"Vielleicht liegt es auch daran, dass ich wenig Wert darauf gelegt habe, Kinder zu bekommen, die ohne ihren Vater aufwachsen würden," gibt sie zu bedenken, der Klang der Stimme so leidenschaftslos und kühl wie fast während des gesamten Gesprächs, als würden die gewechselten Worte nicht von ihr, sondern von irgend jemand anderem handeln, den sie beide nicht kannten. "Ab einem gewissen Alter des Ehemanns muss man sich sehr wohl überlegen, ob sich dieses Risiko wirklich lohnt einzugehen, denn mehr als ein Arzt hat mir versichert, dass díe Lebenskraft eines alten Mannes zu schwach sei, um einen gesunden Nachkommen zu zeugen. Umso mehr wäre es schrecklich, würde ein Sohn ohne das Vorbild seines Vaters aufwachsen müssen, wie wir es in unseren Traditionen für so wichtig und unumgänglich halten. Eine Familie zu gründen sollte heutzutage nicht alleine nur auf einen Zufall zurückgeführt werden, man sollte sich vorher im Klaren sein, ob es Sinn macht, und wieviel Sinn es macht, Kinder aufzuziehen." Mit einer ruhigen Geste streicht sie sich das Haar zurück, den Aurelier dabei im Blick behaltend, ob er ihre klare Meinung akzeptieren konnte. Die wenigsten Männer konnten nachempfinden, welches Risiko dabei lag, wenn eine Frau schwanger wurde, wie hoch die Gefahr war, das Kind zu verlieren oder selbst im Kindbett zu sterben - vielleicht machten sich Männer darüber weniger Gedanken, Frauen dafür umso mehr.
"Es gibt bestimmt in der nächsten Zeit die ein oder andere Gelegenheit, bei der es uns unauffällig möglich sein wird, passende Kandidatinnen zu beobachten - leider ist die Meditrinalia schon vorüber, aber spätestens zu den Saturnalia hast Du die besten Möglichkeiten, unauffällig herauszufinden, ob eine Frau, die Dich interessiert, auch zu Dir passt. Ohne die Grenzen des Standes erkennt man am anderen sicherlich ungehinderter Makel und Vorzüge," spricht sie weiter, als hätte das Gespräch mit Aelius Quarto niemals stattgefunden, in dem er erwähnt hatte, dass er von Aurelius Ursus' Heiratsplänen weiß und ihn für einen geeigneten Mann hält. Schon an jenem Tag hat sie nicht ausgeschlossen, sich mit dem Aurelier zu treffen, allerdings ist ihr Kennenlernen nun deutlich anders verlaufen als vermutet, ihr Verwandter hätte es wahrscheinlich nicht gut geheißen, dass sie mit dem Bogen unterwegs ist, und noch weniger, dass der Aurelier dabei verletzt wurde. Immerhin scheint die Sympathie gerechtfertigt, die ihr Verwandter dem Aurelier entgegenbringt, er handelt und spricht überlegt, und wirkt nicht wie einer jener Männer, die dauernd vor allem damit zu tun haben, vor anderen besser und klüger zu wirken, als sie es eigentlich sind. Es wird in Zukunft sicherlich interessant bleiben, sich mit ihm über verschiedenartigste Themen auszutauschen, selbst wenn sie der Tatsache, dass sie beide Material auf dem römischen Heiratsmarkt darstellen, sehr distanziert gegenüber steht.
"Ein junges Mädchen weiss sicher noch nicht, welchen Verzicht ihr das Leben als Vestalin in der Zukunft abverlangen wird," antwortet sie nach einer kleinen Weile überlegend. "Aber ein Mädchen ist genauso fähig, an einer solchen Aufgabe zu wachsen und zu reifen, denke ich, und so wird es für sie irgendwann leichter werden, mit jenen Einschränkungen zu leben. Eine Ehefrau und Mutter zu werden, bedeutet schließlich nicht, keinen Einschränkungen zu unterliegen, vielmehr erscheinen mir jene, die es dann zu beachten und zu bedenken gilt, als weitaus schwerwiegender denn die Pflichten einer Vestalin." Gerade, wenn eine Ehefrau den Haushalt für einen dauernd im Krieg oder in der Politik abwesenden Mann führte und gleichzeitig noch darum bedacht zu sein hatte, dass die Kinder gut aufwuchsen und der gesellschaftliche Stand der Familie sich nicht verschlechterte, mochten die Zwänge und Pflichten über den Kopf dieser Frau hinauswachsen. Ihr Blick bleibt auf dem Aurelier liegen, nachdem der Pfeil sein Ziel gefunden hat, und für einen Augenblick lang wirkt er verstimmt. Hat er erwartet, dass sie mit fliegenden Fahnen nun in seine Arme stürzen wird, nur weil er männlichen Geschlechts, attraktiv, unverheiratet und aus gutem Hause ist? Der Gedanke amüsiert sie, aber sie versucht es zu verbergen, es wäre nicht höflich, würde er den Eindruck gewinnen, dass sie über ihn lachte.
"Ich werde nicht schnell zornig." Dies ist ihr einziger Kommentar zu seinem Scherz, aber nun lächelt sie doch wieder, die Mundwinkel nur leicht erhoben, während sie sich einen neuen Pfeil geben lässt. "Wir werden einander sicher bald wieder begegnen, nicht zuletzt, weil Du sicher im domus Aeliana ein und aus gehst, in der Zusammenarbeit mit meinem Verwandten." Ein Onkel direktermaßen war Quarto nicht, aber es war doch einfacher, die komplizierten verwandtschaftlichen Verhältnisse der Aelier auf diese einfache Bezeichnung zu reduzieren. Dieses Problem hatten so gut wie alle römischen gentes, irgendwann wucherten die einzelnen Familienzweige zu wild vor sich hin. "Aber wenn Du es willst, kannst Du mich gerne einmal zu einer Jagd begleiten. Aegyptus war reich an Vögeln, die man im Schilf ausmachen musste, ein wenig Abwechslung wird mir sicher guttun, Italia soll so manches interessantes Wild bereithalten."