So beiläufig sie die Frage gestellt haben mochte, so sehr traf sie damit anscheinend ins Schwarze. Der Quintilier richtete sich auf, atmete ein, kurz, gab genug Anzeichen dafür, dass es mehr mit dieser Einladung auf sich hatte als lediglich eine kürzlich geschlossene Bekanntschaft zu vertiefen. Seine Worte bestätigten diese Annahme – mehr noch, wenn sie nicht einfach nur dahin gesagt waren, um etwas spannender zu machen als es war, sondern sein Anliegen Schritt halten konnte mit der Einleitung, dann hatte er offenbar etwas Wichtiges zu sagen. Seiana hielt kurz inne in der Musterung der Oliven und sah ihn abwartend an, und beschloss dann nach einem weiteren Moment, zunächst in aller Seelenruhe einfach zuzuhören. Auch wenn ihr nicht danach war, denn seine weiteren Worte waren durchaus dazu angetan, eine Mischung aus Neugier, vager Aufregung und beinahe etwas wie Unwohlsein in ihr zu entfachen. Die wichtigen Dinge im Leben. Dennoch blieb ihre Mimik ruhig, regungslos. Sie lauschte weiter seiner kleinen Ansprache, bemerkte die Zeichen, wie er ein wenig nervöser wurde, und konnte nicht verhindern, dass auch sie ein wenig nervös wurde. Sie war nicht dumm. Und ohnehin war es nicht schwer zu ahnen, worauf er hinaus wollte, mit jedem weiteren Wort, das er von sich gab. Sie... war nur für den Moment sprachlos. Mehr noch, gedankenlos. In ihrem Kopf herrschte für Bruchteile von Augenblicken gähnende Leere. Sie hörte seine Worte, sie konnte sie auch richtig einordnen, wusste, was sie bedeuteten – aber sie wusste im ersten Moment nichts damit anzufangen, oder besser: wusste nicht, was sie davon halten sollte.
Als der Quintilius dann schließlich aussprach, was Seiana schon vor einigen Sätzen zu ahnen begonnen hatte, stellte sie zunächst, mit einer ruhigen, bedächtigen Bewegung, ihren Becher zur Seite. Eine eheliche Verbindung. Zwischen Decimern und Quintiliern. Zwischen ihr und ihm. Jetzt war es an ihr, einzuatmen und sich aufzurichten. Sie suchte nach einem Lächeln in sich, aber sie fand keins, und so blieb ihre Miene wie sie war – aufmerksam, ernst, aber nicht angespannt, wie sie es innerlich plötzlich zunehmend war. „Ich fühle mich geehrt, Quintilius.“ Dann zuckte es leicht um ihren linken Mundwinkel, was entfernt als Andeutung eines Lächelns gelten mochte, genauso gut aber auch Teil eines ansonsten unterdrückten Gesichtsausdrucks sein konnte, der in seiner Gesamtheit Verwirrung und Überraschung preis gegeben hätte. „Verzeih mir, du hast mich... ein wenig überrascht, muss ich zugeben. Ich hätte mit einigem gerechnet, aber nicht damit.“ Vielleicht, nein, sicher sogar war Offenheit nun, bei diesem Thema, wohl das Beste, womit sie taktieren konnte. Quintilia. So weit sie wusste, hatte diese Gens nicht wirklich einen herausragenden Politiker oder Militär gestellt, was sie im direkten Vergleich mit der Decima schlechter abschneiden ließ. Sie selbst allerdings, da machte sie sich nichts vor, konnte nicht allzu viele Ansprüche stellen, nicht mehr – sicher, da war ihre Familie, die nach wie vor wichtige, in Rom bekannte Männer stellte; da war der Reichtum, über den die Gens und auch sie verfügte; da war sie, ihre Ausbildung, ihre Fähigkeiten, ihr Aussehen, was sie, alles zusammen genommen, sicher zu keiner schlechten Ehefrau machen würde. Andererseits: da war sie. Sie besaß Betriebe, nicht nur nominell, sondern wahrhaftig, die sie selbst verwaltete; sie arbeitete in der Schola; sie war Auctrix; sie tat Dinge, die von einer Frau von stand nicht wirklich erwartet wurden, die nicht wirklich... schicklich waren, und sie tat sie, obwohl sie das nur zu genau wusste; vielleicht sahen manche das sogar als Vorteil ein, weil sie Macht hatte, Einfluss, aber im Großen und Ganzen waren Männer dann doch eher geneigt, sich Ehefrauen zu wählen, die sich auf den Bereich beschränkten, der ihnen gesellschaftlich zugebilligt wurde, um dort Einfluss auszuüben; und: sie war unverheiratet, immer noch, nach einer Dauerverlobung mit einem Aelier, der sie dann sitzen gelassen hatte für eine andere, jüngere, und sie war bereits Mitte 20, da gab es kein Leugnen. Zu alt, um zum ersten Mal zu heiraten. Was ihre Vorteile zwar nicht aufhob, aber doch senkte. Genug, dass sie dies umgekehrt bei ihren Ansprüchen bedenken musste.
Sie hatte sich genug gefangen, um nun doch wieder ein Lächeln aufsetzen zu können, auch wenn es nicht mehr war als das für sie so typische, vage Lächeln. „Quintilius. Du hattest sicher Zeit, Informationen einzuholen und dir deine Gedanken zu machen. Über mich, über meine Familie, über eine mögliche Verbindung. Ich hatte diese Zeit nicht, deswegen hoffe ich du akzeptierst, dass ich dir einige Fragen stelle, bevor ich dir antworte.“ Allein dass sie Fragen stellte, zeugte jedoch davon, dass sie durchaus nicht uninteressiert war. „Was ist dein Plan für deine Zukunft? Deine Karriere? Du hast gesagt, eine weitere Amtszeit als Duumvir würde dich reizen, allerdings habe ich gehört, dass du zu den Wahlen nicht angetreten bist. Was wird dein nächster Schritt sein – und wo siehst du dich in, sagen wir, fünf Jahren?“