Beiträge von Decima Seiana

    Während die Sklaven verschwanden – ihre mit den seinen, und sie wollte gar nicht so genau wissen, was da nun in ihren Gemächern ablaufen würde, immerhin wagte sie zu bezweifeln, dass ihre Sklaven die seinen einfach so gewähren lassen würden, so lange sie davon ausgingen dass ihre Herrin andere Pläne hatte –, glaubte Seiana ihren Ohren nicht zu trauen. Sie konnte sich nicht erinnern, wann zuletzt jemand so mit ihr gesprochen hatte, es gewagt hatte, so mit ihr zu reden. „Für wen hältst du mich eigentlich? Ich wiederhole mich ja ungern, aber da du das nicht begreifst: ich bin weder deine Sklavin noch einer deiner Soldaten! Mehr noch, ich bin sui iuris, ich müsste nicht einmal mehr meinem Bruder oder Onkel gehorchen, geschweige denn dir!“ Fassungslos starrte sie ihn an. So langsam begann sie zu glauben, dass es ein Fehler gewesen war, in der ersten Zeit ihrer Ehe so zurückhaltend zu sein. So... brav. Andererseits: diese ganze Ehe war vielleicht ein Fehler gewesen, und ganz sicher, wie sie ihren Anfang genommen hatte. Und Seiana wusste nicht, was sie jetzt tun sollte, um das Ruder herum zu reißen. Um wenigstens halbwegs einen Zustand zu erreichen, in dem ein einigermaßen problemloses Miteinander möglich war, und nicht einer, in dem sie immer wieder nachgab. Das hier war mittlerweile mehr als ein im Grunde simpler Streit darüber, ob sie ging oder blieb. Es war zu einer Grundsatzdiskussion ausgeartet, jedenfalls für Seiana, und sie hatte das Gefühl, wenn sie jetzt – wo sie ihm zum ersten Mal wirklich widersprach und auf ihrem Standpunkt beharrte – nachgab, würde sie ihre beste Chance vergeben, für die Zukunft etwas zu ändern.


    „Hast du deine erste Frau genauso herum kommandiert? Hat sie sich das etwa gefallen lassen?“ Sie schüttelte den Kopf. „Ich will nicht gegen deinen Willen bleiben, aber ich werde bleiben. Was willst du um das zu akzeptieren? Soll ich im Haus bleiben? Weitere Wächter anheuern für mich? Ein Schiff in Ostia Tag und Nacht bereit halten, um im Notfall sofort nach Hispania oder sonst wohin fliehen zu können?“

    Unter anderen Umständen wäre spätestens jetzt der Moment erreicht gewesen, in dem Seiana höchst vorsichtig geworden wäre. Aber sie war wütend, und je weniger er auf ihre Worte einging, sondern einfach nur wiederholte, dass sie zu gehen hatte, desto wütender wurde sie. So sehr, dass sie in diesem Moment noch nicht einmal wirklich bemerkte, was er über den Vescularius sagte. Warum versuchte sie eigentlich überhaupt, zu argumentieren? Er schien ja doch nichts davon auch nur zur Kenntnis zu nehmen!


    „Es FUNKTIONIERT nicht, ihnen nur zu schreiben, ich muss hier sein, damit der Betrieb reibungslos läuft!“ fauchte sie zurück – und starrte ihn dann zunächst perplex an, als er es doch tatsächlich wagte, ihren Sklaven Anweisungen zu geben. Wovon sie sich allerdings sehr schnell erholte. „Oooh nein, das werdet ihr nicht. Meine Sachen bleiben hier, genau wie ich!“ Die Sklaven wirkten nicht allzu glücklich, in diesen Streit mit hinein gezogen zu werden... aber es waren ihre Sklaven. Und sie gehorchten ihr. „Und du! Was fällt dir überhaupt ein, so mit mir umzuspringen? Ich bin auch nicht einer deiner Soldaten, dem du Befehle erteilen kannst!“ blitzte sie anschließend ihren Mann an. Wenn sie sich schon mit ihm anlegte, dann richtig. „Ganz davon abgesehen macht es gar keinen Sinn zu gehen. Auf dem Landgut war es vielleicht sicherer, als hier direkt in der Stadt noch Unruhen gedroht haben, aber mittlerweile ist doch das ganze Reich ein Pulverfass! Glaubst du wirklich, in den Albaner Bergen wird es weniger gefährlich sein als hier in Rom, falls tatsächlich ein Bürgerkrieg auf italischem Boden ausbricht?“

    Einen Augenblick lang starrte Seiana ihn an, und langsam begann ihr iberisches Temperament, das sie in der Regel so perfekt im Zaum zu halten wusste mittlerweile, in ihr zu brodeln – was zu einer absoluten Seltenheit geworden war bei ihr. Er machte sich noch nicht mal die Mühe etwas dazu zu sagen, dass er ihr zwei oder drei Wochen versprochen hatte – vor ein paar Wochen. Das war der Hauptgrund gewesen, warum sie sich am ersten Tag der Ausgangssperre so schnell hatte von ihm überreden lassen, aus der Stadt zu verschwinden. Aber dazu kam nichts, nicht das Geringste. Stattdessen legte er nur weiterhin ein autoritäres Verhalten an den Tag, das darin gipfelte, dass er ihr Vorschriften machen wollte. Du wirst gehen und damit hat es sich? Nein. Damit hatte es sich ganz sicher nicht. Nicht diesmal. Sie war es leid, ständig nachzugeben, und sie hatte das Gefühl seit ihrer Hochzeit nichts anderes getan zu haben, jedes Mal, wenn sie eine Meinungsverschiedenheit gehabt hatten. Wenn es denn überhaupt mal zu einer echten Meinungsverschiedenheit gekommen war, seit sie verheiratet waren – wenn sich eine auch nur ankündigte, hatte sie sich ja bisher meistens zurückgezogen, hatte geschwiegen, um nicht das Risiko eines Streits einzugehen mit einem Mann, den sie nach wie vor nicht wirklich zu kennen glaubte, den sie nur schwer einschätzen konnte, und der dafür schlicht und ergreifend zu viel Macht besaß, als dass es das Risiko für sie wert gewesen wäre. Aber diesmal hatte sie nicht vor sich stumm und brav zu geben. Und das nicht nur, weil sie nicht noch mal weg wollte, weil ihr der Gedanke ein Graus war, wieder in die Eintönigkeit des Landguts zurückzukehren... sondern langsam, aber sicher auch wegen seinem autoritären Verhalten ihr gegenüber.


    „Das trifft auf fast alle städtischen Einrichtungen zu! Außer deinen Männern, den Urbanern und den Vigiles sind überall nur Schreiber beschäftigt. Keiner von den Leitern rennt deswegen davon! Und der Plebs weiß genauso gut wer die Auctrix ist, wie er weiß wer welchen Bereich in der Kaiserlichen Kanzlei leitet. Natürlich nicht alle! Das macht den Posten aber nicht weniger wichtig, und ich behaupte, dass die Leute auf der Straße mehr von der Acta wissen als von der Kanzlei! Viele der Ausrufer auf dem Forum und in den Straßen sind immerhin von uns!“ Sie funkelte ihn wütend an. „Ich bin nicht deine Sklavin, ich bin deine Frau. Und ich bin eine Decima, meine Familie hat eine Militärtradition die so groß ist wie die terentische!“

    „Ja, und ich kann auch nicht weg!“ Seiana stemmte eine Hand in die Hüfte und presste kurz Daumen und Zeigefinger der anderen Hand an ihre Nasenwurzel, bevor sie sich über die Haare strich. Ihr Blick wurde finsterer. „Meine Subauctores können nicht alles erledigen. Genauso wenig wie deine Offiziere deine Arbeit für dich erledigen können. Es gibt Dinge, die kann nur der Leiter selbst entscheiden. Der, der dafür grade stehen muss. Der die Verantwortung trägt.“ Sie hätte am liebsten frustriert aufgeschrien, weil er so... so engstirnig war, dass er nicht begriff, dass sie genauso wie er ihren Platz hier in Rom hatte, dass sie hier eine Aufgabe hatte, die sie auch nicht einfach so im Stich lassen konnte. Dass sie sich lächerlich machte, je länger sie aus Rom weg blieb, und beinahe schlimmer noch: überflüssig. Warum sollte sie Auctrix bleiben, wenn sie nicht hier war um ihren Aufgaben nachzukommen? Warum sollte der Senat sie auf diesem Posten belassen? Und warum um alles in der Welt sah ihr Mann nicht – oder wollte es nicht sehen –, was es für sie heißen würde, wenn sie nicht hier blieb? „Wie sieht es denn aus, wenn die Auctrix Rom verlässt? Noch dazu wo ihr alle doch so bemüht seid zu behaupten, es gäbe kein Risiko und alle sollten ruhig bleiben! Und im Moment ist Rom auch ruhig.“ Sie unterdrückte ein Seufzen und bemühte sich wieder um Selbstbeherrschung. „Als du mich aus Rom weggeschickt hast, hast du selbst gesagt, es wäre nur für zwei oder drei Wochen. Hast du mich da angelogen?“

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    Und so schnell löste sich alles in Wohlgefallen auf. Der Zwerg erschien, und aus welchem Grund auch immer der Urbaner einem Pimpf glauben sollte, der grade mal halb so groß war wie er – er tat es. Und das, wo er zuvor weder Sokrates noch der Blonden noch ihm, immerhin Ianitor – und damit erste Anlaufstelle für sämtliche Besucher und ausgezeichnet mit dem höchsten Vertrauen seiner Herrschaften, sonst würde er kaum hier an der Tür stehen! – der Casa Decima Mercator geglaubt hatte.
    Mit einem etwas griesgrämigen Blick also betrachtete Ephialtes den Jungen kurz und dachte für einen winzigen Augenblick, dass er seine Arbeit als Ianitor ja eigentlich an den Nagel hängen und sie dem Kleinen überlassen könnte, wenn der den Job so viel besser machte, dass er sogar Urbaner überzeugte. Aber nun. Das wichtigste war, dass die Herrschaften nicht in Schwierigkeiten gerieten, also behielt Ephialtes seine unbeteiligte Miene bei – mal abgesehen von jenem kurzen Blick zu Silas – und hielt nur die Tür auf, um die beiden eintreten zu lassen.





    IANITOR - GENS DECIMA

    Jetzt musterte Seiana den Iunius ein wenig... nun, fast ein wenig nachdenklich. Natürlich war auch aus seinem bisherigen Verhalten schon zu schließen gewesen, dass er nicht unbedingt auf dieselben Dinge Wert legte, dieselben Dinge von einer Frau erwartete, wie es die meisten Römer taten. Dennoch hätte vieles davon auch schlichte Höflichkeit sein und von jemandem zeugen können, der sich sehr gut zu beherrschen, seine Meinung sehr gut zu verbergen wusste. Seine Worte jetzt allerdings... er hätte das nicht sagen müssen, nicht aus reiner Höflichkeit heraus. „Ja, es passt nicht allen, wenn eine Frau den Platz verlässt, den die Gesellschaft für sie vorgesehen hat“, antwortete sie in einem ruhigen Tonfall. „Und irgendwie müssen sie damit umgehen, wenn sie einer begegnen, die es doch tut.“ Was sich im besten Fall darin äußerte, dass sie den Fakt, dass sie eine Frau war, schlicht und ergreifend übergingen. Was Seiana allerdings in aller Regel nur Recht war, gemessen daran, dass sie mit Komplimenten und allem, was auf ihre Weiblichkeit anspielte, nur schlecht umgehen konnte.


    „Ja, ich denke schon auch, dass sie alles im Griff haben“, gestand sie dann zu. „Ich bin es nur gewohnt, selbst einiges zu erledigen. Zu entscheiden. Und vor allem informiert zu sein.“ Was sowohl in von ihm erwähnter Langeweile resultierte als auch darin, dass sie – trotz allen geschäftlichen Vertrauens, das sie in ihre Verwalter haben mochte – unruhig war über den Zustand ihrer Betriebe und des laufenden Geschäfts. Sie verließ sich nicht gern auf andere, sie hatte lieber Gewissheit. „Ich habe einen Fernhandel, der exklusiv Waren importiert. Einen Buchladen – das ist das Geschäft mit Hauptsitz in Alexandria –, einen Maler und eine Taberna medica. Was ist mit dir? Prätorianer haben doch eine kürzere Dienstzeit. Planst du, nach dem Ende der deinen ebenfalls in die Wirtschaft einzusteigen?“

    Seiana runzelte leicht die Stirn. „Das Machtvakuum scheint zumindest hier derzeit ziemlich gut gefüllt, wenn man sich die Aktivitäten des Vescularius ansieht. Und ich sehe nicht, dass du deine Aufgaben im Stich lässt, um dich zu verkriechen.“

    Nachdem Seiana ihre Sachen in ihre Räumlichkeiten hatte bringen und sich selbst etwas frisch gemacht hatte, hatte sie beschlossen, sich im Atrium die Zeit zu vertreiben, bis ihr Mann kam – und tatsächlich ließ der nicht lange auf sich warten. Und war nicht gerade in der besten Laune, wie es schien... aber das war zu erwarten gewesen.


    Seiana erhob sich und sah ihm entgegen, machte sich auf eine Konfrontation gefasst – und fühlte sich dann erst mal ein wenig so, als sei ihr der Wind aus den Segeln genommen. Wo es für meine Familie sicher ist. Was sollte sie darauf schon sagen?
    „Appius...“ kam zunächst zögernd über ihre Lippen, bevor sie etwas sagte, was sie eigentlich gar nicht hatte sagen wollen: „Es tut mir leid, dass ich ohne dein Einverständnis zurückgekommen bin.“ Sie zögerte erneut kurz, suchte nach den richtigen Worten, aber sie hatte keine Ahnung, wie sie das formulieren sollte, damit ihr Mann besänftigt war und sich überzeugen ließ. Nach wie vor fiel es ihr schwer, ihn einzuschätzen. „Aber die Lage in Rom scheint sich wieder beruhigt zu haben, nach allem was ich gehört habe. Und ich habe Aufgaben hier.“

    „Ja... neben Grundbesitz sind Betriebe immer noch die beste Möglichkeit, sich ein gewisses Einkommen zu sichern. Und Beschäftigung natürlich“, scherzte sie. „Meine Familie mag recht wohlhabend sein, aber es war mir immer wichtig, mich auch selbst versorgen zu können. Es bedeutet eine gewisse... Unabhängigkeit. Also habe ich investiert, in unterschiedliche Bereiche.“
    Sie machte mit ihrem Kopf eine nachdenkliche Bewegung. „Das hoffe ich auch. Im Augenblick kann ich das allerdings schwer beurteilen, weil mir die aktuellen Zahlen fehlen“, antwortete sie. „Auswirkungen auf das Geschäft wird die Sperre sicher haben. Aber meine Betriebe sind weiter verteilt, von daher gehe ich davon aus, dass es sich in Grenzen hält. Eines meiner Geschäfte hat seinen Hauptsitz in Alexandria und dort auch die meisten Kunden... und die Waren, die importiert werden, verkaufen sich ja nicht nur in Rom.“ Sie lächelte vage. „Im Moment bleibt mir ohnehin nicht viel anderes übrig als darauf zu vertrauen, dass meine Verwalter die richtigen Entscheidungen treffen und das Geschäft so gut wie möglich am Laufen halten.“


    Seiana trank einen Schluck Wasser – und setzte den Becher dann ab, mit einem überraschten Blick, mit dem sie den Iunius nun musterte. Dass sie nicht die typische Matrona war, war ziemlich eindeutig. Dass er das allerdings als Kompliment sah, das... verblüffte sie ein wenig. „Tatsächlich? Die meisten sehen das anders. Oder sie... tendieren dazu, mich neutral zu sehen. Nicht als Frau.“

    Nachdem der Acta-Bote ihr das Schreiben über die Proskription gebracht hatte, hatte nicht nur er sich wieder auf den Weg nach Rom gemacht, um für die Veröffentlichung zu sorgen – auch sie hatte ihre Sklaven angehalten, ihre Abreise vorzubereiten. Die Veteranen würden das Landgut auch weiterhin schützen, wenn auch nicht mehr so intensiv wie zu ihrer Anwesenheit, und einige würden sie begleiten auf dem Weg nach Rom und hinein.


    In Rom angekommen hatte sie tatsächlich für einige Augenblicke überlegt, wo sie sich hinwenden sollte: zur Casa Terentia? Oder nicht doch eher zur Casa Decima? Aber ihr war selbst klar, dass es lächerlich gewesen wäre, zu ihrer Familie zu gehen. Es würde das Aufeinandertreffen mit ihrem Mann nur hinauszögern, nicht verhindern, und wenn überhaupt würde es seine Laune wohl nur verschlechtern, wenn er erfuhr, dass sie schon länger zurück war – ohne dass er davon gewusst hatte. Also war es die Casa Terentia, zu der sie sich schließlich bringen ließ, und im Atrium angekommen war ihr erster Auftrag an einen der Sklaven, dass er ihren Mann über ihre Anwesenheit informieren sollte. Je eher sie das hinter sich hatte, desto besser.

    Seianas Miene blieb ausdruckslos, aber diesmal musste sie sich ziemlich zurückhalten, um zu schweigen. Salinator wollte den Senat straffen? Das vielleicht, ja. Wenn man straffen mit entmachten gleichsetzen wollte. Oder damit, ihn komplett nach seinen eigenen Wünschen zu gestalten. So ähnlich ihr Mann und sie sich in mancherlei Hinsicht sein mochten, was den Senat betraf, waren sie eindeutig anderer Ansicht. Natürlich wurde zu viel im Senat geredet. Dass das eingedämmt werden sollte, gerade wenn es in persönliche Fehden ausartete, wie der Legat erwähnte, dieser Meinung war sie auch. Nur war es doch keine Alternative, den Senat noch weiter zu degradieren. Warum redeten die Senatoren denn? Weil es nicht mehr viel anderes gab, was sie noch tun konnten.
    Das Problem in der jetzigen Situation war nur, dass Seiana sich mehr und mehr in einer Lage sah, in der sie nicht mehr viel sagen konnte. Sie nahm an diesem Gespräch, diesem Abendessen teil, sicher. Aber sie war nicht als Gleichberechtigte hier, darüber war sie sich bewusst. Es wäre noch etwas anderes, wenn sie sich mit dem Aurelius allein unterhalten würde. Oder wenn sie mit dem Terentius nicht verheiratet wäre. Aber so? Mit dem Legat auf der einen Seite, dem sie sich inhaltlich deutlich näher fühlte, und dem Praefectus Praetorio auf der anderen, der ihr Mann war – und beides Männer, die sie im Grunde kaum kannte? Nein. So gerne sie mit scharfer Zunge mitdiskutiert hätte – sie wusste, dass das kaum angemessen war. Also hielt sie sich für den Moment erneut zurück, winkte den Sklaven, nach den Vorspeisen den Hauptgang zu bringen, und wartete auf die Antwort des Aurelius. Nachdem ihr Mann ihn direkt angesprochen hatte, würde das wohl auch kaum auffallen.

    Nicht gebessert. Seiana überlegte erneut kurz, drehte und wendete in Gedanken, was sie wusste von der Lage in Rom. Notstand und Ausgangssperre, die inzwischen zumindest teilweise wieder aufgehoben worden waren. Verhaftete Senatoren. Flüchtende Senatoren. Tote Senatoren. Repressionen gegen Senat und Patrizier... Und jetzt die Proskription.


    Einen Augenblick schwieg sie noch, dann traf sie eine Entscheidung – eine, die im Grunde nichts mit der Anfrage des Boten zu tun hatte. Dass die Proskription veröffentlicht werden würde, darüber gab es gar keine Diskussion – sie wusste, dass sie keine Wahl hatte als zu tun, was der Praefectus Urbi wollte. Genau genommen unterstand sie eigentlich dem Senat, aber so wie sich dessen Reihen gerade lichteten, blieb wohl kaum noch jemand übrig, der sich mit dem Vescularius angelegt hätte. So oder so zweifelte sie nicht daran, dass sie einfach durch eine Marionette des Praefectus Urbi ersetzt werden würde, wenn sie sich weigerte, da würde ihr auch der Fakt, dass sie mit dem Terentius verheiratet war, nichts helfen.
    „Reite nach Rom zurück und gib Bescheid, dass das hier veröffentlicht werden kann“, sagte sie zu dem Boten. „Du kannst dich vorher hier auffrischen und deinem Pferd die Gelegenheit geben, sich zu erholen.“ Sie hätte ihm ein frisches Pferd anbieten können, aber sollte er ruhig auf seinem zurückreiten – Seiana hatte nicht unbedingt etwas dagegen, wenn er ein wenig länger brauchte, bevor er Rom erreichte... und die Proskription veröffentlicht wurde. Dass es geschah, stand nicht zur Debatte, aber das wann ließ sich wenigstens etwas beeinflussen.


    Sie selbst würde unterdessen Vorbereitungen für ihre Abreise treffen, für die sie sich kurz zuvor nun entschieden hatte. Sie würde ganz sicher nicht noch länger hier bleiben, wo zumindest im Moment in Rom alles einigermaßen ruhig zu sein schien – ruhig genug, dass es gefahrlos sein dürfte sich dort aufzuhalten, während zugleich allerdings Meldungen wie diese Proskription bekannt gemacht wurden, die sie erst mit Verspätung erfuhr. Von den Gerüchten auf den Straßen, der Stimmung in der Stadt, all diesen Dingen, die ein Gesamtbild der Lage erst ermöglichten und von denen sie hier so gut wie gar nichts erfuhr und wenn dann stets aus zweiter oder dritter Hand, nie aus erster, gar nicht zu reden.

    Zitat

    Original von Aulus Iunius Seneca


    Seneca's Blick wanderte auf dem Tisch hin und her, Wein Wasser, Wasser Wein? Seneca entschied sich zunächst einmal für die alkoholfreie Variante, "Wasser, erst einmal Wasser.", sagte Seneca und griff beherzt zur Karaffe, schließlich war es ab und an ganz nett sich von Sklaven bedienen zu lassen, aber als Soldat war man nun auch gewohnt sich mal die Hände "schmutzig" zu machen.


    "Du hast recht, du hast eine gute Auswahl getroffen.", sprach Seneca und trank kurz einen Schluss, bevor er sich wieder ins Gespräche vertiefte, "Wie vertreibt man sich hier im Umland eigentlich den ganzen Tag die Zeit? Ich meine als Kind habe ich immer Legionär gespielt, aber ich gehe jetzt einfach mal davon aus dass du das nicht tust.", sagte Seneca scherzhaft in einer für ihn ungewöhnlichen Art, gerade bei der Decima, welche immer sehr freundlich aber dennoch kühl wirkte, aber eventuell würde es ja das Eis brechen..



    Seiana räumte die Tafeln beiseite, während er sich selbst einschenkte. Dem Sklaven, der den Iunius hergebracht hatte, gab sie mit einem Wink zu verstehen, dass er sich zurückziehen konnte. Als er das Wort ergriff, nippte sie an ihrem Becher, in dem ebenfalls nur Wasser war, und stellte ihn im Anschluss zurück auf den Tisch. „Nein, das nicht. Die Zeiten liegen lang zurück“, lächelte sie vage – und merkte erst einen Moment zu spät, dass sie damit zugegeben hatte, früher nicht unbedingt ein vorbildliches Mädchen gewesen zu sein. Sie ging allerdings nicht weiter darauf ein, sondern deutete ein Achselzucken an und sah kurz auf ihre Hände hinunter. Wie vertrieb man sich hier die Zeit? Schwer, lautete wohl die korrekte Antwort. Oder, in ihrem Fall, mit Alkohol, jedenfalls was die letzten Tage anging, aber das war nichts, was sie ihm sagen würde – und ohnehin hatte sie das Thema durch. Also machte sie eine leichte Geste zu den Wachstafeln hin. „Man sucht sich etwas zu tun. Ich beschäftige mich hauptsächlich mit meinen Betrieben, allerdings ist es zur Zeit etwas schwer, aktuelle Informationen zu bekommen. Oder neue Anweisungen weiter zu geben an meine Leute.“ Gleiches galt freilich für die Acta, aber nachdem das ein eher empfindliches Thema war nach ihrem kurzen Zusammenstoß vorhin, beschloss Seiana, darauf erst mal nicht einzugehen. „Die... typischen... Zeitvertreibe einer Matrona liegen mir nicht so sehr, offen gestanden. Es würde es vermutlich um einiges einfacher machen, sich hier zu beschäftigen, um zu sticken oder ähnliches ist man ja nicht auf Kontakt und Berichte angewiesen, nur...“ Seiana schüttelte leicht den Kopf, verzog ihre Lippen dann erneut zu einem vagen Lächeln und beließ es bei dieser Geste, ohne den Satz verbal zu beenden.

    Zitat

    Original von Iunia Axilla
    Der Bote machte es sich schonmal gemütlich, während er wartete, und trank auch einen Schluck. Als die Decima dann schließlich kam – was üblicherweise nicht sehr lange dauerte – stand er auch artig wieder auf und erstattete Bericht.
    “Salve. Die Lectrix schickt mich, ich soll von dir eine Rückmeldung holen, bevor man das hier veröffentlicht.“ Der Bote übergab der Auctrix sowohl das Anschreiben des Präfekten wie auch die eigentliche Meldung in einer Dokumentenrolle, so dass sie es sich anschauen konnte. “Sie meinte, dafür benötigten wir die Zustimmung der Auctrix, weil es imperiumsweit veröffentlicht werden soll.“


    Seiana streckte ihre Hand aus und ließ sich die Dokumentenrolle reichen, um die Meldung zu lesen. Ihre Miene blieb unbewegt kühl, während ihr Blick über die Worte huschte, aber ihre Gedanken begannen zu kreisen, während sie versuchte, die Informationen, die sie hier stückchenweise bekommen hatte, zusammenzusetzen. Der Iunius, der vor ein paar Tagen hier gewesen war, hatte ihr schon von Verhaftungen berichtet, Berichte, die sie danach bekommen hatte, hatten das noch bestätigt... und noch einiges ergänzt. Dass sich die Reihen der Senatoren lichteten, insbesondere der patrizischen. Dass bei den wenigsten nachvollziehbar sei, warum. Und dass Tiberius Durus umgekommen sei bei der Aktion der Prätorianer. Und jetzt das hier, eine Proskiption. Zwei der Männer waren bekannt, hatten beeindruckende Lebensläufe vorzuweisen, der dritte war zumindest ihr bekannt. Dass sie zu Staatsfeinden erklärt worden waren, konnte nur heißen, dass der Praefectus Urbi sie für den Tod des Kaisers verantwortlich machte. Was nicht hieß, dass sie es waren... welchen Grund hätten sie haben sollen, wo es doch der Vescularius war, der gerade Menschen wie ihnen das Leben schwer gemacht hatte? Und selbst wenn sie doch in den Mord verwickelt waren: spielte das in der jetzigen Situation wirklich noch eine Rolle? Nicht dass sie den Mord am Kaiser und seinem Sohn befürwortete... aber es war nun mal passiert. Und der Vescularius durfte nicht der nächste Kaiser werden. Seiana würde lieber einen Bürgerkrieg in Kauf nehmen, als diesen Mann auf dem Thron zu sehen. Ganz egal, wer den Mord nun letztlich zu verantworten hatte.


    Sie warf dem Boten einen nachdenklichen Blick zu. „Wie ist die Lage momentan in Rom?“ fragte sie scheinbar zusammenhanglos.

    Da der Bote den Männern schon bekannt war, wurde er anstandslos durchgewunken und von einem von ihnen ins Atrium des Hauses geführt. Ein Sklave brachte dem Mann etwas zu trinken, damit er sich erfrischen konnte, und verschwand dann, um die Decima zu holen.


    Kurze Zeit später tauchte eben jene auf und kam auf ihn zu. „Salve“, grüßte sie ihn, äußerlich so ruhig wie eh und je, innerlich teils angespannt, teils erfreut – angespannt, weil sie jedes Mal irgendwie darauf wartete, schlechte Neuigkeiten zu hören, wenn ein Bote der Acta kam, erfreut, weil sein Erscheinen Neugikeiten bedeutete. Egal welcher Art. Neuigkeiten über das, was vor sich ging, und vielleicht auch etwas, was sie länger als nur ein paar Momente beschäftigen würde. „Was hast du für mich?“

    Seiana hatte freilich weiterhin versucht, sich zu beschäftigen, und als der Prätorianer wieder zu ihr kam, war sie gerade über einige Tafeln gebeugt, die Informationen ihrer Betriebe enthielten. Auch wenn sie nicht auf dem neuesten Stand waren. Auch wenn sie derzeit ohnehin kaum Gelegenheit hatte, einzugreifen. Auch wenn sie sich auch darauf nicht wirklich zu konzentrieren vermochte. Besser so, als einfach nur da zu sitzen oder zu stehen und die Grübeleien einfach zuzulassen, die letztlich doch nur in einer Spirale nach unten enden würden.


    Entsprechend erleichtert war sie, als der Iunius das Tablinum wieder betrat, und ihr Gesichtsausdruck hellte sich in einem kurzen Anflug von echter Freude auf. Nicht nur, weil seine Anwesenheit Abwechslung versprach, sondern auch, weil sie wieder einmal feststellte, dass er, sein Auftreten, seine Stimme, seine ganze Art eine Aura der Ruhe verströmte, die sie einfach nur angenehm fand. Sie spürte, wie sie sich unwillkürlich ein wenig entspannte, und lächelte ihm zu. „Das freut mich, dass hier fast alles zu deiner Zufriedenheit ist. Dann habe ich wohl die richtigen Leute mit meiner Sicherheit betraut.“ Sie wies auf Becher und zwei Karaffen mit Wein und Wasser, die schon auf einem Tisch bereitgestellt wurden. „Möchtest du etwas?“

    Nach einem ersten Versuch Zeit zu schinden – den Seiana durchaus als solchen wahrnahm – zog sich der Legat recht geschickt aus der Affäre. Wobei er auch einen sehr guten Grund dafür nannte, dass er den Vescularius kaum beurteilen konnte. Umso mehr versuchte sie auf die Zwischentöne zu hören, um zu erkennen, was der Aurelius wohl tatsächlich vom Praefectus Urbi dachte. Aber das einzige, was aus seinen Worten wirklich heraus zu hören war, war, dass er alle Informationen nur über mehrere Ecken und in Gerüchteform erhielt – was zwar darauf schließen ließ, dass er doch Negatives gehört hatte, aber nicht notwendigerweise etwas darauf gab, oder sich dieser Meinung anschloss. Und dass es über den Praefectus Urbi eine Menge negative Gerüchte gab, stand wohl zweifellos fest, das war nun nichts Überraschendes oder ließ irgendwelche Rückschlüsse zu.


    Der Aurelius konterte schließlich mit einer Gegenfrage – die ihr Mann auf seine unvergleichliche Art beantwortete. Mit Worten, die so klar waren, dass es fast schon an Unhöflichkeit grenzte. Und sie... sie überlegte. Sie gab sich wirklich Mühe, sich etwas einfallen zu lassen, was sie sagen könnte, etwas, was ein wenig darüber hinweg spielen könnte, was er gesagt hatte, was die Worte im Nachhinein noch ein wenig glättete. Aber so sehr sie sich den Kopf zerbrach, das einzige, was ihr einfallen wollte, war Kritik. Kritik am Praefectus Urbi, und Kritik an ihrem Mann, oder besser gesagt: Widerspruch. Denn sie selbst sah die Sache etwas anders als er. „Das ist das, was den Senat ausmacht“, kommentierte sie – obwohl sie sich ziemlich sicher war, dass es wohl besser wäre einfach weiterhin den Mund zu halten, brachte sie das nicht fertig. Sie war seine Frau, ja, aber dass sie nicht unbedingt die typische Ehefrau sein würde, hatte er gewusst, bevor er sie geheiratet hatte. „Ein straffes Regiment allein ist nicht alles. Es ist sicher nötig, aber genauso nötig ist es doch, manche Entscheidungen in größerer Runde zu treffen, wo sie besprochen werden können – von Männern, die sich um Rom verdient gemacht haben.“ Gäbe es nur den Senat, würde kaum etwas vorangehen, das war ihr klar – aber er hatte auch seine guten Seiten, er konnte er einen starken Kaiser unterstützen und beraten. Und genau das versuchte der Vescularier doch, Stück für Stück zu unterminieren. Trotzdem, obwohl ihr die Sache ernst war, lächelte Seiana, um ihren ohnehin schon ruhigen Worten noch etwas von der inhaltlichen Schärfe zu nehmen.