Ich hörte den Befehl des Centurios und trat zusammen mit den anderen Probati an. Mir fiel dabei auf, dass einer sich mehrmals an die Wade griff. Scheinbar war er es gewesen, der den Unwillen des Centurios auf sich gezogen hatte. Selber schuld, dachte ich. In der Legio muss man immer mindestens sein Bestes geben. Und sollte dies nicht ausreichen, war es nur eine Frage der Motivationskünste der Offiziere, um Höchstleistungen zu vollbringen.
Nun wurde es ernst, dachte ich. Auch wenn wir nur Übungswaffen hatten, ein Volltreffer auf den ungeschützten Arm oder auf das Bein würde bestimmt höllisch weh tun. Ich suchte nach Fullo. Doch ich sah, dass er einen Übungspartner hatte. So schaute ich in die Runde und sah einen drahtigen, großen Probatus, der auch noch keinen Partner für die Übung gefunden hatte. Während einige der Probati schon anfingen, ging ich zu ihm und fragte: „Na, wie wäre es mit uns beiden? Wollen wir ein Tänzchen wagen?“ Ich lachte. Denn ich hatte immer noch das Bild von vorhin vor Augen. Der Probatus lachte auch und antwortete „Mit Vergnügen. Aber trete mir bitte nicht auf meine Füße.“ „Dein Humor gefällt mir.“ Ich grinste ihn an. „Ich heiße Probus.“ Ich streckte ihm die Hand entgegen. „Freut mich ebenfalls, Probus. Ich bin Murcus.“ Er nahm meine Hand und schüttelte sie.
Nachdem wir uns gegenseitig bekannt gemacht hatten, suchten wir uns ein freies Plätzchen, denn diese waren auf einem Mal rar geworden. Die meisten Probati lieferten sich ihren Zweikämpfen. Ich sah regelrechte Duelle, aber auch sehr zaghafte Gemüter. Der Lärm, den die Probati bei ihren Übungen machten, war erstaunlich. Man hörte Holz auf Holz knallen. Die Männer schnauften und keuchten. Ab und an gab es einen Aufschrei, wenn jemand nicht aufgepasst hatte. „Hier scheint mir genügend Platz zu sein. Also ich sage dir mal lieber gleich, dass ich ein totaler Anfänger in dieser Sache bin. Und du?“ Murcus nickte. Ich war erleichtert. „Gut. Dann habe ich einen Vorschlag. Anstatt völlig hirnlos aufeinander einzuprügeln, sollten wir meiner Meinung nach die Sache etwas systematischer angehen.“ Ich sah Enttäuschung auf Murcus Gesicht. „Wie meinst du das?“, fragte er mich. „Nun, wir sollten erstmal ein bisschen Gefühl für die Sache bekommen. Wir stellen uns einen Schritt voneinander entfernt auf. Dann stechen wir abwechselnd nach dem Scutum des anderen. Der versucht dann den Schlag mit seinem Scutum abzuwehren.“ Ich sah Murcus fragend an. „Na gut. Aber ich weiß nicht, ob dass dem Centurio gefallen wird.“ Ich lachte. „Das werden wir dann schnellstens wissen. Glaube mir.“ Ich war mir nicht sicher, ob sich der Centurio die Übung so vorgestellt hatte. Aber ich hielt es für das Beste. „Na dann lass uns mal loslegen. Und ich fange an. “, sagte ich zu Murcus, nachdem wir die Grundkampfstellung eingenommen hatten.
Ich stach um den rechten Rand meines Scutums nach den Schild von Murcus, der diesen leicht abwehren konnte. Ich merkte sofort, dass man aufpassen musste, sich bei diesem Stich nicht den Unterarm am Schildrand zu stoßen. Doch gleichzeitig durfte man seine Deckung nicht zu weit öffnen. Die folgende Attacke von Murcus konnte ich ebenfalls leicht mit meinem Scutum abblocken. So übten wir einige Zeit. Dabei merkte ich, dass zum Abblocken des Stiches der Stand auf dem rechten Fuß vorteilhafter war, da ich dann das Scutum freier bewegen konnte. Außerdem hatte der Gegner dann einen längeren Weg mit seinem Schwert zurückzulegen. Er war somit offener in der Deckung, was meinerseits mit einer schnellen Gewichtsverlagerung auf den linken Fuß gekontert werden konnte, um meinerseits in den Angriff zu gehen.
„So, Murcus. Ich denke wir sollten mal was anderes üben. Der Schild lässt doch die unteren Beine und den Kopf in der normalen Haltung offen. Vielleicht sollten wir üben, wie man die Stellen angreifen kann. Fangen wir mal lieber mit den Beinen an. Und ich beginne wieder. Wenn ich zustoße, sage ich jetzt. Wir wollen uns doch nicht unnötig wehtun.“ Ich sah, wie sich Murcus Miene aufhellte. Scheinbar war ihm die Übung auch langsam langweilig geworden. In der kurzen Verschnaufpause merkte ich, dass ich mittlerweise schon ordentlich schwitzte. Trotzdem wir noch gar nicht richtig kämpften. Wie sollte das erst in einem echten Kampf sein!
Wir beide nahmen wieder die Grundkampfstellung ein und ich versuchte mit dem Gladius nach Murcus Beinen zu stechen. Ich merkte, dass diese Aktion viel zu lange dauerte. So konnte Murcus meinen Angriff auch abblocken. Als ich wieder hoch kam, sah ich Murcus den Kopf schütteln. „Ne, ne. Das ist nicht gut. Während deiner Attacke war deine Deckung soweit offen, dass ich dich locker hätte abstechen können.“ Ich sah Murcus erstaunt an, denn das, was er sagte, war mich nicht aufgefallen. „Das will ich sehen. Mach du mal den Stich.“ Als Murcus den Stich nach meinen Beinen ausführte, sah ich, was er gemeint hatte. Einerseits hatte man alle Zeit der Welt, den Stich mit dem Schild abzublocken. Und andererseits erkannte selbst ich als Laie, dass ich Murcus auf mehrere Arten hätte töten können. „Du hast recht!“, sagte ich zu ihm, nachdem er wieder hoch gekommen war. „Das sollte man also nicht tun. Gut zu wissen. Dann lass uns mal den Stich zum Kopf üben. Aber pass dabei auf. Ich habe keine Lust, dein Holzschwert zu fressen!“ Ich grinste Murcus an. „Ach nö. Ich würde viel lieber richtig kämpfen und nicht dieses langweilige Zeug hier machen“, nörgelte er. „Hör zu. Lass uns diese eine Übung noch machen und dann können wir ja sehen, wer von uns beiden am heutigen Tag mehr gelernt hat.“ Ich sah ihn fragend an. „Na gut. Aber danach kämpfen wir richtig.“, antwortete er ungeduldig.“Versprochen?“ „Versprochen!“ Auch wenn ich mir nicht sicher war, ob das so sinnvoll war, was Murcus gerade vorgeschlagen hatte.
Also führte ich den ersten Stoß nach Murcus Gesicht aus, nachdem ich das Signal gegeben hatte. Er blockte ihn ab. Nun stach Murcus zu. Doch statt den Stich abzublocken, zog ich meinen Kopf hinter die Deckung meines Scutums. So übten wir kurze Zeit diese Variante des Stichs. Wenn dieser Stich ein Gesich trifft, musste es geradezu zerfleischt werden, dachte ich. Jedenfalls waren Treffer dieser Art bestimmt meistens tödlich. Wenn man nicht das Gesicht traf, so doch vielleicht den Hals. Doch selbst wenn man den Gegner nicht trifft, bietet der Stich den Vorteil, dass dem Gegner beim Blocken die Sicht auf den Angreifer genommen wurde. Ich merkte, dass jede der beiden Blockvarianten ihre Vorteile hatte. Das Ducken hinter das Scutum war schnell. Aber es hatte den Nachteil, dass der Schild statisch war. Eine mögliche Konterattacke war meiner Meinung nach, dass man sich gedeckt durch den Schild blind nach vorne auf den Gegner warf, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Das aktive Blocken gegen diesen Stich hatte den Vorteil, dass das Scutum dynamischer geführt werden konnte. Zwar sah man den Gegner auch nicht, aber man konnte den Stich abgleiten lassen, um selbst um die Deckung herum, nach den Gegner zu stechen. Das dabei die Deckung der Beine etwas entblößt wurde, war nicht so dramatisch, wie die vorherige Erfahrung mich gelehrt hatte.
„So. Und jetzt lass uns richtig kämpfen!“, sagte Murcus mit leuchtenden Augen und riss mich aus meinen Überlegungen. „Gut. Ich habe es dir versprochen. Auch wenn ich es für sinnvoller halte, wenn wir noch etwas weiter üben würden.“ Denn ich war mir mittlerweile sicher, dass die Kunst des Fechtens nicht nur im Gladius lag, sondern viel mit dem richtigen Gebrauch des Scutums zu tun hatte.
Murcus und ich gingen in die Grundkampfstellung und nickten uns zur Kampferöffnung zu. Murcus versuchte sofort einen Stich nach meinem Kopf. Ich duckte mich hinter mein Scutum und warf mich sofort nach vorne. Ich merkte den harten Aufprall und wie ich weiter nach vorne fiel. Ich konnte mich gerade so noch auffangen und lukte hinter meinem Schild hervor. Murcus saß auf seinem Hosenboden und starrte mich verwirrt an. „So war das nicht abgemacht. Du sollst fechten und nicht mich umschubsen.“, sagte er wütend. Ich grinste auf ihn herab. „Murcus, du weißt doch. Im Krieg und in der Liebe sind alle Dinge erlaubt.“ Er schnaufte nur verächtlich und stand wieder auf. Kaum war er oben, griff er mich wütend an. Er stach nach meiner Körpermitte, da ich im Gespräch das Scutum leicht nach links geöffnet hatte. Schnell riß ich den Schild nach rechts und das Holzschwert glitt am Scutum ab. Da Murcus in seiner Wut zuviel Schwung in den Stich gelegt hatte, verlor er kurz das Gleichgewicht. Meine Chance. Ich machte einen Schritt schräg nach vorne, drehte mich zu Murcus und stach mit dem Holzschwert rechts um meine Deckung und schürfte mir dabei schmerzhaft die Haut am rechten Unterarm auf. Doch der Lohn war ein Treffer an der linken Panzerseite bei Murcus. Ich grinste wölfisch. Nicht blinde Entschlossenheit obsiegt im Kampf, sondern kühle Entschlossenheit, dachte ich. Murcus schrie vor Zorn auf. Wie wild startete er eine Attacke nach der anderen. Doch ich konnte alle mit meinem Scutum abfangen. Sie waren zwar schnell und kräftig. Und er trieb mich mit seiner Agressivität vor sich her. Aber sie waren zu unkontrolliert. Ich hörte, wie Murcus Atem immer heftiger wurde, bis er schließlich anfing, heftig zu schnaufen. Da wusste ich, dass er müde und ich jetzt am Drücker war. Wieder startete Murcus eine Attacke und stach nach meinem Gesicht. Diesmal blockte ich nach oben, bewegte ich nach links vorne und schob mit meinem Scutum sein Schild zur Seite. Das öffnete seine rechte Seite für einen Gegenangriff. Kurz entschlossen stach ich zu. Mein Holzschwert glitt am Panzer von Murcus ab und landete dadurch in seiner rechten Achselhöhle. Murcus schrie auf vor Schmerz. Erschrocken sah ich ihn an. Hatte ich ihn so schwer getroffen?
Ich sah, wie Murcus sein Gladius fallen ließ und sich mit schmerzverzerrtem Gesicht an die Achselhöhle griff. Er atmete heftig. Ich trat einen Schritt zurück und sah ihn besorgt an. „Alles klar Murcus?“ fragte ich ihn. Er nickte mit dem Kopf. „Ja, ja. Geht schon.“, quetschte er zwischen den Zähnen hervor. „Entschuldige bitte. Ich wollte dich nicht so hart treffen.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Ist schon in Ordnung. Schließlich wollte ich, dass wir richtig kämpfen.“ Murcus ließ seinen rechten Arm kreisen. „Vielleicht hätte ich auf dich hören sollen.“