Beiträge von Decima Seiana

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    ~Crios~


    Crios lächelte der Besucherin zu, während er sie kurz taxierte. Römerin, schätzte er, so wie sie gekleidet war. Was ihn dann doch etwas irritierte war die Tatsache, dass sie… irgendwie… dunkler zu sein schien als die normale Römerin. Braungebrannter. Vor allem für den Winter. „Iunia Axilla“, wiederholte er, während er kurz sein Gedächtnis durchforstete. Da war was gewesen, daran konnte er sich erinnern. Die Decima hatte einen Brief geschrieben ihn vorbei bringen lassen, und Iaret hatte ihm erzählt, dass sie wohl jemanden umsonst untersuchen sollten, falls dieser jemand hier vorbei kam. Crios hatte ihm da nicht so viel Aufmerksamkeit geschenkt, deswegen war er sich jetzt nicht ganz sicher, ob der Name, den der Ältere ihm genannt hatte, auch tatsächlich Iunia Axilla gewesen war. Aber eine Iunia war es, das zumindest meinte er zu wissen. Und sie war jung und hübsch und überhaupt, und wenn es doch die falsche Iunia war, dann würde er das auf seine Kappe nehmen. Wenn es denn überhaupt auffiel. Crios war nicht wirklich unehrlich, hinterging niemanden und unterschlug auch nichts, aber er nahm es auch nicht immer ganz so genau mit Recht und Ordnung. „Ja“, antwortete er deshalb, immer noch mit einem leichten Lächeln auf seinen Lippen. „Sie hat uns Bescheid gegeben deswegen. Komm doch mit.“ Er winkte ihr, ihm zu folgen, und führte sie in den hinteren Teil zu einer der Sitzgruppen – wohlweislich nicht zu der, auf der seine sämtlichen Unterlagen kreuz und quer verstreut lagen. Er würde das aufräumen müssen, bald… Crios kannte die Decima noch nicht sonderlich gut, aber das brauchte er auch nicht um schon erkannt zu haben, dass sie vermutlich der Schlag treffen würde, wenn sie die Unordnung da sah. Aber… egal. Noch hatte er Zeit. Sie würde ja nicht ausgerechnet jetzt kommen und alles prüfen wollen. „Setz dich. Kann ich dir irgendetwas anbieten?“ fragte er nach, bevor er das Gewünschte – falls sie etwas wünschte – holte und sich dann ebenfalls setzte. Und plötzlich anders wirkte als noch Momente zuvor, wesentlich… professioneller. Crios nahm es mit einigen Dingen nicht ganz so genau, genauer gesagt sah er vieles wohl ein wenig zu locker – aber was seine Arbeit anging, die eigentliche Arbeit, nicht den Verwaltungskram, da kannte er nichts. Iaret fand zwar immer noch, dass er eigentlich noch lange nicht genug konnte oder wusste, um sich einen Iatros nennen zu dürfen, aber sogar er – der nun wirklich viel erwartete von seinem Schüler – gestand ihm schon seit geraumer Zeit zu, die Arbeit eines solchen zu verrichten. Da nahm er es gern in Kauf, dass er trotzdem regelmäßig herumschimpfte. Crios liebte seine Arbeit. „Welche Beschwerden hast du?“




    [Blockierte Grafik: http://img210.imageshack.us/img210/4457/crios.jpg~ Crios ~


    Crios war heute allein hier – nun, das war er häufig, arbeiteten sie doch nur zu zweit in der Taberna Medica, und der alte Iaret nahm für sich das Vorrecht in Anspruch, die Hausbesuche zu machen und alles übrige, was Spaß machte. Wie zum Beispiel freie Tage. Was ihm irgendwie auch zu gönnen war, bei dem Alter, das er auf dem Buckel hatte. Und die neue Besitzerin, Decima Seiana, hatte ohnehin vor, den Laden auszubauen, falls es gut lief, sie wollte sich nur noch ein wenig Zeit lassen. Abwarten, wie die Geschäfte so gehen würden unter ihrer Führung. Nachdem sie allerdings nach der ersten Besichtigung nicht nur gewisse Veränderungen angekündigt, sondern auch durchgeführt hatte, ging Crios davon aus, dass sie auch ihren übrigen Worten Taten folgen lassen würde. Was er von den vielen Pflanzen halten sollte, die nun hier herumstanden, wusste er noch nicht so recht, aber irgendwo… musste er doch zugeben, dass es was hatte. Den Kunden schien es jedenfalls zu gefallen, den meisten. Und zumindest als Raumteiler funktionierten sie.


    Nachdenklich kratzte er sich über seine Bartstoppeln, während er überlegte, was sie noch Vorräten hatten, und aufschrieb, was sie würden nachkaufen müssen. Die Decima wäre es wohl lieber, wenn er sich häufiger rasierte, hatte sie durchscheinen lassen. Würde wohl einen besseren Eindruck auf Besucher und Kunden machen. Meinte sie. Aber solange daraus keine Forderung wurde, die sie explizit formulierte, hatte Crios beschlossen, das Thema auf sich beruhen zu lassen. Seine Finger wanderten von der Wange zum Kinn, wo er nun rieb, während er grübelte. Er würde sich wohl doch die Mühe machen müssen, hinter zu gehen und nachzusehen, nicht dass er noch etwas vergaß… In diesem Moment hörte er, wie die Tür geöffnet wurde. Crios hob den Kopf, und ein Schmunzeln verzog seine Lippen ein wenig, als er den Göttern für die Rettung dankte. Mit Besuchern zu reden, ihnen vorzustellen, was die Taberna zu bieten hatte, ihnen Ratschläge zu geben und sie zu behandeln, das machte so viel mehr Spaß als der langweilige Verwaltungskram – der, wie er nur ungern zugab, leider auch erledigt werden musste, aber wenn er es aufschieben konnte, dann nutzte er die Gelegenheit. „Salve. Wie kann ich dir helfen?“




    Nachdem die Aufforderung zum Hereinkommen erklungen war, öffnete Seiana die Tür und betrat den Raum – und hielt kurz ein wenig verblüfft inne, als sie Faustus sah. „Oh.“ Sie lächelte beiden zu. „Salvete, ihr beiden. Entschuldigt, wenn ich störe – ich wollte mit dir reden, Onkel Livianus, aber ich kann auch später wieder kommen, wenn es besser passt.“

    Die Taberna Medica Decima befindet sich direkt in der Nähe der Traianischen Märkte – nicht direkt dort, wo der Straßenlärm das Geschehen im Verkaufsraum beeinträchtigen könnte, aber nah genug, dass sie gut auffindbar ist und auch Laufkundschaft anzieht.


    Betritt ein Kunde den Laden, so begrüßt ihn ein großzügig angelegter Raum, der ähnlich einem Atrium gestaltet ist. Die Öffnung im Dach sorgt für ausreichend Licht des Tags, Abends und Nachts erhellen Öllampen den Raum, bis sie nach Geschäftsschluss gelöscht werden. Um das Impluvium herum ist erst kürzlich ein Pflanzengürtel angelegt worden, dessen Gewächse selbst für das nichtkundige Auge medizinischen Hintergrund offenbaren mag. Im vorderen Teil des Raums können Besucher und Kunden sich über die Angebote der Taberna Medica ebenso informieren wie über das Sortiment, das teilweise auch ausgestellt ist. Mittig führt auf der linken Seite eine Nische ab zu einem kleinen Altar, an dem jeder, der möchte, den Göttern ein Gebet sprechen oder ein kleines Opfer darbringen kann – für einen kleinen Vorrat an Weihrauchkörnern, Dinkelkeksen, einfachen Blumen und Früchten ist hier stets gesorgt. Im hinteren Bereich sind einige kleinere Tischgruppen verteilt, an denen Beratungsgespräche geführt werden – voneinander abgetrennt durch Pflanzen, Vasen oder andere Dekorationsgegenstände, um für die Wartenden und Ratsuchenden etwas Privatsphäre zu schaffen. Zur Rechten führen im hinteren Bereich zudem ein Durchgang ab, der wiederum in einen Gang mit mehreren Türen führt. Die dahinter gelegenen Räume werden unterschiedlich genutzt: es gibt ein Arbeitszimmer, in welchem die Verwaltung erledigt wird, zwei Behandlungsräume sowie ein Vorratsraum.

    Nachdem sie sich einigermaßen in Rom wieder eingelebt hatte, ihre Sachen eingeräumt, ihre Unterlagen verstaut, die Handelsbeziehungen ihrer Betriebe geklärt – immerhin, die Töpferei war hier in Rom ansässig, den hatte sie hier gekauft, der Buchladen allerdings war in Alexandria, hier musste sie noch eine endgültige Entscheidung treffen – und alles sonst getan hatte, was mit einem größeren Umzug über eine größere Entfernung eben so zu tun war, konnte Seiana nicht mehr länger aufschieben, was eigentlich schon einen Tag nach ihrer Ankunft angestanden hätte: der Anstandsbesuch beim Hausherrn. Sie hatte der Familie einen Brief geschrieben, dass sie ankam, und Faustus noch einmal separat – und dieser hatte sie ja noch am Tag ihrer Ankunft besucht. Aber nachdem eben jener Besuch gleich in einem Fiasko geendet hatte, hatte sie sich ziemlich zurückgezogen und sich auf ihre Arbeit und das Einrichten gestürzt – und zugleich hatte sich auch niemand weiter aus der Familie bei ihr gemeldet. Aber sie mochte es ohnehin nicht, wenn ein großes Aufhebens um sie gemacht wurde, vielleicht war das mit einer der Gründe, warum sie einen derartigen Horror zu entwickeln begann vor der Hochzeit… in jedem Fall war sie fast froh gewesen, dass sie wenigstens die erste Zeit hier ihre Ruhe gehabt hatte, Ruhe, um sich wieder einzuleben und die geänderten Verhältnisse zu gewöhnen.


    Dennoch war ihr auch bewusst gewesen, dass sie diesen Zustand so nicht lassen konnte, und so war sie an diesem Tag unterwegs Livianus. Nichtsahnend, dass Faustus gerade bei ihrem Onkel war, klopfte sie an die Tür an.

    Seiana zuckte kurz zusammen, als Axilla den Becher umstieß und dieser mit einem Klappern umfiel. Sie konnte mit der Iunia mitfühlen in diesem Moment, konnte sie sich doch nur allzu gut vorstellen, wie peinlich das für sie sein musste. Aber bevor sie reagieren konnte, hatte ihr Onkel schon die Initiative ergriffen, winkte Sklaven herbei und bot Axilla Hilfe an beim Aufstehen. Seiana lächelte Axilla aufmunternd zu. „Warte, gib mir das.“ Sie nahm der Iunia die Palla ab und musterte kurz das Kleid. „Ich sorge dafür, dass sie gewaschen wird. Und ihr beide noch etwas zum Trinken bekommt. Möchtest du etwas zum Umziehen haben?“ Sie wartete Axillas Antwort ab und verabschiedete sich dann mit einem Lächeln, um für das Gewünschte zu sorgen. Sie beide hatten sich zwar gut unterhalten, aber Axilla war ja gekommen, um Livianus kennen zu lernen. Und nachdem sie gerade erst festgestellt hatte, dass Caius und Axilla bessere Freunde waren, als sie bisher gewusst hatte, würden sie sich sicher bald wieder begegnen.

    Es war eine Mischung aus Amüsiertheit, Verlegenheit und… nun ja… so etwas wie Wehmut, die Seiana mehr und mehr ergriff, je länger sie Caius’ Eltern beobachtete. Sie konnte nicht anders als an ihre Eltern zu denken. Ihr Vater, der viel zu früh gestorben war, als dass ihre Eltern das gleiche miteinander hätten teilen können. In diesem Augenblick schickte sie ein Stoßgebet zu den Göttern, dass Caius und sie später auch einmal so sein würden. Dass sie die Zeit haben würden dazu… Sie blinzelte, als Caius’ Mutter das Wort wieder an sie beide wandte. „Ja, das werden wir natürlich“, meinte sie, relativ zeitgleich mit Caius’ empörtem Ausruf. Sie warf ihm einen Seitenblick zu, mit hochgezogenen Augenbrauen, und Caius erklärte auch gleich warum er so reagierte. „Willst du die Geschenke denn wieder zurückgeben? Ich meine, wie würde das denn aussehen?“ Sie zu behalten, ohne sich in irgendeiner Form dafür zu bedanken, kam für Seiana so wenig in Frage, dass sie es gar nicht für nötig hielt, das laut auszusprechen. Genauso wenig kam es in Frage, sie jetzt zu öffnen. „Könnt ihr die Geschenke nach Rom bringen lassen?“ Aber sie hatte da so eine Ahnung, dass Caius das wohl… anders sehen würde. In jedem Fall stellte sie sich, fast noch bevor diese Worte ihren Mund verließen, schon mal auf Protest ein.


    „Wie wäre es…“ Seiana überlegte kurz. „Wir haben unsere Verlobung doch bisher nur sehr klein gefeiert. Was hältst du davon, wenn wir das hier nachholen? Wenn es euch Recht ist, selbstverständlich“, sagte sie zu Caius’ Eltern gewandt. Sie hatte eigentlich überhaupt keine Lust auf eine derartige Feier, aber das schien ihr die einzige Möglichkeit zu sein, aus diesem Geschenke-Dilemma herauszukommen. „Dazu könnten wir eure Nachbarn und Freunde einladen. Und für die Hochzeit dann bekommen nur die eine Einladung, die…“, hier flog ein schelmisches Lächeln über ihre Lippen, während sie zu Calvaster sah, „keine Kanaillen sind.“ Den Ausdruck fand sie immer noch besser als Schmarotzer und Schleimer.

    Dass Axilla sich ein wenig zurückgesetzt fühlen könnte, kam Seiana nicht in den Sinn – immerhin wussten sie beide voneinander ja, dass sie in Alexandria gewesen waren, hatten sich dort sogar flüchtig getroffen. Der Erzählung Veras lauschte sie aufmerksam, wenn auch eher schweigsam. Caius’ Bemerkung hingegen hätte sie am liebsten mit einer Grimasse kommentiert – immerhin hatte es ihn nicht gestört, dass sie nur in Begleitung einer Sklavin nach Alexandria gekommen war, um ihn kennen zu lernen. Oder geblieben war. Ganz und gar nicht. Ganz davon abgesehen, dass sie persönlich nicht wirklich etwas Schlimmes daran finden konnte, dass die Flavia allein - nur in Begleitung von Sklaven, davon ging sie aus – gereist war. Aber darauf näher einzugehen, war hier nicht der richtige Rahmen, und so nippte sie nur erneut an dem Wein.


    Und dann kam die Unterhaltung der Männer so richtig in Fahrt. Um Seianas Mundwinkel spielte ein Lächeln, das sich zu einem Grinsen erweiterte, als Caius sie ansprach. „Das wirst du den Auctor fragen müssen. Ich war da noch in Alexandria… Aber man könnte ja für einen, eh, eine Art Nachberichterstattung sorgen. Gespickt mit Kommentaren der Beteiligten.“ Vera schien allerdings wenig begeistert zu sein, weder von der Information über das, was auch immer in der Taverna Apicia geschehen war, noch über die Spekulationen Caius’ über mögliche Bindungen. Und Axilla schien regelrecht verlegen zu sein – aber vielleicht fiel Seiana das auch nur auf, weil sie sich erst vor wenigen Tagen über genau dieses Thema unterhalten hatten. Und genau deshalb, weil Vera erzürnt schien und Axilla und peinlich berührt, tat Seiana nun etwas, was sie normalerweise eigentlich nicht getan hätte – sie versuchte das Thema auf ihre und Caius’ Hochzeit zu lenken. Was sie in Verlegenheit brachte, weil es sie irgendwie nervös machte, dass sie so unaufhaltsam immer näher rückte, aber es stand nun einmal fest, und das war immer noch besser, als mit irgendwelchen fehlgeleiteten Scherzen die Hälfte der Anwesenden zu brüskieren. „Caius, vielleicht solltest du erst mal abwarten, wie der Wechsel von Lager zu Heim wird, bevor du dazu drängst. Woher will denn auch nur einer von euch wissen, wie das Zusammenleben mit einer Frau tatsächlich ist – und in jeder von uns steckt doch irgendwo eine Xanthippe, zu Recht, möchte ich meinen. Ein Zuckerschlecken wird das jedenfalls ganz sicher nicht.“ 8)

    Die Frage nach ihren Eltern ließ Seiana, wie so häufig, eine Winzigkeit stocken, und diesmal nutzte Caius dies, um selbst einzuspringen. Allerdings wäre es ihr doch lieber gewesen, er hätte schon früher wieder an dem Gespräch teilgenommen, als es um ihre Reise nach Alexandria ging… Und nachdem der Senator davon offenbar nicht so angetan gewesen war, wusste sie auch nicht was er wohl davon hielt, dass sie selbst entschied. Dass sie sui iuris war, hieß ja nicht, dass ihre Familie gar nichts mehr zu sagen hatte. Letztlich hieß es nur mehr Verantwortung für sie, auch die richtigen Entscheidungen zu treffen. „Aber mein Bruder und auch Decimus Meridius sind zuvor eingebunden worden und haben zugestimmt“, fügte sie den Worten Caius’ noch hinzu. Faustus war nicht begeistert, aber er würde ihr sicher keine Steine in den Weg legen.


    Frühling. Frühling schon. Wie jedes Mal, wenn die Sprache auf den Termin kam, musste Seiana sich zusammenreißen, um nichts nach außen dringen zu lassen von der Nervosität, die sie dann plötzlich ergriff. In Ägypten war es so schön gewesen – es war einfach klar gewesen, dass sie dort nicht heiraten würden. Sie war verlobt gewesen, aber die Hochzeit war noch in unbestimmter Ferne gewesen. Jetzt, in Rom, war das nicht mehr so. Allerdings hatte sie inzwischen einige Übung darin, sich so zu beherrschen, dass man ihr nichts anmerkte – nicht zuletzt durch den Aufenthalt bei Caius’ Eltern. „Darüber haben wir noch gar nicht gesprochen.“ Sie lächelte Caius kurz zu. Letztlich war es dessen Entscheidung, wo sie wohnen würden. Wenn es nach ihr ging, musste es nicht der Palast sein. Sie musste nicht lange über Vor- und Nachteile nachdenken um zu wissen, dass sie im Palast weit weniger Freiheiten haben würde als anderswo. Weit weniger Möglichkeiten, sich selbst auszuleben, weit mehr Einschränkungen, was ihre Rolle als Ehefrau betraf. Dass Caius kein naher Verwandter des Kaisers war, spielte da nur eine untergeordnete Rolle. „Hast du darüber schon nachgedacht?“

    Nein, der Senator schien von ihrer Antwort wenig begeistert zu sein. Seiana hatte im Grunde auch nichts anderes erwartet. Trotzdem hatte sie das Gefühl, als das Blut plötzlich aus ihrem Gesicht flüchtete und sie ein wenig blasser werden ließ. Sie wollte antworten, aber Quarto sprach bereits selbst weiter, und so wartete sie ab. Ob es nun eine Frage oder eine Feststellung gewesen war, einfach so im Raum stehen lassen wollte sie diesen Kommentar nun nicht, auch wenn eine Antwort ihrerseits weitere Nachfragen nach sie ziehen mochte. Aber seine letzte Frage hatte eindeutig Vorrang. „Ja“, beeilte sie sich zu versichern. „Die Verlobung besteht nun auch schon ein wenig, aber wir wollten gerne in Rom heiraten, mit unseren Familien, deswegen haben wir gewartet.“ Sie wollte gerne in Rom heiraten, mit den Familien. Caius hätte das nicht so sehr gestört, ihm wäre es lieber gewesen so schnell wie möglich zu heiraten, schon allein aus einem bestimmten Grund, aber Seiana fand, dass das nicht der richtige Zeitpunkt war, um dieses leidige Thema aufzuwärmen. "Und wir kannten uns auch vor der Verlobung schon einige Zeit, ja." Das war ja mit ein Grund gewesen, warum sie nach Alexandria gefahren war, als letztlich festgestanden hatte, dass Caius Interesse dieser Art an ihr hatte und sein Name für ihre Familie auch tatsächlich in Frage kam – weil sie Caius hatte kennen lernen wollen. Weil sie nicht allein auf Familienverhandlungen und Briefe hatte vertrauen wollen, bevor eine Verlobung zustande kam. Und weil sie ihn nebenbei persönlich hatte zur Rede stellen, genauer gesagt zusammenstauchen wollen, dafür dass er ohne ihr Wissen bei Meridius gewesen war, aber das gehörte nicht hierher, wie so vieles. Und kennen gelernt hatte sie ihn, seine Fehler kannte sie… ebenso wie seine Stärken. Vermutlich lange nicht alle, aber doch genug um jetzt entscheiden zu können, dass sie eine Ehe mit ihm eingehen wollte. War das so schlimm? Das zumindest schien der Senator gut zu heißen, dass sie sich länger kannten, aber trotzdem beschloss Seiana, kein Risiko einzugehen. Immerhin war es eigentlich üblich, dass gerade bei den Frauen die Familie die Verhandlungen mit möglichen Ehemännern und deren Familien übernahm. Dass sich in ihr alles dagegen gewehrt hätte – und immer noch wehren würde – sich mit jemandem zu verloben, den sie kaum oder gar nicht kannte, musste sie nicht unbedingt laut sagen.


    Stattdessen erinnerte sie sich an ihren Entschluss, auf seine erste Frage auch noch einzugehen. Ihr Lächeln mochte ein wenig flackern, vielleicht etwas… schwächer werden, aber ihre Stimme blieb sicher. "Ich bin selbstverständlich in Begleitung", von Sklaven, aber das erwähnte sie nicht laut, "nach Alexandria gereist, und meine Familie wusste darüber auch vorher Bescheid." Nicht unbedingt mit dem vollsten Einverständnis, der vollsten Begeisterung, der vollsten Unterstützung… aber sie hatten es definitiv gewusst. Und es hatte ihr auch keiner verboten, nicht einmal ans Herz gelegt, nicht zu fahren – sonst wäre sie kaum abgereist, nicht wenn beispielsweise Meridius deutlich gemacht hätte, dass er es für angebrachter hielt, wenn sie in Rom blieb. Kurz überlegte sie, ob sie erzählen sollte, was sie dort gemacht hatte… aber entschied sich dann letztlich doch, für den Moment jedenfalls, dagegen. Wenn Aelius Quarto nachfragen sollte, konnte sie das immer noch tun, aber für den Fall dass er damit zufrieden war… wollte sie ihr Glück nicht zu sehr strapazieren.

    Bei Pluto. Seiana hätte am liebsten die Augen geschlossen, und das nicht, weil der aelische Senator zunächst von Seereisen und der damit verbundenen Übelkeit sprach. Oh nein. Es wäre ihr tatsächlich sogar weit lieber gewesen, wäre er bei diesem Thema geblieben. Stattdessen fragte er sie, was sie in Alexandria gemacht hatte, warum sie dorthin gegangen war, als Dame, als junge Dame… Sie untersagte sich, Caius einen Seitenblick zuzuwerfen. Dass er darauf nicht reagieren, dass er nicht einspringen und ihr helfen würde, davon ging sie aus, so gut kannte sie ihn inzwischen. Aber in diesem Augenblick wünschte sie sich zum ersten Mal tatsächlich, aufrichtig, er wäre anders und würde ihr nun helfen, aus diesem Fettnäpfchen irgendwie glimpflich wieder herauszukommen. Immerhin war Quarto sein Verwandter, er kannte ihn, ganz im Gegensatz zu ihr, die keine Ahnung hatte was sie sagen oder besser: wie sie die Wahrheit so formulieren konnte, dass der Senator sie nicht für ungeeignet hielt, um eine gute Römerin zu sein – oder eine gute römische Ehefrau zu werden. Aber Caius würde später etwas zu hören bekommen, nahm sie sich vor. Vor allem wenn das Ganze hier tatsächlich aus dem Ruder zu laufen drohte.


    „Ja, ich…“ Sie lächelte, ein wenig verlegen, und suchte im Grunde immer noch nach Worten. „Alexandria gehört zu den Städten, von denen ich schon immer fasziniert war. Caius hatte ich ja noch in Rom kennen gelernt, und als er dann nach Ägypten ging, bot sich die Gelegenheit an, selbst ebenfalls dorthin zu reisen.“ Seiana fand, dass es immer noch besser war bei der Wahrheit zu bleiben, wie vage auch immer, als eine Lüge aufzutischen – zumal sie nicht wusste, was Caius in seinen Briefen schon erzählt hatte.

    Seiana konnte ein Zusammenzucken nicht verhindern, als sie Faustus’ leisen Fluch hörte – aber dann reckte sie trotzig ihr Kinn vor. Bitte, dann kam sie eben ungelegen. Dann wollte er nicht mit ihr reden! Sie musste nicht bleiben – aber da Elena in diesem Moment ihre Drohung andeutete, blieb Seiana wohl doch keine Wahl. Mit einem unterdrückten Seufzer drehte sie sich um, sah aber nur aus den Augenwinkeln zu Faustus. Verbissen, so schien es ihr, arbeitete der weiter an dem Wagen, wischte Farbe weg, wo sie verschmiert war. Und als endlich eine Reaktion seinerseits kam, war sie ebenso einsilbig wie ihre Frage es gewesen war, was Seiana aber praktischerweise beiseite schob. „Aha“, machte sie. Und fragte sich, ob es jetzt wohl sicher war zu gehen. Oder ob Elena draußen auf sie wartete. Aber dann schalt sie sich selbst in Gedanken. Abgesehen davon, dass Elena nach ihrer Bemerkung gerade mit Sicherheit draußen herumlungern und irgendwo warten würde, wäre es lächerlich und kindisch, jetzt zu gehen. Er war ihr Bruder, bei den Göttern! Und sie hatten sich schon mehr als einmal gestritten, es war ja nicht so, dass sie das nicht gewöhnt wären… Nur schien das mit dem Streiten – und vor allem mit dem Versöhnen – einfacher gewesen zu sein, als sie noch jünger waren. Einfacher, als sie ihre Kindertage noch nicht so weit hinter sich gelassen hatten…


    Faustus schien zu demselben Schluss gekommen zu sein, dem, dass es wohl auf Dauer lächerlich und noch dazu peinlich werden würde, je länger sie hier verharrten und beide nichts sagten – in jedem Fall sprach er plötzlich doch weiter, ohne Aufforderung, ohne dass sie etwas gefragt hätte. Zögerlich kam sie einen Schritt näher, um den Wagen genauer in Augenschein zu nehmen. Sie war in einer Familie aufgewachsen, die für ihre Pferdezucht bekannt war, sie kannte sich besser mit solchen Gefährten aus als die meisten Frauen – interessierte sich wohl auch mehr dafür als die meisten Frauen. Aber das war wohl kein Wunder, wenn man mit drei Brüdern aufwuchs. „Der… sieht wirklich gut aus…“ murmelte sie und machte noch einen Schritt näher, hob leicht die Hand, als wollte sie ihn berühren, tat es dann aber doch nicht, als sie sich an die frische Farbe erinnerte – und weil es Faustus’ Wagen war. Es mochte lächerlich sein, aber so gespannt, wie die Situation gerade war zwischen ihnen, hatte sie irgendwie kein gutes Gefühl etwas zu berühren, was ihm gehörte, etwas, wo er gerade so viel Arbeit reinsteckte und offensichtlich auch Begeisterung. Strahlendweiß, mit schwarzen Linien überall dort, wo das Holz ohnehin unterbrochen war. Elegant und schlicht, ohne unnötigen Schnickschnack. Im Grunde genau so, wie Seiana es mochte. „Klingt hervorragend, und die Farbe, ich meine, das Weiß, das… wirkt toll.“ Sie sah zu den Pferden, auf die Faustus wies, und ging zu ihnen hinüber, um beiden die Nüstern zu streicheln. „Du… hrm.“ Es war lächerlich. Inzwischen war der Moment gekommen, in dem Seiana nicht nur dachte, dass es lächerlich war, sondern in dem es sich auch so anfühlte. Zutiefst. Der Wagen gefiel ihr tatsächlich, schon allein, weil Faustus so begeistert davon war, aber im Grunde war es doch nicht das, worüber sie reden sollten. Dennoch, irgendwie bekam sie auch nicht die Worte hervor, die sie eigentlich sagen wollte. Sie wollte nicht schon wieder streiten. Aber sie wollte auch nicht zu Kreuze kriechen, wollte nicht sagen, was er hören wollte, oder was sie meinte, dass er hören wollte – dass sie alles falsch gemacht hatte, dass es ihr unendlich leid tat und sie sich entschuldigte… Himmel, ja, es tat ihr ja irgendwie leid, dass es so gelaufen war, aber es tat ihr nicht leid, dass sie ihre eigenen Entscheidungen traf, und das wollte sie auch nicht aufgeben, und… sie bemerkte, wie sie sich wieder in Gedankengängen verhedderte. Sie wusste ja noch nicht einmal mit Sicherheit, was er überhaupt hören wollte von ihr.


    Langsam drehte sie sich zu ihm um, lehnte sich mit dem Rücken an die Boxentür der Apfelschimmelstute, die hinter leicht schnaubte und ihre Haare damit nach oben blies. „Das ist ein gutes Gespann. Wenn du nichts dagegen hast, dann würd ich gern mal… mitfahren.“ Sie lächelte versuchsweise. Nicht ideal, aber besser als das, was sie bisher gebracht hatte, fand sie. Und dann hielt sie es nicht mehr aus, ihn anzusehen. Sie drehte sich wieder um und tätschelte der Stute den Hals, drückte ihr Gesicht kurz an sie, und mehr zu ihr gewandt, mehr in ihre Mähne genuschelt wohl eher, rutschte ihr plötzlich heraus: „Es tut mir leid.“ Ob Faustus diese Worte überhaupt verstanden hatte, wussten wohl nur die Götter – und er.

    „Nein… nein, ich denke nicht, dass das schlimm ist. Sieh mich an, mit der Taberna medica habe ich jetzt drei…“ Und sie war Lectrix der Acta Diurna, das kam auch noch dazu. Seiana zögerte kurz. „Ich erzähl das auch nicht unbedingt überall herum. Ich denke es kommt auf die Menschen an, konservativ Denkende gibt es immer. Aber letztlich verberge ich da auch nichts, wenn die Sprache darauf kommt. Gut“, sie lachte leise, „vielleicht sind manche überrascht, dass du schon zwei Betriebe leitest, weil du noch recht jung bist. Aber das ist dann ja eigentlich nur immer der erste Moment.“ Seiana lächelte sie an. „Wenn deine Geschäfte erfolgreich laufen, hast du überhaupt keinen Grund, dich dafür zu schämen. Wer darüber dann die Nase rümpft, ist doch im Grunde nur neidisch.“


    Als die Sprache auf ihre Familien kam, kam das Gespräch irgendwie ins Stocken. Seiana war selbst abgelenkt, aber auch sie hatte den Eindruck, dass nicht nur sie gerade etwas… zurückhaltender, verschlossener wurde. Ihr Lächeln wurde wehmütig. „Still sein… das wollte sie immer von mir…“ meinte sie leise – nur um sich anschließend wieder zu räuspern. Und sich auf das Thema Heirat zu stürzen, obwohl sie zu merken meinte, dass auch das nicht unbedingt allzu große Begeisterung bei Axilla hervorrief. Und was wirklich deutlich zu merken war: Axilla war ganz offensichtlich tatsächlich nicht wohl dabei zu erzählen, dass sie für sich selbst entschied. Es wirkte fast schon wie ein Geständnis, so wie sie es sagte und wie sie sie dabei ansah. Seiana unterdrückte ein Stirnrunzeln, was ihr erster Impuls gewesen war – weil sie es nicht richtig fand, dass Axilla sich dessen fast zu schämen schien –, weil sie befürchtete, die Iunia könnte das als Tadel auffassen. Stattdessen beschloss sie, nur leichthin mit den Achseln zu zucken. „Das bin ich auch. Meine Brüder…“ …war keiner da gewesen, außer Caius, der mittlere, aber der hatte auch nicht wirklich Interesse daran gezeigt, eine derartige Verantwortung für sie zu übernehmen. „…haben mir das überlassen. Sicher mag es etwas ungewöhnlich sein für Frauen, die noch nie verheiratet waren, aber auch da denke ich: sag es einfach nicht zu laut in der Gegenwart gewisser Leute, und ansonsten sei stolz auf deine Unabhängigkeit. Sicher ist es einfacher, jemanden zu haben, der für einen entscheidet. Und es heißt ja auch, wir Frauen könnten das nicht so gut wie Männer. Aber ich selbst denke, dass wir es immerhin gut genug können… wenn man uns die Gelegenheit dazu gibt.“ Oder vielleicht gehörten Frauen wie sie und Axilla auch nur zu den Ausnahmen, die die Götter machten. Seiana wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie ihre eigene Unabhängigkeit nur ungern wieder aufgeben wollte, nun, da sie sie einmal hatte.


    Sie wollte gerade dazu ansetzen, weiterzusprechen und zuzusichern, dass sie ihren Patron fragen würde, als plötzlich ihr Onkel den Raum betrat. Als sie Axillas fragenden Blick sah, bejahte sie ihn mit dem ihren, bevor sie aufstand und mit einem Lächeln ihren Onkel begrüßte. „Salve, Onkel Livianus. Du störst überhaupt nicht.“ Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie Axilla hektisch aufstand und versuchte, ihr Kleid glatt zu bekommen, bevor sie den Senator ebenfalls begrüßte. Ob Livianus tatsächlich nichts bemerkte oder es nur aus Höflichkeit überspielte, in jedem Fall sagte er nichts dazu, sondern gab sich charmant wie stets. „Ja, wir haben uns in der Tat gut unterhalten. Stell dir vor, wir kannten uns schon flüchtig aus Alexandria – ich war genau die Richtige, um dich zu vertreten. Kann ich dir etwas zu trinken bringen lassen?“

    Seiana zögerte kurz. Sie hatte im Grunde keine Ahnung, wann ihr Onkel heute nach Hause kommen würde, und ob er dann Zeit haben würde. „Ich denke, er wird in jedem Fall heute noch kommen. Aber ich kann dir leider nicht genau sagen, wann. Er musste dringend weg und hat nur die Bitte hinterlassen, dass wir dich an seiner Statt empfangen.“ Kam es ihr nur so vor, oder fühlte die Iunia sich tatsächlich ein wenig unwohl? Seiana rätselte kurz, woran das wohl liegen mochte, dann tat sie es aber als Einbildung ab. Es gab keinen Grund, warum sie sich unwohl fühlen sollte – bei einem Mann wie Livianus konnte es immer wieder mal vorkommen, dass er doch nicht konnte. Dass dann jemand von der Familie einsprang und sich um einen Gast kümmerte, war selbstverständlich.


    „Ich habe von ihr gehört, ja, hatte allerdings nicht das Vergnügen, sie persönlich kennen zu lernen“, antwortete sie dann auf die Frage nach Penelope Bantotakis. „So weit ich weiß, kommt sie jetzt für eine Weile nach Rom, um in der Schola zu lehren, zumindest hat mir mein Patron, Aurelius Corvinus, das erzählt.“ Aurelius Corvinus hatte ja gewusst von ihren Gehversuchen am Museion, die leider an ihrer Rückreise nach Rom gescheitert waren, ebenso wie er wusste, dass sie die Geschehnisse um das Museion und die mögliche Kooperation aufmerksam verfolgte. „Sie wird auch in der Villa seiner Familie wohnen, vielleicht ergibt sich dann noch die Gelegenheit einer Bekanntschaft.“ Seiana setzte sich ein wenig anders hin und schlug die Beine übereinander, um ein wenig Abwechslung zu haben, und trank ein weiteres Mal von ihrem Saft. Dann musste sie lachen. „Mach dir keine Gedanken“, wehrte sie lächelnd ab und ging dann auf das ein, was Axilla gesagt hatte. „Ich weiß es nicht. Ehrlich? Ich meine, ich habe gehört, dass die Frauen in Griechenland so gut wie nichts im öffentlichen Leben zu suchen haben, aber dass sie tatsächlich zu Hause eingesperrt werden?“ Seiana zuckte leicht mit den Achseln. „So oder so denke ich, dass uns in Rom doch einiges offen steht, erst recht im Vergleich zu Griechenland. In Ägypten ist es freilich noch mehr – und auch mit weniger schiefen Blicken verbunden. Es gibt fortschrittliche Menschen in Rom, aber es gibt eben auch die Konservativen.“


    Noch während sie sprach, setzte auch Axilla sich anders an, und für einen Moment konnte Seiana nicht anders, als – ein wenig verblüfft, ein wenig irritiert – dabei zuzusehen, wie sie die Beine anzog und vor sich auf Stuhl stellte. Seiana hatte nicht das geringste gegen diese Sitzhaltung, sie selbst saß auch so da gelegentlich, aber sie tat es, wenn sie alleine war, oder mit ihrem Bruder zusammen oder ähnlich vertrauten Menschen. Und wenn sie etwas anderes anhatte, nicht eine derart feine Tunika, wie Axilla sie gerade trug. Die Sklavin, die sie hernach würde glätten müssen, konnte sich jetzt schon darauf freuen, aber Seiana dachte mehr an die Möglichkeit, dass ihr Onkel vielleicht doch noch auftauchen könnte – und sie hoffte, dass dann weder ihm noch Axilla auffiel, dass ihre Tunika verknitterter war, als sie sein sollte. Ein wenig erinnerte Axilla sie an sie selbst – ihr Bedürfnis nach Freiheit, früher, danach, nicht nachdenken zu müssen, einfach tun und lassen zu können, was sie wollte. Sich einfach nicht darum zu scheren, was andere dachten. Diese Seiana von früher hätte sich ebenfalls so hingesetzt, wenn ihr danach gewesen wäre, egal ob jemand anwesend war oder nicht, und es wäre ihr egal gewesen, wenn ihre Mutter sie ausgeschimpft hätte dafür. Sie konnte allerdings nicht ganz sagen, ob Axilla wirklich auch so war, oder ob sie nur… nun ja… einfach nicht darüber nachdachte. Dass sie sich so hergerichtet hatte für ihren Antrittsbesuch bei Livianus, ließ eigentlich darauf schließen, dass sie sehr wohl auf das achtete, was sich schickte. Außer diesem ersten Moment der Überraschung jedoch ließ Seiana sich nichts anmerken von ihren Gedanken, und bei Axillas nächsten Worten verschwanden ohnehin sämtliche Mutmaßungen und Überlegungen dieser Richtung aus ihrem Kopf. Als Axilla fertig war, schwieg Seiana erst einmal – länger, als normal gewesen wäre. Dann gab sie sich einen Ruck. „Nun, das ist…“ Sie räusperte sich und lächelte ein wenig verlegen. Ihre Art, heute jedenfalls und in Gesellschaft der allermeisten Menschen, ihr Unwohlsein zu überspielen, sich zu schützen. „Da tun sich offenbar einige Parallelen auf zwischen uns. Mein Vater ist auch recht früh gestorben. Meine Mutter war allerdings sehr resolut und streng, so hat sie uns auch erzogen, bis sie schließlich… krank wurde…“ Seianas Stimme verlor sich kurz, dann räusperte sie sich erneut. „Wenn du möchtest, dann… kann ich dir vielleicht behilflich sein. Ich meine, allzu gut kenne ich mich auch nicht aus, vor allem weil ich ja selbst noch nicht allzu lange wieder in Rom bin, aber ich könnte meinen Patron fragen, welche Römer geeignete Heiratskandidaten für dich wären. Vorausgesetzt, Silanus – das ist dein Tutor, nehme ich an? – hat nichts dagegen.“

    Caius antwortete nicht, aber ganz sicher nicht – mutmaßte Seiana jedenfalls –, weil er sich diese Gelegenheit sie weiter aufzuziehen freiwillig hätte entgehen lassen. Bevor er etwas hätte sagen können, betrat auch schon Aelius Quarto den Raum und gesellte sich zu ihnen. Nun war es ja nicht gerade so, dass Seiana von der Casa Decima keine Senatoren gewohnt wäre. Quarto nun zu treffen, beeindruckte sie dann aber doch, auch wenn sie nicht ganz benennen konnte, wie viel davon an seiner würdevollen Erscheinung, an seiner zugleich irgendwie… fast schon onkelhaften Ausstrahlung und an der Tatsache lag, dass er der Bruder des Kaisers war. Bei Caius vergaß sie das häufig einfach, ganz davon abgesehen war er ja kein allzu naher Verwandter.


    Quartos Lächeln erwiderte sie erfreut, zeigte es doch, dass ihre Befürchtungen zumindest für den Moment unbegründet erschienen – und es auch blieben. Sie machte sich zu viele Gedanken, stellte sie in diesem Augenblick fest. „Salve, Senator Aelius. Ich danke dir“, antwortete sie auf das Kompliment und warf Caius dann einen kurzen Seitenblick zu. Aber der blieb erst mal still. „Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Ich hatte bisher noch keine Gelegenheit, jemanden aus Caius’ Familie kennen zu lernen.“ Ein wenig unsicher war sie sich schon, ob sie nun darauf eingehen sollte, dass Quarto ein, wie sollte man es nennen, doch recht hochrangiges Mitglied der römischen Gesellschaft war und man ihn nicht alle Tage einfach so traf. Aber sie beschloss, es nicht zu tun. Immerhin war sie nicht wegen geschäftlicher oder politischer Dinge hier, und selbst wenn bei der Verlobung zwischen Caius und ihr politische Gründe eine größere Rolle gespielt hätten, wäre es nicht an ihr, diese Dinge zu besprechen. Es musste ihr nicht gefallen, aber es war so. „Nein, der Weg war nicht beschwerlich. Ganz im Gegenteil zu der Reise von Alexandria nach Rom.“

    Die Untersuchung war nicht einmal so unangenehm, wie Seiana gedacht hätte, aber sonderlich erbaulich war es auch nicht. Dennoch verabschiedete sie sich von dem Prätorianer mit einem Lächeln, bevor sie Caius folgte, der sie an der Hand hinter sich herzog, über das Gelände hin zu dem Palast, hinein und bis in den Flügel, in dem die Aelier wohnten. Seiana bemühte sich, nichts von dem zu verpassen, was sie sah, während sie sich gleichzeitig fast noch mehr bemühte, sich nichts anmerken zu lassen – was ihr auch einigermaßen gelang, dafür, dass sie zum ersten Mal im kaiserlichen Palast war. „In Ordnung. Ich meine, ist ja klar, dass sie durchsuchen müssen, aber es wär schon ganz nett, wenn sie das nicht jedes Mal mit mir machen…“


    Im Adedis angekommen, ließ Caius sie erst mal allein, und sie sah sich kurz um, bis er plötzlich wieder bei ihr war und ihr einen Handkuss gab. Seiana grinste flüchtig. „Nein“, entgegnete sie mit hochgezogener Augenbraue, nur um gleich darauf wieder zu grinsen, diesmal etwas schief. „Was für eine Frage, natürlich bin ich das. Ich hoffe Quarto mag mich.“ Wie schwierig es wurde, wenn von der Familie keine Akzeptanz da war, konnte man ja an ihr sehen. Und Faustus. Auch wenn sie hoffte, dass sich das noch klären würde. Aber es war eine Sache, wenn Faustus Caius nicht leiden konnte, weil sie sich sicher war, dass Faustus sich einkriegen würde oder es zumindest versuchen, wenn sie ihn ernsthaft darum bat – und eine ganz andere, wenn Aelius Quarto, der Bruder des Kaisers, etwas gegen sie haben sollte.

    Seiana fühlte sich nicht ganz wohl dabei, durchsucht werden zu müssen von einem Prätorianer. Andererseits war es üblich, und mit Sicherheit nichts, wogegen sie etwas tun konnte. Laut dem Soldaten hatte sie ja offenbar noch Glück, wenn das in Zukunft nicht jedes Mal wiederholt werden musste. „In Ordnung“, meinte sie nur und sah den Prätorianer fragend an, wartend auf eine Anweisung, wo sie hingehen oder was sie tun sollte.

    „Ich hoffe, dass es nicht nötig ist, aber wenn es tatsächlich nicht besser werden sollte – mein Angebot steht.“ Von Axillas Unbehagen gegenüber Ärzten oder der Möglichkeit eines Besuchs bei einem Medicus bemerkte Seiana nichts, und so ging auch sie nicht weiter auf dieses Thema ein. Sie hoffte wirklich, dass es nichts Ernstes war, dass Axilla ihr Angebot nicht würde in Anspruch nehmen müssen – auch wenn der umgekehrte Fall hieß, dass Axilla über die Taberna würde reden, sie anpreisen können. Vorausgesetzt sie war zufrieden, aber daran hegte Seiana eigentlich keinen Zweifel. Sie hatte die Angestellten – ihre Angestellten – kennen gelernt, und es waren tatsächlich gute Leute. Und sollte Axilla nicht zufrieden sein… nun, dann hoffte Seiana, dass sie ihr davon erzählte, denn dann wusste sie, was sie zu ändern hatte.


    Bei Axillas Schwärmereien konnte auch Seiana nicht anders, als sich davon anstecken zu lassen und zu lächeln. „Ja, doch, ich denk auch dass das schön wird. Oooh“, meinte sie dann. „Mir war auch richtig übel, die gesamte Fahrt. Ich weiß nicht, ob das an den Herbststürmen lag… aber ich meine mich zu erinnern, dass die Hinreise nicht ganz so schlimm gewesen ist. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, weil es zu lange her ist. Immerhin hatte ich das Glück, dass außer meiner Sklavin niemand dabei war, den ich kenne. Oder den ich je wiedersehen müsste.“ Pompeius Imperiosus… Der Name kam ihr irgendwie bekannt vor. Hatte Caius nicht irgendetwas erwähnt, dass sie zum Essen eingeladen waren? Aber bevor Seiana Überlegungen in dieser Richtung anstellen konnte, sprach Axilla schon weiter – und stellte Seiana vor ein kleines Problem. Sie hätte ihr liebend gerne zugesichert, dass das kein Thema sei, aber das konnte sie einfach nicht. „Also… um ehrlich zu sein, das weiß ich nicht. Wenn du Livianus schon kennen würdest, wäre es etwas anderes, aber so wirkt es vielleicht etwas merkwürdig. Ich würde in jedem Fall Livianus erst mal allein treffen, dann kannst du es selbst vielleicht besser einschätzen.“


    Dann lächelte sie versonnen. „Wir haben in Tarraco gewohnt. Aber meine Familie besitzt auch Güter in der Umgebung. …“ Nach dem Tod ihres Vaters waren sie ja mehr oder weniger abhängig gewesen von der Familie, aber merkwürdigerweise war das nie ein Problem gewesen. Seiana hatte nie wirklich das Gefühl bekommen, dass sie wirklich abhängig gewesen wären. Es war einfach… selbstverständlich gewesen, so war es ihr immer vorgekommen. „Bunter ist es wirklich, das ist wahr“, stimmte sie der Iunia dann zu. „Ich mag Alexandria auch sehr. Nur…“ Sie zuckte leicht die Achseln. „Ich kann es nicht erklären. Vielleicht passt Rom auch nur gerade für mich, wer weiß wie es in ein paar Jahren aussieht. Gerade weil es mit eigenen Betrieben für Frauen in Alexandria einfach leichter ist… Wobei wir ja noch glücklich sein können, dass wir nicht als Griechinnen geboren wurden. Gerade wenn eine Römerin sui iuris ist, kann sie auch hier einiges tun.“ Zum Beispiel den eigenen Bruder vor den Kopf stoßen, weil sie selbst entschied, mit wem sie sich verlobte. Seiana unterdrückte ein Seufzen. „Wer weiß, ob ich sonst meine Betriebe hätte. Oder Lectrix geworden wäre.“ Seiana legte den Kopf leicht auf die Seite und musterte Axilla. „Na ja, ich denke mit dem Heiraten kannst du dir ja noch Zeit lassen. Aber es stimmt schon, in Rom gibt es doch die größere Auswahl an akzeptablen Kandidaten.“ Dass Axilla ebenso wie sie vorhatte von Stand zu heiraten, stand für Seiana überhaupt nicht zur Debatte. Das war eines der Dinge, die in ihr so fest eingebrannt waren, dass sie überhaupt nicht über mögliche Alternativen nachdachte. Eine Römerin heiratete nicht unter ihrem Stand, so einfach war das. „Hast du dir denn schon Gedanken gemacht über eine mögliche Verbindung? Oder deine Familie?“

    Seiana unterdrückte ein Schmunzeln, als Caius’ Vater seine Frau wieder zu necken begann. „Gut, im Frühjahr kann es auch regnen, aber die Chance auf gutes Wetter ist dann doch wesentlich besser als jetzt im Winter.“ Sie fühlte sich immer noch seltsam. Einerseits erleichtert, weil ihre Eltern, ihre Mutter nicht mehr Gesprächsthema waren. Andererseits merkwürdig… nervös, weil es – natürlich – wieder um die Hochzeit ging, ihre Hochzeit, die bevorstand. Oh Götter, steht mir bei… Seiana überlegte, noch einen Schluck zu trinken, unterließ es dann aber. Der Wein war pur, und sie wollte auf keinen Fall zu viel davon abbekommen. Auch wenn sie das Gefühl hatte, dass es sie ein wenig beruhigte.


    Stattdessen musterte sie Calvaster. „Aber… sollten wir sie dann nicht zurückgeben? Ich meine… oder wenigstens Bescheid geben? Also, dass wir noch nicht jetzt heiraten, ich meine…“ Irgendwie fand sie es nicht richtig, die Geschenke zu behalten. Sie waren noch nicht verheiratet. Andererseits… was meinte Calvaster mit dem Ausdruck Kanaillen? „Was für… Nachbarn sind das denn?“

    Seiana lachte leise. „Caius hat eine Taberna Medica geerbt, die er mir überlassen hat. Wenn du möchtest, kannst du dort gern einmal vorbei sehen und dich umsonst beraten und dir etwas mitgeben lassen. Ich war schon ein paar Mal da und habe gerade eben wieder über den Unterlagen gesessen, dort arbeiten gute Leute.“* Sie würde gleich im Anschluss an das Gespräch einen Brief an den Verwalter der Taberna aufsetzen, damit er auch Bescheid wusste, dass Iunia Axilla nichts würde zahlen müssen, falls sie sich entschloss vorbeizugehen.


    „Ach, das glaube ich nicht.“ Seiana winkte lächelnd ab. Sie konnte nicht wirklich sagen, ob ihr Onkel diesen Brief nun übel nahm oder nicht, schon allein weil sie nicht wusste, was in dem Brief gestanden hatte, aber sie konnte sich nicht vorstellen, dass er wegen so etwas sauer war – schon gar nicht, wenn er Axilla als Reaktion eingeladen hatte, nach Rom zu kommen und ihn kennen zu lernen. Wäre er wütend gewesen, hätte er wohl anders reagiert, hätte sich an ihre Familie gewandt, an seinen Klienten. „Selbst wenn, spätestens wenn er dich kennen lernt und deine Erklärung hört, kann er dir das sicher nicht übel nehmen.“ Mit gemischten Gefühlen hörte sie dann Axillas weitere Worte. Ja, sie war verlobt, würde bald heiraten, und das sollte sie freuen, das hieß, es freute sie auch… Aber gleichzeitig war sie aufgeregt. Das konnte doch nicht normal sein, dass sie, je näher die Hochzeit rückte, immer nervöser zu werden schien. „Ja, aber lange genug hat es gedauert.“ Sie lächelte – und versteckte sich dann kurz hinter dem Becher, als sie daran dachte, warum es so lange gedauert hatte bei ihr. Wäre ihre Mutter nicht krank geworden, wäre sie vermutlich schon längst verheiratet, aber das war ein Thema, dass sie ebenso wenig anschneiden wollte wie irgendwelche Fehltritte von Caius, die erneute Streitereien mit ihrem Bruder auslösen könnten. „Nein“, erklärte sie dann nach einem Schluck Saft, „der Termin steht noch nicht genau fest. Allerdings planen wir, dass die Hochzeit im Frühjahr stattfindet. Ich denke, während der Winterstürme wirst du ohnehin nicht zurückreisen nach Alexandrien, oder?“ Ein wenig erstaunt zog sie dann die Augenbrauen hoch und lächelte. „Tarraco?“ Sie kramte in ihrem Gedächtnis, konnte sich aber beim besten Willen nicht erinnern, ob das zuvor schon in einem Gespräch gefallen war, dass Axilla ebenfalls aus Tarraco kam – ob nun mit ihr oder mit Caius. „Dort bin ich auch aufgewachsen. Kein Wunder, meine ganze Familie stammt aus Hispania, bis auf einen kleinen Zweig, der irgendwann nach Griechenland gegangen ist.“ Sie stellte ihren Becher auf dem Tisch ab und winkte ab, als ein Sklave das noch halbvolle Gefäß schon wieder auffüllen wollte. „Rom ist… schon einzigartig. Ich meine, ich liebe Tarraco, und in Alexandria hat es mir auch sehr gut gefallen, aber Rom… Vielleicht habe ich noch nicht lange genug hier gelebt.“ Seiana lachte, ein wenig verlegen. „Aber trotz aller Vorzügen, die Alexandria gerade für Frauen zu bieten hat, schlägt mein Herz doch für Rom.“ Bei Axillas nächsten Worten fühlte Seiana sich deutlich an ihre ersten Tage und Wochen in Rom erinnert. „Überlass die Auswahl am besten erst mal deiner Cousine“, schlug sie vor. „Wenn sie sich hier auskennt, wird sie ja wissen, was am interessantesten ist. Möchtest du denn zurück nach Alexandrien oder würdest du lieber in Rom bleiben?“


    Sim-Off:

    *WiSim :D