Beiträge von Iunia Axilla

    Bei seiner ersten Bemerkung schaute Axilla kurz auf und hätte deswegen beinahe ihren Zug versaut. Sie und er sich zusammentun? Familiär? Um eine große Familie zu bilden? Das hatte er nicht gerade gesagt, oder? Axilla blinzelte einmal verwirrt und schnappte sich dann seinen bellator.
    Er hatte das sicher nur so dahingesagt, ohne zu überlegen. Immerhin heiratete er in gerade mal 6 Wochen Seiana. Die Vorbereitungen liefen ja quasi schon. Es fehlten nur noch die offiziellen Einladungen, und es konnte losgehen. Und er liebte sie ja auch. Auch wenn er sie sehr gern hatte, wie er gesagt hatte, seine Liebe gehörte der Decima, und Axilla hatte sich damit abgefunden. Naja, zumindest so gut es eben ging. Schwer würde es erst werden, wenn sie wieder ganz fit war und sie dann miteinander arbeiteten und sie sich dabei vielleicht nochmal nahe kamen. Aber sie durfte ihn nur einfach nicht mehr küssen, das konnte so schwer ja nicht sein. Sie musste es nur wirklich, wirklich versuchen.


    Und dann ging es ziemlich schnell. Axilla machte Zug um Zug und tirieb Archias in die Enge, bis sie ihm schließlich jeden einzelnen Spielstein abgeknöpft hatte. Im Siegesrausch warf sie beide Arme hoch und wippte ein wenig hin und her, als wolle sie einen kleinen Siegestanz veranstalten. “Hmmm, das muss ich mir noch überlegen, was ich von dem großen Kriegsfürsten einfordere. Aber ich denke, mit seiner Niederlage gegen ein kleines, ach, nein, winziges Mädchen ist er erst einmal schon gestraft.“
    Am liebsten wollte Axilla ja nochmal spielen, aber sie wollte Archias nicht so drängen. Sie spielte das hier wahnsinnig gerne, aber sie wusste nicht, wie es ihm da ging. Und ausnutzen wollte sie ihn j auch wieder nicht.


    Axillas Blick folgte dem von Archi durch das Fenster. “Ja, so langsam kommt der Frühling. Ich kann nur nicht so weit gehen. Aber können wir gerne versuchen. Dann scheucht mich schon keiner zurück ins Bett, wenn ich mal ein wenig gehe. Ich sags dir, das ist das nerfigste überhaupt.“
    Axilla stand auf und es wirkte schon etwas sicherer als noch einen Tag zuvor. Ihr Körper erholte sich gut und schnell. “weißt du, als Kind bin ich am liebsten gerannt, bis ich jeden einzelnen Muskel gespürt habe. Und jetzt machen hier alle einen Aufstand, wenn ich fünf passus am Stück gehe.“ Axilla grinste Archias an, dann wurde ihr Blick kurz etwas verlegener und ihre stimme zu einem Flüstern. “Aber wenn ich doch umkippe, musst du mich auffangen.“

    Und plötzlich ging es bei dem Spiel Schlag auf Schlag. Er holte sich zwei ihrer vagi, sie bekam dafür einen von ihm zu fassen und hatte mit ihrem bellator freie Bahn. Das wurde direkt gnadenlos ausgenutzt, und sie knöpfte ihm einen vagus und zwei ordinarii problemlos ab, ehe er seine Truppen wieder neu formatiert hatte und sie ihren bellator mit einem Zug über das halbe Spielfeld in Sicherheit brachte.
    Sie besah sich ihre Ausbeute jedes Mal genau, und so hatte sie einen fur(Schlingel), einen amator(Liebhaber) und gar einen nefarius(Betrüger) bald im Sack, wortwörtlich.
    “Serrana und ich fahren noch aufs Grab raus für das Festmahl. Silanus hat für das ganze nicht so viel übrig. Und die Carista werden wohl auch eher klein ausfallen. Gibt ja nicht mehr so viele überlebende Iunii. Ich hatte überlegt, meinen neuen Verwandten Brutus einzuladen, der gehört ja jetzt auch dazu und von Mantua könnte er es ja rechtzeitig schaffen. Merula ist ja in Ägypten und kann sowieso nicht kommen. Und sonst gibt’s ja nur Serrana, mich und Silanus.“
    Axilla zuckte die Schultern und fasste dann einen tollkühnen Plan. Sie positionierte ihren bellator so, dass er geradezu 'schlag mich' schrie. Es war ein hohes Risiko, aber Archias kam nur mit seinem Bellator da hin, und wenn er es tat, würde er seinen auch verlieren, und Axilla führte momentan mit 2 Steinen und würde ihn dann mit den anderen Soldaten einfach überrennen können. Es würde zwar dauern, aber sie würde gewinnen.

    Jubilierend bemerkte Axilla sienen Fluch und erlaubte sich ein hämisches Grinsen. Das Spiel ging weiter, und sie bewegte ihren bellator auf die rechte Seite. Sie spekulierte darauf, dass er seinen demnächst einmal nach vorne bringen würde, um einen ihrer vagi, der verlockend einzeln in der Gegend herum stand, gefangen zu nehmen. Und wenn er das tat, konnte sie ungeniert in seinen Reihen wüten und ihm gewiss drei Steine abnehmen, ehe sie sich zurückziehen musste. Aber noch war das Spekulation. Und irgendwie hatte sie auch einen ordinarius von ihm übersehen, als dieser plötzlich mit einem vagus einen ihrer Steine so besetzte, dass sie da nicht wegkam. Sie grummelte kurz und leise und zog stattdessen einen ihrer ordinarii, um den Verlust des Spielsteins im Anschluss gleich rächen zu können.


    Als er von seiner Familie erzählte und von seinen ja noch lebenden Eltern, fühlte Axilla schon einen kleinen Stich. Allerdings entschuldigte er sich auch gleich, und Axilla war ihm ja auch gar nicht wirklich böse.
    “Wieso denn? Ist doch schön, dass deine Eltern noch leben. Warum solltest du dich deswegen entschuldigen? Ich wünschte, ich könnte dasselbe sagen.“
    Axilla schaute kurz auf das Spielfeld, und als nach einigen Sekunden noch nichts passierte, schaute sie nochmal auf. “Willst du dir nun meinen vagus holen, oder traust du dich nicht?“ meinte sie herausfordernd. Für sie war das Thema Parentalia damit schon gegessen. Sie war Archias ja wirklich nicht böse deshalb, höchstens beneidete sie ihn ein ganz kleines bisschen.

    Axilla hatte ihre Finger schon auf einem ordinarius um seinen Stein gefangen zu nehmen, aber dann zog sie doch erstmal einen vagus noch eines weiter. Zwar machte es am Anfang nichts, auch einen Stein zu verlieren für einen anderen, aber bis sie Archias einschätzen konnte, spielte sie lieber etwas zurückhaltender. Denn sie wollte wirklich gewinnen und würde ihm da nichts schenken.
    “Du schickst mir ja aber auch so schon Blumen“, meinte Axilla einfach kichernd und zog dann doch den ordinarius, um sich seinen zu schnappen. Nur dass jetzt ihr vagus gesichert da stand. “Hah! Und dem Rest deiner Armee wird es genau so ergehen“ meinte sie siegessicher und herausfordernd und schaute kurz auf den Boden der Figur, ehe sie sie in das Säckchen zurücksteckte. Auf dem Boden stand ein kleines Wort, moraris. Axilla glaubte nicht daran, dass man dieses Spiel auch irgendwie als Liebesorakel benutzen konnte, aber witzig war es allemal.
    “Nein, wer sollte mich denn besuchen kommen? Noch dazu während der Parentalia, da sind ja sowieso alle bei sich zuhause oder bei den Gräbern. Ist ja schon lieb von dir, dass du hierher kommst. Wird Quarto da nicht böse auf dich? Oder reicht es ihm, wenn du zu den Carista wieder daheim bist?“ Nicht, dass Archias noch Ärger bekam, weil er lieber hier bei seiner Angestellten war als daheim beim familiären Opfer.

    och war gar ncihts passiert bei diesem Spiel, und trotzdem nahm es Axilla bereits ganz und gar gefangen. Sie liebte es, zu spielen. Auch wenn das Soldatenspiel etwas komplizierter war als die meisten anderen Spiele, es machte auch sehr viel Spaß, und man konnte siene Gedanken so schön ganz und gar darauf konzentrieren, so dass man wirklich abgelenkt war. Sie spielte es wirklich gerne, nur fand sich leider nicht immer ein Mitspieler. Leander war nicht gut genug, da war es zu einfach, ihn zu schlagen. Und sonst hatte sie bisher hier in Rom noch niemanden gefragt. Immerhin kannte sie ja auch eigentlich niemanden, und “Du, wollen wir 'ne Runde das Soldatenspiel spielen?“ war vielleicht nicht unbedingt ein so toller Gesprächsanfang. Und könnte auch beim ein oder anderen Mann falsch ankommen.
    “Hey, Axilla ist schon eine Verniedlichungsform“ wehrte sie sich kurz gegen die weitere Verniedlichung ihres Namens und wartete dann auf seinen Zug. Sie selbst fuhr mit einem vagus ein Feld schräg, um damit ihrem bellator Platz zu machen.
    Archias fing ein kleines Gespräch an, und Axilla überlegte kurz, ob er sie verunsichern wollte. Wie kam er denn jetzt auf Verehrer? “Ja, haben wir. Die ersten Blumen waren schon fast verwelkt, da haben wir dann die Blumen getauscht und die vom Anfang der Woche noch geköpft fürs impluvium. Sieht richtig hübsch aus.“
    Er zog wieder, und sie versuchte einen kleinen Vorstoß, indem sie einen ihrer Ordinarii ein paar Felder vorziehen ließ, um ihn zu locken. Natürlich war es eine offensichtliche Falle, aber vielleicht ging er ja trotzdem drauf ein.
    “Aber von wem außer dir sollte ich denn sonst noch Blumen kriegen? Du bist lustig.“ Axilla schüttelte den Kopf. Vala würde ihr keine schicken, und wer sonst sollte das denn machen? Sie kannte ja eigentlich niemanden, zumindest nicht auf diese Art und Weise.

    Da war aber einer von sich selbst überzeugt! Das würde ein Spaß werden. Axilla rieb sich bei seinen Worten schon demonstrativ die Hände. “Nun, dann wird der Kriegsfürst heute von einem kleinen Mädchen plattgemacht. Ich hoffe, er weint dann nicht.“ Und frech streckte sie ihm die Zunge raus.
    Als er dann fragte, wohin er das Brett stellen sollte, rutschte Axilla auf ihrer Liege nach hinten. Die Decke störte und wurde mit einem Fußtritt einfach mal runtergeschmissen. Axilla setzte sich dann auch richtig auf, so dass sie im Schneidersitz bequem dahockte und tätschelte auf die freie Liegefläche direkt vor ihr. Als Archias das Feld abstellte, schnappte sich Axilla den Beutel mit den Spielsteinen. “Nix da, am Ende beklagst du dich noch, ich hätte dich betrogen, wenn ich nun eine Farbe ansage. Das wird fair gelost.“
    Sie schüttelte den Beutel und hielt ihn ihm dann leicht geöffnet hin. “Zieh!“ forderte sie ihn auf. Kam gar nicht in Frage, dass er ihr den sicheren Sieg dann aberkannte. Nein, nein, dann machte es ja keinen Spaß. Und er zog einen weißen ordinarius aus dem Beutel und durfte damit anfangen. Nachdem das geklärt war, schüttelte Axilla die ganzen Spielsteine einfach erstmal aus dem Beutel heraus direkt aufs Feld, hinderte den weißen bellator daran, einfach auf den Boden zu kullern, und sie bauten auf. “Wo ist denn nun mein bellator? Doofes Spiel, immer fehlt ein Stein..... Ah, da ist er ja.“
    Mit einem frechen grinsen saß Axilla vor dem fertig aufgebauten Feld und schaute Archias herausfordernd an. “Nun denn Kriegsmeister, beweise dein Können.“

    Es war schon seltsam gewesen. Nach dem Abschiedskuss war Axilla noch eine Weile einfach in der Bibliothek gestanden und hatte Archias hinterhergesehen. Erst, als ihr schwindelig wurde, hatte sie sich doch wieder hingesetzt. Sie wusste noch immer nicht, was da eigentlich grade so wirklich passiert war, sie wusste nur, dass es anders war als sonst. Und es verwirrte sie. Es verwirrte sie sogar so sehr, dass sie nicht mehr weiterlesen konnte, weil andauernd ihre Gedanken weiterwanderten und sie so alles doppelt und dreifach lesen musste und dennoch nichts behalten konnte. Schließlich war sie doch wieder in ihr Zimmer getapert, um einfach zu schlafen. Auch wenn der Schlaf sich nicht so recht hatte einstellen wollen. Natürlich schob Axilla das alles auf die Parentalia, die ihr auch schwer aufs Gemüt schlugen, aber so schlimm wie gerade war es schon lange nicht mehr gelesen.
    Den nächsten Tag hatte sie auch mehr wie ein Geist verbracht, hatte versucht, das Haus ein wenig zu erkunden. Aber außer zum Ara war sie nirgendwohin gekommen, weil gleich jemand hinter ihr her war, sie solle sich gefälligst schonen. Also blieb ihr nichts weiter, als herumzuhocken und zu versuchen, nicht zu viel nachzudenken. Normalerweise fiel ihr das ja leicht, nachdenken war nicht so wirklich ihre Welt, aber heute war das irgendwie ungemein schwierig, und wirklich ablenken konnte sie sich nicht. Noch dazu war draußen schreckliches Wetter. Es regnete zwar nicht, aber es war bewölkt und sah so aus, als wolle es jeden Moment regnen. Und mit Serrana konnte Axilla auch nicht wirklich reden, denn die war seit jener schicksalsschweren Nacht auch ein wenig distanziert. Axilla war nicht doof, natürlich merkte sie, dass da war nicht stimmte. Aber solange sie niemand danach fragen würde, würde Axilla da auch nicht weiter drüber reden und sich selbst etwas zurücknehmen.


    Als es Nachmittag wurde, war sie doch wieder in der Bibliothek und versuchte, die Zeit ein wenig sinnvoll zu nutzen. Allerdings kam sie nichtmal über die ersten drei Seiten von Platons Symposion (wenn schon sich langweilen, dann auch richtig), ehe die Gedanken wieder zu wandern begannen.
    So paradox es war, Axilla war richtig erleichtert, als Archias dann kam. Obwohl er der Grund für ihre dauernden Grübeleien war, war er auch gleichzeitig eine Ablenkung davon. Naja, zumindest so ein wenig. Bis er ihr zur Begrüßung einen Kuss gab, wenn auch auf die Wange. Dennoch freute sie sich zu sehr, um darüber lange nachzudenken, und so lächelte sie ihn nur etwas verwirrt an. Als er ihr dann aber sein Geschenk überreichte, war auch diese Verwirrung vergessen und neugierig öffnete Axilla das Tütchen. “Oh, wenn du mir Süßigkeiten mitbringst, gleich viel besser.“
    Strahlend fischte sie eine hinaus und biss gleich davon ab, ehe sie auch eine zweite herausangelte und Archias hinstreckte. Erst dann wurde sie ein wenig ernst.
    “Naja, es sind Parentalia. Das ist... ein bisschen schwierig für mich.“ Als Urgulania gestorben war, hatte Axilla Archias ihr Herz ausgeschüttet. Zwar war er nicht näher auf das, was sie über ihren Vater gesagt hatte, eingegangen, aber vielleicht war etwas davon hängen geblieben, so dass er nicht weiter nachfragen musste. Axilla hoffte es, denn es war ihr unangenehm, darüber zu reden.
    “Aber jetzt bist du ja hier, um mich abzulenken“, meinte sie gespielt fröhlich und war fast bereit, sich selber zu glauben. Sie war sehr gut darin, sich selbst von ihrer eigenen Fröhlichkeit zu überzeugen, das würde sicher bald echte Freude sein. “Ich hab mir von Leander schon mein Soldatenspiel bringen lassen. Muss hier eigentlich irgendwo rumstehen. Also, wenn du bereit bist, in Grund und Boden gestampft zu werden“, meinte sie frech und sah ihn herausfordernd an.

    Axilla beobachtete genau, wie Serrana vorging. Sie hätte wahrscheinlich alles anders – und damit furchtbar falsch – gemacht, daher war sie froh, dass die Cousine es übernommen hatte. Einmal kurz wankte Axilla, wurde dann aber sofort von Leander aufgefangen und gestützt. Mit einem beruhigendem Blick und einem angedeuteten Lächeln stellte sie sich wieder gerade hin und löste sich von dem Griechen. Seitdem sie wusste, dass er es war, von dem Archias über Umwege von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte, hatte ihr Verhältnis einen Knacks davongetragen, und sie konnte nicht mehr ganz so locker mit ihm umgehen. Sie sah zwar, dass ihn das schmerzte, und sie selbst schmerzte es nicht minder, aber es ging einfach nicht. Nicht so schnell.


    Serrana sprach ein sehr kurzes Bittgebet an die Ahnen, und Axilla wandte sich danach auch den Masken zu. Von diesen Gesichtern kannte sie nicht eines, zumindest nicht bewusst. Natürlich erkannte sie in dem ein oder anderen die Ähnlichkeit zu ihrem Vater, aber sein Geischt war hier nicht. Ihr Blick glitt wieder zu der Rüstung, und nun hob auch sie die Arme nach außen.
    “Ehrwüdige Ahnen, wir danken euch für euren Schutz und die Weisheit, die ihr uns zuteil werden lasst. Wir gedenken eurer und vermissen euch. Wir hoffen...“ Kurz musste Axilla abbrechen, da sie wusste, dass sie einen Lebenswandel führte, den wohl keiner ihrer Ahnen gut geheißen hätte. Dennoch vollendete sie diese Formel, die ihr Vater immer benutzt hatte zu diesem Fest. “... wir hoffen, dass wir unsere Leben so führen, um eurem ehrenhaften Vorbild folgend den Ruhm der Gens zu mehren. Wir danken euch für eure stete Sorge und eure wachsamen Augen.“
    Sie war wieder ein wenig wackelig, also beendete sie an dieser Stelle das Gebet und sah schweigend zu Serrana hinüber. Sie konnte sich gar nicht vorstellen, wie es ihr wohl ging. Sie betete hier zu einem Vater, den sie kaum gekannt hatte. Axilla konnte sich das gar nicht vorstellen. Für sie war ihr Vater nach wie vor der wichtigste Teil ihres Lebens. Ihn sich wegzudenken wäre, als würde man ihr einen Teil ihrer selbst aus dem Leib schneiden.


    “Er wäre sicher sehr stolz auf dich“, meinte Axilla zu ihrer Cousine, während sie sie so traurig anschaute. Zwar kannte Axilla ihren Onkel nicht, aber wenn er auch nur ein klein wenig wie sein Bruder gewesen war, dann war er das ganz sicher.

    Er streichelte ihr nochmal über die Wange, und Axilla wusste einfach nicht, wie sie damit umgehen sollte. Sie wollte ihn so gern umarmen und bei sich behalten. Er war so süß, so lieb und sanft zu ihr. Und er hatte sie gern, das hatte er gesagt. Und das verwirrte sie. Ansonsten war er zwar chaotisch, aber gleichzeitig sehr selbstbestimmt und locker, und das hier war anders. Und Axilla wusste nicht, wieso das hier anders war. Was hieran anders war. Sie fühlte nur, dass es ganz anders war als sonst, und sie es nicht verlieren wollte. Sie wollte nicht, dass er auf den doofen Markt ging.
    “Ja, das wäre schön. Ich denke, die anderen flüchten schon vor mir, wenn ich die Worte „Mollina“ oder „Ludus latrunculorum“ auch nur denke. Wäre schön, mal wieder jemanden zum Spielen zu haben.“
    Ihr lag schon auf der Zunge, ob sie nicht jetzt eine Partie spielen wollten. Ging ja schnell. War ja nichts dabei. So ein bisschen Mühle oder Soldatenspiel. Vielleicht eine stunde, wenn er gut war. Oder zwei. Vielleicht. Aber nicht länger. Der Markt hatte dann sicher noch auf...
    “Ja, irgendwo haben wir sicher noch eine Vase, bestimmt“, meinte sie aber stattdessen und schaute zu den Blumen. Sie wollte nicht, dass er ging, aber sie wusste, dass er musste. Sie konnte ihn ja nicht hier behalten. Allein, wenn Silanus heimkommen würde, das könnte komisch wirken.
    “Gut, dann... ähm... also... bis morgen, nicht?“ Und unsicher schaute sie zu ihm auf. Sie wollte nicht, dass er ging. Schon gar nicht so. Sie merkte gar nicht, dass sie sich selbst auf die Zehenspitzen gestellt hatte. Erst, als dieser Stand zu wackelig wurde und sie sich an ihm festhalten musste, wenn sie nicht umkippen wollte, wurde es ihr richtig bewusst. Aber jetzt war es schon egal. Sie hielt sich mit einer Hand an seinem arm fest und wackelte noch den letzten digitus zu seinen Lippen hoch, um ihm einen kleinen und kurzen Abschiedskuss zu geben.

    Er trat hinter sie, und Axilla fühlte seine Wärme in ihrem Rücken und seinen Atem an ihrem Hinterkopf. Er umarmte sie, nuschelte etwas vom Ädil und zog sie direkt an sich. Axilla ließ es nur zu gern geschehen, ließ sich in seine Arme zurücksinken. Sie fühlte, dass er an ihrem Haar roch. Es war ein wundervolles Gefühl. Und gerade, als sie etwas anderes in ihrem Rücken fühlte, ließ er sie mit einem mal so hektisch los, dass sie beinahe gestrauchelt wäre. Unsicher, ob das gerade wirklich passiert war oder sie doch nur geträumt hatte, hielt sich Axilla einen Moment am Regal fest. Direkt vor ihr stand ein dicker Wälzer. De bello gallico vom guten, alten Caesar. Nicht unbedingt romantische Literatur, bei der man sowas denken könnte, was sie gerade gemeint hatte, zu fühlen.
    Und dann wollte Archias gehen. Fast erschrocken drehte sich Axilla um und sah zu ihm. Er schaute ganz starr in das Bücherregal. Axilla schaute an ihm runter, suchte seine ganze Gestalt nach verräterischen Anzeichen ab. Hatte sie sich das nur eingebildet, weil sie es sich gewünscht hatte, oder war das wirklich passiert? Aber sie sah nichts, und sie fühlte sich wieder etwas wackelig auf den Beinen. Aber sie wollte nicht, dass er ging. Nicht wirklich jedenfalls.
    “Ach, soviel Ruhe brauch ich gar nicht. Aber wenn du noch viel zu tun hast, versteh ich das“, hörte sie sich selber sagen. Erst dann gab sie sich einen Ruck und trat zu Archias, in seinen Rücken. Ihre linke Hand legte sich auf seinen Rücke, fuhr einmal mit sanftem Druck die Wirbelsäule nach oben, ehe sie sie wieder runter nahm und einfach neben ihm stehen blieb. Sie wollte ihn nicht drängen, aber sie wollte ihn auch nicht verlieren. Und... wenn sie gefühlt hatte, was sie gefühlt hatte, dann war das im Moment nicht möglich. Ganz abgesehen davon, wie gefährlich es ohnehin war, hatte sie die Auswirkungen davon doch gerade erst mitbekommen.
    “Ich fand es auf jeden Fall sehr schön, dass du mich besuchen gekommen bist. Und ich bin bestimmt bald wieder bei dir. Zum Arbeiten, mein ich.“
    Mit diesem zaghaften Rehblick schaute sie zu ihm hoch und wünschte sich nichts mehr, als dass er sie nochmal in den Arm nehmen würde, küssen würde, ihr gehören würde.

    Hätte Axilla geahnt, in was für ein Durcheinander sie Archias stürzte, sie hätte wohl versucht, es wieder gut zu machen. Sie hätte vielleicht versucht, ihn zu beruhigen oder sich gar zu entschuldigen. Sie wollte nicht, dass Archias sich schlecht fühlte, erst recht nicht wegen ihr. Sie fühlte sich so glücklich im Moment, und sie wollte, dass er auch etwas davon fühlen konnte. Ohne nachzudenken, einfach nur fühlen. Denn wenn sie nachdachte, würde dieses schöne Gefühl sicher schlagartig aufhören. Dann würde sie wissen, dass Archias Seiana gehörte. Sie würde wissen, dass das hier nicht richtig war. Sie würde wissen, dass das hier nur für den Moment bestand hatte. Aber sie wollte jetzt nicht denken.
    Ungefragt legte Axilla Archias ihre Beine über den Schoß, um sich richtig an ihn schmiegen zu können. Nur einen Augenblick wollte sie dieses geborgene Gefühl genießen, dass er sie so brauchte, wie sie ihn brauchte. Nur für einen kurzen Moment wollte sie einfach nur fühlen und nicht nachdenken. Nur einen weiteren, kleinen Moment glücklich sein. Sie atmete einen leisen, tiefen Zug von seinem Duft ein und schloss einfach die Augen. Nur für einen Moment wollte sie diese Illusion erhalten.


    Als sie die Augen wieder öffnete, nahm sie ihre Beine von ihm runter und stand auf. Noch immer fühlte sie sich etwas wackelig auf den Füßen, aber es ging schon. Sie hob das fallengelassene Buch auf und stellte es in ein nahes Regal. Auch wenn es schwer fiel, Axilla zwang sich, ein bisschen erwachsen jetzt zu sein und damit aufzuhören, Archias in ihre Traumwelt zu ziehen. Er gehörte Seiana, sie wusste das.
    “Ist das denn viel Aufwand, hier in Rom einen Betrieb anzumelden? Ich kenn das ja nur aus Alexandria, da reichte ein Besuch beim Agoranomos. Hast du eine Ahnung, wo ich dann hin muss, wenn alles so weit ist?“
    Axilla fühlte sich jetzt eigenltihc nicht danach,d arüber zu reden, aber sie wusste, es musste sein, sonst würde sie sich nur immer mehr in diesem glücklichen Gefühl bei ihm verlieren.

    Axilla hatte das Gefühl, gleich laut aufjauchzen zu müssen. Er wollte tatsächlich mit ihr zu einem Fest gehen? Mit ihr? So richtig als ihre Begleitung? Axilla wollte am liebsten aufspringen und tanzen! Das war ja wundervoll! Einfach nur wundervoll!
    Aber leider hatte Vala keine Zeit mehr, Opfer ihrer überschäumenden Freude zu werden. Lediglich ein strahlen, das die Sonne in den Schatten zu stellen drohte, musste er sich ansehen, als er aufstand und so das Ende des gemeinsamen Treffens einleitete.
    “Oh, ja, natürlich. Ich muss ja auch weiter, also arbeiten. Ich wollte dir ja auch nur kurz danken und das Buch vorbeibringen.“
    Axilla stand leichtfüßig auf und konnte einfach nicht aufhören, ihn anzulächeln. Achwas, anlächeln, sie himmelte ihn ganz offensichtlich an und er hätte schon absolut blind sein müssen, um nicht zu sehen, was seine Worte gerade mit ihr anrichteten. Und hätte sie ihm nicht versprochen, ihn nie wieder ohne sein vorheriges Einverständnis zu berühren, Axilla wäre ihm wohl nur zu gerne um den Hals gefallen. Aber sie hatte es versprochen, und ihr Wort war Axilla heilig.
    “Ich würde mich auch sehr freuen, wenn wir das bald einmal wiederholen könnten. Vielleicht gibt es ja schon bald wieder ein Fest. Also, ich würde mich wirklich sehr freuen.“
    Dass sie gerade eben sich – schon wieder! - gestritten hatten, war in diesem Moment vollkommen aus Axillas Gedächtnis getilgt. Wie schon bei ihrem ersten streit auf dem Weg vom Hafen zu ihr nach Hause hatte Vala sie mit ein paar Worten einfach wieder um den Finger gewickelt und Axilla war einfach nur hin und weg von seiner charmanten und selbstsicheren Art.
    “Ich will dich dann auch gar nicht mehr aufhalten. Also... Vale“ Zu gern hätte sie ihm zum Abschied noch ein unschuldiges Küsschen oder sonstige Zuneigungsbekundung gegeben, aber sie ließ es lieber bleiben. So ganz traute sie sich dann doch nicht und wollte dieses zarte Band, das sie zwischen ihnen zu fühlen meinte, nicht zerstören.

    Eigentlich war Axilla sich sicher, dass er es gemacht hätte, wenn sie ihn darum gebeten hätte. Irgendwie gab es in Axillas Weltanschauung keinen Platz dafür, dass jemand, den sie als Freund sah, ihr einen Gefallen abschlug. Das passte nicht in ihr schwarz-weißes Denkschema, von daher konnte Axilla das so auch nicht sehen. Aber Archias war sich da wohl sehr sicher, also ließ sie den Gedanken auch fallen. Sie wollte ja auch nichts machen, was er nicht wollte.
    Stattdessen lauschte sie lieber, was er sonst dazu meinte. Das mit dem Mietkahn würde gehen. Wobei er vorhin ja sowieso meinte, dass seine eine Plantage im Norden sei, und wenn Axilla nicht ganz verkehrt war, musste es dann ja ohnehin über Land transportiert werden. Da war ja kein Meer dazwischen, und wie das mit den Flüssen ging, hatte sie keine Ahnung.


    Allerdings kam dann das Thema auf ihre Rückkehr nach Ägypten, und Archias saß neben ihr und starrte mit ihr Gemeinsam den Fußboden an. Axilla hörte ihm zu, sehr genau, jedes Wort. Als er sagte, er habe sie sehr gern, ruckte ihr Kopf zu ihm herüber und sie sah ihn mit gemischten Gefühlen an. Er hat mich lieb? Wirklich? Axilla fand sich im allgemeinen nicht besonders liebenswert. Sie wusste nur zu genau um ihre Fehler und Verfehlungen, und deshalb konnte sie sich selbst meist nicht besonders gut leiden. Aber Archias hatte sie gern, und wollte nicht, dass sie weg ging. Sie war wichtig für ihn. Axilla überlegte, wann sie das letzte Mal für jemanden wichtig war und auch das Gefühl hatte, diesem jemand wichtig zu sein. Sie wusste genau, wann das war, aber sie wollte Archias nicht damit vergleichen. Statt dessen starrte sie nur gerade aus ins nichts, und überlegte, was sie sagen sollte. Sie wusste es nicht. Sie wollte nichts kaputt machen. Es war ein schönes und verwirrendes Gefühl.
    “Ich....“
    Axilla wusste nicht, was sie sagen sollte. Ganz vorsichtig und schüchtern sah sie wieder zu Archias, und sie wusste einfach nicht, was sie sagen sollte. Als hätte jemand alle Worte aus ihrem Kopf gelöscht, da war kein einziges, das passen wollte.
    “Ich will nicht allein sein“, war schließlich das intelligenteste, das ihr einfiel, und sie griff vorsichtig auch nach Archias Hand, lehnte sich wieder gegen ihn. “Du bist mir auch wichtig. Und, also... vielleicht kann ich ja erstmal hierbleiben... “ Eigentlich wollte Axilla gar nicht unbedingt heiraten, wenn sie ehrlich war. Nur es wurde Zeit. Aber wenn sie so daran dachte, einen Mann zu finden und das hier hinter sich zu lassen, dann wurde ihr dabei ganz anders zumute. Nein, Axilla wäre eigentlich schon glücklich, hier mit Archias sitzen bleiben zu können und einfach bei ihm zu sein. Es war verrückt. Sie hatte noch immer leichte Schmerzen im Unterleib. Sie hatte ein Kind getötet, ihr Kind, sein Kind. Darüber durfte sie gar nicht nachdenken. Er würde heiraten. Sie beide waren sich darüber einig, dass sie sich nicht liebten. Und doch war Axilla schon seit einer Ewigkeit nicht so glücklich gewesen wie in diesem Moment, als er ihr gesagt hatte, dass er sie gern hatte und sie wichtig für ihn war.

    Axilla kam gar nicht so richtig dazu, Archias noch aufzuhalten. Wenn man den Fleck so sah und ihre Haare noch so nass waren und nicht frisiert... bestimmt sah sie ganz und gar furchtbar aus! So konnte sie einem Senator doch nicht unter die Augen treten. Noch dazu dem Bruder des Kaisers! Der würde ja den Schock seines Lebens bekommen. Und der Ruf der Iunier... Axilla wollte nichtmal daran denken, welch erbärmliche Vorstellung sie wohl abgab.
    Da half es auch gar nichts, dass hier noch andere Leute auf Quarto warteten, und erst recht nichts, dass Archias meinte, er wäre gleich da. “Meinst du nicht, dass er vielleicht zu beschäftigt dafür ist?“ suchte sie nach einer Ausrede, um hier vielleicht doch wieder verschwinden zu können. Die ganzen Klienten hier waren auch so fein zurecht gemacht. Sie kam sich vor wie eine Krähe unter lauter Schwänen.

    So ganz kam Axilla immer noch nicht mit, was er eigentlich wollte. Als er dann aber schienbar mit seiner Überlegung am Ende war, schlug ihr Geist wahre Purzelbäume. Einen Moment fehlte ihr wirklich die Sprache, und dass sie ihm ja eigentlich noch böse sein sollte, war vollkommen vergessen. Sie hatte vielmehr den Impuls, ihm um den Hals zu fallen, anstatt seine Nase Bekanntschaft mit ihrer Faust schließen zu lassen, und dieses aufgeregt flatternde Gefühl in der Brust war augenblicklich wieder da. Natürlich nahm Axilla ganz automatisch an, dass er sie damit fragte, ob er sie demnächst zu solchen Festen begleiten sollte oder durfte.
    “Naja, wenn er ein Freund ist... also, einer der Familie.... wenn man beispielsweise ja schon lange zwischen den Gentes Geschäftsbeziehungen hat...“ Ihr Lächeln wurde immer ununterdrückbarer, und ihre Ganze Haltung zugleich verlegener und doch irgendwie aufreizender, als müsse sie sich Vala besonders vorteilhaft präsentieren. “... und man kann ja eine Frau auch nicht ganz allein irgendwohin einfach lassen, und wenn kein männlicher Verwandter da ist, der diese gesellschaftlichen Anlässe dann mit einem teilen möchte... also, ja, da wäre das durchaus angebracht.“
    Axilla war sich da zwar nicht ganz so sicher, ob das nicht doch vielleicht zu Klatsch führen könnte, aber das war ihr verdammtnocheins herzlich egal. Wenn Vala mit ihr ausgehen wollte, konnte er sie hinführen, wohin auch immer er wollte. Egal, was irgendwer sagen mochte.

    Ob die Hafenbehörde Archias da nicht einfach einen husten würde, wagte Axilla zu bezweifeln. Ihr Gerechtigkeitsempfinden wollte zwar unbedingt einen Schuldigen, der eine Strafe bekam, dass die Chancen sehr schlecht waren, den zu finden, wusste sie aber auch. Daher verzog sie nur recht zerknirscht das Gesicht, sie hatte ja auch cniht wirklich eine Ahnung, was man da am besten machen sollte.
    “Hmmm, und wenn du die bei einem anderen Händler für eine kleine Gebühr mitschickst? Oder Nikolaos! Ja, genau, das ist doch DIE Idee! Der hat ja auch einen Fernhändler, und der verschifft ja auch nach Rom!“ Axilla fand ihre Idee ganz und gar großartig! Dass Nikolaos vielleicht nicht unbedingt die Waren der Konkurrenz auf seinem Schiff transportieren wollte, kam ihr nicht in den Sinn. Aber er hatte eines zur Verfügung, das wusste sie genau. Immerhin hatte er dafür ja auch einen Kapitän gesucht, der unter anderem sie ja eigentlich zur Not in Sicherheit schippern sollte. “Ich meine, den kann ich sicher fragen. Der schlägt mir diese kleine Bitte sicher nicht ab. Also, wenn du magst.“ Treudoof wie ein Hund schaute Axilla zu Archias auf und wartete auf eine Reaktion von ihm.
    Als er allerdings nachfragte, ob sie wieder nach Ägypten wolle, wandte sie diesen Blick schnell ab und schaute zu Boden. Das gehörte zu den Dingen, über die sie nicht nachdenken wollte, wenn sie ehrlich war.
    “Ich weiß nicht so recht. Mir sagen immer alle, ich soll hierbleiben, vor allem, da Urgulania jetzt auch tot ist. Aber... ich meine, wer bin ich hier denn schon? Weißt du, in Alexandria... da kenne ich die einflussreichsten Männer, und, wenn ich wollte, ich könnte sicher Eutheniarche werden, oder noch mehr. Und die Alexandrier lieben die Iunia. Ich meine... schau dir mal das hier an. Ich bin hier so klein und unwichtig, und ich kenne niemanden, und... ich meine, ich sollte ja auch heiraten eigentlich, aber... wer will mich schon...“ Verlegen kratzte sich Axilla am Arm. Vor allem in ihrer jetzigen Situation war es schwer für sie. Und sollte herauskommen, dass sie schwanger war, dann war das wahrscheinlich sowieso hinfällig.

    Wie meinte er denn das jetzt schon wieder? Er hatte gesehen, wie sich Männer und Frauen Ehre verdient hatten? Gut, bei Männern konnte es sich Axilla denken. Er hatte ihr ja selber gesagt, dass er ein Krieger war und gekämpft hatte. Nirgendwo ließ sich so viel Ehre verdienen wie auf einem Schlachtfeld, davon war Axilla fest überzeugt. Aber Frauen? Das passte nicht. Frauen zogen nicht in die Schlacht, so gerne Axilla das das ein oder andere Mal auch tun würde in ihrem jugendlichen Übermut. Aber das ging nicht, der Platz einer Frau war zuhause. So war das nunmal.
    Bei seinem nächsten Satz aber hätte Axilla ihm am liebsten etwas hartes gegen den Schädel gehauen. Sie hatte keine Ahnung, was Ehre war? Dieser impertinente Mistkerl! Wie konnte er es nur wagen, sowas zu sagen? Zog er ihre Ehre ernsthaft in Zweifel? Axilla wurde vor Wut weiß und musste wirklich schwer an sich halten, ihr verletztes Ehrgefühl nicht mit einer sauberen rechten Geraden wieder herzustellen. Axilla war kein Mädchen, das ihrem Gegenüber eine Ohrfeige gab. Nein, da war sie ganz Kerl, und sie war sich auch sicher, Vala auf die kurze Distanz sauber treffen zu können. Schön mit hohem Ellbogen, falls sie tatsächlich vorbeischlug, so dass sie ihm den noch vor den Latz knallen konnte. In Gedanken malte sie es sich schon aus, als er auf einmal das Thema wechselte.
    “Was?“ schnappte sie also im ersten Moment, ehe sie realisierte, dass Vala damit das Thema aufgegeben hatte. Hatte sie etwa gewonnen? Sie war sich nicht sicher. Gewinnen fühlte sich normal besser an. Und das hier fühlte sich eher nach... in Grund und Boden gestampft worden zu sein an.
    Trotzdem schaute sie zu Vala kurz noch wütend herüber, ehe sie es gut sein ließ. Sie wollte sich ja gar nicht mit ihm streiten! Und wenn er ihr so eine Brücke baute, wer war sie denn, um die nicht zu beschreiten? Sie wollte sich ja eigentlich mit ihm unterhalten und sich gut mit ihm verstehen. Sie blinzelte also die letzten Überbleibsel ihres Ärgers kurzerhand weg, wenngleich sie nicht sofort wieder zu nett lächelndem Palaver zurückfand.
    “Ab und an, ja. Ich meine, ich bin ja auch nicht von hier. Neulich war ich auf einer Verlobungsfeier von... ähm, Iulius Centho und Furia Calliphania.“ Ihr Namensgedächtnis war einfach nicht das beste. “Und davor bei Pompeius Imperiosus. Oh, und eine Einladung bei Decimus Livianus steht noch aus. Und mein Vetter Silanus wollte demnächst auch ein Fest geben. Wieso fragst du?“
    Noch war sie nicht wieder ganz versöhnt, aber... verdammt, warum musste er so wundervoll graue Augen haben? Sie konnte ihm nicht dauerhaft nachtragend sein.

    Um ehrlich zu sein, Axilla hatte keine Ahnung, ob Timos da etwas machen könnte. Vor allem, bis ihr Brief angekommen war, das war ja dann auch schon wieder noch länger. Bis dahin hatte der Verwalter gut und gerne eine Woche Vorsprung! Oder zwei!
    “Ich weiß nicht, ob er was machen kann. Aber den kann man ja nicht einfach so davonkommen lassen, oder? Ich meine... irgendwas muss man doch machen können?“
    Von der Idee, Archias wolle erstmal alleine wurschteln, war Axilla nicht begeistert. Sie machte ja schon mehr Chaos, als recht war, aber gegen ihn war sie da ncoh harmlos. Zumindest, wenn es um die Verwaltung von diesen Sachen ging. “Und dass du den Betrieb vielleicht ganz verlegst? Oder willst du ihn schon in Alexandria behalten?“ schoss es ihr als weitere Idee durch den Kopf. So genau kannte sie seine Handelswege und Absatzmärkte noch nicht, um das beurteilen zu können. Aber in Rom konnte er doch sicher genausogut verkaufen und produzieren.

    Geschickt fing Axilla ihr Kleid aus der Luft. Es hatte noch immer den dekorativen Fleck aus schwarzer Tinte an der Seite, aber das fiel hoffentlich nicht zu schlimm auf. Axilla also entwickelte ihren Turban, um es sich über den Kopf ziehen zu können, als Archias sie darauf auch schon ansprach. “wenn du keine fremden Tuniken in deinem Zimmer lagerst, dann ja. Ich hab so schnell kein Handtuch gefunden“, meinte sie ein wenig frech und breitete den nassen Stoff zum Trocknen vorsichtig auf der nächsten Stuhllehne aus. Danach zog sie sich an und versuchte, alles so zu richten, dass es halbwegs vernünftig aussah.
    Dass Archias sich auf die restlichen Oliven gesetzt hatte, bemerkte Axilla erst, als er fluchte und sich dann auszog. Als er sich die Tunika über den Kopf zog, schnurrte sie ihm einmal gespielt nach und griff dann nach dem Kamm. Das würde nun wohl etwas unangenehm werden... Aber es nützte nichts, sie musste da durch. Während Archias sich also umzog und sich wusch, versuchte sie, ihren Haaren Herr zu werden. Dies ging allerdings nicht, ohne einige mehrfarbige Flüche dabei hervorzuzischen. Verdammt, wie machte Leander das nur sonst immer, dass es dabei nicht so verdammt ziepte? Sie brauchte ewig, und sie hatte das Gefühl, gleich müsse sie eine Glatze haben, soviele Haare, wie sie sich dabei ausrupfte mit diesem vermaledeiten Kamm!


    “Ja, ich... drecksmistverfluchter, willst du wohl!... bin gleich soweit. Ich... Aaaaaaaaahhhh! muss nur noch hier ein wenig... Auauauauauauau aber ich habs gleich!“
    Sie brauchte noch gut und gerne zehn Minuten, bis die Haare wirklich durchgekämmt und halbwegs trocken waren. Jetzt fielen sie ihr offen über den Rücken, aber frisieren konnte Axilla sie nicht allein. Höchstens einen Zopf könnte sie flechten, aber das sah ja auch nach nichts aus, da konnte sie sie gleich offen lassen. “Meinst du, ich kann mich so zeigen?“ fragte sie nochmal nach. Sie wollte ja keinen schlechten Eindruck hinterlassen, wenn sie Quarto das – vermeintlich – erste Mal traf.

    Wenn Araros ihn hätte hören können, der Ianitor wäre in schallendes Gelächter ausgebrochen. Wahrscheinlich hätte er sich sogar auf dem Boden gekringelt, und das, obwohl er eigentlich ein sehr ernsthafter Mensch war. Axilla hingegen musste nur kichern und nickte leicht. “Ja, stimmt. Aber ich glaube, dann wäre der flamen böse, wenn wir das einfach hierher verfrachten.“
    Dass er sich nicht vorstellen konnte, wie ihr jemand böse sein konnte, zauberte bei ihr eine ganz sachte Röte auf die Wangen. Er konnte wirklich süß sein, wenn er nicht darüber nachdachte.
    Als er dann aber erzählte, was für schlechte Neuigkeiten er hatte, verschwand das leicht verträumte Lächeln aus ihrem Gesicht und auch ihre Gesichtsfarbe regulierte sich wieder von selbst. Das war ja furchtbar! “Das ist ja furchtbar! Und jetzt? Was willst du machen?“ Das war ja wirklich grauenhaft. Ausgeraubt und betrogen! Ja, nichts anderes war das, als ein heimtückischer Raub! So ein ehrloses Verhalten! “Soll ich mal in Alexandria dem strategos schreiben, ob der was machen kann? Ich kenn die Familie ziemlich gut, und bestimmt macht der was, wenn ich ihn darum bitte.“ Und Timos kannte sie sogar noch ein wenig besser. Dass dieser gerade im Begriff war, sich aus der Politik zurückzuziehen, konnte sie ja nicht wissen.