Beiträge von Iunia Axilla

    Zunächst sah es so aus, als würde Serrana sich wieder beruhigen, was Axillas Wut wieder neue Nahrung gab. Sie sollte sich ja schlecht fühlen! Immerhin hatte sie ihr gerade Ehebruch unterstellt! Und viel schlimmer, Vala unterstellt, er würde da mitmachen! Noch brodelte es nur und wartete, hinausgelassen zu werden, aber der Ausbruch war noch nicht gekommen. Serrana rredete kurz von ihrer Adula, und der Teil von Axilla, der nicht streiten wollte, verstand das. “Leander hat ja auch immer gereicht, bis er...“ Sie sprach den Satz nicht zuende. Es reichte ja auch ein zuverlässiger Sklave oder ähnliches an der Seite, wenn man nicht gerade im Halbdunkel einer zwielichtigen Gasse unterwegs war. Man musste sich nicht mit einem ganzen Schwarm von Wächtern umgeben, zumindest nicht in ihrer Position. Wäre sie Augusta, wär das etwas anderes, aber sie war ja nur sie.
    Doch dann mit einem Mal klappte Serrana wieder halb in sich zusammen und schien geradezu ängstlich zu ihr aufzuschauen. Das war ein wenig paradox, denn noch hatte sie ja gar nicht die brodelnde Wut getroffen, die in Axilla schwelte und sie davon abhielt, allzu tief über das heute Geschehene nachzudenken. Warum also hatte sie dann jetzt schon so einen Gesichtsausdruck auf ihrem Gesicht?
    “Ja?“ meinte sie langgezogen und fragend mit einem kritischen Blick auf die Cousine. Sie war sich nicht sicher, was da nun folgen mochte. Und noch viel unsicherer war sie, ob sie es wirklich hören wollte. Ein ungutes Gefühl machte sich in ihr breit, ein sehr ungutes, und am liebsten hätte sie einfach ihrer Wut freien Lauf gelassen und wär gegangen, um dieser Situation zu entfliehen. Sie mochte es nicht, sich so zu fühlen. Sie mochte auch nicht an Archias jetzt denken. Oder an Leander. Eigentlich wollte sie gerade am liebsten einfach nur weg.

    Serrana ruderte sofort zurück, als Axilla aufbrauste, aber die war noch nicht fertig. “Du wolltest nur wissen, warum was? Warum jemand aus der kaiserlichen Familie wie ein Idiot benehmen sollte und so etwas Dummes tun, ohne es zuende zu bringen? Oder warum ich sowas erfinden sollte gar, weil du mir das nicht glauben magst? Oh, oder noch besser! Warum mein Mann sich vom Felsen schmeißt, wenn da nichts dran ist?“ Sie hatte angefangen, leicht hin und her zu gehen, jeweils nur zwei Schritte, mit denen sie sich immer weiter in ihr Geschimpfe hineingesteigert hatte. Und das alles endete nun in einem finalen und mit schon überschnappender Stimme vorgetragenen “Ich weiß es nicht!“
    Der Zorn tat gut, er wärmte und nahm ihr die Benommenheit aus den Gliedern. Er vertrieb sogar kurzzeitig die Bilder, die sich in ihr festgefressen hatten. Und er vertrieb jedes bisschen Selbstmitleid für den Moment. Wut war einfach, die kannte ihr Ziel und ging darauf los. Da musste man nicht lange darüber nachdenken.
    Erst, als Axilla mit zornesglühenden Augen auf Serrana runterschaute, merkte sie, dass etwas nicht stimmte. Egal, wie wütend Axilla auch war, sie war empfänglich für die Stimmungen ihrer Umgebung. Meistens ignorierte sie sie zwar, wenn sie ihr nicht in den Kram passten, aber das hier, das war zu offensichtlich, um es zu übersehen. Serrana sah aus, als würde sie sich gleich auf dem Steinweg übergeben. Und sie war ganz blass, abgesehen von einigen hektischen, roten Flecken. Und ganz offensichtlich hatte sie ihr nicht zugehört.
    Axillas Wut war noch da, aber sie zog sich im Moment zurück. Das hier war einfach zu seltsam, zu offensichtlich, als dass sie es ignorieren könnte. Und so wartete die Wut einfach einen Moment ab, wie das ganze hier geklärt werden würde, während Axilla einen Moment nur schweigend und mit fragendem Gesichtsausdruck da stand und nicht so genau wusste, was los war. Dass Serrana so am Boden zerstört war, weil sie Axilla einen Ehebruch vorgeworfen hatte, war selbst für die abergläubische Cousine merkwürdig.
    “Ich bin mir nicht mehr so sicher wie heute Morgen, aber... er hat sich komisch benommen. Er war sehr, sehr besitzergreifend und wollte nur seine Männer in meiner Nähe haben. Ich glaube, die sollten für ihn spionieren, was ich tue und wohin ich gehe. Aus Leander hätte er nichts herausbekommen.“ Nur ein Mal hatte Leander sich verplappert bei Katander, und danach war das Verhältnis zwischen ihm und Axilla etwas abgekühlt. Doch Axilla wusste, dass er genau deshalb nie wieder auch nur ein Wort gesagt hätte, egal, was Archias ihm auch angetan hätte. “Und wir hatten gestern ein Gespräch. Er hat komisch reagiert, als ich auf Leander zu sprechen kam. Er wusste nicht, dass er auf Männer stand und hat merkwürdig reagiert, als ich es angesprochen habe. Ich glaube, er dachte, dass ich und Leander... ich mein, der durfte ja auch immer in mein Cubiculum und war sehr viel mit mir zusammen. Er war ja mein Leibsklave. Aber... da war ja nichts. Aber er... ich weiß nicht, ob er wirklich jemanden angeheuert hat, aber in jedem Fall kam es ihm alles andere als ungelegen, konnte er so seine Männer auf mich ansetzen, damit die mich beobachten und einsperren...“
    Die Wut hatte sich weitestgehend zurückgezogen. Das ganze hier war doch zu seltsam, und der Gedanke an Leander machte Axilla traurig. Ihr lieber Leander... sie hätte ihn in Alexandria frei lassen sollen, dann wäre das hier nicht geschehen.

    Er war so kalt, so abweisend und harsch. Kein Wort über das, was eben geschehen war, keine Silbe darüber, was sie falsch gemacht hatte. Axilla wäre ja sogar bereit gewesen, sich zu entschuldigen, wenn sie nur wüsste, was sie getan hätte. Er entzog sich ihr, schon wieder, und sie wusste einfach nicht, wieso. Er war wütend auf sie, schon wieder, und sie hatte keine Ahnung, was sie angestellt hatte. Er gebot ihr zu schweigen, und so sehr es Axilla auch danach drängte, etwas zu sagen, sie traute sich nicht. Sie holte Luft, ihr Körper zuckte in seine Richtung, als wolle sie zu sprechen anheben, aber sie sagte nichts. Sie sah ihn einfach nur an.


    Und dann ging er. Ohne auf sie einzugehen, ohne sie auch nur richtig anzusehen, ging er. Mit nicht gerade freundlichen Abschiedsworten. Einen Moment war Axilla wie erstarrt, als sie ihm hinterher sah. Die Angst, ihn nicht mehr wieder zu sehen, wuchs plötzlich ins Unermessliche, und mit einem fast panischen “Vala!“ stürmte sie ihm hinterher.


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    Nur um mit Malachi zusammenzustoßen, der gerade die Bibliothek betreten wollte. So abrupt abgebremmst sah Axilla einen Moment nur durcheinander zu dem Gladiator auf, und erst dann durch die Tür in den Gang. Aber der Duccier war schon nicht mehr da, und das Geräusch der Tür verriet, dass er das Haus verlassen hatte.
    Wie Glück und Leid doch beieinander liegen konnten. Vor noch wenigen Augenblicken hatte Axilla sich für einen Moment sicher und befreit gefühlt, hatte sich einfach diesem so lange ersehnten Kuss hingegeben. Und jetzt wollte sie deshalb am liebsten Weinen. Hätte sie ihn nicht erhalten, wäre Vala nun nicht böse auf sie, und sie könnte in seiner Nähe sein. Zwar nicht ganz so nah, aber immerhin. Und jetzt? Jetzt hatte sie nur eine Erinnerung und Angst.
    “Alles in Ordnung, Domina?“ Malachi sah zu ihr herunter, wie sie leicht zitternd in der Tür stand und nichts weiter sagte, sondern nur ängstlich in Richtung Hauseingang schaute. So angesprochen blickte Axilla erst einmal hoch wie ein verschrecktes Reh. Ihr Mund öffnete sich kurz, aber sie sagte nichts. Sie schüttelte nur nach einer Weile den Kopf und trat von der Tür zurück.
    “Die Köchin meinte, das Essen sei in einer viertel Stunde servierfertig. Soll sie im Triclinum dann auftragen?“ Natürlich hätte man schon blind sein müssen, um nicht zu merken, dass etwas bei Axilla ganz und gar nicht stimmte, aber sie drehte sich einfach nur den heruntergefallenen Schriftrollen zu und besah sich die Bescherung. Und mit einem Mal schlich sich ein trauriges Lächeln auf ihr Gesicht, nur kurz, fast gequält.
    “Ich hab sie gefunden. Die Schriftrolle...“ Axilla hob sie vom Boden auf. Sie erinnerte sich an die Rollenhalter an den Seiten, und ihre Hand fuhr einmal über den stilisierten Löwenkopf derselben. Sie drehte sich zu Malachi um und versuchte sich an einem Lächeln, als hätte sie etwas gewonnen. Aber ihre Augen konnten diesmal nicht den Schein wahren und die Maskerade mitspielen, denn in ihnen standen fast Tränen. “Da lag sie.. ich... ich les dann jetzt erst einmal. Sag der Köchin, ich esse später. Es... es kann ruhig kalt werden, das macht nichts.“ Axilla stieg vorsichtig über die anderen Schriftrollen hinweg in Richtung der Kline.
    “Soll ich nach einem Medicus schicken? Oder nach jemand anderem?“ Eigentlich war Malachi nie besorgt oder gar mitfühlend, aber im Moment hatte er sich entschieden, doch besser einmal nachzufragen. Er war Gladiator, kein Unmensch.
    Aber Axilla winkte nur mit der Schriftrolle, ohne sich zu ihm noch einmal umzudrehen. “Nein, alles bestens. Alles, wie es sein soll...“ Allein schon ihrer Stimme war anzuhören, dass sie log. Sie klang weinerlich und brüchig. Aber Malachi fragte nicht weiter, sondern ging nur brav ausrichten, was er sollte, während Axilla sich mit der Schriftrolle hinsetzte und sie aufrollte.
    Ihre Augen flogen zwar über die Zeilen, aber hätte man sie auch nur nach einem Wort davon gefragt, sie hätte es nicht benennen können.

    Sie hatte ihn verärgert. Axilla wusste nicht, wieso, aber dass er ärgerlich war, dafür musste man kein Hellseher sein. Wie ein Wolf in einem Marktkäfig fing er an, auf und ab zu laufen, selbst sein Gesichtsausdruck passte dazu. Und Axilla wusste nicht, was sie falsch gemacht hatte. Hätte sie ihn nochmal küssen sollen? Hätte sie ihn an sich ziehen sollen? Hätte sie ihm eine deutliche Einladung aussprechen sollen? Oder aber war das Gegenteil der Fall, und er war wütend, weil er sie überhaupt geküsst hatte? Irgend etwas musste sie ja gemacht haben, das ihn dazu verleitet hatte, auch wenn sie nicht wusste, was das gewesen sein sollte. Und selbst wenn sie es gewusst hätte, es hätte ihr nicht leid tun können. Sie hatte es genossen, auch wenn es falsch war. Und sie fühlte gerade mit Verzweiflung, wie es ihr entglitt. Wie ER ihr entglitt.

    “Ja, Serrana kann dir das sicher bestätigen, wenn das was hilft. Ansonsten nur Sklaven.“ Und deren Wort zählte vor Gericht nicht unbedingt etwas. Ob Serranas Wort etwas zählte, wo sie doch ihre Cousine war, wusste Axilla nicht einzuschätzen. Und das Geld war ihr im Moment auch absolut nicht richtig.
    Auf der Suche nach richtigen Worten bückte sie sich nach der hingeworfenen Tabula und hielt sie Vala schüchtern hin. Sie wollte ihm wieder nah sein, wollte noch einmal seine Lippen schmecken. Sie wusste, sie durfte nicht, und dass er das einzig richtige tat, aber ihr Gefühl war einfach anders. Ihr Gefühl duldete keine Einrede von Vernunft und Verstand. Ihr Gefühl wollte ihm einfach nur nahe sein. “Vala, ich...“ Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Auch wenn ihr Blick wohl mehr als alle Worte der Welt sprach, ja ihre ganze Haltung diesen Eindruck noch verstärken musste. Das, was sie wollte, war so greifbar nahe, und doch hätte es nicht weiter entfernt sein können.

    Ob wirklich einer der Sklaven ihnen geschrieben hätte, wenn es Silanus wirklich schlecht ging, wusste Axilla im Moment nicht zu sagen. Aber es änderte ja trotzdem nichts an der Tatsache, dass es Silanus jetzt im Moment nicht wirklich gut ging. Und auch nichts daran, dass Axilla glaubte, dass es ihre Schuld war.
    Doch das Thema änderte sich auch gleich und konzentrierte sich mehr auf die jüngere Vergangenheit. Axillas Atem beruhigte sich etwas, und sie wischte die Tränen von den Augen, so dass sie sogar wieder etwas sehen konnte. Die Knie ließ sie dennoch in kindlicher Pose angezogen und von den Armen umschlungen. Dass Serrana Ihr die Hand auf den Rücken gelegt hatte, merkte Axilla erst jetzt, aber im Grunde war sie dankbar dafür. Sie wollte jetzt nicht ganz allein sein. Und auf der anderen Seite wieder doch, dachte sie ja, dass sie eine Gefahr für die Leute in ihrer Nähe wäre. Von daher waren sowohl Hand als auch Abstand gerade gut, und Axilla konnte sich selbst wieder beruhigen.
    Nunja, zumindest so lange, biss Serrana ihre Frage stellte. Einen Moment lang sah Axilla nur auf und zu ihr hinüber, weil sie nicht verstand, was sie meinte. Als dann aber die Erkenntnis einsetzte, wich ihr Gesichtsausdruck ehrlichem Entsetzen und Wut in solcher Schnelligkeit, dass es einer Explosion gleichkam.
    “Du... du glaubst doch nicht, dass er...? Nein! NEIN! Er würde niemals... dass du nur annimmst, er und ich könnten... Er hat mich nie auch nur unschicklich angefasst oder geküsst. Gar nichts! Vala ist der ehrbarste und, und und aufrechteste, nobelste Mann, den ich kenne!“ Dass sie ihre eigene Ehre gar nicht verteidigte, obwohl Serranas Frage ja durchaus auch implizierte, sie habe Ehebruch begangen, fiel Axilla erst einen Augenblick später auf. “Und wie kommst du dazu, mir Ehebruch zu unterstellen? Vielleicht hab ich kein so moralisch perfektes Leben wie du, aber ich bin keine Lupa! Ich hab noch nie irgendjemanden betrogen, erst recht nicht meinen Ehemann!“
    Axilla stand wütend auf. Durch das Weinen von eben war ihr Kreislauf noch etwas durcheinander, so dass sie leicht ins taumeln geriet, aber sie hielt sich aufrecht. Aber sie wollte jetzt nicht neben Serrana sitzen bleiben, wenn sie Vala so etwas unterstellte. Dass eben jener sie nur einige Tage später in der Bibliothek küssen würde und damit ihre vehemente Verteidigungsrede einen kleinen Schönheitsfehler bekam, konnte sie ja nicht wissen. Und selbst wenn sie es gewusst hätte, hätte es ihrer Meinung über ihn keinen Abbruch getan.

    Sie hatte nichts gemacht. Ihn einfach nur angeschaut. Wenn Axilla gewusst hätte, was sie gesagt oder getan hätte, sie hätte es sich sicher gemerkt. Aber sie hatte ihn nur angeschaut, einen Moment in diese selbstsicheren, grauen Augen geblickt, und im nächsten Augenblick wurde sie gegen das Bücherregal hinter ihr gedrückt. Seine Hände hielten sie fest in dem starken Griff, ohne ihr dabei weh zu tun, und zogen sie noch dichter an sich. Und seine Lippen lagen auf den ihren, gaben ihr den so lang ersehnten Kuss, von dem sie nur geträumt hatte. Allzu bereitwillig öffnete sich ihr Mund dem seinen. Sie schmeckte das Süßholz, das er so gerne immer wieder kaute. Sie fühlte sich unendlich schwindelig.
    Aber sie wehrte sich. Nunja, ein bisschen. Zumindest sagte sie sich, dass sie sich wehrte, wie es sich gehörte. Ihre Hände lagen immerhin auf seiner Brust und gaben dort leichten Druck. Wobei sie wohl etwas abglitten und weiter nach oben fuhren. Durch den Stoff hindurch fühlte sie an seiner Schulter die leichte Narbe. Kein Pfeil, wie sie angenommen hatte, sondern der Splitter eines Speeres, hatte Vala gesagt. Sie hatte es nicht vergessen. Ein wohliger Schauer ging durch ihren Körper, als sie einfach die Augen schloss.


    Und dann war es vorbei. Einfach so, genauso plötzlich, wie es angefangen hatte, hörte es auf. Er ließ sie einfach los, zog sich von ihr zurück und ließ sie mit klopfendem Herzen stehen. Wie schlaftrunken blinzelte Axilla und sah einfach nur zu Vala hinüber. Ein paar mehr Schriftrollen waren aus dem Regal gefallen und lagen nun links und rechts von ihr zu ihren Füßen, aber das war egal. Vala sagte etwas, und Axilla versuchte, ihre Gedanken zu sammeln. Er scheiterte an ihr?
    “Das liegt vielleicht daran, dass du mich nicht erschlagen willst.“ Es war falsch, sowas zu sagen, das wusste Axila schon, ehe sie es überhaupt aussprach. Sie sollte nicht einmal daran denken, das hier weiter zu verfolgen. Sie sollte ihn wegschicken, jetzt sofort. Sie war in Trauer. Sie durfte nichts tun, selbst wenn sie wollte. Und sie sollte auch ihn nicht dazu verleiten, im Gegenteil.
    Tja, das sollte sie. Aber sie schmeckte noch seinen Kuss, und ihr Atem ging noch immer dieses kleine bisschen schneller, das auch ihr Herz schneller schlug. Und es war ja auch nichts passiert, nichts wirkliches. Sie lächelte ihn einmal kurz unsicher an, wollte ihren Satz vielleicht doch noch wie einen Scherz aussehen lassen. Aber ihre Augen sagten etwas, das deutlich mehr nach Einladung klang, weshalb Axilla lieber zur Seite weg sah.

    Seneca machte eine zustimmende, kleine Bewegung. Nicht wirklich groß, nicht wirklich sichtbar, aber genug für Axilla, um es zu bemerken. Genug, um sich erleichtert zu fühlen. Sie konnte heim gehen. Heim... seltsam, dass sie die Casa Iunia mit diesem Wort überhaupt in Verbindung brachte. Ihr Heim lag eigentlich ganz wo anders, weit weg, war inzwischen verkauft und außer Reichweite, und alles, was es zu ihrem Heim gemacht hatte, war tot und begraben. Und auch das Zuhause in Alexandria war für sie unerreichbar, und nach Urgulanis Tod ebenfalls weit trostloser als ehedem. Vielleicht war die Casa Iunia das einzige Zuhause, das sie im Moment hatte, auch wenn sie dort nur Seneca hatte, und das auch nur zeitweilig, war er doch Urbaner. Irgendwie war dieser Gedanke reichlich trostlos, aber vielleicht passte er zum Anlass hier.


    Axilla wollte sich schon losbewegen, als Piso auch noch einmal das Wort an alle wandte und meinte, alle sollten heim gehen. Hier gäbe es nichts zu tun. Einen Moment zögerte Axilla und sah zu Archias. Durfte man ihn denn so allein liegen lassen? Nicht, dass sein geist sie deshalb heimsuchte, weil m an ihn einfach nur liegen ließ... Ein Schauer rann Axilla kalt den Rücken hinunter, aber sie wollte nicht hier bleiben. Das war so ziemlich das einzige, vor dem sie noch mehr Angst hatte. Und sie beruhigte sich schnell damit, dass die Prätorianer ja Wache stehen würden.
    Imperiosus wollte sich Piso anschließen, und auch Centho war scheinbar einverstanden, hier nun zu gehen. Axilla sah zu den drei Männern und rang sich das traurigste Lächeln ab, zu dem sie fähig war. In ihrem Gesicht stand immernoch der Schrecken des eben Gesehenen, und sie war so blass wie noch nie in ihrem Leben. “Ich danke euch... für euer Erscheinen und eure Worte...“ Ein wenig Manieren hatte sie ja doch, wenngleich ihr nach diesen kurzen Worten auch schon nichts mehr einfiel. Sie schaute noch einmal kurz schutzsuchend zu Seneca, dann gab sie dem Drängen ihres Innersten nach und setzte sich in Bewegung, weg von hier, weg von diesem schrecklichen Tod und den vielen Fragen. Sie wollte nur noch heim. Wo immer das war.

    Er verwirrte sie! Im einen Moment war er so sachlich und distanziert, und im nächsten machte er ihr wieder ein Kompliment – oder sowas ähnliches. Und im Moment war sie sich alles andere als sicher, ob er das denn auch meinte, was er sagte, oder ob er es nur so sagte, um sie zu ärgern. Denn scheinbar tat er das ja sehr gerne, während er keine Anzeichen dafür zeigte das, was er andeutete, auch zu wollen. Axilla hatte sich ja schon zwei Mal bei ihm verplappert und ihm einen Wunsch freigestellt, egal was, und jedes Mal hatte er sie dann nur darauf hingewiesen, dass er eben sowas fordern könnte, es aber nicht tat. So wie jetzt im Grunde ja auch.
    Sie kratzte sich etwas verlegen am Unterarm und sah einfach beiseite, um sich nicht näher damit beschäftigen zu müssen, ob er das nun wirklich meinte oder wieder doch nicht. “Ja, ich bin mir sicher. Er war ja hier, stand direkt vor mir im Atrium mit seinem Hinkefuß. Serrana war auch dabei, die kann es dir sicher bestätigen. Nur war ich wohl nicht misstrauisch genug, denn seine Geschichte klang sehr plausibel und... nunja, nachdem er das Geld hatte, das er wollte, war er dann auf einmal verschwunden. Von einem Tag auf den anderen, einfach weg.“ Axilla zuckte mit den Schultern und sah nun doch zu Vala auf. Kurz biss sie sich auf die Unterlippe, auf der schon eine Frage lag, aber sie ließ es. Was sollte sie ihn denn auch fragen? 'Findest du mich hübsch oder sagst du das nur so?' Wenn nicht noch etwas direkteres... Nein, nein, sie hielt jetzt vielleicht lieber den Mund. Auch wenn ihre Unterlippe dafür malträtiert wurde.
    “Wahrscheinlich hast du recht, es ist belanglos, wie er gestorben ist. Oder wo. Es wäre nur interessant gewesen, zu erfahren, wo er denn hinverschwunden ist. Naja... du weißt nicht zufällig, was jetzt mit meinem Geld geschieht?“ Axilla hatte dafür jetzt natürlich keine Quittung. Wieso auch, sie war davon ausgegangen, dass er ein Cousin wäre? Wenigstens hatte sie aus dieser Erfahrung die Lehre gezogen, niemandem mehr ganz so blind zu vertrauen. Naja, zumindest ein wenig misstrauischer zu sein.

    Zufall, Unglück, das war im Endeffekt doch alles ein Ausdruck des Willens der Götter. Gab es denn sowas wie Pech überhaupt? Es gab Philosophen, die alles auf eine logische Folge von Ereignissen zurückführten. Wieder andere betrachteten die Welt als Spielball der Götter die nur so im Vorbeigehen eben das Leben der Menschen durcheinanderbrachten. Aber im Grunde war es so, dass einem schlimme Dinge passierten, weil etwas einem etwas böses wollte und man nicht die nötigen Schutzmaßnahmen ergriffen hatte. Meistens jedenfalls.
    Und Axilla dachte wirklich, dass sie verflucht sei, und dass dieser Fluch sie auch weiterhin begleiten würde. Sie war schon vor langer Zeit zu dieser Überzeugung gelangt, und es fanden sich nur immer mehr und immer neuere Beweise dafür, dass es so war. Auch wenn Serrana dafür Erklärungen fand, die rein objektiv betrachtet ja durchaus logisch waren. Nur allein die schiere Anzahl an Zufälligkeiten widersprach ihr. “Vielleicht... ist Silanus... aber auch zu krank... zum schreiben“, schniefte sie in einer Phase, wo sie sich ein wenig beruhigt hatte, nur um danach noch einmal umso heftiger zu weinen, als Serrana sie nach der geplanten Scheidung fragte.
    Es dauerte eine ganze Weile, bis sie wieder so weit Luft bekam, um wieder zu reden. Sie hob einmal den Kopf, auch wenn sie vor lauter Tränen rein gar nichts sah, und schüttelte den Kopf. “Er hat... Lenader... ich meine, ich bin mir sehr sicher... das er... damit zu tun hatte. Oder... es zumindest ausgenutzt hat.... mit seinen Wachen... damit er mich ganz für sich... hat. Damit ich... nirgends hin kann, ohne dass... er es weiß und... er war immer so... so eifersüchtig. Und er hat... gedroht, Vala etwas anzutun... er hat ihm sogar eine Falle... gestellt. Hat ihn in den Palast gelockt, mit einer falschen Einladung. Und hat ihm gesagt, er wird ihn umbringen. Kannst du dir das vorstellen? Er hat Quartos Siegel benutzt, um ihn hinzulocken. Und wenn er nicht gewusst hätte, dass ich ihm das niemals verziehen hätte, stell dir vor, was er getan hätte? Er hätte... ich meine, ich bin mir sehr sicher, dass er Vala etwas angetan hätte.“ Je mehr sie sprach, umso mehr beruhigte sich ihr Atem wieder, und umso flüssiger konnte sie reden. Ihre Tränen versiegten auch langsam, weil einfach nichts mehr da war, was sie hätte ausweinen können.
    Im Grunde konnte Axilla es verstehen, wenn ein Mann für seine Familie tötete. Ihr Vater war Soldat gewesen. Er hatte im Krieg gekämpft und getötet, damit Axilla zuhause in Sicherheit war. Er hatte auch Frauen und Kinder von Aufständischen getötet, wenn es nötig war. Er hatte Menschen ans Kreuz nageln lassen, das hatte er mehr als einmal erzählt. Axilla konnte das verstehen, wenn ein Mann so etwas für seine Familie tat. Aber Vala... wenn Archias ihm etwas angetan hätte, das hätte sie ihm niemals verzeihen können. Niemals. Sie würde niemandem verzeihen, der ihm etwas antat. Das wusste sie mit solcher klaren Sicherheit zu sagen wie sonst nichts.

    Er blieb stehen und antwortete auch nicht auf Axillas Frage nach dem Trinken, was die Iunia ein wenig verwirrte. Was hatte er denn auf einmal? Hatte sie irgendwas angestellt, von dem sie nichts wusste? Oder hatte er entschieden, dass er lieber möglichst wenig mit der Witwe des Mannes zu tun haben wollte, der den Mann, der über sein Wohl und Wehe im Cursus Honorum entscheiden konnte, beleidigt hatte? In jedem Fall war es ein kleiner Stich, der sie recht effektiv ernüchterte und das letzte bisschen ihres Lächelns vertrieb, bis nicht mehr als die Maske eines solchen zurückblieb. Aber selbst die fiel, als er den Namen nannte, wegen dem er gekommen war.
    “Ah“, machte Axilla. “Der.“ Ihr Gesicht spiegelte gerade nur zu deutlich wieder, dass sie der Person hinter dem Namen herzlich wenig Sympathien entgegenbrachte. Eine Sekunde später hatte sie sich gefangen und begab sich in die Rolle einer römischen Matrone. Eigentlich war es ganz einfach, sie musste nur gerade stehen und sachlich bleiben und ignorieren, dass Vala so komisch war. Und ignorieren, dass sie das störte. Und ignorieren, dass sie es ignorieren musste. Ganz einfach, oder?
    “Würde mich auch wundern, wenn über den Unterlagen existierten. Soweit ich das herausfinden konnte, ist das ein Erbschleicher, der sich den Namen gegeben hat, um sich hier Geld zu erbetteln. Mein Geld, um genau zu sein.“
    Es fühlte sich falsch an, so zu reden, so ernst zu sein und so gerade. Ein kurzer, hoffnungsvoller Blick ging hoch in seine Augen. Sag doch was! Ein Kompliment, oder... irgendwas Persönliches. Nur was Kleines... Aber sie blinzelte ihn sofort auch wieder weg, blickte zur Seite. “Weißt du, wie und wo er gestorben ist?“ Das letzte, was sie von ihm gehört hatte, war, dass er sich mit ihren zehn Aurei in Richtung Süden aufgemacht hatte.

    Nun, was verlangte sie denn dafür? Eigentlich war Axilla froh, wenn sie das Ding los hatte. Wenn sie sie unbedingt hätte behalten wollen, würde sie sie ja behalten. So war es ja nicht. Aber natürlich handelte sie viel zu gern, um sie dem Tiberius einfach hinterher zu werfen. Vor allem, da sie annahm, dass die Patrizierfamilien nicht gerade verarmt waren.
    “Nun, es ist eine gute Weberei. Erst vor zwei Monaten habe ich die Webstühle erneuern lassen. Ich denke, 700 ist ein durchaus fairer Preis.“ Eigentlich war es das dreifache von dem, was Axilla haben wollte, aber... sie handelte einfach gern! Und niemand, der etwas auf sich hielt, nahm das erste Angebot an. Zumindest nicht auf den Märkten von Alexandria. Ob es in Rom tatsächlich auch so war, wusste Axilla nicht einmal, aber auf dem Xenai Agorai hatte sie das wortgewaltige Handeln immer sehr genossen. “Aber natürlich können wir da gerne verhandeln.“

    Nunja, auch unter den Römern gab es durchaus Spinner, die meinten, dass der große Tag des göttlichen Zorns nicht mehr fern sei. Einige der gallischen Peregrini verkündeten auch, dass ihnen der Himmel auf den Kopf fallen würde. Aber es war viel lustiger, die Christianer zu verspotten, weil deren Glaube so abstrus erschien. Und so schrecklich intolerant war. Für sie existierten die römischen Götter ja nicht einmal, oder die aller anderen Völker. Die Römer veralberten vielleicht die Ägypter mit ihren Tiergöttern, aber sie existierten für sie sehr wohl.Nur diese Leugnung der Christianer machte die ganze Sache furchtbar kompliziert.
    “Keine Ahnung, aber die kommen ja auch auf den Gedanken, irgend so ein Aufständischer wär ein Halbgott gewesen. Ich denke, man muss an und für sich schon ziemlich verrückt sein, wenn man zu denen gehören will.“ Axilla zuckte grinsend mit den Schultern.


    Dass Nigrina etwas strenger wohl im Umgang mit Sklaven war, merkte Axilla spätestens bei ihrer Bemerkung über den Parther. Dieser kam auch gleich darauf wieder zu ihnen auf die Tribüne und begrüßte sie mit einem Nicken. Axilla lächelte noch immer, als sie kurz zu ihm aufsah, und sah deshalb gleich wieder beiseite. Nicht, dass die Flavia noch auf die Idee kam, Axilla hätte ihren Sklaven angelächelt. Der war zwar durchaus sehr schnuckelig. Und er hatte graue Augen. Aber Axilla würde nicht fremder Leute Eigentum anschmachten oder den Eindruck erwecken, es zu tun.
    “Oh, Malachi ist sehr vertrauenswürdig. Der Lanista hat es mir zwar sowieso versichert... hat wohl irgendwas damit zu tun, dass sie auch absoluten Gehorsam und Treue schwören oder so. Auf jeden Fall bin ich in der Hinsicht durchaus zufrieden mit ihm.“ Über mangelndes Vertrauen zwischen ihnen beiden konnte Axilla wirklich nicht klagen. Sie vertraute Malachi. Das hatte sie aber auch von Anfang an, seit sie ihm in seine grauen Augen gesehen hatte, die so streng einfach immer nur geradeaus sahen. Vielleicht sollte sie inzwischen mehr von ihrer Naivität abgelegt haben, aber in diesem Fall sah sie dazu keinen Grund.
    Dann kam Nigrina aber darauf zu sprechen, warum sie ihn denn nicht doch mal in der Arena kämpfen lassen wollen würde, und Axilla war ein wenig in Erklärungsnot. Sie konnte ja nicht sagen, dass sie Angst hatte, dass ihm was passierte! Wie klang denn das? Da könnte sie ja gleich selber Gerüchte streuen, sie hätte ihn nicht gekauft, damit er auf sie aufpasste, sondern um sich das Witwendasein ein wenig zu versüßen! Aber sie war nicht um eine kleine Notlüge verlegen. “Nunja, er hat viel Geld gekostet. Wär doch jammerschade, wenn er in der Arena stirbt und das futsch wäre? So viel Geld werfen meine Betriebe nun doch nicht ab, als dass ich mir das allzu oft leisten könnte.“ Dass sie damit offenbarte, dass sie ihr eigenes Geld hatte und nicht etwa ihren Vater, Bruder oder sonstigen männlichen Verwandten angepumpt hatte, merkte Axilla erst, als es zu spät war. Aber egal, sollte die Patrizia ruhig wissen, dass Axilla in der Beziehung etwas freier war als sie selbst und Betriebe führen konnte, die auch noch genug abwarfen, um sich einen Gladiator zu leisten.
    Axilla sah sich auch mal nach Malachi um, der auch wenig später am Rand der Tribüne erschien und dort wie immer wartete. “Nein, ich glaube, er ist fertig. Wenn ich mit herkomme und zuschaue, wart ich meistens, bis er fertig ist. Ich find das Training sehr interessant. Und so entkomm ich auch grad den ganzen Kondolenten.“ Hier war Axilla ehrlich, weil sie nichts schändliches dabei fand. Warum auch sollte sie nicht zuschauen, wenn sie schonmal da war? “Aber meistens geht er allein und kommt danach wieder heim. Ich hab mit dem Lanista einen etwas anderen Vertrag als du geschlossen, aber Malachi hatte ja auch schon eine Ausbildung.“ Axilla überlegte, ob sie die Flavia darauf hinweisen sollte, dass sie sich übers Ohr hatte hauen lassen, aber sie ließ es. Der Zeitpunkt schien ihr dafür nicht ideal, und sie beide kannten sich ja auch kaum.


    Da fiel ihr ein, dass sie eine Frage gar nicht beantwortet hatte. “Oh, und du hattest nach Alexandria gefragt? Ja, ich hab da bis vor etwa einem dreiviertel Jahr gewohnt, im Haus meiner Familie. Mein Vetter war damals dort Tribunus Augusticlavus bei der Legio, und meine Cousine war in der dortigen Politik. Eine sehr schöne Stadt mit sehr interessanten Leuten. Sollte es dich einmal dahin verschlagen, sag mir vorher Bescheid, dann kann ich dir vielleicht ein paar Tipps geben, was man nicht verpassen sollte.“
    Axilla liebte Alexandria nach wie vor, das konnte man ihr auch ansehen und anhören. Auch wenn es wohl unrömisch war, sie fand, Rom konnte da nicht mithalten. Auch wenn sie das so nicht offen sagen würde. Nur gab es in Rom andere Dinge, die sie hier gehalten hatten und weiterhin hielten. Nicht zuletzt, weil sie nicht wusste, wie sicher Ägypten für sie war, solange Terentius Cyprianus an der Macht war. Er hatte Urgulania umgebracht, was würde ihn daran hindern, sie zu töten?

    Dem Gespräch der Männer versuchte Axilla, so gut es ging zu folgen. Allerdings war das nicht ganz einfach, denn da kam so viel Neues auf sie eingestürmt, dass sie gar nicht so recht verstand, was vor sich ging. Von den Unterschieden zwischen übler Nachrede und Beleidigung wurde gesprochen, dass man von Toten nichts konfiszieren, geschweige denn sie verhaften könne. Dass die Urbaner gehen sollten. Axilla sah zu den Prätorianern und fragte sich, warum die die Urbaner nicht einfach rausschmissen. Immerhin war das hier der Palast, und Archias ein Mitglied der kaiserlichen Familie. Aber die rührten sich nicht vom Fleck und ließen die Männer weiter zanken. Imperiosus mischte sich auch noch ein, drohte dem Urbaner – oder zumindest verstand Axilla es so. Und tatsächlich, er ging dann auch mit seinen Kumpanen. Allerdings nicht, ohne noch vorher zu drohen. Und etwas von kaiserlichen Befehlen zu reden, was Axilla NOCH mehr verwirrte. Der Kaiser war doch in Misenum?


    Schließlich aber waren die Urbaner weg, und Piso trat wieder an die Bahre, während sich Centho mit Imperiosus unterhielt. Dass der Flavier weinte, sah Axilla nicht, aber sie hörte es in seiner Stimme. Sie zögerte einen Moment, noch immer sich an ihrem Vetter festhaltend, ehe sie diesen los ließ und einfach einen Schritt nach vorne trat. Dass Imperiosus und Centho sie sehen konnten bedachte sie in diesem Moment nicht, dafür war sie sowieso viel zu verwirrt. Mit der Unschuld eines Kindes umarmte sie Piso einfach von hinten, legte ihren Kopf an seinen Rücken und hielt sich einen zitternden Moment einfach nur an ihm fest. Sie sagte nichts, was sollte sie auch sagen? Sollte sie sich bedanken, dass er ihr das abnahm? Sollte sie ihm ihr Mitleid für den Tod der Schwester aussprechen, die sie nichtmal kannte? Noch dazu, wo Piso ihr immer recht deutlich seine Ablehnung gezeigt hatte? Dass sie ihn da vielleicht nicht unbedingt umarmen sollte, daran dachte sie auch nicht. So nah war sie ihm schon seit jenem Morgen im Dezember nicht mehr gewesen, aber auch daran dachte sie nicht. Sie wollte nur einen Moment das ausdrücken, was sie fühlte. Dankbarkeit und Unsicherheit. Und das ging nicht mit den Worten, die sie kannte.
    Ebenso wortlos ließ sie ihn los, sah sich noch einmal verwirrt in dem Raum um. Ihr Blick streifte Archias, und ihr ganzer Körper wurde wieder von einem deutlich sichtbaren Zittern erfasst. In ihrem Geist stiegen wieder die Bilder des eben gesehenen auf, und sie flüchtete wieder an Senecas Seite, griff hilfesuchend nach seiner Hand. Weit entfernt von der Würde einer römischen Matrone sah sie ihn flehentlich an. “Ich will heim... flehte sie ihn ganz leise an. Sie wollte nicht hier sein, das war ihr alles zu viel. Diese Traurigkeit, der Tod, der Anblick, die Trauernden, die noch kommen würden. Sie wollte nur weg.

    Axilla konnte und wollte im Moment nicht darüber nachdenken, wie die Sache wohl für Piso war. Wenn sie das tun würde, würde sie vermutlich noch viel mehr weinen als jetzt schon. Piso hatte Archias wirklich geliebt, wenngleich eben wie Freunde das taten. Bestimmt spürte er wirklichen Schmerz über den Tod seines Freundes. Axilla hingegen... sie kam sich unendlich grausam und kalt vor, aber da war im Moment nichts. Einfach nichts. Leere. Sie fühlte Schmerz, aber den des Selbstmitleides und der Verzweiflung. Und den der Erkenntnis, dass man etwas war, was man nicht sein wollte.


    Axilla weinte, und irgendwo durch den Schleier drangen die Worte ihrer Cousine an sie. Warum sie verflucht war? “Ich weiß es niiiicht“ kam heulend und schluchzend die Antwort, das langgezogene I hoch getragen von brüchiger Stimme, während sich ihr Kopf noch ein wenig tiefer unter ihre Arme vergrub. Ihr ganzer Körper wurde vom Schluchzen erfüllt und zuckte im Takt der japsenden Atemzüge.
    “Jeder, den... ich liebe... stirbt... oder geht weg... wird krank.... jeder... ich.... Silanus ist krank.... Urgulania... tot“ Axilla steigerte sich immer mehr ins Weinen hinein, und so kamen die Worte nicht mehr zügig, sondern immer durchbrochen von lautem Schluchzen und schnappendem Atemholen. “Und Vater... er...ich hab... ihn so sehr... geliebt... und er... ist tot... und.... und Archias... ich hab... ihn nichtmal... so richtig, weißt du?... Ich meine... nicht so... tief... und trotzdem... er... er ist... ich wollte ihn verlassen... heute morgen... er wusste nichts davon. Aber trotzdem.... und du... du sagst, du stirbst auch.... das ist alles meine Schuld!“
    Auch wenn es für die Welt da draußen wohl keinen Sinn ergeben würde, in Axillas Kopf drinnen ergab gerade alles einen ganz fürchterlichen Sinn. Alle um sie herum starben, jeder, der ihr nahe stand. Vielleicht sollte sie einfach das Schwert ihres Vaters nehmen und sich in die Klinge stürzen, um die anderen Menschen um sie herum zu retten. Serrana, und auch Seneca. Und Vala. Sie wusste nicht, was sie tun würde, wenn ihm auch etwas zustoßen würde, ihretwegen. Sie wusste einfach nicht, wie sie das ganze aufhalten konnte.

    Ein kleiner Wink genügte, und einer der unsichtbaren Schatten am Rand des Tablinums machte sich sogleich auf dem Weg, dem Gast das gewünschte zu bringen. Kurze Zeit später fand sich ein schöner Becher mit Wein in Lupus Händen, während Axilla sich mit Saft begnügte. Es war noch nie gut ausgegangen, wenn sie Wein getrunken hatte. Nicht ein Mal. Da wollte sie das heute lieber gar nicht erst versuchen. Und ob nun Traubensaft oder Wein, im Becher sah man keinen Unterschied.


    “Also, Tiberius, du möchtest über meine Weberei verhandeln?“ half sie dem Tiberier in den Gesprächseinstieg, als dieser so schweigsam da saß. Araros hatte ihn ja so angekündigt, da konnte sie das wohl aufgreifen.

    Na, komm, sag etwas Freches! 'Wusst ich doch, dass dir mein Hintern gefällt!' oder 'Gut, dann zieh ich beim nächsten Mal was kürzeres an!' oder so. Hopp! Aber auch, wenn Axilla gern so etwas schlagfertiges gesagt hätte, sie traute sich nicht. Bei anderen konnte das schon passieren, oder wenn sie betrunken gewesen wäre – oder auch nur einen leichten Schwipps gehabt hätte. Aber bei Vala... sie konnte einfach nicht. Sie lächelte ihn nur etwas schüchtern an, bemüht, nicht rot zu werden. Sie wollte gerne einfach nur eine perfekte, römische Matrone sein, wie Urgulania war – auch wenn die nie so sprachlos gelächelt hatte. Und rot war sie nach Axillas Kenntnisstand auch nie geworden. Von daher war Axilla von ihrem Ziel noch meilenweit entfernt.
    Ein Glück, dass Vala sich da weit besser unter Kontrolle hatte. Er war so ruhig und sicher wie immer, und wie immer kam er gleich auf das zu sprechen, was ihn herführte. Und das war – ebenfalls wie wohl immer – nicht in Axillas Person an sich begründet. Ihr Lächeln wurde weniger, und erstarb schließlich ganz, als er meinte, es ginge um eine Erbschaft, die sie beträfe. “Oh... achso...“ War ja klar, dass früher oder später mal deshalb kommen würde. Nur hatte Axilla nicht damit gerechnet, dass Vala kommen würde. “Ich wollte noch zu Salinator gehen, wegen... dieser Sache, aber... naja, ich hab nicht gedacht, dass jemand extra zu mir geschickt wird. Ich hätte mich vielleicht früher darum kümmern sollen. Andererseits, eigentlich ist es ja gut so, so kommst du mich mal wieder besuchen.“ Ein leichtes Lächeln, das aber nicht die Intensität des vorangegangenen erreichte, unterstrich ihre Worte.
    Axilla sah kurz über das Chaos, was sie angerichtet hatte, zu der bequemen Kline, die nach wie vor in der hellsten Ecke des Raumes stand. Sie hatte sie nicht wegräumen lassen, nachdem es ihr wieder besser gegangen war, sie fand es eigentlich recht praktisch. “Möchtest du dich setzen? Und vielleicht etwas trinken?“

    War das da die Rolle? Nein, irgendwie nicht. Eine Hand zur Absicherung an der Seitenwand des Regals, suchte Axilla mit der anderen gerade fleißig die Schriftrollen durch, die sich hier oben versteckt hielten. Sie bemerkte zwar die Bewegung aus den Augenwinkeln, dachte sich aber nichts dabei. Erst als die Stimme nicht zu ihren Erwartungen passte, schreckte sie leicht zusammen. Ihr Körper versteifte sich kurz und ihre Linke, die eben noch fröhlich vereinzelte Schriftrollen angehoben und mit den Fingern leicht geöffnet hatte, um eine einzelne Textzeile zu erhaschen, machte eine kleine, ruckartige Bewegung. Mit dumpfen Poltern ergossen sich einige Schriftrollen purzelnd auf den Boden, was Axilla noch einmal leicht zusammenzucken ließ.
    Das war peinlich! Sie hing hier im Regal wie ein Affe, und Vala... Was machte der eigentlich hier? Vorsichtig sah sie über ihre Schulter zu ihm. Das erste mal, dass sie zu ihm herunterschauen musste, und nicht herauf, hatte er doch gerade perfekten Blick auf ihren Allerwertesten. Seine Bemerkung kam ihr jetzt erst richtig zu Bewusstsein, und sie wurde ganz leicht rot. “Oh, Vala, ich.. entschuldige, ich dachte, du wärst wer anderes und...“ Fast schon hektisch blickte sie sich nach dem Hocker um, und als sie ihn fand, ließ sie sich schnell runter. Sie konnte hier ja nicht im Regal bleiben. Innerhalb allerkürzester Zeit war sie wieder auf dem Boden, sah kurz verlegen auf das Chaos, das sie angerichtet hatte und bemühte sich, sich irgendwie daran zu erinnern, wie sie verdammtnocheins würdig aussehen konnte, trotz alledem. “Ich hatte nicht mit Besuch gerechnet, sonst... wär die Begrüßung etwas besser ausgefallen. Entschuldige bitte.“
    Noch einen Moment des peinlichen Berührtseins sah sie unsicher zu ihm auf, dann versuchte sie, es einfach zu überspielen. “Schön, dass du da bist!“ Etwas intelligenteres fiel ihr im Moment nicht ein, und auch nichts, das ihr irgendwie ein bisschen Würde wiedergeben könnte.

    [Blockierte Grafik: http://img39.imageshack.us/img39/9646/araros.jpg]


    "Ebenfalls verdammt gut geraten, Duccius", erwiderte Araros leicht den Scherz, wenngleich es bei ihm dennoch ruhiger und emotionsärmer wirkte als bei dem Germanen. "Sie ist in der Bibliothek und wird sich sicher freuen, dich zu empfangen. Tritt bitte ein."
    Araros wusste, dass Axilla den jungen Burschen gern hatte. So, wie sie seinetwegen strahlte, konnte man das nicht übersehen, und wenn man noch so sehr weg sah. Auch wenn außer Anhimmeln nichts gewesen war. Dennoch erlaubte sich der Ianitor hier den Schluss, dass sich seine Herrin auch dieses Mal über den Besuch freuen würde.