Das Wasser war kalt, und Axilla musste sich beherrschen, nicht zurückzuzucken. Die Tropfen perlten ihr das Gesicht herunter und schienen auf ihrem Weg beinahe festzufrieren, aber sie gab keinen Mucks von sich. Eisern konzentrierte sie sich auf die Aufgabe, die vor ihr lag, auch wenn ihr Magen rebellierte und sich vor Furcht zusammenschnürte. Aber die Götter waren immer mit denen, die nicht vor Furcht zurückschreckten, sondern ihren weg gingen. So hatte sie es von ihrem Vater gelernt, und sie hatte vor, seine Lehren zu beherzigen.
Der Aedituus schließlich forderte die wenigen, die hierher gefunden hatten, zur Ruhe auf. Favete linguis, hütet eure Zungen. Axilla sah ihm unsicher in die Augen und war geneigt, seinem Befehl ebenfalls Folge zu leisten. Mit einem Mal erschien ihr die Welt so still und jedes Wort, dass in diese tote Ruhe hineingesprochen werden würde, erschien ihr wie ein Eindringling. So herrschte einen Moment vollkommene Stille auf dem Platz, ehe Axilla ihre Ehrfurcht soweit heruntergeschluckt hatte, um einen Schritt auf den wartenden Ochsen zuzutun. Dreimal den Namen nennen, dreimal den Namen nennen ermahnte sie sich beständig in Gedanken, ehe sie sich zum Tempel und damit dem Gott zuwandte.
“Dis Pater!“ Ihre Stimme klang in ihren eigenen Ohren viel zu laut und etwas schrill, aber das war wohl Einbildung. Trotzdem machte sie eine kleine Pause und holte neu Atem, ehe sie weitersprach. “Wie ich dir, Dis Pater, versprochen habe, hier diesen Ochsen dir, Dis Pater, großer Gott, zum Geschenk, auf dass du meine Bitten erhören mögest!“
Ganz leicht zitterte Axilla, weil ihr kalt war, aber sie hoffte, dass man es ihr nicht ansehen mochte. Barfuß bei diesem Wetter mit Wasser besprengt im Dunkeln zu stehen war etwas, wofür man dann nicht noch die Präsenz des Gottes fühlen musste, um zu verstehen, was Kälte war. Und es war noch nicht vorbei.
Einer der ministri kam mit einer Wasserschale zu ihr, und sie wusch sich noch einmal die Hände in dem eiskalten Wasser. Danach wurde ihr ein Tuch gereicht, und sie trocknete sich die Finger. Der Versuchung, sich auch einmal die mittlerweile halb getrockneten Tropfen auf ihrem Gesicht wirklich wegzuwischen und es ihr somit ein bisschen wärmer zu machen, widerstand sie. Sie wusste nicht, ob es erlaubt war, und sie wollte den Gott mit so einer Kleinigkeit nicht erzürnen. Sie reichte das mallium latum wieder zurück und wandte sich dem Ochsen zu. Der Priester bestrich das Tier mit der mola salsa und weihte es somit endgültig dem Gott. Der Ochse ließ es klaglos über sich ergehen, lediglich kurz zuckten seine Muskeln, als das Gemisch aus Salzlake und Dinkelschrot ihn das erste Mal berührte. Hernach wurden dorsula, vittae und infulae sorgsam abgenommen, und lediglich die silbernen Hörner und Hufe blieben dem Tier als Schmuck, der nun wie ein etwas nasser Ochse einfach nur noch aussah. Axilla schaute fast mitleidig zu ihm, wie er da stand, nicht minder zitternd wie sie, als sie das culter, das Opfermesser entgegennahm.
Axilla ging schweigend die paar Schritte bis zu dem Kopf des Tieres. Sie fühlte sienen warmen Atem, als sie neben seinem Kopf zum stehen kam und das Messer erhob. Sie hielt es 'richtig', die glatte Seite der Schneide an ihrem Unterarm entlang, die scharfe von sich weisend. Vielleicht sähe es besser aus, wenn sie es auf die Weise halten würde, dass die Schneide ganz von ihr weg wies, aber dafür war sie zu sehr Tochter ihres Vaters, um eine Waffe so falsch zu halten. Ganz langsam ging sie von Kopf bis zum Schwanz des schwarzen Tieres, das Messer so knapp über dem Fell führend, dass sie hier und da auch mal eines der längeren Fellhaare umbog. Die ganze Zeit über murmelte Axilla dabei, so leise, dass vermutlich nur der Gott sie hörte, wenn überhaupt. “Für dich, Dis. Ich bitte dich, nimm es an. Bitte, nimm es an. Nimm es an...
Ebenso langsam, wie sie zum Schwanz des Tieres gegangen war, ging sie wieder nach vorne, einige Schritte seitlich von dem Ochsen, den Blick zum Tempel gewandt. Jetzt, so kurz vor dem eigentlichen Opfer, befiel eine unheimliche Ruhe die junge Iunia. Es war geschafft. Egal, ob der Gott es annehmen würde oder nicht, sie hatte getan, was sie geschworen hatte. Sie hatte nicht gezögert, hatte nicht mehr mit sich gehadert. Sie hatte es getan, und alles weitere lag in der Hand des Gottes. Es fehlte nur noch ein einfaches, kurzes Wort.
“Agone?“ hörte sie in diesem Moment auch schon die Worte des victimarius der sich mit dem wuchtigen malleus vor dem Ochsen bereits positioniert hatte. Axilla sah noch nicht einmal zu ihm hinüber, sondern nur auf den Tempel vor ihr, als sie den Befehl schließlich gab. Tu es! “Age!“
Sie hörte das heftige Krachen des Opferhammers auf den Schädel des Ochsen, der daraufhin augenblicklich mit einem tiefen Stöhnen zusammenbrach. Die wuchtige Masse verursachte ein dumpfes Geräusch auf dem Boden des Tempelvorplatzes. Der cultarius war mit dem Messer sofort zur Stelle und stach zielsicher in die Halsschlagader des Tieres, kaum, dass es zu Boden gefallen war. Dunkles Blut schoss mit kraft hervor und wurde in einer Opferschale aufgefangen. Beim zurückziehen der Klinge allerdings hatte der Opferstecher etwas viel Schwung, so dass einige Tropfen spritzten und Axilla trafen. Sie blinzelte ganz kurz erschrocken, blieb aber sonst reglos wie eine Statue. Das warme Blut brannte heiß auf ihrer Wange, als sich die drei Tropfen ihren Weg nach unten bahnten. Sie schmeckte den metallenen Geschmack, als es ihre Lippe erreichte, und ihr Magen wollte sich am liebsten entleeren. Aber sie blieb eisern und reglos stehen, ließ es einfach geschehen, ohne zu murren oder zu zucken. Eine Römerin ertrug das.
Sie hörte, wie der Brustkorb des Ochsen von dem victimarius geöffnet wurde und das dumpfe Schmatzen, als er die vitalia herausholte und auf die patera legte, damit der Aedituus sie begutachten konnte.
Bitte, nimm es an. Bitte, bitte, nimm es an. Nimm es an, betete sie in Gedanken und hoffte auf das eine, erlösende Wörtchen.