Der süßlich-schwere Geruch von Weihrauch durchdrang die Luft vor dem Hausaltar in der Casa Decima, und die Körner knacksten und knisterten leicht, während sie verkohlten. Es war Abend, noch nicht allzu spät, aber doch bereits dunkel, und Seiana kniete vor dem Altar, neben sich eine alte Tunika von ihr, von früher, sowie ein Spielzeug. Mehr hatte sie nicht übrig von früher. Vielleicht hätte sich in Tarraco noch etwas gefunden... aber hier hatte sie nichts. Sie war schon lange kein Kind mehr, sie musste dieses Ritual nicht durchführen, um Abschied zu nehmen von ihrer Kindheit. Aber es war ein Ritual, das dazu gehörte, und es diente auch dem Abschied von den Hausgöttern... bevor sie morgen durch die Ehe unter den Schutz anderer gestellt werden würde. Und so hatte sie diese zwei Dinge aufgehoben, für diesen Tag, um das Ritual durchführen zu können. Um der Symbolik willen, die es darstellte.
Dennoch rührte sie sich nicht, kniete einfach nur da und starrte nun schon einige Momente lang mit leerem Blick in die Kohleschalen. Morgen. Morgen würde es so weit sein. Und sie... fühlte sich nicht bereit dafür. Überhaupt nicht. Sie wollte hier nicht weg, sie hatte sich ihr Leben hier eingerichtet, und sie kam zurecht. Was musste sie da denn heiraten? Was musste sie ihr Heim verlassen, sich woanders einleben, sich an eine andere Umgebung gewöhnen? Sie hatte lange genug gebraucht, um sich hier endlich etwas aufzubauen, ein Umfeld, ein Netz, das ihr Halt gab und in dem sie sich wohl fühlte. Nach dem Tod ihrer Mutter hatte sie sich so... verloren gefühlt. Und weder in Hispania, noch zunächst in Rom, noch in Alexandria war es ihr gelungen, sich wieder so etwas wie ein Zuhause zu schaffen. Für einige Zeit hatte sie geglaubt, Archias könnte ihr das bieten... Alexandria, so schön und lebenslustig diese Stadt auch war, war nie ihre Stadt gewesen, aber mit Archias... war sie offener gewesen. Nur hatte sich das alles als Trugschluss entpuppt. Es war ein Fehler gewesen, im Nachhinein war ihr das nun klar. Sie hatte für diesen Fehler bezahlt... und hatte ihre Lehre daraus gezogen. Hatte sich darauf konzentriert, sich selbst etwas zu schaffen, was ihr Halt gab, so dass sie nicht angewiesen war dafür auf einen anderen Menschen, der doch nur enttäuschte. Und sie hatte geglaubt, dass ihr das auch gelungen war, mit ihrer Arbeit, mit all den Tätigkeiten, die sie sich nach und nach aufgeladen hatte, und es funktionierte ja auch. Nur... sie hatte Angst, dass es nur hier funktionierte. In ihrem vertrauten Umfeld, mit ihrem vertrauten Rhythmus. Selbst hier wurde es ja schwieriger, seit die Casa nicht mehr so leer war – wie sollte es dann erst werden, wenn alles um sie herum anders, neu war? Und wenn sie noch dazu nicht mehr allein war, sich nicht mehr würde zurückziehen können wie und wann sie wollte, sondern... auf einen anderen würde Rücksicht nehmen müssen. Sie würde einen Mann haben. Würde mit ihm... zusammenleben, mit allen Konsequenzen, die das so mit sich brachte. Sich anzupassen. Kompromisse zu machen. Nachzugeben. Alles Dinge, die vornehmlich von einer Frau erwartet wurden – und in denen sie nicht mehr sonderlich gut war. Bei Archias hatte sie das noch gekonnt, hatte seinem Willen in der Regel nachgegeben und einfach geschwiegen und gelächelt, aber wie gut sie sich das wieder würde aneignen können, bezweifelte sie. Und dann war da noch der so simple Fakt, dass sie mit ihm schlafen würde. Und obwohl sie sich mittlerweile dank gelegentlichen Zusammenseins mit Raghnall sicher war, dass ihr das Erlebnis mit dem Sicinius nicht mehr dazwischen funken würde, hieß das noch lange nicht, dass sie der Hochzeitsnacht gelassen entgegen sehen konnte. Beinahe wünschte sie sich, es wäre schon passiert, wünschte sich, er hätte sie verführt. Oder es ihretwegen auch einfach eingefordert. Egal, so lange sie es nur hinter sich hatte und wusste, was sie mit ihm erwartete.
Seiana schloss die Augen. Eine Nacht noch, und ein Tag. Dann würde sie in der Casa Terentia sein, verheiratet, die Hausherrin dort. Und sie würde erfahren, wie sich ihr Leben als Ehefrau gestalten würde. Kein Grund, sich jetzt so unendlich viele Gedanken darüber zu machen. Und doch rotierten ihre Gedanken weiter und weiter, wie in einer Endlosschleife gefangen.