Beiträge von Iunia Axilla

    Axilla lächelte leicht und nickte. “Naja, ich hab es ihm versprochen. Und sein Wort muss man ja halten als... ähm, also immer.“ Beinahe hätte sie gesagt 'als Mann von Ehre', weil das ihr Vater immer so gesagt hatte. Aber sie war ja kein Mann, auch keiner von Ehre, daher erschien ihr das doch etwas unpassend. “Da wird er sich sicher freuen.“
    Es dauerte aber einen Augenblick, bis Axilla verstanden hatte, dass sie auch zu diesem Besuch dann eingeladen war, oder besser gesagt, dass das schon fast die Voraussetzung dazu war. Sie verbarg ihre Gedanken dazu hinter einem weiteren Schluck Saft. Wirklich begeistert war sie von der Aussicht nicht. Irgendwie erschien ihr dieses Gespräch schon ein wenig zäh, was sollte sie dann bei einem zweiten noch sagen? Noch dazu, wo die Männer wahrscheinlich lieber unter sich reden wollen würden. Über Politik oder irgendwas, wovon Axilla vermutlich keine Ahnung hatte. Sie langweilte sich bereits bei dem Gedanken daran. Aber naja, versprochen war versprochen, und das wird nicht gebrochen.


    Irgendwie hatte Axilla das Gefühl, dass sich die Stille zwischen ihnen ausbreitete. Sie wusste aber auch wirklich nicht, was sie noch sagen sollte. Heimlich schaute sie einmal zu der Tür, durch die Seiana entschwunden war.
    Wie spät es wohl war? Axilla wiegte den Becher noch in der Hand, ehe sie sich zu einem etwas kindischen Plan entschloss. Beinahe schon theatralisch gähnte sie und hielt sich dabei eine Hand vor den Mund. “Oh, verzeih, Senator. Der Tag heute war wohl etwas lang. Aber deiner sicher auch, wenn du eben erst heimgekommen bist. Ich möchte dich auch nicht länger von deiner abendlichen Entspannung abhalten. Mit deiner Erlaubnis würde ich mich dann verabschieden, ehe mein Sklave mich noch schlafend nach Hause tragen muss.“

    Eine ganze Nacht lang... Axilla war zwar bestimmt kein Feigling und war auch sicher niemand, der gleich heulte, wenn etwas mal ein wenig weh tat. So viele Schürf- und Kratzwunden, wie sie in ihrem Leben schon gehabt hatte, konnte man meinen, sie wäre bei wilden Tieren aufgewachsen und nicht auf einem Hof nahe Tarraco. Aber die Aussicht auf eine ganze Nacht voller Blut und Krämpfe ließ sie schon einmal schlucken, und sie hörte sehr genau zu, was Crios zu sagen hatte. Nachmittags nehmen, es würde ein wenig dauern.... mehrere Tage schwach... sie hoffte, dass Leander das hinbekam. Sie musste nur eine Nacht durchstehen, und es wäre geschafft. Nur eine Nacht. Oh, Götter...
    Crios war besorgt, als er sie so fest ansah und sie darum bat, ihn zu rufen. Nein, es war eigentlich keine Bitte, es war schon mehr ein Flehen. Wäre die Situation eine andere, Axilla hätte ihn dafür süß finden können. Aber im Moment fühlte sie sich irgendwie seltsam, beinahe tot. Sie sah ihn nur kurz an und nickte dann. “Ja, mach ich“, antwortete sie leise und schlicht. Aber sie hoffte, dass das nicht nötig sein würde.


    Sie sah noch einmal auf die Phiole in ihren Händen. Und sie bekam ein schlechtes Gewissen. Nicht Crios gegenüber, noch ncihtmal Archias gegenüber oder dem Kind gegenüber. Nein, Seiana gegenüber. Sie, die am Wenigsten dafür konnte, sollte dafür bezahlen? Irgendwie war das ungerecht.
    “Was bekommst du dafür? Ich... ich will das nicht umsonst, und nicht von Decima Seiana.“ Nein, sie sollte nicht dafür bezahlen müssen, dass ihr Verlobter und Axilla sie betrogen hatten. Das fühlte sich einfach falsch an.

    Eigentlich war sich Axilla sicher, dass Crios es ablehnen würde. Er hatte so darum gekämpft, dass sie ihre Meinung änderte, dass sie sich einfach nicht vorstellen konnte, er würde ihr helfen. Sie glaubte, dass er sie nichtmal verstand, so wie er auf sie einredete von wegen und andere Lösung. Aber welche Lösung hatte sie schon? Wenn sie verlobt gewesen wäre, hätte sie mit ihrem anvertrauten einmal schlafen können, um ihn so glauben zu machen, das Kind wäre von ihm. Wenn Archias nicht Seiana, sondern sie lieben würde, hätte sie es ihm sagen können und darauf hoffen können, dass er sie heiraten würde. Sie liebte ihn zwar nicht, aber sie mochte ihn wirklich sehr gern, und das genügte ihr. Aber es war nunmal, wie es war, und sie sah wirklich keinen anderen Weg.
    Dann aber überraschte er sie doch und sagte zu! Axilla stand einen Moment nur perplex da und kam so gar nicht dazu, etwas zu sagen, als er sich plötzlich verabschiedete. Ihr blieb nicht viel anderes übrig, als sich wieder hinzusetzen, und zu warten.


    Die ganze Zeit rutschte Axilla unruhig hin und her. Sie mochte es nicht, allein zu sein. Wenn sie niemanden hatte, um sich abzulenken, rasten ihre Gedanken, und sie wollte nicht denken. Im Moment weniger als sonst. Sie wollte sich keine Gedanken darum machen, ob sie es tun durfte, wollte sich keine Gedanken darum amchen, ob sie damit eigentlich ihr Kind tötete. Sie wollte sich auch keine Gedanken darum machen, ob sie es Archias sagen sollte, auch nicht, ob sie es hinterher tun sollte. Sie wollte nicht darüber nachdenken, ob sie damit für den Rest ihres Lebens umgehen und es verschweigen könnte. Sie wollte nicht daran denken, was passieren würde, wenn es dennoch aufflog.
    Aber sie tat es.


    Als Crios wiederkam, war es in mehrerer Hinsicht eine Erlösung für Axilla. Vorsichtig nahm sie die Phiole entgegen und hörte sehr genau zu, was er sagte. Unangenehm würde es werden, und sie brauchte jemanden, dem sie vertraute. Nicht allein sollte sie es machen.
    Sie sah kurz etwas zweifelnd hoch, dann nickte sie. “Wieviel...hrrm...wieviel Zeit muss ich einplanen?“
    Wenn sie kurz krank wäre, wäre das noch mit einer Ausrede zu bewerkstelligen. Und Leander konnte sie vertrauen, er würde ihr helfen. Jemand anderen wollte sie nicht unbedingt mit hineinziehen in die Sache. Nicht, wenn es sich vermeiden ließ. Zwar dachte Axilla kurz an Serrana, aber sie wusste nicht, wie ihre Cousine reagieren würde, wenn Axilla ihr offenbarte, dass sie schwanger war und das Kind abtreiben wollte. Daher würde ihr griechischer Sklave dafür herhalten müssen.

    Nun, so großartig fand Axilla sich selbst eigentlich nicht. Es war ja nicht so, als hätte sie das Gedicht geschrieben, und eigentlich musste es ja auch gesungen werden, und überhaupt war es nur kurz und doch ziemlich bekannt... aber trotzdem lächelte sie leicht bei dem Kompliment.
    “Danke“, meinte sie also etwas schüchtern und drehte ihren Saftbecher etwas schüchtern in den Händen. Irgendwie schien ihr das Gespräch etwas einseitig zu verlaufen, und sie wusste nicht, was sie ihren Gastgeber jetzt noch fragen könnte, nach allem, was sie ihn schon gefragt hatte. Oh, wobei, eine Sache gab es noch!
    “Hmm, Senator? Pompeius Imperiosus war so nett, mich auf seinem Schiff hier nach Rom mitzunehmen, so dass ich eine sichere Überfahrt hatte. Ich habe ihm versprochen, dich dafür, wenn ich dich treffe, ihm vorzustellen. Er möchte dich wohl gerne kennenlernen. Kann ich ihm etwas ausrichten?“
    Nun, eigentlich hatte sie sogar versprochen, ihn mitzunehmen, aber das ließ sie mal besser unter den Tisch fallen.

    Das Wasser war kalt, und Axilla musste sich beherrschen, nicht zurückzuzucken. Die Tropfen perlten ihr das Gesicht herunter und schienen auf ihrem Weg beinahe festzufrieren, aber sie gab keinen Mucks von sich. Eisern konzentrierte sie sich auf die Aufgabe, die vor ihr lag, auch wenn ihr Magen rebellierte und sich vor Furcht zusammenschnürte. Aber die Götter waren immer mit denen, die nicht vor Furcht zurückschreckten, sondern ihren weg gingen. So hatte sie es von ihrem Vater gelernt, und sie hatte vor, seine Lehren zu beherzigen.
    Der Aedituus schließlich forderte die wenigen, die hierher gefunden hatten, zur Ruhe auf. Favete linguis, hütet eure Zungen. Axilla sah ihm unsicher in die Augen und war geneigt, seinem Befehl ebenfalls Folge zu leisten. Mit einem Mal erschien ihr die Welt so still und jedes Wort, dass in diese tote Ruhe hineingesprochen werden würde, erschien ihr wie ein Eindringling. So herrschte einen Moment vollkommene Stille auf dem Platz, ehe Axilla ihre Ehrfurcht soweit heruntergeschluckt hatte, um einen Schritt auf den wartenden Ochsen zuzutun. Dreimal den Namen nennen, dreimal den Namen nennen ermahnte sie sich beständig in Gedanken, ehe sie sich zum Tempel und damit dem Gott zuwandte.
    “Dis Pater!“ Ihre Stimme klang in ihren eigenen Ohren viel zu laut und etwas schrill, aber das war wohl Einbildung. Trotzdem machte sie eine kleine Pause und holte neu Atem, ehe sie weitersprach. “Wie ich dir, Dis Pater, versprochen habe, hier diesen Ochsen dir, Dis Pater, großer Gott, zum Geschenk, auf dass du meine Bitten erhören mögest!“
    Ganz leicht zitterte Axilla, weil ihr kalt war, aber sie hoffte, dass man es ihr nicht ansehen mochte. Barfuß bei diesem Wetter mit Wasser besprengt im Dunkeln zu stehen war etwas, wofür man dann nicht noch die Präsenz des Gottes fühlen musste, um zu verstehen, was Kälte war. Und es war noch nicht vorbei.
    Einer der ministri kam mit einer Wasserschale zu ihr, und sie wusch sich noch einmal die Hände in dem eiskalten Wasser. Danach wurde ihr ein Tuch gereicht, und sie trocknete sich die Finger. Der Versuchung, sich auch einmal die mittlerweile halb getrockneten Tropfen auf ihrem Gesicht wirklich wegzuwischen und es ihr somit ein bisschen wärmer zu machen, widerstand sie. Sie wusste nicht, ob es erlaubt war, und sie wollte den Gott mit so einer Kleinigkeit nicht erzürnen. Sie reichte das mallium latum wieder zurück und wandte sich dem Ochsen zu. Der Priester bestrich das Tier mit der mola salsa und weihte es somit endgültig dem Gott. Der Ochse ließ es klaglos über sich ergehen, lediglich kurz zuckten seine Muskeln, als das Gemisch aus Salzlake und Dinkelschrot ihn das erste Mal berührte. Hernach wurden dorsula, vittae und infulae sorgsam abgenommen, und lediglich die silbernen Hörner und Hufe blieben dem Tier als Schmuck, der nun wie ein etwas nasser Ochse einfach nur noch aussah. Axilla schaute fast mitleidig zu ihm, wie er da stand, nicht minder zitternd wie sie, als sie das culter, das Opfermesser entgegennahm.
    Axilla ging schweigend die paar Schritte bis zu dem Kopf des Tieres. Sie fühlte sienen warmen Atem, als sie neben seinem Kopf zum stehen kam und das Messer erhob. Sie hielt es 'richtig', die glatte Seite der Schneide an ihrem Unterarm entlang, die scharfe von sich weisend. Vielleicht sähe es besser aus, wenn sie es auf die Weise halten würde, dass die Schneide ganz von ihr weg wies, aber dafür war sie zu sehr Tochter ihres Vaters, um eine Waffe so falsch zu halten. Ganz langsam ging sie von Kopf bis zum Schwanz des schwarzen Tieres, das Messer so knapp über dem Fell führend, dass sie hier und da auch mal eines der längeren Fellhaare umbog. Die ganze Zeit über murmelte Axilla dabei, so leise, dass vermutlich nur der Gott sie hörte, wenn überhaupt. “Für dich, Dis. Ich bitte dich, nimm es an. Bitte, nimm es an. Nimm es an...


    Ebenso langsam, wie sie zum Schwanz des Tieres gegangen war, ging sie wieder nach vorne, einige Schritte seitlich von dem Ochsen, den Blick zum Tempel gewandt. Jetzt, so kurz vor dem eigentlichen Opfer, befiel eine unheimliche Ruhe die junge Iunia. Es war geschafft. Egal, ob der Gott es annehmen würde oder nicht, sie hatte getan, was sie geschworen hatte. Sie hatte nicht gezögert, hatte nicht mehr mit sich gehadert. Sie hatte es getan, und alles weitere lag in der Hand des Gottes. Es fehlte nur noch ein einfaches, kurzes Wort.
    “Agone?“ hörte sie in diesem Moment auch schon die Worte des victimarius der sich mit dem wuchtigen malleus vor dem Ochsen bereits positioniert hatte. Axilla sah noch nicht einmal zu ihm hinüber, sondern nur auf den Tempel vor ihr, als sie den Befehl schließlich gab. Tu es! “Age!“
    Sie hörte das heftige Krachen des Opferhammers auf den Schädel des Ochsen, der daraufhin augenblicklich mit einem tiefen Stöhnen zusammenbrach. Die wuchtige Masse verursachte ein dumpfes Geräusch auf dem Boden des Tempelvorplatzes. Der cultarius war mit dem Messer sofort zur Stelle und stach zielsicher in die Halsschlagader des Tieres, kaum, dass es zu Boden gefallen war. Dunkles Blut schoss mit kraft hervor und wurde in einer Opferschale aufgefangen. Beim zurückziehen der Klinge allerdings hatte der Opferstecher etwas viel Schwung, so dass einige Tropfen spritzten und Axilla trafen. Sie blinzelte ganz kurz erschrocken, blieb aber sonst reglos wie eine Statue. Das warme Blut brannte heiß auf ihrer Wange, als sich die drei Tropfen ihren Weg nach unten bahnten. Sie schmeckte den metallenen Geschmack, als es ihre Lippe erreichte, und ihr Magen wollte sich am liebsten entleeren. Aber sie blieb eisern und reglos stehen, ließ es einfach geschehen, ohne zu murren oder zu zucken. Eine Römerin ertrug das.
    Sie hörte, wie der Brustkorb des Ochsen von dem victimarius geöffnet wurde und das dumpfe Schmatzen, als er die vitalia herausholte und auf die patera legte, damit der Aedituus sie begutachten konnte.
    Bitte, nimm es an. Bitte, bitte, nimm es an. Nimm es an, betete sie in Gedanken und hoffte auf das eine, erlösende Wörtchen.

    Als er ihr Recht gab, grinste Axilla freudig. Das Kompliment tat ihr gut, auch wenn sie sich nicht sicher war. Es war irgendwie blumig, aber sie kam einfach nicht drauf, was genau es war. Vielleicht irgendwas, das noch süßlicher roch? Nur was? Nunja, aber wenn Piso ihr recht gab, hatte sie ja vielleicht doch schon das richtige gefunden.
    Und auch sein Versprechen ließ sie lächeln, wenngleich anders. Es war nicht, dass es sie freute – also schon auch, aber nicht nur. Nein, es verband sie. Es machte sie zu gemeinsamen Hütern eines Geheimnisses, und damit waren sie Axillas Ansicht nach näher als noch vor ein paar Minuten. Und ihr fiel auf, dass ihr dieser Gedanke gefiel. Sehr sogar. So hatte sie auch wenig Hemmungen, ihm ehrlich von ihren Gefühlen für den Baum zu berichten, auch wenn es kindisch und albern klingen mochte.
    Als sie geendet hatte, nahm sie wieder einige schlucke. Leider war der Becher viel zu schnell an seinem Ende angelangt, so dass sie nachschenken musste. Wieviele Becher hatte sie nun eigentlich gehabt? Drei? Vier? Sie wusste es nicht. Im Endeffekt zählten ja doch nur zwei: Der erste und der letzte. Und das hier würde sicher der letzte sein, nahm sie sich vor, als sie ihn einschenkte. Ihre Hand-Augen Koordination war aber irgendwie gerade nicht besonders, so dass sie sich ein wenig über die Hand schüttete und erstmal damit beschäftigt war, den Wein wieder von ihrer Hand zu lecken. Sonst klebte das ja alles!
    Piso klang verträumt, als er sie nach den Nymphen fragte, und Axilla war zu beschwipst, um die Frage nicht geradeheraus zu beantworten. “Ja, hab ich“, erzählte sie also mit einem verklärten Lächeln im Gesicht und rückte doch wieder näher, den Becher in der Hand. Sie nahm eben noch zwei kräftige Schluck und kam dann wieder so nah zu ihm, dass sich ihre Oberarme berührten. Ein schönes Gefühl, daher blieb sie so, nachdem sie ihn einmal glückselig angelächelt hatte.
    “Ich war noch... ganz klein. So klein... naja, vielleicht auch so klein“ Sie zeigte mit den Händen eine Größe, die vielleicht einem fünfjährigen Kind entsprach, wenngleich ihre Hand dabei etwas wankte. Sie sah lächelnd zu Piso rüber. “Du hast schöne, graue Augen...“, dachte sie laut und merkte es nicht, ehe sie ihren Kopf ohne zu überlegen auf seine Schulter legte, um weiterzuerzählen. “Weischt du, mein Vater...[size=6]hicks[/size]... der ist mit mir einmal..[size=6]hicks[/size]... ausgeritten, nachts. In den Wald sind wir geritten, nur wir zwei. Isch bin einge..[size=6]hicks[/size]...schlafen und dann wach geworden von Stimmen. Ich hab sie nicht gesehen, dafür war esch schu dunkel. Aber schie waren da, ganz ehrlich. Ich schwöre, schie waren da.“
    Axilla wendete kurz den Kopf leicht, um zu ihm hochschauen zu können. Sie lächelte leicht und glückselig. Er hatte wirklich wunderschöne, graue Augen. “Du glaubscht mir doch?“ fragte sie noch einmal nach, weil sie ja irgendwie doch wusste, wie verrückt das klang. Aber andererseits behielt sie diese Nacht immer in Erinnerung, manchmal träumte sie sogar davon, wie sie dann auf den Hügel geritten waren, hinter ihnen der Wald, und hinunter in das nächtliche Tal geschaut hatten. Sie konnte sich an jeden einzelnen Stern am Firmament von dieser Nacht erinnern, und an das helle, leise Lachen, das das Kind anfangs erschreckt hatte.

    Er konnte damit nichts anfangen? Was bitte sollte das jetzt heißen, und was hieß 'aus solchen Gründen'? Männer! Für die war es ja auch sehr einfach, da krähte kein Hahn danach, und wenn sie 50 uneheliche Kinder hatten. Sie konnten ja sogar das Kind dann einfach nicht annehmen und waren ganz aus dem Schneider. Kein Gesetz zwang einen Mann, seinen Bastard anzuerkennen. Im Grunde war das das Problem der Frau, und wenn die ein uneheliches Kind hatte, war sie für die meisten Männer nicht mehr als Heiratskandidatin geeignet. Wer wollte schon eine Frau, der der Hauch der Untreue anhaftete?
    Unfruchtbarkeit stellte er ihr in Aussicht, und etwas in Axilla verkrampfte sich bei dem Wort. Natürlich hatte sie davor Angst. Sie brauchte einen Sohn, unbedingt, der den Namen ihres Vaters in seine Ahnenreihe aufnehmen würde. Das war das größte und wichtigste in ihrem Leben. Und wenn sie keinen mehr gebären könnte, das wäre für sie das schlimmste. Aber... was, wenn das Kind jetzt auf die Welt kam? Wenn es gar ein Mädchen war? Wie standen ihre Chancen dann?
    “Was denkst du, wie viele eheliche Kinder ich noch haben werde, wenn ich es nicht tue?“ fragte sie daher fast schon rhetorisch und schüttelte den Kopf. Sie glaubte nicht, dass Crios ihr noch helfen würde, aber vielleicht kannte er ja doch jemanden, so dass ihr die peinliche Suche auf den Märkten der Stadt erspart bleiben würde. “Es gibt keinen anderen Weg. Hilfst du mir jetzt, oder nicht? Wenn nicht, muss ich nämlich los.“
    Axilla schaute mit gefasstem Ausdruck zu ihm auf, und in ihren Augen spiegelte sich eine Hoffnung, die aber nur allzu leicht in Resignation übergehen mochte. Sie wollte nicht weiter darüber reden, und erst recht nicht darüber nachdenken. Das brachte nur Kopfschmerzen. Und sie hatte schon genug, was ihren Schädel zum Bersten bringen wollte.

    Natürlich merkte Axilla, dass Crios mehrfach versuchte, einen Einwand unterzubringen, aber sie ließ das nicht zu. Und wie die meisten war er zu höflich, um in ihren Redeschwall einfach dazwischenzubrüllen, und so ließ sie ihre ganze, verzweifelte Schimpftirade einfach auf ihn los. Erst, als sie geendet hatte und heftig atmend dastand, sich den schmerzenden Kopf mit einer Hand leicht hielt, kam er dazu, wirklich etwas zu sagen. Er löste sich von seinem Tisch und verringerte so die Distanz zwischen ihnen beiden. Axilla hörte ihm zu und war sich unsicher, ob sie lachen oder doch besser heulen sollte. Der Vater...? Oh Götter, nein, das durfte erst recht nicht sein. Der machte am Ende noch einen schrecklichen Blödsinn. Vielleicht sagte er deswegen noch die Hochzeit ab. Oder – und davor hatte Axilla noch am allermeisten Angst – sie würde ihn verlieren, weil er sie nicht mehr sehen wollte.
    “Nein, er sollte nicht davon wissen“, meinte Axilla sehr resignierend und fing wieder damit an, ein wenig zu laufen. Sie fühlte so eine große Unruhe in sich, da konnte sie nicht stehen bleiben. Am liebsten wollte sie laufen, laufen, laufen, bis jeder Muskel in ihrem Körper weh tat, bis ihre Lunge bei jedem Atemzug brannte und in ihrem Kopf kein einziger Gedanke mehr war, nur noch das Rauschen ihres Blutes. Sie sehnte sich danach. Sie sehnte sich nach ihrem Baum, zu dem sie flüchten konnte und dann nicht mehr war als eines der unzähligen Eichhörnchen in seinen Wipfeln. Sie wollte keine schwangere Frau sein, sie wollte einfach nur ein Naturgeist sein. Nur leider war sie keiner.
    “Er... er liebt mich nicht, er... er heiratet demnächst. Er würde nicht... nein, er sollte nicht davon wissen.“ Axilla wusste nichtmal, warum sie Crios das erzählte, aber sie musste einfach etwas sagen. Ihr ganzer Kopf wollte platzen. Da konnte sie nicht ruhig sein.


    Als er meinte, es sei gefährlich, musste Axilla doch lachen. Es war aber weniger belustigt, sondern eher wie das verrückte Lachen, wenn man verstand, dass man sterben würde. Und Axilla hatte mehr Angst vor dem Leben als dem Tod.
    “Kennst du meine Familiengeschichte? Die ehrenvollen Iunier, die die Republik gegründet haben. Und weiß du auch, wie es dazu kam? Lucretia, die edelste der Römerinnen, hat sich selbst umgebracht, weil sie vergewaltigt worden war, obwohl ihr Vater und ihr Bruder sie für unschuldig erklärten. Darauf beruht meine Familie, auf dieser Tat, und der Vergeltung hierfür. Darauf beruft sich jeder in unserem Geschlecht. Und jetzt sag mir, Crios, welche Möglichkeit ich habe. Und ob ich Angst davor haben sollte, wenn ich dabei sterbe, wo ich mich deshalb doch eigentlich umbringen sollte, weil ich Schande über meine Familie gebracht habe.“
    Axilla hatte schon das ein oder andere Mal darüber nachgedacht, sich in das Schwert ihres Vaters zu stürzen, als sie Liebeskummer wegen Silanus gehabt hatte. Aber sie hatte sich nicht getraut. Und auch jetzt traute sie sich das definitiv nicht. Aber das Risiko, dass ihr der Kräutertrank, den sie trinken musste, schaden könnte, das war etwas, was sie einfach eingehen musste.

    Als er ihr Antwort gab, war sich Axilla nicht ganz schlüssig, ob es sein ernst war und er ihr schmeicheln wollte, oder ob er sie veralberte. Sie hatte auf ein wenig Entrüstung gebaut, aber entweder war er zu gesetzt, um sich so leicht aus der Reserve locken zu lassen, oder aber es störte ihn wirklich nicht. Seltsame Sache, sie hatte immer geglaubt, die römischen Männer wären da viel... pedantischer mit der Rolle der Frau.
    Ihr blieb aber nicht lange Zeit, um darüber nachzudenken, denn da wurde sie schon wieder gefordert. “Rezitieren?“ fragte sie etwas überrascht nach und überlegte auch gleich fieberhaft, was sie ihm denn vortragen sollte. Die meisten Gedichte, die sie kannte, waren Liebesgedichte, aber sie konnte ihm ja schlecht ein solches vortragen. Das schien ihr irgendwie... falsch. Nein, Liebesgedichte schloss sie aus. Was gab es da noch, was sie aus dem Stegreif konnte an römischer Literatur? Die Metharmophosen, vielleicht? Aber das war alles immer so lang, und sie brachte da sicher was durcheinander. Und irgendwelche moralischen Lehrgeschichten... neee.
    Kurz schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, einfach etwas griechisches zu nehmen. Immerhin kam sie aus Alexandria eben, da sprach man griechisch. Gut, hier war Rom, das hier war ein römischer Senator in einem römischen Haus... Sie sollte eigentlich nicht... aber andererseits...
    “Gut, dann etwas von Sappho. Aber... ich rezitiere nur, singen ist... ähm, keine so gute Idee.“
    Sie räusperte sich kurz und holte noch einmal Luft, ehe sie ein paar Zeilen der großen Künstlerin hervorbrachte.
    “Then, as the broad moon rose on high,
    The maidens stood the altar nigh;
    And some in graceful measure
    The well-loved spot danced round,
    With lightsome footsteps treading
    The soft and grassy ground.“

    Axilla schaute offen und ohne Arg Piso entgegen, als sie auf seine Antwort wartete. Allerdings merkte sie fast sofort – irgendwie war ihre Reaktionszeit gerade etwas langsamer, wie sie feststellte – dass sie wohl einen Fettnapf erwischt hatte. Piso schaute mit einem Mal etwas abwesend, fast traurig, und auch ihr Gesichtsausdruck wurde dabei ernster und mitfühlender. Als er ihr dann antwortete, lauschte sie ruhig und mit Verständnis in ihren Augen. Oh ja, das kannte sie sehr gut. Was er da beschrieb, das kannte sie mehr als gut. Nur hätte sie nie gedacht, dass jemand anderes auch jemals so fühlte, und erst recht kein Mann. Und schon dreimal nicht jemand wie Piso, der ja Patrizier, redegewandt und so fröhlich war.
    Sie wollte antworten, aber in diesem Moment kam der Kellner, der sich auch dieses Mal beeilt hatte, als wären die Furien mit ihren Peitschen hinter ihm her, mit dem neuen Wein. Er stellte den neuen Krug ab, auch zwei neue Becher dazu, und schenkte schnell ein, ehe er sich verbeugend und zwei Schritte rückwärts gehend wieder entfernte. Axilla nahm den neuen Becher und roch einmal an dem Wein. Dieser war irgendwie kräftiger, roch mehr nach Blumen als nach Beeren, und sie nahm einen Schluck davon. Einen kräftigen Schluck, um genauzusein, gefolgt von noch einem, weil sie beim ersten Mal ja gar nicht so richtig den Unterschied geschmeckt hatte. Dieses Mal schmatzte sie wieder und schaute dann überlegend wie in hundert Meilen entfernung. “Der ist gut“ kam schließlich etwas schwerfällig von ihren Lippen, gefolgt von noch einem Schluck. “Riecht nach... Jasmin... oder Glockenblumen...glaub ich...“ Ihre Eloquenz litt ein wenig, während sie noch einen Schluck nahm und zu Piso rüberschaute. Er sah irgendwie so verloren aus in Axillas Augen. Und er hatte schöne graue Augen.
    Axilla rutschte wieder näher zu ihm und beugte sich leicht zu ihm rüber. “Ich verrate dir ein Geheimnis. Aber du musst versprechen, dass du es nie verrätst.“
    Auch wenn ihre Zunge eine Winzigkeit belegt war und verriet, dass sie bestimmt schon gut angeheitert war – auch wenn sie nicht lallte oder Schluckauf hatte – sah und hörte man ihr an, dass sie das ernst meinte. Bei dem Wörtchen 'versprechen' machte sie mit ihrer Rechten ein leichtes X über Pisos Herz und dachte dabei nicht einmal daran, dass sie ihn einfach so berührte. Sie beugte sich zu ihm rüber, damit niemand anderes mithören konnte. Oh, er roch auch gut...
    “Daheim, in Tarraco, da hatten wir einen Baum im Garten. Wenn es mir zuviel wurde, bin ich einfach zu ihm gelaufen und in seine Äste geklettert. Es war ein wundervoller Baum, alt, knorrige Rinde...Meine Mutter war sehr krank, und manchmal war es schlimm. Wenn dann niemand wusste, was zu tun war... ich bin dann immer dorthin gelaufen. Dann war ich in einer anderen Welt. Dann... war ich nicht ich. Da war ich ganz weit weg, nur ich und meine Gedanken, und der Baum...“
    Während Axilla erzählte, wurde ihre Stimme etwas abwesend, als sie sich erinnerte. “Ich schwöre dir, es lebten Nymphen darin. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Ich vermisse ihn. Ich fühlte mich immer sicher bei den Bäumen...“
    Sie schüttelte kurz den Kopf und rückte aus der unmittelbaren Nähe des Flaviers leicht ab. Ganz verlegen lächelte sie ihn an und nahm sich wieder ihren Becher mit Wein, von dem sie einen großen Schluck nahm. Irgendwie hatte sie gerade das Bedürfnis dazu. “Ich denke, deine Methode war besser und klingt nicht ganz so verrückt“, meinte sie schließlich selbstironisch und schenkte sich aus dem Krug noch etwas nach.

    Auch Axilla bemerkte die Kälte, die ihr zunehmend in die Glieder kroch. In den Füßen hatte sie kein Gefühl mehr, während sie barfuß über den feinen Marmorboden tapste, immer einen Schritt nach dem anderen in Richtung Vorplatz zurück. Über das Spiel der Flöten hinweg hörte sie ein leichtes Klagen von hohen Stimmen, schrecklich mitanzuhören, wie weinende Menschen. Unheimlich legte es sich über die sanfteren Töne hinweg und schien sie zu begleiten, während sie langsam hinausschritten.
    Natürlich hatte Axilla Angst. Für sie waren Geister und Mächte sehr real, viele dieser unsichtbaren Wesen auf seltsame Art sogar mehr als die großen Götter. Sie glaubte an ihre Macht, wie die der Laren und Nymphen, so auch an die der Lemuren und Manen. Und zu gern wär sie einfach erschrocken jetzt weggelaufen. Sie fühlte diese kalte Präsenz, hörte das Klagen, und ihr war unendlich schlecht. Am liebsten wollte sie sich übergeben. Aber sie blieb ruhig, setzte einen bedachten Schritt vor den anderen, schluckte die Galle wieder hinunter und führte so ihre kleine Prozession durch das hohe Tor wieder nach draußen.


    Inzwischen war es hier Nacht geworden und nur noch die Flammen der Kohlebecken erhellten die Szenerie. Axilla konnte es nicht unterdrücken, einmal erleichtert aufzuatmen, als sie aus dem Gebäude heraustrat und die lebendige Welt vor sich sah. Der Ochse war an starken Seilen an die dicken Ringe im Boden gebunden und wartete auf sein Schicksal. Der victimarius stand unheildrohend daneben, den Malleus bereits in beiden Händen haltend. Axilla lief bei dem Anblick ein weiterer Schauer über den Rücken, aber noch hielt sie sich wacker und gerade.
    Sie wartete, dass die Flötenspieler nun an ihr vorbei auf ihren Platz gingen und der Aedituus sie noch einmal rituell mit etwas Wasser reinigen würde. Ehern wie eine Statue blieb sie stehen und ließ sich den kalten Winterwind ein wenig die offenen Haare zerzausen, während ihr Blick über den Platz schweifte.
    Nur wenige Menschen waren hier und schauten, was sich hier abspielte. Offenbar gab es nicht häufig ein so großes Opfer bei diesem Tempel, aber der Ort mit seiner kalten Präsenz war ihnen wohl nicht weniger unheimlich als Axilla selbst. Es machte sie noch ein wenig nervöser. Sie wollte keinen Fehler machen. Sie wollte keinen Fehler vor Zeugen machen. Und sie hoffte so sehr, dass der Gott ihr Opfer annehmen würde.

    Es war schon fast ein wenig besorgniserregend, wie sehr sie diesen Iulier wohl offenbar aus dem Konzept kriegen konnte. Ein ganz klein wenig gemein fühlte sich Axilla ja schon dabei und sie überlegte schon, ob sie den armen Tropf nicht mit irgendeiner Ausrede stehen lassen sollte, damit der erstmal durchatmen konnte. Aber da waren ja auch noch Serrana und Romana, die mitziehen müssten. Und zumindest letztere schien es entweder nicht so zu sehen wie Axilla, oder aber sie bemerkte es nicht.
    Was Axilla hingegen bemerkte, war, dass Antoninus ihr sehr lange in die Augen sah. Wirklich sehr lange und beinahe verträumt. Ihr Lächeln wurde etwas verlegener, fast, als hätte er ihr ein Kompliment gemacht, als sich ein weiterer Iulier dazugesellte und von Serrana eingeladen wurde, sich am Gespräch zu beteiligen. “Salve“ grüßte auch Axilla den Neuankömmling und musterte ihn kurz. Er war in etwa in ihrem Alter, würde sie schätzen, und damit deutlich jünger als sein... Vetter? Sie hatte keine Ahnung, wie die Verwandtschaftsverhältnisse zwischen Antoninus und Libo waren, aber wenn es wichtig war, würde man sie sicher noch aufklären, oder aber es würde sich im Gespräch ergeben.
    Gerade wollte Axilla also nochmal auf Antoninus antworten, um ihm vielleicht so ein wenig seiner Befangenheit zu nehmen, als sich Romana auch schon direkt nach seinem Wohlbefinden erkundigte. Nunja, eigentlich eine berechtigte Frage. Er sah schon so ein wenig aus, als würde er gleich umkippen. Der Schweiß konnte nicht wirklich gesund sein, und Axilla überlegte schon, ob das wirklich nur an der Nervosität liegen konnte, oder ob sie gar etwas getan hatte, was diese Reaktion hervorrufen könnte. Sie sah kurz etwas an sich hinunter. Naja, im Vergleich zu den anderen Frauen hier war ihr Kleid vielleicht schon etwas... figurbetonter. Der Stoff war luftig und dünn und so geschnitten, dass er zwar alles wichtige verdeckte, aber genug interessantes auch enthüllte. War es vielleicht das, was den Iulier so nervös machte? Dass er nur höflich sein wollte und Axilla nicht beleidigen wollte und jetzt nicht wusste, wie er sich herausreden sollte?
    “Weiß du, Romana, ich denke, ich hole mir doch mal ein Stück Kuchen, der sieht wirklich sehr lecker aus. Und wenn er so gut ist, wie du sagst, sollte man damit nicht zu lange warten.“ Um die kleine Ausrede nicht verlegen lächelte Axilla nochmal in die Runde und nickte den anwesenden einmal charmant zu. Vielleicht ging es dem Iulier ja besser, wenn sie kurz aus seinem Blickfeld verschwand, und wieder dazugesellen konnte sie sich ja in ein paar Momenten wieder. Geschickt löste sie sich also aus dem Gespräch und machte sich auf in Richtung des Kuchens. Hunger hatte sie zwar keinen, aber das war ja kein Hinderungsgrund.

    Als sie mit reden geendet hatte, betrachtete der junge Arzt erstmal ausgiebig seine Füße. Axilla stand einfach nur still und regungslos im Raum, als könnte jede noch so kleine Bewegung dazu führen, dass hier schon alles über ihr einstürzte. Sie hatte Angst. Was sollte sie machen, wenn er nein sagte? Was sollte sie machen, wenn er sie gar erpresste? Axilla wusste, dass sie oft weltfremd und naiv war, dass sie impulsiv und unüberlegt handelte. Aber sie war nicht dumm, und erst recht nicht dumm genug, um nicht zu wissen, welche Gefahr für sie theoretisch bestand. Crios musste nur ehrgeizig sein, oder ein bisschen skrupellos, und sie wäre ihm im Moment ausgeliefert. Das wusste sie, und sie hatte auch Angst davor. So sehr sie ihm vertrauen wollte – und es auch tat – sie hatte im Moment einfach vor allem Angst.
    Schließlich sprach er doch, und im ersten Moment atmete Axilla so erleichtert und hörbar aus, dass sie selber darüber erstaunt war, offenbar den Atem angehalten zu haben. Er kannte also das richtige Mittel? Das war doch großartig! Aber was hatte er denn jetzt? Warum druckste er so herum? Hatte sie etwas falsches gesagt? Und je mehr er sprach, umso mehr drängte sich Axilla wieder die Verzweiflung auf. Er wusste das Mittel, und wollte es ihr nicht geben? Weil er es nicht konnte? Und weil er auch gar nicht wollte?! War das sein Ernst? Sie sollte es sich überlegen?
    “Was gibt es da zu überlegen?“ fuhr sie ihn fassungslos an. Er tat so hilfsbereit und mitfühlend, und jetzt sagte er so einen Blödsinn! Hilflos breitete Axilla die Arme aus, weil sie nicht fassen konnte, warum er so war. Sie verstand es nicht. “Was denkst du, was ich da überlegen sollte? Ich darf nicht schwanger sein. Verstehst du das denn nicht?“
    Fast perplex warf sie die Arme in einer hilflosen Geste in die Luft, dass es schon Ähnlichkeit mit einem flatternden Vogel hatte. “Was soll ich denn sonst machen? Wie stellst du dir das denn vor? Dass ich meine Ehre wegwerfen soll, und die meiner Familie gleich mit? Mein Vater hatte keine Söhne. Ich muss einen ehrbaren Sohn irgendwann zur Welt bringen, der ihn in seine Ahnenreihe aufnimmt, damit er nicht in der Lethe verschwindet! Wie soll das bitte gehen, wenn ich... Nein, das geht nicht!“
    Je mehr sie redete, umso mehr wurde die Bestürzung zu Wut, und Axilla fand wieder die Kraft, ihn nicht nur anzusehen, sondern regelrecht anzufauchen. Sie hatte Angst, und er war jetzt ihr Ventil, das sie brauchte, um nicht vor Angst zu zerspringen. Er war eine Ablenkung von dem viel schwerwiegenderen Problem, das sie eigentlich hatte. Selbst wenn er ihr helfen würde... sie war von Archias schwanger! Sie wusste, dass es stimmte, auch wenn sie es immernoch leugnen wollte. Das war kein Spiel mehr, kein Spaß. Das war ernst. Das war verdammt ernst. Und egal, was passieren würde, sie würde wissen, dass sie von ihm ein Kind erwartet hatte. Auch wenn es nur kurz sein sollte, sie und er... allein der Gedanke war erschreckend. Und doch löste er eine kleine Sehnsucht in ihr aus, die sie nicht haben wollte.
    Sie schüttelte den Kopf, um die Gedanken daran zu vertreiben. “Dann sag mir, wo ich hingehen muss, wenn du mir schon nicht helfen willst. Ich will nur meine Kräuter, und du musst mich nie mehr wieder sehen.“

    Er stand an seinen Tisch gelehnt und schaute zu ihr rüber. Axilla wusste nicht, was er von ihr dachte. Wahrscheinlich hielt er sie auch für eine Lupa, für eine Hure, die nun ein Kind von irgendwem erwartete, dessen Namen sie noch nicht einmal kannte. Das zumindest würde jeder ehrbare Römer von ihr denken. Und doch... er schaute sie so ruhig und ehrlich an. Beinahe mitleidig. Und das war schon fast mehr, als Axilla ertragen konnte, wo sie sich selbst doch am liebsten für soviel Dummheit geschlagen hätte.
    Dennoch gab ihr seine Antwort ein wenig Hoffnung. Wenn er sie nicht verraten würde – und sie glaubte ihm, schon allein, weil sie ihm glauben wollte – dann war vielleicht noch nicht alles verloren. Vielleicht konnte sie es wieder gerade biegen! Es ungeschehen machen, so gut man es eben ungeschehen machen konnte! Ja, es war ganz einfach. Sie musste nur das Kind verlieren, und schon wäre alles wieder in Ordnung. Sie liebte Archias ja auch gar nicht, warum also sollte sie sein Kind kriegen, und damit alles zerstören? Und es ging ganz einfach, nach allem, was sie wusste – was wie die Götter wussten nicht viel war.
    “Gut, also angenommen – rein hypothetisch – ich wäre...“ Axilla konnte es noch nichtmal aussprechen. Das Wort lag schwer wie Blei auf ihrer Zunge und wollte ihr nicht in diesem Zusammenhang über die Lippen kommen. Nein, sie durfte nicht schwanger sein! So einfach war das. “Du kennst doch sicher einen Weg... also, ein Mittel, das... das macht, dass ich...“ Axilla sah ihn vielsagend an. Die ganze Zeit über spielte sie mit ihren Händen, knetete ihre Finger, um so das Zittern zu unterdrücken, das irgendwie immer wieder kam und nicht weggehen wollte. Aber wenn Crios nicht auf den Kopf gefallen war, wusste er, was sie von ihm wollte, und Axilla hoffte inständig, dass er ihr einfach, schnell und ohne große Worte helfen würde. Erst noch eine Kräuterfrau zu suchen, und der das dann nochmal klar zu machen, was sie brauchte... Axilla wollte im Boden versinken vor Scham.

    Es gab Unterschiede zwischen den Feigen hier und den Feigen dort? Axilla zog eine Augenbraue hoch und überlegte, ob sie sowas schonmal gehört hatte. Aber irgendwie klang diese Idee neu. War eine Feige nicht eine Feige, egal, wo sie herkam? Das war doch mal ein Thema für die Philosophen! Sie musste es sich unbedingt merken.
    Piso gefiel offenbar ihr kleines Kompliment, und Axilla strahlte ihn an, weil er es so dezent von sich wies, aber doch nicht ganz davon ab konnte. Es freute sie, dass sie es geschafft hatte, ihm zu schmeicheln. Und jetzt trank auch er ein bisschen mehr, so dass sie sich nicht schämte, als sie sich nachgoss, um langsam aber sicher noch einen Becher zu vernichten. Der Wein war aber auch gut und süß!
    “Rose? Ja, probieren wir noch einen Rose!“ strahlte sie Piso glückselig an und hob flink einen schlanken Arm, um den Kellner herbeizurufen. Der kam auch fast sofort herbeigeeilt und fragte nach weiteren wünschen.
    “Wir wollen einen“ kurzer, fragender Blick zu Piso, ob sie es richtig aussprach “Roséwein probieren.“ Sie strahlte den Kellner kurz beinahe so fröhlich an wie eben noch Piso, und nachdem dieser die Bestellung präzisiert hatte und der Kellner davongeschwirrt war, um das Gewünschte herbeizubringen, strahlte sie ihn umso glückseliger an. “Ist aber schade, dass du das manchmal allein machst. Ist doch viel lustiger zu zweit, oder? Mit wem unterhält man sich denn, wenn man allein in eine Taverne geht? Dann kennst du doch gar niemanden?“
    Die Frage troff nur so von Naivität, aber im Moment erschien sie Axilla schon ziemlich berechtigt und auch logisch. Und sie wollte irgendwie wirklich eine Antwort wissen. Vor allem aber wollte sie sich weiter mit Piso unterhalten. Er konnte gut reden, und Axilla mochte es, einfach zuhören zu können.

    Seinen Einspruch, als sie ihn packte, registrierte Axilla noch nichtmal so wirklich. Ihre Gedanken waren viel zu hektisch, als dass sie wirklich realisieren könnte, was hier sonst noch vor sich ging. Sie durfte nicht schwanger sein. Auf gar keinen Fall durfte das sein. Es würde alles, einfach ALLES kaputt machen. Achwas, kaputt war noch gar kein Ausdruck, was kaputt war, konnte man wieder reparieren. Aber das hier würde in einer irreparablen Katastrophe kosmischen Ausmaßes enden, wenn sie schwanger wäre. Sie würde ihrer Familie Schande bereiten, sie würde Archias bloßstellen und die Hochzeit mit Seiana vermasseln. Oh Götter, sie würde vielleicht sogar Serranas Hochzeit vermasseln, wenn es bekannt würde. Welcher Senator heiratete schon die Cousine einer, einer.... Lupa, schoss es ihr durch den Kopf.
    Axilla blieb stehen, denn im Moment war ihr unglaublich übel. Und das kam nicht von der Schwangerschaft, die nicht existierte. Ihre ganze Welt stürzte gerade ein und die Brocken hämmerten auf sie, um sie zu Boden zu reißen. Sie fühlte sich so unglaublich dumm im Moment, dass sie am liebsten heulen mochte.
    Crios verließ sie kurz und kam dann mit einem Becher wieder, in dem eine dunkle Flüssigkeit leicht dampfte. Axilla sah etwas misstrauisch, dann hoffnungsvoll darauf. “Was ist das?“ fragte sie und hatte schon Hoffnung, es könnte ein Abtreibungsmittel sein. Aber nein, es war nur etwas zur Beruhigung. Kurz griff Axillas Hand fester um den Becher, als sie versucht war, ihn Crios in blinder Wut entgegenzuwerfen und etwas wie 'Ich will mich nicht beruhigen' zu brüllen, aber sie beherrschte sich. Sie lief noch eine weitere Runde auf und ab, diesmal mit dem Becher in der Hand, ehe sie die ersten Schlucke daraus nahm. Es schmeckte bitter und scharf, und sie musste husten und sich zwingen, weiter zu trinken.
    Insgesamt schien ihr Crios plötzlich sehr versöhnlich zu sein. Beinahe sanft waren seine Fragen, und sie betrachtete ihn halb skeptisch, halb verzweifelt. Auf seine Frage schüttelte sie den Kopf und ließ ihn resigniert hängen. “Oh Götter...“ Welcher Mann würde sie denn noch jemals heiraten, wenn sie ein Kind nun bekäme? Wenn sie die Geliebte eines Mannes wäre, oder mit einem verheiratet, ja, dann würde sie auch nach einer Trennung ein anderer Mann sicher heiraten. Aber so? Unverheiratet ein Kind? Daran hatte sie noch nicht einmal gedacht, bis eben.
    Ihre freie Hand legte sich an ihre Stirn. Ihr war schwindelig und schlecht und sie hatte Kopfschmerzen vom Denken. Sie schüttelte kurz den Kopf, während die Kräuter langsam zu wirken anfingen, und sah dann wieder zu Crios auf. “Ich bin nicht schwanger“, sagte sie noch einmal, als würde es dadurch wahr werden. Ihre Finger spielten kurz mit dem nun lehren Becher, ehe sie einen hoffnungsvollen Schritt auf ihn zu machte. “Und deshalb darfst du das ja auch nicht weitererzählen?“ Wenn sich das herumsprach, selbst wenn es nur eine Vermutung war... nein. Noch konnte sie alles vertuschen, aber wenn Crios sie vernichten wollte...

    “Feigen?“ fragte Axilla nach und nahm sicherheitshalber nochmal einen Schluck, vergaß aber jetzt das Schmatzen hinterher. Sie schmeckte keine Feigen, und in Ägyptus hatte es die Früchte das ein oder andere Mal auf dem Tisch gegeben. Und auch nach noch einem Schluck, keine Feige. “Vielleicht hast du recht, und es schmeckt für jeden anders. Ich schmecke keine Feigen.“
    Axilla lächelte vor sich hin und fühlte sich alles in allem recht wohl, auch wenn sich ihr nicht erschloss, warum überhaupt. Aber ihr war warm, sie hatte nette Gesellschaft, warum sollte sie sich nicht wohl fühlen? Und der Wein war doch recht lecker, und sie nahm noch einen Schluck.
    “Du hast einen guten Weingeschmack, Piso. Der ist wirklich gut“ machte sie ihm ein kleines Kompliment und merkte noch nichtmal, wie leicht ihre Sprache gerade war im Vergleich zu ihrer Zunge, die sich langsamer bewegte, als sie sollte. Aber noch war es nicht wirklich schlimm.
    “Machst du sowas öfter? Also... Wein trinken gehen, mein ich. Der Kellner war ja gleich ganz eifrig, dir den richtigen Wein zu bringen.“ Und noch ein Schluck von dem süßen, hellen Getränk. Nein, Feigen schmeckte sie da wirklich nicht, aber sie musste mal nachschenken...

    Noch während er die Symptome zusammenfasste, wurde Axilla unruhig. Sie trommelte mit ihren Fingern auf ihren Unterarmen und ihre Beinmusken zuckten, als wolle sie aufspringen, ihr Blick wurde unruhig und schweifte hektisch im raum herum. Sie wusste, was er sagen wollte, bevor er es sagte, und trotzdem schoss sie mit einem lauten “NEIN!“ auf und lief wie ein Tiger im Colloseumskäfig auf und Ab. “Nein! Das... nein, das ist NICHT der Grund. Nein!“ Es klang wie ein Befehl und nicht wie eine Feststellung.
    Axilla überlegte noch einmal scharf. Wann hatte sie ihre letzte Blutung gehabt? Das war noch in Alexandria gewesen, bevor sie... bevor sie mit Archias... “Das darf nicht sein. Vielleicht ist es ja auch ein Geschwür? Kann ja sein...“ Fast hoffnungsvoll sah sie einmal zu Crios auf, ehe sie weiterstapfte und den Kopf schüttelte. “Nein... nein, nein nein... ich bin nicht schwanger. Ich kann nicht schwanger sein...“ Axilla schüttelte den Kopf, aber ihre Stimme klang eher ängstlich als wütend. Sie durfte nicht schwanger sein. Das durfte nicht sein. Das konnte nicht sein. Archias würde bald Seiana heiraten, und das letzte, was einer von ihnen dreien gebrauchen konnte, war ein Kind. Silanus würde sie aus dem Haus werfen! Und Seiana würde sie umbringen! Und Archias? Nein, sie durfte ihm das nicht antun. Das durfte nicht wahr sein.
    “Das ist nicht wahr...“ sprach sie ihren Gedanken kopfschüttelnd aus und sah dann streng zu dem Medicus hinüber. “Das ist nicht wahr. Du irrst dich! Hörst du?“ Ohne eine Vorwarnung packte sie ihn dann bei dem Kragen seiner Tunika und zog ihn an sich ran. “Du irrst dich!“ wiederholte sie noch einmal fest und heftig, aber es war keine Wut, die aus ihren Augen sprach, eher pure, verzweifelte Panik. Einen zitternden Herzschlag lang hielt sie ihn so fest, ehe sie ihn losließ und weiter eine Furche in den Boden lief. “Das ist nicht wahr...“ meinte sie noch, beinahe etwas apathisch. Was machte sie denn jetzt?

    Axilla war die Ursache für die Übelkeit herzlich egal. Ihr würde es schon reichen, wenn es aufhören würde. Sie musste dazu nicht wissen, woher es rührte. Ein Teil von ihr wollte gar nicht wissen, woher es rührte. Es gab dafür viele Möglichkeiten, die eine erschreckender als die andere war. Und solange sie jede einzelne dieser Möglichkeiten verdrängen konnte, so lange würde Axilla das auch einfach machen. Ihr war egal, was ihr Leben beenden würde, enden würde es ja sowieso irgendwannmal. Da musste sie nicht vorher wissen, weswegen. Sie wusste nur eines, sie würde nicht wie ihre Mutter jahrelang leiden und die Rechnungen hoch treiben. Nein, lieber in Unkenntnis bleiben, Unkenntnis war ein Segen. Und bestimmt war es ohnehin nichts ernstes, nur außergewöhnlich lange Seekrankheit.
    Crios schaute sie ein wenig streng an und tippte mit seinem Stylus auf der Tafel, schrieb aber nichts. Offenbar überlegte er was. Axilla spannte ihren Körper schonmal an, als denke sie, er würde sie körperlich angreifen und sie müsse ausweichen. Zwar würde wohl nur wieder eine Frage kommen, die ihr zu nahe ging, aber es fühlte sich für Axilla wie ein Angriff an. Und ihr Instinkt riet ihr, zu fliehen. Sie beobachtete ihn genau, als er schließlich meinte, dass sie Herumgestochere wohl nicht leiden konnte.
    DA hatte er ausnahmsweise sogar ohne Einschränkungen recht, Axilla konnte das tatsächlich nicht leiden. Das war schon wieder so ein Ausloten von möglichem Grau, und sie hatte ihre Welt gerne einfach und Schwarzweiß. Larifari konnte sie in keiner Weise leiden, und erst recht nicht, wenn es ihre Person betraf. Und... sie mochte einfach keine Ärzte mit ihren vielleichts und wahrscheinlichs. Die Frage, die er dann aber stellte, brachte sie aus dem Konzept. Sie gab einen überraschten Laut von sich und lockerte augenblicklich die Haltung, um ihn überrascht anzustarren. Ihr Mund stand einen Moment einfach nur offen, bis sie sich soweit wieder gesammelt hatte, um empört sein zu können. Sie setzte sich leicht seitlich, wandte sich damit von ihm ab, und wich seinem Blick aus.
    “Das müsste demnächst wieder so weit sein. Eigentlich jeden Tag sollte es passieren. Die Seereise und die Übelkeit hat da ein bisschen was durcheinander gebracht. Aber das tut hier gar nichts zur Sache! Ich bin hier wegen meinem Magen, und nicht wegen... dem etwas tiefer.“
    Wenn das vorhin unangenehm war, dann war das jetzt so, dass Axilla sich doch wieder in den Boden zurückwünschte. Unwohl war gar kein Ausdruck mehr für ihr Gefühl, und sie überlegte schon, wie sie sich am besten verabschieden sollte, damit sie hier raus konnte.

    Als er etwas aufschrieb, machte Axilla sich ein wenig lang, um über ihre Knie hinweg vielleicht einen Blick auf das Geschriebene zu erhaschen. Aber ganz so einfach war das nicht, und ganz neugierig und unverschämt wollte sie ja auch nicht sein, so dass ihr nichts übrig blieb, als ungeduldig auf ihrer Unterlippe herumzukauen und fragend dreinzuschauen, als Crios wieder aufschaute. Irgendwie war er ja wirklich schnuckelig. Er sah nicht so weich und kompromisssuchend aus wie so viele Männer in dieser Stadt. Axilla mochte lieber Kerle, die ihre Ecken und Kanten hatten, dann durften die ruhig auch mal ein wenig kratzen. Er war zwar nicht ganz der Typ Mann, für den sie schwärmte, kam ihm aber schon ziemlich nahe. Verträumt – und noch immer die arme Unterlippe malträtierend – sah sie gerade zu ihm herüber, als er sie mit seinen Fragen doch ziemlich aus ihren Tagträumen riss.
    “Hm, was?“ fragte sie fast etwas erschrocken und zog gleich die Beine noch ein wenig mehr an ihren Körper ran. Das waren jetzt doch sehr persönliche Fragen, und sie rutschte etwas unwohl auf dem Sessel hin und her. Sowas wollte sie nicht wirklich beantworten, und ihre Stimmlage machte das auch durchaus deutlich. “Nein, es schmerzt nicht. Mir ist einfach nur übel. Mit meinem Magen ist sonst alles in Ordnung. Und auch mit dem Rest...“ Sie zog noch etwas die Schultern an, als wolle sie sich hinter ihren Beinen verstecken und schaute Crios jetzt nicht mehr auch nur annähernd verträumt an. Ihrem Blick konnte man doch durchaus ansehen, dass es ihr unwohl war, darüber zu sprechen. Es lag nichtmal daran, dass es doch ziemlich peinlich war, sondern auch daran, dass Axilla Ärzte einfach nicht leiden mochte. Und je mehr er sich wie ein Arzt benahm, umso weniger konnte sie ihn mehr leiden. Und das wiederum stand im Gegensatz zu dem, dass er eigentlich doch recht anziehend war, was alles in allem aus einem kleinen Unwohlsein ein großes Unwohlgefühl machte. “Ich bin in letzter Zeit etwas verschlafen, aber das ist ja auch normal bei diesem miesen Wetter. Andauernd ist es kalt und dunkel, da kann man ja fast nur schlafen“, verteidigte sie sich schon fast. Nein, sie mochte einfach keine Ärzte, auch nicht die schnuckeligen. Und so langsam holte sie dieses Gefühl eben ein.
    “Kannst du mir nicht einfach ein paar Kräuter geben, die meinen Magen kräftigen, und gut?“