Geschätzter Onkel,
ich danke dir für deinen Brief, sowohl für die Nachricht, dass es offenbar zu Verstimmungen gekommen ist aufgrund eines Berichts in der Acta, als auch für die Offenheit, in der du mit mir sprichst. Ebenso möchte ich mit dir sprechen – und so verzeih mir bitte die folgenden Worte, wenn sie zu viel der Offenheit in sich tragen.
Es betrübt mich zu hören, dass ein Bürger Roms sich durch die Acta derart angegriffen gefühlt hat. Noch mehr betrübt mich, dass dieser Bürger es ganz offensichtlich nicht wagt, mit seinen Vorwürfen zu mir persönlich zu kommen, sondern dich bemüht – daher sei an dieser Stelle versichert, dass ich das Gespräch mit dem Iulier suchen werde. Am meisten betrübt mich jedoch die Tatsache, dass du auf diese Beschwerde in dieser Form reagiert hast.
Eingedenk meiner Worte zu Beginn dieses Briefs möchte ich in aller Offenheit weiter fortfahren, auch wenn dies vielleicht unangemessen erscheint.
Allen voran steht die Tatsache: die Acta, und mit ihr ich als Auctrix, ist allein dem Senat verpflichtet, und damit dem Volk von Rom. Ich urteile nach bestem Wissen und Gewissen, welche Berichte ich veröffentliche – sollte mir hierbei ein Fehler unterlaufen, so werde ich mich meiner Verantwortung, die dieses Amt mit sich bringt, nicht entziehen und die Konsequenzen dafür tragen. Aber ich kann und werde Berichte nicht ignorieren und unter den Tisch kehren, nur weil sie unangenehm sind oder sein könnten, wenn sie in meinen Augen eine ausreichende Grundlage haben.
Ein weiterer kritischer Punkt, den du erwähnst, ist deine Freundschaft mit dem Iulier, die offenbar sogar in einer Hochzeit gipfeln soll. Abgesehen davon, dass ich mich als Auctrix nicht der Parteilichkeit schuldig machen darf: in meinen Augen sind die Iulier nicht die beste Wahl für eine eheliche Verbindung. Iulius Centho, so ist zu hören, steht nicht auf dem schlechtesten Fuß mit Vescularius Salinator, der nicht wirklich als Freund unserer Familie zu bezeichnen ist. Darüber hinaus wird die Gens Iulia von einer derartigen Verbindung weit mehr profitieren als dies umgekehrt der Fall ist. Um nur einmal dich als Beispiel anzubringen: Du bist nicht nur Senator, du bist Legat und Kriegsheld, hast an der Seite des Divus Iulianus gekämpft. Ich maße mir nicht an, deine Entscheidungen in Frage zu stellen, jedoch können die Iulier in meinen Augen froh darum sein, wenn sie eine eheliche Verbindung zu einer Gens wie der unseren in Aussicht haben. Mit der Drohung, eine womöglich schon geplante Verlobung doch nicht durchzuführen, würden sie sich nur ins eigene Fleisch schneiden, Onkel, dies solltest du bedenken.
Wo wir allerdings gerade bei unangenehmen Themen sind, die unsere Familie betreffen: ich muss dich leider auch über etwas informieren, was Titus Verus betrifft, ein Abkömmling der griechischen Linie der Decima. Bereits vor einiger Zeit hat er mir mitgeteilt, er habe sich mit einer Octavia verlobt, Octavia Varena, um genau zu sein. Ich habe bis dato nichts von weiteren Planungen gehört; nachdem jedoch der Prozess gegen dich zu Ende war, den, wie du weißt, Octavius Macer gegen dich geführt hat, habe ich das Gespräch mit Verus gesucht – leider erfolglos. Er beharrt darauf, die Octavia zu heiraten, unabhängig von dem Signal, dass eine solche Aktion setzen würde; bei unserem Gespräch ließ er verlauten, er sehe sich selbst außerhalb jeglicher Politik und der gesellschaftlichen Kreise, die sie betrifft. Stattdessen sprach er in einer Weise von Liebe, dass fast schon zu befürchten ist, er gehöre den Christianern an.
Ich habe versucht, ihm ins Gewissen zu reden – jedoch scheint augenblicklich unser einziger Hoffnungsschimmer der zu sein, dass sich ein Verwandter der Octavia gegen die Verbindung stemmt. Vielleicht könntest du ihm als Familienoberhaupt schreiben und dein Gewicht in dieser Sache geltend machen. Ich denke doch, dass das Ansehen unserer Familie auch für Verus etwas zählen sollte.
Nun aber zu erfreulicheren Nachrichten. Der Überbringer dieser Botschaft, Quintilius Sermo – wohl ein Verwandter des Mannes, den du zu mir geschickt hast mit deinem großzügigen Geschenk, für das ich dir an dieser Stelle übrigens ein weiteres Mal danken möchte –, trägt sich mit dem Gedanken mich zu heiraten. Er hat in Rom bereits mit mir darüber gesprochen, und ich stehe seinem Ansinnen durchaus positiv gegenüber. Die Gens Quintilia mag derzeit keine wirklich herausragenden Männer zu den ihren zählen, im Gegensatz zur Decima, jedoch denke ich in meinem Fall, dass dies durch mein Alter durchaus aufgehoben ist. Davon abgesehen wirkt Quintilius Sermo auf mich vernünftig und ehrgeizig – genug, um noch einiges zu erreichen, was unserer Gens zuträglich sein wird. Ich bitte dich, dich ebenso mit ihm zu unterhalten und sein Ansinnen wohlwollend zu prüfen. Sofern weder du noch Faustus gravierende Einwände habt, würde ich seinem Antrag zusagen.
Von Faustus habe ich vor einiger Zeit einen Brief erhalten, und allem Anschein nach geht es ihm so weit gut. Die Legio XII ist derzeit auf einem Feldzug unterwegs; ich denke, du musst dir keine Sorgen machen, wenn du nichts von ihm hörst. Es dürfte äußerst schwierig sein, unter diesen Umständen Briefe zu versenden und zu überbringen. Das war es schon zu besten Zeiten des Cursus Publicus, und nun sind bei dieser Institution, wie du vermutlich gemerkt haben dürftest, andere Zeiten angebrochen. Kannst du dir vorstellen, dass sie den Postverkehr nach Germanien im Augenblick gänzlich eingestellt haben? Ich bin froh, dass ich diesen Brief dem Quintilius mitgeben kann, und ich denke, in Zukunft werde ich mich häufiger auf private Boten verlassen.
Mögen die Götter deinen Weg stets behüten!
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