Es war ja nicht so, dass er sich aufgedrängt hatte, doch im Grunde war es ja so gewesen. Frau Seiana hatte die Stadt kennen lernen wollen und das war nun einmal ein Wunsch, der sofort sein Ego angesprochen hatte. Er war der richtige Mann dafür! Seine eigene Begeisterung jedoch schien in den beiden Damen nicht unbedingt ihr Gegenüber zu finden und so blinzelte er rasch, wobei er sich bemühte in seinem Kopf neue Worte zu formieren. Das Gedränge in den Straßen nahm mehr und mehr zu, doch das war kein Wunder zu dieser Tageszeit. Firas wusste, dass nicht nur rechtschaffene Menschen unterwegs waren, sondern auch allerlei zwielichtiges Gesocks, wie damals Nikolaós schon immer gesagt hatte. Dennoch verstand er nicht ganz, warum Frau Seiana ihre Leibwächterin mitgenommen hatte.
Wenn er ehrlich war, schüchterte es ihn ein, denn er war in einem Männerhaushalt aufgewachsen, in dem es nicht viel mehr gegeben hatte als Gaius und Nikolaós. Trotzdem, oder gerade deswegen hatte auch immer ein besonderer Geist deren Haus beherrscht, der – zugegebener Maßen - nicht selten dem Wein entsprungen war. Nikolaós war es auch gewesen, der ihm vieles über die Stadt berichtet hatte, während Firas ihm bei dem Sortieren der Flugblätter half, die Gaius geschäftsmäßig immer als „seine Buchhaltung“ bezeichnet hatte. Sofern man bei einer solchen Unterrichtseinheit in der Lage gewesen war, die mannigfachen Schimpfwörter von dem eigentlichen Inhalt zu trennen, so konnte man doch eine Menge interessanter Dinge lernen.
Die Erinnerungen gingen so schnell wie sie gekommen waren. “Wo sollen wir denn als ersten hin?“ Beide Damen schenkten sich ein Lächeln und schon war ihre Aufmerksamkeit wieder bei ihm. Firas grinste unsicher und zog dabei einen Mundwinkel nach oben, was halbseitig eine strahlend weiße Zahnreihe entblößte. So ganz konnte er Lanassa noch nicht einschätzen, doch das würde sich schon geben. Auf jeden Fall schien sie keine Haare auf den Zähnen zu haben. Zwar war ihm eine Frau mit verborgenen Kampfkünsten suspekt, besonders wenn sie so aussah wie jene vor ihm, doch war eine Frau mit verborgenen Kampfkünsten ihm doch lieber als eine Frau mit Haaren auf den Zähnen UND verborgenen Kampfkünsten.
“Ja!“, brachte er dann hervor und patschte unternehmungslustig die Hände zusammen. Firas verfügte zwar über einen grob gemeißelten Plan, doch fehlte diesem eindeutig noch der Feinschliff. “Ich denke, wir sehen und zuerst das Paneion an. Das ist ein aufgeschütterter Hügelturm mit nem Park drumrum. Von oben kann man auf die Stadt gucken und unten dann die Blumen und so genießen. Da hats auch Tiere!“ Firas überlegte kurz, ehe er anfügte: “...und so!“
Der Sklave entschloss sich dann doch dazu, eine Antwort - oder noch schlimmer: Fragen! - gar nicht erst abzuwarten und schritt weiter die Meson Pedion entlang. Gut, aus ihm würde wohl nie ein bedeutender Rhetoriker werden, doch wer konnte es ihm schon verdenken. Da wo er herkam konnte jemand wie er überhaupt froh sein unbeschadet das Sprechen und dergleichen erlernt zu haben, ohne jedem elenden Wort ein handfestes Schimpfwort anzuhängen. Aber was sollte es schon. Die Pferde in den Ställen des Gaius hatten ihm dies immer nachgesehen, dass er seine Worte nicht immer mit Bedacht wählte, ebenso wie die gerupften Hühner in den Töpfen des Herrn Archias.
Dennoch hielt Firas es in dieser Situation schon irgendwie als erforderlich, denn immerhin hatte er sich hier zum Reiseführer aufgeschwungen und der Kundschaft musste man etwas bieten.
“Pan....das ist so ein..“, setzte er innehaltend seine Bemühungen fort, wobei er mit den Armen wedelte, “...Gott...den die Hirten verehren und er ist eine Mischung aus einem menschlichen Oberkörper und dem Unterleib von einem Ziegenbock.“ Firas musste insgeheim lächeln, denn die mitschwingende Vorstellung einer solchen Kreatur erinnerte ihn an Gaius. Nicht vom Aussehen her, sondern vielmehr durch dessen Art der Fortbewegung. “Nun denn....“ sagte er weiter. Frau Seiana wusste das sicher und so richtete er seine folgenden Worte mit einem schulmeisterlichen Unterton an Lanassa. “Er ist recht fröhlich, also auch für Wollust und dergleichen und er sorgt bei Dionysos mit für Fruchtbarkeit und Ekstase...also...was damit so zu tun hat...“ Der Sklave schaute kurz irritiert drein und kam zu dem Entschluss für die folgenden Erläuterungen doch einen anderen Adressaten zu wählen. Er wandte sich wieder Frau Seiana zu. “Er bläst für ihn auch die Flöte und er hat selber nen krummen Stab...uuuuund....!“
Fast war der Sklave froh, dass er in diesem Moment von einem vorbei eilenden Fremden übel angerempelt wurde. Dieser grunzte etwas wie: “Weg da!“ und entschwand sogleich aus seinem Gesichtsfeld.
“Tjaaaaa....“, überspielte Firas diese Begebenheit. “Pan ist auch bekannt dafür, dass er paaaanischen Schrecken verbreitet, wenn er in seiner Mittagsruhe gestört wird.“ Ganz wie der Herr Archias, fügte er in Gedanken hinzu und grinste ein wenig vor sich hin.
“Da geht’s lang!“, sagte er in der fröhlichen Manier eines Fremdenführers, bevor er sich umdrehe und sich und den folgenden Damen den Weg durch die Menge bahnte.