Beiträge von Decima Seiana

    Die letzten beiden Tage waren die längsten ihres Lebens gewesen.
    Oder jedenfalls fühlte es sich für Seiana so an. Sie hatte auch in der zweiten Nacht kaum geschlafen, aber da kaum immer noch mehr war als gar nicht, fühlte sie sich immerhin ein wenig ausgeruhter. Und da sie an diesem Tag noch mehr auf ihr Äußeres bedacht gewesen war als normalerweise, sah man ihr zwar an, dass sie müde war, aber nicht wie müde sie sich tatsächlich fühlte. Mit ausdrucksloser Miene saß sie nun in der Sänfte, die sie zu dem Terentius brachte. Es war recht früh am Morgen, ähnlich wie früh wie vor zwei Tagen, als der Praefectus bei ihr aufgetaucht war. Die Chance, dass er so früh noch zu Hause war, war recht hoch, schätzte sie, und darüber hinaus hatte sie nicht darauf warten wollen, dass er erneut sie besuchte. Sie hatte noch überlegt, ob sie ihn hier oder in der Castra aufsuchen sollte... aber sie wollte ja gerade vermeiden, dass das Ganze offiziell wurde, wollte die Schwierigkeiten, die er ihr machen konnte, so aus der Welt schaffen, und da... nun ja, da schien der private Bereich doch deutlich angebrachter. Wenn er sie immer noch verhaften wollte, war es auch egal wo das geschah. Sie schloss die Augen und lehnte ihren Kopf zurück, als die Sänfte abgesetzt wurde und ein Sklave zur Porta trat, um zu klopfen und sie anzumelden. Die äußerliche Ruhe hatte sie perfektioniert, und da sie nicht, wie beim letzten Mal, überrascht wurde, sondern wusste, was sie erwartete, wusste, wie schwierig dieses Treffen werden würde und wie viel davon abhing, standen die Chancen auch recht gut, dass sie beherrscht blieb. Sich nicht verriet. Nichts von dem nervösen Flattern zeigte, das sich zwischen Brustkorb und Magen abzuwechseln schien.


    Der Sklave unterdessen trat zur Porta und klopfte.

    Sim-Off:

    Ich möcht das Opfer auch gern in der WiSim umsetzen – Angebot an den CD ist erstellt.


    Ihre Müdigkeit war ihr deutlich anzusehen, als Seiana an diesem Vormittag sich dem Tempel näherte. Obwohl schon im Morgengrauen gefasst, hatte sie ihren Beschluss nicht sofort in die Tat umgesetzt – einerseits weil so früh noch niemand da war und weil sie ohnehin die Sklaven losschicken musste, um alles nötige zu kaufen, andererseits aber auch, weil sie sich dann doch wieder nicht sicher war, ob sie das tun sollte. Ob es nicht in diesem konkreten Fall Zeitverschwendung war, weil sie so furchtbar wenig davon hatte. Aber sie hatte das Gefühl, nicht mehr klar denken zu können… Und sie brauchte einen kühlen Kopf, weil ihr irgendwie noch irgendetwas einfallen musste, und zwar spätestens bis morgen. Und wer eignete sich besser für eine derartige Bitte als Minerva?


    Und so betrat Seiana den Tempel und sah sich nach einem Aedituus um.

    Stunden später waren ihre Räume wieder aufgeräumt, und zumindest äußerlich wies nichts mehr daraufhin, was hier vorgefallen war. Solange man nicht in so manche Truhe sah, die nun leer war. Und solange man nicht Seiana selbst ansah, die – recht atypisch für sie – nun schon seit einer geraumen Weile kaum für längere Zeit die Muße fand, sich hinzusetzen und einfach sitzen zu bleiben, sondern immer wieder aufsprang und umher lief, ständig die Position wechselte. Sie stand beim Fenster und sah hinaus. Sie saß auf dem Bett, den Kopf in die Hände gelegt. Sie lehnte an der Tür mit zurückgelegtem Kopf und geschlossenen Augen. Sie saß am Tisch, eine Hand an ihrem Kinn. Sie stand vor einer Wand und stützte sich mit den Händen daran ab. Sie stand einfach nur mitten im Raum und starrte ins Leere. Und recht bald hielt sie es in ihren Räumen überhaupt nicht mehr aus und dehnte ihre ruhelosen Wanderungen auf das Haus aus. Ihr Cubiculum fühlte sich so... so anders an. Obwohl alle Spuren des Chaos' verschwunden waren, meinte sie die Eindringlinge noch zu spüren, die dort gewesen waren, und das zehrte an ihren Nerven, machte sie nervöser als ohnehin schon. Sie hielt es nicht aus auf Dauer, und so lief sie durchs Haus, blieb mal hier stehen, mal dort sitzen, und verlagerte sich schließlich auf die Bibliothek, die nach dem Garten, in dem überhaupt kein Prätorianer gewesen war, noch am ehesten so etwas wie einen Rückzugsort darstellte.


    So ging das die ganze Zeit, stundenlang. Irgendwann wurde es Nacht, aber obwohl sie müde wurde, wollte sich Schlaf nicht einstellen bei ihr. Zu drängend war die Frage, was sie dem Terentius bieten könnte, zu sehr kreisten ihre Gedanken nur um dieses Thema. Sie brauchte etwas. Irgendetwas. Ginge es nur um sie, sie allein… vielleicht hätte sie es dann sogar darauf ankommen lassen. Auf eine Verhandlung. Nach wie vor konnte sie einfach nicht so recht daran glauben, dass es wirklich zum Äußersten kommen würde. Selbst wenn es zur Anklage kam, Mattiacus konnte sie verteidigen, und wenn eines über die Decimi bekannt war, dann dass sie zwar dem Vescularius nicht freundlich gesonnen waren – aber dem Kaiser loyal. Und sie hatte nichts getan. Der Codex Iuridicialis sah die Todesstrafe aber nur für Fälle von tatsächlichem Hochverrat vor.
    Aber es ging nicht nur um sie. Es ging auch um ihre Familie. Und vor allem: es ging auch um Faustus. Sie wollte, konnte und würde nicht riskieren, dass er da mit hinein gezogen wurde.
    Und dann war da noch etwas, etwas, was sie kaum wagte sich einzugestehen. So sehr sie sich auch einreden mochte, dass es nicht zum Äußersten kommen würde… ein Rest Zweifel blieb. Sie konnte sich nicht sicher sein, ob es nicht doch dazu kommen würde. Wenn der Praefectus Praetorio tatsächlich an ihr ein Exempel statuieren wollte, und ihm egal war, wie schuldig oder unschuldig sie tatsächlich war… Dann würde es ein Leichtes für ihn sein, Beweise für einen Hochverrat zu fingieren, die eindeutig waren. Natürlich bestand selbst dann immer noch die Chance, dass die Iudices ihr glaubten. Nur… wie wahrscheinlich würde das sein?


    Und so wanderte sie weiter durch die Casa, mit der Bibliothek als Zentrum, ruhelos – und ohne eine zündende Idee. Und je länger das so ging, desto drängender, bedrückender und zugleich blockierender wurde der Gedanke, dass ihr etwas einfallen musste, wenn schon nicht wegen ihr oder ihrer Familie, dann auf jeden Fall um Faustus‘ willen.
    Faustus. Seiana, die gerade wieder an einem Schreibtisch in der Bibliothek saß, stützte die Ellbogen auf, legte ihr Gesicht in die Hände und atmete tief durch. Sie musste ihm schreiben, aber sie wusste nicht was. Komm heim. Hilf mir. Komm heim. Komm heim. Komm heim. Die Worte hämmerten in ihrem Kopf, aber es war sinnlos. Kein Brief der Welt konnte ihn rechtzeitig erreichen, und erst recht konnte ihn nichts rechtzeitig herbringen. Und davon abgesehen: das würde sie ihm wohl ohnehin niemals schreiben. Sie konnte ihn nicht mit ihren Problemen belasten, sie musste irgendwie allein damit fertig werden. Sie hatte nur keine Ahnung wie. Was konnte sie dem Terentius schon bieten? Geld war kaum eine Option, davon hatte er selbst genug. Sie war nicht arm, aber bei weitem nicht so unermesslich reich, dass sie ihm eine ausreichende Summe hätte anbieten können – wenn sie das Familienvermögen mit in Betracht zog, wäre es etwas anderes, aber dafür würde sie ihre Familie hineinziehen müssen, und genau das wollte sie vermeiden. Aber was blieb dann noch? Ihr war sogar flüchtig der Gedanke gekommen, dass sie… versuchen könnte… ihn zu verführen. Aber das hatte sie so schnell wieder beiseite gewischt, wie es ihr gekommen war. Zum einen würde der Terentius dieses Angebot kaum als ausreichend erachten für das, was sie im Gegenzug wollte. Immerhin gab es genug Lupae in Rom, und ein Mann wie er dürfte auch sonst kaum Schwierigkeiten haben, Frauen für sein Bett zu finden. Und zum anderen… war das nicht sie. Sie konnte nicht verführen. Sie hätte nicht einmal gewusst, wie sie das hätte anstellen sollen. Sie würde sich nur lächerlich machen, wenn sie es versuchte, und ihm simpel hinzuknallen, dass er sie im Bett haben konnte, wenn er wollte… nein. Nein. Das war keine Option. Sie würde es sich kaum leisten können abzulehnen, wenn er damit ankam… aber sie konnte das einfach nicht auf den Tisch bringen, so verzweifelt war sie nicht. Und sie hakte diesen speziellen Gedanken ab, bevor wieder jene Bilder über sie hereinbrechen würden, die sie so mühsam bekämpft hatte und die nach wie vor in ihr lauerten. Nein. Was sie wirklich zu bieten hatte, waren ihr Einfluss und ihre Verbindungen als Decima und als Auctrix.
    Und genau das hatte ihm in ihrem Gespräch schon nicht gereicht.


    So verging die Nacht, ohne dass sie ein Auge zutat, und als der Tag anbrach, war sie kein Stück weiter. Sie stand am Fenster und sah zu, wie der Morgen dämmerte… und sie hatte immer noch keine Idee, keine Lösung, nichts. Stattdessen hatte sie das Gefühl, dass ihr Kopf dröhnte, so sehr, dass es immer schwerer fiel klar zu denken. Und erst in diesem Moment, als ihr das bewusst wurde, traf sie die Entscheidung, um Hilfe zu bitten.

    Nachdem die Prätorianer verschwunden waren, wusste Seiana zunächst nicht wohin. Sie hatte… nicht die… geringste… Ahnung, wohin. Oder was tun. Wie in Trance bewegte sie sich zu ihren Räumlichkeiten, und wie erstarrt blieb sie dann in der Tür stehen, als sie das Chaos sah, dass die Männer angerichtet hatten. Fassungslos starrte sie darauf, stand einfach da, bis plötzlich, ohne Vorwarnung, die Anspannung in sich zusammenfiel, die sie bis jetzt aufrecht gehalten hatte. Ihr Magen begann zu flattern, ihr Atem ging schnell und immer schneller, bis sie meinte keine Luft mehr zu bekommen, und zugleich wollte sich ein Heulkrampf seinen Weg nach außen bahnen, den sie nur mit äußerster Mühe bekämpfen konnte. Sie schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen und keuchte, wimmerte, während sie sich mit dem Rücken gegen den Türrahmen lehnte und den Oberkörper nach vorne neigte, die Hände auf die Oberschenkel gestützt, und gegen die Panikattacke ankämpfte, um Kontrolle über ihren Körper rang.


    Sie wusste nicht, wie lange sie so da stand. Als sie schließlich wieder aufsah, bemerkte sie Sklaven um sich herum, die sie ansahen, besorgt, erschrocken. Seiana fuhr sich über ihr Gesicht und machte dann eine Handbewegung in das Cubiculum hinein. „Räumt das auf.“ Ihre Stimme klang so rau, dass sie für einen Moment selbst erschrak, aber die Sklaven spurten, verteilten sich, und sie war froh, dass sie nicht mehr angesehen wurde – nur noch von Raghnall, der als einziger bei ihr geblieben war. Aber der sah sie auch nicht so besorgt an. Ernst, was eher unüblich für ihn war, aber nicht besorgt oder gar erschrocken. „Ja?“



    Er fragte nicht, ob alles in Ordnung war. Das war nicht seine Art, und sie vermutete, dass er sie zudem auch gut genug kannte um zu wissen, dass sie so etwas gar nicht hören wollte. So oder so war sie dankbar dafür. Stattdessen deutete er ein Achselzucken an und wies mit einer Kopfbewegung in die Räume hinein, in denen sich nun Sklaven daran zu schaffen machten, das Chaos zu beseitigen. „Ich war dabei, als sie da drin waren. Und in der Bibliothek.“
    „Ist irgendwas Erwähnenswertes passiert? Haben sie etwas Wichtiges gesagt?“
    „Na ja. Sie haben ein paar Fragen gestellt, zu dir, zu Acta-Mitarbeitern, ob du Besuch kriegst, so was. Ich glaub nicht, dass ich sie zu ihrer Zufriedenheit beantwortet hab, aber… sagen wir mal sie haben aufgegeben.“
    Seiana schloss kurz die Augen. „Muss ich mit einer Beschwerde rechnen?“
    Das entlockte dem Gallier ein leichtes Grinsen. „Ich glaube nicht.“
    „In Ordnung. Dann will ich gar nicht wissen, was genau passiert ist.“ Sie zögerte kurz. „Lauf zum Domus der Acta. Sag niemandem, dass die Prätorianer hier waren, aber… sorg einfach dafür, dass kritische Unterlagen verschwinden. Ich will nicht dass da auch noch jemand in Schwierigkeiten gerät.“ Raghnall nickte. „Und sei unauffällig. Du weißt, wer da meine Vertrauten sind, aber sag auch ihnen nur so viel wie unbedingt nötig. Sag einfach, dass das eine Anweisung von mir ist, das muss reichen. Und dass mir das sonst ja keiner mitbekommt.“ Mit einer Handbewegung entließ sie den Gallier.

    Seiana musterte den Prätorianer von der Seite, der allerdings sah sie nur selten wirklich an. Flüchtig dachte sie darüber nach, woran das liegen mochte… ob er nach wie vor befürchtete, seine Familie könnte da hineingezogen werden, oder ob er ein schlechtes Gewissen hatte. Oder ob es ihm generell schwer fiel, sie um Hilfe zu bitten. Im Grunde konnte es ihr egal sein – er stimmte schließlich zu, und wenn sie heil aus der Sache herauskam und Axilla außen vor blieb, hatte sie einen Prätorianer, der ihr einen Gefallen schuldig war. Und sie hatte vor, sich diesen Gefallen aufzuheben… bis der Mann neben ihr tatsächlich in einer Position war, in der es ihr auch was brachte, ihn daran zu erinnern.


    Sie nickte leicht, erwiderte aber sein Lächeln nicht. „Du hast nicht gestört, Iunius. Ein wenig Gesellschaft ist nie verkehrt.“ Auch wenn er sie nun vertrauter ansprach, blieb sie distanziert. Allerdings… war es vielleicht nicht verkehrt, mit dem Mann noch ein wenig Zeit zu verbringen. Ihm, nun ja, die Gelegenheit zu geben zu verinnerlichen, was sie gerade besprochen hatten. Aus den Augen, aus dem Sinn, hieß es so schön – und je eher er ging, desto schneller würde er diese für ihn vermutlich eher unliebsame Szene aus seinem Gedächtnis verbannen können, und damit auch die Tatsache, dass er ihr etwas schuldig war. Und es konnte nie schaden, manche Leute ein bisschen besser kennen zu lernen. Nun setzte sie doch noch ein vages Lächeln auf. „Ich könnte nach wie vor Beratung bei der Auswahl eines Leibwächters gebrauchen“, sagte sie und wies mit einer leichten Kopfbewegung auf die sie umgebenden Händler. „Vorausgesetzt, du hast nichts anderes vor.“ Es blieb seine Wahl, sie würde kaum darauf bestehen, dass er noch hier blieb. Aber den Versuch war es wert, es ihm anzubieten.

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    „Ich habe zu danken“, antwortete Raghnall. Schon wieder mit diesem leichten Grinsen auf dem Gesicht. Erneut hielt er den Prätorianern die Tür auf. „Ihr findet den Weg? Einen schönen Tag euch beiden noch… Man sieht sich!“ Fröhlich wartete er darauf, bis die beiden verschwunden waren, bevor er wieder seiner eigenen Wege ging, die vornehmlich darin bestanden, sich selbst Arbeit zu suchen, um sich bestimmte andere Arbeiten vom Hals halten zu können.





    SKLAVE - DECIMA SEIANA

    Sie begegnete seinem Blick auch weiterhin, obwohl es ihr schwer fiel, obwohl sie am liebsten weggesehen hätte. Das hier war… erniedrigend, und das musste ihm so bewusst sein wie ihr. Sie musste es nicht noch deutlicher machen als es ohnehin schon war. Und auch wenn die Tatsache, dass sie ihm nach wie vor in die Augen sehen konnte, nicht viel war – es war immerhin ein kleiner Rest an Stolz und Würde, den sie sich damit bewahrte.


    Seiana nickte, als er sich nun verabschiedete, und setzte zu einer Erwiderung an – schaffte aber nicht mehr als ein: „Vale.“ Sie brachte es nicht fertig, die Maske der Höflichkeit so sehr anzunehmen, um ihm ebenso einen guten Tag zu wünschen, egal wie unehrlich es gemeint war. Es ging nicht, nicht in diesem Moment, nicht nach dem was war. Sie wäre an den Worten erstickt, hätte sie es auch nur versucht, und so beließ sie es einfach bei dem kurzen Abschiedsgruß, um sich dann gemeinsam mit ihm zu erheben und, was dies betraf nun wieder in der Maske der höflich-kühlen Gastgeberin, die Prätorianer hinaus zu geleiten, bevor sie sich zurückzog.

    Mit einem zunehmenden Gefühl der Hilflosigkeit starrte Seiana den Praefecten an, als er ihre Hinweise einfach beiseite wischte. Und als er schließlich darauf anspielte, was im schlimmsten Fall passieren könnte, wich ihr schlagartig jegliches Blut aus dem Gesicht. Sie glaubte das nicht. Wohl weil sie es nicht glauben wollte, aber sie glaubte einfach nicht, dass es dazu kommen würde. Eine Anklage, ja. Auch eine Verurteilung, wenn er es wirklich darauf anlegte und die Anklage gut genug war. Zu einer Geldstrafe. Im Extremfall Gefängnisstrafe. Vielleicht. Aber ein Todesurteil? Das konnte er einfach nicht ernst meinen. Selbst wenn gab es immer noch die Möglichkeit des Exils, die man jemandem wie ihr doch kaum verwehren würde, und auch daran glaubte sie nicht. Dafür gab das Material, das er bei ihr finden würde, einfach nicht genug her, da würde er doch ziemlich... nachhelfen müssen. Nein – er wollte ihr Angst machen, so einfach war das. Es musste so sein. Er hatte es ja selbst gesagt: es ging um Angst.
    Und trotzdem... trotzdem hatte sie das Gefühl, sie hätte gerade einen Schlag auf den Brustkorb bekommen, der die Luft aus ihren Lungen getrieben hatte. Das Wissen, dass er ihr Angst machen wollte, hatte keinen Einfluss auf den Erfolg, den er damit hatte. Sie hatte Angst. Wenn er es auf ein Todesurteil anlegte, einfach um eine abschreckende Wirkung zu erzielen, wenn er das wirklich erreichen wollte... würde er das dann tatsächlich durchsetzen können? Und das war der Punkt, in dem sie sich nicht sicher war, obwohl sie sich einredete, dass er das eben nicht konnte. Sie war sich ganz und gar nicht sicher. Und was er sagte... wie er es sagte... ließ sie frösteln. Sie hatte das Bedürfnis, ihre Arme um den Oberkörper zu schlingen, aber so gut unter Kontrolle hatte sie sich dann doch, dass sie das nicht tat, dass sie einfach sitzen blieb, ohne sich zu rühren, das Gesicht zu einer Maske erstarrt – nur gegen die unnatürliche Blässe und der Ausdruck in ihren Augen, die Aufschluss darüber gaben wie es in ihr aussah gerade, dagegen konnte sie nichts tun, konnte es nicht ändern, so sehr sie sich auch wünschte, ihre übliche, kühle Selbstsicherheit ausstrahlen zu können.


    Es blieb nur noch das verzweifelte Angebot, das sie machte, und das irgendwo im Raum zu hängen schien... und ein Grinsen bei ihm auslöste. Das und seine ersten Worte brachten Seiana innerlich schon beinahe zum Aufgeben, als der Terentius doch noch weiter sprach. Und plötzlich hatte sie wieder das Gefühl atmen zu können, und sie sog tief die Luft ein. „Zwei Tage“, wiederholte sie tonlos. „Ja, hast du.“ Zwei Tage. Sie hatte keine Ahnung, ob er nur mit ihr spielte oder es ernst meinte, und sie hatte erst recht keine Ahnung, was sie ihm anbieten sollte, wenn nicht reichte, was sie gerade gesagt hatte – aber immerhin: zwei Tage. Er verhaftete sie nicht, nicht sofort, das war alles, was im Augenblick zählte. „Danke“, fügte sie noch an, und obwohl sie erleichtert war und tatsächlich dankbar, fiel es ihr zugleich auch unglaublich schwer, das zu sagen. Er hatte sie überhaupt erst in diese Lage gebracht, hatte sie dazu gebracht, ihren Stolz beiseite zu schieben, zu bitten... und das war bitter für sie.

    Sim-Off:

    Kein Thema :)


    Der Iunius wirkte geknickt, als sie ihn zunächst leicht anfuhr. Und das war etwas, was Seiana durchaus mit einer leichten Befriedigung feststellte. Dass ihm bewusst war, was ihr und ihrer Familie drohte, war wichtig – umso größer würde seine Dankbarkeit sein, wenn sie sich für Axilla und damit seine Familie einsetzte.


    Zeit also für einen Lichtblick, den der Iunier auch dankbar aufzunehmen schien. Nur: erzählen wollte er ihr dennoch nichts. Und sein Angebot, so gut es wohl auch gemeint war, brachte ihr nicht viel. Zweifelnd schüttelte sie den Kopf. „Ich danke dir dafür, aber ich glaube nicht, dass das so sinnvoll wäre.“ Erstens: sie glaubte nicht, dass er Einfluss genug hatte, um die Ermittlungen tatsächlich zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Insofern brachte ihr dieser Gefallen überhaupt nichts. Und zweitens – und dieser Grund dürfte auch für ihn wichtig sein, weshalb Seiana ihn laut sagte: „Dass deine Cousine Lectrix ist, ist bekannt. Wenn du nun anfängst, bei deinen Vorgesetzten auf entlastendes Material hinzuweisen... Es braucht nicht sonderlich viel, um da die richtigen Schlüsse zu ziehen.“ Und begeistert würden seine Vorgesetzten nicht sein davon, dass einer ihrer Milites nicht neutral in der Sache war. Es würde ihr nichts nutzen, und ihn würde es in Schwierigkeiten bringen. Da standen die Chancen weit besser, dass er nicht erwischt wurde, wenn er sie auf dem Laufenden hielt über die Ermittlungen. Sie musterte den Mann neben ihr. „Ich kann verstehen, dass du mir nichts erzählen kannst. Bei den Ermittlungen direkt kannst du dich allerdings auch nicht für mich einsetzen, ohne deinen Ruf aufs Spiel zu setzen. Und möglicherweise erst recht Aufmerksamkeit auf dich und Axilla zu lenken.“ Seiana schwieg einen Moment, ließ ihre Worte wirken, damit er begriff, welches Risiko er eingegangen wäre. „Ich mache dir einen Vorschlag: ich tue, was ich kann, um Axilla herauszuhalten. Dafür habe ich etwas gut bei dir.“

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    Der Decima würde das nicht gefallen. Oh nein, ihr würde das gar nicht gefallen, dass jetzt auch noch die Unterlagen ihrer Betriebe dran glauben mussten. „Öhm. Namen? Keine Ahnung wie die heißen. Ich bin nur nen Sklave. Und nicht der, der an der Tür steht.“ Er zuckte die Achseln, überlegte... Da gab's einen Caius Columnus, der war auffällig, und der legte auch Wert drauf, dass alle Welt ihn kannte. Aber bevor er das sagen konnte, machte der Prätorianer, ganz plötzlich – einen Witz. Einen Witz! Wahnsinn! Es geschahen ja doch noch Zeichen und Wunder! Raghnall grinste breit. „Kommt ganz drauf an, was ihr rauskriegen wollt. Ich könnt euch ne Menge erzählen, aber ich glaub das interessiert euch grad weniger...“ Er warf dem anderen Prätorianer einen Blick zu, der bisher reichlich maulfaul gewesen war. „Naja. Jede Menge Schriften von Griechen und Römern... aber von der Decima selbst... da waren ihre privaten Räume schon die beste Quelle“, stimmte er zu.





    SKLAVE - DECIMA SEIANA

    Immerhin, er war gewillt ihr weiter zuzuhören. Auch wenn die Formulierung letzter Wunsch, die nicht danach klang, als könnte sie noch etwas ausrichten, ihr einen Schauer über den Rücken jagte. Seiana wartete, bis die Soldaten sich zurückgezogen hatten. Und überlegte. Sie hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte, keine Ahnung, was ihn dazu bringen könnte, von einer Verhaftung abzusehen. „Wenn du Exempel statuieren willst, wirst du bessere finden als mich. Ich mag zwar die Auctrix sein, aber ich bin nur eine Frau, mehr nicht. Und meine Familie stellt derzeit keinen aktiven Senator, und mit Livianus in Spanien herrscht Ruhe. Welchen Sinn hat ein Exempel, wenn man es an einem Rudel ausführt, das augenscheinlich seine Zähne verloren hat?“ Es tat ihr weh, so über ihre eigene Familie zu reden, aber es half nichts. „Zumindest wird es die Öffentlichkeit so sehen. Und dass du diese Exempel an einer Frau statuieren willst, wird ebenso Fragen aufwerfen. Ob man mich nicht auf andere Art zur Räson bringen konnte. Ob man sich nicht traut, sich an gleichwertigen Gegnern zu versuchen. Wenn du mich mitnimmst, kann diese Aktion sehr leicht mehr Schaden verursachen als Nutzen.“ Und sie war sich sicher, dass ihre Leute bei der Acta – so lange sie das dann noch konnten, hieß das – entsprechend berichten würden darüber. „Was ich damit sagen will: ich kann dir als Verbündete mehr nützen als im Kerker und später auf der Anklagebank. Ich kann dir behilflich sein, die festzunageln, bei denen sich ein Exempel wirklich lohnt. Ich...“ Seiana brach ab, sah von dem Praefecten weg und lehnte sich zurück, rieb sich mit den Fingern ihrer Rechten über Kinn und Lippen. Als sie ihm ihren Blick wieder zuwandte, spiegelte sich ein Funken Verzweiflung darin. Es war so, wie sie gesagt hatte, davon war sie überzeugt – wenn er sich an ihr vergriff, würde das mehr Schaden anrichten als Nutzen. Und sie hatte noch nicht einmal erwähnt, dass dann die Gefahr bestand, dass ihre Verwandten aus Spanien zurückkommen würden. Livianus wieder in Rom, vielleicht sogar Meridius, der Triumphator... der Vescularius konnte das nicht wollen. Nur was war, wenn dem Terentius das egal war? „Ich würde tief in deiner Schuld stehen, wenn du mir jetzt hilfst. Bitte...“ Seiana presste kurz die Lippen zusammen, während sie Stück für Stück ihren Stolz demontierte. Aber es half nichts. Sie wusste, was ihr drohte, wenn sie es nicht schaffte den Terentius auf ihre Seite zu ziehen. Und es ging auch nicht nur um sie. Es ging auch um ihre Familie. Eine Anklage wegen Hochverrats gegen eine Decima, selbst wenn es nur eine Frau war... Die Karriere ihrer männlichen Verwandten, die Heiratsaussichten ihrer weiblichen wären vorerst zerstört. „Bitte denk wenigstens ein paar Tage darüber nach, bevor du eine Entscheidung triffst. Ich werd dir kaum davon laufen.“ Wie auch. Sollte er darauf eingehen und wenigstens darüber nachdenken, Seiana zweifelte nicht daran, dass sie für diesen Zeitraum dann unter massiver Beobachtung stehen würde.

    Angst. Es ging also um Angst. Nicht dass das wirklich überraschend gewesen wäre, im Gegenteil, es klang nur umso logischer – aber für Augenblicke verschlug es Seiana dann doch die Sprache, als sie das hörte. Es ging nicht einmal darum, halbwegs konkrete Anschuldigungen zu äußern, sondern nur... Namen zu nennen. Namen, die wichtig genug waren. Um Angst verbreiten zu können.


    Der Praefectus war allerdings noch nicht fertig mit ihr, und was er jetzt sagte, ließ sie für einen Moment beinahe zu Stein erstarren. Von einem Augenblick zum anderen baute sich eine Anspannung in ihrem Körper auf, die jede Bewegung verhinderte, selbst das noch so kleinste Drehen ihres Kopfes. Seiana starrte den Terentius an, und zunächst war das einzige, was in ihrem Kopf Platz fand, der Gedanke, dass sie sich verhört hatte. Verhört haben musste. Was passierte da gerade? Hatte sie ihn tatsächlich so falsch verstanden? Aber selbst wenn es so wäre: es gab diese Berichte. Er würde sie finden. Und wenn er das als Grundlage nutzen wollte, um sie zu verhaften, dann war es auch schon egal, ob das nun jetzt geschah oder erst in ein paar Tagen. Und dennoch war sie nicht gewillt, jetzt einfach so aufzugeben, schon gar nicht in Anbetracht dessen, was er gerade eben noch von sich gegeben hatte. „Moment.“ Sie hob eine Hand in Richtung der Soldaten, wie um ihnen zu signalisieren, dass sie noch stehen bleiben sollten – was freilich nichts brachte und ihr auch bewusst war, aber die Geste hatte sie nicht zurückhalten können. Ihre Gedanken rasten indes, suchten nach einer Möglichkeit, irgendetwas, wie sie sich da rauswinden, wie sie sich wenigstens etwas Zeit kaufen könnte. „Ich würde vorschlagen, du liest diese Pamphlete, wie du sie nennst, erst, bevor du handelst. Ich glaube kaum dass es unter Hochverrat fällt, wenn das Volk sich nach seinem Kaiser sehnt. Es sind Beobachtungen, und vor allem: es sind Beobachtungen, mit denen ich nichts angefangen habe. Ich hätte sie veröffentlichen können, aber das habe ich nicht. Und du hast selbst gesagt: es geht hier nicht um Schuld oder Unschuld, oder um Gerechtigkeit. Es geht um etwas anderes.“ Sie sah kurz zu den beiden Soldaten, dann wieder zu dem Terentius. „Können wir vielleicht noch einen Moment allein reden? Bitte?“

    Sim-Off:

    Die Sänfte ist irgendwo am Rand der Märkte abgestellt. Seiana geht auch zu Fuß ;)


    Seiana nickte leicht, als der Iunius ihr seinen vollen Namen nannte, mit einer Betonung, die sie kurz ein wenig verwunderte – aber sie dachte sich nichts weiter dabei. Mit einem weiteren Nicken bestätigte sie, dass sie Axilla kannte, und lauschte, ohne ein Wort zu sagen. Und es kam, was sie geahnt hatte, was nicht schwer zu erraten gewesen war. Er sorgte sich, um seine Cousine und seine Familie. Das war nun etwas, was sie zutiefst verstehen konnte – und zugleich machte es sie traurig. Axilla hatte jemanden, der sich für sie einsetzte. Im Gegensatz zu ihr. Wäre Faustus in Rom, er würde für sie das gleiche tun... aber Faustus war nicht hier.
    Sie schob den Gedanken beiseite. Es brachte nichts, sich in Selbstmitleid zu ergehen – sie würde irgendwie alleine damit fertig werden müssen, so einfach war das. Und dafür musste sie jeden Vorteil nutzen, den sie bekommen konnte.


    Als der Miles davon sprach, was es seiner Familie antun könnte, wenn Axilla mit hineingezogen wurde in das, was ihr gerade drohte, reagierte Seiana zum ersten Mal wirklich auf seine Worte. „Und was, Iunius, glaubst du wird meiner Familie passieren?“ Ihr Tonfall klang scharf, der Blick, den sie ihm dabei zuwarf, war kühl. Sie ließ sich nicht anmerken, dass es sie durchaus interessierte, welche Turbulenzen ihre Lectrix mit dem Praefectus Urbi haben könnte. Darüber würde sie wohl ohnehin nichts erfahren, und darum ging es hier auch nicht. „Geehrt werden dafür, dass meine Reputation in den Schmutz gezogen wird? Einen Orden dafür erhalten, wenn ich verklagt werde?“ So weit sie wusste, drohte Axilla bislang keine Gefahr. Der Terentius hatte nur bedingt nach ihren Mitarbeitern gefragt, und an diesem Thema kaum Interesse gezeigt. Die Iunia las zwar sämtliche Texte, die veröffentlicht wurden, aber nicht alle Berichte, die auf Seianas Tisch landeten, und sie war auch nirgendwo in einer Art erwähnt, die sie in Misskredit hätten bringen können. Und Seiana hatte nicht vor, einen ihrer Mitarbeiter – egal welchen – in Schwierigkeiten zu bringen. Die Acta konnte nur vernünftig arbeiten, wenn gerade die Schreiber und deren Informanten sich sicher sein konnten, dass da jemand war, der die Verantwortung übernahm – und genau dafür gab es den Posten des Auctors. Und davon mal abgesehen: wer auch immer die Garde auf sie angesetzt hatte, schien es primär auf sie oder ihre Familie abgesehen zu haben. Die Acta war nur Mittel zum Zweck, weil sich dort wohl am meisten finden ließ, was gegen sie verwendet werden konnte.

    Aber das waren alles Dinge, die der Iunius nicht wusste – er konnte nicht wissen, was ihre Einstellung war, schon gar nicht unter diesem Druck, und er wusste scheinbar auch nicht, was seine Kameraden und ihn tatsächlich zu ihr gebracht hatte. Wüsste er es, würde er sich kaum die Blöße geben, ausgerechnet sie nach Axillas Sicherheit zu fragen. Darüber hinaus vermutete sie, dass er in die Ermittlungen ohnehin nicht allzu sehr eingeweiht war... Würde er das Vertrauen des Praefectus Praetorio in diesem Maß genießen, hätte er auch ihn direkt fragen können, was mit Axilla war. Oder ihn sogar bitten, seine Cousine außen vor zu lassen.
    „Ich kann dir nicht sagen, inwieweit dein Vorgesetzter die übrigen Acta-Mitarbeiter im Blick hat. Ich kann allerdings versuchen, es herauszufinden – und möglichen Schaden von ihnen abzuwenden, sollte einer drohen.“ Sie sah ihn erneut an, diesmal mit angemessenem Ernst. Sie wollte ihm das Gefühl vermitteln, dass sie seine Befürchtungen verstand, und dass sie seiner Bitte nicht abgeneigt war – zugleich aber deutlich machen, dass es nicht so einfach ging. Dass er dafür ebenfalls etwas würde leisten müssen. So funktionierte Rom, und wenn ihm Axilla und seine Familie wirklich so wichtig waren, würde er sich etwas einfallen lassen. Am liebsten wäre ihr freilich, wenn er etwas über die Ermittlungen in Erfahrung bringen konnte, was ihr von Nutzen sein konnte... Aber ob er die Wichtigkeit seines Eids dann doch niedriger einschätzte oder etwas anderes anbot, war erst mal zweitrangig für sie. Wichtig war vor allem, bei einem Prätorianer einen Gefallen gut zu haben. „Dass du mir allerdings nichts über die Ermittlungen sagen kannst, macht es ungleich schwerer für mich, etwas herauszufinden. Und was habe ich davon, dass ich so ein Risiko eingehe?“ Denn ein Risiko war es. Es war eine Sache, ihre Mitarbeiter einfach außen vor zu lassen so gut es ging, aber eine völlig andere, nachzuforschen, wer nun noch die Aufmerksamkeit der Prätorianer auf sich zog – und sie abzulenken, wenn möglich. Vor allem da sie dann höchstwahrscheinlich die Aufmerksamkeit mit so etwas wieder auf sich zog.

    [Blockierte Grafik: http://img261.imageshack.us/img261/6518/raghnall.png]


    Raghnall ließ sich bereitwillig in den Raum schieben – war ja nicht seine Schuld, wenn sein Anflug von Höflichkeit nicht ankam – und sah sich schon mal vorsorglich nach einer Sitzgelegenheit um, von der aus er bewundern konnte, wie die beiden Schwarzröcke nun den nächsten Raum in seine Einzelteile zerlegten. Aber diesmal hatten die zwei anderes im Sinn. Ein wenig verdutzt sah der Gallier den Prätorianer an, als dieser ihn aufforderte, behilflich zu sein. Das brachte ihn nun in eine kleine Zwickmühle, denn eigentlich hatte er nicht vorgehabt, den beiden tatsächlich zu helfen. Mit einem Achselzucken schob er seine Zweifel dann aber beiseite. Eine Wahl hatte er ja nicht wirklich – und wo die Decima kritisches Zeug hatte, wusste er auch nicht so genau, denn so weit vertraute sie dann niemandem. Er ging allerdings davon aus, dass sie das wohl in ihrem Zimmer aufbewahrte – oder besser aufbewahrt hatte – und nicht in der Bibliothek, die jedem Familienmitglied offen stand. Und er ging auch davon aus, dass es ihr lieber war, wenn nicht noch ein Raum verwüstet wurde.


    Er führte die Prätorianer ein Regal entlang, vorbei an allgemeinen Schriften von verschiedensten Autoren, und deutete dann auf einige Unterlagen. „Da sind die Unterlagen von ihren Betrieben... falls euch das interessiert.“ Er warf dem Sprecher der beiden einen Blick zu, als dieser eine Frage stellte. „Sicher, ab und zu kommt schon jemand vorbei. Sie ist ja nicht immer im Domus der Acta, sondern arbeitet viel hier. Wenn da wer was braucht, kommen die auch vorbei.“ Raghnall zuckte die Achseln. „Beziehungen? Sie ist da mit niemandem befreundet, wenn du das meinst. Oder anderweitig verbandelt.“ Jetzt grinste er wieder.





    SKLAVE - DECIMA SEIANA

    Seiana lauschte der Antwort, die der Prätorianer ihrem Sklaven gab, aber ein weiterer Blick von ihr verhinderte, dass Raghnall noch mal konterte. Er hatte ihr zwar erzählt, dass er die Prätorianer bei der Durchsuchung getroffen und begleitet hatte, aber sie hatte nicht nachgefragt, was im Einzelnen da gewesen war. Sie wollte es im Grunde gar nicht so genau wissen. Sie wusste, dass sie sich auf den Gallier verlassen konnte, was seine Loyalität betraf – aber sie wusste eben auch, wie er war, und sie hatte nicht viel davon, wenn sie sich über ihn aufregte. So lange sich die Prätorianer nicht beschwerten, war es so gelaufen wie üblich: ihr Sklave hatte die Kurve gerade noch so gekriegt. Er konnte auch durchaus den Mustersklaven mimen, und es wäre ihr deutlich lieber, wenn er das öfter tun würde... und sie erinnerte ihn auch immer wieder daran. Aber wirklich ändern würde sie ihn nicht können, und im Grunde wollte sie das auch nicht, hatte es doch auch seine Vorteile einen Sklaven zu haben, der sich etwas traute... solange er ihr treu war.


    Lange dauerte das Geplänkel nicht, insbesondere da Raghnall dankenswerterweise den Mund hielt und nichts mehr sagte, als klar wurde, dass der Prätorianer tatsächlich mit Seiana reden wollte. Und die befürchtete schon halb, dass es noch etwas mit der Durchsuchung zu tun hatte... und erlebte eine Überraschung. „Als Iunier.“ Der Mann war Iunier? Warum erfuhr sie das erst jetzt? „Wie ist dein Name, Miles?“ fragte sie nach, äußerlich ruhig, während ihre Gedanken rasten. Eine Möglichkeit war, dass Iunia Axilla für die Durchsuchung verantwortlich sein könnte, egal ob nun bewusst oder unbewusst... aber an diese Möglichkeit glaubte Seiana nicht wirklich, auch wenn sie weit davon entfernt war, mit der Iunia tatsächlich so etwas wie ein freundschaftliches oder gar vertrauensvolles Verhältnis zu pflegen. Zu viel war passiert, was zumindest Seiana – trotz aller Bemühung – nie wirklich los wurde, und so betrachtet war es immerhin schon eine Leistung, dass eine vernünftige Zusammenarbeit möglich war. An dieser zweifelte die Decima jedoch nur bedingt... hätte die Iunia es wirklich darauf absehen wollen, sie in Misskredit zu bringen, hätte sie das einfacher und schneller haben können, und vor allem früher – zumal sie sich, so weit es die Acta betraf, nur ins eigene Fleisch schnitt.
    Wenn also die Iunia nicht schuld an dieser Misere war, dann war ihre Verwandtschaft mit dem Prätorianer hier ein Vorteil für Seiana. Noch dazu einer, der recht unverhofft kam. Sie musterte den Mann mit unbewegter Miene, während er sein Anliegen vorbrachte, und ihr entging nicht, dass er dabei ein wenig nervös schien. „Ich bin gerade auf der Suche nach einem Leibwächter. Ich würde mich freuen, wenn du mich ein Stück begleiten würdest... und mich beraten. Als Prätorianer weißt du sicherlich besser als ich, worauf es bei einer Leibwache ankommt.“ Sie verzog ihre Lippen zu der Andeutung eines Lächelns. Damit sollte er wohl eine Ausrede haben, die für seine Kameraden gut genug war, wenn sie ihn sahen und wissen wollten, was er ausgerechnet mit ihr zu schaffen hatte. Er würde nicht lügen müssen, sondern sagen können, dass sie ihn gefragt hatte, sie zu begleiten – und dass er die Gelegenheit nur genutzt hätte, mehr über sie in Erfahrung zu bringen. Sie setzte sich in Bewegung und ließ ihren Blick zunächst über den Markt schweifen, auf der Suche nach einem weiteren Sklavenhändler, der etwas möglicherweise Vielversprechendes im Angebot hatte, bevor sie ihn dann wieder, diesmal von der Seite, ansah. „Worum geht es?“ Sie konnte es sich denken. Natürlich, allein die Erwähnung seiner Cousine war ein Hinweis, der deutlich genug war. Aber er sollte ruhig selbst sagen, was er wollte.

    Seiana war sich unschlüssig, wo sie sich als nächstes hinwenden sollte. Sie mochte die Märkte nicht übermäßig, und sie hasste es einzukaufen. Sie hatte im Grunde keine Lust, die Geduld und Ausdauer aufzubringen, die notwendig war, wollte sie hier wirklich einen erfolgreichen Kauf tätigen. Aber nun war sie hier, und jetzt schon nach Hause zu gehen, ohne dass sie einen adäquaten Sklaven gekauft hatte, kam nicht in Frage. Wenn sie noch länger nichts fand, war das etwas anderes, aber noch war es zu früh dafür, fand sie.
    Nur: sie wusste nicht so recht, wohin. Es gab viele Sklavenhändler hier – aber da sie im Grunde nie hier war, wusste sie auch nicht, wer die Ware hatte, die sie brauchte, und wer von diesen vertrauenswürdig war. Und das schwache Dröhnen in ihrem Kopf machte die Entscheidung auch nicht gerade leichter.


    ~~~



    Die Decima wandte sich endgültig von dem Händler ab, zögerte allerdings tatsächlich weiter zu gehen. Raghnall winkte nur ab, als er aus dem Augenwinkel bemerkte, dass der Händler darin eine Chance zu wittern schien und noch einmal zu ihnen kommen wollte, und endlich setzte sich auch die Decima in Bewegung – als der Gallier etwas sah. Genauer gesagt: ein bekanntes Gesicht. Mitten in der Bewegung blieb er stehen, und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus, als er den humorlosen Schwarzrock erkannte, den er bei ihrem letzten Aufeinandertreffen spontan zu seinem Lieblingsprätorianer erkoren hatte.


    ~~~


    Seiana bemerkte, dass Raghnall ihr nicht gefolgt war, und sie drehte sich um – und entdeckte, wie er einem Mann entgegen sah, der auf sie zukam. Das Grinsen auf dem Gesicht des Gallliers kannte sie, und es verhieß nicht unbedingt etwas Gutes... Und auch dass der Mann nun so direkt auf sie zuhielt, dass klar war, dass er zu ihnen wollte, irritierte sie ein wenig. Er kam ihr vielleicht vage bekannt vor, aber sie konnte sich nicht entsinnen, wann und wo sie ihn schon mal gesehen haben mochte.


    Sie warteten, bis der Mann sie beinahe erreicht hatte, aber noch bevor Seiana oder der Andere etwas sagen konnten, ergriff Raghnall schon das Wort. „Na sieh einer an, so trifft man sich wieder! Heute ganz in zivil?“ Der Klang seiner Stimme hatte etwas Fröhliches, und Seiana warf ihm einen kurzen Blick unter leicht zusammengezogenen Augenbrauen zu. Raghnall unterdessen interpretierte den Blick großzügig als Frage. „Das ist einer der Prätorianer von neulich. Schwer zu erkennen, so ganz ohne schwarz...“ Diesmal bedachte Seiana ihren Sklaven mit einem Blick, der ihn zumindest im Moment zum Schweigen brachte, bevor sie sich dem Prätorianer zuwandte. „Salve... Verzeih, dass ich dich nicht gleich erkannt habe. Es waren doch einige deiner Kameraden dabei, und ich hatte nicht das Vergnügen, mit jedem einzeln zu sprechen und mir Gesicht oder Namen einzuprägen.“ Im Grunde hatte sie mit keinem von den Männern gesprochen außer ihrem Praefecten, und sie hatte schon gar keine Namen erfahren. „Wolltest du zu mir?“

    „Zumindest einige, ja“, bestätigte Seiana, als der Praefect davon sprach, wer alles Anlass haben könnte Gerüchte über sie oder ihre Familie in Umlauf zu bringen. Dann allerdings sprach er von einem iulischen Senator – und für einen Moment fragte Seiana sich, woher er davon wusste. Klage eingereicht hatte der Betreffende dann schließlich doch nicht, weswegen das Ganze dann doch nicht öffentlich ausgetragen worden war. Aber dann erinnerte sie sich, dass der Terentius damals indirekt betroffen gewesen war, war es doch das Verhalten des Iuliers diesem gegenüber, weswegen dieser Bericht letztlich zustande gekommen war.
    Im Anschluss daran kam sogar noch ein weiteres Zugeständnis. Und dann kam das Aber. Ein großes Aber. Seiana presste ihre Lippen aufeinander, als der Praefectus weiter bohrte und deutlich machte, dass er nicht hierher gekommen war, um ohne jedes Ergebnis wieder zu verschwinden. Konnte er es nicht einfach gut sein lassen? Aber nein, das wäre wohl zu einfach, und natürlich: sie wären nicht gekommen, nicht schon zum zweiten Mal, wenn es tatsächlich dann so einfach wäre sie wieder los zu werden. Wenn die Prätorianer nur die verbale Bestätigung von ihr wollten, dass da nichts dran war, hätten sie das auch anders haben können. Entweder nahmen sie diese Gerüchte also ernst... oder jemand ziemlich weit oben wollte, dass das hier geschah. Nur: sie wusste ja immer noch nicht, woran sie in dieser Hinsicht war. Wie sollte sie sich da für eine Vorgehensweise entscheiden?


    Allerdings: all das half ihr nicht weiter. Nicht im Geringsten. Der Terentius sprach ungerührt weiter, warf ihr seine Erwartungen hin, Forderungen, fast schon – und endete schließlich auf eine Art, die ihr einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Ich nehme erst dein Haus, dann deine Familie und dann dich selbst auseinander. Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge. Und das Lächeln, das diese Worte begleitete, war eines von der Sorte, das die Worte fast noch furchteinflößender machten als sie ohnehin schon waren. So lächelte man nicht, wenn man drohen wollte – so lächelte man, wenn man eine Tatsache aussprach.
    Seiana hätte wohl dennoch weiterhin versucht, sich wie bislang herauszuwinden. Aber der Terentius hatte ihre Familie ins Spiel gebracht – und damit, auch wenn er ihn nicht erwähnt hatte, Faustus. Faustus. Sie konnte nicht riskieren, ihren Bruder da mit hineinzuziehen. Sie konnte nicht riskieren, dass er darunter würde leiden müssen, wenn sie das hier verbockte. Es ging einfach nicht.
    Und doch ging genauso wenig, dass sie einfach nachgab. Wer garantierte ihr denn, dass er Wort hielt? Dass er sie dann wirklich in Ruhe lassen würde, wenn sie mit ihm kooperierte? Dass er ihre Familie in Ruhe lassen würde?


    Zum ersten Mal während ihres Gesprächs wich Seiana seinem Blick aus und starrte an ihm vorbei zur Seite. Momente lang schwieg sie, während es in ihr rumorte, während sie darüber nachdachte, was sie sagen sollte, wie sie es sagen sollte. Dass sie ihm irgendwie entgegen kommen musste, war deutlich geworden. Als sie ihn wieder ansah und endlich weitersprach, kam schon die erste Frage heftiger als beabsichtigt. „Du kannst nicht wirklich erwarten, dass ich dir Begründungen liefere, mit denen du mich dann ernsthaft in Schwierigkeiten bringen kannst. Was also willst du von mir hören?“ Sie bemühte sich um einen ruhigeren Ton, um Beherrschung. „Soll ich dir sagen, wer mir Übles wollen könnte, damit du dich dann an diese Personen wenden kannst? Bei den Göttern, ich bekomme inzwischen sogar anonyme Briefe, die als Drohung verstanden werden können! Genauso gut kann aber auch der Praefectus Urbi dahinter stecken, so eindeutig wie sich mein Onkel gegen ihn positioniert hat!“ Seiana presste wieder die Lippen zusammen, als ihr bewusst wurde, was sie da gerade gesagt hatte. Sie zeigte Nerven. Sie zeigte ganz eindeutig Nerven, und das war nicht gut. Ihre Hand griff nach ihrem Weinbecher, drehte ihn allerdings nur auf dem Tisch, ohne ihn auch nur anzuheben. Entgegen kommen. Sie musste ihm entgegen kommen, irgendwie, zeigen, dass sie gewillt war zu kooperieren. Der Praefectus Urbi mochte dabei ein riskantes Thema sein, aber in gewisser Hinsicht auch ein dankbares. Sie konnte nur beten, dass der Terentius dann tatsächlich Wort hielt und das Gesagte nicht gegen sie verwendete, oder jedenfalls nicht so, dass es ihr oder ihrer Familie wirklich schadete. Und sie konnte hoffen, dass es vielleicht genug war, dass er sie wenigstens vorerst in Ruhe ließ, so dass sie Zeit hatte. Zeit sich zu überlegen, was sie ihm beim nächsten Gespräch sagen sollte. „Du wirst ohnehin alles mitnehmen, was du hier auftreiben kannst. Und was du darunter finden wirst? Beispielsweise was manche davon halten, dass der Praefectus Urbi sich immer häufiger mit 24 Liktoren blicken lässt. Dass er mit einer bewaffneten Truppe im Pomerium auftaucht. Dass man vom Kaiser schon seit einer halben Ewigkeit nichts mehr gehört, geschweige denn gesehen hat.“ Halb Rom tratschte darüber – und in der anonymen Masse war jeder geschützt. Aber einer einzelnen Person konnte es das Genick brechen, wenn mit dieser Art von Gedankengut ein Name verbunden wurde. Es hatte einen Grund, warum sie darüber bisher noch nichts veröffentlicht hatte... obwohl selbst der Praefectus Urbi sich denken konnte, dass sein Verhalten nicht unbemerkt blieb. Und nun, beinahe ohne nachzudenken, drängte sich ihr eine Gegenfrage auf: „Hast du dem Kaiser schon einen Besuch abstatten können?“