Beiträge von Decima Seiana

    Seiana wich den Blicken aus, die sie streiften. Sie wollte weder Betroffenheit noch Mitleid sehen, sondern wartete lieber, bis das Thema durch war. Diesmal sprang Caius ein, und Seiana warf ihm kurz einen dankbaren Blick zu, ohne noch etwas zu sagen. Ihr wollte nichts Höfliches über die Lippen kommen. Bei ihrem Vater wäre es einfacher gewesen, war dieser doch schon lange tot, aber bei ihrer Mutter war es etwas anderes, was nur zum Teil daran lag, dass sie sie geliebt hatte, sondern auch daran, dass es ungelöste Konflikte gab. Dass sie es ihr recht machen wollte, dass sie sie stolz machen wollte, aber gleichzeitig wusste, dass das nicht ging, nicht so, wie sie ihr Leben führte. Dass sie sich nach wie vor dafür schämte, dass ein Teil von ihr fast erleichtert gewesen war, als ihre Mutter endlich gestorben war, weil es Freiheit für sie bedeutet hatte – Freiheit von der Pflicht, sie zu versorgen, aber auch Freiheit ganz allgemein, von den Erwartungen, die sie an ihre Tochter gestellt hatte.


    Im Anschluss lächelte Seiana wieder. „Aber eine Hochzeit im Frühjahr ist viel schöner als jetzt im Winter. Wenn dann die Sonne scheint und alles anfängt zu blühen… Ich bin vielleicht keine große Romantikerin, aber das fänd ich dann doch wesentlich schöner als bei Schnee oder Regen.“ Sie lächelte auch weiterhin, während das Gespräch bei der Hochzeit blieb. Allerdings begann jetzt wieder das bekannte Rumoren in ihrem Magen. Die Hochzeit. Der Brautzug. Götter, das ging doch alles viel zu schnell. Und bevor sie es sich versah, war sie verheiratet und wohnte mit Caius zusammen und war eine Matrona, bekam Kinder, was Caius gar nicht schnell genug gehen konnte, genauso wenig wie die Tatsache, dass sie endlich das Bett miteinander teilten, und bei all diesen Aussichten bekam Seiana plötzlich das Gefühl, Schwierigkeiten mit dem Atmen zu haben. Ihr Lächeln blieb, schien allerdings ein wenig zu gefrieren. Calvasters Kommentar über die Geschenke machte es auch nicht besser. „Ah… Aber du hast schon gesagt, dass wir… noch nicht jetzt heiraten, oder?“

    Caenis’ Reaktion auf die Tatsache, dass Seiana drei Brüder hatte, konnte sie nicht so ganz einordnen. Gefiel ihr das oder eher doch nicht? Die nächsten Worte wischten die Grübeleien darüber jedoch ziemlich schnell weg. Die Anzeichen für den inneren Rückzug Seianas waren subtil, aber sie waren da. Sie nahm den Becher herunter, umfasste ihn ihrem Schoss mit beiden Händen und lehnte sich in dem Korbstuhl zurück. „Ja, ich… hoffe, dass sie stolz… ist.“ Oh ja, sie hoffte es. Aber sicher war Seiana sich darüber ganz und gar nicht. Dass sie eigene Geschäfte führte, dass sie in Alexandria gewohnt hatte, dass sie sich verlobte ohne die explizite Zustimmung ihres Bruders… Nein. Vermutlich war ihre Mutter nicht wirklich stolz auf das, was sie geworden war. „Sie, ähm, lebt nicht mehr“, fügte sie noch erklärend hinzu, um zu erklären, warum sie es lediglich hoffte und nicht wusste. Darüber hinaus hoffte sie, dass das Thema damit erledigt war. Ein Muskel zuckte in ihrer Wange, während sie den Becher nun erneut zu ihren Lippen führte.


    Erleichtert über den Themenwechsel wandte Seiana sich Caius’ Vater zu. „Über den genauen Termin haben wir noch nicht gesprochen. Wir wollten erst noch ein paar Dinge erledigen. Unser Besuch hier bei euch, zum Beispiel.“ Sie lächelte leicht und musterte dann wieder die Geschenke. „Ist das… hier so üblich? Ich meine, dass Geschenke zu einer Verlobung geschickt werden?“ Sie hatte nichts dergleichen bisher gehört, andererseits hatte sie in Italia ja noch nicht allzu viel Zeit verbracht.

    „Ah, äh, nein“, bestätigte Seiana. Was sie persönlich allerdings nicht schlimm fand, ganz im Gegenteil. Sie hätte sich keinen schöneren Heiratsantrag wünschen können als den, den sie bekommen hatte. Allerdings schien Caenis tatsächlich nichts davon zu wissen, enttäuscht wie sie gerade wirkte. „Oh, ich weiß nicht“, wehrte sie dann ab, mit einem leisen Lachen diesmal. „Ich bin mit drei Brüdern aufgewachsen. Ich kann mir kaum vorstellen, dass dieser prägende Einfluss in der Ehe tatsächlich seine Wirkung verliert.“ Was sie tatsächlich nicht glaubte. Caius war nicht der erste Mann gewesen, der ihr Avancen gemacht hatte, aber der erste, dessen Avancen sie tatsächlich bewusst wahrgenommen hatte. In Tarraco hatte sie nie Augen oder Ohren dafür gehabt, zuerst weil sie ein Wildfang gewesen war, später dann weil sie sich nur noch um ihre Mutter gekümmert hatte – und noch später, weil die Trauer zu groß gewesen war. Als sie daraus aufgetaucht war, hatte sie beschlossen, nach Rom zu gehen, und dort war ihr Caius über den Weg gelaufen. Vermisst hatte sie allerdings nichts bis zu diesem Zeitpunkt. Sie hatte einfach… nun ja, keinen großen Wert auf das gelegt, auf was andere Mädchen und junge Frauen ihres Alters Wert legten. Und sie tat es im Grunde immer noch nicht. Ihre Selbständigkeit war ihr wichtiger als Romantik, genauso wie beispielsweise ihre Ehre und ihr Stolz, und der ihrer Familie. Was Caius nicht immer ganz einzusehen schien.


    Das kurze Schweigen, das auf Caius’ Kommentar hin entstand, war zumindest für Seiana ein höchst peinliches. Und das gerade nachdem sie angefangen hatte, sich ein wenig zu entspannen. Dankbar wandte sie sich Caius’ Eltern zu, als diese wieder zu sprechen begannen. „Ach, ich… weiß…“ … nicht genau, was sie darauf sagen sollte. Wie sie interessant sein könnte für Männer, war genauso wenig ein Thema für sie gewesen wie Romantik. Sie tat, was sie für richtig hielt, und dazu gehörte eben auch Zurückhaltung in der ein oder anderen Situation, aber ob sie das nun interessanter machte oder nicht, darüber war sie sich nicht so sicher. Nein, auf ganz bestimmte Situationen bezogen machte sie das wohl eher uninteressanter, weil spröder. Prüder. Sie unterdrückte ein Seufzen und nahm sich ein paar Trauben, dann sah auch sie zu den Geschenken. „Warum haben eure Nachbarn denn Geschenke für uns abgegeben?“ fragte sie verdutzt.

    „Vielleicht solltest du einen Medicus aufsuchen“, kommentierte Seiana die Auskunft, dass Axilla in letzter Zeit so häufig übel war. „Oder wird dir immer schlecht, wenn du aufgeregt bist?“ Vielleicht waren es noch Nachwirkungen von der Überfahrt, oder Axilla war tatsächlich krank. „Falls du doch noch etwas möchtest, lass es mich einfach wissen.“ Ein wenig seltsam fühlte auch sie sich, weil sie eindeutig nicht so herausgeputzt war wie die Iunia. Seiana legte im Grunde wert darauf, dem Anlass entsprechend gekleidet zu sein, wobei es allerdings häufig so war, dass sie sich den Umständen anpasste – und augenblicklich vertrat sie immerhin einen Senator. Und Axilla war gekleidet, wie man sich eben kleidete, wenn man einen Senator besuchte, noch dazu zum ersten Mal. Kurz schoss Seiana der Gedanke durch den Kopf, ob Axilla vielleicht sogar vorhatte Livianus zu fragen, ob er ihr Patron werden wollte.


    Abgelenkt wurde sie, als Axilla weitersprach, und jetzt konnte Seiana ein Grinsen nicht unterdrücken. „Beklagt hast du dich? Kein Wunder, dass er dich eingeladen hat. Das lässt kein Decimer auf sich sitzen.“ Nein, die Decima waren eine stolze Familie, immer schon gewesen… Und eine Herausforderung war auch nichts, was ein Decimer ausschlagen würde. Musste das iberische Blut in ihren Adern sein. Und Axillas Worte klangen danach, als ob ihr Brief ein wenig von beidem hätte ansprechen können, den Stolz und den Willen, Herausforderungen anzunehmen und ihnen nicht auszuweichen. Als Axilla dann jedoch ebenfalls Caius’ Praenomen benutzte, hoben sich Seianas Augenbrauen leicht. Dass die beiden befreundet waren, wusste sie, dass sie allerdings so gut befreundet waren, dass Axilla ihn ebenfalls Caius nannte, war ihr hingegen nicht bewusst gewesen. Überhaupt nicht – hatte Caius doch nichts dergleichen erwähnt. Und irgendwie fand Seiana, dass das schon, nun ja, erwähnenswert gewesen wäre. „Warum sollte er dich aufziehen, weil du noch nicht verheiratet bist – sieh mich an.“ Sie lächelte, aber für einen Moment mochte es… leicht abgelenkt wirken. Aber sie meinte ernst, was sie sagte, immerhin war sie doch ein paar Jahre älter als Axilla. So alt, dass die Leute wohl bald zu reden anfangen würden, dass sie noch nicht verheiratet war, wenn sie es nicht schon längst taten. Dann zuckte sie die Schultern und grinste leicht. „Lass dich nicht ärgern. Schon gar nicht von ihm, wo er doch ohnehin jede Gelegenheit nutzt.“ Seiana konnte sich durchaus denken, in welche Richtung die Frotzeleien von Caius gegangen waren, immerhin kannte sie ihren Verlobten – und sie kannte seine Einstellung zu Patriziern, Senatoren und anderen hochgestellten Würdenträgern. Mal ausgenommen von denen, die er gut kannte. Aber sie hatte keine Lust, auf eine Diskussion dieser Art einzusteigen, oder es von Axilla tatsächlich bestätigt zu bekommen, was sie argwöhnte – denn auf ihre Familie ließ sie nichts kommen, und wenn Caius irgendetwas angedeutet hatte, würde er von ihr etwas zu hören bekommen. Und da die Situation mit ihrem Verlobten und ihrem Bruder ohnehin etwas schwierig war zur Zeit, war sie nicht unbedingt erpicht darauf, noch einen Grund zu liefern, dass sich irgendjemand zu streiten begann. „Du bleibst bis zur Hochzeit? Das freut mich“, ging sie stattdessen dankbar auf den Themenwechsel ein. „Bist du denn das erste Mal in Rom?“

    Ein klein wenig überrascht von Axillas Redeschwall – von dessen möglicher Ursache Seiana nicht das Geringste ahnte –, bot Seiana der Iunia einen Sitzplatz an und ließ sich ebenfalls nieder, während sie sich zugleich bemühte, sich von ihrer Verblüffung nichts anmerken zu lassen. Stattdessen versuchte sie, der Erklärung zu folgen, wie es zustande kam, dass Axilla nun hier war, um Livianus zu treffen, obwohl sie ihn eigentlich gar nicht kannte. Ihr Onkel hatte sie eingeladen, weil sie ihm einen Brief geschrieben hatte? Seiana beschloss, dass es vielleicht besser war, wenn sie nicht allzu sehr darauf einging. „Oh, mach dir keine Gedanken. Das würde mir ganz genau so gehen.“ Mit einem etwas schwummrigen Gefühl im Magen dachte Seiana daran, wenn sie in nächster Zukunft alles kennen lernen sollte. Caius’ Eltern. Den Bruder des Kaisers. Caius’ Eltern. Allerdings hoffte sie doch stark, dass sich das bei ihr nicht in einem ähnlichen Redeschwall äußern würde – oder darin, dass sie beinahe Saft vergoss.


    „Ich habe Livianus in Alexandria auch nicht getroffen, obwohl ich es schön gefunden hätte, wenn es geklappt hätte. Aber er hätte ja im Grunde gar nicht dort sein dürfen. Sag, kann ich dir irgendetwas anbieten? Vielleicht etwas Obst?“ Sie nippte an ihrem Saft, während der Sklave, der im Hintergrund herumstand, darauf wartete was Axilla wohl sagen würde, um es dann zu holen. „Er hat dich einfach auf deinen Brief hin eingeladen?“ Seiana hatte gar nicht gewusst, dass ihr Onkel so spontan auf so etwas reagierte, allerdings kannte sie ihn auch nicht so gut wie Faustus beispielsweise. „Und wieso Blödsinn, was denkt Caius denn?“


    Sim-Off:

    In Ordnung :)

    Rein aus Höflichkeit nahm Seiana von dem Teller, den ihr einer der Sklaven gegeben hatte, eines der Häppchen und kostete. Es schmeckte hervorragend, aber sie hatte nicht wirklich Hunger, und so wie das Gespräch gerade lief, verging ihr der Appetit immer mehr. Die Kommentare von Caius’ Mutter waren, nun, eher nichtssagend, und Caius war auch keine große Hilfe. Genau genommen war er gar keine Hilfe. Seiana lächelte erneut, aber langsam sie bekam langsam das Gefühl, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis es nicht mehr echt wirkte. „Nein, also, hrm. Nicht traditionell“, murmelte sie, als Caius keine Anstalten machte, auf diese Frage zu antworten. „Oh, hat er?“ Dankbar stürzte sich Seiana auf diese Vorlage. Alles, wenn es nur ablenkte von ihr. „Wie hast du denn reagiert, darauf? Tatsächlich freudestrahlend?“ Doch… doch, jetzt fühlte sie sich ein wenig besser. Ein wenig. „Das denke ich aber auch“, pflichtete sie dann Calvaster bei, und zum ersten Mal flog ein leichtes Grinsen über ihr Gesicht. „Und es kommt ja auch immer darauf an, was man unter Romantik versteht. Oder wie viel man davon möchte.“

    Wein. Pur. Seiana unterdrückte ein Seufzen und nippte nur an dem Becher. Der Wein war wirklich gut, stellte sie fest, aber das änderte nichts daran, dass sie ihn lieber verdünnt getrunken hätte. Schon allein weil sie ganz definitiv nicht wollte, dass sie hier in Gegenwart von Caius’ Eltern einen Schwips bekam. Caius nippte allerdings auch nur an seinem Becher, wie sie aus dem Augenwinkel feststellte, also war sie hoffentlich auf der sicheren Seite, dass sie keiner dazu nötigte, mehr zu trinken als sie wollte. Oder als gut war. Caius’ Mutter starrte sie ja jetzt schon so an, als hätte sie irgendetwas ausgefressen. War das wirklich nur der verpatzte Trinkspruch, der sie dazu brachte, Seiana so intensiv zu mustern? Oder dachte sie vielleicht dasselbe wie Faustus umgekehrt, nämlich dass sie nicht gut genug war für Caius? Seiana begann sich unwohl zu fühlen, unwohl auf eine Art, die kein Vergleich war zu dem, wie sie sich bis gerade eben gefühlt hatte. Aus lauter Verlegenheit nippte Seiana noch einmal an dem Becher – und wünschte sich, es wäre Wasser oder Saft darin, weil sie dann so oft daran hätte nippen – ergo, sich dahinter verkriechen – können, wie sie gewollt hätte. Wie es nötig gewesen wäre. Und sie bekam das Gefühl, dass sie häufig das Bedürfnis bekommen würde, sich hinter irgendetwas zu verkriechen.


    Als Caenis dann herausplatzte mit einem Haufen Fragen, die für Seianas Ohren ganz verdächtig in die Richtung gingen, die ihre Gedanken bereits zuvor eingeschlagen hatten, warf sie Caius einen hilflosen Blick zu – aber der dachte offenbar überhaupt nicht daran, etwas von den Fragen abzufangen, die seine Mutter stellte. Zuerst hatte er nur Augen für den Turm an Geschenken, dann hatte er nur Augen für das Essen, das kam. Seiana unterdessen war sich nicht so ganz sicher, was und wie sie nun antworten sollte. Caenis blickte im Augenblick recht freundlich drein, und sie sagte zumindest, dass sie sich freute, aber inwiefern das wirklich so war, konnte Seiana nicht sagen. Oder inwiefern es immer noch so sein würde, wenn sie erzählte, wie sie sich verlobt hatten. Im Schlamm. Ach du meine Güte… Götter, steht mir bei, flehte sie im Stummen. Wenn Caius es schon nicht tut… „Wir, ähm, wir sind uns auf den Märkten begegnet, in Rom. Er wollte eine Vase kaufen.“ Eine hässliche. Hatte er sie eigentlich dann gekauft gehabt oder nicht, grübelte sie kurz nach, dankbar für die Ablenkung, aber riss sich gleich wieder los. „Verlobt haben wir uns in Alexandria…“ Hatte Caius seinen Eltern denn gar nichts von ihr erzählt? Oder wollte er nicht wenigstens jetzt einspringen? Wieder warf sie ihm einen raschen Seitenblick zu. „… bei einem Ausflug hat er gefragt. Mit den Planungen haben wir aber noch gar nicht richtig angefangen.“ Seiana hatte den Verdacht, dass sie irgendeine Frage übersehen hatte.


    Elena unterdessen knutschte in genau diesem Moment demonstrativ Katander ab. Sie hatte durchaus bemerkt, dass es da eine Sklavin gab, die auf ihren Kerl stand. Wenn sie die Zeichen richtig deutete, hatten sie sogar etwas gehabt. Aber ganz egal was früher gewesen war, Katander war heute ihr Kerl, und sie hatte nicht vor, daran irgendeinen Zweifel zu lassen. Weder bei diesem Mädchen noch bei Katander. Und ganz nebenbei drückte der Kuss ihre Vorfreude auf die Nacht aus, immerhin waren sie die ganzen letzten Tage unterwegs gewesen, und Gasthöfe hatten in der Regel für Sklaven nicht immer die besten Unterkünfte.

    Noch während der Begrüßung begannen Sklaven, das Gepäck ins Haus zu schaffen, und gleich darauf folgten Caius’ Eltern ihnen und begaben sich zum Haus. „Hunger? Nicht wirklich“, murmelte Seiana zu Caius, nur um im nächsten Moment stehen zu bleiben. „Geschenke? Was für Geschenke meint sie?“ flüsterte sie, aber noch bevor Caius antworten konnte, gesellte sich sein Vater zu ihnen. Einen Moment lang herrschte Stille, nachdem Calvaster geendet hatte. Als Caius dann immer noch nichts sagte, zauberte Seiana ein Lächeln auf ihr Gesicht. „Oh, die Reise war recht angenehm. Das Wetter hätte allerdings etwas besser sein können.“ Auf die Bemerkung mit ihrer Ankunftszeit ging Seiana nicht ein. Sie wollte nicht jetzt doch noch eine Diskussion mit Caius über das Thema Kutsche anfangen, und inwiefern diese wirklich dazu geführt hatte, dass sie länger gebraucht hatten als er geplant hatte. Auch wenn sie geritten wäre, hätten sie kaum die Strecke im vollen Galopp zurückgelegt, schon gar nicht bei dem Wetter – weswegen sie sich unschuldig an der Verspätung fühlte.


    Sie schwieg wieder, als sie in das Haus hineingingen und sich zwischen Caius und seinem Vater ein Gespräch entspann über die Veränderungen darin. Sie konnte nicht wirklich etwas dazu beitragen, und wenn sie ehrlich war, war sie ganz froh darüber, dass die Aufmerksamkeit nicht auf ihr ruhte. Es würde schon früh genug dazu kommen, dass sie im Mittelpunkt stand, immerhin würden Caius’ Eltern wissen wollen, wer die Verlobte ihres Sohnes überhaupt war, und dazu hatten sie ja auch jedes Recht, nur… Seiana freute sich nicht unbedingt auf diesen Teil. In diesem Augenblick tauchte seine Mutter wieder auf und hieß einen Sklaven, ihnen etwas zu trinken zu geben. Ohne zu wissen, was darin war, akzeptierte sie einen Becher von einem Sklaven, der so aussah, als würde er selbst den Ianitor der Casa Decima Mercator noch um locker ein Jahrzehnt übertreffen. Und fühlte, wie sie rot wurde, als Trinksprüche gesagt wurden – und sie dann alle ansahen. „Ah. Hrm. Auf… die gute Reise“, improvisierte sie, verfluchte sich dann innerlich selbst und fügte noch schnell an: „Und die zauberhaften Gastgeber.“

    Und dann geschah alles viel schneller, als Seiana erwartet hätte. Sie hatten kaum die Sänfte verlassen, als die Tür schon aufging und das Haus eine Menge Leute ausspuckte, darunter eine Frau, die sich sofort auf Caius stürzte. Sozusagen. Seiana stand daneben, sich ein wenig fehl am Platz fühlend, als Caius von seinen Eltern begrüßt wurde, als die Frau – Caius’ Mutter, wie Seiana messerscharf schloss – sich auch schon ihr zuwandte. Und sie an sich drückte. Seiana entfuhr ein Laut der Überraschung, als sie halb nach unten gezogen und umarmt wurde. „Ah, äh…“ Etwas verlegen legte sie nach einem Moment die Arme auf die Schultern der Frau und bemühte sich um ein Lächeln. „Salve… ich, danke…“ Himmel noch mal, wie sollte sie darauf jetzt reagieren? Seiana war kein Mensch, der etwas gegen Umarmungen hatte – aber sie beschränkte das lieber auf die Personen, die ihr nahe standen. Wirklich nahe. Im übertragenen Sinn.


    Schließlich ließ Caius’ Mutter sie los, und sein Vater, wie Seiana mit einiger Erleichterung feststellte, reichte ihr nur die Hand – die Seiana mit einem leichten Lächeln schüttelte, während Caius sie vorstellte. „Vielen Dank für die herzliche Begrüßung.“ Seiana schaffte es, vor dem herzlich nicht kurz zu stocken.

    Seiana hatte sich endlich den Unterlagen gewidmet, die sie inzwischen über die Taberna Medica erhalten hatte, die Caius ihr überlassen hatte. Es war ein kleines Geschäft, aber gut geführt, wie sie festgestellt hatte. Gerade hatte sie über den Produktionskapazitäten gebrütet und überlegt, ob sie diese wohl gleich ausbauen sollte oder zunächst abwarten, wie der Laden überhaupt lief unter ihrer Führung, bevor sie investierte, als der Sklavenjunge von der Tür klopfte und nach ihrer Aufforderung hereinkam. „Entschuldigung, Domina, ein Gast für Senator Decimus Livianus ist da, aber der Senator nicht. Weil er weg musste. Er möchte dass jemand von der Familie einspringt…“ Seiana sah kurz überrascht auf, dann nickte sie. „Selbstverständlich. Wer ist es denn?“ Hier stockte der Junge kurz. „Eine Frau. Jung. Eine Iunia. Eine junge Iunia!“ Sichtlich erleichtert, dass ihm wenigstens der Gens-Name des Gasts eingefallen war, strahlte er sie an, und Seiana schickte ihn nur mit einem Nicken zurück zu Marcus. Vielleicht sollte er einen anderen Gehilfen bekommen. Der Ianitor mochte den Jungen, das wusste sie, aber trotzdem ging es nicht an, dass der Junge nicht wusste, worauf er zu achten hatte – vor allem dann nicht, wenn er irgendwann einmal den Posten von Marcus übernahm. Sie räumte die Unterlagen beiseite und erhob sich, kontrollierte noch einmal kurz ihr Aussehen und verließ dann den Raum, um ins Tablinum zu gehen.


    Dort stockte sie dann, einen winzigen Moment lang, als sie sah, wer der Gast war. „Axilla!“ meinte sie dann und kam auf die Iunia zu, die sie inzwischen schon einige Male getroffen hatte, um sie zu begrüßen. „Salve. Du musst meinen Onkel leider entschuldigen, ihm ist etwas dazwischen gekommen. Vielleicht schafft er es noch, ich hoffe es ist dir recht, wenn ich so lange für ihn einspringe und dir Gesellschaft leiste.“ Sie ließ sich ebenfalls einen Becher Saft geben. „Ich wusste nicht, dass du und meinen Onkel miteinander bekannt seid – wie habt ihr euch denn kennen gelernt?“


    Sim-Off:

    Vor oder nach dem Essen bei den Pompeiern?

    Seiana hatte sich auch nicht streiten wollen. Und deswegen hatte auch sie sich zurückgehalten. Aber genau wie Caius umgekehrt hatte sie schon bald die Frage Möchtest du nicht doch lieber reiten? nicht mehr hören können. Natürlich hätte sie lieber reiten wollen als in der Kutsche zu sitzen! Und wann immer es gefahrlos – sprich auf den Teilstrecken, wo sie niemand sehen konnte – möglich war, war sie auch geritten. Aber sie waren eben nicht mehr in Ägypten! Sie konnte als Frau, als Römerin von Stand nicht einfach lustig durch die Gegend reiten, und gerade Caius, als Mitglied der kaiserlichen Familie, sollte das eigentlich wissen. Und er wusste es auch, nur war es ihm egal, im Gegensatz zu ihr. Aber er war es dann ja auch nicht, der darunter zu leiden hatte… nein, sie würde schief angesehen werden. Dass Caius das einfach nicht begriff, oder besser: begreifen wollte, dass ihr das nicht egal war, begann Seiana zu nerven. Aber der Streit mit Faustus hatte ihr gereicht, und davon ganz abgesehen wäre es mehr als nur ungut, bei seinen Eltern anzukommen und sich in einem Zustand zu befinden, in dem sie gegenwärtig nicht miteinander sprachen, weil sie sauer aufeinander waren. Dass Caius in Gedanken Vergleiche mit Iunia Axilla anstellte, wusste Seiana zum Glück nicht – denn dass hätte ihre Zurückhaltung wohl zum Wanken gebracht.


    Je mehr sie sich Ravenna näherten, desto mehr wuchs die Nervosität in ihr. Sie wünschte sich, sie könnte irgendwie die Zeit beschleunigen, könnte die Götter dazu bringen, sie einfach in das Haus seiner Eltern zu versetzen, so dass sie diesen ersten Moment des Kennenlernens einfach schon hinter sich hatte, aber das war nicht möglich, und blieb Seiana nichts anderes übrig, als die Zeit irgendwie herumzukriegen, die verging, bis sie endlich vor dem Haus von Caius’ Eltern anhielten und sie aus der Sänfte steigen konnten. Sie drückte Caius’ Hand, als dieser nach der ihren griff, und erwiderte sein Lächeln, wenn auch etwas schief. Einen Moment wartete sie noch, atmete durch und sammelte sich, verstaute ihre Nervosität irgendwo so tief in sich drinnen, dass sie ihr hoffentlich nicht mehr angesehen werden konnte. „Na dann los“, murmelte sie dann und stieg als erste aus der Sänfte aus. Sie hatte schon ganz andere Sachen gemeistert. Es wäre lachhaft, jetzt an seinen Eltern zu scheitern. Oder deswegen aufgeregt zu sein.

    Seiana konnte nicht anders als lächeln bei Caius’ Begrüßung. „Alles fertig“, bestätigte sie. Und wie sie fertig war. Sie hatte gestern alles mehrmals überprüft – immerhin, sie wollten leicht reisen, was Seiana auch verständlich fand und sinnvoll, aber sie wollte auch nicht bei seinen Eltern ankommen und feststellen müssen, dass sie irgendetwas wichtiges vergessen hatte. Oh nein, sie hatte einiges Talent darin, Fettnäpfchen auszuweichen, und sie hatte nicht vor das ausgerechnet bei seinen Eltern zu ändern. „Klingt doch großartig. Aber wenn wir es nicht schaffen, ist es auch nicht schlimm.“


    Elena brummte unterdessen nur auf Katanders Neckereien hin und legte ihm schließlich eine Hand auf das Gesicht. Und Seiana zog eine leichte Grimasse. „Wir sind nicht mehr in Ägypten, Caius. Ich hab eine Kutsche vorgeschickt, sie wartet bei den Toren auf uns. Aber keine Sorge, es ist eine kleine, schnelle“, fügte sie hinzu. Auch das war – sowohl in Tarraco als auch in Alexandria – besser gewesen. Auf dem Gestüt ihrer Familie und in Ägypten kümmerte sich kaum jemand darum, wenn eine Römerin von Stand ritt… Etwas sehnsüchtig dachte sie an den Ausflug zu den Pyramiden zurück. Vielleicht bekamen sie ja bei Caius’ Eltern die Gelegenheit, auszureiten. Sie lächelte schief, und keinen Moment später befand sich der kleine Trupp bereits in den Straßen Roms und steuerte Ravenna an.

    Irgendwie schien in letzter Zeit ständig irgendetwas anzustehen. Seiana hatte das Gefühl, dass sie nicht wirklich Gelegenheit hatte zur Ruhe zu kommen – weswegen sie sich eigentlich freuen sollte darauf, dass sie mit Caius nach Ravenna fahren und dort ein wenig Erholung finden konnte. Wenn, ja, wenn da nicht die klitzekleine Tatsache gewesen wäre, dass sie nicht zum Spaß nach Ravenna reisten, sondern um seine Eltern kennen zu lernen. Seine Eltern. Seiana wünschte sich, sie hätte das schon hinter sich gebracht, und ein Teil von ihr beneidete Caius, der im umgekehrten Fall sicher überhaupt nicht aufgeregt wäre, weil er so beneidenswert… unbekümmert war. Ja, unbekümmert war das richtige Wort, entschied sie. Manchmal auch gedankenlos. Es hatte in jedem Fall seine Vorteile.


    Es dauerte nur einen Moment, bis Seiana und Elena auftauchten, und die Decima lächelte etwas nervös. „Guten Morgen“, grüßte sie – hellwach, ganz im Gegensatz zu Elena, die die Augen noch nicht wirklich aufzubekommen schien. „Also dann… wollen wir?“

    Ein wenig aufgeregt war Seiana schon, als sie sich dem Palast näherten. Immerhin würde sie bald Aelius Quarto kennen lernen, seines Zeichens Bruder des Kaisers. Elena schien das nicht im Mindesten zu stören, was wohl daran liegen mochte, dass sie ja nicht im Rampenlicht stehen würde. Sozusagen. Ein Impuls drängte Seiana dazu, nach Caius’ Hand zu greifen, aber sie beherrschte sich. Stattdessen lächelte sie höflich dem Prätorianer zu. „Salve“, grüßte sie.

    Ein Bote aus Rom kam vorbei und brachte einen Brief.



    An
    Primus Decimus Magnus
    Classis Misenensis
    Misenum, Italia



    Geschätzter Onkel,


    sicher magst du dich wundern, dass ich dir heute schreibe, obwohl wir in den letzten Jahren recht wenig Kontakt hatten. Der Familie in Rom geht es so weit gut, hier gibt es nichts Besonderes zu berichten, und auch mein Verlobten und ich fühlen uns in Rom sehr wohl. Auch du warst ja einige Zeit in Alexandria, und die Stadt ist sicherlich faszinierend, aber es lässt sich nicht leugnen, dass Rom das Herz des Reiches ist. Das Leben hier ist ein völlig anderes und bietet ganz andere Möglichkeiten.


    Weswegen ich dir heute schreibe, hat folgenden Grund: ich habe in der Familie gehört, dass du einen Betrieb geerbt hast, den du nicht behalten möchtest, aber dennoch in der Familie wissen willst. Falls dies der Wahrheit entspricht und auch immer noch der Fall ist, so möchte ich dich fragen, ob ich diesen Betrieb übernehmen kann – und wenn ja, unter welchen Bedingungen. Ich besitze bereits andere Betriebe, die recht gut laufen. Wenn du möchtest, kann ich dir Unterlagen zukommen lassen, aus denen ersichtlich wird, dass ich fähig bin, einen derartigen Betrieb so zu führen, dass er weiterhin Ertrag abwirft und in der Familie verbleiben wird. Ich freue mich auf deine Antwort!


    Die Götter mögen dich und die deinen segnen,


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    „Nur“, lachte Seiana. „Mit Sicherheit ebenso grässliche Dinge, wie er über mich erzählt.“ Piso und Axilla schienen sich bereits zu kennen, was weder sie noch Caius gewusst hatten – und Caius schien nicht allzu begeistert davon zu sein. Seiana fiel ein, dass er irgendetwas angedeutet hatte, dass er die beiden zusammenbringen wollte… aber dann konnte es doch letztlich nur von Vorteil sein, dass sie sich schon kannten, zumal das Treffen auch nicht übel gelaufen zu sein schien. Während Piso seine Schwester vorstellte, neigte Caius sich zu ihr, und Seiana warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. „Haare von ihr, ja?“ Sie grinste ganz leicht. Was er erzählt hatte, musste es recht typisch gewesen sein in der Kindheit der drei – beste Freunde und die Schwester von einem der beiden. Sie selbst war ja ebenfalls die Schwester gewesen, auch wenn sie – gerade bei Faustus – eher selbst diejenige gewesen war, die Haare oder sonstige Trophäen mit nach Hause gebracht hatte. „Die Seereise fand ich auch furchtbar. Ich frag mich, wie lange es braucht, bis man sich an den Wellengang gewöhnt hat… Oder ob es einfach eine Gnade der Götter ist.“


    Seiana hob ebenfalls ihren Becher, als Piso vorschlug anzustoßen. Sie hatte die Erfahrung an ihrem ersten Abend nicht vergessen… und es war eigentlich etwas, was sie nicht unbedingt wiederholen wollte. Aber es wusste ja keiner, nicht einmal Caius – Seiana würde sich eher die Zunge abbeißen als ihm davon zu erzählen –, und wenn sie es bei kleinen Schlucken beließ, bestand ohnehin keine Gefahr. Außer dass ihr bei der Erinnerung schlecht wurde, aber schon allein der Geruch verriet ihr, dass das hier ein anderer Wein war und wohl auch anders schmecken würde. „Ja, lasst uns darauf trinken. Was hast du denn in Alexandrien gemacht?“ wandte sie sich dann an Vera.

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    „Ah. Ja. Ja“, brummte der Ianitor. Das hatte man ihm gesagt, dass der Senator Besuch erwartete. Und dann hatte man ihm gesagt, dass er diesen Besuch wohl nicht würde empfangen können, weil er dringend fortgerufen wurde, und vor allem kurzfristig, so kurzfristig, dass ein Absagen nicht mehr möglich und vor allem unhöflich gewesen wäre. Sie jetzt heimzuschicken wäre noch unhöflicher gewesen, also, so hatte man Marcus gesagt, solle er sie hereinbitten, und ein Familienmitglied würde sich um den Gast kümmern – so lange, bis der Senator wieder heimkäme oder der Gast gehen wolle. So in etwa war es gewesen. Im Grunde war es auch egal, was im Anschluss passierte, weil ihn ohnehin nur der Part betraf, der das Öffnen der Türe und den Einlass anging, und das absolvierte er wie stets tadellos. „Kommt herein. Der Senator ist leider im Moment nicht zugegen, weil er zu einem dringenden Termin musste. Die Familie Decima freut sich aber, dich in ihrem Haus begrüßen zu dürfen, Iunia Axilla.“ Der Sklavenjunge kam auf einen Wink hin herbeigesprungen und führte Axilla und ihre Begleitung zum Tablinum, wo er der Iunia zunächst Getränke anbot, um dann wieder zu verschwinden.

    Faustus war nicht der Einzige, dem die letzte Woche schwer im Magen gelegen hatte. Was Seiana eigentlich hatte hoffen lassen, dass es ihr wieder besser gehen würde, hatte sich als mittlere Katastrophe entpuppt – in jedem Fall aber als etwas, was ihr weder Ruhe noch ihr inneres Gleichgewicht wiedergab. Rom und die Casa Decima hatten in dieser ersten Woche keinen Reiz für sie, und auch ihre Familie mied sie, wo es ging. An diesem ersten Abend ihrer Rückkehr hatte sie sich in ihrem Zimmer verkrochen, und irgendwann – nachdem die flammende Wut abgeflaut war und einige Zeit nachdem sie aufgegeben hatte zu zählen, wie viele Becher Wein sie schon getrunken hatte – hatte sie angefangen darüber zu grübeln, ob es vielleicht eine Art Fluch war, der ihr anhaftete. Egal wo sie hinging, sie konnte nicht wirklich glücklich sein. Irgendein Schatten folgte ihr stets, ließ sie wenn überhaupt nur kurze Zeit in Ruhe. Sie wusste selbst, dass sie dramatisch wurde in diesen Gedanken, aber die Kombination aus Selbstmitleid, Alkohol und den Resten der Wut förderten das nur noch. Irgendwann war Elena aufgetaucht, aber bevor sie irgendetwas hatte sagen können, hatte Seiana sie vor die Wahl gestellt: entweder sie holte neuen Wein und setzte sich zu ihr – oder sie verschwand wieder. Ach ja, aber Wein sollte sie ihr vorher trotzdem holen. Elena war geblieben, ohne Wein zu holen, aber zu diesem Zeitpunkt war Seiana ohnehin längst jenseits von Gut und Böse gewesen. Es hatte nicht lange gedauert, bis die Sklavin – die Freundin – ihr den Kopf hatte halten müssen, wie so oft auf dem Schiff, wofür Seiana ihr mehr als dankbar war. Aus ihrer Meinung hatte sie allerdings auch keinen Hehl gemacht, und das war etwas, worauf die Decima gut und gerne hätte verzichten können.


    Glücklicherweise hatte an diesem Abend keiner mehr etwas von ihr gewollt, oder besser, Elena hatte es verstanden, alle abzuwimmeln. Und auch am nächsten Tag gelang ihr das, den Seiana mit einem Schädel zubrachte, der scheinbar zu zerspringen drohte. Eine Woche später schauderte es sie immer noch bei dem Gedanken daran, als Elena sie unter einem Vorwand in den Stall lockte. Und dort blieb Seiana wie erstarrt stehen, als sie Faustus sah. Ihren Bruder hatte sie in der gesamten Woche kein einziges Mal zu Gesicht bekommen, und sie bezweifelte dass das daran lag, dass er vor lauter Arbeit nicht hatte kommen können. Und sie hatte nicht eingesehen, ihn Castra aufzusuchen. Wozu auch? Er hatte seine Meinung von ihr doch klar gemacht. Und dann war er gegangen, was sie ihm auch noch vorgeworfen hatte. Ein finsterer Blick traf Elena, die nur humorlos grinste. „Salve“, grüßte sie Faustus, dann legte sie Seiana die Hand auf den Rücken und drückte auffordernd. „Hey“, murmelte die. Und setzte dazu an, sich wieder umzudrehen, während sie gleichzeitig begann: „Entschuldige, ich, ähm, wollte nicht stören, ich-“ Elena allerdings verhinderte alles weitere. „Ich glaube nicht, dass du störst.“ Sie lächelte honigsüß. „Bleib doch einfach und schau dir an, was dein Bruder da macht. Oder soll ich dir lieber wieder Wein bringen?“ Die Andeutung reichte aus. Elena fing sich einen Blick ein, der nur allzu deutlich besagte, dass sie sich später auf etwas gefasst machen konnte, aber für den Moment beschloss Seiana, dass es besser war einfach zu bleiben. Elena würde weiterreden, das traute sie ihr zu, und das Letzte was Seiana wollte war, dass Faustus erfuhr, was sie sich nach ihrem Streit geleistet hatte. Er hatte ihr schon genug Vorwürfe gemacht, dass sie ihre Ehre und die der Familie beschmutzte. Elena verließ den Stall und zog die Tür hinter sich zu, und Seiana wandte sich langsam zu Faustus um und betrachtete zum ersten Mal, was er da überhaupt tat. „Ähm. Du… Neu?“

    Seiana konnte sich nicht so recht entscheiden, ob das hier – eingeladen zu werden zu derartigen Anlässen – etwas war, was sie in Alexandria vermisst hatte oder nicht. Im Grunde hielt sie nicht allzu viel davon, gesellschaftliche Besuche machen zu müssen, vor allem wenn sie die Menschen kaum kannte, aber dann wiederum war es eine Möglichkeit, die verschiedensten Leute kennen zu lernen, und häufig ergaben sich daraus angenehme Gespräche. Doch, irgendwie hatte sie das vermisst, entschied sie. Sie wusste genau, dass es ihr auch zu viel werden konnte, vor allem wenn sie mehrmals in der Woche irgendwohin musste, aber wenn es nicht überhand nahm, gefiel es Seiana sehr wohl, auszugehen. Und es gefiel ihr auch, sich hin und wieder ein wenig zurecht zu machen, weswegen sie für diesen Abend die dunkelrote Tunika gewählt hatte, die sie in Alexandria gekauft hatte, im Stil eher schlicht, aber mit golddurchwirkten Rändern und verspielten Bändern an Schultern und Rücken. Sie lächelte den Gastgeber an. „Salve, Pompeius. Danke auch von mir für die Einladung.“ Dann wandte sie sich Flavius Piso zu. Seiana musste – wenn auch nur sich selbst – eingestehen, dass sie neugierig war auf den Flavier, von dem sie schon einiges gehört hatte. „Flavius Piso.“ Sie lächelte leicht und neigte ihren Kopf ein Stück, als er ihr einen Handkuss gab. „Ich freue mich ebenfalls, dich endlich kennen zu lernen. Ich habe auch schon einiges von dir gehört.“


    Kaum einen Moment später betrat die Iunierin den Raum, die Seiana in Alexandria das ein oder andere Mal bereits getroffen hatte. Sie lächelte ihr zu und erwiderte den Gruß, bevor sie sich neben Caius auf einer Kline niederließ. Eine weitere Frau gesellte sich zu ihnen, die Caius auch zu kennen schien, was allerdings kein Wunder war, begrüßte sie Piso doch als ihren Bruder. Vera musste sie wohl heißen, wenn Seiana sich richtig entsann aus Caius’ Erzählungen. Dass Vera allerdings so elegant und schön war, hatte er vergessen zu erwähnen… Seiana lächelte auch ihr zu und grüßte sie, während sie von einem der Sklaven einen Becher Wein entgegen nahm.

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    Wieder war es Marcus, der alte Ianitor, der die Tür öffnete. Ob er den Mann wieder erkannte, der da vor ihm stand, oder nicht, war auf seinem Gesicht nicht wirklich zu erkennen. Und auch die hübsche junge Dame zeitigte bei ihm kaum eine sichtbare Reaktion. Eindeutig keine Sklavin, auch keine Peregrina, schien es ihm jedenfalls, obwohl ihre Haut gebräunter war als bei Römern üblich, vor allem zu dieser Jahreszeit. Aber das hatte nicht unbedingt immer etwas zu bedeuten, wer wusste das besser als jemand bei den Decimern, wo Seiana doch ebenfalls vor kurzer Zeit erst aus Ägypten zurückgekehrt war. Nicht dass Marcus derartige Schlussfolgerungen zog. Er hatte einfach aufgehört, irgendwann im Lauf der der langen Jahre als Ianitor, sich allzu viele Gedanken zu machen über die Gäste, die durch diese Tür ein- und ausgingen, nicht viel mehr jedenfalls als nötig war, um seine Arbeit zu machen. „Salve“, begrüßte er die beiden schließlich, etwas mehr an den Mann gerichtet, der wohl der Sklave war und nach allen Regeln das Reden übernehmen würde, jedenfalls bei ihm. „Wie kann ich helfen?“