Beiträge von Decima Seiana

    Ich weiß. Mehr kam nicht. Nur ein: Ich weiß. „Warum…“ Seianas Stimme erstarb wieder. Warum hast du dann nicht mich gefragt? lag ihr auf der Zunge, und noch mehr. Warum hatte er nicht mal davon erzählt? Es war ja offensichtlich nicht so, dass er zu viel Stress hatte, um Axilla davon zu erzählen. Es war ja offensichtlich nicht so, dass er zu wenig Zeit hatte, um die Iunia zu treffen… ganz im Gegensatz zu ihr. Seiner Verlobten. Sie schluckte mühsam, als sich ein Kloß in ihrer Kehle zu bilden begann.


    Aber Seiana war nicht der Typ Frau, die alles bis ins kleinste Detail zerreden musste. Sie war nicht der Typ Frau, die keine Ruhe gab, die nachfragte und nachfragte, jedenfalls nicht dann, wenn nur ein ungutes Gefühl in der Magengegend da war und ihr sagte, dass etwas nicht stimmte. Sie hatte kein Problem damit, andere zur Rede zu stellen – aber sie brauchte etwas Handfestes. Sie wollte nicht wie ein quengeliges Kind klingen, oder herummeckern wie eine Xanthippe, auch wenn sie das an jenem verhängnisvollen Abend bei den Pompeiern behauptet hatte. Aber warum hast du nicht mich gefragt, Caius, gerade wenn du weißt, dass ich dir geholfen hätte, Caius, ich bin deine Verlobte, Caius, du hättest mich fragen müssen, Caius… Nein. Entweder er fragte sie, oder er tat es nicht. Er hatte es nicht getan. Und Seiana war niemand, die dann nachbohrte, schon gar nicht, wenn er nicht von selbst erzählte, was los war, sondern so tat, als wäre es das Normalste schlechthin. Vielleicht war es ja normal. Vielleicht bildete sie sich nur etwas ein. Eine ganze Weile verging in Schweigen. „Ich… na ja… Ich glaub ich geh dann jetzt wohl besser.“

    Seianas Augenbrauen hoben sich erneut ein wenig. Er klagt nicht – er schmiedet Pläne? Das klang etwas nichtssagend in ihren Ohren, aber bevor sie nachfragen konnte, reichte ihr einer der Sklaven einen Becher Wein, und sie akzeptierte ihn, nur um ihn sich zunächst mit etwas Wasser zu verdünnen. Caius, wie sie mit einem Seitenblick bemerkte, schien nicht sonderlich begeistert zu sein von ihrer Nachfrage nach dem Aurelius, aber sämtliche Kommentare, Blicke oder Seufzer in dieser Hinsicht hatte Seiana schon längst gelernt zu ignorieren und übergehen. Sie wusste, was er von Patriziern hielt, und sie hatte es aufgegeben, mit ihm darüber zu diskutieren – oder auch nur anzusprechen, dass es ihn umgekehrt auch störte, wenn ihn jemand in die Schublade Kaiserhaus steckte, so wie er es mit Patriziern tat. Das hieß, allen außer Piso. Der war so ziemlich der einzige, so weit Seiana wusste, von dem Caius tatsächlich einiges hielt, aber die beiden kannten sich auch schon aus Kindertagen. Aber sonst darüber zu diskutieren, brachte einfach nichts.


    Der Duccier inzwischen führte nun doch ein wenig weiter aus, wie es Aurelius Corvinus ging „Das freut mich zu hören, dass er wieder vollständig genesen ist.“ Seianas Lippen verzogen sich erneut zu einem leichten Lächeln. „Arbeit hat wohl noch niemandem geschadet, denke ich. Und wenn du tatsächlich“ – wie hatte er es formuliert? – „in die Politik hineinschnuppern möchtest, bist du bei jemandem wie ihm sicher an der richtigen Stelle.“ Sie nippte an ihrem Wein. Menschen, gerade Männer, hatte sie die Erfahrung gemacht, erzählten gern von sich selbst – vor allem von dem, was sie taten und noch vorhatten zu erreichen, weswegen Seiana noch eine Frage anschloss, um das Gespräch in Gang zu halten. „Was ist mit deinem Weg? Du wirst sicher nicht vorhaben, nur ein wenig zu schnuppern in der Politik.“

    Als Caius den Anfang seiner Frage formulierte, starrte Seiana ihn an, und sie dachte exakt das gleiche, was sie sich davor gedacht hatte: das konnte nicht sein Ernst sein. Es hatte doch alles damit zu tun! Man musste demjenigen, der sich um die Betriebe, um die Bücher kümmerte, doch vertrauen können. Entweder man stellte jemanden ein, der die entsprechenden Erfahrungen und Referenzen vorzuweisen hatte – und Seiana bezweifelte, dass das bei Axilla der Fall war oder Caius sich das hatte zeigen lassen, falls es doch der Fall war –, oder man nahm jemanden, den man gut kannte und vertraute, auch ohne Referenzen! Aber Caius brach die Frage ab, und Seiana wollte sich nicht schon wieder streiten. Schon gar nicht über dieses Thema. Bei seinem nächsten Kommentar geriet ihr Entschluss allerdings schon wieder heftig ins Wanken. Eine schnippische Antwort – ach, und ich nicht? – lag ihr schon auf der Zunge, aber sie riss sich zusammen und sagte stattdessen nur ruhig: „Ich hätte auch versucht zu helfen, wenn du mir eher davon erzählt hättest.“

    Die Feier. Warum musste er jetzt die Feier ansprechen? Seiana wusste genau, welche Feier er meinte, und doch war sie nahe daran, sich einfach dumm zu stellen und zu fragen: welche Feier? oder Was war denn da? Aber sie kannte Caius gut genug um zu wissen, dass er dann antworten würde. Eventuell sogar im Detail. Und sie wollte nichts weniger als das. Sie wusste, dass es vielleicht besser war, darüber zu reden, ihn zu fragen, was um alles in der Welt da los gewesen war, aber sie war sich nicht sicher, ob sie tatsächlich hören wollte, was er zu sagen hatte. „Die… Feier… hatte doch nichts damit zu tun, dass du sie um Hilfe gebeten hast“, antwortete sie und bemühte sich um Selbstbeherrschung. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte, sie war verwirrt, mehr noch, war wie vor den Kopf gestoßen, und sie wollte nicht, dass er das merkte. Dass er merkte, wie sehr sie das störte. Sonderlich erfolgreich war sie aber nicht darin das zu verbergen. Warum hatte er Axilla gefragt und nicht sie? Selbst wenn sie sich in Alexandria auskannte… Bei allen Göttern, sie war siebzehn, wen von Bedeutung konnte sie in Alexandria denn schon kennen? „Und du kannst beschäftigen, wen immer du willst. Ich… Es wundert mich nur etwas, das ist alles. Ich wusste nicht, dass ihr so gut miteinander bekannt seid, dass du ihr deine Betriebe anvertraust.“ Einer Siebzehnjährigen.

    Ihr Angebot, so simpel, unschuldig und vor allem in erster Linie hilfsbereit es auch gemeint gewesen war, brachte Caius ins Stottern. Was Seiana doch etwas merkwürdig fand. Dann aber fing er an zu erklären, und mit jedem Wort veränderte ihr Gesichtsausdruck ein bisschen mehr, fiel in sich zusammen, wurde zuerst etwas… ungläubig, dann unschlüssig, bis er schließlich ganz gefror. Axilla half ihm also bereits. Und die Iunia half ihm nicht nur, sie hatte auch ein Auge auf seine Betriebe. Auf die Bücher. Was nichts anderes hieß, als dass er sie als Verwalterin eingestellt hatte. Die Frau – das Mädchen, verbesserte sie sich mit einem zynischen Unterton in Gedanken – die sie geküsst hatte auf der Feier des Pompeius und danach an ihren Verlobten gekuschelt eingeschlafen war. „Oh“, machte sie zunächst nur, was reichlich wenig war dafür, dass er so viel gesagt hatte. War es, als seine Verlobte, als seine zukünftige Ehefrau, nicht eher ihre Aufgabe, sich um solche Sachen zu kümmern? Ganz gleich, ob die Iunia Langeweile hatte oder nicht, hätte er nicht zuerst zu ihr kommen und sie fragen sollen? Seiana lachte leise, aber diesmal konnte man es hören, dass es gekünstelt war. „Warum sollte ich böse sein?“

    Seiana war sich da nicht so sicher, wie Aurelius Corvinus reagieren würde, wenn sie früher ging – aber immerhin war sie ja keine der einfachen Klienten, die jeder gutsituierte Römer zahlreich hatte. Es war ja auch nicht so, dass sie regelmäßig zur Salutatio kommen musste. Darüber hinaus: „Da werden sicher so viele Leute kommen, dass es gar nicht auffällt, wenn wir früher gehen“, meinte sie. „Und selbst wenn, dann erklär ich ihm das schon irgendwie.“


    Als Caius dann erzählte, wie sich seine Arbeit im Palast anließ, zog sie die Augenbrauen hoch. „So schlimm? Was, dein Verwalter ist durchgebrannt?“ Entsetzt sah Seiana ihn an. Sein Stocken fiel ihr zwar auf, aber sie maß dem keine Bedeutung bei. Allerdings konnte sie nicht verhindern, dass sich ein winziger Teil von ihr fragte, warum er da nicht sofort zu ihr gekommen war, als er davon erfahren hatte. Natürlich, er erklärte es ja, er hatte viel zu tun, ihm stand sein Kopf vermutlich sonst wo zur Zeit, aber trotzdem… „Das klingt ja furchtbar. Kann ich dir da irgendwie helfen? Ich hab doch sicher mehr Zeit als du im Augenblick, wenn du willst, kann ich mich da vielleicht um was kümmern.“

    Seiana war sich immer noch nicht so ganz sicher, ob es richtig war, mit Caius hierher zu kommen. Aber dem Neffen ihres Patrons, der darüber hinaus auch noch ihr Kollege in der Actaredaktion war, würde sie gratulieren, was hieß, dass sie auf jeden Fall kam, und sie hatte Caius nun mal gefragt und er hatte zugestimmt, also konnte sie jetzt im Nachhinein auch schlecht damit kommen, dass sie auch einen ihrer Verwandten fragen könnte. Nicht, wo er zugestimmt hatte. Und außerdem hatte er sich ja dann doch irgendwie dafür erwärmen können.


    Sie ließen sich den Weg ins Atrium weisen, wo zwar bereits jemand herumstand, allerdings noch verhältnismäßig wenige, dafür dass die Hochzeit recht groß gewesen war, nach allem was sie gehört hatte. Einige junge Frauen waren versammelt, einige Männer, darunter Ursus, ein paar Sklaven… Seiana bewegte sich auf die Gruppe zu und musste sich dann beherrschen, um nicht zu stocken, als sie plötzlich Axilla erkannte. So herausgeputzt hatte sie sie noch nie gesehen, und sie hatte sie im allerersten Augenblick tatsächlich nicht erkannt. Seiana mochte generell lieber schlichte Eleganz, und entsprechend war sie auch gekleidet und frisiert – wie Axilla gekleidet war, wäre nicht ihr Stil gewesen, aber dennoch fragte sie sich für einen winzigen Moment, ob sie ihre Kleidung, vor allem aber die Accessoires und die Frisur, nicht ein wenig zu schlicht gewählt hatte. Aber etwas daran ändern konnte sie ohnehin nicht mehr, also war es auch gleichgültig. Gemeinsam mit Caius ging sie auf die Gruppe zu, erkannte dann auch den Duccier – der offenbar mit Axilla hier war, wie sie feststellte –, während sie ihren Patron allerdings noch vergebens suchte, und lächelte dann. „Salvete“, grüßte sie in die Runde, als eine Gesprächspause eintrat, und wandte sich an Ursus und seine Frau. „Meine besten Glückwünsche zur Hochzeit, Tiberia Septima, Aurelius Ursus“, sagte sie zu den beiden, zur Tiberia zuerst, allein der Höflichkeit halber, obwohl sie sie nicht kannte. „Ich bin Decima Seiana“, stellte sie sich ihr dann vor, während sie ihr Geschenk überreichte – eine Abschrift von verschiedenen Schriften aus Alexandria, von denen sie hoffte, dass weder Ursus noch Septima sie schon hatten –, „eine Kollegin deines Mannes in der Acta und Klientin seines Onkels; das hier ist Caius Aelius Archias, mein Verlobter.“


    Sim-Off:

    WiSim :)

    Nächste Woche. Seiana nickte nur noch zur Bestätigung. Sie war froh, dass das Thema erledigt war – und das nächste offenbar gleich auch, denn Caius stimmte auch zu, mit zu dem Empfang zu kommen, und im Verlauf seiner weiteren Worte meinte Seiana beinahe sehen zu können, dass er wieder ein wenig bessere Laune bekam. Warum das so war, wusste sie nicht, aber es war ihr auch egal, so lange sich die Situation nur wieder etwas entspannte. „Ich weiß, dass du viel zu tun hast. Es tut mir auch leid, ich will dich nicht drängen oder so. Schon gar nicht wenn du Arbeit der letzten Wochen und Monate nachholen musst.“ Aber es stimmte einfach, dass sie sich in letzter Zeit kaum gesehen hatten. Vor allem, wenn man Alexandria als Maßstab anlegte. „In vier Tagen. Und ich glaub auch, dass es nett werden könnte. Und, wenn es das nicht wird, dann gehen wir einfach bald wieder, daran hindert uns ja keiner.“ Diesmal schaffte sie es wirklich, ein Lächeln auf ihre Lippen zu zaubern. „Wie läuft es denn so im Palast?“

    Seiana selbst konnte vermutlich gar nicht so genau sagen, ob es ihr wichtig war, weil es ihr wichtig war, oder ob es ihr wichtig war um der anderen willen. Hätte Caius sie konkret darauf angesprochen, und so lange nachgebohrt, dass sie wirklich, tatsächlich, anfing darüber nachzudenken, sie wäre ihm wohl die Antwort schuldig geblieben. Sie hätte es nicht gewusst. Aber selbst dann wäre der Fakt geblieben, dass sich bei ihr manche Dinge eingeschliffen hatten – dass sie nicht aus ihrer Haut konnte, in jedem Fall nicht so schnell, nicht so einfach.


    Egal war es ihm. Seiana schloss die Augen, für einen kurzen Moment. Egal. Na gut. Etwas anderes durfte sie wohl nicht erwarten, nicht wo sie schon froh sein konnte, dass er überhaupt eingewilligt hatte. „Nein, nächste Woche ist auch in Ordnung“, antwortete sie dann, wieder mit geöffneten Augen, und sie versuchte sich an einem Lächeln. Er kam mit, das war doch eigentlich alles, was sie wollte. Gut, es wäre ihr lieb gewesen, das so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, aber es war deutlich geworden, dass er eigentlich keine Lust hatte, und er kam trotzdem mit. Aus den falschen Gründen, aber er tat es. Da konnte sie ihm schon entgegen kommen. Ihre nächste Frage dagegen schien schon wieder auf keine große Begeisterung zu stoßen. Wollte sie, dass er mitkam? Wollte sie denn überhaupt hingehen? Nein, große Lust auf einen weiteren Termin, eine weitere Festivität dieser Art hatte sie eigentlich nicht, aber es war der Neffe ihres Patrons. Eigentlich hatte sie Caius jetzt gar nicht fragen wollen, aber es hatte sich angeboten, es hätte doch eine Ablenkung sein können… Und es war ein Fest. Caius mochte doch Feste, oder nicht? Seiana spürte fast so etwas wie Verzweiflung jetzt, weil es ihr so vorkam, als ob jeder Vorschlag von ihr schlecht war. „Ich… Ich dachte, das… wir könnten was zusammen unternehmen. Ich meine, wir haben uns jetzt seit über einer Woche nicht mehr gesehen, ich wollte etwas mit dir machen…“

    Sie sah ihn an, als er ja sagte. Und sie wusste nicht so recht, ob sie ihm glauben konnte. Ob er glaubte, dass sie das wirklich für sie beide machte und damit die Hochzeit klappte. Oder ob er nicht doch dachte, sie machte das nur, weil sie so versessen darauf war, dass alles den Regeln und Traditionen entsprach. Jetzt war es Seiana, die seufzte, und anschließend setzte sie sich wieder auf den Stuhl. „Ich-“, begann sie zu antworten, unterbrach sich aber kurz, als Caius sich nach hinten fallen ließ. „Ich weiß nicht so genau“, fuhr sie dann fort. „Ich hab mir darüber noch keine Gedanken gemacht, ich wollte eben fragen, wann es dir recht ist. Vielleicht… in zwei oder drei Tagen?“ Sie zögerte kurz, musterte ihn immer noch wie er so da lag. Wie abweisend er wirkte. Etwas schien plötzlich in ihrem Magen zu sitzen und zu sitzen. Sie wollte einfach nur, dass sie sich wieder vertrugen, dass es wieder in Ordnung war. Dass es wieder richtig war. So wie in Alexandria. Egal ob er ihre Art nur akzeptieren konnte, wenn es leicht war für ihn. „Hör zu, der… der Neffe meines Patrons heiratet bald. Hättest du… würdest du… möchtest mit mir da hingehen, ich meine, zu dem Empfang am nächsten Morgen? Um ihm und seiner Frau unsere Glückwünsche zu bringen?“

    Caius gab nach. Er sagte zu, dass er mit ihrer Familie essen würde. Wirklich zufrieden war Seiana damit trotzdem nicht, und sie wusste auch, woran das lag. Sie hätte sich gewünscht, dass er einsehen würde, warum es wichtig war. Dass er es ihr zuliebe tat, und nicht, weil er einen Streit beenden wollte – und genau das war der Grund, warum er nachgab, hatte sie das Gefühl. Es war nicht richtig so. Es stimmte nicht. Und sie wusste nicht, warum er es einfach nicht einsah. Sie hatte all diesen Besuchen zugestimmt, schon allein weil es sich gehörte, die Familie des zukünftigen Ehepartners kennen zu lernen. Oder nicht? Hätte sie etwa nein sagen sollen? Und seinen Kommentar mit dem Kaiserhaus nahm er auch nicht zurück.


    Seiana sah zurück, als er sie musterte, auf eine merkwürdige Art, und musste dann schlucken, als er dann seufzte und einfach nur wegsah, ohne ein Wort zu sagen. Es war so falsch. Es war irgendwie so falsch hier. Aber sie hatte keine Ahnung, was sie sagen oder tun sollte, um es wieder richtig zu machen. Es war doch so richtig gewesen, es hatte sich richtig angefühlt – wo war das hin? Warum wirkte er auf einmal so abweisend? Was um alles in der Welt war geschehen, dass sie das Gefühl hatte, er würde sie gar nicht mehr verstehen? In Alexandria war klar gewesen, dass sie verschieden waren – aber sie hatte doch geglaubt, dass er bis zu einem gewissen Grad Verständnis für sie und ihre Meinung aufbrachte. Oder war das nur ein Trugschluss gewesen? Hatte es daran gelegen, dass es in Alexandria, wo das Leben einfach lockerer war, fernab von Rom und den Traditionen, schlichtweg leichter für ihn gewesen war, ihre Art zu akzeptieren? Weil sie dort nicht so eingeschränkt gewesen war wie hier? Aber dann, realisierte sie plötzlich, hatte er nie wirklich Verständnis für ihre Art gehabt, hatte sie nie wirklich akzeptiert. Es zählte nicht, wenn man es nur dann konnte, wenn es leicht war. Der Gedanke, dass es bei Caius so gewesen war, was sie und ihre Denkweise betraf, tat Seiana mehr weh, als sie geahnt hätte. „Ich…“ Sie hob leicht die Hände und ließ sie dann wieder sinken, überlegte ob sie zu ihm gehen, sich neben ihn setzen sollte, ließ es aber dann doch bleiben. „Danke“, meinte sie stattdessen nur. Und dann: „Ich will das für uns. Glaubst du mir das?“

    Seiana sah nicht zu Caius. Das musste sie auch nicht, um zu bemerken, dass er keine Anstalten machte aufzustehen und sich auf eine andere Cline zu legen, eine, die frei war, eine, die er sich nicht mit Axilla teilen musste. Was doch eigentlich nur den Schluss zulassen konnte, dass es ihm gefiel, dass sie neben ihm lag. Dass ihm gefiel, welche Laute sie von sich gab. Als die Iunia plötzlich sogar fiepte, biss Seiana die Zähne zusammen, und es hätte nicht viel gefehlt, und sie wäre doch aufgestanden und einfach gegangen, gleichgültig, was irgendwer davon hielt. Aber sie beherrschte sich, sondern lächelte nur die zwei Männer an, die sich bemühten, mit ihr ein Gespräch zu führen. „Doch, das schon“, antwortete sie auf Pisos Frage. „Aber wenn du Texte dann korrigieren und redigieren musst, lässt die Spannung doch deutlich nach.“ Dann wandte sie sich an Imperiosus. „Gut, ich gebe zu, dass es doch interessanter bei der Acta zu arbeiten. Ich komme im Moment nur nicht zum Schreiben, sondern übe hauptsächlich meine Arbeit als Lectrix aus.“ Sie trank einen Schluck Wein und wollte gerade noch etwas sagen, als Caius fragte, um was es denn genau ging. Jetzt warf sie ihm doch einen kurzen Blick zu, sah sein Lächeln, und um ihre Mundwinkel zuckte es ebenfalls, aber es war mehr ein Reflex als alles andere in diesem Augenblick. „Na ja, es ging um die Unruhen in Alexandria. Die Acta hat darüber berichtet, dass Imperiosus hingeschickt wurde.“ Dass darüber hinaus dargestellt worden war, dass der Pompeier zu unerfahren gewesen sei, um diese Aufgabe zu übernehmen, verschwieg sie, das gehörte an dieser Stelle nicht hin. Sie musste nicht auch noch jemand anderem den Abend verderben, wenn es der ihre schon war. „Zu meiner Verteidigung sei gesagt: ich habe diesen Artikel nicht geschrieben“, lachte sie stattdessen.

    Langsam begann Seiana zu glauben, Caius machte das mit Absicht. Mit purer, fast schon böser Absicht. Hatte sie je verlangt, er solle zu jedem hindackeln? Nein! Sie redete doch die ganze Zeit nur davon, dass er sie einfach nur kennen lernen sollte! Warum verdrehte er ihr denn jedes einzelne Wort im Mund? Und mit seinem Kommentar über das Kaiserhaus und die Decimer traf er sie noch mehr, damit traf er sie tief. Und er kannte sie. Er musste einfach wissen, dass sie das treffen würde. „Nein. Auf einmal war auch sie ruhig. Den Sklaven, der vorhin kurz hereingeschaut hatte, hatte sie völlig ignoriert. „Ich meine Livianus. Den Bruder meines Vaters.“ Seiana starrte Caius an, während dieser sich wieder setzte. Sie selbst blieb stehen. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, und doch versuchte sie es. „Soll ich dir noch mal aufzählen, wen ich von deiner Seite bereits alles kennen gelernt habe? Denn es geht hier nur ums kennen lernen, nicht ums Erlaubnis fragen oder sonst was. Meridius hat seine Zustimmung gegeben, ja, und das steht und bleibt so. Aber ich sehe nicht ein, warum ich deine Großcousine wasweißichwievielten Grades kennen lernen soll, wenn du es umgekehrt fertig bringst, mit meiner Familie zu Abend zu essen. Sie ebenfalls vor der Hochzeit wenigstens mal gesehen zu haben.“ Ihre Stimme blieb ruhig, zitterte auch nicht, obwohl der Stich mit dem Kaiserhaus immer noch schmerzte. Nur etwas leiser wurde sie, jetzt. „Aber wer weiß, vielleicht sind ja die Decimer nicht gut genug fürs Kaiserhaus.“

    Einen Augenblick starrte Seiana ihn nur an. Das konnte nicht sein Ernst sein. Das konnte. Einfach. Nicht. Sein Ernst sein! Jetzt war es um ihre Selbstbeherrschung endgültig geschehen. „Es sind nun mal deine Freunde! Das hat nichts damit zu tun, dass sie mir nicht gut genug sind, ganz im Gegenteil! Ich hab mich ja auch nicht beschwert oder sonst was! Das einzige was ich möchte ist, dass du mit meiner Familie auch mal zu Abend isst! Wie bist du denn mit Vespa verwandt, das ist doch irgendeine Großcousine von dir, um mehrere Ecken! Du sollst auch gar nicht mehr mit meinem Bruder reden, du sollst einfach nur dafür sorgen, dass er keinen Grund mehr hat gegen die Hochzeit zu sein! Und du kennst meinen Onkel nicht!“

    Warum war sie jetzt auf einmal wieder in der Situation, sich verteidigen zu müssen? Schon wieder, um es genauer zu sagen? Manchmal hatte Seiana das Gefühl, dass sie nichts, aber auch gar nichts anderes tat – bei ihrer Familie musste sie ihren Verlobten und ihre Entscheidung verteidigen, bei Caius musste sie ihre Familie und ihre Haltung verteidigen. Und sie war dazwischen, saß zwischen allen Stühlen und hatte das Gefühl, auf Dauer zerrissen zu werden. Langsam reichte es ihr. „Ich weiß, was du wolltest! Aber er ist halt nicht wie du!“ Jetzt fing sie doch an, sich wieder darüber aufzuregen, obwohl sie es eigentlich nicht wollte – und auch sie erhob sich wieder, gestikulierend, nicht weil er aufgestanden war, sondern weil sie nicht sitzen bleiben konnte. „Du weißt doch, wie Soldaten sind! Und wenn du dann noch einen vor dir hast, der meint seine Schwester verteidigen zu müssen, ist doch klar dass er so was als Herausforderung sieht. Himmel, Caius, du hast seinen Brief doch genauso gelesen wie ich, und als du angekommen bist in Rom, haben wir noch mal darüber geredet, du wusstest doch wie er gerade drauf ist! Hast du ernsthaft gedacht, er würde während eines Ringkampfs mit dir reden?“ Seiana unterdrückte ein Seufzen und presste stattdessen Daumen und Zeigefinger auf ihre Augen, so fest, dass sie für einen Moment Sterne sah. Sie war es so leid, sich deswegen zu streiten, ob nun mit Caius oder Faustus. „Er wird dir keine mehr runterhauen. Und du ihm genauso wenig. Eher geh ich dazwischen, dann könnt ihr auf mich einprügeln.“ Immerhin war es ja sie, die das Ganze verbockt hatte. Es war ihre Familie, und sie war sui iuris. Es wäre ihre Verantwortung gewesen, dafür zu sorgen, dass von vornherein alles glatt lief. „Ja, Anstandsbesuch. Du weißt schon. Dass du offiziell meiner Familie vorgestellt wirst. Caius, ich war mit dir bei Quarto, ich bin mit dir nach Ravenna gereist zu deinen Eltern, ich war bei Vespa, ich war sogar bei Pompeius, um deine Freunde zu treffen! Ist es denn zu viel verlangt, dass du meine Familie auch kennen lernst?“

    Er setzte sich. Seiana war erleichtert. Hätte er sich nicht gesetzt, sie wäre vermutlich gleich wieder aufgesprungen. Irgendwie war es ihr wichtig, dass sie sich auf der gleichen Ebene unterhielten, wichtig genug, dass etwas so simples wie ein Höhenunterschied, ausgelöst durch Sitzen oder Stehen, eine Rolle spielte für sie. „Ja, Zeit hab ich.“ Sie nickte, und noch einmal zeigte sich der Anflug eines Lächelns. Selbst wenn sie keine Zeit gehabt hätte, dann hätte sie sich eben welche genommen. Hätte sie in diesem Moment auch nur ansatzweise geahnt, was er dachte – dass er quasi nur Zeit für sie hatte, weil er ohnehin nicht zu Axilla konnte –, sie hätte ihm vermutlich irgendetwas um die Ohren geschlagen. So aber saß sie nur da und lächelte leicht, weil ein Teil von ihr glaubte, glauben wollte, dass doch alles in Ordnung war. Dass sie sich alles nur eingebildet hatte. Dass alles gut werden würde.


    Dann allerdings kam die Sprache auf ihren Bruder, und Seiana seufzte. „Ich weiß. Ich kann’s irgendwo auch verstehen. Aber bei den Göttern, warum musstest du ihn ausgerechnet zu einem Ringkampf herausfordern? Er ist Soldat, was glaubst du wie er das auffasst?“ Sie presste die Lippen kurz aufeinander. Das Thema hatten sie schon gehabt, und sowohl Faustus als auch Caius hatten von ihr etwas abgekriegt für diese in ihren Augen unglaublich dämliche Aktion. Es regte sie eigentlich immer noch auf, aber es brachte nichts, das jetzt wieder auszubreiten. Es war passiert, fertig. „Ich weiß“, wiederholte sie noch einmal, ruhiger. „Aber er ist mein Bruder. Du musst ihn nicht… nicht mögen…“ Es fiel ihr schwer genug, dieses Zugeständnis zu machen, aber dass dieses Kind in den Brunnen gefallen war, war inzwischen auch ihr klar geworden. „Aber bitte, Caius, er… er gehört zu meinem Leben, er ist der einzige, der noch lebt von meiner engsten Familie. Ich will, dass er dich so sieht wie ich, und nicht wie er dich sehen will. Und ich will, dass er nichts mehr gegen die Hochzeit hat. Aber dafür braucht es einfach diesen einen Anstandsbesuch, danach hat er keine Ausrede mehr, weißt du?“ Sie holte kurz Atem und nickte dann. „Ja, ist er. Aber schon länger, schon bevor ich aus Alexandria zurückgekommen bin.“

    Dass ihm der Zustand seines Zimmers so peinlich sein könnte, kam Seiana nicht in den Sinn. Immerhin war ihm das in Alexandria auch nicht peinlich gewesen, wenn sie seine Unordnung gesehen hatte, warum also sollte sich ausgerechnet das geändert haben? Es war der private Bereich, den keiner zu sehen bekamen, der einem nicht nahe stand. Sicher, am Anfang hatte sie schon etwas geguckt in Alexandria, aber inzwischen war sie seine Unordnung einfach gewöhnt. Es war eher überraschend, dass er mal aufräumte. „Äh“, machte sie, fast als ob sie sein Echo wäre. Er klang, als ob sie doch störte. Aber sie hatte nicht vor jetzt wieder zu gehen. Allerdings, setzen wollte sie sich eigentlich auch nicht. Sie blieb lieber stehen, da fühlte sie sich irgendwie… sicherer. „Danke, ja“, lautete hingegen ihre Antwort, und kaum ausgesprochen, ließ sie sich auf dem Stuhl nieder, auf den Caius deutete. Sie hoffte nur, er würde sich auch setzen.


    „Wolltest du?“ Ein erfreutes Lächeln flog über ihr Gesicht. Vielleicht war er ihr doch nicht aus dem Weg gegangen, vielleicht hatte er einfach nur viel zu tun gehabt, immerhin hatte er doch gerade erst seinen neuen Posten angetreten. „Einfach nur so? Das ist lieb von dir.“ Einen Moment lang blieb ihr Lächeln noch bestehen, aber dann, langsam, wie eine Kerzenflamme, deren Docht herunter gebrannt ist, flackerte und erlosch es. Ihr fiel auf, dass er sie nicht geküsst hatte zur Begrüßung, was er sonst eigentlich immer tat, vor allem dann, wenn sie allein waren. Seiana räusperte sich. „Ehm, nun ja… wir können ja nachher dann zusammen essen. Wenn du willst“, beeilte sie sich hinzuzufügen. „Essen ist ein gutes Stichwort, übrigens. Ich… wollte fragen, wann du mal zu mir kommst. Ich meine, in die Casa Decima, um… mit meinem Onkel und meinem Bruder zu reden. Ich dachte an ein gemeinsames Abendessen, vielleicht… bringt das was…“ Eigentlich hatte Seiana das von ihm einfordern wollen. Aber die ganze seltsame Atmosphäre führte dazu, dass ihre Stimme eher unsicher und zögerlich klang, und als sei das noch nicht genug, setzte ihr Mund noch eins oben drauf, bevor ihr Verstand eingreifen konnte: „Was meinst du?“

    Caius wirkte irgendwie… ertappt. So sah er immer aus, wenn sie ihn bei etwas überrascht hatte, von dem er nicht wollte, dass sie es sah, oder was ihm peinlich war, oder von dem er dachte dass sie es peinlich finden könnte, oder… Allerdings sammelte er gerade nur Muscheln ein, die mit einer Menge Sand über den Boden verteilt waren, und kurz fragte Seiana sich, was um alles in der Welt er wohl angestellt hatte, dass da jetzt Sand und Muscheln am Boden lagen. Im nächsten Moment lagen wieder alle Muscheln auf dem Boden, auch die, die Caius schon eingesammelt hatte, weil er sie wieder fallen ließ. Was Seianas Eindruck, dass er sich ertappt fühlte, nur verstärkte. „Ich… entschuldige. Stör ich dich gerade? Ich meine…“ Sie verbiss sich die weiteren Worte, die ihr auf der Zunge lagen. Nein, sie würde nicht sagen, dass sie später wieder kommen könnte, oder morgen, oder sonst wann. Sie war jetzt hier. „War eine spontane Idee. Ich wollte ohnehin mit dir reden, und heute Nachmittag hatte ich nichts zu tun, daher…“

    Zwei Wege sinds. Sie führen keinen hin.
    Doch manchmal, in Gedanken, läßt der eine
    dich weitergehn. Es ist, als gingst du fehl…



    Was zögerst du ganz wie zum ersten Mal
    erwartungsvoll auf diesem Ulmenplatz,
    der feucht und dunkel ist und niebetreten?

    Und was verlockt dich für ein Gegensatz,
    etwas zu suchen in den sonnigen Beeten,
    als wärs der Name eines Rosenstocks?

    Was stehst du oft? Was hören deine Ohren?
    Und warum siehst du schließlich, wie verloren,
    die Falter flimmern um den hohen Phlox.


    In einem fremden Park – Rainer Maria Rilke



    Es war Nachmittag, als Seiana sich auf den Weg gemacht hatte zum Palast. Die Wachen ließen sie inzwischen anstandslos durch, weil bekannt war, dass sie Caius’ Verlobte war. Über eine Woche war es nun her, dass sie sich das letzte Mal gesehen hatten… Und sie wusste nicht, was sie davon zu halten hatte. In Alexandria hatten sie sich fast jeden Tag gesehen. Und wenn es nur kurz am Abend war, auf einen Becher Wein… Und hier, in Rom? Seiana wusste nicht, was sich geändert hatte. Sicher, sie wohnten jetzt nicht so nah beieinander, und Rom war einfach anders als Alexandria, aber sie hatte nie, niemals, geglaubt, dass das so einen Einfluss hätte haben können auf sie. Sie wusste nur zu gut, was Caius störte, er war ja niemand, der ein Blatt vor den Mund nahm. Nur, war es denn so schlimm, zu warten bis sie verheiratet waren? Nicht nur was… das Bett anging, sondern ganz allgemein? Konnte er nicht begreifen, dass es einfach ein Unterschied war, ob sie zuhause war und sich benehmen konnte, wie sie wollte, weil jeder, der es bemerkte, sich nicht daran störte – oder irgendwo unterwegs, in der Öffentlichkeit oder bei Menschen, die eben keine Familie oder enge Freunde waren? Nein, das schien er nicht zu begreifen. Und Seiana war offenbar niemand, die ihm das so sagen konnte, dass es ihm klar wurde. Sie sagte es einmal, vielleicht zweimal, aber wenn es dann nicht deutlich war, dann ließ sie es, sondern zog nur ihre Konsequenzen. In diesem Fall hatte sie noch mehr von Caius’ Avancen, welcher Art auch immer, abgeblockt als sie es davor schon getan hatte. Caius wiederum war ihr vermehrt aus dem Weg gegangen, so schien es ihr. Wann hatten sie sich eigentlich das letzte Mal allein gesehen – mit dem einzigen Anlass, sich eben zu treffen, Zeit miteinander zu verbringen? Sie schien sich nicht mehr daran erinnern zu können. Die letzten Wochen schienen voll gewesen zu sein mit Terminen bei irgendwelchen Menschen, die sie kaum kannte, aber sie beide, allein?


    Seiana unterdrückte ein Seufzen, als ein Sklave sie zu Caius’ Zimmer brachte. Ihre Reaktion auf Caius’ zunehmend merkwürdiges Verhalten war gewesen, dass sie sich in Arbeit stürzte. Arbeit, Arbeit, und wieder Arbeit. Sie hatte sich für zwei Kurse an der Schola eingetragen, der Musikkurs einer Lehrmeisterin des Museions, und darüber hinaus studierte sie dort nun Wirtschaft. Ihre Geschäfte liefen gut, aber bisher hatte sie keine gesicherte Grundlage an Wissen, worauf sie ihre Entscheidungen basieren konnte – sie hatte sich selbst einiges angelesen und angelernt, aber das war etwas anderes, fand sie, als sich an der Schola damit zu beschäftigen, wo sie es professionell lernte. Und es konnte ganz sicher nicht schaden, ihren Geschäften nicht und ihr nicht. Nein, sie hatte ein feines Gespür für Stimmungen, dafür, wenn etwas nicht in Ordnung war, und etwas war nicht in Ordnung zwischen Caius und ihr – nur konnte sie nicht sagen was. Sie meinte, dass es ihre Schuld war, ihre Schuld sein musste. Was sie bei den Pompeiern gesehen hatte, blendete sie, eher unbewusst, aus – sie redete sich ein, dass daran nichts Ungewöhnliches gewesen wäre. Lag es an ihrem Verhalten? Oder war auch ein Grund, dass Faustus sich immer noch gegen diese Bindung sperrte? Das war ihr eigentlicher Grund, warum sie hier war – es konnte so nicht weiter gehen mit ihrer Familie, Caius musste einfach endlich vorbei kommen und mit ihnen reden, ganz normal, nicht auf irgendeinem Sandplatz, wo er wohl mit dem nächsten ihrer Verwandten prügeln würde. Sie hätte eigentlich schon vor Tagen kommen können, kommen müssen, um das endlich in Gang zu bringen, aber sie hatte es aufgeschoben. Sie war eigentlich niemand, der eine Konfrontation scheute, aber wenn sie nicht wusste, woran sie war… wenn sie einfach nur ein ungutes Gefühl hatte, ohne es wirklich zuordnen zu können, ohne zu wissen, woran es lag und was sie dagegen tun konnte… dann vermied sie eine Konfrontation lieber. Sie war gerne vorbereitet, hatte es gern, wenn sie Chancen und Risiken einschätzen konnte. Sie hatte es gern, wenn sie wusste, was sie sagen sollte. Und bei Caius wusste sie im Augenblick nichts davon. Sie fühlte sich merkwürdig unsicher, so unsicher, wie sie sich in seiner Gegenwart, was ihn betraf, schon lang nicht mehr gefühlt hatte.


    Inzwischen hatten der Sklave und sie Caius’ Cubiculum erreicht, er klopfte und ließ sie eintreten, was sie auch tat. Etwas verwundert bemerkte sie, wie sauber sein Zimmer zu sein schien. In Alexandria war das selten so ordentlich gewesen, erinnerte sie sich. „Hey“, sagte sie zu ihm, und dann sagte sie erst mal nichts mehr, weil sie nicht wusste, was sie sagen sollte.