Beiträge von Iunia Axilla

    Zum Glück waren heute die Wächter mal auf Abstand geblieben. Ansonsten hätte sich Axilla auch schlichtweg geweigert, mit Archias auf den Markt zu gehen. Sie konnte diesen Pulk an Beschützern einfach nicht mehr ausstehen! So überhaupt kein noch so klitzekleines bisschen!
    Und Einkaufen mochte sie eigentlich auch nicht so besonders. Gut, mal gucken, was es gab, hier und da etwas Firlefanz, aber das hier grade war schon fast beängstigend. Archias, ihr Mann, ging gerne einkaufen. Also, so wirklich gerne. Dagegen waren ihre Einkaufstouren auf der Suche nach neuem Flitterkram für die Frisur ja harmlos.


    Archias hielt jetzt schon mindestens zehn Minuten eine Öllampe – wohl gemerkt eine, die sie nicht brauchten – in den Händen und drehte sie hin und her, und sah sie sich an. Sie glitzerte. Sie funkelte nicht nur, nein, sie glitzerte. Das war das gröbste Stück Kitsch, das sie heute gefunden hatten. Okay, abgesehen von den aber wirklich sehr praktischen Schmetterlingshaarnadeln mit diesen hübschen, blauen Steinchen an den Flügeln dran. Die waren ja aber wenigstens noch zu was nützlich! Die Lampe brauchte doch keiner.
    “Und wo willst du die hinstellen? Ihr habt doch überall Lampen?“
    Axilla konnte im Bezug auf den Palast immernoch nicht einmal 'wir' denken, sondern nur 'ihr'. Und das Ding war wirklich furchtbar kitschig.

    Im Grunde mochte Axilla die Sklavenmärkte nicht. Sie war zwar sicher keine dieser seltsamen Weltverbesserer, denen jeder Sklave ob seines Schicksals so unendlich leid tat, dass sie sie Herzen und knuddeln mochten, und auch war sie niemand, der an dem System der Sklaverei etwas ändern mochte. Nein, Axilla mochte Sklavenmärkte nicht, weil sie noch nie selber einen Sklaven gekauft hatte, und sie sich fühlte, als würde sie Leander verraten, wenn sie es jetzt doch täte. Und sie wollte ihren Sklaven nicht ersetzen.
    Dass sie immernoch mit so vielen Wachen herumrannten nahm Axilla Archias übel. Mehr als einmal bekam er einen mehr als angenervten Blick, wenn Axilla wieder einem auf den Fuß trat, und eines war klar: Würde er das nicht ganz schnell abstellen, würde es mächtig ärger geben. Er hatte ich versprochen, sie konnte sich selber aussuchen, wen sie als Wache wollte, und diese fünf Aushilfspausenclowns waren das ganz sicher nicht. Sie wusste zwar noch nicht, wen, aber ganz sicher nicht jemanden, der ständig im Weg herumstand.


    Auf einem Podest in der Nähe wurde gerade ein Sklave angepriesen, und Archias blieb stehen und hörte zu. Axilla hörte gar nicht so genau hin, sie wollte ja ohnehin nicht einmal in Versuchung geraten, jemanden zu kaufen.
    “Hm?“ machte sie also als erstes schaute nur halbwegs interessiert hoch zu dem Mann, den Archias wohl meinte. Ganz ruhig stand der da, fuhr sich gerade mit der Hand über den leichten Bart. Axilla zuckte mit den Schultern. “Ja, vielleicht.“
    Sie sah wieder hoch zu dem Mann. “Was meinst du, woher er stammt, wenn er so viel kann? Achaia?“ Vielleicht sogar Alexandria. Wenn er so gebildet war, wie der Verkäufer versprach, war das sogar möglich. Wobei er dann wohl eher direkt in Aegyptus verkauft worden wäre.


    Axilla drehte leicht den Kopf, als sie den ersten Bieter hörte. Sedulus war es, der Mann ihrer Cousine. Axilla lächelte ihm kurz zu, war sich aber nicht sicher, ob er es überhaupt sah. Sie wandte sich wieder an Archias. “Und findest du das wirklich so teuer? Immerhin hat er ja auch Bildung. Meinst du, er kann Koine?“ Axilla hatte schon so lange kein Griechisch mehr gesprochen, dass sie sich schon ganz eingerostet fühlte.

    Och, ein paar Tage waren ja nicht schlimm. Axilla kannte das ja schon von den Wachen in Basileia, das hier war im Grunde genommen nichts anderes. Nur dass die Soldaten hier eben die schwarzen Rüstungen der Prätorianer trugen und nicht die der Legion. In ein paar Tagen würde sie auch alle Wachen kennen, sich sicher mit den meisten schonmal unterhalten haben beim Weg rein oder raus aus dem Palast, und dann kannte man sich sowieso. Axilla machte sich da gar keine Gedanken.
    “Naja, eher flüchtig. Er hat am selben Tag wie meine Cousine geheiratet, da haben wir ihn kurz gesehen.“
    Axilla zuckte leicht mit den Schultern. Im Grunde war es ja auch wurscht, ob der Centurio sie kannte oder nicht. Wie der Prätorianer schon gesagt hatte, vermutlich würde das sowieso noch höher weitergeleitet werden. Irgendwer würde eine Liste haben, wo alle Berechtigten draufstanden, und am Ende landete die wahrscheinlich bei Archias im Archiv

    Er sagte nichts mehr, und sie sagte auch nichts mehr. Was sollte Axilla auch sagen? Ein Teil ihrer Traumwelt war gerade an der Realität zerschellt, und das war nichts, worüber sie gerne reden wollte. Es war schwer, zu sehen, dass der Traum, den man im Kopf hatte, nicht dem entsprach, was man vor sich hatte, und für Axilla gleich mehrfach. Aber sie wollte darüber nicht reden. Es hätte Archias weh getan, und ihm noch mehr weh tun wollte sie auf gar keinen Fall.


    Irgendwann wechselte er das Thema, und zwar so, dass es auch Axilla auffiel. Sie atmete einmal kurz und ruhig durch. Essen. Sie hatte so überhaupt keinen Hunger gerade. Nicht das klitzekleinste bisschen. Aber egal, damit wäre das Thema endlich beendet. Sie konnten etwas essen und dann schlafen gehen. War doch prima. Axilla wusste zwar schon irgendwie, dass heute wohl die erste Nacht sein würde, die sie in getrennten Betten verbringen würden, aber das war ja auch mal nicht schlecht. Sie konnte ja nicht ständig an ihm kleben wie eine Klette.
    “Ja, lass uns aufstehen“, meinte sie nur etwas lahm und machte sich dann auch schon daran, eben selbiges zu tun. In ihrer Frisur waren ein paar Haarnadeln verrutscht, so dass das ganze etwas schief saß. Axilla zog sie kurzerhand heraus, so dass ihre Haare zum Großteil offen über die Schultern fielen. Hier waren sie ja nur unter sich, da war das ja egal. “In der Küche müsste schon was fertig sein. Wir können also gleich essen.“ Wobei sie nicht essen würde, höchstens ein oder zwei Bissen und im Rest nur lustlos herumstochern, ohne sich anmerken zu lassen, dass sie nur lustlos herumstocherte.
    Sie strich sich noch einmal das etwas zerknautschte Kleid glatt und war dann auch schon startklar. “Gut, ich bin so weit, meinte sie noch mit gespielter Freude in der Stimme.

    Eine festere Tunika? Auweh, das war ja in etwa so, als würde man den Tod als einen etwas tieferen Schlaf bezeichnen, oder die Schlachtschiffe der Classis als etwas größere Fischerboote.
    Bei allen anderen Themen verstand Axilla jede Menge Spaß und war für jede Albernheit zu haben, aber in Bezug auf Militär, gerade Soldaten, und auch deren Ausrüstung, da versagte ihr Sinn für Humor vollkommen. Und auch seine folgenden Worte waren für Axilla schlicht albern. “Darum geht es doch gar nicht! Aber es gibt durchaus Situationen, wo man die Zeit hat, sich zu wappnen. Das dauert ja nicht stundenlang! Und... ach... du verstehst das nicht.“ So langsam wurde Axilla ärgerlich, dass er so ganz offensichtlich nicht verstand, aber sie mit aller Gewalt von seiner Meinung überzeugen wollte. Das allerdings wäre eine Aufgabe gewesen, wohingegen die auferlegte Arbeit des Sisyphus wie ein durchaus lösbares Unterfangen erscheinen mochte.


    Und als er seinen Vergleich anbrachte, musste Axilla sich schwer zusammenreißen, um nicht die Augen zu verdrehen. Also wollte er gar nicht lernen, sie zu verteidigen. Konnte er doch gleich sagen, anstatt hier so wie die Katze um den heißen Brei herumzuschleichen. Natürlich fand Axilla das alles andere als toll, aber sein Herumgerede war da viel schlimmer. Und vermutlich konnte er in ihren Augen sehen, dass ihr das alles andere als gefiel.
    “Oder aber, er könnte einfach einen Bauer fragen und sich zeigen lassen, wie es geht. Vielleicht wird er dann nicht ein guter Bauer, aber dann scharrt er auch nicht wie ein Hund in der Erde herum.“ Axilla schmollte. Davon, sie zu überzeugen, war Archias meilenwert entfernt. Aber im Grunde war das auch nicht möglich, da sie in dem Punkt mehr als nur stur war. Aber gut, dann wollte er eben nicht. Sie würde damit schon klar kommen.


    “Du musst ja auch nicht.“ Was sollte sie denn noch sagen, außer, dass er nicht musste? Er war jetzt sowieso schon an einem Punkt, an dem er es nur noch falsch machen konnte. Denn so sehr sich Axilla auch gewünscht hätte, er würde das wollen, so sehr wusste sie, dass er es nicht wollte. Von daher würde sie schmollen, weil er es eben nicht wollte, und sie würde ebenso schmollen, wenn er es nur ihretwegen machte. Von daher war ihr das alles grade einfach nur zu viel und sie wollte auch gar nicht mehr darüber reden. Er war eben kein Soldat. Konnte ja nicht jeder Soldat sein. Hatte sie eben einen Ehemann, der das nicht konnte, na und? Gab ja genügend andere, die es konnten.
    Axilla starrte inzwischen leicht grummelnd irgendwo auf Archis Halsansatz, ohne wirklich hinzuschauen. Im Grunde wollte sie ihm nur nicht in die Augen sehen, denn für sie war das schlimm, egal wie sehr sie sich einredete, es sei es nicht.

    Wutschnaubend war Axilla aus dem Gespräch von Archias und Piso geflüchtet und erstmal tatsächlich in die Küche gegangen, wo es bereits verführerisch nach dem gerösteten Ferkel duftete. Der Koch hatte sie zwar gefragt, was denn los sei, aber sie hatte nur die Hand gehoben und nichts gesagt. Sie war nur dagestanden, bis sie sich beruhigt hatte. Nein, sie würde sich diesen Tag nicht versauen lassen von zwei Idioten! Es war ihr erstes Gastmahl als verheiratete Frau, und das würde sie so professionell wie nur irgend möglich über die Bühne bringen! Und erst Recht würde sie nicht heulen heute, dann verwischte doch der Kohlestift, der ihre Wimpern etwas dunkler gefärbt hatte und die Augen fast wie bei einer Ägypterin betonten – nur weit weniger auffällig.


    Ein Sklave kam in die Küche und wollte gerade etwas Wein aus der Vorratskammer holen, als er Axilla da stehen sah. “Herrin Iunia? Die Gäste sind im Oecus.“ Axilla nickte stumm und sammelte sich letztendlich. Das würde ein großartiges, kleines Fest werden, und sie würde sich das nicht von einem miesepetrigen Aelier und einem noch viel miesepetrigeren Flavier verderben lassen. So! Und nachdem das beschlossen war, konnte sie auch losgehen und ihre Gäste begrüßen.



    Als Axilla den Oecus betrat, befanden sich dort Merula und Imperiosus im gespräch. Sofort hellte sich Axillas Stimmung auf, als sie ihren Vetter sah. Ihr erst matronenhaft zurückhaltender ganz wurde doch mädchenhaft und flink und sie begrüßte Merula erstmal freudestrahlend, indem sie ihm wie schon auf der Hochzeit halb um den Hals fiel und ihn einmal stürmisch drückte.
    “Da ist ja mein liebster Vetter!“ rief sie dabei freudig aus und sah ihn danach halb verschmitzt, halb entschuldigend an. “Sag mal, willst du verreisen?“ spielte sie auf die Tasche auf seinem Rücken an.
    Dann wandte sie sich Imperiosus zu und begrüßte auch ihn, allerdings ohne stürmische Umarmung. “Imperiosus, schön, dass du kommen konntest.“ Sie strahlte ihn an und Archias und Piso waren beinahe vergessen. Sollten die doch rumstänkern, hier war die Gesellschaft so oder so viel besser. Hah!
    “Habt ihr schon was zu trinken? Wein, oder Saft?“ Die Rolle als Gastgeberin war ungewohnt, aber Axilla würde schon reinfinden.

    Wenn er nicht wusste, was er meinte, warum fragte er dann danach? Axilla hatte das Gefühl, ihren Mann im Moment so gar nicht zu verstehen. Erst fragte er sie etwas, und dann konnte er nicht erklären, was er damit meinte. Woher sollte sie dann wissen, was er damit gemeint hatte?


    Sie lag also nur da und das Gespräch begann wieder, in zunehmendem Maße schwierig zu werden. Warum konnte er es nicht einfach gut sein lassen? Mussten sie das jetzt bereden? Und vor allem, was konnte jetzt sie da dafür?
    Mit einem mal war die Nähe und Vertrautheit des Moments irgendwie dahin, und Axilla rollte leicht mit der Schulter, ehe sie ein Stückchen von ihm wegrobbte, um sich herumzudrehen. Offenbar wollte Archias jetzt nicht schmusen und es einfach gut sein lassen, sondern er wollte reden. Und Axilla konnte da nicht so einfach liegen bleiben und weiter genießen, wenn es mit zunehmendem Maße unangenehm wurde wegen des Gesprächs.
    “Ich dachte, dass du eine Rüstung auch haben willst, nicht, dass das eine Strafe für dich ist. Du sollst das nicht mir zuliebe tun. Du sollst gar nichts nur mir zuliebe tun. Entweder, du willst etwas tun, oder du willst es eben nicht.“ War denn so schwer zu begreifen, dass Axilla einfach wollte, dass er das auch wollte? Sie wollte ihn doch nicht ummodelieren und ihm etwas aufdrängen! Und er tat so, als wollte sie ihm was böses!
    Und auch schon die nächste Frage, die nun wirklich fast schon gemein war. Dachte er das denn von ihr? Axilla musste erstmal durchatmen, um die Worte zu ordnen, die ihr im Kopf rumspukten. Heute war er aber auch wirklich furchtbar kompliziert. Und alles nur wegen einer dämlichen Wachstafel, die ein dämlicher Scriba in die Latrine geschmissen hatte! Und sie musste das jetzt ausbaden!
    “Das hab ich so doch überhaupt gar nie gesagt! Aber... von einem Zimmermann verlangst du doch auch nicht, ein Haus zu bauen, ohne dass er Hammer und Nägel benutzt, oder?“ War das denn so kompliziert? “Und ein Schwert und eine Rüstung sind eben genauso Werkzeuge! Ist es denn so falsch, wenn ein Mann damit umgehen können soll?“
    Archias war einfach kein Soldat. Und sein Vater war auch keiner gewesen. Dann hätte er sie sicher verstanden. So aber verstand Axilla überhaupt nicht, was er denn jetzt hatte. “Ich will dir doch nichts böses“, echauffierte sie sich noch und sah ihn dann verständnislos an.

    Eigentlich hätte Axilla sich gerne zu Archias umgedreht. Sie wollte gerne sehen, was er dachte. Worte waren so trügerisch, aber Augen waren da meist ehrlicher. Doch auf der anderen Seite wollte sie sich nicht von ihm lösen, um sich herumzudrehen. So lag er direkt an ihr, seine Hand an ihrem Bauch, seine Nase an ihrem Haar, und sie konnte seine Nähe und Wärme fühlen. Das wollte sie jetzt nicht aufgeben. Nichtmal dafür, ihn ansehen zu können.
    So aber blieb sie liegen, als er ihr seine seltsame Frage stellte. “Was hat das mit Stolz zu tun?“ fragte sie etwas verwirrt. Axilla war ihr Stolz nicht wichtig. Auch nicht, dass andere Stolz auf Archias wären. Das war ihr recht egal. Wie er auf die Frage kam, verwirrte sie.
    Und als er dann seine zweiten Worte wählte, machte sich ein sehr schaler Beigeschmack in ihr breit. Wenn sie es wollte, kaufte er eben eine Rüstung? Axilla wollte nicht, dass er eine Rüstung hatte, sie wollte, dass er eine Rüstung haben wollte. Wenn er es nur ihretwegen tat, damit sie ruhe gab, dann lag die doch nur irgendwo in seinem Chaos, und die Nützlichkeit wäre ganz für die Katz. Sie wollte ihm damit doch nichts böses tun.
    “Musst du nicht. Wenn du keine willst und das auch nicht können willst, musst du das nicht.“ Axilla würde sich damit schon abfinden. Sie wollte Archias nicht dazu zwingen oder überreden, das zu tun.

    Er sagte nichts weiter zu ihrer Entschuldigung, und auch Axilla ließ es gut sein. Sie wollte das Thema nicht erneut aufheizen und wollte es lieber ganz und gar vergessen. Sie kuschelte sich nach ein paar Momenten wieder weiter zurück in Archis Umarmung und ließ ihren Geist einfach treiben. Ob sie schlafen konnte, wusste sie jetzt nicht, aber sie fühlte sich müde und liebesbedürftig. Daher war Kuscheln wohl mit eine der besten Möglichkeiten.


    Eine Weile schwiegen sie wieder beide, ehe Archias dann doch noch einmal das Wort ergriff. Über seine erste Frage war Axilla so verwundert, dass sie mit der Antwort zögerte. Natürlich wollte sie, dass er Schwert und Rüstung besaß. Sonst hätte sie das vorhin ja nicht gesagt. Was also meinte er jetzt damit?
    Doch da kam auch schon die zweite Frage, die die erste erklärte. Axilla rührte sich leicht, konnte sich aber nicht drehen, ohne dafür zuerst von Archias wegzurücken, was sie aber nicht wollte. So griff sie nach seiner Hand auf ihrem Bauch und streichelte diese sanft und leicht.
    “Ich liebe dich, Caius. Ich weiß, dass du kein Soldat bist. Und anders wärst du mir auch nicht lieber.“
    Sie blickte im Raum herum, als läge irgendwo die Antwort, und suchte dabei nach den richtigen Worten. Die ganze Zeit fuhr sie an seiner Hand entlang, an seinen Fingern, den Fingernägeln, und wieder hinunter zum Handgelenk. Das war so schwierig.
    “Es ist nur... du verstehst das nicht. Wenn du meinen Vater gekannt hättest, dann würdest du es vielleicht... ich meine...“ Wie sollte sie erklären, was sie selbst kaum verstand? Das war ja nicht eine mathematische Gleichung mit nur einer richtigen Lösung. Das hier war so ein Wirrwarr, dass sie nicht einmal wusste, wo anfangen, um es zu entwirren. “Weißt du, ich hab mich immer so sicher gefühlt, wenn er da war. Er hat mich beschützt. Und... ich will doch, dass du mich jetzt beschützt. Nicht irgendwelche Leute, die ich gar nicht kenne. Also, ich meine... du sollst ja nicht permanent an mir kleben oder so. Ich will nur... weißt du, dieses Gefühl... ich.... ich kann das nicht erklären....“
    Axilla atmete einmal tief durch und schaute dann an die Wand, an der die richtigen Worte leider nicht standen. Wie sollte sie das nur vernünftig in Worte fassen?
    “Du musst ja gar nicht Soldat sein. Aber... also... ich finde schon, dass ein Mann wissen sollte, wie... also im Ernstfall, wenn wirklich niemand anderes da ist....“ Sie zuckte mit den Schultern. Was sollte sie denn noch sagen?

    Nach und nach passte sich ihre Atmung der seinen an. Sie fühlte seinen Herzschlag durch den dünnen Stoff ihres Kleides und den etwas dickeren seiner Tunika hindurch, und schloss einfach die Augen. Auch wenn Archias nicht schlafen konnte, weil er Hunger hatte, Axilla wäre so eingeschlafen. Sie hatte nie Hunger, wenn sie unter Anspannung war, und eigentlich war sie das andauernd. Sie aß viel zu wenig, das wusste sie, aber sie konnte einfach nicht viel Essen, wenn sie sich unter Druck fühlte.


    Doch gerade, als Axilla anfing, fast wegzudösen, sagte Archias noch einmal etwas, was sie dann doch wieder weckte. Ihr Körper spannte sich kurz an, was er aber aufgrund der Nähe in jedem Fall fühlen musste.
    “Das tut mir leid, das wollte ich so nicht sagen“, stammelte sie jetzt doch eine Entschuldigung. “Ich war vorhin einfach nur so... wütend, weil ich nicht verstehe, was du gegen die Duccier hast.“ Sie wollte das thema eigentlich nicht wieder aufwärmen, aber sie musste es ihm ja erklären. “Ich hab das nicht so gemeint. Das ist mir nur so rausgerutscht.“

    Als er sich dann doch hinter sie legte, schloss Axilla die Augen. Sie wollte nicht in Gefahr geraten, schon wieder loszuheulen, aber sie fühlte sich im Moment einfach so schwach. Und sie wusste gerade nicht so recht, wie sie mit Archias umgehen sollte. Das war alles so unendlich kompliziert.
    Sie fühlte seine Nase an ihrem Nacken, und kurz war ein Atemzug doch etwas zittriger, als sie wollte. Sie griff nach seiner Hand, die so lose in Höhe ihres Bauches baumelte, und führte diese so um ihren Körper, dass er sie richtig umarmte und seine Hand irgendwo auf ihrem Brustkorb zum liegen kam, wo sie von Axillas Hand auch erstmal festgehalten und rangedrückt wurde.
    “Aber du brauchst doch sowieso jemand neues dafür, wenn ich Arbeit hab. Einen richtigen Scriba...“, versuchte sie den Witz matt zu erwidern. Sie fand es nicht lustig, aber im Moment war ihr auch nicht nach Spaßen.
    Sie rückte noch ein wenig nach hinten, näher an ihn, so dass sie ihn in ihrem Rücken fühlen konnte. Sie brauchte jetzt einfach die Bestätigung, dass er da war und da bleiben würde. Sie brauchte jetzt einfach nur Nähe und Wärme. Sie wollte doch gar nicht mit ihm streiten.
    “Drei.... mal schauen.....“ Das war auch schon wieder so viel. Axilla war es so lange gewohnt gewesen, ganz allein unterwegs zu sein, ohne irgendjemanden. Alexandria war ja auch kein ungefährliches Pflaster gewesen, und dort war sie auch so lange allein unterwegs gewesen, bis Urgulania ihr das Versprechen abgerungen hatte, immer jemanden mit zu nehmen. Und das war dann Leander gewesen, weil sie dem vertraut hatte. Und diese eine Person zu finden hatte Axilla schon schwer gefunden. Davon dann gleich 3? Sie würde sehen, auch wenn sie es immernoch schrecklich beengend fand.

    Er traute ihr nicht, das zeigte sein Schnauben auf ihre Worte deutlich. Axilla atmete einmal durch und resignierte. War es denn so schwer zu verstehen, dass sie von ihm beschützt werden wollte und deshalb wollte, dass er eine Rüstung und ein Schwert hatte? War das so falsch?
    Archias bewegte sich nicht, schaute nur zu ihr runter. Wie sehr sich Axilla eine einfache Umarmung gewünscht hätte. Aber es kam keine. Er saß weiter einfach nur da, abweisend, und erklärte ihr, sie solle dann halt iunische Sklaven nehmen. Sie resignierte, ließ den Blick sinken und die Spannung aus ihrem Körper weichen. Ein wenig sank sie richtig in sich zusammen, als sie einfach aufgab. Er verstand es nicht, und sie konnte es nicht anders erklären.
    “Ich werde mich nach einem oder zwei umsehen. Mal schauen....“ Sie vermisste Leander. Wie konnte er nur von ihr erwarten, dass sie sich da nach so kurzer Zeit einen Ersatz suchte? Sie fand das grausam. Es war, als würde sie damit sagen, dass er ersetzbar war, austauschbar. Sie wollte eigentlich keinen neuen Leibsklaven haben. Wie sollte sie jemanden finden, dem sie so sehr vertrauen konnte? Aber sie würde es wohl tun müssen.
    Axilla atmete noch einmal durch und rollte sich dann auf die andere Seite, mit dem Gesicht von ihm weg. Sie fühlte sich so müde und ausgelaugt. Sie wollte keine Maske tragen, aber es ging nicht anders, wie es schien. Sie musste sie jetzt nur noch finden. Sie atmete noch einmal lang und schicksalsergeben. Eigentlich hatte sie mit der Cena auf Archias gewartet, immerhin war es schon spät. Aber jetzt hatte sie keinen Hunger mehr, und auch keine Lust, aufzustehen und irgendwas zu tun.

    Septima grüßte auch zurück und fragte nach einem Gespräch später. “Sicher. Gerne“, lächelte Axilla sie an und erwiderte nochmals das Lächeln, das sie von Ursus bekam. Warum Archias mit Patriziern nicht konnte, war ihr ein Rätsel. Meistens waren die doch auch ganz anständig, wenn sie nicht grade komische Sachen machten oder mit der Nase in den Wolken hangen.


    Merula entgegnete zunächst nichts auf ihren Redeschwall, aber Axilla störte das nicht. Ihre Aufmerksamkeit galt sowieso voll und ganz dem Praefectus Urbi. Oh, wenn sie könnte, sie würde ihn zusammenfalten wie eine nicht mehr benötigte Schriftrolle! Kurz fragte sie sich, ob es wohl Verrat war, zu überlegen, ob der Fluch, den sie gegen Terentius Cyprianus ausgesprochen hatte, nicht auch ihn hätte treffen sollen. Wobei Salinator bei der ganzen Geschichte in Axillas Augen ja eher nur Mittelsmann war, der die Anklage gegen den Terentier verhindert hatte, und nicht aktiv ihren Mord in Auftrag gegeben hatte. Zumindest hoffte Axilla das.
    Dennoch waren ihre Blicke auf den Mann fixiert, und innerlich machte sich schon Unruhe in ihr breit. Sobald die Hände der Brautpaare ineinander gelegt worden wären, konnte sie vorgehen und gratulieren und vielleicht... ja, vielleicht.... ganz vielleicht traute sie sich, ihn anzusprechen. Vielleicht. Unter Umständen. Wo war Wein, wenn man ihn brauchte?

    Was sie hätte machen sollen? Irgendwas. Nur nicht einfach nur rumstehen und gucken und gar nichts machen. Ob es was gebracht hätte, das stand auf einem anderen Blatt. Aber tun hätte sie so einiges können. Nur hatte sie es nicht.
    Axilla sagte auch nichts, und das Schweigen zwischen ihnen beiden breitete sich aus, bis es den ganzen Raum zu füllen schien. Irgendwann murmelte Archias doch noch einmal etwas, und Axilla sah wieder zu ihm hin. Er saß noch immer da, die Arme wie schützend vor sich verschränkt. Er hatte sie nicht eine Sekunde berührt in der ganzen Zeit, die er hier war. Axilla sah nur zu ihm halb hoch und musste daran denken. Warum nur war das hier so kompliziert? Warum war es so schwer?
    Sie schwieg eine ganze Weile und sah einfach nur zu ihm hoch. Er sah so verletzt in diesem Moment aus, und Axilla tat das leid. Aber was sollte sie denn machen? Sie konnte ihn nicht anlügen und ihm sagen, dass sie sich anders fühlte, als es war. Sie wollte das nicht. Sie wollte, dass er der eine Mensch auf der Welt war, den sie nicht anlügen musste, bei dem sie nicht so tun musste, als sei sie fröhlich, obwohl sie es nicht war. War das denn so falsch? Musste sie diese Maske, die sie so oft trug, denn wirklich immer getragen werden?
    Sie rutschte ganz leicht auf dem Bett, ließ dabei dann auch endlich das Kissen los, robbte näher an ihn heran. Sie berührte ihn nicht, aber war nun so nah, dass nur einer der beiden wirklich die Hand ausstrecken musste, um den anderen zu berühren. Und Axilla sehnte sich so sehr nach dieser Berührung, nach der Zusicherung, als würde wieder gut werden.
    “Mir passiert nichts.“ Was sollte sie ihm sonst sagen? Ihr war noch nie wirklich etwas geschehen, dass es ihr dabei ans Leder ging. Immer traf es nur die Menschen, die sie liebte. Das war ihr Fluch, davon war sie überzeugt. Und sie wollte nicht, dass Archias der nächste wäre. Aber sie wollte ihn auch nicht verlassen. Wollte ihn nicht verlieren. Sie brauchte ihn doch.
    “Aber ich will nicht von Fremden beschützt werden, Caius. Das ist, als würdest du mir nicht trauen.“ Sie robbte noch ein Stückchen näher, sah zu ihm mit traurigen Augen auf. Sie wollte ihm doch nicht weh tun. Und sie wusste doch nicht, was sie noch sagen sollte.

    Wie die Tür geöffnet wurde, bekam Axilla nicht richtig mit. Ihr Blick war in weite Ferne gerichtet, ebenso wie ihre Gedanken. Wenn man sie gefragt hätte, woran genau sie gedacht hatte, sie hätte es nicht einmal so richtig sagen können. So wirklich bewusst wurde ihr die Anwesenheit eines anderen Menschen erst, als die Matratze leicht nachgab und sich in Archias' Richtung neigte, und sich so ihr eigener Schwerpunkt etwas verlagerte. Sie blinzelte erstmal nur, wendete nicht einmal den Kopf oder dachte auch nur daran, zu sprechen. Sie hätte nichts zu sagen gewusst. Und so hörte sie erst einmal nur zu.
    Als er geendet hatte, schloss Axilla müde für einen Moment die Augen. Was sollte sie ihm nur sagen? Er verstand es einfach nicht. Und egal, was sie sagen würde, es machte es schlimmer, und nicht besser. Aber er hatte einfach unrecht. Sollte sie ihn d dann glauben lassen, er hätte recht?


    Die Stille schien beinahe unerträglich zu werden, ehe Axilla sich doch einmal leicht bewegte. Das Rascheln des Stoffes und des Strohs in der Matratze schien unnatürlich laut in der sonst so gespenstischen Stille, ebenso wie der folgende, tiefe Atemzug, den sie tat.
    “Ich bin schuld an Leanders Tod. Ich weiß das. Er ist gestorben, weil er mich beschützen wollte. Und ich hab nichts getan. Ich weiß das.“
    Axilla drehte sich leicht, drehte ihren Kopf so, dass sie Archias ansehen konnte. Ihr Atem ging ganz ruhig, ihre Stimme war ganz leise. Sie hatte einfach keine Kraft mehr, zu streiten, nicht jetzt. Sie wollte nur noch schlafen. Und dann gehen. Das wäre das beste. Sie liebte ihn doch so. Sie wollte ihm nicht weh tun.
    “Aber es war nur ein Überfall. Jeden Tag wird jemand in der Subura überfallen. Ich hätte da nicht lang gehen sollen. Wenn ich den längeren Weg genommen hätte, dann...“ Ihre Stimme versagte kurz, und Axilla musste schlucken, wandte den Blick aus ihren rotgeweinten Augen dabei ab.
    “Ich liebe dich. Aber das hier... das erdrückt mich. Das ist so groß, so... Ich brauche Freiheit, Caius. Das geht nicht, wenn überall diese Kerle bei mir sind. Das ist wie ein Käfig. Die ganze Stadt ist wie ein Käfig. Und ich hab die ganze Zeit so viel Angst, dass jemand meinetwegen verletzt wird.“
    Wie sehr Axilla Leander doch vermisste. Er war auch ihr Schatten gewesen, aber bei ihm hatte sie nicht das Gefühl gehabt, eingesperrt zu sein. Oder so überwacht zu werden. Ihm hatte sie vertraut. Er hatte ihr gehört, in mehr als einer Hinsicht. Die Wachen... die gehörten Archias. Das war Überwachung. Das war, als würde er ihr die Flügel nicht nur stutzen, sondern sie brechen.
    “Ich will nicht, dass dir etwas passiert, meinetwegen. Jeder, den ich liebe, wird verletzt und stirbt. Leander, Urgulania... mein Vater...“
    Wieder ein weiterer, tiefer Atemzug. Axilla wusste einfach nicht, was sie sagen sollte. Sie hatte doch nur einmal alles richtig machen wollen, und trotzdem lief alles falsch.

    Axilla lag auf ihrem Bett und heulte. Wie lange, wusste sie nicht. Irgendwann war der Punkt erreicht, an dem die Lunge nur noch weh tat und keine neuen Tränen mehr nachkommen wollten. Der Punkt, an dem Axilla einfach resignierte und aufgab. Was machte das denn für einen Sinn? Sie war eben nicht perfekt und würde es auch nie sein. Sie war nicht wie Seiana und würde das auch nie sein. Sie war nur ein dummes Mädchen, das viel zu impulsiv handelte und hier nicht hergehörte. Nicht in dieses Zimmer. Nicht in dieses Haus. Noch nicht einmal nach Rom. Das war eben so. Und der Streit eben hatte es wieder bewiesen.
    Und dabei war das so blöd! Alles nur, weil sie fand, dass ein Mann seine Familie verteidigen können musste. Aber sie fand das eben so! Das war so! War das schlimm? War das so falsch?
    Und Vala... Axilla dachte an Vala. Sie konnte doch ncihts dafür, dass sie ihn so angesehen hatte. Sie konnte doch ncihts dafür, dass sie ihn gern hatte. Das suchte man sich doch nicht aus! Aber dass Archias deshalb so wütend war... sie hatte doch gar nichts getan! Sie hatte ihm doch nie Anlass zur Eifersucht gegeben! Sie hatte ihm ja sogar gesagt, wie sie für ihn fühlte, und das war sicher alles andere als einfach für sie gewesen. Jeder, den sie liebte, der entglitt ihr. Ihr Vater war in einem Hinterhalt gefallen. Silanus war erst von Alexandria nach Germania gegangen, und kaum, dass sie ihn hier in Rom wieder sah, war er krank geworden und aufs Land gezogen. Urgulania war in Alexandria ermordet worden. Und Leander, ihr liebster Leander, war erst vor ein paar Wochen getötet worden.
    Sie war verflucht. Eindeutig verflucht. Sie sollte gehen, ehe noch etwas schlimmeres passierte. Ehe Archias auch davon getroffen wurde und sein Leben ihretwegen verlor. Sie sollte so weit weg gehen wie ihr nur möglich war.
    Sie krümmte sich noch etwas mehr zusammen und kuschelte sich an das vollgeheulte Kissen. Sie wollte ihn nicht verlieren. Aber vielleicht war sie einfach so verdorben, schlecht und verflucht, dass es anders nicht ging? Aber sie wollte ihn doch nicht verlieren....


    Axilla lag einfach da, fast apathisch, und starrte vor sich hin. Wenn sie nur wüsste, was das richtige wäre. Wenn sie das doch nur wüsste...

    Einen Augenblick lang stand Axilla nur konsterniert da. Zum einen war sie baff, dass Piso von der Abtreibung wusste, und dann zum zweiten, als Archias nichts besseres zu tun hatte, als dem aufgebrachten Flavier zu erklären, dass eben jene nicht geklappt habe. Und das mit der kurzen Zeit verstand sie ja nun überhaupt gar nicht. Und Archias offensichtlich auch nicht. Allerdings setzte der dem ganzen dann die Krone auf und verkündete auch noch, wann das Kind denn entstanden war! Warum malte er es denn nicht gleich für alle sichtbar an die Wand? Iunia Axilla hat sich bereits vor einem halben Jahr an einen damals verlobten Mann hergegeben....
    Am liebsten hätte Axilla ihren Ehemann in diesem Moment angefallen. Er redete mit Piso, als wäre sie überhaupt gar nicht da! Und dieser antwortete auch genau so, als könne Axilla nicht hören, was hier gesprochen wurde. Da war es auch nicht unbedingt tröstlich, zu hören, dass Archias sie 'halt liebte'.
    Und dann ging Piso sie auch noch direkt an. Warum sie keine Anzeige erstattet hatte. Ja, worüber denn? Dass sie angegriffen worden war und der Täter danach getötet worden war? Was hätte sie da denn bitteschön anzeigen sollen? Und Leanders Tod als Sachbeschädigung zu betiteln ließ auch einen schalen Beigeschmack zurück. Gut, als Sklave war Leander de facto eine Sache gewesen, aber.... nein, sie konnte so nicht von ihm denken. Aber noch ehe sie ihm an den Kopf knallen konnte, das sie mal lieber gegen ihn Anzeige erstattet hätte, als er sie betrunken gemacht und dann ins Bett gezerrt hatte, kam Archias auch schon dazwischen und fing schon wieder damit an, rumzulamentieren, dass sie ihm bei Vala nicht glaubte. Und schon wieder verbreitete er seine völlig haltlose These. Männer! Die hörten einem einfach nicht zu. Nein, schlimmer noch, sie behandelten einen wie Luft.
    Axilla sah zwischen den beiden hin und her, ballte die Hände so sehr zu Fäusten, dass sie zitterten und drehte sich dann mit einem wütenden Knurren einfach um. Die beiden behandelten sie wie Luft, also würde sie sich in eben selbige auflösen. Sie wollte hier nicht stehen und von beiden fertig gemacht werden, wollte nicht wieder und wieder erklären, dass Vala unschuldig und das alles nur ein Hirngespinst von Archias war. Schon gar nicht wollte sie vor einem anderen, ganz egal, wer es war, Partei gegen Archias ergreifen, aber diese Kerle ließen ihr ja gar keine andere Wahl!


    Axilla verstand nur eins, Piso mochte sie nicht leiden. Zumindest nicht als Archias Frau. Als Betthäschen war sie ihm wohl gut genug gewesen, aber nicht als Frau seines Freundes. Axilla hatte ja schon erwartet, dass es schwierig werden würde, aber das war ihr dann doch zu viel Druck auf einmal. Das wollte sie sich jetzt nicht antun. “Ich seh mal nach dem Essen“, maulte sie nur unbestimmt als Ausrede und ließ die beiden Kerle dann alleine. Archis letzten Satz bekam sie dabei gar nicht mehr mit. Zum Glück, sonst hätte sie bei dieser Wortwahl noch nachgefragt, ob er sich mit den Gästen zu einem Mord verschwören wolle. Als Iunia wusste sie, wie fürchterlich sowas enden konnte, und nicht nur aus diesem Grund hätte sie wohl sofort eingegriffen, ehe ihr Mann sich noch in etwas verrannte.

    GrrrrrrrrrrRRRRRRRRRRRR! Warum verstand dieser Mann sie nicht? War es denn wirklich so schwer zu verstehen? Warum beharrte er so darauf, dass Vala ihr etwas tun wollte und Axilla ihn nicht kennen konnte. Axilla kannte Vala. Das wusste sie mit sicherer Überzeugung. Er war ein Krieger, und Axilla wusste, wie eine Kriegerseele aussah. Sie wusste einfach, dass er damit nichts zu tun hatte. Warum wollte das partout nicht in Archis Schädel?


    Und er widersprach sich selber, fand Axilla. Erst relativierte er wegen Rufus, und dann verallgemeinerte er schon wieder. Das war echt zum Haare raufen. Gut, dass Archias sie schon losgelassen hatte, so kam sie nicht in Versuchung, sich extra noch freimachen zu müssen.
    “Also, mir hat er noch jeden Brief beantwortet, den ich ihm geschrieben habe. Vielleicht steigst du mal von deinem hohen Ross und versuchst das auch. Ich bin sicher, Rufus freut sich und wird dir auch antworten.“ Der giftige Unterton in ihrer Stimme machte den Wahrheitsgehalt ihrer Aussage beinahe zunichte. Aber sie meinte, was sie sagte, Rufus würde sich sicher freuen und bestimmt antworten. Wenn Archias also Kontakt haben wollte, lag es an ihm, diesen herzustellen.
    “Und an wen haben sich die Duccier denn drangehängt? Kennst du die überhaupt? Warst du schonmal in Mogontiacum, oder bist du für das Gebiet da oben einfach so Experte?“ Jetzt musste Axilla noch eine ganze gens verteidigen, mit der sie selber genaugenommen wenig zu tun hatte, nur weil ihr Mann einen davon nicht leiden mochte. Nun, sie konnte auch nicht beweisen, dass die Duccier nicht irgendwelchen Einfluss bei sonstwem genutzt hätten, aber sie glaubte auch nicht, dass Archias es beweisen konnte, dass sie so etwas getan hätten. Und selbst wenn, das war eben Politik. Es widerstrebte Axilla zwar, die eine recht verklärte Vorstellung von Ehre hatte, aber sie war nicht so dumm, nicht zu sehen, dass es so nunmal funktionierte.
    “Und was Vala angeht: Dann hat er halt einen Senator zum Patron. Das haben ungefähr zwanzigtausend andere in dieser Stadt auch!“ Gut, die Zahl war sicher übertrieben, und Axilla wusste auch gar nicht, ob Vala von irgendeinem Senator der Klient war. Sie hatte ihn das nie gefragt und fand das auch nicht nötig. Aber jeder Senator hatte einen ganzen Haufen an Klienten, das war das normalste der Welt. Da Vala einen Vorwurf draus stricken zu wollen fand Axilla reichlich albern. “Was bitte ist daran verwerflich? Du bist doch auch auf deinem Posten, weil dein Vetter der Kaiser ist!“
    Kaum eine Sekunde, nachdem Axilla das gesagt hatte, tat es ihr unendlich leid. Das wollte sie nicht so sagen, das war ihr im Zorn herausgerutscht. “Ich... das hab ich nicht so gemeint...“, stammelte sie kurz, wurde dann aber wieder hart. Nein, sie würde nicht hingehen, und sich entschuldigen! Sie war im Recht! Archias war derjenige, der völlig grundlos ihr hier eine eifersüchtige Szene machte! Und dabei hatte Axilla doch gar nichts getan! Durfte sie jetzt keine Freunde mehr haben, weil sie verheiratet war?


    “Oh, keine Sorge, ich werde dann keinen Ton sagen, weil das nie im Leben passieren wird! brüllte sie ihm noch hinterher, als er an ihr vorbeiging, um das Zimmer zu verlassen. Jetzt ging der einfach auch noch! Und Axilla hatte kein Ventil für ihre Wut.
    Nunja, fast keines, denn ihr Schminktisch war ja schon aufgestellt und hielt ein ansehnliches Arsenal an Tiegeln und Töpfchen bereit. Kaum also, dass Archias zur Tür raus war, schnappte sie sich die feinen Gefäße und schleuderte sie gegen das dicke Holz, jeweils begleitet von einem zornigen Knurren. Zack, der grüne Lidschatten, Peng, der blaue hinterher. Lippenrot und einige Haarspangen hatten nicht so gute Flugeigenschaften und landeten auf halben Weg auf dem Boden. Aber die Puderdose flog ganz hervorragend, als sie in einer Staubwolke an der Wand neben der Tür in Stücke brach.
    Axilla sank daraufhin heulend in sich zusammen. Warum verstand er sie so gar nicht? Warum traute er ihr so gar nicht? Hatte sie ihm Grund gegeben, anzunehmen, sie sei ihm untreu? Oder aber hatte er einfach erkannt, wie schlecht und verdorben sie im Grunde doch war, und wie wenig sie hierher passte? Seiana, die hätte hierher gepasst. Bei ihr hätte er sich sicher auch nicht gestritten. Sie war die perfekte, römische Matrone. Und Axilla? Sie sah zu der Zerstörung, die sie angerichtet hatte, und fühlte sich elend. Sie sah zur anderen Seite, zur Rüstung ihres Vaters, und fühlte sich noch elender. Vielleicht sollte sie besser heimgehen, dann tat sie niemandem mehr weh.
    Aber nicht jetzt. Sie rappelte sich halb auf und ließ sich erst einmal aufs Bett fallen, schnappte sich ein Kissen und zog es an sich. Sie schluchzte, und erstickte die Töne in dem Kissen.


    Wie sehr ihr Leander doch in diesem Moment fehlte...

    “Ja, aber es gibt Unterschiede, wie man jemanden kennt!“ schnappte Axilla zurück. Sie war sich sicher, dass Vala ihr nichts tun würde. Sie hatte in seine Augen gesehen, während er ihre Hand gehalten hatte im Tablinum vor nichtmal 2 Wochen. Und selbst, wenn sie diesen Moment nicht mit ihm erlebt hatte, Axilla wusste einfach, dass er ihr nichts tun würde. Sie konnte es nicht beschrieben, warum, sie wusste es einfach. Dass Archias das nicht einfach akzeptieren konnte!


    Dann aber fing Archias an, die ganzen Duccier auch noch mit hineinzuziehen in seine Ablehnungshaltung Vala gegenüber, und da musste Axilla schon arg nach Luft schnappen. “Hochgeschlafen?“ echote sie halb betäubt und war einen Moment fassungslos. “Kennst du denn überhaupt auch nur einen einzigen Duccier? Oh, stimmt ja, du kennst einen. Duccius Rufus, der übrigens ein verdammt guter Freund von mir ist! Den hast du doch auch kennen gelernt, und den hast du auch zum Essen eingeladen, als er beim Cursus Publicus angefangen hat!“ Das hatte Rufus ihr erzählt, als er bei ihr gewesen war. Das weibliche Gedächtnis war schon eine feine Sache, vergaß alles mögliche, auch wichtige Dinge, aber nach Jahren konnte es winzige Kleinigkeiten im passenden Moment zutage fördern, damit frau sie einem Mann unter die Nase reiben konnte. So wie jetzt mit dieser winzigen Information, der Axilla damals kaum eine Bedeutung zugemessen hatte. “Hat der sich deiner Meinung nach auch hoch geschlafen? Ich will dir mal was sagen, die Duccier sind schon lange Handelspartner von mir, und die haben mich noch NIE übervorteilt oder herablassend behandelt oder sonstwas! Die waren alle samt und sonders immer sehr nette, höfliche und ehrenvolle Menschen! Und grade von dir hätte ich erwartet, dass du nicht so viel darauf gibst, woher jemand stammt!“
    So, jetzt war Axilla wirklich sauer. Dass er Vala nicht leiden mochte und eifersüchtig war, schön und gut. Das konnte sie ja zum Teil noch nachvollziehen. Aber wenn er jetzt auch noch einen der wenigen Freunde, die Axilla überhaupt hatte, nur wegen dem Namen mit durch den Dreck zog, dann hörte der Spaß auf!
    Und das mit Leander war dann der nächste hieb. Wieder stiegen Axilla ungewollt Tränen in die Augen, die sie zornig und rabiat wegfegte. Er wusste, wie sehr sie Leander geliebt hatte! Er hatte gesehen, wie sie darunter gelitten hatte, wie sie immernoch litt, wenn sie nachts schweißgebadet und zitternd aufwachte! Er wusste das! Er wusste, wie sehr er ihr fehlte! Und dann sagte er sowas! Auch wenn er sich dafür gleich entschuldigte, aber der Treffer saß erstmal, und von Trauer und Zorn überwältigt sagte Axilla erst einmal gar nichts.
    Sie war steif wie ein Brett, als er sie in die Arme schloss und sich nochmal erklärte. Sie umarmte ihn nicht und machte auch sonst nichts, sie stand einfach nur da. Sie hasste das. Sie wollte mit Archias nicht streiten. Das hier war so schon schwer genug. Sie wollte nicht ganz allein hier in diesem Haus sein, in diesem Palast, in dieser Stadt. Sie wollte doch nur, dass er ihr vertraute.
    Axilla schluchzte einmal, unterdrückte es dann aber wieder. Sie würde jetzt nicht heulen, auch wenn das einfacher wäre. Auch wenn es sie erleichtern würde und den Streit beenden. Aber sie wollte das jetzt so nicht stehen lassen.
    “Und ich mag es nicht, wenn du so über ihn herziehst. Ich mag ihn leiden. Ich weiß, dass er damit nichts zu tun hat. Egal, was er gesagt hat. Ich weiß, dass er auch dunkle Stellen in seiner Seele hat, aber er ist nicht so schwarz, wie du ihn zeichnest.“

    Er glaubte also wirklich, sie wollte einen anderen? Axilla schnaufte einmal tief durch, als sie sein ernstes 'ja' hörte. Ihr brannte die Frage auf der Zunge, warum er denn sie geheiratet hatte, wenn er doch so davon überzeugt war, dass sie lieber Vala heiraten wollte, aber sie ließ es bleiben. Nicht noch mehr Öl in die ohnehin viel zu heftig brennende Flamme gießen.


    Als sie mit ihrem ganzen Vortrag zu Vala fertig war, hörte sie, wie er aufstand und zu ihr kam. Sie spannte sich innerlich schon an, als er sie dann doch etwas unsanft herumdrehte und sie damit zwang, ihn anzusehen. Trotz blitzte aus ihren Augen, als er sie so ansah, Trotz und Wut. Sie wollte jetzt nicht! Sie wollte ihm nicht in die Augen sehen, sie wollte nicht streiten, sie wollte nicht darüber reden! Sie wollte jetzt einfach nicht! Was sie wollte, das war raus, weit weg, wo sie allein war, wo ihre Gedanken klar waren und sie nicht von all dem Druck Kopfschmerzen bekam.
    Und wieder redete er nur von Vala. Darüber, dass er ihm nicht traute, dass er ihr was antun wollte. Er hörte ihr gar nicht zu! Wie oft musste sie es denn noch sagen?
    “Aber du kennst Vala gar nicht. Du kennst ihn nur von dem fest, und sonst gar nicht. Ich kenn ihn schon viel länger und anders als du. Vielleicht hat er sowas gesagt, aber er würde das nie tun. Niemals würde er mir etwas tun.“ War das denn so schwer zu begreifen? Warum beharrte er darauf, dass sie das anders sehen müsse?
    “Wenn er mir etwas hätte tun wollen, dann hätte er es schon so oft tun können. Aber das hat er nicht. Er hat mich vom Aventin sogar nach Hause gebracht, damit mir nichts passiert! Ich meine... warum sollte er erst das tun, und mir dann was tun?“ Dass Archias da auch so stur sein musste! Warum konnte er nicht einfach akzeptieren, dass Axilla das anders sah. “Du musst ihn ja nicht gern haben, aber vertrau doch wenigstens mir!“