Auch wenn Caius das anders sehen mochte, im Grunde genommen war in diesem Augenblick mehr von der Seiana zu sehen, die in Ägypten mit ihm im Schlamm gesessen hatte, als die gesamten letzten Wochen. Sie zeigte Gefühle. Sie zeigte, was in ihr vorging. Nur war es diesmal Wut, die sich ihrer bemächtigt hatte, und die zu beherrschen ihr immer schwerer fiel – desto mehr, je blöder Caius sich zu stellen schien. „Sauer?“ Schon wieder klang Ungläubigkeit in ihrer Stimme durch, aber das war schnell vorbei, war schnell wieder abgelöst durch die Bissigkeit, die nur heftiger zu werden schien. Caius schien nicht zu verstehen, was los war, aber für seine Verwirrung hatte Seiana keinen Nerv. „Nein, warum sollte ich sauer sein? Ehrlich, war doch völlig normal, dass du auf einer Feier im Haus meines Patrons so etwas abziehst!“ Sie drehte sich um und setzte sich nun tatsächlich wieder in Bewegung, blieb aber bereits nach wenigen Schritten stehen und drehte sich wieder zu ihm. „Ach. Blöd war das also von dir? Was du nicht sagst! Wie kommst du nur darauf!“ Wieder setzte sie sich in Bewegung. Sie brachte es nicht fertig, stehen zu bleiben, sie musste gehen, musste sich bewegen, weil sie das Gefühl hatte sonst zu explodieren. Allerdings kam sie gerade erst in Fahrt, und nicht mit Caius zu reden, war nun auch keine Option mehr. Also drehte sie den Kopf, während sie weiter ging. „Na los, erzähls mir. Wie kommst du drauf? Ist doch perfekt gelaufen, das alles! Du warst unhöflich zu Braut und Bräutigam, hast jedes Gespräch abgewürgt und bist den Duccier angegangen! Oh ja, und ganz nebenbei hast du Axilla angestarrt, als wäre sie deine Verlobte!“
Beiträge von Decima Seiana
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Er ließ sie los. Immerhin, er besaß Verstand genug, sie loszulassen. Seiana hätte ihn vermutlich niedergebrüllt, hätte er sie nicht losgelassen. Nicht, dass dieser Verlauf ihres Gesprächs nun gänzlich ausgeschlossen gewesen wäre durch die Tatsache, dass Caius genug Intelligenz oder Einfühlungsvermögen besaß, sie loszulassen, aber zumindest im Moment war noch verhindert, dass ihre Wut sich endgültig Bahn brach. Zumal Seiana kein Aufsehen erregen wollte, nicht hier, nicht auf offener Straße. Aber je höher ihre Wut loderte, desto weniger scherte sie sich darum, was andere Leute wohl denken mochten. Und weil Seiana das wusste, versuchte sie weiter zu gehen.
Caius allerdings wusste es nicht. Oder er wollte es nicht wissen. Oder es war ihm egal. Oder, und das fand Seiana am wahrscheinlichsten, er war schlicht und ergreifend tatsächlich so naiv. Wahlweise dumm, das wäre in ihrer augenblicklichen Gemütsverfassung ihre bevorzugte Wortwahl gewesen. „Was ich habe?“ echote sie, für einen Moment so ungläubig, dass sie beinahe die Wut nicht mehr spürte. „Das fragst du noch?“ Jetzt sei nicht so. Seianas Brauen schoben sich zusammen, die Ungläubigkeit verschwand. „Ach. Wie bin ich denn?“ Ihre Stimme bekam einen beißenden Klang, und sie hob leicht die Arme an. „Sag mir, wie ich bin, na los, raus mit der Sprache!“
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Seiana hörte Caius. Wie er ihr nachlief. Wie er sie rief. Wie er sagte, dass sie stehen bleiben solle. Sie reagierte nicht darauf. Schon gar nicht auf den versöhnlichen Tonfall, den er anschlug, nun, plötzlich – fast so, als sei nichts geschehen. Oder als sei es völlig normal, was geschehen war. Dieser Gedanke fachte ihre Wut nur noch mehr an.
Und dann beging Caius einen Fehler. Einen weiteren, hieß das, war das doch nicht der erste, den er sich leistete. Er fasste sie am Arm.
Seiana fuhr herum. „FASS! mich nicht an“, fauchte sie, nicht laut, aber durchdringend, als sie notgedrungen stehen bleiben musste. Unterdrückte Wut flammte in ihren Augen, als sie Caius anstarrte, dann machte sie wieder Anstalten sich umzudrehen und weiterzugehen.
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Seiana verließ die aurelische Villa, und während sie ging, loderte das eisige Feuer in ihr stetig höher. Die Wut, die in ihr aufglomm, war kein Strohfeuer, das kurz und hoch aufflammte und dann wieder erlosch. Es war wie ein Schwelbrand, zunächst, der jedoch nur langsam, aber dennoch stetig neue Zufuhr bekam, Zufuhr an Nahrung, an Sauerstoff, so dass er nicht ausging, sondern sich aufbaute und ausbreitete und nur darauf wartete, endgültig freigesetzt zu werden, mit einem Schlag – und der die Ursache für eine Feuersbrunst ohnegleichen sein würde.
Sie bemerkte, dass Caius ihr nicht sofort nachkam. Sie bemerkte, dass er es dann doch tat, bemerkte, wie er sie einholte. Aber sie sagte nichts. Sie blickte ihn nicht einmal an. Sie war sich bei weitem nicht sicher, was sie jetzt tun würde, wenn sie ihn ansah.
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Nein, Seiana schwante gar nichts Gutes. Aber sie konnte auch nicht eingreifen. Und so blieb ihr nichts übrig, als stehen zu bleiben und abzuwarten. Sie sah zu, wie Vala Caius hinterher ging, und zu ihrem Ärger entfernten sich die beiden weit genug, dass sie nicht verstehen konnte, was sie sprachen. Das einzige was sie tun konnte war, sie zu beobachten. Nur flüchtig sah sie zu Axilla, als diese ihr, plötzlich, wie es schien, eine Frage stellte, und deutete ein Schulterzucken an. „Nein, ist es nicht. Und ich habe keine Ahnung, warum er sich so benimmt.“ So… so unmöglich. Einen Augenblick lang starrte sie Axilla noch an, während sie mit sich rang. Ihr lag auf der Zunge zu fragen, ob die Iunia denn nicht wüsste, was los war. Nach allem, was inzwischen passiert war, und wie Caius in letzter Zeit reagiert hatte, wie er sich verändert hatte, und wie er von Axilla sprach… und nun das hier… konnte Seiana sich nicht mehr wirklich etwas vormachen. Sie wollte es nicht wahrhaben. Nach wie vor nicht. Aber sie konnte die Augen nicht mehr verschließen. Nicht, wenn Caius sich nun plötzlich so aufführte gegenüber einem Mann, mit dem er noch kurze Zeit zuvor zu Abend gegessen hatte, ohne dass die geringste Feindseligkeit zu spüren gewesen wäre. Und der eine, einzige verbindende Faktor war die Iunia – und das nicht nur bei dieser Sache, sondern bei allem, was Seiana in letzter Zeit merkwürdig erschienen war. Etwas war nicht in Ordnung, und es hatte mit Axilla zu tun.
Aber sie sagte nichts. Sie sah Axilla nur an, für einen langen Moment, und wandte ihren Blick dann wieder ab, hin zu den zwei Männern. Sie hatte das Gefühl, innerlich in einen Eiskübel gekippt zu sein, der alles in ihr erfrieren ließ. Sie starrte hinüber, hörte vage, wie Caius lauter wurde, hörte, was er sagte, was er über Axilla sagte, und darüber, was er alles tun würde, für sie. Sie war nicht in einen Eiskübel gekippt, sie war in einem ganzen Eismeer versunken. Und dann sah sie mit Entsetzen, wie er sich plötzlich eine Schüssel griff und den Inhalt dem Duccier ins Gesicht kippte. Ihr Mund öffnete sich leicht, während sie hoffte, betete, flehte, dass das nur in ihrer Einbildung passiert war. Nur in ihrer Einbildung. So wie alles andere nur in ihrer Einbildung war. Aber alles blieb, wie es war. Caius stellte die Schüssel weg, drehte sich um, der Duccier hielt ihn noch zurück, während er sich von Speiseresten befreite – mit Caius’ Kleidung, wie Seiana am Rande registrierte – und ihm etwas zu sagen schien, und dann war es Vala, der zuerst zu ihnen zurückkam. Und an ihnen vorbei ging, mit ein paar knappen Worten. Er war viel zu schnell verschwunden, als dass Seiana etwas hätte sagen können, selbst wenn sie nicht wie erstarrt gewesen wäre. Sie war auch noch wie versteinert, als Caius zurückkam. Sie bemerkte, wie er Axilla ansah, nicht sie, wie er dann doch zu ihr sah, wie er etwas sagte, aber sie schien nicht in der Lage zu sein, zu reagieren. Wie versteinert stand sie da. Und dann, langsam, begann eine kalte Wut in ihren Augen zu lodern. „Ja. Das sollten wir.“ Ihre Stimme war eisig, und ohne noch ein Wort zu sagen, ohne Axilla noch eines Blickes zu würdigen, ohne darauf zu achten, ob Caius tatsächlich mitkam, drehte sie sich um und verschwand. Sie würde sich dafür später entschuldigen müssen, das stand außer Frage. Aber im Moment hatte sie das Gefühl, dass sie keinen Augenblick länger hier würde bleiben können.
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Crios zuckte andeutungsweise die Achseln. „Wie gesagt: die Tränke wirken irgendwann nicht mehr. Jetzt…“ Er ließ den Satz unvollendet. Er hatte ohnehin schon deutlich gemacht, dass er dafür nicht noch mal zur Verfügung stehen würde, und das gleich aus mehreren Gründen. Axilla hatte ohnehin Glück, dass es so glimpflich abgegangen war. Die ersten Tage danach hatte er befürchtet, das Kind könne zwar gestorben, aber vom Körper nicht abgestoßen worden sein, und in diesem Fall hätte es die Mutter von innen heraus vergiftet. Und so hatte er gewartet, beinahe fieberhaft, auf neuerliche Krämpfe, die den letzten Part der Abtreibung in die Wege leiteten, oder auf erste Anzeichen einer beginnenden Vergiftung – und wären diese eingetreten, wäre sie um einen weiteren Trank nicht herum gekommen, wenn sie wenigstens eine minimale Chance hätte haben wollen zu überleben. Aber er hatte nichts gesagt. Axilla, und mit ihr Leander und auch Serrana, hatten ohnehin schon genug durchgemacht. Crios hatte sie nicht unnötig ängstigen wollen, und er hatte sich einfach nicht sicher sein können. Also hatte er gewartet. Aber inzwischen war genug Zeit vergangen, dass er davon ausgehen konnte, dass das Kind noch am Leben war. Tote brauchten nicht allzu lange, bis erste Verwesungsanzeichen eintraten, und er ging davon aus, dass das bei Kindern im Mutterleib nicht anders war.
Als er jedoch vom Vater begann, schien Leander für einen Augenblick mehr als verdutzt zu sein. Was er jedoch sagte, ließ Crios’ Augenbrauen weit nach oben wandern. „Du würdest davon absehen? Entschuldige mal!“ Jetzt stand er auf. „Der Kerl hat mich in den Magen geboxt, dass es mir heute noch weh tut! Wo komm ich denn hin, wenn ich mir so was gefallen lass? Dass mir irgendwann jeder eine reinhaut, der mit einer Behandlung unzufrieden war? Dann kann ich doch gleich aufhören!“ Dass Leander so reagierte, gefiel Crios gar nicht, und es war mit diese ablehnende Haltung, die dazu führte, dass er begann sich aufzuregen. „Ich sag dir was, es ist mir egal, welche Kontakte er hat. Oder mit wem er oder seine Zukünftige bekannt ist. Ich bin Grieche, und ich bin Peregrinus, ich hab mit dem Kaiserhaus nichts zu schaffen, und ich kann auch woanders arbeiten oder sonst wohin gehen! Aber ich werd ganz sicher nicht damit anfangen, in der Taberna zu sitzen und mir in Zukunft bei jedem, der kommt und meine Hilfe will, zweimal überlegen müssen ob ich das auch wirklich mach! Und ich glaube auch nicht, dass die Besitzerin das will – wenn die sich wirklich kennen, kann er doch eher von Glück reden, dass ich ihr davon noch nichts erzählt hab!“
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„Besser ein uneheliches Kind als dass sie draufgeht, meinst du nicht?“ entgegnete Crios scharf. Und dann schwieg er erst mal, sondern sah Leander nur zu, wie der auf und ab lief und versuchte, sich zu beruhigen. Eine Katastrophe. Möglich, dass es eine war. Aber das war etwas, was sie sich wirklich vorher hätte überlegen müssen. Es schien ja nicht so gewesen zu sein, dass sie gezwungen worden war… Und, davon abgesehen, Crios hielt es für gar keine so große Katastrophe. Dann kaschierte sie ihren Bauch halt so lang es ging und verzog sich im Anschluss bis zur Geburt auf ein Landgut ihrer Familie – täuschte irgendeine Krankheit vor oder sonst was. Oder behauptete, wieder nach Ägypten gegangen zu sein. Musste sie sich immer noch überlegen, was sie mit dem Kind machte, aber es ließ sich doch definitiv irgendwie verschleiern. Aber es war nicht an ihm, das vorzuschlagen, und im Grunde war ihm der Teil eigentlich auch egal. Ihn ging in erster Linie an, was jetzt geschah, und ob Axilla auf seinen Rat hörte oder nicht, noch war sie seine Patientin. „Ja… In jedem Fall wirken irgendwann die Tränke nicht mehr. Dann muss man schneiden. Aber das machen andere.“ Zu schneiden war nicht die Aufgabe der Ärzte. Und dann kam Leander doch noch auf das zu sprechen, was Crios unvorsichtigerweise hatte verlauten lassen. Er zögerte kurz. Er hatte das Thema ohnehin ansprechen wollen. Nur war er sich nicht so sicher, ob das hier der richtige Zeitpunkt war. „Nicht ohne das Einverständnis der Familie. So weit ich weiß, jedenfalls. Und wenn es schief geht, wenn sie stirbt, ist der Trankverabreicher schuld. Ganz davon abgesehen dass ich eigentlich Arzt geworden bin, um Menschen zu helfen, nicht um sie krank zu machen oder gar zu töten“, antwortete Crios. Und dann gab er sich einen Ruck. Er hatte es ohnehin ansprechen wollen, also warum nicht jetzt? „Davon abgesehen war der Vater bei mir. Ich weiß nicht, woher er von mir wusste, aber ich hab ehrlich gesagt nicht vor, mich mit dem Kerl anzulegen. Das eine Mal hat mir gereicht, allein dafür sollte ich ihn eigentlich schon anzeigen.“
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Crios nickte langsam. „Deswegen hab ich gefragt, wann die letzte Blutung war. Und wenn sie so lange her war…“ Er zuckte hilflos die Achseln. Leander war bleich geworden, und er tat ihm leid, wie er ihn anstarrte, wie entsetzt er zu sein schien. „Es wäre aufgefallen. Dir, Serrana, mir, spätestens der Sklavin, die die Tücher weggebracht hat. Wenigstens einem von uns hätte das auffallen müssen, und ich hab ja danach Ausschau gehalten. Gut, ein paar Wochen machen da viel aus, in der Phase, aber… du hast gesagt, dass ihre Blutung schon so lang her ist.“ Dann wurde Crios’ Gesicht düster. „Noch mal? Du meinst ernsthaft, sie will das noch mal versuchen?“ Er presste die Lippen aufeinander. „Ich werd ganz sicher nicht noch mal meinen Kopf dafür riskieren, davon kannst du ausgehen“, entfuhr es ihm, bevor er nachdenken konnte. „Hör zu, sie… sie wird ohnehin erst mal warten müssen. Jetzt wär das zu gefährlich für sie“, versuchte er abzulenken.
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„Hatte ich eh vor. Aber je mehr davon wissen, und sie notfalls auch daran erinnern… Es ist einfach sicherer.“ Crios zuckte die Achseln und sah zu Leander hoch, der keine Anstalten machte, sich zu setzen. Ihn störte das nicht großartig, er machte sich selten Gedanken darüber, ob sein Verhalten vielleicht unhöflich war, aber in diesem Moment wäre es doch lieber gewesen, Leander hätte sich gesetzt. Wäre auf einer Augenhöhe gewesen. Aber aufstehen wollte Crios auch nicht, und so neigte er sich etwas vor, in etwas breiterer Sitzhaltung, und stützte seine Unterarme auf seinen Oberschenkeln ab. Und schloss die Augen, als er Leanders Antwort hörte. Nur einen Moment später sank sein Kopf etwas nach unten. November. Eventuell sogar Oktober. Was das hieß, war im Grunde eindeutig. „Ich frage nach, weil…“ Er holte Luft. „Wegen dem Trank. Dem Kind.“ Jetzt sah Crios doch wieder auf. „Wenn ihre letzte Blutung bereits so lange zurück liegt, dann… dann hat der Trank nicht funktioniert“, erklärte er mit leiser Stimme, während er Leander musterte, aufmerksam und seltsam müde zugleich. „ Kinder wachsen schnell, am Anfang, nicht erst nach der Geburt, sondern auch schon vorher, im Mutterleib. Ich… hab es gelernt, und… auch gesehen. Nicht bei einer Abtreibung, aber bei Fehlgeburten, in unterschiedlichen Phasen der Schwangerschaft. Das… das Kind ist in diesem Stadium bereits mindestens eine Handbreit groß. Das…“ Crios stockte ganz kurz. „Wir hätten es sehen müssen“, endete er schließlich.
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Crios folgte Leander, als dieser ihn in einen Raum führte – der seine, schätzte er, zumindest war deutlich, dass es sich um einen Schlafraum handelte, und Crios wagte zu bezweifeln, dass Leander ihn einfach in irgendeinen geführt hatte –, und nachdem er gesehen hatte, dass kein Stuhl da war, setzte er sich auf das Bett, fühlte er sich doch wohler, wenn er saß. Was Leander über sein eigenes Wohlbefinden erzählte, fand Crios nicht sonderlich aussagekräftig, aber irgendwie hatte er auch nichts anderes erwartet. In jedem Fall würde er ihm seine Hilfe nicht aufzwingen. In dieser einen Nacht war es etwas anderes gewesen, so erschöpft und fertig, wie er und Serrana gewesen waren, da hatte er es für vertretbar gehalten, ihnen mehr oder weniger ohne ihr Wissen etwas zu geben, aber jetzt würde er das nicht tun. „Sieh zu, dass du genug Schlaf bekommst“, meinte er also nur, dann lauschte er Leanders Worten, was Axilla betraf. „Das ist schön zu hören, dass es ihr wieder besser geht.“ Er kramte in seiner Tasche und zog einen Beutel hervor. „Hör zu, ich hab hier noch mal einen kleinen Vorrat zusammengestellt von der Kräutermischung. Sie sollte mindestens noch eine Woche jeden Tag einen Aufguss davon trinken, am besten abends, dann können sie über Nacht in Ruhe wirken. Von der Salbe müsste sie ja noch genug da haben.“ Crios hatte ihr bereits am darauffolgenden Tag eine Salbe vorbeigebracht, inwendig aufzutragen, so tief wie möglich, hatte er ihr erklärt. „Dass sie schon wieder außer Haus geht, ist gut. Aber sie sollte immer noch auf alles verzichten, was sie anstrengt. Das…“ Er zögerte kurz, aber es brachte ja nichts, um den heißen Brei zu reden. Es hatte einen Grund, warum sie überhaupt seine Hilfe benötigt hatte. „Das schließt Sex mit ein. Es besteht die Gefahr, dass dann in ihrem Körper die Wunden wieder aufreißen.“ Dann zögerte Crios wieder. Er hatte zwei Themen, die ihm auf der Seele brannten, zwei Themen, die er nicht gern ansprach – zwei Themen, von denen er eines jedoch ansprechen wollte und das andere ansprechen musste. Er beschloss, sich zuerst letzterem zu widmen. Das erste hatte nicht in erster Linie etwas mit seiner Patientin zu tun. „Hör mal… weißt du, wann sie das letzte Mal geblutet hat? Ich meine vor der Schwangerschaft?“
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Seiana hörte zwar zu, als Axilla ihrer Frage antwortete, aber es steckte kein echtes Interesse dahinter. Sie hatte hauptsächlich gefragt, um das Gespräch einigermaßen am Laufen zu halten, aber es war trotzdem wichtig, aufmerksam zu sein, sonst würde es sehr schnell wieder ins Stocken kommen, wenn sie nicht die richtigen Nachfragen stellen konnte. Die Iunia in jedem Fall schien erleichtert zu sein für die Vorlage, und sie sprudelte regelrecht heraus mit ihrem Erlebnis. Und nannte Caius wieder beim Praenomen. Seianas Nasenflügel flatterten diesmal ganz leicht, als sie einatmete. Daran hatte sie sich ja inzwischen gewöhnt, an diesen Grad der Vertrautheit zwischen den beiden – nun, vielleicht nicht gewöhnt, aber immerhin wusste sie es jetzt. Aber gerade eben hatte sie ihn noch Archias genannt, das war Seiana durchaus aufgefallen, jetzt war es Caius – Axilla schien sich nicht entscheiden zu können, was nun richtig war. Aber wieder kam Seiana innerlich an den Punkt, an dem sie beschloss, es einfach zu ignorieren. Sie wusste – spätestens jetzt hatte sie es realisiert –, dass sie mit Caius würde reden müssen. Selbst wenn sie das Gespräch anfangen musste mit: Caius, ich hab da so ein Gefühl…, so lächerlich ihr das auch vorkommen mochte. Aber sie hatte einfach ein Problem damit, wie Caius und Axilla miteinander umgingen, und sie hatte nicht vor, sich das noch länger anzusehen und jedes Mal blöd dabei vorzukommen, wenn sie irgendwo zu dritt aufeinander trafen. Nur, das hier war eindeutig der falsche Ort. Sie würde sich eher die Zunge abbeißen, als bei einer solchen Veranstaltung – noch dazu im Haus ihres Patrons – dieses Thema anzusprechen. Ihre Probleme gingen niemanden sonst etwas an, es hatte hier nichts zu suchen, so einfach war das.
Der Inhalt von Axillas fast schon plappernder Erzählung verwunderte Seiana allerdings etwas. Trotz allem, was sie inzwischen von der Iunia wusste – beispielsweise, dass sie sich auf einer kleinen Feier so sehr betrank, dass sie… sie küsste und dann einfach einschlief –, hätte sie dann doch nicht gedacht, dass sie sich alleine am Hafen herumtrieb. Der Duccier indes bestätigte Axillas Erzählung mit einem Lächeln. „Duccius Rufus habe ich nicht mehr kennen gelernt. Aber was die Begleitung nach Hause angeht: ich denke doch, dass es einige gegeben hätte, die etwas derartiges nicht getan hätten, und schon gar nicht es für selbstverständlich gehalten hätten.“ Dass Axilla im Grunde von Glück reden konnte, in dieser Gegend nicht an jemand ganz anderen geraten zu sein, gerade wenn sie alleine unterwegs gewesen war, sparte Seiana sich. Sie wäre auch gar nicht mehr dazu gekommen, es zu sagen, denn in diesem Moment trat Caius wieder auf den Plan. Diesmal warf Seiana ihm einen Blick zu, einen, der zum ersten Mal wenigstens im Ansatz zeigte, wie ungehalten sie gerade war. Was sollte das jetzt wieder, was wollte er mit dem Duccier alleine reden? Die Aufforderung war, wenn schon nicht freundlich, so doch höflich genug, aber Seiana kannte Caius. Und ihr schwante nichts Gutes. Caius war für gewöhnlich niemand, der mit jemandem allein reden wollte. Er war für gewöhnlich auch niemand, der so einen… förmlichen Ton anschlug, schon gar nicht auf so einer Feier. Nein, Seiana schwante gar nichts Gutes. Aber in diesem Moment konnte sie nicht mehr machen als dazustehen und ihrem Verlobten hinterher zu sehen, wie er davon stiefelte, in Richtung des Buffets.
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Seiana hätte in diesem Augenblick eine Menge Dinge gern getan. Im Boden versinken, zum Beispiel. Caius fragen, was ihm einfiel. Caius am Kragen in eine Ecke ziehen und ihn anfauchen, was ihm einfiel. Caius am Kragen nach draußen ziehen und ihn in den Tiber stoßen, weil er offenbar gerade nicht mehr klar denken konnte. Oder wahlweise: im Boden versinken. Stattdessen lächelte sie weiter, leicht, höflich, auch wenn in ihrer Wange wieder diese eine, kleine Muskel zuckte, der andeutete, dass sie sich bemühte die Zähne nicht zu sehr aufeinander zu beißen. Es war einfach unhöflich, wie er die Tiberia einfach so abkanzelte. Und er war hier als ihr Begleiter – an wem würde das Ganze denn hängen bleiben? Aurelius Corvinus hatte sie noch nicht gesehen, aber wer wusste schon, ob nicht doch irgendjemand ihm davon erzählte. Sie wusste, dass Caius keinen großen Wert auf derlei Veranstaltungen legte, oder darauf, wie er wirkte, welchen Ruf er hatte, aber sie legte Wert darauf, und er wusste das auch. Sie schenkte der Tiberia und Ursus ein Lächeln, das Caius’ Unhöflichkeit hoffentlich wett machte, ging aber nicht weiter darauf ein, sondern antwortete auf ihre Worte, als sei nichts gewesen: „Einige Male haben wir uns sogar getroffen.“ Vor allem Caius und Axilla. Und vermutlich häufiger, als sie geahnt hatte, argwöhnte Seiana inzwischen. Irgendwoher musste doch die Freundschaft zwischen den beiden kommen, und sie glaubte nicht, dass sich diese erst in Rom entwickelt hatte. „Danke dir, Tiberia, ich komme gerne auf dein Angebot zurück, wenn es so weit ist mit den Planungen bei uns.“
Wie unhöflich Caius sich hingegen bei Axilla und ihrem Begleiter gab, schien zumindest dem Duccier nicht aufzufallen. Seiana bemerkte nicht, warum das so war, weil ihre eigene Aufmerksamkeit etwas abgelenkt war von Caius’ Verhalten, aber sie war dankbar, wie er reagierte, so als wäre gar nichts gewesen. Axilla hingegen schien umso mehr aufzufallen, dass etwas nicht stimmte, dem Blick nach zu schließen, den sie ihr zuwarf. Seiana wusste nicht so recht, was sie davon halten sollte. Es war Axilla, die Caius so angestarrt hatte – und es war Axillas Begleiter, den er jetzt anstarrte. Seiana fand, es wäre an ihr, etwas zu sagen oder zu tun, was die Situation auflockerte. Allerdings schien weder die Iunia noch einer der beiden Männer sich bemüßigt zu sehen, auch nur irgendetwas dazu beizutragen. Der Duccier schien nur leicht fragend dreinzusehen in Erwartung einer Antwort, und sowohl Axilla als auch Caius – wofür der sich fast, aber nur fast, einen finsteren Blick eingefangen hätte – entblödeten sich nicht, sich gegenseitig eine Frage zu stellen, die für Seianas Geschmack dämlicher kaum hätten sein können. Und das Gespräch nebenbei so effektiv abwürgten, wie es eine Mauer zwischen ihnen auch gekonnt hätte. Was um alles in der Welt war das denn bitte für eine Vorlage? Richtig, keine, es sei denn sie wollten hier auf ein Kleinkindniveau absinken in ihrer Unterhaltung, was Seiana ganz sicher nicht vorhatte. Ganz davon abgesehen, dass es bei beiden so formuliert war, als hätten sie irgendwie ein Recht darauf, das vom jeweils anderen zu wissen, was Seiana ganz und gar nicht fand. Aber ein scharfer Kommentar, der ihr schon auf der Zunge lag, kam auch nicht in Frage. Oh ja, sie wusste, warum sie solche Veranstaltungen nicht leiden konnte. Was nichts daran änderte, dass sie ihren Part zu spielen verstand. Sie lächelte Vala flüchtig zu, als Caius genauso wenig Anstalten machte, auf dessen Kommentar einzugehen, wie zuvor auf Septimas. „Nein, Duccius, du hast nichts verpasst außer einem kurzen Angleichen des Wissens.“ Es wäre zu schön, wenn er auch das Kundtun des Nichtwissens verpasst hätte, das die anderen beiden nicht hatten zurückhalten können. „Derzeit leben nicht viele Mitglieder der Aelier in Rom.“ Dieser Satz war an Axilla gerichtet, ebenfalls mit einem Lächeln, während Seiana sich in diesem Moment unsicher war, ob sie mit diesem Kommentar Axilla helfen wollte oder nicht – es konnte heißen, dass es nur verständlich war, dass sie nichts von Vespa gewusst hatte, so wenige wie es gab. Es konnte genauso gut heißen, dass es gerade deshalb leicht sein sollte, sich die wenigen Mitglieder der kaiserlichen Familie zu merken, die es hier gab. Sie schob den Gedanken beiseite und beschloss, das nächste Thema aufzugreifen. „Wie habt ihr euch denn kennen gelernt?“
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Crios folgte Leander durch die Gänge und musterte ihn einige Momente lang schweigend, aber der Sklave machte keine Anstalten, von sich aus ein Gespräch in Gang zu bringen, ihn etwa zu fragen, weshalb er ihn reden wollte, also begann Crios einfach: „Ich denke, dass es ihr jetzt gut genug geht, dass ich nicht mehr vorbei zu kommen brauche. Allerdings würde ich gern mit dir reden. Über das, was sie noch brauchen wird die nächsten Tage und Wochen, bis sie sich vollständig erholt hat. Wenn irgendwas sein sollte, kannst du mich natürlich jederzeit rufen lassen.“ Er sah sich kurz um, während sie die Treppen hinaufgingen, dann meinte er: „Wenn’s dir recht ist, sollten wir vielleicht irgendwohin gehen, wo uns keiner über den Weg laufen kann.“ Ihm lag noch mehr auf dem Herzen, was er mit Leander besprechen wollte. Crios überlegte, ob er ihn wohl nach dem Vater fragen konnte. Ob er ihm erzählen sollte, wie der bei ihm aufgelaufen war, dass er ihm eine verpasst hatte… Sein Magen tat immer noch weh, wenn er daran dachte. Aber das wollte er nicht hier mitten im Gang erzählen, und noch weniger hier, mitten im Gang, nach dem Vater fragen, wo doch sonst keiner wusste, was überhaupt passiert war. Nicht mal Iunia Serrana wusste es, nicht offiziell jedenfalls, so weit er informiert war, auch wenn sie sich sicher ihren Teil dabei hatte denken können in jener Nacht. Dann meinte er plötzlich, in einem recht sprunghaften Themenwechsel: „Du siehst nicht allzu gut aus.“
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Der Ianitor – Araros, wie Crios inzwischen wusste – öffnete ihm wie üblich, und da er ihn inzwischen kannte, gab es da keine großen Probleme. „Salve, Araros“, grüßte er zurück und lächelte leicht, dann trat er ein und entdeckte auch schon Leander. Normalerweise war es ein Sklavenjunge, der ihn durch die Gänge brachte, aber vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass er diesmal Leander vorher traf. „Leander. Chaire“, grüßte er seinen Landsmann auf Griechisch. „Ja. Das heißt, können wir uns vorher in Ruhe kurz unterhalten?“
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Die Tage waren vergangen. Iaret hatte ihn auch weiterhin in Ruhe gelassen – Crios konnte sein Glück kaum fassen, aber vielleicht kam der Alte tatsächlich langsam zu dem Schluss, dass er, man höre und staune, erwachsen war –, und er, Crios, hatte weiter gemacht. Hatte gearbeitet, hatte Axilla einen Besuch abgestattet, hatte den Schlag des Kerls weggesteckt, der ihn wegen Axilla aufgesucht hatte… Er wusste immer noch nicht, wer der Kerl war, und er dachte nicht wirklich gern an die Szene zurück. Und das störte ihn, offen gestanden, nach wie vor. Wo kamen sie denn hin, wenn man dem Arzt die Schuld gab? Er nahm das Leben locker, aber in letzter Zeit hatte er nicht verhindern können, dass er des Öfteren zur Tür geschielt hatte, beinahe in Erwartung dieses Kerls, der nach eigenen Worten derjenige welcher war, der der Iunia das Ganze erst eingebrockt hatte, und der ihm im Anschluss die Schuld gegeben hatte… Wobei er gar nicht verstand, warum der sich so aufgeregt hatte. Waren es nicht die Römer, die es quasi als normal ansahen, wenn ein ungewünschtes Kind getötet wurde? Ungeboren hieß doch, dass es noch kein wirkliches Kind war. Dennoch war der hippokratische Eid deutlich. Eigentlich. Was ihn aber nicht daran gehindert hatte, Axilla dennoch ihren Wunsch zu erfüllen… Was Crios durchaus zu schaffen machte, nicht einmal so sehr wegen dem Kind, sondern weil er das Leben der Mutter in Gefahr gebracht hatte.
In jedem Fall wusste er nach wie vor nicht so recht, was er wegen diesem Kerl machen sollte. Er hatte keine Lust auf weitere Prügel, zumal er nicht der Typ war, der sich sonderlich gut wehren konnte. Nicht dass er verweichlicht war, aber sonderlich muskulös war er eben auch nicht. Er konnte gut laufen, und das war es, was ihm häufig aus der Klemme half, wenn er irgendwo in der Stadt in Schwierigkeiten kam, wenn ihn jemand blöd anmachte oder sonst was. Aber wenn er in eine Prügelei geriet, hatte er seinen Gegnern häufig wenig entgegen zu setzen. Nur, bisher war es noch nie vorgekommen, dass jemand in die Taberna gekommen war, um ihm dort eine reinzuhauen. Allerdings wusste er auch nicht, wie er sein Dilemma lösen sollte. Er könnte den Kerl anzeigen, aber zum einen konnte er einfach nicht alles sagen, was zu dem Ganzen dazu gehörte, weil ihn auch da der Eid band – und diesen Teil würde er ganz sicher nicht brechen! – zum anderen wusste er aber noch nicht einmal, wer der Kerl war. Crios holte tief Luft und entließ sie in einem langen Seufzer. Abwarten. Vielleicht fiel ihm noch was ein. Jetzt jedenfalls war es erst mal Zeit für einen weiteren Besuch bei Axilla, und so klopfte er an.
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Seiana saß da, in einem Korbsessel, und betrachtete müde die Sklaven beim Aufräumen. Sie würde ja ein bisschen helfen, aber sie war einfach zu fertig dazu, und in solchen Momenten war es einfach gut, jemanden zu haben, der solche Dinge übernahm. Ganz und komplett und ohne zu meckern. Es war einfach so… anstrengend gewesen. Die ganzen letzten Tage, die Vorbereitungen, und immer wieder hatte sie versuchen müssen, Caius’ Mutter einzufangen, die dieses und jenes und noch etwas wollte, was Seiana alles zu viel geworden wäre, und ihr geschätzter Verlobter hatte sich unterdessen mit seinem Vater vergnügt. Mit Ausreiten. Und Angeln. Im Winter. Seiana argwöhnte, dass er sie mit Absicht allein gelassen hatte. Und dann erst dieser Abend! Mit Sklaven und Eltern weit über 30 Menschen um sie herum, von denen sie kaum einen gekannt, aber zu denen sie höflich und zuvorkommend hatte sein müssen, mit jedem ein wenig plaudern, und ja immer freundlich sein… Seiana war vielleicht gut darin, aber sie hasste es.
„Gute Nacht“, rief sie nun Calvaster hinterher, der sich in den letzten Tagen einen Platz in ihrem Herzen erobert hatte. Sie mochte Caius’ Vater, mochte seine ganze Art. Sie mochte auch seine Mutter, aber sein Vater war einfach ein ganz anderer Typ. Manchmal hatte sie das Gefühl, dass Calvaster von allen drei am besten begriff, was in ihr vorging. Besser noch als Caius. Gelegentlich. „Ich bin absolut fertig“, seufzte Seiana dann, als der sie ansprach. Sie drehte den Kopf leicht und sah ihn an, mit einem müden, aber erleichterten Lächeln. „Aber jetzt ist das wenigstens vorbei. Keine Planungen mehr dafür… und der Abend selbst auch.“
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[Blockierte Grafik: http://img210.imageshack.us/img210/4457/crios.jpg] ~Crios~
Sowohl Serrana als auch die beiden Sklaven gehorchten ihm, und Crios kümmerte sich unterdessen um Axilla, flößte ihr etwas von dem heißen Kräutertrunk ein, bevor er ihren Kopf sachte wieder auf das Kissen gleiten ließ. Axilla schien mehr und mehr wegzudämmern, was Crios als gutes Zeichen wertete. Sie brauchte Schlaf, sie brauchte Erholung, und dass sie einschlief, hieß, dass die Schmerzen nicht mehr stark genug waren, um sie trotz ihrer Erschöpfung davon abzuhalten. Er strich ihr noch kurz über den Kopf, dann richtete er sich wieder auf. In den Trank für Serrana, Leander und die andere Sklavin hatte er zusätzlich zu den beruhigenden Kräutern noch ein Kraut hineingemischt, das leicht halluzinogene Wirkung hatte. Bei weitem nicht genug, dass es ihnen tatsächlich den Kopf vernebeln würde, und schon gar nicht so viel, dass ihnen wirklich etwas auffallen dürfte, aber genug, um ihnen die Situation leichter zu machen und später das Einschlafen zu erleichtern. Crios fand, dass das unter den gegebenen Umständen vertretbar war. Er hatte vor, die Nacht über hier zu bleiben und auf Axilla aufzupassen, aber viel länger konnte er nicht bleiben, und sie würde die nächsten Tage einfach jemanden brauchen, der sich um sie kümmerte. Es war besser, wenn die wenigen, die eingeweiht waren, sich jetzt ausruhten, so lange er da war.
Er warf Leander einen kurzen Blick zu, gerade als dieser trank, und registrierte, dass auch er einen großen Schluck nahm, dann wandte er sich an die andere Iunia, als diese ihn ansprach. „Crios ist mein Name“, antwortete er ihr dann, mit einem ernsten, aber dennoch freundlichen Gesichtsausdruck, und sah dann erneut zu Leander, der nur noch fertig aussah. Crios bezweifelte in diesem Augenblick, dass der Sklave etwas von dem begreifen würde, was er ihm sagte – ganz im Gegensatz zu Serrana vor ihm, die zwar mitgenommen, aber doch gefasst wirkte. Anerkennung für die junge Frau machte sich in ihm auf einmal breit. „Ich werde die Nacht über hier bleiben und mich weiter um sie kümmern, Iunia. Spätestens morgen früh allerdings würde ich gerne noch einmal mit dir reden, was Pflege und Verabreichung von Medizin in den nächsten Tagen angeht.“
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Seiana lächelte das Brautpaar an. „Danke für die Glückwünsche“, antwortete sie Ursus, der daraufhin Caius nach seinem Posten fragte. Der… seltsam reagierte. Seiana warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. Gerade eben, bei der ersten Begrüßung, hatte er noch nicht so gezögert. Caius schien merkwürdig abgelenkt zu sein, sah woanders hin, und als Seiana seinem Blick folgte, sah sie, dass er Axilla anstarrte. Und plötzlich, von einem Moment auf den anderen, war da wieder dieses ungute Gefühl in ihrer Magengegend. Caius starrte noch einige Momente lang Axilla an, bevor er sich wieder dem Bräutigam zuwandte und antwortete, und in Seianas Wange zuckte ein Muskel, als sie hörte, wie er herumstammelte. Was um alles in der Welt war los mit ihm? Aber Seiana hatte sich zu gut im Griff, um sich viel anmerken zu lassen von dem, was in ihr vorging. Ihr Lächeln mochte nicht mehr ganz so echt wirken, ihre Miene mehr einer Maske gleichen denn einem tatsächlichen Ausdruck, aber es war ja nicht so, dass dieser Anlass mehr von ihr erforderte als das. Septima gratulierte ebenfalls zur Verlobung und fragte nach dem Termin, und Seiana sah wieder kurz zu Caius, in der Annahme, er würde antworten. Bisher hatte er immer geantwortet, war immer vorgeprescht, wenn es um den Termin ging – sie konnte sich noch zu gut an ihr Treffen mit Quarto erinnern, wo Caius sie damit überrascht hatte –, aber diesmal sagte er nichts. Ein Augenblick verging in peinlichem Schweigen, dann räusperte Seiana sich. „Der Termin ist ANTE DIEM IV NON APR DCCCLX A.U.C. (2.4.2010/107 n.Chr.)“, antwortete sie mit freundlicher Miene, und war froh, dass gleich darauf der nächste Gast kam und gratulierte, so dass sie zur Seite gehen konnten.
Ihr Weg führte die beiden zu Axilla und dem Duccier, und Seiana hatte das Gefühl, als ob Caius kurzzeitig völlig vergaß, dass sie da war. Er schien nur Augen zu haben für Axilla, dann für Vala, den er sonderbar finster anstarrte, wie sie aus dem Augenwinkel bemerkte. Und wie er den Duccier begrüßte, war genauso merkwürdig wie sein Verhalten zuvor bei Ursus. Sie hatten doch erst kürzlich gemeinsam zu Abend gegessen, und zumindest Caius hatte ihn davor schon einmal getroffen – warum benahm er sich jetzt so, als ob er ihn kaum kannte? Seiana begann, sich verlegen zu fühlen, nicht für sich selbst, sondern dafür, wie er sich gerade benahm. Und sie kam nicht umhin, sich zu fragen, warum das so war. Aber sie hatte nicht umsonst eine jahrelange Erziehung genossen, die ihr eingetrichtert hatte, wie sich eine Römerin, eine Frau, eine Dame zu benehmen hatte. So setzte sie nur wieder ihr höfliches Lächeln auf, das weder ihre Augen erreichte noch echte Herzlichkeit verströmte. „Salvete“, grüßte sie die beiden zunächst, bevor sie mit einem Nicken an Caius’ Worte anknüpfte. „Wir haben uns kürzlich kennen gelernt, bei einem Abendessen bei Caius’ Verwandte Vespa und ihrem Mann Prudentius Balbus.“
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„Das schon“, antwortete Seiana Piso. „Aber wenn Pythagoras von Anfang an kein Monochord gehabt hätte, hätte er auch nichts herausfinden können.“ Nach der kurzen Diskussion, die sich zwischen ihnen beiden entsponnen hatte, schaltete sich die Lehrerin wieder ein, und Seiana wandte sich ihr zu. Die Erklärung mit der Frequenz erschien ihr logisch, die mit dem Grundton jedoch weniger. Natürlich gab es in verschiedenen Ländern verschiedene Instrumente und Systeme, aber die Töne an sich klangen doch gleich… es musste doch möglich sein, einen Ton konkret als Ausgangspunkt festzulegen, und sei es nur für sich selbst. Seiana sagte aber nichts, und Penelope fuhr fort – und was dann kam, relativierte dann doch wieder ein bisschen, was Seiana gerade gedacht hatte. Für ein Musikstück war es die Abfolge der Töne, die eine Rolle spielte, nicht der Anfangston. Seiana lehnte sich ein wenig zurück und grübelte kurz, während Penelope die nächste Frage in den Raum warf. Seiana sah hoch. „Eine Quinte kommt zustande, wenn man die Saite im Verhältnis drei zu zwei teilt, eine Quarte bei einem Verhältnis von vier zu drei. Du sagtest, Archytas habe das durch ein Experiment bewiesen – hat aber Aristoxenos nicht genau das kritisiert, dass Archytas’ Theorie rein hypothetisch war? Und, verzeih, wenn ich noch einmal auf das vorige Thema zu sprechen komme: die mathematische Messbarkeit von Musik, um die es in diesem Kurs geht, bezieht sich also nicht auf eine mögliche Messbarkeit der Töne an sich, sondern nur auf die verschiedenen Abstände dazwischen?“ Was irgendwie unzureichend war, fand sie, aber das hatten sie ja schon zuvor festgestellt, dass in der Musik ganz ohne Gehör nun einmal nichts ging. Sie hätte es nur spannend gefunden, wenn es doch eine Möglichkeit gegeben hätte, den absoluten Ton zu finden – den, der war, und der sich letztlich nicht erst durch sein Verhältnis zu den anderen Tönen definieren musste.
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„Oh. Ähm“, machte Seiana verlegen. Der Vorschlag mit dem Essen, worüber sie sich zuvor noch so gefreut hatte, daran hatte sie gar nicht mehr gedacht. Ein Hauch Röte färbte ihre Wangen, als ihr klar wurde, wie sehr sie dieses Gespräch durcheinander gebracht hatte. Normalerweise war sie niemand, die den Faden so verlor. Die vergaß, was gesagt oder ausgemacht worden war. Es war nur… wie bei den Pompeiern hatte sie einfach ein ungutes Gefühl. Fühlte sich unwohl, in diesem Augenblick, fühlte sich irgendwie fehl am Platz. Und wenn sie sich so fühlte, dann verschwand sie am liebsten – oder sie verschloss sich, so gut es ging, wenn sie nicht verschwinden konnte. Nur, Caius war ihr Verlobter. Es war nicht richtig, sich ihm gegenüber so zu verschließen. Aber sie konnte auch nicht mit ihm reden über das, was gerade los war – sie wusste ja noch nicht mal, ob überhaupt etwas los war, oder ob sich das alles nur in ihrer Phantasie abspielte, weil sie gestresst war zur Zeit, weil sie viel zu tun hatte, und weil die Hochzeit immer näher rückte, ohne dass sich das Problem mit ihrer Familie irgendwie zu lösen schien! Worüber sollte sie denn bitte ihm mit reden, wie sollte sie anfangen? Caius, ich habe da ein Gefühl. Toller Anfang, großartig. Das klang wie… wie eine Krankheit. Caius, ich habe Rücken. Caius würde sie wahrscheinlich ansehen wie die erste Kutsche. Immerhin war bei ihrem bisherigen Gespräch deutlich geworden, dass er kein Problem zu sehen schien, nichts Ungewöhnliches in dem, was er tat oder getan hatte.
Sie hätte wohl mit ihm reden sollen. Vermutlich wäre es besser gewesen. Aber so war Seiana nicht. Es wäre ihr peinlich gewesen, zu äußern, dass sie das Gefühl hatte, dass etwas nicht stimmte. Ein Gefühl, keinen Beweis, kein Wissen, noch nicht einmal ein wirkliches Indiz, woran sie das hätte festmachen können. War es denn so schlimm, dass ihm eine Freundin half? Gut, er hatte nicht sie gefragt. Gut, er hatte ihr noch nicht einmal erzählt, dass er mit Axilla so gut befreundet war, oder dass er Schwierigkeiten hatte, oder dass er sie gebeten hatte ihm zu helfen. Jetzt wusste sie es aber, also… war doch alles in Ordnung so weit. Und so stand Seiana nur da und ärgerte sich, dass der Kloß in ihrem Hals nicht verschwinden, sondern am liebsten sogar noch Tränen in ihre Augen schicken wollte. Das allerdings war etwas, was sie sich strikt untersagte, wäre es doch noch viel peinlicher gewesen, hier grundlos anzufangen zu weinen. „Tut mir leid, da hab ich gerade gar nicht mehr dran gedacht. Ja, gerne. Ähm.“ Sie tat so, als überlege sie einen Moment, aber in Wirklichkeit musste sie das nicht. Sie wollte raus hier. „Lass uns irgendwohin gehen, in Ordnung? Dann können wir ein bisschen frische Luft schnappen, und spazieren gehen vor dem Essen.“