Beiträge von Iunia Axilla

    Wieder zurück vom Spaziergang musste sich Axilla erstmal setzen. Es war doch anstrengender gewesen, als sie zugeben wollte, und sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen, während sie Archis blauen Überwurf von den Schultern nahm. Auch wenn ein Teil von ihr ihn gern behalten hätte, fand ein anderer Teil das fast unverschämt. Außerdem war es hier warm genug, und zur Not hatte sie eine Decke. Sogar eine mit fein gehäkelten Troddeln dran.


    “Wollen wir wieder losen, oder möchtest du als Unterlegener deiner Imperatrix einen Wunsch unterbreiten?“ betont gönnerhaft lehnte sich Axilla bei diesen Worten zurück, räkelte sich fast lasziv auf der Lehne der Kline. Lediglich durch ihre etwas kränkliche Gesamterscheinung wurde der Effekt dieser Pose wohl zunichte gemacht. Abgesehen davon atmete sie doch etwas schwerer, als es üblich gewesen wäre, denn ihre Kräfte waren doch gut aufgebraucht, obwohl es gar nicht so viel Bewegung gewesen war.

    Schweigend hörte sich Axilla Archias' Meinung dazu an. Es klang alles wunderbar romantisch! Gemeinsam entscheiden, sich gern haben... das war definitiv anders als das, was eine Frau im allgemeinen erwarten durfte. Axilla konnte ja schon froh sein, sich wenigstens den Mann ohne Einrede selbst aussuchen zu dürfen, anstatt einen vorgesetzt zu bekommen, ob sie wollte oder nicht. Wenn sie sich dann noch vorstellte, sie wäre noch Jungfrau und sollte mit so jemandem das erste Mal das Bett teilen...Nein, sie konnte sich im Grunde wirklich glücklich schätzen. Trotzdem hörten sich seine Worte wunderbar an.
    “Es wäre auf jeden Fall schön, wenn ich mich mit ihm gut verstehen würde. Und wenn ich es mir aussuchen kann, dann werd ich das auch so machen. Noch hab ich ja zwei Jährchen Zeit, bevor es peinlich wird.“
    Mit zwanzig noch unverheiratet zu sein war nicht umsonst von Augustus unter Strafe gestellt worden. Nungut, seine Gesetzgebung war ohnehin sehr streng gewesen, und die strafe hierfür bestand in einer Geldbuße, dennoch zeigte es sehr deutlich, dass die Frau irgendwie versagt hatte. Zumindest empfand Axilla das so. Mit 20 wollte sie unter allen Umständen verheiratet sein. So eine schlechte Partie war sie ja nun auch wieder nicht.
    Als er von seinen Kindern sprach, und wie er sie erziehen würde, sah Axilla ihn die ganze Zeit an. Etwas in ihr schien sich zu verkrampfen, ganz tief drinnen, und es schmerzte. Etwa auf Höhe ihres Zwerchfell war es, vielleicht etwas tiefer, wie ein schwerer Stein. Sie legte kurz eine Hand auf ihren Bauch und schwieg. Sie wusste nicht, wie sie darauf etwas sagen könnte.
    Auch, als er danach den Scherz wegen dem Spiel machte, fand sie ihr Lächeln nicht voll wieder. Er kannte sie wahrscheinlich jetzt schon gut genug, um zu sehen, dass es ihre Augen nicht erreichte, und auch, dass sie ihre Hand immernoch auf ihren Bauch gelegt hatte.
    “Du kannst versuchen, mich vom Thron zu stoßen, aber Vorsicht, wir Iunier sind nicht zimperlich mit Usurpatoren“ stichelte sie zurück und lenkte dann ihre Schritte wieder Richtung Bibliothek.

    Wie er jetzt darauf kam, sie wäre eine gute Partie, verstand Axilla nicht. Sie zuckte nur kurz und sah zu ihm hoch. Und als er dann auch noch davon anfing, warum sie noch nicht vergeben sei und was sie mit einem Bewerber machen würde, wurde sie richtig rot. Das mit dem Lachen war da ganz schnell wieder vergessen, und verlegen schaute sie wieder zu dem Baum in der Mitte des Gartens, als gäbe der ihr etwas mehr Sicherheit und Halt.
    “Öhm, also, das weiß ich gar nicht so genau. Also, was ich dann machen würde. So politisch gesehen bin ich ja auch nicht eine so gute Partie, Silanus ist zwar Procurator dingsda, aber sonst gibt’s ja nicht so viele Iunii. Senatoren haben wir auch keine mehr, das war ja alles früher viel einflussreicher und größer. Aber halt den Namen, den hab ich noch. Der ist ja auch was wert.“
    Irgendwie war es ein wenig seltsam, da mit Archias darüber zu sprechen. Vor allem, was sollte sie ihm denn da sagen? Sie kannte sich ja selber gar nicht so gut aus und hatte sich so tiefgreifende Gedanken ebenfalls noch nie darum gemacht.
    “Und sonst.... also, ich bin ja sui iuris. Also, so richtig sui iuris. Ich hab ja nichtmal nen Tutor.“ Ein klein wenig beschämt schaute Axilla wieder zu Archias auf. Es war gewiss nicht schicklich für eine Frau, keinen Tutor zu haben, mit dem man über eine Heirat verhandeln konnte. Das mit der Frau selbst auszumachen war ganz sicher nicht angebracht. Eigentlich war ihr das ja egal. Bei Archias wäre ihr das beispielsweise wurscht gewesen. Aber ihr zukünftiger Mann würde das vielleicht anders sehen. “Von daher kann ich ja dann selber entscheiden, wen ich will und wen eben nicht. Und dann würde ich halt schauen... so das übliche. Dass der Stand angemessen ist und der Familie keine Schande bringt und das alles. Und ich muss ihn gern haben. Und... also... er muss mir erlauben, dass, wenn wir einen Sohn haben... also...“ Götter, das klang so fordernd! Aber Axilla war das wirklich wichtig. “... also, es ist mir wichtig, dass mein Sohn meinen Vater in seine Ahnenreihe aufnehmen darf. Damit.. also, sein Andenken gewahrt bleibt, und er nicht verblasst. Du verstehst?“
    Seltsames Thema, sehr seltsames Thema. Axilla räusperte sich und legte einen kleinen Zahn zu beim gehen. Sie fühlte sich zwar schon ziemlich erschöpft, aber sie musste sich jetzt bewegen.
    “Aber ich hab ja keine Verehrer, die hier mit Anträgen um sich werfen würden. Von daher mach ich mir da noch keine so großen Gedanken. Hmmm, meinst du, du bist jetzt mental fit genug für noch eine Partie?“

    Für das große Hochzeitsfest war Axilla noch nicht wieder fit genug gewesen, so dass sie sich hatte entschuldigen lassen. Allerdings war der Hochzeitsmorgen danach weitaus kürzer, weniger formell und weniger anstrengend, so dass sie das schon in Angriff nehmen konnte. Außerdem hatte Serrana ihr von dem Fest vorgeschwärmt – naja, so ein bisschen jedenfalls, irgendwie war die Cousine immernoch komisch zu ihr und etwas distanziert. Erst recht, als Axilla meinte, sie würde am nächsten Tag mit Vala zu dem Empfang gehen. Axilla verstand sie da nicht so ganz, hatte sich aber nichts anmerken lassen und war früh zu Bett gegangen, um besonders früh aufstehen zu können.
    Das war auch nötig gewesen, denn sie hatte sich nicht nur hübsch gemacht, sie hatte sich regelrecht in Schale geworfen. Ihr Haar war zu einem filigranen Meisterwerk hochgesteckt worden. Ein paar ihrer Locken waren dabei scheinbar unbeabsichtigt halb übersehen worden, so dass sie wellig herunterfielen, zusammen mit drei dunkelgrünen Efeublättern, die kunstvoll ins Haar gesteckt waren. Leander hatte sich alle Mühe gegeben, dass sämtliche Haarnadeln unsichtbar im braunen Haar verschwanden. Mit dem dunkelgrünen Kleid und dem goldenen Gürtel dazu sah Axilla fast aus, als wäre sie dem Nymphengefolge des Liber Pater entsprungen. Lediglich auf Schminke hatte sie nach wie vor weitestgehend verzichtet, das kleistrige Gefühl war ihr doch zu unangenehm auf der Haut.
    Aber sie hatte schön sein wollen, achwas, umwerfend, für Vala. Sie wollte, dass alle Männer neidisch zu ihnen herüberschauen würden, dass er nur Augen für sie hatte, dass... ach, einfach, dass alles perfekt wäre. Genau das wollte sie. Und dafür gab sie sich auch alle Mühe.


    Und als sie jetzt eintrat, mit ihm an ihrer Seite, war sie schon aufgeregt wie ein junges Fohlen. Sie konnte nur schwer verbergen, wie unruhig und nervös sie war, während sie bei ihm eingehakt hinter dem Sklaven der gens Aurelia herlief. Sie war hier noch nie gewesen, und ganz leicht blickte sie auf die ganze Pracht, die hier zur Schau gestellt war. Dass Vala hier schon desöfteren war, so als Scriba von Aurelius Corvinus, hatte sie ja nicht ahnen können. Er hielt sich mit Informationen über sich ja dezent zurück.
    Der Sklave verneigte sich plötzlich und gab den Weg ins Atrium damit frei. Axilla hatte geglaubt, dass schon mehr Gäste anwesend sein würden, allerdings sah sie nur Calvena und das frischgebackene Ehepaar. Bei ersterer flackerte ganz kurz ihr Blick, denn sie erinnerte sich noch zu gut an den ihrer Meinung nach desaströsen Tag in den Thermen. Aber bei den beiden letzteren strahlte sie dann sehr ehrlich und kam dann auf die drei zu.
    Salvete“, grüßte sie und schaute sich dann ein wenig gespielt um. “Wir sind doch nicht zu früh, oder?“ Den Ausdruck ihres Gesichtes konnte man durchaus als peinlich berührt interpretieren. Aber ihre Augen verrieten eigentlich nur Freude. Sie löste sich leicht von Vala – nicht ohne noch einmal kurz zu ihm hinaufzuschauen – und trat auf Tiberia Septima hin. Auch sie kannte Axilla eigentlich nur aus den Thermen, aber sie hatte sie in weitaus besserer Erinnerung als Calvena. Immerhin war sie in die Bresche gesprungen und hatte die Zuständigkeit des Senats in Kriegsfragen eingeworfen, womit sie natürlich gänzlich recht gehabt hatte. Überhaupt wirkte das Wort 'Senat' bei Axilla meist Wunder, war sie sich der Familiengeschichte der Iunii doch sehr bewusst. “Tiberia Septima“ und sie gab ihr dabei ein Begrüßungsküsschen auf die Wange. “Aurelius Ursus“ Er bekam sicherheitshalber nur die Hand und ein sehr ehrliches Lächeln. “Ich möchte euch noch einmal ganz herzlich gratulieren. Serrana meinte, ich hätte mit der Feier gestern wirklich etwas verpasst.“
    Axilla hatte sich ja entschuldigen lassen, dass sie nach einer kurzen, aber erschöpfenden Krankheit für lange Feste nicht gesund genug wäre. Den wahren Grund allerdings kannten nur Serrana und Aelius Archias.
    "Ihr kennt meinen Begleiter, Duccius Vala? Er ist ein Freund der Familie und war so nett, mich zu begleiten", stellte sie den gut anderthalb Köpfe größeren Germanen mit einem strahlenden Lächeln vor.

    Axilla lächelte kurz zu ihm hoch, als er meinte, er mochte weiße Frauen ohnehin nicht so sehr. Sie selber war ja eher gut gebräunt. Die Ägyptische Sonne hatte sie gern gehabt. Nur durch die Abtreibung war sie im Moment blass, sonst war sie eher einen Tick zu dunkel, als dass es schicklich wäre. Aber sie war schon immer gerne in der Sonne gewesen.
    “Wären die Griechen in Alexandria so wie du, wär ich wohl arm geblieben“, meinte sie neckisch. Bleiweiß war mitunter ihre Haupteinnahmequelle. “Auch wenn ich dich da voll und ganz verstehen kann. Ich könnte mir das auch nicht vorstellen. Zum Glück schminken sich römische Männer ja nicht, als dass ich darüber nachdenken müsste.“


    Sie bogen um die nächste Ecke und schlenderten langsam weiter. So anstrengend war es jetzt gar nicht, aber das lag auch daran, dass Axilla gut abgelenkt gerade war. “Mitten in der Nacht hast du deine Mutter gequält? Das wird sie dir sicher immernoch vorhalten, stimmts?“ Mütter machten sowas gern. Axilla war immer einfach weggelaufen, wenn ihre damit angefangen hatte. Ein schlechtes Gewissen hatte sie sich nicht machen lassen. Nicht von ihr. “Aber das kann man sich wenigstens leicht merken.“ Und so schusselig Axilla auch war und alles andere vergaß, das würde sie sich merken. Vielleicht schenkte sie ihm sogar was, oder aber sie backte einfach nur einen Kuchen für sein Genius, den er dann in sein Lararium stellen konnte.
    Bei Botaxianer allerdings musste sie prustend lachen, was nicht so gut war, denn mit einem lachenden “Au...“ hielt sie sich den Unterleib. Wenn ihr Zwerchfell beansprucht wurde, tat das noch immer etwas weh, und sie musste sich kurz an Archias festhalten. “Aua. Du darfst mich nicht so zum Lachen bringen, das tut noch weh“, meinte sie nur halb vorwurfsvoll und ging dann ganz langsam mit ihm weiter. “Na, vielleicht fahren wir beide ja nochmal nach Ägypten und schauen nach“, meinte sie grinsend, ehe sie mit etwas blasserem Lächeln noch ein “...oder mit Seiana“ anfügte.

    Axila fraß Vala nicht aus der Hand, nein, nein. Sie war ihm in diesem Moment ganz und gar verfallen, dass er nichtmal was in der Hand gebraucht hätte, um es ihr anzubieten. Sie konnte nicht aufhören, zu lächeln, während er sie noch wieder zurück ins Atrium begleitete. Ihr Herz flatterte die ganze Zeit aufgeregt, weil sie überlegte, ob sie sich nicht einfach bei ihm einhaken sollte oder doch besser nicht. Aber sie ließ es bleiben, aus Angst, ihn dadurch wieder wütend zu machen, so gern sie auch wollte.
    Im Atrium angekommen bewies er auch nochmal seinen Charme und dankte Axilla für das Gespräch. Sie selbst war geneigt, den Streit bei eben jenem vollkommen aus ihrem Gedächtnis zu löschen und sich nur an sein Lächeln und seine grauen Augen zu erinnern. So lächelte sie jetzt auch einmal ganz offen und etwas beschämt zu ihm hoch, eindeutig verlegen. Und das, obwohl er eigentlich nicht einmal etwas gesagt hatte, was sie in Verlegenheit hätte bringen müssen. Sie trat einen zögerlichen Schritt auf ihn zu, eindeutig in der Absicht, ihn zum Abschied einmal kurz zu berühren. Nur ein flüchtiges Umarmen, vielleicht ein gehauchter Kuss, irgendwas. Aber sie blieb stehen. Sie hatte es versprochen. Sie hielt sich daran.
    “Dann sollte ich zusehen, dass es bis zu unserem nächsten Treffen nicht so lange ist. Aber vielleicht ergibt sich ja bald schon die Gelegenheit, dass du mich als meine Begleitung auf einem Fest schützen kannst.“
    Ihre Augen strahlten nochmal zu ihm hoch. Sie liebte seine grauen Augen. Sie schluckte und zwang sich, runterzuschauen. “Vale, Vala“, meinte sie also noch leise.

    Na, das war doch mal ein Plan! Archias würde das an seinem Schreibtisch herausfinden, und dann würden sie respektive Axilla dorthin gehen und das mit den Betrieben machen lassen. Was immer man da auch machen musste. Axilla nahm an, dass es genauso gehen würde wie in Alexandria und man im Grunde nur eine Urkunde erstellen und Stempeln ließ.
    “Das darfst du mich eigentlich auch nicht fragen, was alle daran so toll finden. Das Zeug schmiert und klebt! Also, die Farben. Und so hübsch find ich das ja auch gar nicht. Ich finde, ich seh dann immer angemalt aus, wenn Leander mich doch überredet. Was gefällt euch Männern daran eigentlich?“ fragte sie ihn dann mit einem musternden Seitenblick. Sie verstand es ja wirklich nicht. “Aber naja, du hast ja schon gesagt, ich bin anders. Welches Mädchen klettert schon auf Bäume?“ Sie grinste etwas schief zu ihm hoch und ruckte dann einmal gespielt an seinem Arm, ehe sie sich beim Gehen wieder leicht dagegen sinken ließ. Sie mochte seine Nähe, und ihr Zustand erlaubte ihr, das ein wenig mehr auszukosten.
    “Geburtstag habe ich acht Tage vor den Iden des April (06.04.), also in 6 Wochen. Ungefähr. Wenn du lieb bist, lad ich dich vielleicht sogar ein. Wenn du den anblick einer langsam häßlich werdenden Frau ertragen kannst“, knuffte sie ihn noch einmal. Natürlich würde sie ihn einladen. Das letzte Jahr hatte sie allein gefeiert, dieses Jahr sollte alles anders werden. Ganz anders. “Und du?“ Axilla fiel bei dieser Frage auf, dass sie das gar nicht wusste. Aber natürlich interessierte sie das.


    Die Idee, dem Weber hier erstmal eine Chance zu geben, gefiel Axilla. Zur Not machte sie ihn halt wieder dicht, so ein Problem war das nicht. Eigentlich war sie ja doch recht erfolgreich als Geschäftsfrau, sie machte kleinen, aber beständigen Gewinn. Für ein Mädchen fand sie das gar nicht schlecht. Vor allem, da sie es sich allein aufgebaut hatte. Silanus hatte ihr nur das Startkapital damals gegeben, und seitdem tat sie ihr bestes, dieses zu mehren.
    “Na, wenn du so nett darum bittest, von mir Honig kaufen zu dürfen, noch mit so überzeugenden Argumenten, kann ich's ja mal versuchen. Waldhonig klingt in jedem Fall lecker.“ Sie grinste zu ihm hoch und musste dann lachen. “Keine Ahnung. In Ägypten gibt es aber viele Bienen. Aber ich glaube, die nehmen da alle die Getreideblüten zum Honig machen, und das ganze Pflanzenzeug, was am Nil wächst. Blühen Dattelpalmen überhaupt?“ Axilla hatte keine Ahnung. Sie hatte die Palmen zwar gesehen, aber wer schaute da schon SO genau hin?

    “Pah, ich will dir nur noch ein wenig Zeit an der frischen Luft lassen, damit du Kräfte sammeln kannst. Vorhin hab ich dich ja noch geschont, aber wenn du so frech bist, werd ich härtere Bandagen benutzen müssen. Du wirst schon sehen.“ Und nun bekam er auch ihre Zunge zu sehen. Bestimmt sah es sehr albern aus, wie zwei mehr oder minder Erwachsene im Perystil herumspazierten und sich gegenseitig die Zunge rausstreckten. Aber es sah ja keiner, und außerdem machte es Spaß!


    “Du fragst mich, wer Ädil ist? Keine Ahnung. Ich war ja schon froh, dass ich wusste, wer Agoranomos war. Und den kannte ich persönlich, und konnte es mir trotzdem fast nicht merken!“ Axillas Gedächtnis für Namen oder Titel und Ämter war wirklich atemberaubend chaotisch. Ein Wunder, dass sie sich an ihren eigenen Namen jeden Morgen erinnerte. “Steht sowas wohl in der Acta? Ansonsten werden wir wohl fragen müssen.“ Axilla zuckte mit den Schultern. Das würde sich schon rausfinden lassen.
    Bei der Frage nach ihren eigenen Betrieben musste sie allerdings etwas mehr nachgrübeln. “Hmmm, also, der Farbmischer sollte eigentlich in Ägypten bleiben. Weißt du, das Zeug, aus dem sie die Farben machen... also die Steine und so, was man da so vermahlt, das gibt’s da unten alles. Hierher müsste ich das immer erst importieren. Und du glaubst ja gar nicht, wie wild die Leute sind, wenn auf Schminke draufsteht, sie kommt aus Ägypten. Ich mein, ich hab hierher ja was mitgenommen, so als Geschenke und zum verkaufen, mal halt ein wenig gucken. Mein Verwalter hat hier ja einen Händler aufgetan, der das ganze Zeug mit den Getreideschiffen mitliefern lässt und dann hier verkauft. Das war alles fast sofort weg. Ist wirklich irre.“
    Wieder ein Schulterzucken, und ein Lächeln. “Aber meinen Weber könnte ich umschrieben lassen. In Ägypten gehen Stoffe recht schlecht, da komm ich nicht gegen die parthischen Händler an mit der ganzen Seide und so. Oder ich schließe ihn ganz, mal schauen. Und ich hab mir überlegt, noch eine Imkerei aufzumachen. Eigentlich wollte ich das ja auch in Ägypten machen lassen.... aber das ginge eigentlich auch hier.“ Axilla kaute kurz auf ihrer Unterlippe, während sie überlegte. Eigentlich war das egal, wenn sie noch ein wenig bleiben würde, könnte sie das schon machen. Das war ja nichts großartiges. Die Bienen flogen ja im Wald rum, man musste nur Bienenstöcke aufstellen und warten. Das war auch schnell wieder abgebaut, wenn sie doch nach Ägypten gehen sollte. “Was meinst du?“ fragte sie einfach Archias nach seiner Meinung.

    Ein klein wenig hatte sich Axilla vielleicht sogar gewünscht, er hätte auf ihren Scherz hin ja gesagt. Bestimmt hätte sie es irgendwie erklären können, wenn sie wieder einmal nach draußen ging. So als kleinen Spaziergang, um Kräfte zu tanken. Und sie wäre ja auch nicht irgendwo gewesen, sondern im Palast. Das war ja sicher nichts, was man irgendwie verwerflich finden könnte. Ganz bestimmt nicht. Aber er sagte nicht ja, und Axilla ließ sich nur lächelnd von ihm ärgern.
    “Ach, meinst du, dein Wille ist schon wieder stark genug, um eine weitere Niederlage verkraften zu können? Nicht, dass du noch weinend in der Bibliothek sitzt, weil ich dich schon wieder geschlagen habe.“
    Sie grinste und schaute in den Gang, aus dem sie anfangs das Perystil betreten hatten. “Gehen wir noch eine Runde. Laufen tut gut“, meinte sie kurz und zog ihn auch schon fast wieder ein Stückchen mit sich. Ihr fehlte die Bewegung am meisten, von daher wollte sie noch nicht so schnell wieder umkehren. Vor allem aber wollte sie ihn noch ein wenig bei sich haben, denn er klang so, als ob er sich sonst gleich verabschieden würde. Wenn man bedachte, warum er überhaupt am gestrigen Tage gekommen war, war das fast etwas abstrus. Aber Axilla war froh, dass er bei ihr war, und irgendwie war sie auch froh, dass es kein Geheimnis zwischen ihnen beiden gab.
    “Ach, die Frage ist eher, ob du es denn drei tage ohne mich noch aushältst, oder ob dann das Chaos komplett ist. Aber ich glaube, den Ädil können wir ohnehin nicht nerven, solange die Feiertage noch sind. Du willst diene Betriebe doch noch umschreiben lassen, oder?“

    “Hmmm, Buch oder aufräumen, Buch oder aufräumen, hmmmhmmmhmmm“ gespielt wiegte Axilla beim Überlegen den Kopf hin und her, als wäre es eine wirklich sehr schwere Entscheidung, die sie da zu treffen hatte. Sie war ja nur froh, dass Leander so gut im Aufräumen war und ihr ihre Unordnung immer sehr schnell beseitigte. Sie selbst hatte das Talent, alles dahin zu verräumen, wo es gerade nicht hingehörte, und sich dann später zu beschweren, dass sie nichts wiederfand.
    “Ich könnte mich auch einfach auf einen Stuhl daneben setzen und dich in der Gegend rumdirigieren, was hältst du von dem Vorschlag?“, meinte sie frech und grinste zu ihm hoch. Danach machte sie einen übertriebenen Rehblick und fuhr gespielt mit den Fingern ihrer Freien Hand über den Unterarm, an dem sie sich eingehakt hatte. “Immerhin bin ich ja noch so schwach und gar nicht belastbar. Da kann man mich doch unmöglich aufräumen lassen.“
    Es machte Spaß, ihn damit aufzuziehen, aber Axilla behielt diesen unschuldigen Klein-Mädchen-Blick noch gut und gerne eine Minute bei, ehe sie doch wieder grinsen musste und ihre Finger mit dem gespielten Streicheln aufhörten.

    Oh ja, Axilla konnte sich gut vorstellen, dass Archias wegen seinem Zimmer Ärger bekommen hatte. Da sah es ja auch aus, als wäre eine Barbarenarmee durchgestapft – und hätte dabei Teile ihrer Ausrüstung großzügig zurückgelassen. Sie musste grinsen, als sie daran dachte, und dass Archias jetzt aufräumen musste, ließ es noch breiter werden. “Na, meinst du, du schaffst das an einem Tag? Der arme Katander, ich seh schon, der wird ganz schön klagen, wenn er dir hilft.“
    Axilla richtete sich wieder gerade auf und stand auch auf. Seinen blauen Überwurf behielt sie aber um die Schultern. “Gehen wir noch ein bisschen? Ich brauch Bewegung“, forderte sie ihn auf und hakte sich dann bei ihm ein, als er stand.
    “Hmmm, was könntest du machen, was könntest du machen...“, überlegte Axilla. Am liebsten hätte sie ihn ja hierher eingeladen, aber das würde wohl komisch aussehen. Vor allem abends. Dann war auch ihre Familie anwesend, und das sah vielleicht merkwürdig aus, wenn er sie dann auch besuchen kam. “Ich würd dich ja zu uns zur Cena einladen, aber das könnte komisch aussehen, oder? Also, ich meine, so kurz vor der Hochzeit mit Seiana. Nicht, dass es Gerede gibt.“ Auch wenn dieses Gerede einen wahren Kern beinhalten würde.
    Sie überlegte also weiter. Auch, wenn ihr der folgende Satz unglaublich schwer fiel, brachte sie ihn dennoch mit einem lächeln zustande. “Aber du könntest ja Seiana mal fragen, ob sie mit dir essen will.“

    Die anderen... Ja, Axilla hatte Serrana nun. Auch wenn die ein wenig auf Abstand gegangen war seit ein paar Tagen. Aber sie konnte es ihr auch nicht verübeln. Sie war so rein und zart, bestimmt hatte es sie sehr erschreckt, die Cousine da blutend und krampfend im Bett vorzufinden. Axilla gab ihr einfach die Zeit, die sie brauchte.
    Aber sie hatte Archias. Zumindest im Moment. Und vielleicht auch noch die nächsten Wochen. Wenn er mit Seiana verheiratet war, sollte sie ihn loslassen, aber im Moment hatte sie ihn noch. Und gerade hatte sie ihn sogar ganz für sich allein, was ihr ein – wenngleich etwas trauriges – Lächeln entlockte.
    “Morgen? Ich weiß nicht. Kommt drauf an, ob die anderen mich denn machen lassen, was ich machen will. Besondere Pläne hab ich eigentlich nicht. Wieso fragst du?“
    Über den Themenwechsel war Axilla eigentlich ganz glücklich. Sie mochte es nicht, so trübe Gedanken die ganze Zeit zu haben. Überhaupt war sie in letzter Zeit viel nachdenklicher geworden als noch vor ein paar Monaten.

    Gerne würde Axilla ihm glauben, dass ihr Vater auch weiterhin stolz auf sie war. Sie sah kurz zu ihm hoch, um die Ehrlichkeit in seinen Augen dabei zu sehen, und ließ es damit gut sein. Er schien sich so sicher zu sein, und Axilla wollte ihm ja nur zu gerne glauben.
    “Ich bin sein einziges Kind“, spezifizierte Axilla Archias' frage noch ein wenig in ihrer Antwort. So langsam hatte sie sich beruhigt, und es ging ein wenig leichter, darüber zu sprechen. Vielleicht waren auch einfach nur alle Tränen ausgegangen, aber es kamen keine neuen. Stattdessen rückte sie nur leicht ihren Kopf bequemer auf seine Schulter.
    Und sie waren auch schon gleich beim nächsten Thema, das mit diesem ersten zusammenhing. Sie fühlte Archis Kopf an ihrem und es war ein vertrautes Gefühl. Ein bisschen bitter klang ihre Stimme vielleicht, als sie von der Mutter redete, denn Axilla konnte nach wie vor diese Gebrechlichkeit nicht wirklich verstehen. “Meine Mutter war immer eine sehr zierliche und kränkliche Person. Sie hatte Husten, so lange ich mich an sie erinnern kann. Sie war zwar ein paar Mal schwanger, aber... ich kann mich an einen Bruder erinnern, der zwei Monate alt wurde. Ich war noch sehr klein. Aber sonst... Da bin nur ich.“

    Der Überwurf um die Schultern tat gut, und Axilla zog sich den Stoff noch ein wenig enger. Es war nicht wirklich, dass es dadurch wärmer war, es war mehr das Gefühl, dass sich Archias um sie sorgte und auch in gewisser Weise für sie sorgte. Es war einfach ein Stück weit Geborgenheit, und Axilla brauchte dieses Gefühl.
    Archias versuchte, sie zu trösten, und Axilla wischte nochmal die Tränen weg. Sie ließ sich einfach gegen ihn sinken und legte ihren Kopf dabei leicht seitlich auf seine Schulter. Ihr war es in diesem Moment egal, ob jemand sie sehen konnte, sie dachte noch nicht einmal daran, welche Auswirkungen das haben könnte. Sie wollte einfach nur ein wenig mehr Geborgenheit, und das ging nicht, wenn sie einfach nur neben ihm saß und auf höflichen Abstand bedacht war.
    “Ich habe nur Angst, dass er jetzt nicht mehr stolz auf mich ist“, gestand sie Archias leise, und sie hatte ja auch allen Grund, das zu glauben. Sie hätte ein uneheliches Kind beinahe in die Welt gesetzt. Welcher Vater könnte darauf stolz sein? Und auch sonst, sie würde in ein paar Monaten 18 Jahre alt werden, war noch immer unverheiratet. Das würde sich ihrer Einschätzung nach auch so schnell nicht ändern. Sie sprach leichtfertig und vorlaut, was sie dachte. Und sie konnte nichtmal ansatzweise überschauen, welche Konsequenzen ihre Handlungen hatten. Das war nichts, auf das ein Vater stolz sein konnte.
    “Nein, er ist in Nord-Hispania gefallen. Es war ein Hinterhalt, und... also, sie haben ihn dort dann verbrannt, als sie die Aufständischen festgesetzt hatten. Castricius Tegula hat meiner Mutter dann die Rüstung und das Schwert gebracht. Damit wir noch etwas haben, du verstehst?“
    So langsam hörten die Tränen auf zu fließen. Axilla wischte sie noch einmal weg und fühlte sich irgendwie leer.

    Anstatt einer Antwort auf seine Frage bekam er einen Pieks in die Seite. Auf einem Pferd mit einem Mann... hätte er davon nicht angefangen, Axilla hätte daran noch nichtmal gedacht. Sie wusste nichtmal, ob das möglich wäre. Allerdings bekam das nun einen eher sehr weit hinten liegenden Platz auf der Liste der Dinge, die man auf diesem Gebiet nochmal ausprobieren sollte.
    Archias ärgerte sie, als sie sich hinsetzten, und spielerisch schlug sie nach seiner Hand. Sie versuchte, ernst zu bleiben und böse zu schauen, aber das ging nicht so ganz, weil sie lachen musste. “Du bist unmöglich!“ meinte sie schließlich gespielt beleidigt und blieb neben ihm sitzen. Es war schon wirklich kalt, und unauffällig legte sie sich ihre Rechte Hand auf den linken Unterarm, um ihn ein wenig zu wärmen und die beginnende Gänsehaut zu vertreiben. Aber sie wollte jetzt nicht schon wieder rein, sie wollte zeigen, dass sie wieder belastbar war. In der Zwischenzeit musste ihr Körper doch den Blutverlust ausgeglichen haben! Und sie wollte nicht schwach wirken. Wenngleich sie ein klein wenig näher an ihn rückte, um ein wenig von Archias' Wärme abzubekommen.


    Dann auf einmal war das Thema bei Axillas Vater, und plötzlich fühlte sich Axilla doch wieder so, dass sie am liebsten reingehen wollte. Oder weitergehen. Zumindest nicht hier sitzen bleiben. Sie fühlte diesen schweren Stein in der Gegend ihres Magens, der immer zu drücken schien, wenn sie an ihren Vater dachte. Sie ließ den Kopf etwas hängen und schaute zu Boden, während sie Archias zuhörte. Kein Soldat, eher Bürokrat... “Ich glaube, du wärst ein ganz guter Soldat geworden“, flüsterte sie fast, ohne ihn dabei anzuschauen. “Bei dir fühl ich mich sicher und beschützt“, fügte sie noch an, als wäre das eine Erklärung für ihre erste Aussage.
    Sie atmete einmal durch und sah dann auf. Sie waren nicht weit weg vom Lararium, und ihr Blick wanderte dorthin. Man konnte zwar von hier aus nicht hineinsehen, aber Axilla wusste, dass dort die Rüstung stand mitsamt dem Schwert. “Weißt du...“, fing sie dann an und sah kurz zu Archias hinüber, weil sie sich nicht sicher war, ob sie es ihm erzählen sollte. Sie redete nie darüber, mit niemandem. Es fragte sie ja auch niemand, warum also sollte sie es tun? Auch Archias hatte nicht wirklich gefragt. Aber dennoch wollte sie jetzt reden, wenigstens ein wenig. “...wegen der Legion war Vater immer viel von zuhause weg. Aber wenn er dann heim gekommen ist, dann war alles einfach gut. Er hat mich dann hochgehoben und mir einen Kuss auf die Wange gedrückt, und als wäre er nie weggewesen hat er gefragt, was ich so an dem Tag gemacht hab. Ich hab immer mit den vielen Schnallen an der Rüstung rumgespielt, während ich es ihm erzählt habe.“
    Axilla weinte, während sie erzählte. Es tat so unendlich weh, sich zu erinnern, selbst an die schönen Dinge. “Weißt du, ich hatte immer das Gefühl, dass ich dann genau richtig bin, wie ich bin. Ich konnte ihm sagen, auf wie viele Bäume ich geklettert war und welches Knie ich mir aufgeschlagen habe und welchen Blödsinn ich angestellt habe, und es war trotzdem alles gut. Er hat nur gelacht und gemeint, sie hätten mich doch Eichhörnchen nennen sollen.“
    Axilla wischte sich die Augen, weil sie nicht mehr richtig sehen konnte. Sie schluchzte nicht und auch sonst war ihre Stimme eher leise und ruhig. Nur die Tränen liefen beständig. “Ich vermisse ihn“, sagte sie schließlich noch und fasste damit so ziemlich alles zusammen, was in den letzten Jahren in ihrem Leben falsch gelaufen war. Sie vermisste ihn schrecklich. Mehr, als sie durch Worte ausdrücken könnte.

    “Ach, hast du es schonmal ausprobiert, auf einem Pferd?“ fragte sie frech nach und gab ihm nochmal einen kleinen Knuff. Den Wink hatte sie schon verstanden, und dieses Schwert hatte wirklich jeder Mann. Aber sie wollte Archias ein klein wenig verunsichern, denn aufziehen ließ sie sich deswegen von ihm nicht.
    Überhaupt erntete er einen tadelnden Blick, als er meinte, sie würde zusammenklappen. Gleich danach fragte er auch noch mit echter Sorge in der Stimme, ob sie sich setzen wolle, was gleich noch so einen Blick zur Folge hatte. “Ach, geht schon. Waren ja nur ein paar Schritte bis jetzt.“ Aber es half nichts, zielsicher steuerte er eine Sitzgelegenheit an, und Axilla verdrehte leicht die Augen. Sie war doch nicht gebrechlich! Ein bisschen konnte sie schon aushalten. Grummelnd setzte sie sich aber trotzdem hin und bemerkte die Erleichterung, die ihren Körper dabei durchströmte. Trotzdem schenkte sie Archias einen etwas missmutigen Blick, der aber nach einigen Herzschlägen schon wieder weich wurde.
    “Nein, geht schon. Bin ja nicht aus Zucker.“
    Sie atmete einmal durch. Ein bisschen kalt war es ja schon. Sogar ein bisschen sehr kalt. Aber Axilla wollte unbedingt beweisen, dass sie schon wieder belastbar war. Sie konnte es ganz und gar nicht leiden, so zerbrechlich zu sein, wie im Moment. Dann kamen ungewollte Erinnerungen hoch, an ihre Mutter, die wie ein Geist durchs Haus geschlichen war. Auch wenn es sich widerwärtig anhörte, Axilla hatte sie dafür fast verabscheut. Dieses kraftlose und schwächliche.... sie wollte nie so sein. Auch jetzt nicht, obwohl sie allen Grund dazu hatte. Nein, sie wollte mehr wie ihr Vater sein, selbstsicher und stark und … gesund einfach. Beim Gedanken an ihn spielte ein wehmütiger Zug um ihre Lippen.
    “Ja, ich hab Vaters Rüstung und das Schwert mitgenommen. Ich konnt das nicht in Alexandria lassen, wenn ich hierher fahre.“ Es war nicht so, als ob Axilla Merula nicht vertraut hätte, gut darauf aufzupassen. Urgulania sowieso. Aber sie konnte sich einfach nicht davon trennen. Sie brauchte diese letzten Zeichen seiner Existenz in ihrer Nähe wie die Luft zum Atmen. Die Vorstellung allein, diese Dinge nicht greifbar zu haben, abgeschnitten zu sein von ihm ganz und gar, das war es, was Axilla auf dieser Welt am meisten fürchtete. Natürlich hatte sie alles mitgenommen. Sie konnte gar nicht anders.

    Als er meinte, Seiana mache sich da eh nicht viel daraus, sah Axilla nochmal kurz verstohlen zu ihm auf. Wie meinte er das schon wieder? Sie erinnerte sich an den Tag nach dem Tag, an dem sie erfahren hatte, dass Urgulania ermordet worden war. Als sie zusammen im Bett lagen und er sie geneckt hatte, hatte er auch schon gemeint, Seiana würde ihn nicht küssen wollen, was Axilla nicht verstand. Und nun sagte er sowas. Irgendwie klang das traurig. Und irgendwie klang es auch nicht richtig. Liebte sie ihn denn nicht? Axilla wusste, dass Archias sie sehr liebte, aber das jetzt hörte sich irgendwie resignierend an. Eigentlich brannte ihr auf der Zunge, wie er darauf kam, sowas zu sagen, aber sie ließ es bleiben. Ihr schien es irgendwie nicht richtig, zumindest nicht in diesem peinlichen Moment.
    Zum Glück ging Archias gleich auf ihren kleinen Themenwechsel ein. Er versprach ihr sogar, mit ihr auszureiten, was sie wieder leicht lächeln ließ. Das wäre sicher wundervoll. Und bei seinen folgenden Worten musste sie leicht kichern.
    “Wie, du hast kein Schwert? Der große Kriegsherr, der der winzigen imperatrix auf ihrem Triumphzug durchs Peristyl folgt, besitzt kein Schwert?“ Natürlich zog Axilla ihn auf. Einen Mann ganz ohne Schwert konnte sie sich nicht vorstellen. Es konnten zwar nicht alle damit richtig umgehen, aber besitzen war ja was anderes. Sie knuffte ihn spielerisch in die Seite und lehnte sich dann mehr gegen ihn. Zum einen wollte sie, dass er ihr den Scherz verzieh, und zum anderen wurde das Gehen langsam etwas anstrengend und ein wenig Stütze tat gut.
    “Nun, ich hätte ein Schwert. Von meinem Vater. Aber ich glaube, das lass ich lieber da, wo es ist. Sonst kriegt die Landbevölerung hier noch den Schreck ihres Lebens, weil sie denken Horden aus Asia greifen an.“
    Dass es in Asia früher Amazonen gegeben hatte, war ja schließlich bekannt.

    Axilla fiel so etwas wie fehlende Dekoration nicht auf. Natürlich sah sie, dass dieses Haus bei weitem nicht so prunkvoll war wie das in Alexandria, und auch viel kleiner, und überhaupt und sowieso. Aber im Grunde war ihr sowas nicht wichtig genug, um sich den Kopf darüber zu zerbrechen. Sie interessierte sich für Menschen, nicht für Gebäude. Dass das eine dazu führen konnte, dass man von dem anderen mehr hatte, soweit dachte sie nicht. Und als Archias anfing, sie zu beschreiben, war daran sowieso nicht zu denken.
    Der Satz mit dem Kind schmerzte. Axilla wusste nicht warum, aber es schmerzte. Sehr. Es war ja nicht so, als ob sie das Kind hätte bekommen wollen, ganz sicher nicht. Nach wie vor wusste sie, dass es gar keine andere Möglichkeit gegeben hätte und darüber nachzudenken ganz und gar nutzlos war. Trotzdem fühlte sie einen Stich, vielleicht gerade, weil Archias es gesagt hatte. Es war zwar kein Vorwurf von ihm gewesen, aber Axilla fühlte sich so, als hätte er es ihr eigentlich vorwerfen müssen.
    Dass er sie perfekt fand, bekam sie über diese Gedanken nur so halb mit. Sie schaute kurz zu ihm auf und versuchte sowas wie ein Lächeln, ehe sie wieder beiseite schaute. Im Moment fühlte sie sich wieder extrem nicht-liebenswürdig und häßlich, da konnte dieses Kompliment sie nicht ganz erreichen.
    Aber zum Glück lenkte Archias gleich ab, und Axilla war ihm auch dankbar dafür. Sie sah zu ihm rüber und streichelte einmal gespielt über seinen Bauch, ehe sie neckisch zu ihm hochschaute. “Also, zu dürr bist du nicht“, meinte sie mit einem lächeln und schaute dann fast ein wenig verträumt an ihm herunter. Sie schmunzelte leise vor sich hin und begann dann mit gleichsam verträumt wirkender Stimme zu reden. “Doch, du siehst gut aus. Vielleicht ein bisschen Training, damit man deine Muskeln besser sieht. Aber muss auch nicht sein. Seiana hat wirklich Glück mit dir. Ein Wunder, dass du nicht schon lange verheiratet bist. Ich an ihrer Stelle würde nicht so lange warten, um das alles mein nennen zu dürfen...“
    Als sie merkte, was sie gesagt hatte, schoss Axilla die Röte in die Wangen, und sie schaute wieder schnell beiseite in den Garten. Sie musste ablenken, durch irgendwas. Schnell. “Irgendwann muss ich nochmal auf den Viehmarkt. Wir haben zwar einen Stall, aber kein einziges Pferd drin. Kannst du dir das vorstellen? Und dabei würd ich gern mal wieder reiten.“ Seit ihrer Reise durch Ägypten war sie das ja nicht mehr. Auch wenn es ein ziemlich konstruiertes Gesprächsthema war, was anderes war ihr auf die Schnelle nicht eingefallen. Sie war schon froh, dass ihr Blick auf den stall gefallen war und ihr irgendwas eingefallen war.

    Es war nicht weit von der Bibliothek, so groß war das Haus ja nicht und für den Lichteinfall lagen ohnehin alle Räumlichkeiten mehr oder minder um das Peristyl. Axilla hatt sich bei Archias eingehakt und ganz langsam schlenderten sie so auf dem geraden Steinboden entlang um den Garten drumherum. In dessen Mitte stand der große Baum, auf den sie am Abend ihrer Ankunft geklettert war, ehe ihr neuer Verwandter Brutus sie erwischt hatte. Auch jetzt fühlte sie sich zu dem Baum hingezogen, aber sie fühlte sich nicht so unsicher, als dass sie das Verlangen hätte, sich in seine Zweige zu retten. Nein, eigentlich fühlte sie sich bei Archias recht wohl.
    Nur eine Bemerkung von ihm, wenngleich im Scherz gefallen, ließ ihr keine Ruhe. “Hmmm, Caius? Also... findest du mich wirklich so mager?“ fing Axilla also das Gespräch wieder an und sah dabei etwas verschämt zur Seite weg. Sie wusste, dass sie nicht unbedingt üppig war. Ihre Brüste waren klein, und überhaupt war sie doch schon fast zu dünn. Nicht ganz, aber eben fast. Sie aß ja auch nicht immer regelmäßig, wenn sie etwas bedrückte, dann vergaß sie es nur zu gern. Aber dass es so schlimm war? Ihr Name bedeutete ja auch schon, dass sie eher zierlich geraten war. Aber war es wirklich so schlimm? “Ich meine... es geht doch noch, oder bin ich zu dünn?“ Axilla legte sich eine Hand auf den Bauch, um ihn einmal an sich ranzudrücken und nachzufühlen. Sie fand es eigentlich noch in Ordnung. Aber sie war auch kein Mann und hatte da keine Ahnung. Und Archias war der einzige, der es wohl ganz genau berteilen konnte und dessen Urteil sie auch vertraute.

    “Naja, wenn ich dich noch so vier oder fünfmal geschlagen habe, dann hab ich dieses eine Mal bestimmt vergessen“, ärgerte Axilla Archias ganz frech. Sie kostete ihren Sieg richtig aus. Es hatte Spaß gemacht, mit Archias zu spielen, und sie hatte das Gefühl, dass er es auch recht gut konnte. Das war eine Herausforderung! Sie liebte Herausforderungen.
    Bei seiner Beschreibung, wie sie unter der Kline liegen würde, angeknabbert von Mäusen und mit Wein begossen, musste Axilla kichern. Lachend hakte sie sich bei ihm ein und führte ihn dann nach der ach so charmanten Aufforderung auch gleich aus der Bibliothek in Richtung Garten. Eine Runde im Peristyl konnte gewiss nicht schaden.