sie überhand nehmen. Kontrolle... hilft gegen so viel Unerwünschtes.“
Sie verstummte und lauschte seinen weiteren Worten. Und wandte sich dann um, zu ihm. Musterte ihn, und der Schrecken und das Unwohlsein in ihren Augen wurde von Traurigkeit abgelöst. „Ja“, antwortete sie schließlich. „Ja. Das fürchte ich auch. In Rom wird es nicht sein wie hier... selbst wenn wir uns sehen.“ Wie an diesem Tag, diesem Abend, an dem zwar so einiges anders war, und sie sich nicht sicher war ob alles davon gut, oder besser: richtig war... an dem aber zumindest eines fehlte: die Einsamkeit. Und auch die Grübeleien hielten sich deutlich in Grenzen. Er hatte Recht, in Rom würde es nicht so sehen. Aber für diesen Moment wünschte sie sich beinahe, sie könnte daran etwas ändern. „Aber noch sind wir hier.“ -
„Unruhen gab es einige“, erwiderte sie leise, ohne den Kopf zu wenden. „Es muss... furchtbar gewesen sein. Ich habe davon nichts bekommen, mein Mann hat dafür gesorgt, dass ich die Stadt verlasse... aber mir haben die Berichte gereicht, die ich von meinen Leuten bekommen habe.“ Sie atmete einmal tief durch und schwieg dann auch wieder, sah schlicht gerade aus und musterte den Garten vor ihr. Eine Weile war es still, sah man von ihren Atemzügen und dem Plätschern des Wassers ab, dann hörte sie wieder Faustus' Stimme. Und auch diesmal sah sie ihn nicht an, als sie sprach, sondern weiter geradeaus... nur dass ihr Blick jetzt ins Leere ging. „Ich... ja“, antwortete sie zunächst, unschlüssig, zögernd, auf der Suche nach den richtigen Worten. „Wir sehen uns zur Zeit nur selten, wir... haben beide viel zu tun.“ Und selbst zu den Zeiten, wo es ein wenig besser war, wo sie sich öfter sahen... es blieb immer diese Distanz zwischen ihnen. Sie konnten sich zwar unterhalten, erzählten sich auch einiges. Aber sie hatte nicht das Gefühl, dass sie ihren Mann wirklich kannte. Sie senkte ihren Kopf und sah auf ihre Hand hinunter, die, die nicht die ihres Bruders hielt, sondern allein in ihrem Schoß lag. „Mein Leben ist nicht so großartig anders wie vor der Hochzeit.“
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„Dann solltest du deine Worte mit mehr Bedacht wählen, Flavus.“ Und nicht wir sagen, wenn er eigentlich sie meinte. Sie kam sich gerade ein bisschen vor jemand, der einem Kind eine Lektion erteilte. Musste an seiner Jugend liegen, schätzte sie, er hatte einfach noch einiges zu lernen, brauchte noch etwas Schliff, gerade in rhetorischer Hinsicht. „In der Familie ist das nicht so wichtig, aber in der Politik können dir unbedachte Äußerungen das Genick brechen. Es wird Menschen geben, die dich falsch verstehen. Und es wird Menschen geben, die dich mit Absicht falsch verstehen.“
Auch beim nächsten Thema hatte sie das Gefühl, noch ein halbes Kind vor sich zu haben. Sie unterdrückte ein Seufzen und rief sich in Erinnerung, dass sie zumindest sein Bedürfnis, auf eigenen Beinen zu stehen, ja durchaus nachvollziehen konnte. Ihr war es nicht anders ergangen – der große Unterschied zwischen ihr und Flavus war allerdings, dass ihr als Frau ein ganzes Leben in Abhängigkeit – von ihrer Familie, von ihrem Mann – bevorgestanden hatte, wenn sie nicht äußerst diszipliniert daran gearbeitet hätte, sich ein eigenes Vermögen zu erarbeiten, eines, das ihr und nur ihr gehörte, keines, dass ihr von einem anderen geschenkt worden war. Flavus als Mann hingegen standen ganz andere Möglichkeiten offen... selbst auf seinem Weg zum Senator, der ihn – und seine Familie – lange weit mehr kosten würde als es ihm einbrachte. „Flavus“, begann sie in einem geduldigen Tonfall. „Ich verstehe, dass du unabhängig sein möchtest. Aber dafür ist die Familie da. Und wenn du wirklich Senator werden willst, wirst du gar nicht anders können als dich auf das Familienvermögen zu verlassen. Es wäre dumm von dir, es nicht zu tun. Ein einziger Wahlkampf, der vernünftig geführt wird, wird dich mehr kosten als du dir jetzt wahrscheinlich vorstellen kannst – und je weiter du im Cursus honorum kommst, desto kostspieliger werden die Wahlkämpfe werden. Und was die Soldaten angeht: sie verdienen vom ersten Tag ihrer Verpflichtung an, ja, aber sie verdienen herzlich wenig. Und sie bleiben ihr Leben lang genau das: Soldaten. Die allermeisten von ihnen jedenfalls.“ Dann runzelte sie flüchtig die Stirn. „Dein Jahr bei der Legion? Das steht doch erst nach dem Vigintivirat an. Mach dir darüber Gedanken, wenn es so weit ist – jetzt solltest du dich erst mal mit deinen ersten Schritten in der Politik beschäftigen. Dein Tirocinium – und, sofern du so weit bist, dein erster Wahlkampf.“
Seiana lehnte sich ein wenig zurück, aber im nächsten Augenblick kam schon wieder so ein Kommentar, der sie am liebsten den Kopf hätte schütteln lassen – auch wenn sie es nicht tat, sondern weiterhin eine ruhige Miene bewahrte, sogar ein leichtes Lächeln aufsetzte. „Es ist keine Frage des Wollens, Flavus. Es ist meine Pflicht, Kinder in die Welt zu setzen.“ Trotz ihres Lächelns klangen ihre Worte nüchtern – und genauso meinte sie sie auch. „Meine Kinder werden Terentier sein... und bevor sie irgendwann Karriere machen können, müssen sie erst einmal geboren werden.“