Beiträge von Firas

    Der Argwohn in Katanders Nachfrage ließ Firas ein wenig schwerer schlucken als gewöhnlich. Besonders die Vermutung, der Syrer könnte daran gedacht haben die teueren Dinge mitzubringen, war schon was! Nein, daran hatte er natürlich nicht gedacht. Obwohl...das war nicht richtig: Daran gedacht hatte er, nur hatte er nicht über die Geistesgegenwart verfügt, diesen trägen Gedanken auch in die Tat umzusetzten. Der Sklave griff nun seinerseits nach dem Becher mit dem verdünnten Wein und spülte den Rest der Gurke herunter, was den geschmacklichen Genuss ein wenig dämpfte und einen schalen Nachgeschmack hinterließ. Könnte auch an üblen Gedanken liegen, dass nur die Hälfte der Habseligkeiten Rom auch erreichen würde. Doch wollte Firas nicht unbedingt Dämonen und böse Geister an die Wand malen. Stattdessen lächelte er zuversichtlich. Zumindest bemühte er sich sehr darum, denn Katanders suchender Blick prickelte schon ein wenig auf der Haut.


    “Ne...hab ich nicht!“, gestand Firas schließlich und war froh über die neue Nachricht, die ein wenig von seinem schlechten Gewissen ablenkte.
    “WAS?“, entfuhr es ihm dann lautstark und er riss die Augen auf. “Wie? Die beiden sind nicht mehr verlobt?“ Es ratterte in seinem Kopf und tausend Bilder zuckten gleichzeitig auf. Da war Alexandria, seine Ausflüge auf den Markt und in den Park, bei denen Seiana noch anwesend gewesen war. Da waren die vielen kleinen Dinge....und nun waren sie weg. Wie wahrscheinlich die Güter in Ostia. Der Syrer schüttelte den Kopf. Nein, das war ein Scherz von Katander. Oder nein, schien es nicht zu sein.
    “Wie es weitergeht?“ Firas blinzelte ratlos. Es musste schon ein großer Klopfer sein, denn sein Gegenüber hielt sich schon am Stuhl fest. Firas tat noch einen mächtigen Zug von dem Wein, der weitaus weniger Umdrehungen hatte, als es ihm in diesem Moment lieb war. Doch ein klarer Kopf ging über das berauschende Hochgefühl des Optimismus, welches nur in einem soliden, guten Wein stecken konnte.
    “Ne!“ Es war eher ein bellender Laut, den der Syrer von sich gegeben hatte und seine Augen weiteten sich noch mehr. Sollte er wirklich raten? Sollte er wirklich versuchen, die verwinkelten Wege des Herrn Archias nachzuvollziehen? Er hob eine Augenbraue und grinste schräg und ratlos.
    Woher sollte er wissen, wie es weiter ging? Er wusste ja nicht einmal, wie es zu dem Bruch gekommen war!
    “Herr Archias hat sich jemand anderen gesucht?“, mutmaßte er drauf los. “Oder er ist in eine dubiose Priesterschaft eingetreten?“ Firas war baff ob der Eröffnung und seiner eigenen Gedanken. Wilde Bilder übermannten ihn. “Du machst doch einen Scherz!“, winkte er schließlich ab und lachte schon mal prophylaktisch. Das wäre das Beste, denn dann brauchte er diese Nachricht nicht zu verarbeiten.

    Firas hatte das Grinsen des Koches gar nicht recht bemerkt. Deshalb störte es ihn auch nicht, auch wenn sein Unterbewusstsein meldete, dass irgendwas mit dem Kerl nicht stimmen konnte. Auf das Gebilde auf dem Brett hatte er gar nicht geachtet, sondern Katanders eventuell berechtigten Einwänden gelauscht. Sicher konnte was verschütt gehen. Er wäre ja selber fast Verschütt gewesen, hätte er nicht diesen redseligen Händler für sich und seine Sache gewinnen können. Er hatte einen schwankenden Kahn gegen einen schwankenden Karren getauscht und war den Rest zu Fuß gegangen. Da hatte er ja Zeit gehabt, sich Gedanken über mögliche Verluste der Besitztümer zu machen, doch glaubte Firas fest an das Gute im Menschen und griff erst jetzt, nachdem er Ophelia abgesetzt hatte, beherzt nach der Gurke. Dabei zögerte er dann doch und gönnte dem Koch einen verwunderten Seitenblick, während sein direktes Gegenüber sich mit der Pflanze vertraut machte.


    "Joa, ansonsten geht es mir gut." Firas blinzelte und hob mit zwei Fingern die Gurke an, um sie zu beäugen.
    "Mir war schlecht, aber inzwischen geht es mir...etwas besser." Dabei drehte er die Gurke vor seinem Gesicht hin und her und bemerkte, wie sich ihm ob der nachgeahmten Wohlwollensbekundung des Koches - welche bei genauerer Betrachtung ja offensichtlich war - die Nackenhaare aufstellten.
    Der Syrer verzog das Gesicht und erwachte erst dann aus der Gemüsebeschau. Wo waren sie stehen geblieben? Ach ja...das alte Thema!


    "Wenn du glaubst, ich wäre wirr im Hirn, dann irrst du dich!" Firas biss herzhaft in die Gurke und kaute geräuschvoll. Dann deutete er auf den Kaktus. Katander hatte sich, was das anging schon immer geirrt, sofern er es denn überhaupt vermutet hatte. Firas war sich da nie so ganz sicher gewesen. Inzwischen hatte er ja dazu gelernt und er hatte die Sache mit Ophelia wirklich gut überstanden. Er seufzte schwer und rollte mit den Augen. Die Gurke schmeckte etwas ranzig und er blickte verunsichert zum Koch hinüber. Das hätte ihm jetzt auch noch gefehlt. Im letzten Jahr war er zweimal ernsthaft verliebt gewesen. Das eine Mal mit Erfolg und das andere Mal, um seine Gefühlswelt zu kitten. Danach gab es nur noch die Musen. Ein liebestoller Koch aus Rom hatte ihm gerade noch gefehlt!



    "Das ist NICHT Ophelia!" Der Sklave kaute aus und sah Katander ernst an. "Sie HEIßT nur Ophelia! Weil es ein wundervoller Name ist und überhaupt hat sie rein GAR NICHTS mit Ophelia zu tun!" Außer den vielen Gründen natürlich, die doch dafür sprachen. Trotzdem war ihm das Thema nicht recht. Es tat nicht mehr weh! Bei Weitem nicht! Dennoch zwickte es ein bisschen unangenehm.
    "Tja...hm...", begann er mit der Umlenkung, "um noch einmal auf die Sachen zurück zu kommen. Der Transport wird ein bisschen teuer." Er verzog verschämt das Gesicht. "Aber was sollte ich denn machen!? Ich konnte die schlecht tragen, die ganzen Kisten!" Ja, Angriff war eine gute Verteigung. Zwar hatte Katander erwähnt, dass der Herr Archias wahrscheinlich eh nicht wissen würde, was noch da war und was nicht und vielleicht interessierte es ihn auch gar nicht wirklich, doch das Geld war ein Punkt, das er unbedingt ansprechen musste, BEVOR der Transporteuer erschien.
    "Das kostet und die Firma da hieß...wie hieß sie doch gleich? Ach ja...'TransPORTOS für alles'. Der Zuständige heißt eben Portos und meinte, da kann er schneller was machen, wenn man mehr zahlt."

    Die ganze Zeit über hatte Firas sich umgeschaut. Ja, das war schon was anderes, als in einer kleiner Wohnung zu hausen und auch die Culina sah so aus, als würde hier wenig anbrennen. Als er den Koch erblickte, grinste der Syrer wie lange nicht mehr. Es war deutlich ein Anblick, der ihm gefiel.
    Dann richtete er sein Augenmerk wieder auf Katander, der mit seiner Vermutung zwar nicht falsch lag, aber dennoch Firas' Geistesgegenwart zu unterschätzen schien. Ein wenig plusterte der Syrer sich auf, denn schließlich hatte er in all der Zeit dazu gelernt! Nicht nur, dass er – wenigstens in seiner Vorstellung – bald ein gefeierter Dichter sein würde, nein! Er hatte auch in dem Bereich der Aufbewahrung wichtiger Dinge hinzu gelernt.
    “Aber neeeein!“, stieß er gedehnt aus und linste dabei doch immer wieder auf die streichzarten Hände des Koches mit dem verlockenden Brot in der Hand. Schnell winkte Firas ab. “Natürlich steht das nicht mehr am Kai!“ Dann schüttelte er den Kopf. “Tze...“, entfuhr es ihm. “Es ist in einer Lagerhalle daneben und wenn wir Glück haben, dann bringt ein Fuhrmann das heute Abend. Oder Morgen...oder so...“


    Im Anschluss verfolgte er weiter die Veränderungen, von der sein Gegenüber gesprochen hatte. Sie waren wirklich verlockend und würden ihm ausgezeichnet schmecken. Darüber hinaus glaubte er kaum, dass er selbst in Zukunft weiterhin für gebratenen Fleischmatsch in Teighälften, Geflügelstreifen mit Gemüse in ausgehöhltem Brot, oder Fleisch in wässrigem Gemüseaufguss zuständig war. Hoffte er zumindest. “Ich liebe Veränderungen!“, gab er schmatzend bekannt, nachdem er die Stullen in Empfang genommen hatte und schaute sich sogleich nach etwas Trinkbarem um. “Das ist toll!“, bestätigte er den Koch und sah dann wieder zu Katander.


    “Die Überfahrt war in Ordnung. Guter Wind, guter Wellengang.“ Letzteren hatte er in seiner Position an der Reeling gut im Blick gehabt. “Aber jetzt geht es wieder. Die Leute an Bord waren auch sehr freundlich...“ Niemand hatte ihm über seine Rufe Schnell, ich muss da mal hin! einen Vorwurf gemacht. Alle waren zur Seite getreten. “Naja...es war schon seltsam, das Meer zu sehen. Also, ich meine...ausschließlich Meer zu sehen. Ja, das war schon was...“, beendete er das Revue-Passieren seiner Erinnerungen an die Highlights der Fahrt. Dann blickte er auf den Kaktus, der noch immer in seiner Armbeuge weilte.
    “Oh...“, gab er von sich, “der...ja...das ist Ophelia!“ Der Syrer hatte inzwischen den Mund voll und presste die Worte zwischen der leckeren Stulle hervor. Sein Finger deutete auf die Pflanze. “Die aus den Gärten von Alexandria. Weißt du, das ist so was Heimisches. Ja, das Gefühl von...jaaaaaa....man hat halt was dabei...so....von daheim.“ Und ein Andenken? Und ob! Das sanfte Dichterherz wollte doch etwas, um die Musen zu nähren. Und Firas erschien ein Kaktus doch sehr aussagekräftig. “Ja, Ophelia,“ seufzte er schwer. “Ich hab's überwunden und das ist der Beweis!“ Er setzte den Kaktus geräuschvoll auf den Tisch und strahlte stolz vor sich hin.
    “Und nun sind wir hier!“

    Trotzdem! Firas war froh und glücklich, wieder zu Hause zu sein. Auch wenn Rom eine völlig fremde Stadt war, so war Katanders Anblick doch etwas, was das Gefühl für einen Weitgereisten herauf beschwor, dass man angekommen war. Darüber hinaus trugen auch die Worte über den Herrn Archias dazu bei, dass der Ankömmling sich heimisch fühlen konnte, zeigten sie doch, dass sich am Wesen ihres Herrn trotz der vornehmen Luft, rein gar nichts verändert hatte. Die Aktenschränke wollte Firas gar nicht sehen, wenn er schon vergessen hatte, seinen halben Hausstand abzuholen.
    “Ja, das kenne ich,“ gab Firas von sich und bemühte sich, keinen Flunsch zu ziehen. Doch für Animositäten war später noch Zeit.


    “Danke noch mal,“ wendete er sich noch einmal an die Prätorianer, ehe er seinen Fuß über die Schwelle setzte und den anderen sogleich folgen ließ. Als Katander den Kaktus bemerkte, war der Syrer versucht tätschelnd seine Hand auf das Gewächs zu legen, erinnerte sich aber sogleich wieder daran, was beim letzten Mal geschehen war und unterdrückte diesen Impuls. Ophelia hatte nicht nur hübsche Blüten, sondern auch einen bestechenden Charme mit Widerhaken daran.


    “Küche klingt prima!“ Firas Magen knurrte zu diesen Worten. Immerhin war dieser auf dem Schiff ein aktiver Rebell gewesen, während sein Besitzer versucht hatte, Stolz und Würde nicht mitsamt der Revoltions-Ergebnisse über Bord gehen zu lassen. Der Sklave seufzte und folgte Katander.

    Immer wieder hatte der Syrer sich umgeschaut und versucht, seine mitttlerweile schmerzenden Füße, mitsamt dem gierigen Wunsch nach kühlen Getränken und leckeren Häppchen zu ignorieren. Letzteres war die schwierigste Aufgabe. Nebenbei erzählte er noch immer und machte sich keine Gedanken darüber, ob seine Worte ein geneigtes Ohr fanden. Er war übermüdet und da redete er immer, meistens sogar bis tief in den Schlaf hinein, wenn ihn niemand vorher ausbremste.
    "... von daher ist und bleibt Alexandria wohl ein gefährliches Pflaster und der römische Bürger tut gut daran, sich und sein Eigentum zu schützen. Ich meine besonders diejenigen mit Einfluss und wenn ich mir so diesen Ort beschaue, dann..." Firas rollte mit den Augen und der Ausdruck darin spiegelte trotz dieser eher grotesk wirkenden Geste Bewunderung und Beeindruckung wieder. Dann holte er Luft und erwachte aus der Trance seiner Rede, die er scheinbar ganz ohne Luft zu holen hervor gebracht hatte.
    "...sind wir jetzt da!", stellte der Sklave fest und stieß ein entschuldigendes Lachen aus, bevor er den Wachmann besänfitgend anlächelte. Dann versuchte er eine seriöse Miene aufzusetzen.
    Endlich! Er war froh angekommen zu sein und sowohl den Herrn Archias, als auch Katander und seinen Anhang wieder zu treffen. Die Zeit hatte Wunden geheilt und inzwischen glaubte Firas fest daran, die verliebten Pärchen ohne weitere Eifersucht in seiner Nähe zu ertragen.
    Er drehte den Kaktus ein wenig in seinem Arm. Ja! Er hatte nun eine neue "Ophelia", auch wenn diese "nur" ein Kaktus war. Eine große Umstellung war es nicht, denn Frauen hatten nun einmal ein zähes Gemüt, einen dornigen Charakter und ohne Zweifel betörende Blüten.


    Die Tür öffnete sich und Firas blinzelte Katander entgegen. “Firas!“, erscholl es überrascht.
    “Katander!“, entgegnete Firas im dem gleichen Tonfall und starrte zurück. “Was ich hier mache?“ Firas blickte ungläubig drein. Sie hatten ihn wirklich vergessen!
    “Tja...äh...“, brachte er hervor, ehe er nach Atem rang und ebenso wie Katander auf den Wachhabenden sah und dann wieder zurück. “Also, ich bin angekommen und irgendwie wurde ich nicht aus Ostia abgeholt.“ Ein schmollender Vorwurf lag in seiner Stimme und er war versucht, die Arme zu verschränken, doch war sein Kaktus im Weg. “Und dieser Mann war so freundlich, mich hierher zu bringen!“ Firas lächelte dankbar und deutete auf den Prätorianer.

    Sim-Off:

    “Mein Name ist Firas und ich bin soeben aus Ostia eingetroffen, um...“ ;)



    Geschäftig beschaute sich sein Gegenüber den Brief mitsamt Siegel und Firas wurde schon ein wenig ruhiger. Aufregeung konnte er jetzt gewiss auch nicht mehr gebrauchen. Als der Wachmann nickte, seufzte Firas erleichtert und nickte zurück. Alles in Ordnung! Das war schon einmal besser, als allein zwischen den Trümmerteilen ihrer ehemaligen Existenz zu sitzen und die Unterschiede zwischen alexandrinischer und ostianischer Architektur mit einer Pflanze zu erörtern. Als der Andere sagte, dass trotzdem eine Durchsuchung folgen würde, hob der Sklave nur eine Augenbraue und ließ es über sich ergehen.
    "Außer meinem Kaktus habe ich wirklich kaum etwas dabei!", untermalte er die Bemühungen des Wachhabenden. Nachdem diese dem Ende zu gegangen waren, bückte er sich, um seinen Kaktus wieder in den Arm zu nehmen und diesen an sich zu pressen, während der dem Ankömmling, der an dem Tor die Stellung halten sollte ebenfalls freundlich zu nickte.
    "Ich glaube gerne, dass hier keiner was klaut!", stellte er anerkennend fest und sah sich ab und an zu dem Tor um, während er folgte. "Obwohl es wohl ein Taubenschlag sein muss...also, ich meine der Ort hier." Firas sinnierte kurz. "In Alexandria, da war das alles ein bisschen anders...ich meine auch wegen den Diebstählen. Da gab es Tage, da schaute man auf etwas und im nächsten Moment war es schon weg und die Wachen....", begann er einen einseitigen, wenig zielgerichteten Monolog, der den Diebstahl von Dingen in der nun fernen Provinz zum Inhalt hatte. Diese Bilder schworen mit Grausen die Erinnerung an das in Ostia zurückgelassene Gepäck hervor. Hoffentlich war der Transporteur ein ehrenhafter Mensch, der den Wert der Entlohnung über den Wert des Inhaltes der Kisten stellen würde.....Insgeheim hoffte Firas auch, dass der Herr Archias das genauso sehen würde. Immerhin war die Entlohung des Fuhrmanns doch recht großzügig angesetzt. (Domus Aeliana)

    Ja. Vorschriften kannte Firas auch. Er hielt inne und lächelte sein halbseitiges, angespanntes Lächeln, dem grinsenden Wachhabenden entgegen.
    "Gut," brachte er hervor und setzte den Kaktus sehr vorsichtig auf die Boden vor ihm. Dann suchte er erneut in den Taschen und Beuteln, die er am Leib trug. Es war unglaublich, was ich in der Zeit alles angesammelt hatte.
    Immer wieder schaute er den Wachmann entschuldigend an.
    "Ich komme nämlich aus Alexandria, wo ich mich noch ein wenig um alle Sachen gekümmert habe," überbrückte er die entstehende Redepause, während er geräuschvoll kramte. "Den Kaktus habe ich auch daher. Das ist eine Art....Erinnerungsstück und recht wertvoll." Sollte er auch erwähnen, dass dieses ihm liebe Gewächs sogar einen Namen trug? Besser nicht, am Ende würde man ihn noch für verschroben halten.


    Endlich hatte er das gesuchte, inzwischen etwas lädierte Schriftgut und förderte es mit einem triumphierenden Laut zu Tage, ehe er es dem Anderen entgegen hielt. "Das sind die Unterlagen über meine Reise, ein Brief oder was auch immer. Da steht alles drin." So hoffte er zumindest. "Eigentlich sollte man mich und das Gepäck aus Ostia abholen, aber man hat mich wohl vergessen." Oder das Schiff war zu pünktlich, für das mit Aktivität angereicherte Leben des Herrn Archias. Firas hingegen hatte zumindest für diesen Tag von Aktivitäten genug und sehnte sich nach einer Schlafstatt, wahlweise auch einem bequemen Stuhl. Vor allem aber nach Erfrischungen!

    Dass man ihn noch nicht abgewiesen hatte, verstand er als positives Omen, was ihm ein reflexartiges Grinsen entlockte. Dieses wich sofort, als die Rede auf die nötigen Beweise seiner Daseinsberechtigung kam. Er musste die nötigen Papiere irgendwo bei sich haben. Zumindest wusste er genau, dass sie nicht bei dem Gepäck in Ostia geblieben waren. Auf dem Schiff waren sie auch nicht.
    "Ja, na sicher habe ich ein Schreiben dabei!", sagte Firas und setzte dem Selbstbewusstsein in seiner Stimme mit einem fragenden "Äh..." ein Ende. Dann schaute er an sich herunter. Wo konnte es bloß sein?
    "Es ist da!", überbrückte er die Pause und ließ den Kaktus unschlüssig von einer Hand in die andere wechseln.
    "Ich such' sie raus." Er lächelte den Wachhabenden gehetzt an, ehe er zu dem Entschluss kam, dass es sich mit zwei Händen besser suchen ließ.
    "Wärst du so freundlich, den mal zu halten?", fragte er und streckte seinem Gegenüber die stachelige Pflanze entgegen.

    Er war endlich angekommen, nachdem man schändlich seine Ankunft in Ostia wohl vergessen hatte! Zum Glück hatte sich ein hilfsbereiter, wenn auch zum Leidwesen äußerst redseliger Händler finden lassen, der Firas und dessen kleinen Kaktus, den dieser nicht beim Rest des Gepäcks hatte lassen wollen, bis vor die Tore Roms mitgenommen hatte. Die halbe Weltreise auf dem wankenden Kahn und die holprige Fahrt waren schon schlimm gewesen, doch nun wurden nach seinem Magen, seiner Geduld und seinen Ohren nun auch noch seine Füße und sein Orientierungssinn in Mitleidenschaft gezogen.
    Götter! Sie schienen nur noch aus Blasen zu bestehen! Firas kam schmollend zu dem trotzigen Entschluss, dass es alles in allem doch nicht großartig anders war als in Alexandria. Von den Dingen, die eben anders waren einmal abgesehen.
    Schließlich war er in die Gegend gekommen, die er sich am ehesten als „Rom“ vorstellte.
    Üppig, prächtig und luftig. Palatin. Residenz. Groß!
    Allerdings fehlte ihm für Ehrfurcht inzwischen die Energie. Prüfend beschaute er sich noch einmal das Tor und atmete tief durch. Dann richtete er sich das windgeprüfte Haar und presste den seltenen Kakteenableger aus den Gärten Alexandrias fester an sich, bevor er tapfer ausschritt und sich anmeldete.


    “Salve!“, grüßte er freundlich, während er sich knapp verbeugte und hoffte dabei, dass er nicht inzwischen aussah wie ein verrückter Bettlerkönig, der lediglich um eines Obolus' Willen eine Audienz bei der höchsten Instanz dieses Tores wünschte.


    “Mein Name ist Firas und ich bin soeben aus Ostia eingetroffen, um...“...den Herrn Archias zu suchen?...zu sagen, dass ich jetzt hier irgendwo wohne?...um...um...um......also ich möchte zu dem Herrn Archias.“
    Firas rückte den Kaktus zurecht “Dem Herrn Caius Aelius Archias.“ Er grinste dümmlich, bis ihm noch etwas einfiel. “Der wohnt hier!“ Das alles krönte er mit einem entschlossenen Nicken und hoffte, dass man ihn nicht vor den Toren stehen ließ und die Reise ein für alle mal beendet war.

    Also...Firas, der will jetzt nicht nur nach Rom reisen, der will da auch wohnen. Da müsste er ja nen anderen Wohnort bekommen, nämlich ROM.


    Muss ich hier auch die Reise anmelden, oder hat's dafür ein anderes Amt?


    *sich mal hilflos im Flur umguckt und ne Nummer zieht*

    Es war dunkel draußen, und nur das intensive Schnarchen drang zu ihm vor. Es kam von Katander, wie immer, doch das war nicht der Grund, warum Firas in dieser Nacht nicht schlafen konnte. Aber nicht nur in dieser Nacht war das der Fall. Seit Ophelia nicht mehr da war, liefen die Dinge einfach anders, um nicht zu sagen an manchen Stellen gar nicht mehr.
    Vorsichtig erhob er sich, um nicht aus versehen jemanden aus dem Schlaf zu wecken, doch eigentlich brauchte er das nicht zu fürchten, denn wenn die Belegschaft der Wohnung schon einmal in den Fängen ihrer Träume lag, dann wäre es selbst für feindliche Legionen schwer gewesen, sie durch gemeinschaftliche Fanarenstöße aus dem Bett zu treiben. Bei ihm selber lag der Fall normalerweise nicht anders, doch in den letzten Tagen hatte fürchterlich gelitten. Unter andem auch an Schlaflosigkeit.
    Zwar würde er sich das niemals eingestehen, doch wenn er es schon mit sich selbst nicht tat, dann wäre es vielleicht keine schlechte Idee, die eigene innere missliche Stimmungslage jemandem anzuvertrauen, der sich unbedingt mit solchen Fällen auskannte.


    Firas glaubte nicht an Götter und auch in jenem Moment schaute er skeptisch in den schwarzen Nachthimmel, nachdem er auf den Balkon getreten war. Gab es all die Götter wirklich? An manchen Tagen hatte er nicht daran glauben können und auch jetzt war es fast wieder so weit. Nicolaos, der alte Grieche, der so treu die Weinvorräte seines alten Herrn Gaius verwaltet hatte, hatte sicher recht wenn er sagte, dass alle Götter ihre tiefe Freude daran hatten, alles zu erschaffen, nur um es dann sich selbst zu überlassen. Es gab sogar jemanden, der behauptet hatte, die Götter wären in winzig kleinen luftleeren Räumen eingesperrt, die irgendwo unsichtbar in dieser Welt schwebten und das es fürchterlich egal wäre, was die Menschen in ihr trieben. Damals hatte er das nicht verstanden und auch jetzt ließ ihn der Gedanke das Gesicht verziehen. Er dachte lieber an Ophelia und an das letzte Mal, an dem sie sich gesehen hatten.
    Die Welt war nicht gerecht. Ob mit oder ohne Götter, es war einfach nicht fair! Im jüdischen Viertel, in dem sie gewohnt hatten, glaubten die Menschen nur an einen Gott. Das machte es vielleicht ein wenig unkomplizierter, doch auch nur auf den ersten Blick.


    Firas seufzte den Mond an und schaute dann über seine Schulter zurück. Gut, dass er es versäumt hatte aufzuräumen. Genauso wie Katander. Als der Herr Archias vorhin zurück gekommen war, hatte er auch nicht mehr auf den Balkon geschaut. Ein Grund dankbar zu sein, denn so stand die Karaffe mit dem Wein noch an Ort und Stelle. Eigentlich war es nicht sein Art, doch er war so einsam, dass es eh nicht mehr darauf ankam, was er noch tat und unterließ. Sein Gemüt war dumpf und die Nacht war dunkel. Er war allein und das war ein perfekter Moment, um sich in den Sessel sinken lassen zu können. Besser nicht!


    Unentschlossen trat er an die Brüstung des Balkons und nahm den Blick nicht von den Sternen im Himmel, wobei er die Karaffe in der Hand wog. Er zuckte mit den Schultern, ehe er ansetzte und sich einen tiefen Schluck gönnte. Außer ihm und dem schwarzen Nichts war ja eh niemand da. Er fragte sich, wo Ophelia wohl war und ob es ihr gut ging, ehe er noch einmal trank und dann noch einmal. Vielleicht hatten alle recht mit den Göttern und deshalb Glück, weil sie wirklich an sie glaubten und nicht wie er alles darauf ankommen ließen. Selbst Gaius hatte in seinem Leben der Götter gedacht, vor allem wenn er bei Wagenrennen gewettet hatte, oder nachdem er einen reichen Kunden übervorteilt hatte, der ihm Flüche und Rachegelüste so laut über die Mauer brüllte, dass selbst ihren Nachbarn noch Angst und Bange wurden, obwohl diese selber gar keine Pferde verkauften und mit Gaius weder verwandt noch verschwägert waren.


    Vielleicht sollte er es auch einmal versuchen. “Venus?“, flüsterte er in den Himmel. Zwar kannte er sich im römischen Pantheon aus, und auch in dem ägyptischen, so ziemlich in allen Dingen, was recht leicht war, wenn man wie er aufwachsen musste, doch so wirklich wusste er nicht, an wen er sich wenden konnte. Im Grunde war er ja auch ein Niemand und es würde ihn schwer wundern, wenn auch nur ein einziger dieser Götter ihn kennen würde.
    Firas räüsperte sich und leerte den Rest des Weines, indem er ihn einfach hinunter stürzte. Er war schwer und süß und der Weg den er nahm ließ sich recht gut in seinem Inneren nachverfolgen. Hitze stieg in seinen Kopf und seine Wangen glühten.


    Mit dem Handrücken wischte er sich den Mund und ab und setzte die Karaffe auf die Brüstung. Noch einmal musste er sich Räuspern, denn ein wenig unpassend erschien es ihm doch, dass er sich ausgerechnet wegen einer Frau an einen der Götter wandte, oder eben an Venus, so wie er es vor hatte. Es erschien ihm am Sinnvollsten. Wie man sich an einen Gott wandte wusste er nicht so recht. Es gab viele Arten, genauso viele wie es Götter gab. Er schwankte ein wenig, körperlich, wie auch in seiner Überzeugung das Richtige zu tun. Aber was sollte es schon. Versuch blieb Versuch und es bekam ja auch keiner mit. Ein schneller Schulterblick überzeugte ihn davon. Tief sog er Luft ein, ehe er leise begann.



    Du Göttin Venus lausch', lausch' Firas' zartem Liede!
    Denn ob der schrägen Stimm'; ich sonst das Singen miede.
    Wie sonderbar -er weiß - denn oft mag's nicht erklingen.
    Mit schiefem Klang bewusst, ein Ohr ich will erzwingen.


    Die bittren traurig Lieder, ertönen in den Nächten!
    Oh Göttin Venus feine; lausche geneigt dem Krächzen.
    Der Sehnsucht Rausch verzaget, mir grausig das Gemüte,
    Und denke nur nicht du; es läg' am Mischgeblüte!


    Sicher würde es die Göttin verärgern, wenn er lange um den eigentlichen Gegenstand der Anrufung herum reden würde. Aber er war ja auch nur ein Sklave, der eh von nichts etwas wusste. Einerseits ein Grund des Ärgernisses für ihn, auf der anderen Seite aber auch eine gute Ausrede für alles!


    Ihr süßen Träume mein; gar schändlich mir entführet,
    aus meiner Sichtung fort, und dennoch an mir rühret
    noch immer ihre Stimm'; vernommen mit Entzücken,
    Du Göttin, weiß und rein, was bleibet sind nur Lücken!


    Sie würde schon wissen wer gemeint war. Firas rollte mit den Augen und etwas in seinem Magen sagte ihm, dass der ungewohnte Wein nun zur Gänze seine Wirkung entfaltete. Es war erleichternd und brachte seinen Geist auf eine ganz neue Bahn!


    Wie der der Sabiner' Raub, ein Zug in Bergeshügel!
    Bleibe ich hier nun allein; und selber alles bügel.
    Trau niemals Mann, der Frau, gewonnen wie zeronnen,
    auch Sabinens Berge leer, guckt' trüb nur drauf die Sonnen!


    Irgendwer musste ja immer verlieren. Das war schon immer so! Er wurde mutiger.


    Wär Alexander ich, dann würde ich mich rächen,
    doch ach, ich bin es nicht; ich habe ja nur Schwächen!
    Ein Hannibal mit Tross? Gehört' ich zu den Helden!
    Trüg' Helm und Schilde gar; ich hätte was zu melden.


    Firas schmatzte vernehmlich und hielt einen Moment inne. Seiner Meinung nach klang er schon etwas lallig. Einige Schlieren traten vor seine Augen. Das wusste Venus sicherlich auch und Götter sollte man nicht mit alten Geschichten langweilen, oder irgendwelchen Fantastereien. Wider schnappte er nach Luft.


    Oh liebe Venus fein, warum ich's an dich richte?
    Das Schwärmen ist es gar, wieso ich hier nun dichte!
    Erbarm' dich mir Holde, auch ohne Tatensinn,
    den all' die großen Helden, sind heute auch schon hin.


    Im Siege sie verloren, und nach der großen Schlacht,
    alle fiel'n von oben, tief in die dunkle Nacht.
    Auch in Nacht und Nebel, hier steh' an Brüstungs Rund,
    ich singe und ich sehn', mir hier die Seele wund!


    Oh, die hohen Imperoren, sie alle wähnten gar,
    dass vor des Ruhmes Pforte, auch mal die Liebe war.
    „Fama crescit eundo“, sagt „devide et impera“
    Am End' ist alles gleich', mit menschlich' natura.


    Mag' teilen alle Macht, auch dieses, jenes, das...
    was einmal du verloren, macht dich mit Tränen nass.
    Drum' traue keiner Seel', du nur dir selber gern,
    Ob hoch, ob tief, verlass' dich nicht, halt alle Liebe fern!


    Liebe war eine schlimme Sache, das konnte er wohl im Brustton der Überzeugung sagen, besonders vor diesem Spiegel, den sein weinseliger Geist ihm nun in den buntesten Farben bemalte. Liebe! Schändlich! Man fühlte sich schlapp und krank, wenn sie sie nicht mehr akut ausgelebt werden konnte. Aber was hieß in seinem Fall schon akut? Nikolaos nannte das mal „platonisch“, aber schmerzen tat es trotzdem. Firas fühlte schon das schwelende Staccato, das ihm entweichen wollte und es ganz gegen seinen Willen auch tat.


    O tempora, o mores! In medias tief res!
    Und auch in vino veritas! Viel klarer dann ich seh's!
    In statu nascendi und auch im status quo
    Fleh' ich dich an, du Göttin mein, völlig in extenso!


    Vielleicht zu viel und er sollte es etwas revidieren! Er klammerte sich an die Brüstung. Weiter weg kreischte eine Katze und irgendwo raschelte es.


    Bin Firas nur, der Arme, der schrecklich was vermisst,
    misset Frau und Freude, und dafür zu viel isst.
    Göttin du der Liebe, bringt schnell die Frau mir wieder,
    versprech' dir auch, ganz heilig gar, leg' dir ein Opfer nieder!



    Das meinte er Ernst. Opfer gegen Frau! Firas lachte keuchend und kam sich vor wie ein...zumindest wie ein Mann, der sich unter normalen Umständen nun eine Blöße gegeben hätte. Aber was sollte es schon. Es hat ja niemand gehört. Vorsichtig spähte er über das Geländer. Nein, es war ruhig. Vom Gebell einiger Hunde abgesehen und natürlich fernem Poltern, das er nicht wirklich deuten konnte. Prüfend hob er noch einmal den Blick in den Himmel. Alle Sterne waren noch da. Sie kreisten nur ein bisschen. Bestimmt hatte die Adressatin auch nichts mitbekommen. Firas war sich fast sicher und seufzte schwer, während er gen Tür schlingerte. Nun würde er sicher schlafen können!

    Von seiner Position aus war es zwar nicht ein Leichtes zu verstehen, auf dem Podium gesprochen wurde, denn es war in der Umgebung recht laut, doch hatte der Sklave Ohren, die noch gut genug waren. Wieder so ein bitterer Gedanke. Wehmütig dachte er an Ophelia und an Herrn Archias Toga. Zwar war es nicht unbedingt romantisch gewesen, dass sie die Küche verwüstet und den kostbaren Stoff untrennbar mit seiner eigenen Tunika verschmolzen hatten, doch es war immerhin eine Erinnerung, die es wert war … gedacht zu werden. “Hach!“ Firas seufzte schmerzlich und lauschte dann. Eine Germanin also. Ailean. Nähen! Da hatte er es wieder. Ophelias zarte Hände und das widerspenstige Suppenhuhn. Er strich sich eine Strähne aus dem Haar. Bockig wie ein Esel und zugleich doch gehorsam. Es wollte nicht passen, diese Worte in ein und dem selben Satz zu vernehmen und dabei noch eine logische Verbindung herzustellen.


    “Ophelia, dein glänzend Haar. So rein und voller Wonne, spiegelt sich die Sonne...wie es im Frühjahr war....in deinem Haar...Ophelia.“ Es war ein Graus! Er hätte sich niemals verlieben sollen, die Schmerzen waren unerträglich und viel schlimmer als sonst irgendwas. Prüfend sah Firas zu Frau Seinana hinüber. Eine Germanin war keine Gallierin, doch wenn er sie nun genau betrachtete – Firas hob den Blick wieder auf das Podest – so hatte sie doch etwas reizendes. Er kratzte sich am Kinn, das er an diesem Morgen nicht rasiert hatte. Was hatte es schon für einen Sinn, sich zu rasieren? Er war in Trauer und Missmut versunken. Warum nicht der Welt zeigen, wie es im Inneren eines syrisch- parthischen Mannes aussah? Wie hatte Herr Archias Ophelia nur gehen lassen können`? Besitzansprüche hin oder her? Die Welt war eine Bühne und auf ihr spielten die Götter Dame. Dame!


    “Frau Seinana, Herrin?“, fragte er dann in einer Mischung aus Zischen und Flüstern in besagte Richtung, doch es wäre wohl besser, wenn er schwiege. Er linste kurz zu Ailean hinauf. So wie sie aussah, war es wohl besser, wenn sie wieder gingen. Oder doch nicht? Hatte er etwas gesagt? Er wusste es nicht und versank wieder in seinem dumpfen Trübsinn, aus dem ihm selbst die Sonne an diesem herrlichen Tag nicht empor heben konnte. Lausige Wochen und nichts machte Sinn....es war schrecklich!

    Mit jedem Schritt wurde Firas ein wenig ruhiger. Rein innerlich, versteht sich. Aus der Euphorie wurde eine tiefe Zufriedenheit und aus dem frenetischen Glücksgefühl ein breites Schmunzeln. Dass Katander derartig schlechter Stimmung war, war vielleicht ein wenig verdrießlich, doch schien sich das nur auf den Betroffenen selbst zu beschränken, wie Firas
    das Gemaule zu seiner Linken deutete. Es hätte auch ein entscheidender Teil gefehlt, wenn es anders gewesen wäre. Der Sklave seufzte tief und war erstaunt, wie selbst das erfrischend in seinen eigenen Ohren klang. Hier draußen wollte sogar die Luft anders riechen. Nicht so stickig wie in der Stadt, vielleicht ein wenig behauchter, doch das konnte auch einfach nur von dem Ungewohnten kommen, auf dessen Pfaden sie sich nun befanden. Auch wenn Katander zweifelte, wie er Elena mitteilte, stand für Firas fest, dass er nur zurück bleiben wollte, um die Zweisamkeit auszukosten. Schon fand er es auch schon bei den folgenden Worten bestätigt. Kurz spähte er zu dem Sklaven der jungen Dame Axilla hinüber und fragte sich, ob dies wohl ein angenehmerer Reisegenosse wäre, doch dessen Blicke zurück zu Stadt bezeugten das Gegenteil.
    “Ich denke,“ brachte er dann an Elena gewandt hervor, “wir sollten uns bei jeder Rast portraitieren lassen, denn sonst glaubt Katander am Ende keiner, dass er es mit ein und derselben Miene bis zum Ende durchgehalten hat.“
    Es war schon gut, dass sie mitreisen durften. Das musste man einfach positiv bewerten, ob Katander nun wollte oder nicht!


    Was jedoch Firas einfach nicht verstehen konnte war, dass es Menschen gab, die Pferde nicht leiden konnten. Bei ihm war das nur der Fall, wenn er meilenweit nebenher laufen musste. Endlich einmal wieder auf einem Pferd zu sitzen war der Inbegriff der Freiheit. Ja, die Freiheit war oben und alles andere war unten und musste mit Mistgabeln davon getragen werden. Aber wahrscheinlich konnte Katander das nicht verstehen.
    Firas reckte sich und ließ zu diesem Zweck die Zügel fallen, um die Arme auszubreiten und vor sich in die Landschaft zu gestikulieren. “Ich weiß nicht was du hast Katander. Nur auf einem Pferd kann man sich so richtig wohl fühlen!“ Wie zum Beweis tat sein Reittier einen Hüpfer nach vorn, was ihn jedoch keineswegs veranlasste, die Zügel wieder aufzunehmen. Er konnte reiten, sehr gut sogar, denn das musste man, wenn man bei Gaius, seinem alten Herrn und Pferdehändler, von Kindesbeinen an zu Testzwecken Charakterschwächen des lieben Viehs ertesten durfte. Meistens auf einem abgesteckten Viereck, auf dem die Bocksprünge sehr kurz, dafür aber umso höher sein konnten. Firas lachte. “Man fühlt sich wie ein Feldherr!“
    “Sag mal, Firas, du hattest die Kohlebecken doch leer gemacht, ehe wir los sind, oder?“ Ein wenig ernüchternd war es schon, vom heroischen Pathos der eigenen flüchtigen Gedankenwelt zu den Realien des Lebens zurück zu kehren.
    “Öhm…“, brachte Firas hervor und verschob seine Unterlippe unter einem Grübeln.
    “Ich dachte, du machst das!?“ Es war nicht gut, durch Scherze noch Öl ins Feuer des Missmuts zu gießen, doch das scherte den Sklaven in diesem Moment nicht. Wie zur Beschwichtigung deutete er dann zurück. “Noch sehe ich keinen Rauch über der Stadt!“ Ein Kichern folgte, ehe er resignierend mit den Schultern zuckte. “Keine Sorge, habe ich gemacht!“ Nicht dass Katander noch auf den Gedanken kam, zurück zu reiten, um ein Kohlebecken zu überprüfen. Firas lächelte dann Elena und Katander entgegen, ehe er zu den Herrschaften hinüber linste, die sich wahrscheinlich nicht über derartiges den Kopf zerbrachen. “Wann gibt es was zum Essen, was meint ihr?“, fragte er dann. Reisen machte hungrig und das Thema lenkte wunderbar von allem anderen ab. Hoffentlich hatten sie überhaupt Proviant dabei.

    Firas ging voll und ganz in seiner Freude auf, weshalb er wahrscheinlich das Gemurmel von Katander überhörte. Alle waren so weit. Sie waren alle zusammen und bereit. Bereiter würde er nicht mehr werden. Zumindest kam es ihm in diesem Moment so vor. Sein Pferd tänzelte leicht unter ihm, was vielleicht nicht an dessen Aufbruchstimmung lag, sondern ehe an Firas' Fersen, die in Erwartung bereits gegen den Leib des Tieres klopften, ohne dass er dessen Zügel los ließ. “Kein Grund zur Sorge dann also! Ich führe dann alle zu frischem Wasser!“, raunte Firas in Katanders Richtung, ehe er wieder in die Runde grinste. Niemand würde es schaffen seine exorbitant gute Laune zu zerstören. Auch Herr Archias war froh und er wollte etwas inspizieren. Zumindest hatte er das versucht so auszudrücken. Firas' Grinsen wurde leicht dümmlich und er lächelte der angekommenen Frau entgegen und entblößte strahlend weiße Zähne. Erst nach den weiteren Worten folgte sein Blick dem seines Herrn. Ja, Röhren waren durchaus angebracht. Der Sklave wurde rot und schaute schnell wieder weg, um seinem Pferd in der Mähne herum zu nesteln.


    Erst als Elena neben ihnen erschien, schaute er wieder auf. Über den „Miesepetrius“ musste er grinsen. Wie recht sie hatte. Katander war ein Bedenkenträger erster Güte. Seine eigenen sorgenvollen Befürchtungen waren inzwischen dem Fieber gewichen, endlich einmal etwas anderes als die Straßen und Winkel Alexandrias zu sehen. Es würde wahrhaftig toll werden. “Er macht so ein Gesicht, weil er sein anderes zu Hause vergessen hat,“ scherzte Firas drauflos und bemühte sich daraufhin seinem Reittier einige schnellere Schritte zu entlocken, was er versuchte, indem er einige auffordernd pfeifende Laute zwischen seinen Zähnen hervor presste. Manchmal half es. Noch immer über das ganze Gesicht lächelnd schaute er dann Elena und bemühte sich, Katander nur kurz mit seinem Augenmerk zu streifen. Was sollte ihnen denn schon geschehen? Sie konnten sich nur verlaufen oder überfallen werden. Ihnen konnten die Pferde weglaufen oder sie könnten die Geldbörse verlieren, kein Wasser finden, keine Herberge und in einen Sandsturm geraten. Vielleicht geschah auch etwas ganz anderes, an das jetzt noch keiner denken konnte. Das Böse stecke im Detail. Das hatten auch schon so viele Feldherren lernen müssen. Doch Firas belastete das alles im Moment gar nicht. Sie hatten sich, die Vorfreude, samt dem Instinkt der Tiere und den Stand der Sonne. Außer nachts natürlich! Außerdem waren die Vorräte noch frisch. Alles würde gut werden!

    Endlich! Firas hatte über das ganze Gesicht gestrahlt. Ein Strahlen, das man schon mit einem Meißel hätte demontieren müssen. Stolz thronte er auf seinem Pferd und zum ersten Mal seit Wochen, nein, Monaten fühlte er sich in seinem Element. Oder wohl doch besser: Darauf! Es sollte zu den Pyramiden gehen, doch dem Sklaven war es im Grunde genommen völlig egal wohin, hauptsache sie hatten Pferde und hauptsache er würde endlich einmal etwas sehen, was nichts mit den Straßen Alexandrias zu tun hatte. Beruhigend tätschelte er dem Pferd den Hals und er genoss jede Bewegung, die der Fuchs unter ihm tat. Geradezu unablässig hatte er ihn umsorgt und ihm sogar noch Minuten vor der Abreise das letzte Heubüschel ins Maul geschoben. Ja, so fühlte sich wohl ein Feldherr und während er hinter dem Tross drein marschiert war, das eigene Reittier und ein Packpferd hinter sich her ziehend, musste er an Gaius denken. Wenn sein ehemaliger Herr wüsste! Firas war stehen geblieben als aufgesessen wurde und er hatte verfolgt, wie der Herr Archias sich in den Sattel schwang. Frau Seiana war noch neben ihrem Pferd. Firas näherte sich ein wenig, doch anscheinend brauchte sie keine Hilfe, oder doch?
    Generös, jedoch voller Ungeduld bot er ihr eine Hand an, die der Dame beim Schwung holen helfen sollte. Es war erstaunlich, wie leicht sie war. Oder es war einfach nur der Schwung, der in seinen eigenen Knochen steckte. Mit einem Satz war Frau Seiana auf dem Pferderücken und Firas grinste.
    Während sein Herr noch über Nomaden sinnierte – mehr bekam der Sklave nicht mit – machte er sich schon selber behende daran den Sattel zu erklimmen und er ignorierte das Tänzeln des Fuchses, der ein sonderbares Temperament zu haben schien. Doch alles war ihm recht!


    Allerdings ging es nicht sofort los. Eine junge Dame, Frau Axilla, erreichte die Gruppe und Firas begrüßte sie höflich mit einem Kopfnicken. Das selige Lächeln lag noch immer in seine Gesichtszüge gegraben und nichts würde das so schnell ändern. Auch den anderen Sklaven begrüßte er mit einem freundlichen Nicken, ehe er erwartungsfroh an den Zügeln herum zupfte, was ein wenig erschwert wurde, weil das Packpferd versuchte, die verborgenen Leckereien, die sich in seiner Tunika befanden auszugraben. So beschäftigt entging ihm das Gespräch über Nomaden und Kamele und horchte erst wieder auf, nachdem er das lästige Packtier mit einem leichten, wehrhaften Klapps auf dessen Maul davon abgebracht hatte, ihn vom Pferd zu schieben.
    Osten oder Westen, es war ihm völlig gleich, doch dass ihr Glück nun in einer seltsam anmutenden Sprache verborgen lag, entging ihm nicht. Unverwandt starrte Firas zuerst auf Katander und dann auf Frau Seiana, ehe der Blick weiterschweifte und jeden einzelnen kurz traf. Herr Archias jedoch meinte zu wissen, wo sie waren und wohin sie wohl mussten. Firas wollte ihm gerne Glauben schenken. Immerhin hatten Katander und er in der vergangenen Zeit nichts anderes getan, als über Reiserouten zu philosophieren. Das musste doch Auswirkungen auf die Praxis haben.


    Doch es war schon ein Hauch Verunsicherung, der da plötzlich in seinem Inneren lag. Immerhin hatte Herr Archias so manchmal seine Schwierigkeiten und Firas meinte sich zu erinnern, dass es sogar einmal so weit gekommen war, dass der Herr den Weg zum Abort im Hof nicht gefunden hatte. Doch es war in einer stockfinsteren Nacht gewesen, was natürlich auch bedeutete, dass es völlig dunkel gewesen war. Firas runzelte die Stirn und machte sich keine Gedanken darüber, dass seine Miene grotesk wirken musste, angesichts der noch immer zu einem Lächeln verformten Lippen. Dann schüttelte er ob seiner eigenen Gedanken den Kopf, während er sein Pferd antrieb und auf gleiche Höhe mit Katander kam, der etwas vor sich her murmelte, was alles mit „a“ anfing. “Am besten orientieren wir uns am Stand der Sonne!“, ließ er dann schlau verlauten, ohne sicher zu sein, ob seine Meinung überhaupt gefragt war. Immerhin fühlte er sich hauptsächlich für die Pferde verantwortlich und nicht für den Weg, den diese hinter sich bringen sollten. “Und wenn alle Stricke reißen, dann lassen wir einfach die Pferde laufen und kommen so auf jeden Fall zu einem Ort mit Wasser!“ Pyramide hin oder her. Es würde wunderbar und abwechslungsreich werden. “Ich freu' mich!“, stellte er noch sinnlos fest und grinste bereits wieder der Ferne entgegen.

    Firas ging neben Frau Seiana her und lauschte auf ihre Ausführungen. Sicher war es besser, wenn sie jemanden fragten, der sich mit den Pflanzenreich hier auskannte und darüber hinaus auch noch sagen konnte, wie sie legal an einen Ableger kamen. Zwar wäre es ihm das allerliebste, wenn sie tatsächlich auf der Straße lagen, doch an ein derartiges Glück wollte er schon nicht mehr glauben. Schon hatte er sich umgeschaut, nach jemanden der Rat aussah, doch es war niemand da. Nur Touristen und andere Leute, die die Blüten ebenso bestaunten wie sie selber es taten. “Eine in der Art fände ich schon, für den Balkon. Was meint ihr?“ Firas hob den Kopf. “Was?“ Sein Blick ruhte sofort auf der orange-weißen Blüte. “Oh, die ist wunderschön,“ sagte er und trat einen Schritt näher, um sie eingehender zu beäugen. In Wirklichkeit hatte er überhaupt keine Ahnung von Blumen und dergleichen und wieder war der leise Wunsch in ihm da, dass sie besser auf den Pferdemarkt gegangen wären. Da hätte er mitreden können, doch diese Blüte hatte durchaus ihren Reiz. “Duftet auch gut,“ stellte er fest und schnupperte ein wenig in der Luft herum. “Vielleicht findet sich ja jemand, der uns sagen kann, ob wir so etwas mitnehmen können. Und ob sie sich auch hält, wenn man sie in eine Kiste steckt und verschickt?“
    Fragend hatte er seine Stirn gerunzelt und Frau Seiana angesehen.


    “Darf man diese Blumen hier pflücken?“, ertönte eine weibliche Stimme neben ihm und Firas war sofort wieder im Hier und Jetzt. Instinktiv schüttelte er den Kopf, als er zu Lanassa sah, doch seine Augen weiteten sich sogleich, als er den Strauß erblickte, der sich in ihren Händen befand. Ohne sein bewusstes Zutun nahm er die Blumen, die sie ihm reichte und blickte sie entgeistert an. Sie wirkte verlegen und das ganze an sich wirkte schon irreal. Ein schräges Lächeln trat in sein Gesicht und hilfesuchend sah er dann zu Frau Seiana hinüber. Hatten sie nicht erst fragen wollen? Lanassa hingegen wollte noch weitere Blumen pflücken und ihr Lächeln sah über die Maßen glücklich aus. “Ähm,“ brachte Firas hervor, der weniger glücklich den Strauß hielt und sich hastig umsah, “Das ist lieb von dir!“. Bildete er sich das ein oder schauten die Leute schon? “Die sind wundervoll und ich glaube, die reichen schon aus,“ sagte er schnell. Im Geiste sah er schon ein finsteres Verließ und einen übel dreinblickenden Mann der mürrisch Wasser und Brot verteilte. Mit einem Mal trat Schweiß auf seine Stirn und er wedelte ein wenig mit den Blumen in seiner Hand. “Äh ja, wir sollten weiter….gehen und mal sehen, ob es oben…also ganz oben, äh….“ Wieder suchten seine Augen die Gegend ab. Es war wirklich zu hoffen, dass das alles unbeobachtet geblieben war. Ein Impuls verlangte, dass er das Gebinde einfach Frau Seiana in die Hand drückte und weiter den Weg hinauf hastete, doch er konnte ihn im letzten Moment unterdrücken und schnappte nach Luft.

    Firas achtete nicht auf die vielen Stände auf dem Markt, denn es war ihm egal was um ihn herum geschah. Die Welt hatte die Farbe von grauem Spülwasser angenommen, welches ihn tagtäglich umgab. Alles wirkte ebenso trüb, bis auf die Wohnung von dem Herrn Archias. Die blitzte und blinkte, seit Ophelia nicht mehr da war. Ihr ehemaliger Besitzer hatte sie zurück gefordert und dann war sie verschwunden, für immer. Am ersten Tag hatte er sich noch eingeredet, dass es ihn gar nicht belasten würde. Am zweiten Tag, meinte er eine leichte Flauheit zu verspüren, wenn er an ihr Lächeln dachte, oder überhaupt an ihr Gesicht. Am dritten Tag wurde es zunehmend schlimmer. Das zog sich nun schon eine geraume Weile und war zugegebener Maßen wohl nicht nur für ihn eine Last. Dabei hatte er sich sich nicht einmal bewusst zurück gezogen. Nein, er erledigte seine Aufgaben durchaus. Er kochte und putzte, und wenn er nicht putzte oder kochte, räumte er auf. Erst als es keine Stelle mehr zum putzen, keine Unordnung mehr zum Aufräumen gab und sämtliche Bäuche im Übermaß gefüllt waren, fiel ihm wirklich auf, dass er Ophelia vermisste! Und wie!


    Bedrückt schaute er auf den Boden, während er Frau Seiana folgte, dabei wollte sie ihn unbedingt auf andere Gedanken bringen. Seines Erachtens hatte er das gar nicht nötig. Er war glücklich in dem unendlichen Kreis, in dem sich seine Gedanken bewegten. Zugegeben, dieser war im Laufe der Zeit recht klein geworden, bis eigentlich nur noch ein Name hinein passte: „Ophelia“. Es war frustrierend, Elena und Katander zu sehen und zu allem weiteren Übel auch noch das Zimmer mit Letzterem zu teilen, den es in derlei Angelegenheiten viel besser ging als ihm. Überhaupt ging es allen viel besser, was ihn nölig und maulig machte. Manchmal war es schwer sich diesbezüglich zu beherrschen, doch hatte sich Firas rechtzeitig an Nikoláos erinnert, der einmal gemeint hatte: „Wenn du etwas nicht sagen willst, dann vertrau es einer Schriftrolle an!“ Immerhin war Nikoláos nicht der weiseste Mensch gewesen, doch immerhin ein Grieche, der wissen musste, wovon er sprach. Firas war sich auch sicher, dass er keine Herzensangelegenheiten gemeint hatte, sondern eher recht sachliche Summen oder Abmahnungen, die man den betreffenden Leuten ins Haus geschickt hatte. Das war zwar unpersönlich aber für die eigene Person ungemein sicher.


    Firas seufzte auf dem Weg und wagte es kaum, Fraus Seianas Blicken zu begegnen. Doch das war gar nicht nötig. Sie wollten auf den Fremdenmarkt und nun war sie vor dem Stand eines Sklavenhändlers stehen geblieben. Er durfte gar nicht daran denken, dass vor einiger Zeit, auf eben einem solchen Podest noch Ophelia gestanden hatte! Etwas mürrisch blickte er zur Seite und schaute bewusst nicht dorthin. “Chaire“, sagte Frau Seiana und er blieb ein wenig im Hintergrund. Der Boden war staubig und die Steine waren schon ausgetreten. Jemand konnte hier mal fegen und es war viel zu warm. Schweißtreibend warm. Mal wieder. Freudlos seufzte er. Mit Frau Seiana war es seltsam! Nachdem er den Rat befolgt hatte, den er sich von Nikoláos adaptiert und zweckentfremdet hatte, war sie die einzige Person, die wohl verstehen musste, was in ihm vor ging. Nicht wegen der weiblichen Intuition, sondern wegen seinen eigenen Worten, die er in unendlicher Mühe, die Zunge in den Mundwinkel geklemmt, auf eine Schriftrolle nieder geschrieben hatte. Oh Freude, wo bist du hin?...Betrübt ist mein Sinn,...kann es nicht lassen,...das Leben zu hassen und soviel ich denk, das Hirn mir verrenk,...fühl ich die Qualen,...schreib meine Annalen und seufze die Ode,...das ist meine Mode, seit sie von mir ging.... Und so weiter...


    Er war kein Philosoph und er war kein Schreiber. Es nagte schon ein wenig, dass ihr die Worte gefielen, die rudimentär von seinem Innersten kündeten und dass sie dank seiner Unachtsamkeit schon bei einem einzigen Blick über seine Schulter zu entdecken waren. Sein Innerstes! Vor ihm in seiner Hand und um nächsten Augenblick schon in der ihren! Sie konnte seine Schrift sogar lesen und sie fand sie ... gut! Und nun suchte sie einen Ersatz für Ophelia! Eigentlich hatte er sich durch sein Schreiben von einer Last befreien wollen und jetzt kam auch noch das Gefühl dazu, dass er zwar dank der Schriftrolle zwar nichts hatte sagen müssen, er aber das Gefühl nicht los wurde, dass es das absolut nicht besser machte! Nikoláos war ein ... Firas schnaufte. Nun, er hatte es sich selber zu verdanken und schaute dann doch mürrisch zu dem Podest empor und auf die junge Frau, über die Frau Seiana nun einiges wissen wollte. Kein Ersatz! Absolut nicht. Er verschränkte die Arme vor der Brust und versank wieder in Gedanken.

    “Ach ja, Tiberius war's,“ sagte er dann schnell und nickte, um die so die Lücke in seinem Wissen zu füllen. Ja, Götter konnte man sich recht einfach merken, nur mit den Namen von Menschen sah es da schon ganz anders aus. Doch das Nicken wurde ebenso schnell von dem Kompliment unterbunden, welches er nun für seine Erzählungen von Frau Seiana bekam. Pure Überraschung spiegelte sich dann auf seinem Gesicht und diese wechselte sich mit Verlegenheit ab. Was sie allerdings mit „feilen“ meinte, in Kombination mit „am Schluss“, würde er bei Gelegenheit noch einmal erfragen müssen. Doch nicht jetzt.


    Lanassa sagte, wie sehr ihr Blumen gefielen, während sie alle drei noch mit der bloßen Erkundung des Hügels mit den Augen beschäftigt waren. Auch Frau Seinana wirkte angetan und bedauerte, dass ihr Patron diesen Garten nicht sehen konnte.“Vielleicht kommt man auf dem Weg da rauf irgendwo an einen Ableger. Den könnte man dann nach Rom schicken.“ Was das Schicken anbelangte saßen sie ja immerhin an der Quelle, nur er war sich nicht sicher, ob die wachsamen Augen der Blumenpfleger es gerne sahen, wenn man sich an ihrer Pracht zu schaffen machte. Bestimmt aber gab es einen legalen Weg. Wenn nicht, dann wäre es wirklich schade. Während Firas noch über Ableger und deren Erwerb sinnierte, lag sein Augenmerk eher auf dem Gesicht der Sklavin. Sie war so gar nicht wie Ophelia, was bedeutete, dass sie wirklich anders war. Allerdings bedeutete dies nicht, dass sie schlechter war, oder besser, größer oder kleiner, brünetter oder hellhaariger. Sie war einfach nur...interessant.


    “Ich würde sagen, wir machen uns gleich an den Aufstieg, dann bleibt noch genügend Zeit, sich auf der anderen Seite die Tiere anzusehen.“ Tiere interessierten ihn mehr als Pflanzen, doch dass es nun Pferde waren, die sie auf der anderen Seite erwarteten, das brauchte er gar nicht erst zu hoffen. Das Leben im Haus des Herrn Archias und das Wirken in dessen Küche war zwar dem Leben in den Ställen bei Weitem vorzuziehen, doch dann und wann vermisste er die Pferde doch. Beim Gehen schweiften seine Gedanken jedoch wieder zurück, als er bei dem gedanklichen Stochern in seiner Vergangenheit über eine Gelegenheit stoplerte, die er sogleich kund tat: “Es gäbe eine Möglichkeit an so eine Pflanze zu kommen. Ich habe einmal ein abgefallenes Stück von einem Kaktus gefunden. Das habe ich einen Becher mit Wasser gestellt und es hat Wurzeln bekommen.“ Er strahlte über das ganze Gesicht. “Nach zwei bis drei Wochen konnte ich es einpflanzen und siehe da...! Es ist gewuchert!“ In der Luft deutete er die imensen Ausmaße der Pflanze an und diese waren nicht einmal übertrieben. “Der ist riesig geworden und einmal im Jahr hat er geblüht. Das waren richtig große, rote Blütenkelche.“ Den originalen Namen des Kaktus kannte er nicht, nur den inoffiziellen, den er ihm gegeben hatte: Felix. Wenn man auch hier Glück hatte, so ließ sich wieder ein Stück Kaktus finden. “Wenn wir Glück haben, dann liegt hier auch was der Straße,“ fügte er noch an, ehe er weiter ging.

    Vielleicht hätte er sich erzähltechnisch doch besser auf ein anderes Terrain begeben sollen. Ein paar Mal linste er während des Weges zu Lanassa hinüber. Nein, er war gewiss kein Pan. Absolut nicht. Der Sklave hätte sich selber in den Hintern treten können, überhaupt diese Informationen über den beiden auszuschütten. Vielleicht waren es gar nicht die Informationen, die das Ganzen haben recht unbeholfen werden lassen, sondern eher die Worte die er gewählt hatte. Aber rein sachlich betrachtet hatte er doch recht! Firas beeilte sich ein wenig mehr. Bestimmt würde der Anblick des Berges seine Worte ein wenig vergessen machen. Ein Trugschluss, denn schon bewegte er Frau Seianas Frage in seinem Kopf hin und her und schob sie mal zu der einen, mal zu der anderen Seite. Wofür war Pan eigentlich noch bekannt? Schließlich konnte er sich zu einer Antwort durchringen. Er hatte an Nikolaós denken müssen, wie dieser auf dem Boden herumgerutscht war und seinen Ring suchte. Der alte dicke Grieche hatte immer etwas gesucht und allein der Wein war meistens dafür verantwortlich, dass er sich nicht zu schade dafür war es selber zu tun und dabei ausgesehen hatte wie eine Schildkröte mit einem verrutschten Panzer. Vielleicht konnte er es auch nicht mehr auf zwei Beinen tun und hatte Firas`Anwesenheit - den Göttern sei dafür ewig Dank - vergessen. Der Sklave grübelte noch einmal nach, doch die anderen Begebenheiten, die ihm neben der besagten noch einfielen gaben nur Auskunft über derbe Scherze, abgrundtief böse klingende Flüche und Verwünschungen gegenüber Dionysos.


    Endlich fiel ihm doch noch was ein! Firas drehte sich noch einmal strahlend herum und tat den letzten Rest seiner Weisheit kund. “Nun ja....man hatte Pan schon mal für tot erklärt.“ Jetzt erinnerte er sich wieder. “Tatsächlich! Jemand hatte mal gehört, dass irgendjemand....“ Er suchte nach dem Namen, kam aber nicht drauf und winkte dann ab, “...mal eine Stimme gehört hat, die gesagt, er solle sagen, dass Pan tot sei und dass dann ganz laut über das Meer rufen, oder so.“ Wie ein Lehrmeister warf sich Firas kurz in Pose. “Ja, und dann hat er gerufen, und stellt euch vor!“ Ein wenig senkte er die Stimme und ließ sie düster klingen, um seiner Erzählung ein wenig Spannung einzuhauchen. “Da hörte er von den Ufern des Meeres ein lautes Wehklagen, ganz als ob alle Wesen und Geister plötzlich in tiefe Trauer verfallen waren!“ Seine letzten Worte waren kaum mehr als ein Flüstern. “Aber es wäre unlogisch,“ stellte er dann fest und machte so die just geschaffene Atmosphäre auch schon wieder kaputt, nur um sich am Kopf zu kratzen. “Der ist ja ein Gott. Und wenn der stirbt, wer wäre denn dann für die griechischen Schafherden verantwortlich. Also...“ Firas unterbrach sich noch einmal. “Ich glaube nicht, dass das stimmt.“ Sogar Nikolaós hatte gesagt, dass man nur an das glauben sollte was man selber gesehen hat und wenn man diesen Glauben dann auf die Hälfte reduziert und noch mal Abstriche macht, was die Verlässlichkeit der Sehkraft angeht, dann hätte man in etwa das, was in Wirklichkeit geschehen ist. Firas nickte ob dieses Gedankens und ging weiter. Die Griechen waren ein merkwürdiges Volk, doch Firas hätte es niemals gewagt darüber zu urteilen.


    Nun standen sie da und schaute auf die imposante Erhebung. Firas Kopf lag im Nacken. Der Berg sah absolut nicht natürlich aus, was seiner Ansehnlichkeit jedoch keinen Abbruch tat. Er war mit Pflanzen überwuchert und die Spitze sah aus, als hätte man sie mit einem gigantischen Schwert gekappt. Firas hatte ihn schon oft gesehen, nur oben war er noch nie gewesen. Wie sonderbar alles aussah, wenn man es auch noch erklären musste. Lanassa kam seiner Antwort zuvor. Eine Hora. Sie würden sich wirklich beeilen müssen, wenn sie noch die Tiere auf der anderen Seite sehen wollten. Wieder nickte der Sklave und schaute bestätigend drein. Mit einer Stunde waren sie gut bei der Sache. “Ja,“ gab er von sich. “Könnte hinkommen.“ Er schenkte Lanassa ein herzliches Lächeln und hob dann den Zeigefinger. “Alle Pflanzen die hier wachsen...hier im Park“, er deutete herum wie jemand der einen Blinden mit der Nase auf eine Geldmünze stupsen wollte, die dieser nicht für sich entdecken konnte, “wurden quasi nach und nach impo...imoport...eingeführt aus allen Gebieten des Reiches, die Alexander der Große mal gewonnen hatte! Man züchtet, hegt und pflegt sie hier im Heiligen Hain des Pan.“ Nein, er würde nun gewiss nichts mehr über dessen Fruchtbarkeitspotential verlauten lassen. Außerdem klang seine Erklärung ganz so, als hätte Alexander die Gebiete beim erfolgreichen Würfelspiel bekommen und sie nicht mit Schweiß und Blut erobert. Aber was sollte es schon! Firas machte das zum ersten Mal und die beiden Damen würden es ihm gewiss nachsehen.