Beiträge von Iunia Axilla

    Irgendwie wirkte Serrana nervös, und Axilla hatte schon ein ungutes Gefühl im Bauch. Sie war ja nicht blöd und merkte natürlich, dass Serrana nach wie vor etwas bedrückte, und so naiv war sie nun doch wieder nicht, zu glauben, dass das nichts mit den vergangenen Ereignissen zu tun haben würde. Daher war sie nicht wirklich überrascht, als Serrana angefangen hatte, darüber zu reden. Ihr selbst wäre es zwar durchaus recht, es einfach totzuschweigen, aber sie konnte es der Cousine nicht antun, diese jetzt mit einer schnippischen Bemerkung abzuwürgen. Vor allem, da Axilla die meiste Zeit nicht aufgebracht genug war, um mal schnippisch zu sein, bei Serrana sowieso nicht.
    Axilla sah hoch in die zweige des Baumes. Noch war da nicht wirklich was zu sehen, aber bald würden aus den braunen Knubbeln an den Zweigen grüne Knospen werden, und dann Blüten und Blätter. An ein paar Stellen war sogar schon das erste Grün zu sehen.
    “Ja... es tut mir leid, ich wollte gar nicht, dass du davon was mitbekommst. Aber Leander hat da einfach... naja, es tut mir leid.“
    Axilla wusste nicht, was sie da sagen sollte. Sie hatte nicht gewollt, dass Serrana das mitbekam, schon gar nicht auf diese Weise. Sie hatte das eigentlich allein für sich ausmachen wollen. Und jetzt war erst alles umsonst.

    Klein würde es sein, und wenn etwas passierte, wohl noch kleiner und gebrechlicher. Axilla blinzelte heftig, irgendwie wollte sie weinen, aber nicht vor Crios. Nicht vor jemandem, der nicht zur Familie gehörte. Sie konzentrierte sich aufs Atmen und blinzelte es einfach weg. Vermutlich würde das Kind nichtmal die ersten vier Wochen überleben. Aber das war doch gut! Dann gab es schon keine weiteren Probleme mehr. Warum also fühlte sie sich nicht gut dabei? Und wenn sie sich anstrengte, ging es sogar noch frühzeitig ab, und sie hatte erst recht kein Problem. Das war ja noch viel besser! Dann würde sie sich ein Pferd kaufen und das machen, was sie schon die ganze Zeit hatte machen wollen: Wild herumgaloppieren und die Gegend erkunden. Und wenn das nichts half, musste sie eben in die Thermen gehen und in der Palästra laufen, bis sie zusammenbrach. Das würde schon irgendwie gehen. Alles kein Problem.
    “Gut... wie lang...“ Sie musste sich kurz räuspern, ihre Stimme klang irgendwie belegt. “wie lang dauert es, bis ich selber verheilt bin und nur noch das Kind betroffen wäre?“ Sie wollte ungern bei der ganzen Sache verbluten. Vorhin hatte Crios was von ein paar Wochen gesagt, aber vielleicht meinte er das auch nur mal wieder, weil er nicht wollte, dass sie das Kind abtrieb. Er hatte ja schon bei ihrem ersten Besuch so herumgedruckst.

    Natürlich kam Axilla, als Adula sie in den Garten bat. Schon allein, weil sie so perplex war, dass die Sklavin gesprochen hatte. Adula hatte noch nie mit Axilla gesprochen, und in ihrer Naivität hatte Axilla angenommen, sie sei gar nicht fähig, zu sprechen. Aber sie hatte sie in ruhigen Worten gebeten, zu Serrana in den Garten zu kommen, und zwar verwirrt, aber dennoch freundlich, hatte Axilla auch zugestimmt.


    Es war schon wieder wärmer, wie Axilla bemerkte, als sie den Garten betrat. Frühling lag in der Luft. Bald würde es sicher anfangen, zu blühen. In nichtmal acht Wochen waren auch die Ludi Florales, wenn alles in voller Blüte stehen würde. Axilla freute sich schon darauf, sie hatte die Nase voll vom Winter und den Regentagen.
    “Salve, Serrana. Du wolltest mich sprechen? Ist etwas passiert?“ Offen und neugierig wie immer ging Axilla auf ihre Cousine zu. Auch wenn diese die letzten Tage und Wochen Abstand gehalten hatte, nahm Axilla ihr das keineswegs krumm. Sie hatte eben auch ihre Zeit gebraucht, um über das Geschehene hinweg zu kommen. Wenn es nach Axilla gegangen wäre, hätte sie es ja auch nie erlebt. Aber es war nunmal geschehen. Das war aber kein Grund für sie, deshalb nun Animositäten gegenüber Serrana zu haben. Unbekümmert setzte Axilla sich einfach zu ihr auf die Steinbank und sah sie offenherzig an.

    Axilla hörte ihm zu, und der Kloß war wieder in ihrem Hals. Wenn sie das Kind behalten und bekommen wollte... also, eigentlich wollte sie genau das nicht. Aber sie hatte auch sicher keinen Mut, nochmal so einen Trank zu nehmen. Es würde auch anders gehen müssen. Schneiden? Nein, auch keine Option. Davon wurde man unfruchtbar, da schnitten die Ärzte meistens zuviel. Und Axilla konnte es nicht riskieren, jetzt doch noch unfruchtbar zu werden. Einmal das zu riskieren war Leichtsinn, mehrfach war Wahnsinn. Also fiel das auch aus. Aber was konnte sie tun?
    Sie überlegte. Wenn sie vielleicht noch bleiben würde, bis ihr Bauch anfing zu wachsen... vielleicht verlor sie es ja auch vorher auf natürlichem Weg, aber wenn nicht... sie konnte das sicher noch eine Weile verbergen. Etwas weniger luftige Kleidung, dann ging das sicher bis zum siebten Monat. Und dann... vielleicht aufs Land fahren, wo sie niemand kannte. Oder nach Ägypten....? Nein, da kannten sie zu viele, lieber irgendwohin untertauchen, wo niemand sie kannte, und das Kind heimlich kriegen. Es vielleicht irgendwo dann lassen, bei irgendwelchen Libertini oder so, wo es aufwachsen konnte, für ein wenig Geld...
    Als Crios meinte, das Kind könne behindert oder dumm zur Welt kommen, krampfte sich in Axilla noch ein wenig mehr zusammen. Das wäre das schlimmste überhaupt für sie. Wenn ihr Kind so werden würde... sie würde es in den Wald bringen. Das konnte sie nicht. Sie konnte vieles durchstehen, wenn es ein gesunder Junge werden würde, könnte sie ihn vielleicht sogar behalten, ganz vielleicht, aber wenn es wirklich behindert wäre... nein, das konnte sie nicht. Das ging nicht. Dann würde sie das Kind im Wald aussetzen und vergessen. Das durchzustehen, das konnte keiner von ihr verlangen.
    Axilla saß in sich zusammengesunken auf dem Bett, die Arme um die Knie geschlungen, und dachte nach. Sie würde nicht aus Verzweiflung heulen! Nicht vor Crios zumindest. Vielleicht nachher, wenn sie allein war, aber nicht so!
    “was heißt, mehr aufpassen? Was kann passieren, wenn ich nicht genug aufpasse?“ sie musste wissen, was sie erwartete.

    Also war es richtig, und Vestalinnen durften überall auf den Ehrenplätzen sitzen. Oder zumindest fast, aber das, was Romana aufzählte, war ja schon beeindruckend genug. Axilla hatte noch nie so einem Spektakel beigewohnt und konnte daher nichtmal sagen, ob ihr das gefallen würde oder nicht, von daher grinste sie nur, als Romana meinte, dass eine rennbegeisterte Vestalin wohl das große Los gezogen hätte. Irgendwie fand Axilla dennoch, dass Wagenrennen wohl nicht mit dem Gefühl jemals mithalten könnten, wenn man bei einem Mann war und der seine Sache wirklich gut machte. So toll konnten die Rennen gar nicht sein. Von daher würde Axilla definitiv nicht tauschen.


    Als Romana dann von ihrem zukünftigen Liktor erzählte und davon, dass Axilla wohl mehr Glück als Verstand gehabt hatte, musste Axilla noch weiter lächeln. “Achwas, es war hellichter Tag, so gefährlich war das nicht. Und Duccius Vala hat mich ja heimbegleitet danach, da hätte sich jeder Räuber das sicher dreimal überlegt.“ Ein komisches, kleines Schamgefühl schlich sich in Axillas Gemüt, als sie sienen Namen erwähnte. Der Schüsselvorfall war noch zu frisch und vielleicht sollte sie am besten gar ncihts erwähnen, was damit zu tun hatte, um das Gespräch nicht am Ende noch dahin zu lenken. “Ich nehm eigentlich meistens nur Leander mit zum Schutz. In Alexandria hat das auch immer gereicht. Und ich hab ja nicht vor, nachts nackt über den Aventin zu spazieren. Für die ganz normalen Spaziergänge sollte das doch reichen, meinst du nicht?“ Leander war nicht unbedingt stattlich oder der geborene Leibwächter, aber er war ein Mann. Das reichte doch, viele Räuber abzuschrecken. Und Axilla konnte einfach nicht hinaus auf die Straße gehen mit der Furcht, jemand könne ihr etwas tun, das entsprach nicht ihrem Wesen.


    Dann aber wurde das Thema ohnehin weniger erfreulich, und Axilla nahm die Kondolenz mit einem traurigen Lächeln entgegen, bemühte sich schwer, sich nichts vom Schmerz anmerken zu lassen. Da ihr Gesicht aber meistens ein offenes Buch war, wusste sie nicht, wie gut ihr das gelang. “Ja, zwar erst sechsten Grades, aber ich hab lange bei ihr in Alexandria gelebt und viel von ihr gelernt...“ Axilla schluckte einmal, um den Kloß im Hals loszuwerden und konzentrierte sich eher auf ihren Hass auf Terentius Cyprianus als auf ihre Trauer, das half. “Ja, Dis hat es angenommen, das lässt hoffen, dass er auch seinen Teil hält.“ Immerhin war die römische Religion geprägt von den Verträgen mit den Göttern. Do, ut des. Ich gebe, damit du gibst. So einfach war das. Axilla hatte einen Ochsen gegeben, jetzt war Pluto dran. Dass dieser bereits zur Tat schritt, konnte Axilla nichtmal erträumen, ansonsten hätte sie dem Herrn der Unterwelt wohl gleich noch ein Dankesopfer obendrein gegeben.


    Und wieder kam das Thema auf etwas, das Axilla leichte Bauchschmerzen verursachte. Die beiden waren also eine Decima und Aelia gewesen? Axilla hatte sich nur die Gesichter, aber nicht die Namen gemerkt. Irgendwie schienen sie diese beiden Gentes zu verfolgen, als wäre da etwas, das sie immer wieder genau zwischen diese beiden Familien trieb. Archias war ja auch Aelier, und Seiana war Decima. Und ohne die Einladung eines Decimers wäre Axilla gar nicht in Rom! Fortuna und die Parzen hatten wirklich einen sehr seltsamen Humor
    “Nein, nenn mich ruhig Axilla. Kann ich dich auch Romana nennen?“ Auch wenn Axilla abgelenkt war durch ihre eigenen Gedanken, sie freute sich über dieses kleine Maß an Vertraulichkeit. Ihr war es ja lieber, wenn Leute, die sie mochte – und Romana gehörte dazu – vertraulich ansprachen wie unter guten Freunden. Auch wenn diese hier so ein klein wenig piekte mit ihren Worten, gerade was die Tugenden betraf. Axilla sah sich selbst nämlich sicher nicht als tugendhaft, so blauäugig war selbst sie nicht.
    “Ach, du hättest bestimmt auch so noch was gesagt. Mich wundert viel eher, wie die anderen das alle so hinnehmen konnten. Ich meine... grrr... ich kann das gar nicht in Worte fassen! Sind wir beide denn so anders erzogen worden, nur weil unsere Väter gedient haben? Ich kann mir nicht vorstellen, dass es wirklich Gentes geben soll, in denen nicht irgendwer bei der Legion war oder ist. Die müssen das doch auch schon gesehen oder zumindest gehört haben? So blind kann doch niemand sein, oder? Ich versteh es einfach nicht, was diese... Decima und Aelia, sagst du? Was die sich dabei gedacht haben.“

    Vermutlich hatte Axillas Reaktion auf seine Worte mehr von der eines kleinen Kindes als von einer erwachsenen Frau, aber sie schmollte. Sie funkelte ihn einfach nur böse an und biss sich auf die Lippe, begnügte sich damit, ihn wütend und zutiefst gekränkt anzuschauen. Sie wusste ja, dass er recht hatte, aber ihre Meinung gefiel ihr einfach in diesem Moment besser.
    “Ich hätte ein Recht gehabt, es zu wissen“ beharrte sie stur, wenngleich ihre Stimme nichtmehr so laut und beißend, sondern zu ihrem Blick passend schmollend klang. Sie zog die Knie an und umfing sie mit ihren Händen. Sie musste nachdenken. Sie wollte nicht schwanger sein. Das ging nicht! Das war vorher nicht gegangen, und jetzt ging es auch nicht! Erst recht nicht, nachdem Archias sich bei der Hochzeit schon so komisch aufgeführt hatte. Was würde er dann jetzt erst machen?
    “Und gibt es nicht eine Möglichkeit, wie... also, ohne nochmal so einen trank zu nehmen, und... ich meine... müsste es nicht tot sein? Ich meine... das kann doch nicht sein, dass da gar nichts passiert ist...“

    Dann wäre sie schon lange tot! Das sagte er ihr jetzt! Und was war mit den ganzen letzten Malen, wo er dagewesen war und sie untersucht hatte und mit ihr gesprochen hatte, ihr die ganzen ekeligen Tränke eingeflöst und unangenehme Salben gegeben hatte? Hatte er da nie die Möglichkeit gehabt, ihr das zu sagen? Hatte sie kein Recht darauf, zu wissen, dass sie sterben würde?!
    Ein unbeschreiblicher Wutanfall überkam Axilla, und sie nahm das erstbeste, was sie greifen konnte, und schlug damit nach Crios. Zu seinem Glück war es das Kopfkissen, dennoch gab es ein ordentliches, wenngleich dumpfes Geräusch, als es auf ihn traf und kurz darauf von Axillas Stimme gefolgt wurde. “Und das sagst du mir erst jetzt? Du hättest mir das gefälligst gleich sagen müssen! Mich einfach um die Gelegenheit bringen, alles zu regeln, und, und, und.... du hättest die PFLICHT gehabt, es mir zu sagen! Das ist MEIN Leben!“
    Eigentlich war Axilla nichtmal wirklich wütend deswegen, dass er es ihr nicht gesagt hatte, aber ihre Gefühle brauchten einfach irgend ein Ventil. Und Crios war nunmal der einzige, der sich als Schuldiger gerade anbot. Und sich selbst Schuld einzugestehen brachte Axilla nicht fertig, nicht in diesem Moment. Sie wollte nicht schwanger sein, sie wollte nicht zu Archias gehen müssen und es ihm sagen, wie sie es versprochen hatte, sie wollte kein Kind bekommen, heimlich, auf dem Land, und sie wollte auch ganz sicher nicht nochmal eine Abtreibung machen. Sie hatte eine panische Angst davor, nachdem sie jetzt die Schmerzen kannte. Die ganze Situation überforderte sie schlichtweg. Sie wünschte sich jemanden, der ihr jetzt einfach sagte, was sie tun müsse, damit alles, wirklich alles gut werden würde. Denn sie wusste definitiv nicht, wie das gehen sollte.

    Ungläubig schüttelte Axilla den Kopf. Nein, das durfte nicht sein. Das war nicht wahr! Es war weg! Ihr war nicht mehr schlecht, sie hatte den Trank genommen, also war es weg! Es musste weg sein!
    “Dann habt ihr sicher nicht richtig geguckt! Es muss weg sein! Weil wenn es noch da wäre...“
    Ein anderer Gedanke kam Axilla. Ein schrecklicher Gedanke. Axilla hatte Gerüchte gehört, oder vielmehr unschöne Geschichten. Es gab durchaus Fälle, in denen das Kind nicht abging. Und plötzlich suchte Axilla panisch in Crios Blick, der irgendwie mitleidig wirkte, und wurde kreideweiß. “Ich muss sterben?“ Versuchte er ihr das zu sagen? Dass das Kind zwar gestorben war, aber noch in ihr, und sie jetzt sterben musste? War es das?

    “Oh, bestimmt könntest du das“, meinte Axilla ehrlich. Die Claudia machte nicht den Eindruck, als würde sie gleich schwächeln anfangen, wenn es mal ein wenig mehr an die körperlichen Grenzen ging. Außerdem war sie groß, und da machte sie auch größere Schritte als Axilla, die ihr grade mal bis zur Brust reichte. Außerdem war sie so energisch, dass Axilla sich nicht vorstellen konnte, sie könnte einfach aufgeben und anfangen zu jammern, wie viele 'Mädchen' es nur zu gerne taten, wenn sie keine Lust mehr hatten.
    Aber dass sie keine Angst hatte, imponierte Axilla. Sie selber hatte ja vor sehr wenig Dingen Angst. Sie bedachte nie, dass sie sich bei einer Sache verletzen könnte, oder wie die Auswirkungen auf sie wären, wenn sie dieses oder jenes täte. Meistens machte sie einfach und dachte gar nicht darüber nach. Aber die Vorstellung, 30 Jahre lang in strikter Jungfräulichkeit zu leben, war schon erschreckend. Was, wenn man sich verliebte? Was, wenn der Mann einen auch liebte? Was, wenn man sich nichts mehr wünschen konnte, als seine Hände auf dem eigenen Körper zu fühlen? Gerade für Axilla, die ein sehr körperlicher Mensch war und Berührungen brauchte wie Luft zum atmen – zwar nicht unbedingt jene sexueller Natur, aber überhaupt – war das nicht einmal vorstellbar. Und wenn Romana da so wäre wie sie, dann tat sie Axilla aufrichtig leid.
    “Ja, wird Vesta sicher. Und es ist ja auch eine große Ehre. Und bringt ja auch viele Freiheiten mit sich. Stimmt es, dass du dann in jedem Theater in der ersten Reihe sitzen darfst?“ fragte Axilla neugierig. Sie hatte noch nie eine Vestalin getroffen, und wenn sie es hätte, hätte sie sich nie getraut, sowas zu fragen. Sie kannte nur das, was allgemein bekannt war, und eben Gerüchte, aber wirkliches Wissen hatte sie nicht.


    Zum Glück war Romanas Aufgabe nicht ganz so eine Sisyphusarbeit, wie Axilla befürchtet hatte. Aber diesen Markt komplett abzugehen und alle Ziegen zu begutachten war auch schon genug Arbeit. Sie war bestimmt an vier oder fünf Händlern schon vorbeigekommen. Gut, die meisten hatten ganz normales Nutzvieh, das früher oder später im Suppentopf landen sollte, aber trotzdem. Und sie hatte dreiviertel des Marktes noch nichtmal gesehen!
    Was Romana dann aber mit der Sicherheit ansprach, da wiederum hatte sich Axilla nicht so Gedanken gemacht. “Naja, man muss halt aufpassen wie überall, nicht? Aber ich war auch schon am Tiberhafen und bin noch in einem Stück. Man darf halt nur nicht aussehen, als wäre man selber ein Opferlamm.“ Dass diese Worte aus dem Mund einer siebzehnjährigen mit nicht unbedingt muskulöser Statur und dem Gemüt eines Schmetterlings komisch anmuten mochten, daran dachte Axilla nichtmal. Sie meinte das ernst. Wenn man erstmal anfing, Angst zu haben, wenn man auf die Straße trat, dann war alles zu spät. Dann konnte man sich gleich die Pulsadern öffnen. Wo Romana keine Angst vor ewiger Jungfernschaft hatte, da hatte Axilla keine, was mögliche Verletzungen anging. “Man darf nur keine Angst haben.“ So zuckte sie nur die Schultern und dachte sich nichts weiter dabei.


    Wenn Axilla gewusst hätte, dass Romana dachte, sie würde regelmäßig opfern, wäre sie vielleicht schüchtern rot geworden. Wirklich regelmäßig war das nicht, am meisten opferte sie immernoch den Laren und den Ahnen. Die großen Götter waren Axilla sogar weitestgehend egal, wenn sie nicht irgendwas wirklich brauchte. Wie beispielsweise von Pluto.
    “Ähm, nein, nicht wegen mir.... Es ist so, also, vielleicht hast du ja auch in der Acta von meiner Cousine Urgulania gelesen? Ich habe Dispiter gebeten, sie gütig aufzunehmen und ihren Mörder zu bestrafen mit allem, was er aufbringen kann.“
    Nun, eigentlich noch mehr, aber man sprach nicht von einem Fluch. Das war etwas, das im Dunkeln liegen musste, etwas Böses und Geheimes. Das würde Axilla sicher nicht rumposaunen, und erst recht nicht einer Vestalin gegenüber. Aber so kam ihre Erklärung der Wahrheit ja auch schon sehr, sehr nahe. Und Axilla konnte ja nicht wissen, dass irh Fluch bereits angefangen hatte, zu wirken.


    Als sie dann aber von Romana Lob bekam, wurde sie tatsächlich doch rot und wusste gar nicht so recht, was sie da sagen sollte. Sie hatte ja gemerkt, dass Romana ähnlich dachte, eben auch ganz Soldatenkind, aber dass sie deshalb jemals von irgendwem Lob bekommen würde, das hatte sie nicht geglaubt.
    “Ach, das, das war doch gar nichts. Ich meine, irgendwer musste diesen doofen Puten doch Einhalt gebieten! Ähm, ich meine... tut mir leid, sind ja deine Freundinnen“ Wieder zu schnell geredet.... “Ich konnt's nur nicht ertragen, wie die die Soldaten verspottet haben. Ich meine... das geht doch nicht! Die riskieren ihr Leben, sichern die Grenzen, vermehren den Ruhm des Imperiums, und die tun so, als wäre das ganze ein Spaß, weil die Männer nichts besseres zu tun hatten.“ Axilla redete sich ein wenig in Rage, was aber dazu führte, dass die Röte aus ihrem Gesicht verschwand und ihre Worte flüssiger, wenngleich etwas lauter wurden. “Als könne man mit jedem Frieden halten, nur weil man lieb und nett bitte-bitte sagt. Ich meine, die ganzen Barbaren würden sicher nur zu gerne hier in Rom einmarschieren und alles in Schutt und Asche legen. War ja nicht erst einmal, dass jemand genau das versucht hat. Und da musste ich doch was sagen? Ich mein... so hat mich mein Vater sicher nicht erzogen, dass ich bei sowas wie ein Feigling den Mund halte.“
    Für Axilla hatte das eigentlich weniger mit Mut zu tun und sie konnte sich selbst auch nicht so sehen, als ob sie da mutig gewesen wäre. Sie sah das nach wie vor eher als Notwendigkeit an, etwas, dass jeder mit einigermaßen guter Erziehung hätte tun müssen. Sie schnaubte einmal, bevor sie realisierte, was sie schon wieder alles vom Stapel gelassen hatte, und schaute dann etwas scheu nach oben zu Romana. “Aber ich wollte dir noch danken, dass du eingesprungen bist. Mir sind dann doch ein wneig die Worte ausgegangen. Kurzzeitig hab ich schon gedacht, ich wäre verrückt, weil die anderen alle das einfach so als normal hingenommen haben. Es war wirklich sehr ehrenvoll von dir, dich auch einzubringen, und ich möchte dir nochmal danken.“

    Ein paar Wochen? Crios wollte sie doch wohl veräppeln! Eine Woche, gut, vielleicht auch zwei, aber so schlimm hatte sie nun auch wieder nicht geblutet, als dass es ein paar Wochen gleich erforderte! Ihr ging es doch wieder gut? Sie fühlte sich kraftvoll wie ein junges Fohlen! Sah er das denn nicht? Typisch arzt, entweder, sie hatten keine Ahnung, oder sie waren übervorsichtig.
    Axilla schmollte ganz leicht. Nicht wirklich wegen Crios, sondern viel mehr, weil sie die Aussicht auf mehrere Wochen ausruhen als sehr enervierend empfand. Sie setzte sich auf und überlegte, warum er denn jetzt schon wieder so zerknirscht schaute, als er auch gleich mit einer für sie vernichtenden Nachricht herausrückte.
    Einen Moment glaubte Axilla, sie hatte sich verhört. Er wollte sicher nicht andeuten, dass alles umsonst gewesen war. Das konnte gar nicht sein! Diese Tränke töteten alles, was es an sich entwickelndem Leben gab! Das musste geklappt habe! Bestimmt hatte sie ihn falsch verstanden und er meinte etwas anderes!
    “Wie meinst du das? 'Es hat nicht funktioniert'?“
    Ihre Stimmlage war misstrauisch und eindeutig schon etwas gereizt. Sie wollte nichtmal über die Möglichkeit nachdenken, dass sie immernoch... nein, er irrte sich! Oder er meinte was anderes! Eindeutig!

    Axilla schmunzelte nur auf Romanas rigorose Art, über alles hinwegzugehen und zu erklären. Sie mochte die Vestalin, wirklich. Die redete nicht das, was sie glaubte, was der andere hören woltle, sondern das, was sie dachte. Axilla kannte das gut, auch wenn es bei ihr meistens passierte, weil sie zu spät darüber anchdachte, was sie sagte, während sich bei Romana immernoch alles sehr gewählt anhörte. Aber vielleicht war das so eine Eigenart von Soldatenkindern, dass die die Unsitte der Väter übernahmen, auch mal klarere Worte zu finden, als eigentlich angebracht. In jedem Fall gefiel es Axilla, und sie hörte aufmerksam zu.
    “Ja, die Pferde gibt’s da hinten irgendwo. Ich muss noch suchen, aber wir sind ja nicht lauffaul. Stimmt's, Leander?“
    Der Grieche schaute nur etwas verdattert auf und Axilla wandte sich lachend wieder an Romana. “Ich würd am liebsten ja den ganzen Tag laufen, aber ich glaube, dann wär ich ziemlich bald allein unterwegs“ , meinte sie noch ehrlich und noch immer ginsend, während sie ihre Aufmerksamkeit wieder den Ziegen zuwandte.
    Dass Romana bald Vollvestalin sein würde, löste bei Axilla gemischte Gefühle aus. Zum einen war da einfach dieses Unbehagen, weil es ihr so deutlich ihre eigenen Fehler vor Auen führte, auf der anderen Seite aber war es eine wirklich große Ehre für eine Frau, zu den Vestalinnen zu gehören. Romanas Eltern waren sicher mächtig stolz auf sie. Naja, auch wenn der Kaiser jetzt ihr Vater war, aber der war sicher auch mächtig stolz.
    “Hast du eigentlich Angst? Also, ich meine... man wird ja nicht jeden Tag zur Vollvestalin und macht so einen wichtigen Schritt. Ich glaube, ich wäre furchtbar nervös.“
    Axilla hielt eine Hand ins Gatter mit den Ziegen, und ein neugieriges Tier kam heran und knabberte nach ihren Fingern, die Axilla aber in Sicherheit bringen konnte. Nur streicheln ließ sich die Ziege nicht. Dummes Tier.
    “Und du musst alle Ziegen ganz Roms dir ansehen? Da hast du ja Unmengen an Laufarbeit vor dir. Wieviele Viehmärkte gibt es denn? Bestimmt fünf oder sechs, oder? Da bin ich ja froh, dass das bei mir immer einfacher geht. Naja, ich opfere ja meistens auch nur Tauben und Kaninchen. Und den Ochsen für Dis hat der Tempel gesucht.“
    Dabei vergaß Axilla im Erzählen mal wieder vollkommen, dass Romana ja von ihrem Opfer für Pluto vermutlich gar nichts wusste. Zwar wurde dem Herrn der Unterwelt vergleichsweise wenig geopfert, zumindest, was diese Größenordnung anging, aber dennoch war das sicher nichts, was Stadtgespräch war, denn dafür war es gewiss nicht außergewöhnlich genug. Aber Axilla dachte sich dabei nichts, und es erschien ihr auch gar nicht so wichtig für den Verlauf des Gesprächs.

    Auch wenn es vielleicht peinlich war, Axilla hatte keine ahnung, wer das Handelshaus denn leitete. Sie war sich sicher, dass Rufus es erwähnt hatte, aber sie hatte sich den Namen nicht gemerkt. Der junge Germane hatte damals sehr viel von seiner Familie zu berichten gewusst, und es war nun ja auch schon gewiss ein Jahr her, dass er in Ägypten war, so dass Axilla es schlicht und ergreifend vergessen hatte, so sie sich jemals den Namen gemerkt hatte. Daher konnte sie nur nicken und lächeln auf die Worte des Senators und dabei hoffen, dass Vala bald zurückkommen würde. Sie schaute gerade wieder sehnsüchtig in Richtung des Durchganges, als er auch endlich kam. Er hatte sich umgezogen und sah jetzt sogar richtig fein aus. Zumindest im Vergleich zu vorher, wo er zwar auch wirklich gutaussehend wie immer war, aber eben nicht so vornehm gewandet.
    Abgelenkt bekam Axilla die Frage des Senators nur halb mit und blinzelte etwas verwirrt, als er sie so fragend anschaute. Sie war sich bewusst, dass sie gerade eine recht erbärmliche Vorstellung von gutem Benehmen ablieferte, aber zu sagen, sie wäre verwirrt, traf ihren Gemütszustand im Moment nichtmal ansatzweise. “Ähm, wie lange...? Oh, seid Anfang Dezember. Ein paar Tage vor den Faunalia bin ich hier eingetroffen. Und ich muss wirklich sagen, im Vergleich zu Ägypten ist der Winter hier wirklich eisig. Schon erstaunlich, wie schnell man sich an das warme Wetter gewöhnen kann.“
    Sie blickte wieder auf zu Vala und suchte an ihm nach Anzeichen dafür, ob er wütend war. Immerhin war das alles ihre Schuld, irgendwie. Sie war zumindest teilschuldig, denn sie hatte ihn immerhin hierher eingeladen und Archias war ihr Arbeitgeber und Freund. Unbeteiligt war sie sicher nicht, auch wenn es sicher nicht von ihr beabsichtigt war. Aber dennoch schien er ihr nicht böse, er lächelte sie sogar charmant wie immer an und entführte sie kurzerhand.
    Axilla ließ sich von ihm führen und hörte seine beruhigenden Worte, dennoch war sie nervös, als sie merkte, dass er sie direkt zum Brautpaar steuerte. Ein ganz klein wenig stockte ihr Schritt, aber Vala führte sie selbstsicher mit sich mit, bis sie schließlich direkt vor den beiden angelangt waren. Axilla konnte nichtmal aufschauen im ersten Moment und erging sich in intensiver Betrachtung von Ursus' Toga.
    Dann fing Vala an und entschuldigte sich beim Brautpaar, was Axillas Kopf doch einmal ruckartig zu ihm herumfahren ließ. Aber er hatte doch gar nichts gemacht! Ihr stand kurz der Mund leicht offen, während sie ihn ansah, wie er dastand, die grauen Augen auf das Brautpaar gerichtet, und die komplette schuld so galant auf sich nahm, dass sie an Stelle der beiden ihm nie und nimmer auch nur eine Sekunde hätte böse sein können. Und dann bedachte er auch sie mit einem Blick, als hätte sie ebenfalls eine Entschuldigung verdient, und Axilla war noch viel verwirrter. Es war doch alles ihre Schuld gewesen, und nun stellte er sich hier hin und verteidigte sie in gewisser Weise noch. Obwohl er jedes Recht der Welt gehabt hätte, dieses mal wirklich wütend auf sie zu sein, schützte er sie! Da solle er noch einmal behaupten, Ehre gäbe es gar nicht! Das war so ziemlich das ehrenhafteste, was Axilla je erlebt hatte, und einen Moment schaute sie ihn nur an und hatte ganz vergessen, dass die anderen ja auch noch da waren und sie vielleicht auch etwas sagen sollte.
    “Ich muss mich auch entschuldigen. Hätte ich geahnt, was passieren würde, ich schwöre, ich hätte versucht, es zu verhindern. Es tut mir wirklich unendlich leid.“
    Das war zwar nicht ganz so wortgewandt wie von Vala, aber der hatte Axilla auch noch ein wenig sprachloser als normal gerade gemacht. Und er hatte ihre Aufmerksamkeit so vollumfänglich auf sich gezogen, dass sie die Reaktion ihrer Cousine, die unweit neben ihnen stand, nichtmal mitbekam. Für sie war Vala just in diesem Augenblick ein Held und ihr wäre im Traum nicht eingefallen, dass irgend jemand ihm wegen irgend etwas böse sein konnte. Erst recht nicht für etwas, für das er ja wirklich nichts konnte.

    Die Aussicht, erstmal nicht reiten zu dürfen, verdunkelte ein ganz klein wenig Axillas strahlend gute Laune, aber nicht genug, als dass sie wirklich abnehmen würde. Beschwingt setzte sie sich aufs Bett und rutschte nach hinten, um sich gerade hinlegen zu können. Sie kannte die Prozedur schon und ließ Crios an ihr herumdrücken. Angenehm war es natürlich nicht, immerhin musste er recht feste drücken, aber wirklich weh tat es nicht. Zumal Axilla auch noch die Bauchmuskeln fleißig anspannte, wenn es doch zu arg wurde, und somit den Druck reduzierte.
    “Nein, weh tut nichts. Aber... he, nicht so fest!... ähm, wie lang dauert es denn dann noch, bis ich wieder richtig alles machen kann? Weißt du, ich hab schon einen Ausritt geplant, und ich würd den ungern bis in den Sommer verschieben.“
    Immerhin schuldete Archias ihr noch ein Picknick, und das wollte sie eigentlich nicht einfach so ausfallen lassen. Aber vor allen Dingen wollte sie mal wieder raus aus der Stadt und Freiheit spüren.

    Axilla war mit Erklären nichtmal richtig fertig, als er zu ihr rüberkam und sie in die Arme nahm. Sie wollte nicht heulen, sie wollte wirklich ihm nur diese eine Sache sagen und dann gehen, möglichst würdevoll, aber als er sie in den Arm nahm und an sich zog, da ging es nicht. Es war, als würde ein Damm brechen und sie musste einfach heulen, was den Rest ihrer Worte zu unverständlichem Geschluchze werden ließ. Sie hielt sich an ihm fest und weinte ihm – mal wieder – die Tunika voll. Ihre Beine knickten leicht weg, aber er hielt sie fest genug, dass sie nicht hinfiel.
    Er tröstete sie, und Axilla meinte, sie müsse gleich zerspringen. Warum war er so lieb zu ihr, wo sie doch alles kaputt gemacht hatte? Sie verstand es einfach nicht. Und trotzdem wurde ihr Atem langsam ruhiger und sie stand wieder auf ihren eigenen Füßen, während Archias ihr sagte, dass sie bleiben müsse und er ihr was zu sagen hätte.
    Sie schniefte noch einmal, versuchte dann, ganz ruhig zu atmen – was nicht ganz gelang, immer wieder machte ihre Lunge einen kleinen Hüpfer, der sie durchschüttelte – und sah ihn vorsichtig aus verweinten Augen an. Er sah sie so ruhig und sicher an, dass Axilla gar nicht wusste, was hier eigentlich geschah. Ihr Verstand konnte schon eine Weile nichts mehr greifen von den Dingen, die hier passierten.
    Aber ich weiß jetzt, was ich will, und das ist nicht Seiana. Sondern du. Die Worte brauchten einen Moment, bis sie bei Axilla ankamen. Mit einem Mal versiegten die Tränen und auch ihr Atem ging nicht mehr so schüttelnd. Nicht, weil sie sich freute, sondern weil sie ganz und gar starr dastand und zu Archias hochschaute. Hatte er das gerade eben gesagt, oder hatte sie es sich eingebildet? Träumte sie das gerade? Wahr konnte es nicht sein. Das konnte nicht sein!
    Schnappend holte Axilla Luft. Irgendwie war alles durcheinander. Das konnte nicht richtig sein. “Aber... aber... du liebst Seiana, ich meine... du hast gesagt... und ihr heiratet doch bald... Ihre Augen huschten über sein Gesicht, suchten nach Anzeichen dafür, dass er sie aufzog, aber da waren keine. Er meinte es ernst. Er meinte das wirklich ernst! “Ich hab's kaputt gemacht...“ meinte Axilla in fast panischer Erkenntnis, und die Beine sackten ihr doch wieder weg. “Ich bringe Unglück...“ flüsterte sie noch und versuchte, wirklich zu greifen, was hier geschah. Er wollte sie? Sie, und nicht Seiana? “Mich, und nicht sie?“ wisperte sie noch einmal atemlos zu ihm hoch. Das konnte nicht sein, das konnte er nicht gesagt haben.

    Sie ging nirgendwo hin? Gut, dann blieb sie stehen. Während Archias sich also aufs Bett setzte, stand Axilla nur da und rieb sich mit ihrer rechten Hand ein wenig den linken Unterarm. Ihr war irgendwie wieder ein klein wenig kalt, zumindest redete sie sich das ein, und während Archias redete, wurde es noch ein klein wenig kälter, hatte sie das Gefühl.
    Es war bei ihm alles wunderbar gewesen, bis sie kam. So verstand sie siene Worte. Sie hatte alles kaputt gemacht. Das alles war ihre Schuld. Er sagte es zwar nicht direkt, aber Axilla wusste es, und er hatte recht. Es war alles ihre Schuld, hätte sie nicht angefangen, mit ihm herumzualbern, währe sie nicht nach Urgulanias Tod hierher gelaufen, hätte ihr Sklave nicht im betrunkenen Zustand sich verplappert, wäre für ihn noch alles in Ordnung. Es war ihre Schuld, ganz allein. Auch das mit Vala.
    Axilla fühlte einen dicken Klos im Hals und versuchte, ihn wegzuschlucken, aber es ging nicht. Am liebsten wollte sie nun doch weglaufen und sich nicht dieser Situation stellen, denn es tat sehr weh, was Archias sagte. Vor allem, weil Axilla es als Wahrheit fühlte. Sie hatte Schuld an all dem, und es tat ihr dennoch nicht wirklich leid. Vielleicht war das das schlimmste daran.
    “Caius... ich wollte nicht, dass das passiert. Und du kannst das doch noch haben. Ich geh einfach wieder nach Ägypten, und dann ist doch alles wieder... ich meine, Seiana kann dir doch vergeben! Ich....“
    Axilla blinzelte eine Träne weg. Sie wollte jetzt nicht heulen, aber wenn sie weiterredete, würde sie genau das tun. Sie schluckte nochmal und wischte sich mit dem Handrücken schnell übers Gesicht, um die verräterischen Tropfen zu entfernen.
    “Ich muss dir noch was sagen...“, wimmerte sie noch halblaut. Sie hatte es ihm versprochen, und eigentlich wollte sie es ihm gar nicht sagen. Erst recht nicht jetzt, wo er dann am Ende noch dachte, es wäre ein Trick, um ihn zu halten. Ihre Hand legte sich wieder wie automatisch auf ihren Bauch, während sie nach den Worten rang, die eigenltich so einfach waren, die sich aber trotzdem so falsch anfühlten.
    “Ich... ich will nicht, dass du denkst... ich würds auch gar nicht sagen, wenn ich's nicht versprochen hätte... und du musst dir auch keine Gedanken machen. Ich werd dich da nicht mit reinziehen. Ich werd einfach aufs Land fahren... und vielleicht ist es ja auch zu klein....“
    Sie wollte es ihm nicht sagen, aber wenn sie gleich für immer ging, musste sie vorher ihr Versprechen einlösen. Das schuldete sie ihm.

    Archias hob sie heraus und ließ sie danach gleich wieder los, als hätte er sich an ihr verbrannt. Er ging sogar einen Schritt rückwärts, um nicht mehr direkt bei ihr zu stehen, und sah ganz reumütig drein. Axilla traf das. Sie traf es sogar sehr. Hatte sie sich bis eben noch vorgemacht, sie könnten vielleicht beide die Situation einfach überspielen und so fortfahren, als wäre nichts gewesen, so zerbrach er jetzt ihre Hoffnungen auf eine leichte und unkomplizierte Lösung mit seinen Worten.
    Betroffen schaute Axilla zu Boden. Wie von allein legte sich ihre Linke wieder auf ihren Bauch, bis sie es merkte und die Hand energisch runternahm. Sie überlegte, aber ihr fiel nichts lässiges ein, dass die Situation auflösen würde. Ein ganz seltsames Gefühl schlich sich in ihr Bewusstsein und legte sich wie eine Eishand um ihr Herz. Die Worte waren wie Steine, aber dennoch sagte Axilla sie.
    “Caius? Wenn es wegen Seiana ist... ich... ich kann gehen. Ich meine, du musst nicht das hier machen, für mich. Ich meine... ich will nicht, dass du leidest, verstehst du? Ich will, dass du glücklich bist.“
    Es war die einzige Theorie für sein Verhalten, die Axilla hatte. Seiana war eifersüchtig und er suchte nach einem Weg, Axilla zu sagen, dass sie gehen solle, weil er sonst Stress mit seiner Verlobten bekäme. Sie wollte bestimmt nicht gehen, und es gab auch noch eine Sache, die sie ihm sagen musste. Sie hatte es ihm versprochen. Sie durfte es nicht nochmal verschweigen. Aber erst sollte er seine Entscheidung fällen, auch wenn Axilla vor seiner Antwort furchtbare Angst hatte.

    Auf seine Bemerkung hin musste Axilla grinsen. Feste gedrückt war gut. Er musste alles reingeworfen und die Tür dahinter panisch zugeschlagen haben, und den zurückrollenden Berg dann wie Sisyphus langsam aber stetig vor sich hergeschoben haben, bis der Schrank verschlossen war. Sie jedenfalls rührte sich nicht von der Stelle, sie sah oben auf dem Berg unter anderem ein Messer liegen und wusste nicht, wie scharf es war. Und wenn da schon ein Messer lag, wer wusste, was da noch lag? Vielleicht waren auch Scherben darunter, Axilla hatte irgendwas aus Glas vorhin gesehen.
    Archias kam zu ihr rüber, stand aber einfach nur da und schaute sie an. Axilla lächelte ihn an, bis sie seinen ernsten Blick bemerkte. Da wurde ihr Gesichtsausdruck doch eher fragend. “Was ist? Magst du mir nicht helfen. Soll ich in alle Ewigkeit hier stehen, gefangen von Chaos und Käsemessern?“
    Sie zog ihn auf und lachte frech, hauptsächlich, weil sie ihn aufmuntern wollte. Er schaute grade so komisch drein und Axilla mochte ihn lieber fröhlich. Mit ihm konnte man toll herumalbern, aber im Moment schien ihm etwas anderes im Kopf rumzugehen.
    Er stand auf Armeslänge von ihr Weg, und da er keine Anstalten machte, beugte sich Axilla einfach leicht vor und zu ihm, legte schon die Hände auf seine Schultern und wartete, dass er sie herausheben würde. War ja nichts dabei, benötigte nur einen kleinen Griff von ihm um ihre Taille und einen kleinen Ruck. “Nun, mein Titan?“ neckte sie ihn leicht und sah ihn einfach nur erwartungsvoll an.

    Von Archis Gedankengängen und Gefühlen bekam Axilla nichts mit. Sie sah nicht, wie er sie ansah, weil sie nicht zu ihm hinschaute, sondern verbissen die Rechnungen entzifferte. Als er aufstand, blickte sie ihm nur kurz nach und setzte sich dann auf den Stuhl. “Du hast 'nen warmen Hintern“, meinte sie neckisch, weil die Sitzfläche noch so aufgeheizt war, dass sie im ersten Moment erschrak.
    Dann beugte sie sich leicht über die Rechnungen und versuchte, zu entziffern, was da überhaupt stand. Archias antwortete auf die Frage nach dem Abakus, und sofort beugte sich Axilla in Richtung des Schrankes. Leider kam sie vom sitzen aus nicht ganz rüber, auch wenn sie sich so sehr streckte, dass sie vom Stuhl zu fallen drohte. Blieb nur aufstehen und zwei Schritte gehen. Naja, man war ja jung, und die Füße reichten bis zum Boden.
    Axilla taperte also zum Schrank und öffnete völlig unbedarft dessen Tür. Heraus ergoss sich ein Katarakt Myriaden kleinster Einzelteile, Wäschestücke und Klimbim, und Axilla stand auf einmal in einer Lawine von Zeug, das fröhlich um ihre Füße kullerte. “Äääääähm...“ Sie sah etwas ungläubig an sich herunter. “Wie hast du den Schrank zugekriegt?“ war das erste, was ihr einfiel, als sie sich das durcheinander ansah. Konnte sie sich gefahrlos bewegen, oder würde sie sich dann was eintreten? “Heb mich mal eben raus hier“, winkte sie ihrem Freund, weil sie sich wirklich nicht traute, einfach aus diesem Berg an Zeug herauszustiefeln.

    Kurz zögerte Archias, dann machte er mit. Axilla war froh, das andere Thema war doch etwas sehr bedrückend und seltsam, und so genau wollte sie darüber nicht nachdenken. Zumindest nicht jetzt. Und solange sie prokrastinieren konnte, würde sie das auch tun. Früher oder später musste sie sowieso darauf zu sprechen kommen. Und auf andere Dinge...


    So aber sah sie interessiert rüber und kletterte schließlich wieder gelenkig aus dem Bett, um zu Archias rüberzukommen. Natürlich woltle sie mal drüberschauen.
    “hmmhmmhmm...“ machte sie und kaute sich auf der Unterlippe rum, während sie so direkt neben ihm stehen blieb und auf den Papierkrieg schaute. “Bona Dea, was rechnest du da aus?“ fragte sie einmal zweifelnd und grinste dann zu ihm herüber. Sie fing an, das alles durchzusehen, und über ihrem Kopf enstanden mehrere, fast sichtbare Fragezeichen dabei. “Da hat aber einer eine Sauklaue...“ murmelte sie und überlegte, ob dieser komische Haken da ein X oder ein U war.
    Sie sah kurz zu Archias runter, kaute dabei noch immer auf ihrer Unterlippe rum. “Du hast nicht zufällig einen Abakus irgendwo rumliegen?“ fragte sie ein wenig kleinlaut. Sie konnte zwar gut kopfrechnen, aber das war schon etwas komplizierter.

    Archias sah nicht gut aus. Irgendwie wirkte er ein wenig blass, oder bildete Axilla sich das ein. Oder aber er war noch immer grantig, das mochte auch sein. Auf jeden Fall sah er aus, als hätte er eben in einen sehr sauren Apfel gebissen, als er sich zu einem Lächeln durchrang und sie ansah.
    Doch dann sagte er etwas, das Axilla überraschte. Er glaubte, sie sei ihm böse? Sah sie böse aus? Sie sah an sich runter, legte eine Hand an ihren Bauch und suchte kurz nach den richtigen Worten. Sie wusste es nicht wirklich. “Böse... also... ja... also, ich meine, nein. Ich....“
    Da Archias keinen weiteren Stuhl hatte, Axilla aber nicht rumstehen wollte, ging sie kurzerhand zum Bett und setzte sich darauf. Es war frisch gemacht, und ein wenig hatte sie ja schon ein schlechtes gewissen, nun die Decke zu zerknittern. Überhaupt, hier war alles so... so... sauber. Er musste nicht nur aufgeräumt sondern regelrecht geschrubbt haben. Nicht ein Sandkörnchen lag herum – und das, obwohl in der zerbrochenen Sanduhr genug Sand gewesen wäre.
    “Ich versteh nur nicht so ganz, warum. Ich meine....“
    Puh, das war schwierig. Axilla mochte schwierig nicht. Und eigentlich war es ihr gar nicht so dringend, sich mit Archias darüber auszusprechen. Es gab viel wichtigere Dinge, die sie ihm sagen sollte. Die sie allerdings auch noch viel weniger besprechen wollte.
    Sie atmete einmal durch und machte dann das, was sie eigentlich immer in einer schwierigen Situation machte, die ihr über den Kopf zu wachsen schien. Sie versuchte einfach, das Thema zu wechseln. Sie mussten nicht unbedingt darüber reden, wenn Archias es nicht unbedingt wollte. Böse war sie ihm nicht. Zumindest nicht im eigentlichen Sinne des Wortes.
    “Ähm... was hast du denn da für Papiere? Ich meine... kann ich dir davon was abnehmen, so als dein scriba...?“