Beiträge von Decima Seiana

    Zitat

    Original von Potitus Vescularius Salinator
    Potitus reichte der jungen Frau mit Freuden das Mostbrötchen und nahm sich selbst gleich auch noch eines. Während er dieses genüsslich schmatzte, kam auch schon die erste Frage. "Klar, meine Sklaven spuren hervorragend!" antwortete er freimütig. Etwas anderes gab es ja kaum in seiner Familia, denn ob seine Konkubine Urania die nächsten Iden überleben würde, war mehr als unklar!


    „Das freut mich zu hören.“ Der Praefectus Urbi schien gar nicht daran zu denken, es ihr irgendwie leicht zu machen. Nicht einmal dadurch, dass er einen Hinweis darauf gab, ob ihm dieser Einstieg ins Gespräch – der eigentlich noch kein Teil ihrer eigentlichen Fragen war – gefiel oder nicht. Für den Bruchteil eines Augenblicks zögerte Seiana, rasend schnell überlegend, wie sie weiter vorgehen sollte. Es mochte nicht gänzlich unriskant sein, die Höflichkeiten beiseite zu tun und einfach anzufangen. Andererseits... oberflächliches Geplänkel wäre höflich, brachte sie aber nicht im Geringsten weiter, nicht einmal dahingehend, dass es ihren Gesprächspartner ein wenig zu öffnen schien. Im Zweifelsfall ging es nur von ihrer Zeit ab, von der sie keine Ahnung hatte, wie knapp sie bemessen sein mochte. Einen winzigen Augenblick musterte sie den Vescularius, dann kam sie zu einem Entschluss. Sie lächelte erneut. „Ich muss gestehen, ich hätte eine Menge Fragen an dich, vermutlich weit mehr, als möglich sein werden. Wie viel Zeit würdest du mir einräumen für unser Gespräch?“

    Seiana hatte ebenfalls davon gehört, dass der Prudentius verschollen schien – selbstverständlich, immerhin gehörte das zu einem der beliebtesten Klatschthemen Roms derzeit. Und es interessierte sie durchaus, was wohl mit dem Mann sein mochte... aber auch sie fand, dass dies ein Thema eines anderen Abends wäre, wie Vespa sagte. Schon allein, weil Seiana sich vor allem aus beruflicher Hinsicht für den Verbleib des Prudentius interessierte, und das hatte heute hier ganz sicher nichts zu suchen. „Mögen die Götter ihn behüten und zu dir zurück geleiten“, war das einzige, was sie auf Vespas Worte ihren Mann betreffend sagte, den Wunsch der Aelia respektierend, heute nicht darüber reden zu wollen.


    „Ganz unabhängig davon würde ich mich freuen, wenn wir uns häufiger treffen würden.“ Seiana registrierte auch, durchaus mit einer gewissen Erleichterung, dass Vespa mit keinem Wort Caius anschnitt oder was damals vorgefallen sein mochte, und so veränderte sich ihr Lächeln, wenn auch kaum merklich. Bisher ihr übliches, aufgesetztes, das sie jedoch so perfektioniert hatte, dass kaum ein Unterschied zu merken war, wurde es nun ein wenig aufrichtiger – was sich höchstens an dem wärmeren Ausdruck ihrer Augen erkennen ließ. „Das klingt hervorragend. Wie alt ist er denn inzwischen?“

    Der Sklavenjunge führte Verus in die Bibliothek, zu einer gemütlichen Sitzecke, in der Seiana es sich mit einer Schriftrolle bequem gemacht hatte, sowie einer Wachstafel und einem Stylus, mit dem sie sich hin und wieder Notizen machte. Als der Sklave räusperte, sah sie auf, und ein Lächeln erschien auf ihren Lippen. „Verus“, begrüßte sie ihn, sich zugleich erhebend. „Es freut mich, dass du die Zeit gefunden hast herzukommen. Wie geht es dir?“ Mit einer leichten Geste bot sie ihm an, Platz zu nehmen, und noch in der gleichen Bewegung wies sie auf die Karaffe mit verdünntem Wein, die auf dem kleinen Tisch stand. „Möchtest du etwas trinken?“ Parallel zu ihren Worten stellte der Sklave einen weiteren Becher auf den Tisch und wartete auf Verus' Worte, die ihm bestätigten einzuschenken oder nicht.

    [Blockierte Grafik: http://img169.imageshack.us/im…3/sklaveianitorfr0rt1.jpg]


    Und wieder öffnete sich die Tür, und Marcus sah hinaus. Doch diesmal musste er nicht lange fragen – zum einen war ihm Bescheid gesagt worden, wer dieser Tage zu Besuch erwartet wurde, zum anderen kannte er den Mann, der vor ihm stand. „Dominus Verus!“ Ein Lächeln breitete sich auf dem faltigen Gesicht aus. „Willkommen. Ich lasse Domina Seiana Bescheid geben, bitte, tritt ein.“ Sein junger Gehilfe machte sich gleich auf den Weg, um Verus in die Bibliothek zu bringen, wo er wusste, dass die Decima sich gerade aufhielt.





    IANITOR - GENS DECIMA

    Der Ianitor hatte sie durchgewunken, als ihr Sklave die Einladung der Aelia vorgezeigt hatte, und Seiana war ohne weitere Verzögerung zum Oecus geleitet worden. Ihre Aufmachung ließ sich knapp beschreiben wie stets: schlicht, aber elegant. Die Tunika war von einem cremefarbenen, feinen Stoff, nur die Säume waren mit hauchdünnen, dunkelroten Stickereien verziert. An ihren Ohrläppchen baumelten zwei ebenso dunkelrote Tropfen, in mattes Silber gefasst, ansonsten trug sie keinen Schmuck, weder um den Hals noch in den Haaren, die in einer Frisur nach hinten gesteckt waren, die sich wie ihre ganze Aufmachung beschreiben ließ.


    Die Gastgeberin war bereits anwesend, aber sonst war noch niemand zu sehen. Seiana ließ ein Lächeln um ihre Mundwinkel spielen, als sie auf die Aelia zuging, während sie zugleich jeden Gedanken an das letzte Mal verbannte, als sie sie gesehen hatte – als sie mit Caius zum Essen geladen war. Als sie mit Caius noch verlobt gewesen war. „Vespa.“ Die Anrede wirkte irgendwie unvertraut, hatten sie sich doch etwas länger nicht gesehen, und generell tendierte Seiana dazu, den Gensnamen eher zu lang zu nutzen denn zu früh zu einer vertrauteren Anrede zu wechseln, aber auch davon ließ sie sich nichts anmerken. „Nochmals vielen Dank für deine Einladung. Wie geht es dir? Was macht deine Familie, geht es deinem Sohn gut?“

    Diesmal war das Schmunzeln ein feines, das um ihre Lippen spielte. „Erstaunlich. Setzt du den Pfau mit Iuno gleich und den Adler mit Iuppiter; gehst du dann noch davon aus, dass beide die jeweils mächtigsten Vertreter ihres Geschlechts sind und damit durchaus repräsentativ; dann verdeutlicht das Bildnis letztlich, wie es um die Machtverhältnisse in der Ehe bestellt ist. Ich hätte nicht erwartet, dass Männer sonderlich amüsiert sind über die... nun, sagen wir, Darstellung der Männlichkeit.“ Vermutlich dachten Männer einfach nicht weit genug, um diesen kleinen Bildausschnitt so zu interpretieren. Vielleicht hatte sich noch nicht einmal der Künstler etwas dabei gedacht, aber das wiederum war für Seiana schwer vorstellbar, dachten sich Künstler doch in der Regel immer irgendetwas, gerade wenn sie etwas außer der Reihe machten. Sie folgte dem Quintilius aus dem Kapitol hinaus auf die Straße und deutete ein leichtes Heben der Schultern an. „Mein Anspruch an mich ist in der Tat letzteres, nicht ersteres“, erwiderte sie nur ruhig, ohne den Mann dabei anzusehen, während sie die Treppen hinunter ging und sie gemeinsam den Weg Richtung Theater einschlugen. Sonderlich von sich reden zu machen, lag nicht in ihrer Absicht, auch wenn es sich nicht immer vermeiden lassen würde.


    Während sie weiter gingen, nickte Seiana hin und wieder zum Zeichen, dass sie ihm zuhörte, bestätigte so auch, dass sie tatsächlich diesen Weg genommen hatte, und musterte mit wachen Augen ihre Umgebung. Die Menge um sie herum nahm zu, und Seiana bewegte sich mit Bedacht. In aller Regel mochte sie es nicht, wenn Menschen ihr zu nahe kamen, und so achtete sie beinahe unbewusst darauf, so wenig wie möglich zu berühren. Sie blieb selbstverständlich an der Seite des Duumvirs, aber wann immer sich ihr eine Möglichkeit ergab, wich sie geschickt den Menschen aus, suchte sich ihren Weg so, dass es fast scheinen mochte, als umgebe sie eine unsichtbare Membran, die verhinderte, dass ihr irgendjemand zu nahe kommen konnte. „Nun, du ziehst deutlich weniger Aufmerksamkeit auf dich ohne Liktoren. Ich kann nachvollziehen, dass das angenehm ist.“ Liktoren mochten physischen Platz schaffen, aber Seiana, die Aufmerksamkeit, Anstarren beinahe ebenso aufdringlich empfand wie unerwünschte körperliche Berührung, würde es doch stets vorziehen, sich selbst ihren Weg durch eine Menge zu suchen. Sie zeigte ein vages Lächeln, als der Quintilius nun von den Geschäften sprach und sie erläuterte, zeigte aber keine gesteigerte Aufmerksamkeit. Sie mochte einkaufen nicht – am liebsten war es ihr, wenn sie die Dinge, die sie brauchte, einfach bekam, ohne lange danach suchen zu müssen. Was sie hin und wieder zu einem ehrlichen Schmunzeln brachte, war der Unterton, den sie manchmal zu vernehmen glaubte während der Erläuterungen, und in der Regel waren es diese Kommentare, die eher sarkastisch waren, auf die sie in gleicher Art einging. Während sie sich dann allerdings den republikanischen Tempeln näherten, lenkte Seiana das Gespräch wieder in eine allgemeinere Richtung. „Was gefällt dir an Ostia am besten?“

    [Blockierte Grafik: http://img169.imageshack.us/img169/8343/sklaveianitorfr0rt1.jpg]


    Nach dem Klopfen dauerte es einen kleinen Moment, bis sich die Tür öffnete - der Ianitor war bei weitem nicht mehr der jüngste, an seiner Zuverlässigkeit jedoch gab es nicht den geringsten Zweifel, weswegen die Herrschaften nach wie vor keinen Gedanken daran verschwendeten, ihn etwa zu ersetzen. Die Tür öffnete sich also, und Marcus erschien, den Besucher musternd. „Salve. Wie kann ich dir behilflich sein?“





    IANITOR - GENS DECIMA

    Seiana bemerkte das Schmunzeln des Quintilius aus den Augenwinkeln, und auch um ihre Lippen zuckten es erneut ein wenig in Reaktion darauf, aber sie sagte nichts weiter. Die Weiber waren es nicht wert, so einfach war das. Das Kapitol hingegen verdiente deutlich mehr ihre Aufmerksamkeit als irgendwelche Frauen, die nicht einmal die grundlegendsten Regeln der Höflichkeit und des Anstands beherrschten. Sie wollte sich Zeit lassen, den Raum zunächst in seiner Gänze zu betrachten, folgte dann aber bereitwillig dem Duumvir, als dieser sie dichter an die Gemälde heranführte, auch wenn sie sich nach ein paar Schritten fragte, weshalb er sie ins hinterste Eck brachte. Als sie dann aber sah, was der Quintilius ihr zeigen wollte, wanderte eine ihrer Augenbrauen unwillkürlich ein Stück nach oben. Sie warf dem Mann an ihrer Seite einen Blick zu, nur um dann noch einmal das Detail des Gemäldes zu betrachten, auf das er hingewiesen hatte. „Interessant. Ich bin mir nicht sicher, ob das im Sinne des Erfinders ist...“ Sie erlaubte sich ein Lächeln, das beinahe als schwaches Grinsen durchgehen mochte. „Ich frage mich, wie vielen Männern wohl diese Darstellung gefällt.“ Wieder ein Blick in Richtung des Quintiliers, ein wenig auffordernd diesmal, denn obwohl sie ihre Worte nicht als Frage formuliert hatte, konnte man sie durchaus so verstehen. Bei der nächsten Abbildung verzogen sich ihre Lippen tatsächlich zu einem Schmunzeln. „Nun, jedem das Seine. Vielleicht glaubte der Künstler daran, dass eine wahre Muse ihrer Bestimmung nur nachkommen kann, wenn sie jeder Laune nachgibt.“ Hätte ihr Schmunzeln nicht gereicht, spätestens der amüsierte Klang ihrer Stimme würde deutlich machen, dass sie diese Worte nicht ganz im Ernst von sich gab. „Vielleicht hatte er ja auch handfeste Vorbilder.“


    Langsam bewegten sie sich anschließend wieder in die Mitte des Raums zurück, wo sie ihre Blicke wieder schweifen ließ – bis der Quintilius seine Frage von zuvor wieder aufgriff, der Seiana schon entkommen zu sein glaubte. „Genau genommen habe ich deine Frage gar nicht beantwortet, fürchte ich. Verzeih“, erwiderte sie, nun wieder mehr höflich, in ihrer Antwort aber nichtsdestotrotz eine Entschuldigung formulierend. „Nun, zuvor... ich bin bereits seit längerem bei der Acta tätig, war zunächst freie Mitarbeiterin, dann Subauctrix und wurde schließlich Lectrix. Keine Positionen von der Sorte, die in der Öffentlichkeit viel Erwähnung finden.“ Wieder ein vages Lächeln. Sie könnte nun noch von ihren Betrieben erzählen, oder von ihrer Arbeit in der Schola, oder dem Unterricht, dem sie selbst dort regelmäßig folgte, aber seine Frage war weit genug gefasst, um nicht näher als nötig darauf einzugehen, fand sie.

    Mit ruhigem Gesichtsausdruck, nur die Andeutung eines Lächelns darauf, nahm sie die Informationen auf, während sie ihm zum Capitolium folgte. „Das freut mich zu hören“, erwiderte sie, offen lassend ob sie es auf seine erneute Kandidatur bezog oder darauf, dass ihm seine Arbeit ganz offensichtlich genug reizte, um sie eine weitere Amtszeit zu tun. Die Gegenfrage dann allerdings ließ das ohnehin nur vage Lächeln verschwinden, was ihre Gesichtszüge einen Hauch kühler wirken ließ. Fragen über sie selbst beantwortete sie nicht allzu gerne, zu viele Dinge gab es inzwischen, die sie in ihren Augen zu weit von dem Idealbild einer römischen Frau entfernt hatten. Aber sie selbst hatte eingewilligt, das Officiums zu verlassen – und damit die Sicherheit des offiziellen Rahmens, den ihr Gespräch hatte. Die Sicherheit, dass nicht sie Mittelpunkt des Gesprächs werden konnte, oder dass es auch nur auf Gegenseitigkeit beruhte, was sie von sich preisgaben.


    „Du hast Recht.“ Als Seiana dann zu einer Antwort ansetzte, ließ sie, bewusst, wieder ein vages Lächeln erscheinen. „Meine Ernennung ist noch nicht lange her. Davor war ich...“ In diesem Moment wurde sie unterbrochen, als ihnen auf der Treppe des Kapitols zwei Frauen entgegen kamen – die sich wie auf ein lautloses Stichwort dem Duumvir an ihrer Seite zuwandten, kaum dass sie ihn gesehen hatten. Seiana betrachtete das Intermezzo schweigend und ohne Gesichtsregung, während sie sich innerlich fragte, ob es sie nun wundern sollte oder nicht, dass die beiden sie völlig außen vor ließen. Als der Quintilius die beiden abgefertigt hatte – zugegeben rascher, als Seiana erwartet hatte, aber mittlerweile begann sie sich fast ein wenig daran zu gewöhnen, dass ihr als Auctrix nun eine etwas andere Behandlung zuteil wurde –, lächelte sie kühl auf die Worte hin, die ihr zugedacht waren. „Nun, ich hatte nicht den Eindruck, als hätte die Redseligkeit mir gegenüber unangenehm werden können. Wo doch offenbar selbst eine simple Begrüßung schon zu viel zugemutet scheint.“ Im Klang ihrer Stimme schwang feiner Sarkasmus mit, aber sie verkniff sich den deutlich schärferen Nachsatz über schlichte Gemüter von oberflächlichen Damen, oder anders ausgedrückt: dumme Weiber. Sie ertappte sich immer häufiger dabei, wie sie zuwenigst in Gedanken stetig abfälliger wurde, schärfer über andere urteilte. Das einzig Positive an den beiden war, dass sie sie unterbrochen hatten – was Seiana dazu verleitete, über die Frage des Quintilius nun hinweg zu gehen, als hätte sie sie bereits beantwortet.


    Mit einem für ihre Verhältnisse durchaus gebührenden Ausdruck von Bewunderung sah sie sich anschließend im Tempel um, musterte die Wandmalereien, die Statuen, die Verzierungen, und genoss die ruhige Atmosphäre, die sich eingestellt hatte, kaum dass sie das Gebäude betreten hatten. „Wir werden sehen“, antwortete sie dem Duumvir mit einem leichten Lächeln. „Beeindruckend ist es in jedem Fall.“

    Ein Bote der Casa Decima gab folgenden Brief ab:


    Titus Decimus Verus
    Casa Germanica
    Roma


    Geschätzter Verus,


    zu lang ist in meinen Augen unser letztes Treffen her – ich würde mich freuen, würdest du in den nächsten Tagen die Casa Decima aufsuchen und mir einen Besuch abstatten, so dass wir uns wieder einmal unterhalten können. Falls du es nicht einrichten kannst, so lass mir eine Nachricht zukommen und ich besuche dich in der Casa Germanica, so du dies vorziehst.


    Mögen die Götter deinen Weg behüten,


    [Blockierte Grafik: http://img77.imageshack.us/img77/1586/seianaunterschrift2aj2.png]

    Zitat

    Original von Potitus Vescularius Salinator
    Potitus stopfte gerade ein Mostbrötchen in sich hinein, als die Tür aufging und diese Decima Seiana hereinkam. Das war doch auch eine Klientin von diesem Corvinus gewesen! Tja, was für Pech, dass ihr Patron jetzt tot war...


    "Ave." antwortete er schließlich mit vollem Mund und setzte sich auf. "Auch ein Mostbrötchen?" Er griff nach einem weiteren der Leckerbissen und hielt sie der Auctrix mit seinen fettigen Fingern unter die Nase.


    Seiana verzog keine Miene bei dem Anblick, der sich ihr bot. Zu lange hatte sie sich genau darin geübt, als dass ihr ihre Gesichtszüge dabei entgleiten würden, wenn sie einen Mann sah, der ihr oder einem Treffen mit ihr wenig Wertschätzung entgegen brachte. In eine Zwickmühle allerdings brachte er sie gleich darauf, als er ihr etwas anbot. Sie wollte nicht. Nicht das, nicht so. Andererseits war ihr bewusst, wie eine Ablehnung auf ihn wirken könnte. Und so war es nicht Letzteres, wofür sie sich nach dem Bruchteil eines Moments entschied. „Ich danke dir“, lächelte sie, während das Mostbrötchen von ihm entgegennahm und sich setzte. „Ich hoffe, dir und deiner Familie geht es gut.“ Ein erstes Abklopfen, sozusagen, um herauszufinden, wie sich der Vescularier unterhielt, wie er sprach. Gespräche dieser Art zu führen hieß immer auch, sich bis zu einem gewissen Grad anzupassen an den Stil des Gegenübers – je höher er stand, je wichtiger er war oder das, was er zu sagen hatte, desto mehr. Sie hatte das inzwischen schon deutlich mehr als einmal gemacht, mit Menschen gesprochen, über die sie schreiben wollte, von denen sie etwas wissen wollte, Informationen brauchte. Aber noch nie mit einem Mann, der eine solche Macht besaß, wie ihr in diesem Augenblick schmerzlich bewusst wurde. Ein Einstieg in ein Gespräch ließ sich immer irgendwie finden, es sei denn das Gegenüber blockierte völlig – aber ein misslungener Einstieg konnte immer auch bedeuten, dass es am Ende nichts Greifbares für sie gab. Und so blieb sie aufmerksam und achtete auf jedes Zeichen, das ihr sagen könnte, ob sie gerade auf dem richtigen Weg war oder nicht, während sie nun etwas von dem Mostbrötchen abbiss, das er ihr gegeben hatte.

    Seiana folgte ihm zum Forum und sah in die Richtungen, in die der Duumvir wies. Es war etwas anderes, sich von einem Offiziellen die Stadt zeigen zu lassen, merkte sie. Der Mann war bekannt, und die Menschen reagierten entsprechend darauf, in der ein oder anderen Form. Seiana war sich nicht so ganz sicher, ob ihr das gefiel, aber sie ignorierte die Aufmerksamkeit schlichtweg, die ihm und damit irgendwie auch ihr zuteil wurde, tat so, als merke sie es überhaupt nicht. Sie zog es vor, sich auf den Quintilius zu konzentrieren, der weiter erklärte und, im Gegensatz zur Basilica, die Tempel durchaus zu einer Besichtigung empfahl. Ein Lächeln zupfte an ihren Mundwinkeln, als er ihr die Entscheidung überließ, und sie neigte leicht den Kopf in Richtung des von ihr gewünschten Bauwerks. „Ich würde gerne das Capitolium ansehen, wenn es dir recht ist. Wie lange bist du nun schon eigentlich Duumvir?“ fügte sie ohne ersichtlichen Übergang an.

    Keine Überraschung, zumindest jetzt noch nicht. Seiana war gespannt, ob diesen Worte des Duumvirs tatsächlich noch etwas folgte, was ihnen Wahrheitsgehalt verlieh, oder ob sie einfach nur so dahin gesagt waren. Zumindest der erste Teil war rasch bewiesen, denn wie angekündigt folgte tatsächlich das, was auch zu erwarten gewesen wäre. Nachdem sie die Curia verlassen hatten und auf die Straße getreten waren, blieb der Quintilier stehen und erläuterte mit wenigen Worten, was zu sehen war, während er es schaffte gleichzeitig klar zu machen, dass die Basilica keine genauere Besichtigung wert war. Seiana lächelte flüchtig. „Nein, ich denke von innen muss ich sie nicht sehen.“ Sie ging nicht davon aus, dass sie großartig anders sein würde als die, die sie kannte – und auch der Anblick auf den Straßen war nur allzu vertraut. Weniger aus Tarraco, wo sie doch die meiste Zeit außerhalb der Stadt auf dem Landgut ihrer Familie verbracht hatte, als vielmehr aus Alexandria und Rom. „Weiter?“ Die Frage war verbunden mit einem erneuten, flüchtigen Lächeln in seine Richtung.

    Wie an jedem anderen Prozesstag zuvor war Seiana auch zur Urteilsverkündung erschienen. Und ihre Befürchtungen bewahrheiteten sich: Livianus wurde verurteilt, in beiden Fällen. Schon während der Beweisführung war im Grunde klar geworden, dass es wenigstens im ersten Fall nicht viel zu deuten gab… Und die Plädoyers hatten es nicht besser gemacht. So… knapp das des Octaviers auch gewesen sein mochte, er hatte schlicht und ergreifend den Vorteil, auf klare Vorschriften verweisen zu können. Ob er sich nicht die Mühe hatte machen wollen, oder ob er es schlicht nicht konnte, vermochte Seiana nicht so genau zu beurteilen, obwohl sie schon während der Verhandlung den Eindruck gewonnen hatte, dass der Octavius nicht der beste Rhetoriker war. Für diesen Fall jedoch war es egal gewesen. Die Fähigkeiten des Octaviers als Anwalt waren nicht gefordert gewesen, und Seiana hatte den Verdacht, dass selbst ein Kind diese Sache nicht hätte verbocken können. Mattiacus andererseits hatte zwar eine bessere Leistung gezeigt, fand sie, vor allem war das Schlussplädoyer weit besser gewesen – aber gebracht hatte es nichts. Wenn überhaupt hatte er die Richter mit seinem letzten Kommentar gegen sich aufgebracht, wie der Blick des Praetors gezeigt hatte.


    Das Urteil selbst war also keine Überraschung. Was allerdings für Aufsehen sorgte – und Seiana nicht nur erstaunte, sondern ihr auch ein wenig ein mulmiges Gefühl verpasste –, war das Erscheinen des Praefectus Urbi, mitsamt seinen Leibwächtern. Allein dass er hier war hieß doch, dass er in irgendeiner Form Interesse an diesem Prozess und seinem Ausgang hatte, und es war nicht schwer zu vermuten, dass er nicht auf Livianus’ Seite stand, nicht nach der Rede im Senat, die dieser gehalten hatte vor einiger Zeit. Und die Reaktion des Vesculariers, als das Urteil verkündet wurde, sprach für sich. Nachdenklich verließ Seiana das Gebäude, als die Verhandlung endgültig geschlossen wurde, und machte sich auf den Heimweg.

    „Ich danke dir“, nickte Seiana dem Scriba zu, bevor sie seinen Worten folgte und zur Tür des Officiums trat, wo sie kurz anklopfte und – nachdem die entsprechende Aufforderung gekommen war – eintrat. „Salve, Praefectus Urbi.“ Ein Lächeln begleitete den Gruß, während sie den Mann musterte, den man durchaus als den zweitmächtigsten im ganzen Reich bezeichnen konnte. Den mächtigsten, glaubte man manchen der zahlreichen Gerüchte, die auf den Märkten erzählt wurden. Das war einer der Gründe gewesen, die sie dazu bewegt hatten, um diesen Termin zu bitten. Und sie hatte sich vorbereitet, hierfür, so gut es ging – genug erzählt wurde über den Vescularier ja. Aber genau das machte es wiederum schwierig, weil sie keine Ahnung hatte, was davon nun der Wahrheit entsprach. Und was dieses Gespräch noch schwerer einschätzbar für sie werden ließ war das, was sich bei der Urteilsverkündung gegen ihren Onkel ergeben hatte. Nicht das Erscheinen des Praefectus Urbi, aber wie er sich dort gegeben hatte, ließen durchaus den Schluss zu, dass er etwas gegen ihre Familie hatte – oder wenigstens gegen ihren Onkel. Was wiederum wenig verwunderlich war nach der Rede, die Livianus im Senat gehalten hatte, bevor er nach Germanien gegangen war. Nichtsdestotrotz blieb ihr Lächeln aber unverändert. „Ich danke dir, dass du meiner Bitte um ein Gespräch nachgekommen bist.“

    „Sag einfach Bescheid, falls du etwas möchtest“, lächelte Seiana. Sie musterte die Aurelia, während diese ihrer Sklavin die Erlaubnis gab, sich zurückzuziehen. Der decimische Sklave würde sie wohl in die Küche bringen, der übliche Aufenthaltsort für Sklaven von Besuchern, die länger hier verweilten. Zurück blieben die beiden Frauen, alleine nun, und setzten sich. Seiana wusste nicht, wie es ihrem Besuch ging, aber nachdem nun die erste Begrüßung vorbei war, fühlte sie sich fast ein wenig unbeholfen. Ihr letztes Gespräch war für sie nach wie vor präsent, und es hatte sich – durchaus angenehm – abgehoben von jenen, die man sonst so führte mit Fremden. Allerdings: eine Atmosphäre, wie sie beim letzten Mal entstanden war, ließ sich nicht mit einem Fingerschnipsen kreieren. Sie ließ sich im Grunde gar nicht wirklich kreieren, da sie einfach entstanden war, aus der Lektürewahl der Aurelia und ihrer beider Offenheit. Dass sich an jenem Tag letztlich zwei einander Fremde unterhalten hatten, die sich nicht wirklich kannten, hatte damals, zeitweise zumindest, keine Rolle gespielt. Aber jetzt war das spürbar, für Seiana in jedem Fall, und es machte sie ein wenig unschlüssig, wie sie mit der Situation nun umgehen sollte.


    Die Frage der Aurelia löste dies allerdings für den Moment – und machte es zugleich paradoxerweise noch schwieriger. Unwillkürlich bekam die Decima das Gefühl, dass die Frage ernst gemeint war, dass es die andere tatsächlich interessierte… eines der Dinge jedoch, die sie am meisten beschäftigte, konnte sie ganz sicher nicht erwähnen. Sie schob jeglichen Gedanken an den Duccier, an das, was passiert war und daran, wie sie es einordnen, wie sie damit umgehen sollte, beiseite, oder versuchte es zumindest. Sie hatte in der Tat genug darüber gegrübelt, ohne auch nur ansatzweise zu einem Ergebnis gekommen zu sein – zu widerstreitend war das, was die Erinnerung an jene Nacht in ihr auslöste.
    Da war der Teil, der darauf beharrte, dass sie sich dadurch weiter denn je vom Idealbild einer Römerin entfernt hatte.
    Da war der Teil, der diesem Wissen mit einem Schulterzucken begegnete, denn: es war nun mal passiert, daran ließ sich nichts mehr ändern. Und kein Drama hatte daraus resultiert, nichts. Es hatte sich nicht einmal großartig etwas an ihrem Leben verändert. Natürlich nicht.
    Und da war der Teil, der... berauscht war. Immer noch oder jedes Mal von neuem – so genau konnte sie das nicht unterscheiden –, wenn sie sich erlaubte wirklich daran zu denken. Dem es schlicht und ergreifend gefallen hatte. Und der noch dazu Schützenhilfe von der Tatsache bekam, dass der Duccier Recht gehabt hatte – dass er sie tatsächlich, für einen gewissen Zeitraum wenigstens, der Welt hatte entrücken können.


    Seiana schenkte sich selbst ein wenig Wein ein und füllte den Rest des Glases mit Wasser. Es brachte nichts, darüber nachzudenken, weil sie doch zu keinem Schluss kam. Alles in allem war es also besser, einfach gar nicht mehr darüber nachzudenken und im Übrigen sich zu verhalten wie immer. Und es war ja nicht so, dass sonst nichts passiert wäre seit sie die Aurelia getroffen hatte. „Nun, dadurch dass ich vom Senat zur Auctrix ernannt wurde, hat sich mein Arbeitspensum deutlich erhöht. Aber die Einarbeitungszeit habe ich inzwischen hinter mir, denke ich, langsam spielt es sich ein.“ Seiana hielt für einen Moment inne, als ihr bewusst wurde, dass sie im Grunde nun noch ein Stückchen mehr das repräsentierte, was sie bei ihrem letzten Gespräch noch mehr oder weniger abgetan hatte – dass sie ihren Weg ging, außerhalb des Rahmens, den die Gesellschaft eigentlich vorgesehen hatte. Der Preis dafür war nur, dass sie immer noch nicht das erfüllte, was von einer Frau eigentlich erwartet wurde – und sie glaubte immer noch nicht so recht daran, dass sich dadurch irgendetwas ändern würde. „Mein Beileid übrigens zu den Verlusten, die deine Familie erlitten hat. Ich kann mir vorstellen, wie schwer diese Phase sein muss. Und gerade der Tod von Aurelius Corvinus bedeutet auch einen Verlust für die Acta und für mich.“ Erneut machte sie eine winzige Pause, bewusst diesmal, den Worten angemessen, bevor sie weitersprach. „Was ist mit dir?“

    Vom Haupttor kommend, folgte Seiana dem Soldaten, der sie durch das Lager zum Officium des Praefectus Urbi brachte, bevor er wieder verschwand. Die Decima indes trat zu dem Scriba. „Salve. Ich bin Decima Seiana. Der Praefectus Urbi hat mir eine Einladung gesandt.“ Sie setzte ein höfliches Lächeln auf und reichte dem Mann das Schreiben. „Kann er nun jetzt wenig Zeit für mich erübrigen?“