Es hatte schon viele unangenehme Momente in seinem Leben gegeben, doch suchte dieser hier seines Gleichen. Da gab es eigentlich nur die Situation, in der er versucht hatte, den schwer weinseligen Nikoláos vor den Augen unerwünschter Beobachter zu retten, während dieser lautmalerisch Verse aus dem Werk irgendeines Philosophen vor sich hin gröhlte und dann um Hilfe schrie, weil Firas ihn angeblich entführen wollte. Wirklich vergleichbar war die damalige Situation mit dieser allerdings vom Erfahrungswert her: Sie war auch völlig neu gewesen. Doch ein Zurück würde es wohl nicht mehr geben.
Wie zur Bestätigung spürte er die Brüstung in seinem Rücken und bemerkte nun erst, dass er nach hinten ausgewichen war. Es behagte ihm gar nicht, der Kernpunkt dieser Überraschung zu sein, von der – Firas kramte fieberhaft in seinem Gedächtnis –
K a t a n d e r – das musste der Name wohl sein, auch wenn er in der getropften Buchstabenfolge seines Erinnerns recht seltsam klang – gesprochen hatte. Sein neuer Herr indessen wirkte sprachlos, nachdem Firas zuerst den Anderen, und dann ihn anschaute. Caius Aelius Archias. Ein eindeutig römischer Name, aber auch eindeutig unbekannt.
Firas konnte nicht umhin, den Mundwinkel zu dem ihm eigenen typische- schrägen Lächeln zu verziehen. Das es ein wenig unpassend verunglückte, merkte er selbst. Doch was sollte er schon machen? Es war eindeutig, dass dem Römer die Torte mit der Katander die Überraschung in Verbindung gebracht hatte lieber gewesen wäre als er, was man spätestens an der Tonlage erkennen konnte mit der er sprach. “Komm mal mit,“ wies er den Anderen an. Das “Warte mal bitte kurz,“ galt ihm selber. Firas nickte unbestimmt. Er hatte nicht vor gehabt vom Balkon zu hüpfen. Doch er sagte lieber nichts, denn weder dieser Tag, noch dieser Ort, noch diese Situation waren prädestiniert für dumme Antworten. Folgen wollte er ihnen auch nicht unbedingt und diese Pause kam ihm gerade recht, um das Geschehen wenigstens Ansatzweise zu verdauen. Hatte er wirklich „bitte“ gesagt?
Firas konnte den Dingen einfach nur ihren Lauf lassen. Wahrscheinlich würden sie ihn eh wieder zurück bringen, wenn das überhaupt möglich war. Anstatt zu lauschen sah er sich lieber um, auch wenn er eigentlich gar nichts sehen wollte. Schnell beschränkte er sich darauf, an seinen Fingern herum zu spielen und einfach nur zu warten. Ein Fingernagel war abgebrochen. Eine grandiose Feststellung, und absolut dämlich. Er schaute erst auf, als sein neuer Herr wieder zielstrebig auf die Terrasse trat und ohne Zweifel aufgeschlossener wirkte als noch zuvor. Seine eigene Skepsis war allerdings noch nicht gewichen. Ganz im Gegenteil, auch wenn der freundliche Gesichtsausdruck nun doch zu seiner eigenen Entspannung beitrug. Firas folgte der Aufforderung, navigierte sich etwas steif um den verbliebenen freien Sessel herum, ließ sich mehr oder weniger auf dessen Sitzfläche fallen und setzte seinen Blick unverhohlen aufmerksam auf dem ungewöhnlichen Hausherrn.
Caius Aelius Archias war überrascht gewesen? Das hatte er richtig gemerkt. Der Andere hieß tatsächlich Katander. Das hatte er sich also auch richtig gemerkt. Und dass sie sich aneinander gewöhnen würden? Vielleicht. Ob er aus Ägypten stamme? Firas nickte heftig, um keinen Zweifel aufkommen zu lassen, doch der Hausherr sprach schon weiter und sagte, dass er selber wohl nicht so lange hier war. Firas nickte immer noch, obwohl er Ravenna gar nicht kannte und nebenbei dann noch versuchte, gedanklich eine Verbindung zwischen „Hafenstadt“, „Nordosten“ und „Italia“ herzustellen. Kurzzeitig blitzte dann doch die Frage auf, was ihn dann eigentlich nach Ägypten verschlagen hatte, doch beantwortete er sich die Frage ebenso schnell selbst. Römer verschlug es einfach überall hin und sie waren dabei über Fragen erhaben. Das hatte er schon ausführlich bei Gaius gelernt. Dass er drei Sprachen sprechen konnte, war eindeutig übertrieben. Er konnte wunderbar auf drei Sprachen fluchen, so wie Nikoláos und auf griechisch klang es einfach viel vornehmer. Wer hatte gesagt, dass er das konnte? Firas schielte hinüber zu Katander, doch der Fall war klar. Immerhin war es Gaius gewesen, der niemals etwas unter seinem Wert verkaufte und er hatte auch grundsätzlich alles nur Erdenkliche getan, um den Wert seiner Waren zu steigern. Und wenn dies nur mittels einer Lüge geschah, die der gelinkte Kunde dann mit einem kostenlosen aber schmackhaften Wein hinunter spülen durfte.
“Ahm,...“ Firas brauchte noch einen Moment, doch hatte er beschlossen, dass drei Sprachen immerhin drei Sprachen waren und dass sein neuer Herr vielleicht glaubte, dass es im griechischen Falle für mehr als eine einfache Essensbestellung ausreichen würde, schmeichelte doch ungemein. “Ja, also ich spreche Latein, Griechisch und was man hier so spricht....Ägyptisch. Uuund...,“ Er hatte noch nie jemandem von sich erzählt. Nicht so frei. Firas gestikulierte etwas fahrig herum und kam sich selber merkwürdig vor, während er versuchte einen Ansatzpunkt zu finden. “Ich äh...bin hier geboren und aufgewachsen, bei einem Pferdehändler. Der hat Pferde auch gezüchtet. Meine Mutter war Syrerin, meinen Vater kenne ich nicht. Ich hatte auch soetwas wie einen Lehrer, der war Grieche und ich habe ihm mit den Rechnungen geholfen, wenn ich nicht gerade bei den Pferden war.“
Es hatte doch recht viel von Plauderei, doch mehr fiel ihm in diesem Moment nicht ein, auch wenn es erwünscht war. Und dass bei Nikoláos von den griechischen Ahnen nicht sonderlich viel übrig geblieben war, Gaius über seinen Vater in den häufigen cholerischen Momenten behauptete, er wäre ein parthischer Bastard gewesen, der nicht viel mehr wert war, als der Misthaufen hinter dem Haus, weil zwischen Gaius und Firas Mutter mehr bestanden hatte, als nur eine zarte Zugeneigtheit, war wohl kaum eine Grundlage zu berichten, was sein Leben so ausmachte. Firas dachte kurz nach. Das Leben war nicht leicht gewesen. Nein! “Ich bin 23 Jahre alt,“ sagte er stattdessen und bemühte sich mit einem Anflug von Lächeln gelöst auszusehen. “Und was macht ihr...so...in...Ägypten...?“ fragte er dann doch, mehr an beide gewandt und ließ es einfach mal darauf ankommen, dass keine genaue Anrede folgte.