Beiträge von Iunia Axilla

    Mit einem wachsenden Schmunzeln beobachtete Axilla, wie sich ihr Gegenüber immer mehr ins Rot verfärbte. Auch, wenn es vielleicht gemein war, sie beugte sich zu Serrana hinüber, um ihr kichernd etwas zuzuflüstern. “Der ist süß, oder? Ich glaub, wir machen ihn nervös.“
    Sie sah wieder lächelnd zu dem Iulier hinüber, der Serranas Frage scheinbar gar nicht mitbekommen hatte. “Aber du hast ganz vergessen, meiner Cousine zu antworten. Was hast du denn in Pessinus gemacht?“
    Und just in diesem Moment kam Claudia Romana vorbei, krümelte mit ihrem Kuchen über die Schulter von Antoninus und gesellte sich zu ihnen. Jetzt so direkt neben sich und nicht im Wasser der Therme bemerkte Axilla erst so richtig, wie groß die Frau doch eigentlich war. “Salve, Romana. Ja, sehr schön. Wir sind aber erst ein paar Minuten hier. Iulius Antoninus kennst du bereits?“ stellte sie den Gesprächspartner noch sicherheitshalber vor, der nun von drei Frauen eingekreist war. Eigentlich hätte sie den Iulier gern in ein Gespräch nur zu zwei verwickelt. Gut, sie wollte Serrana nicht allein lassen, aber die würde sich sicher gleich mit Sedulus unterhalten, und da musste Axilla nicht unbedingt Mäuschen spielen. Sie war ja nicht hier, um ihre Cousine zu bewachen. Und da hätte ihr dann ein kleines Gespräch mit dem süßen Iulier ganz gut gefallen. Sie hatte zwar keine Absichten, aber man konnte ja mal seinen momentanen Marktwert überprüfen, indem man einen gutaussehenden Mann ein wenig um den Finger wickelte, nicht? Nur würde das wohl ein wenig schwer werden mit so viel Gesellschaft. Sei's drum. Das Fest war noch lange, wer konnte schon wissen, was sich noch alles ergeben würde? Immerhin hatte es noch nichtmal richtig angefangen.


    Dass sie von Laevina beobachtet und gemustert wurde, bemerkte Axilla hingegen gar nicht. Ihre Aufmerksamkeit war meistens auf das begrenzt, was direkt vor ihr war, und so blendete sie auch jetzt alles, was mehr als drei passus von ihr entfernt war, gekonnt aus.

    Axilla zuckte etwas gleichmütig mit den Schultern. Was sollte sie schon sagen? Es war ja nicht so, als würde sie sich jeden Tag die Seele aus dem Leib kotzen, ihr war eben nur immer ein bisschen übel. “Nein, so schlimm ist es nicht. Ist nur selten, dass ich mich wirklich übergeben muss, aber mir ist halt häufig einfach nicht so wohl...“
    Ein bisschen unangenehm war die Fragerei schon, und Axillas Verlegenheit nahm doch wieder zu. Sie fühlte sich so... so... beobachtet. Ja, genau, beobachtet. Natürlich gab es einige junge Männer – oder auch ältere – die ihr hinterher guckten. Vor allem, da ihre Kleiderwahl nach wie vor recht ägyptisch war und damit viel ihrer Haut zeigte – zumindest im Vergleich zu den römischen Matronen und Matrönchen. Aber das hier war irgendwie intimer, und sie fühlte sich ein wenig unwohl. Aus Gewohnheit zog sie die Beine an und stellte ihre Füße auf den Sessel, um ihre Knie umfassen zu können. In dieser Schutzhaltung fühlte sie sich einfach wohler, ein bisschen beschützter.
    “Ich weiß nicht... aufgefallen? Also, es ist meistens eher nach dem Aufstehen, oder wenn ich mich angestrengt habe. Über den Tag ist es meistens besser, aber auch nicht immer. Vor allem, wenn Sachen stark riechen, wird es schlimmer.“ Ob sie ihm sagen sollte, dass sie nach dem Opfer an Pluto am liebsten auf die Tempelstufen gekotzt hätte, weil ihr so schlecht war, und nur ihr Stolz sie abgehalten hatten? Nein, lieber nicht, sonst dachte er am Ende noch, es wäre eine strafe des Gottes oder sowas.
    “Und was soll mir denn aufgefallen haben? Sonst ist alles in Ordnung mit mir. Vielleicht ess ich ein bisschen salziger, aber sonst...“ Eigentlich konnte sie Oliven ja nicht leiden, aber im Moment konnte sie ihre Finger von den Dingern nicht lassen, wenn es welche gab. Aber eigentlich fühlte sie sich ansonsten ja ganz fit und gesund.

    Zum Glück nahm er das ganze nicht gar so ernst, und Axilla wollte nicht mehr ganz so tief im Boden versinken. Vielleicht nur noch bis zur Nasenspitze. Und er erklärte auch gleich, wie er dazu kam, sie untersuchen zu wollen und was er hier so machte. Er war also eigentlich der Lehrling des Medicus? Auf der einen Seite hieß das zwar, dass er nicht ganz so viel Ahnung hatte, auf der anderen Seite aber auch, dass er vielleicht nicht ganz so verkalkt war. Für Axilla war das eigentlich eher ein gutes Zeichen denn ein schlechtes, und sie unterhielt sich lieber mit jemandem, der wenigstens noch einigermaßen Leben in sich hatte und nicht schon mit einem Fuß im Styx badete.
    “Nein, nein, ist gut so. Ich will es lieber schnell hinter mich bringen, sonst schieb ich es nochmal so lange auf.“
    Und irgendwie war er ja doch ganz süß, auch wenn sein Name darauf schließen ließ, dass er wohl peregrin oder vielleicht sogar Sklave war. Was ja aber grundsätzlich nichts an seinem Aussehen veränderte oder seiner Art, zu sprechen. Und falls sie sich untersuchen lassen musste, waren ihr seine Hände lieber als altersfleckige, zittrige, faltige, kalte Greisenhände.
    “Oh, nein, frag nur. Du musst das ja wissen“, winkte Axilla ab und „entsank“ noch ein Stückchen dem Boden, lehnte sich etwas bequemer zurück und überlegte. “Also, ich habe jetzt seit... puh, über einem Jahr in Alexandria gewohnt. Ich komme eigentlich aus Tarraco, und auf der Seereise von Tarraco nach Alexandria war mir auch schon immer so schlecht. Aber da war das Meer ganz ruhig, und dann war das nach ein, zwei Tagen wieder gut. Aber jetzt hier in Rom geht es einfach nicht weg. Ich bin hier jetzt... vor den Saturnalien war das... sechs Wochen? Vielleicht eine Woche mehr. Und ja, das Essen hier ist anders, viel weniger würzig. Aber es ist nicht so, dass mir nach dem Essen schlecht ist. Es schmeckt ja auch alles, ich hab manchmal direkt Heißhunger auf ein paar Sachen. Das ist mehr, wenn ich schlecht geträumt habe oder mich angestrengt habe, dann.“ Axilla war es doch ein wenig peinlich, und sie kratzte sich verlegen am Unterarm herum. “Also, das ist ja auch nicht immer so, aber es geht halt nicht weg und kommt immer wieder.“

    Als Silanus hereinkam, verfinsterte sich Axillas Miene für einen Moment sichtbar, als würde sich ein Schatten über ihr Gesicht legen. Aber es war nur einen Moment lang, bis sie sich gefangen hatte. Als wäre nichts weiter, schlug sie die Beine im Sitzen übereinander und schaute zu ihrem augenscheinlich neuen Verwandten hinüber. “Er sagt, er ist der Enkel von Iunius Festus“, ergänzte sie noch die Vorstellung und kam dann, als wäre ncihts weiter, auf das andere, was er gesagt hatte, zurück. “Und das Schreiben deines Großvaters ist bei deinem Gepäck? Wo ist denn dein Gepäck?“
    Man konnte seine Sachen schließlich nicht einfach unbeaufsichtigt irgendwo rumstehen lassen. Allerorts gab es Diebe, und eine herrenlose Tasche war ein Geschenk an jeden Passanten.

    Das Axilla wie immer zu schnell erzählte und dabei die eine oder andere nicht unessentielle Kleinigkeit wegließ, bemerkte sie wie immer nicht. Sie plapperte einfach, was ihr in den Sinn kam, und bedachte dabei nicht, dass die hier Anwesenden Archias ja gar nicht kennen konnten, so sie ihm in den letzten 5 Wochen nicht zufällig über den Weg gelaufen waren. Davor war er ja genauso wie sie in Alexandria gewesen, und so war sie ein wenig verwundert über Romanas Nachfrage, ehe sich ihr der Grund erschloss.
    “Entschuldige, meine Gedanken sind mal wieder schneller, als mein Mund hinterherkommt. Caius Aelius Archias, das ist auch mein Arbeitgeber. In Ägypten war er Stationarius am Cursus Publicus, aber jetzt ist er dann in der Kanzlei. Primicerius sonstwas.“
    Axilla machte eine abwinkende Bewegung, und dann war das Gespräch sowieso erstmal beim Wagenrennen und den beiden Frauen, die sich plötzlich dazugesellten. Kurz konnte Axilla einen hilfesuchenden Blick zu Serrana nicht unterdrücken. Wie viele waren sie jetzt hier? Axilla war so viel Gesellschaft in ihrer unmittelbaren – und obendrein nackten – Umgebung nicht gewöhnt und fühlte sich ein wenig überfordert. War das hier in Rom normal? Wenn ja, dann musste sie noch ein wenig mehr lernen, denn in ihrer Welt war sie meist allein oder mit nur einer weiteren Person im Balneum gewesen. Das hier war definitiv... größer. Ungewohnter.
    Die eine Frau, die dazukam, war ziemlich dünn, aber bestimmt schon dreißig. Die andere war wesentlich stämmiger, fast gemütlich – oder mopsig, wenn man böse sein wollte – und dafür um einiges forscher. Sie stellte sich gleich als Aelia Paulina vor, und Axilla schaute sie sich daraufhin nochmal an. Wenn sie eine Aelia war, würden sie sich auf der Hochzeit ja sicher wieder treffen. Dass ihr Mann Senator war, war für Axilla da hingegen weniger wichtig. Sie kannte sich nicht gut genug mit Politik und Intrige aus, als dass sie die Wichtigkeit oder Unwichtigkeit dieses Mannes hätte beurteilen können.
    Axilla lächelte ihr kurz zu, ohne etwas zu sagen. Was hätte sie auch sagen sollen, was sie nicht schon gesagt hatte? Zum Wagenrennen wollte sie auch nichts mehr sagen, denn Romana schien alles andere als begeistert darüber zu sein. Warum auch immer, das machte doch sicher Spaß? Zumindest mehr, als den ganzen Tag nur daheim rumzuhocken und Däumchen zu drehen.

    Damit war für Axilla alles geklärt. Sie sah noch einmal zu ihrer Cousine hinüber, als müsse sie erst bei dieser Kraft schöpfen. Noch immer war sie aufgeregt, und der beißende Qualm, der von den Kohlebecken herzog, kratzte in der Kehle und an den Augen. Die Sonne ging gerade unter, so dass das fahle Licht des Abends langsam in schwärzere Dunkelheit hinüberglitt, grotesk erhellt von den züngelnden Flammen um sie herum. Schatten fingen an, wie lebendige Wesen am Boden zu tanzen. Ein unheimlicher Platz, und Axilla konnte sich der Macht der Angst nicht gänzlich erwehren. Nur Mut, kleines Eichhörnchen, gab sie sich selbst einen kleinen Ruck und nickte dann dem Aedituus zu.
    “Gut, dann... wollen wir mal.“ Es klang zwar noch nicht ganz überzeugt, aber es war zumindest eine Ansage.


    Axilla schritt also in Richtung der Flötenspieler hinüber, direkt mittig vor den Tempel. In ihrem Rücken stand nun der Ochse, auf sein Schicksal wartend. Axilla sah noch einmal hoch zu den marmornen Säulen des Tempels, die im Feuer der Kohlebecken mit tanzenden Schatten überzogen waren. Die letzte Chance, das alles doch abzubrechen. Sie sah hoch, und höher in den graublauen Winterhimmel, den kein Stern erhellte. Sie kam sich so klein und unbedeutend vor, und ihr war so unendlich schlecht. Sie holte noch einmal Luft, ähnlich einem zum Tode Verurteilen, und schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, straffte sich ihre Gestalt und schien zum ersten Mal an diesem Abend ruhig und gefasst. Sie sah zu den tibicines hinüber und gab ihnen einen kleinen Wink mit der Hand. Sofort spielten sie mit ihren Flöten die alten Melodien, die die Geräusche der Straße übertönten und dem Opferherren so helfen sollten, die Konzentration zu behalten.
    Ganz langsam ging Axilla vorwärts, zum Tempel. Direkt hinter ihr fühlte sie Serrana, aber sie drehte sich nicht mehr nach ihr um. Dem Orpheus gleich hieß es jetzt, nicht mehr zurückzublicken, und so sah sie die kleine Reihe mit Opferhelfern nicht, die ihr zu dem Becken mit dem noch immer kalten Wasser folgten.
    Sie tauchte die Hände in die eiskalte Flüssigkeit und wusch sich – jetzt bereits zum dritten Mal an in Vorbereitung zu diesem Opfer – die Hände. Langsam und Bedächtig waren die Bewegungen, auch wenn die Hände leicht zitterten, als sie sie wieder aus dem Wasser nahm und leicht abtropfen ließ. Mit klammen Fingern ging es weiter, hinein in den Tempel.
    Hier drinnen war es noch etwas dunkler als draußen, aber das Licht reichte, um alles zu sehen. Mit langsamen Schritten ging es vorwärts zur Statue des unterirdischen Gottes. In den meisten Tempeln waren diese Bildnisse übermannsgroß und dadurch furchteinflößend, doch diese hier war nicht viel größer als Axilla selbst. Allerdings machte sie das nicht weniger furchteinflößend. Dis saß auf seinem Thron, die schwefelige Krone auf dem Haupt, ein phallusartiges Szepter in der Hand. Der Blick der Statue allein zwang jedem Betrachter Respekt ab, und ergeben senkte Axilla den Kopf vor dem Stein.
    Der Altar war direkt vor ihr, und einen Moment starrte Axilla wie ein hypnotisiertes Kaninchen einfach nur in die Öffnung zu ihren nackten Füßen. Alles war bereit, sie musste nur anfangen. Anfangen...
    “Dis Pater...“ Ihre Stimme schnitt laut in die unheimliche Schwärze. Auch wenn die Flötenspieler die Stille vertrieben, Axilla meinte, die hohen Töne würden gar nicht bis zum Altar vordringen. Als wäre eine Aura aus Gefühllosigkeit um die schreckliche Statue herum, die alles, was lebendig war, aufzusaugen schien. “Reicher Vater. Sieh, was ich dir bringe. Ich entzünde dir Weihrauch aus Syria, und hoffe, er erfreut dich.“
    Axilla ließ sich von Serrana den Beutel mit den feinen Harzkugeln reichen, die sie großzügig in die Feuerschale kippte. Sofort qualmte es kräftig, grauweißer Rauch waberte den Altar hinunter und erfüllte den Raum mit seinem süßlich-scharfem Duft, vermischte sich mit den scharfen Kräutern zu einer Melange der beißenden Gerüche. Es kratzte in der Kehle und brannte in den Augen, aber Axilla zuckte nicht.
    “Möge er die Opfergaben reinigen, wie du, Februus, der Reinigende für uns Sterbliche bist.
    Herr über den dritten Teil der Welt, der Erde und von allem, das in ihr ist. Nimm meine bescheidenen Gaben. Sie sollen dir gehören und nur dir. Ich bringe dir Öl, gepresst aus Oliven und gefiltert, bis es klar ist.“
    Axilla streckte die Hand aus, damit ihr Serrana die Amphore mit dem Öl reichen konnte. Das Feuer schimmerte auf der klaren Flüssigkeit, als Axilla es langsam und beständig in die Mulde zu ihren Füßen goss. “Nimm diese Gabe von deiner Dienerin, Iunia Axilla. Ich habe es sorgfältig ausgesucht in der Hoffnung, es möge dir gefallen.“
    Axilla reichte die Amphore zurück und ließ sich das nächste Stück angeben. Es waren kleine Silbermünzen, nicht viele, aber in mühevoller Kleinarbeit zu hohem Glanz poliert. Axilla legte sie vorsichtig auf den foculus, eine nach der anderen, und sprach dabei beständi, langsam und deutlich weiter.
    “Dir, oh Reicher, Herr über alle Juwelen und Silberminen, bringe ich feines Silber. Genommen aus der Erde, die dir Untertan ist, soll es dir wieder gegeben werden, auf dass du auch weiterhin deinen Reichtum mit uns Sterblichen teilst.“
    Als nächstes folgte der Honig. Klebrig und schwer träufelte Axilla ihn in die Mulde. “Orcus, Furienherr, Hüter der Toten, der du uns die Süße des Lebens genießen lässt, der du den Frühling, Proserpina, liebst, Gnädiger, Gerechter, dir bringe ich süßen Honig. Er soll dir gehören, und nur dir.“ Die klebrige Wabe in der tönernen Schale stellte Axilla auch vorsichtig auf den Altar, denn auch diese sollte dem Gott gehören.
    “Und schließlich, Pluto, Herr von allem, was nach dem Tod kommt, bringe ich dir mulsum. Es soll dir gehören, und nur dir.“
    Axilla goss das schwere, süße Honig-Wein-Gemisch in die Öffnung. Es spülte die Reste des Honigs, die langsam hinuntersickerten, mit sich schnell hinab in das dunkle Loch und verschwand in der Schwärze der Erde. Axilla gab schweigend die Amphore zurück an Serrana, und sah diese einmal zögerlich an. Sie hatte noch immer Angst, geradezu Ehrfurcht, und das war in ihrem Blick deutlich zu sehen. Aber so sehr sie auch wünschte, jetzt einfach fliehen zu können, so wenig konnte sie es. Mit leicht zitternden Händen drehte sich Axilla wieder der Statue zu, erhob die Hände, wie zu einer Bitte.
    “Oh großer Gott, der du uns Menschen schon seit dem goldenen Zeitalter kennst, der du uns begleitest jeden Tag unseres Lebens und der du uns empfängst, wenn wir sterben. Reicher Vater, Dis Pater, ich weiß, ich habe dir nicht so oft geopfert, wie ich hätte sollen. Ich weiß, ich habe dir nicht so oft gedacht, wie ich hätte sollen. Ich weiß, dass ich viele Fehler habe, über die du einst richten wirst. Und dennoch bitte ich dich nicht für mich, sondern für Urgulania, meine Cousine, die schändlich ermordet wurde auf den Straßen Alexandrias. Ich bitte dich, nimm sie gnädig auf. Sieh über ihre Fehler hinweg, und sieh statt dessen, was in meinem Herzen für sie ist und wie mein Herz sie sieht. Sie war eine gute Frau, eine große Lehrerin, die im Respekt für die Götter ihre Ämter versehen hat. Heiße sie in Elysio willkommen, wo immer Frühling und Sonnenschein ist.“
    Axilla senkte den Blick wieder vor der großen Statue, die sie niederzustarren schien. Ihre Zunge war schwer und der Kopf schwirrte ihr von den Dämpfen hier herinnen. Die ganze Last ihres Lebens schien sie niederdrücken zu wollen, und sie wurde sich immer gewahrer, wie klein sie doch im Vergleich zu dem Gott war.
    “Pluto, ich weiß, ich bin nicht mehr als eine Fliege. Du, der du die Unendlichkeit zwischen den Sternen bist, für dich ist mein Leben nicht mehr als ein Wimpernschlag. Was bedeutet dir da das Leben einer Sterblichen? Und doch bitte ich dich, nein, ich flehe dich an.“
    Axilla ließ sich auf die Knie nieder vor dem Altar, die Hände noch immer zu dem Gott leicht erhoben, und jetzt flüsterte sie, was so tief in ihrem Herzen lag. So leise wie möglich brachte sie ihre eigentliche Bitte hervor, damit niemand außer dem Gott die Worte hörte.
    [size=6]“Dis Pater, strafe den Mann, der Schuld trägt an Urgulanias Tod. Ich flehe dich an, schick die Furien zu Appius Terentius Cyprianus. Lass meinen Fluch wahr werden. Schicke ihm Verderben. Schicke ihm Nemesis. Lass meinen Wunsch wahr werden, großer Gott, Unendlicher. Einen schönen Stier habe ich für dich, draußen vor dem Tempel. Er wird dir gehören, wie ich es versprochen habe. Aber ich flehe dich an, erhöre mein Gebet!“[/size]
    Axilla blieb eine Weile auf den Knien vor der Statue des Gottes und schwieg. In ihren Gedanken herrschte kalte Leere, und sie hoffte, dass dies ein Zeichen des Gottes war, dass er anwesend war und zusah, so wie der Stein auf sie herabblickte. Axilla wusste nicht, wie lange sie so verharrte, aber schließlich stand sie auf und wandte sich, wie der Priester es vorhin noch gesagt hatte, demonstrativ nach Rechts, um das Voropfer abzuschließen.

    Einen kurzen Moment schien der Mann zu überlegen, als er ihren Namen wiederholte. Axilla sah ihm dabei so gleichmütig wie möglich entgegen, auch wenn sie hoffte, er würde sich nicht an so eine Anweisung erinnern, sie zu behandeln. Dann hätte sie eine Ausrede gehabt, es doch noch einmal zu verschieben und wieder nach Hause zu gehen. Einfach so zu tun, als wäre nichts, als hätte der Iatros eben nichts festgestellt und sie wieder heimgeschickt, um es auszusitzen. Das käme ihr eigentlich ganz gelegen, hatte sie doch noch so viel zu tun. Zum Beispiel... nun... achja, sie könnte für die Architektursache lernen. Oder ein wenig ihre Webkenntnisse auffrischen – oder besser gesagt, erwerben. Oder... ach, hundert Dinge, sie musste sie nur eben sehen, um zu wissen, dass sie gemacht werden müssten.
    Aber noch während sie sich überlegte, was sie eigentlich alles wichtiges zu tun haben könnte, erkannte der Mann wohl doch den Namen und bat sie, mitzukommen. Sie hatte wohl einfach kein Glück. Fortuna hasste sie, soviel war klar. Bestimmt war der Medicus gleich furchtbar alt mit zittrigen, kalten Händen...
    Er führte sie zu einer Sitzgruppe. Rund herum waren hohe Pflanzen, die zwar nicht wirklich lauschdicht, aber doch zumindest blickdicht waren. Als er fragte, ob sie etwas haben wollte, verneinte Axilla einfach. Ihr war schon wieder übel, und sie wollte dem Medicus ihre Symptome gleich nicht unbedingt als Demonstration vorführen. In der Annahme, dass der süße Unbekannte gleich den Arzt holen würde, sah sie beiseite und sich im Raum um, nur um verwundert festzustellen, dass der Mann sich setzte und sie selber fragte, was ihr fehlte.
    Sie musste wohl ziemlich überrascht dreinschauen, als sie ihn mit leicht geöffnetem Mund anstarrte und erstmal gar nicht wusste, was sie sagen sollte. “Du bist der Medicus?“ war dann auch nicht wirklich schmeichelhafter, und als Axilla es merkte, wurde sie leicht rot. “Ähm, tut mir leid, ich hab nur jemanden erwartet, der weniger gut aussieht...“ plapperte sie noch völlig durcheinander weiter und biss sich einen Augenblick später auf die Zunge. “Ähm, tut mir leid. Ich... können wir nochmal anfangen?“ Peinlich berührt traf Axillas Gesichtsausdruck nicht ganz, kurz vorm 'im Boden versinken' war wohl passender. “Salve, ich bin Iunia Axilla. Und ich brauche einen Iatros, weil die Seekrankheit einfach nicht weggehen will.“ Axilla tat ihr möglichstes, die peinliche Situation zu überspielen, auch wenn ihre roten Wangen das ganze nicht sehr überzeugend werden ließen.

    Es dauerte nicht lange, und aus dem hinteren Teil des Hauses kam jemand auf sie zu. Axilla hatte erwartet, einen alten, eingefallenen Mann in überlanger Toga vorzufinden, der mit zittrigen Händen irgendwas von 'zuviel Galle' oder 'zuwenig Blut' schwafeln würde. Aber hier kam ein.... ein... KERL! Ein richtiger, waschechter Kerl, mit Dreitagebart und ansehnlichem Körperbau.
    Es dauerte einen Moment, bis der Gedanke durchsickerte, dass er auch nur der Gehilfe oder Sklave von eben so einem togatragenden Tattergreis sein könnte, der nur in einem der hinteren Räume darauf wartete, etwas von 'zuviel Galle' oder 'zuwenig Blut' zu schwafeln. Dass er auch Iatros sein könnte, war nicht unbedingt anzunehmen.
    Axilla versuchte also ein möglichst belangloses Lächeln aufzusetzen, während sie antwortete. “Salve. Ich bin Iunia Axilla, und meine Freundin, Decima Seiana, meinte, ich könne mich hier untersuchen lassen?“
    Was genau ihr fehlte, wollte sie jetzt nicht so zwischen Tür und Angel sagen, sondern irgendwo privateres. Zwar waren sie beide gerade allein, soweit Axilla das überschauen konnte, aber... irgendwie fand sie es falsch, diesem süßen Kerl hier vor ihr auf die Nase zu binden, dass ihr seit Wochen ständig schlecht war und sie sich alle drei bis vier Tage einmal übergab.

    Sim-Off:

    Um Missverständnissen vorzubeugen, das hier spielt einige Tage nach dem Opfer


    Es wurde einfach nicht besser. So sehr Axilla auch andere Ausreden fand, warum ihr andauernd übel war – Seekrankheit, Essensumstellung, zuviel Wein, zuviel Sorgen, Urgulanias Tod... das waren die beliebteren der Ausreden – es nützte ja nichts. Sie konnte hier nicht wochenlang in Rom sein, und ihr war ständig übel. Bei ihrem Opfer an Dis hätte sie sich beinahe übergeben. Das konnte einfach nicht sein. Und auch Leander hing ihr ständig in den Ohren, sie dürfe das ganze nicht solange rauszögern, bis es wirklich ernst war.
    Also hatte sie sich heute breitschlagen lassen und war losgegangen. Von Seiana hatte sie ja noch immer die Zusage, sich umsonst behandeln lassen zu können. Und auch, wenn es ein komisches Gefühl war, sie und Archias zusammen zu sehen, sie mochte die Decima und vertraute ihr. Und wie schlimm konnte es schon werden?


    So war sie also hier und betrat etwas unschlüssig das Gebäude. Schön eingerichtet war es ja, und es sah gar nicht so nach... naja, Medizin eben aus. Axilla mochte keine Medici. Diejenigen, die ihrer Mutter nicht hatten helfen können und nur immer mehr Geld verlangt hatten, hatten sie da eine Lektion fürs Leben gelehrt. Aber noch wurde Axillas Fluchtinstinkt nicht gereizt, so dass sie erstmal nur hereinschlenderte und sich ein wenig unsicher umsah.

    Es war ganz offensichtlich, dass Axilla die Streicheleinheiten genoss. Ihr Körper entspannte sich, und ihr Kopf lag leicht auf Archias Schulter, schmiegte sich leicht an. Es tat gut, so gehalten und getröstet zu werden, auch wenn da so ein kleines, fieses Stimmchen darauf beharrte, ihn jetzt sofort und auf der Stelle loszulassen. Da Archias aber sich nicht aus der Umarmung frei machte, als Axilla sie lockerte, blieb sie auch erstmal so bei ihm stehen und genoss ein wenig seine Nähe, auch wenn er gerade wie ein Honigkuchenpferd zu ihr runtergrinste.
    “Ja, bin ich. Als der Brief kam, musste ich einfach raus. Ich hab gedacht, ich ersticke gleich, und bin erstmal gelaufen, bis mir die Beine weh getan haben. Ich weiß nicht, warum ich hierher gelaufen bin. Ich wusste einfach nicht, wohin ich sonst sollte.“
    Ein wenig unsicher sah Axilla zu ihm auf und verstand nicht, was es war, was ihn so grinsen ließ. Auf die Idee, dass er sich dadurch geschmeichelt fühlen könnte, dass sie offenbar tief in ihrem Herzen an ihn gedacht hatte und ohne Zutun ihres Willens zu ihm gelaufen war, oder auch Fortuna ihren Weg einfach hierher geleitet hatte, kam sie nicht. Sie war schon froh, dass er ihr deswegen nicht böse war. Sie kuschelte sich nochmal etwas mehr an ihn, drehte dabei ihren Kopf so, dass sie seinen Herzschlag hören konnte. Es war so schön beständig. Lass ihn los, Axilla, beharrte schon wieder dieses Stimmchen, und diesmal hörte sie, wenn auch widerwillig, darauf. Sie lächelte noch einmal zu ihm hoch. Kurz kam der Impuls in ihr auf, sich auf die Zehenspitzen zu stellen, aber sie unterdrückte ihn im Ansatz und lockerte nun ihre Haltung. Ihr Blick glitt seitwärts und sie erinnerte sich an seine anderen Worte, bevor sie ihn umarmt hatte.
    “Ja, wir können das gleich morgen machen. Hmmm, sollte ich mich vorher noch bei deinem Vetter bedanken? Also, dass ich hier bleiben darf? Oder besser wann anders?“ Sie wollte ja nicht undankbar erscheinen. Außerdem brachte das Thema sie auf andere Gedanken.

    Axilla überlegte kurz, was sie Serrana sagen könnte, damit die nicht so eine Angst vor der Großmutter hatte. Ein ganz klein wenig war sie in diesem Moment auf Krawall gebürstet, einfach aus dem Grund, dass sie nicht wollte, dass Serrana sich unwohl fühlte, und diese Frau daran offenbar schuld war. Andererseits galt es ja, sich zu benehmen, und Serrana hätte sicher was dagegen, würde Axilla einen Streit anfangen. Also blieb nichts weiter übrig als Abwarten, vor allem, wenn man grade so interessante Gesellschaft hatte.
    Natürlich bemerkte Axilla das kurze Zögern in der Stimme des Iuliers. Sie musste auch leicht schmunzeln deswegen, aber nicht so stark, als dass ihr Gegenüber den Eindruck haben könnte, sie würde ihn auslachen. Sie fand es nur immer wieder erstaunlich, wie eine einfache Frage die meisten Männer komplett aus dem Takt bringen konnte. Wahrscheinlich kam sie deshalb im Allgemeinen mit dem männlichen Geschlecht besser aus als mit dem weiblichen, die sich nicht so leicht von einer Frage irritieren ließen.


    Serrana fragte gleich weiter, und Axilla schenkte Antoninus ihr bezauberndstes Lächeln. Ein bisschen machte es ja Spaß, die Männer zu verwirren und aus dem Konzept zu bringen.
    “Genau, du musst es uns erzählen. Wo warst du denn? Milet? Ephesus? Oder gar auf Aeneas Spuren im sagenumwobenen Troja?“

    Imperiosus hatte wirklich 3 Köche, nur für sich alleine? Offenbar verdiente man als Angestellter der Kanzlei ganz ordentlich. Die Iunier hatten in Alexandria nur eine Köchin, und hier in Rom... sie wusste es gar nicht, fiel ihr da auf. Sie sollte mal einfach in die Küche gehen und nachfragen, um...
    Archias stieß sie gerade leicht an, um ihr eine Antwort zu geben auf Piso. 'Er muss nur wollen'? War das sein Ernst? Axilla sah ihn fragend an, und dann an ihm nochmal vorbei zu Piso. Ran an die Buletten? Wie stellte Archias sich das vor? Sollte sie rübergehen, ihn auf der Kline zurückdrücken und ihn küssen, bis ihm schwindelig wurde? Sie sah nochmal zu Archias zurück, immernoch kritisch, bis ihr aufging, dass er sie wohl nur veralberte. Gespielt böse kniff sie ihn einmal in die Seite. “Es ist nicht nett, andere Leute so zu veralbern, Caius“, raunte sie ihm zu und sah ihn nochmal streng an, ehe sie grinsen musste.
    Jetzt war die Platte mit dem Essen ohnehin zerstört, also griff Axilla auch nochmal zu. Wirklich Hunger hatte sie immernoch nicht, aber es roch alles sehr gut. Und sie wollte testen, ob es auch wirklich alexandrinisch hier schmeckte. Die Sachen in Rom waren zwar auch gut, aber irgendwie so.... unwürzig.
    Der Kommentar bezüglich des Geldes ließ Axilla nochmal kurz aufhorchen. Die Flavier konnten sich das eher leisten als was? Die Pompeier? Die Iunier? Axilla merkte gerade nur für einen kurzen Moment, unter welch wichtigen und einflussreichen Persönlichkeiten sie doch im Moment hockte. Auch wenn Archias sich gleich für die gedankenlose Bemerkung entschuldigte und sie ja auch wusste, dass er eigentlich ganz normal war und sich nichts auf seinen Namen oder sein Geld einbildete, brachte es sie doch zum Nachdenken. Vermutlich war sie hier in diesem ganzen Raum die unwichtigste von allen, und irgendwie war das ein ziemlich bedrückendes Gefühl.


    Axilla beschloss, dieses Gefühl mit etwas zu Essen zu vertreiben. Während sie also selber eine kleine Bulette gerade vernichtete, glitt ihr Blick doch wieder zu Piso. Er sah ja schon ganz schnieke aus. Und sie hatte ihn ja auch gern. Aber... nein, das war zu albern. Wie stellte sich Caius das vor? Seine Familie würde ihn doch sicher vierteilen, wenn er mit einer Plebejerin ankam. Und außerdem...
    Axillas Blick glitt wieder zu Archias und Seiana. Sie beobachtete ihn und seine 'Xanthippe' einen Moment, und griff wieder nach dem Weinbecher. Der Wein war wirklich ziemlich gut, wenngleich ein wenig stark. Nein, sie wollte jetzt nicht über Männer nachdenken. Über gar keinen von ihnen allen.

    Gerne hätte Axilla ihm geantwortet. Gerne hätte sie ihm klargemacht, dass sie sehr wohl wusste, dass es nicht nur Triumphzüge gab. Dass die meiste Zeit harte, verschwitzte Arbeit zwischen Blut und Knochen der Freunde war, dass man Wunden und Narben davontrug, so man überlebte. Dass es nicht romantisch verklärt alles sauber und nur ruhmreich war. Sie war das Kind eines Soldaten, nicht eines Schaumschlägers. Natürlich wusste sie um die Entbehrungen und den Schmerz. Auch wenn sie noch klein war, ihr Vater hatte ihr nicht vom tollen Soldatendasein vorgeschwärmt. Sie wusste, was Sache war, auch wenn es vermutlich noch einmal etwas anderes war, wenn man es selber gesehen, gefühlt und erlebt hatte.
    Und sie holte auch bereits schon Luft, als der Senator klar machte, dass er darüber nicht reden wollte. Etwas resignierend ließ Axilla also die Luft wieder aus ihren Lungen und hörte ihm zu, was er denn statt dessen wollte. Sie sollten über sie reden? Was ihr gefiel? Axilla wusste ungefähr ein Dutzend erwünschter Antworten, die sie ihm geben könnte, aber im Moment hatte sie keine Lust, ihn anzulügen. Etwas in ihr hatte an ihrem Stolz gekratzt, und das war schon immer eine Schwäche der Iunier gewesen.
    “Naja, reicht das nicht?“ fragte sie also ehrlich erstmal zurück und wartete, bis der Senator seinen Schreck über die Gegenfrage überwunden hatte. “Ich les auch sehr gern, vor allem Gedichte. Aber ich interessiere mich auch für Schlachtpläne und historische Konfrontationen.“ Axilla schenkte ihm ein gleichmütiges Lächeln. Sollte er doch denken, was er wollte, wenigstens war sie ehrlich. “Als ich klein war, hat mir mein Vater gerne von Alexander dem Großen erzählt, und wir haben mit meinem Spielzeug die Schlachtreihen nachgestellt. Ist wohl irgendwie hängen geblieben.“ Ein wenig beobachtete Axilla aus dem Augenwinkeln, ob sie ihn damit wohl zu schocken vermocht hatte. Aber Stolz war eben eine schlechte Eigenschaft und dachte nicht über Konsequenzen nach.

    Zum Glück war ihr Piso auch dieses Mal nicht böse, auch nicht, dass sie ihm so auf die Pelle gerückt war. So langsam entspannte sie sich und begann zu glauben, dass Archias Freund vielleicht auch so unkompliziert war wie Archias selber. Dann brauchte sie sich über ihr loses Mundwerk keine Gedanken machen, oder über ihre Unkenntnis.
    Er orderte auch gleich einen Weißwein, und Axilla war erstaunt, wie sehr sich der Kellner beeilte. Das musste wohl eine sehr gute Taverne sein, oder der Mann musste wichtige Termine haben. Denn es dauerte keine zwei Minuten, da hatten sie auch schon einen Krug mit hellem Wein und zwei Becher vor sich stehen und bekamen sogar eingeschenkt, ehe der Mann weiter war. Axilla schaute ihm noch einen Moment verwundert hinterher, als Psio ihr das mit dem Wein erklärte.
    Sie drehte sich also wieder dem Flavier zu und lauschte genau, was er sagte. Bei dem Schmatzen allerdings glaubte sie, er wolle sie veralbern. Ganz kritisch beäugte sie ihn, wie er es vormachte und tatsächlich zufrieden wie eine Katze bei einem Schälchen voll Sahne vor sich hinschmatzte. Es kostete doch einiges an Selbstbeherrschung, das aufkeimende Grinsen zu unterdrücken, aber ihre Mundwinkel zuckten doch immer wieder. Doch schien das kein einseitiges Amusement zu werden, denn er forderte sie auch gleich dazu auf, sie solle jetzt trinken. Und schmatzen.
    “Meinst du wirklich?“ fragte sie ihn noch einmal, diesmal doch lächelnd, gab sich dann aber auch gleich einen Ruck und nahm einen Schluck Wein. Er war süß und leicht auf der Zunge, erinnerte ein wenig an Erdbeeren oder Pflaumen, und fühlte sich an wie flüssiger Honig. Axilla schluckte und schmatzte ein paar Mal leise, ehe sie lachen musste. Sie hielt sich den Mund mit der Hand, um das Kichern zu verbergen, aber sie kam sich dabei so unglaublich dämlich vor. Auf der anderen Seite, es machte Spaß.
    “Warte, ich mach nochmal“, meinte sie, als sie glaubte, sich gefangen zu haben. Beim Ansetzen des Bechers musste sie zwar einmal noch ganz kurz prusten, aber das war schnell unterdrückt. Mit dem Versuch, möglichst ernst zu bleiben, nahm sie also nochmal einen großen Schluck – schließlich sollte sie etwas schmecken – und schmatzte danach einmal.
    “Schmeckt nach Beeren, oder?“ fragte sie Piso, jetzt doch offen lächelnd. Auch wenn es nur ein paar Schlucke gewesen waren, zauberte der Wein einen ganz zarten, rosa Schimmer auf Axillas Wangen, der nichts mit Verlegenheit zu tun hatte.

    “Ah“, machte Axilla im ersten Moment seiner Erklärung nur. Es gehörte seinem Vater? Dann musste es ja doch schon ziemlich alt sein, denn Livianus selber war ja sicherlich schon.. sie war schlecht im Alterschätzen, aber sie würde sagen, dass er bestimmt schon 50 war. Auf jeden Fall weit älter als Archias. Aber ganz unverschämt sein und ihn fragen wollte sie auch nicht. “Es ist wirklich sehr schön, und sehr groß. In Alexandria ist unser Haus ähnlich groß, aber hier in der Stadt, das ist doch um einiges kleiner und schlichter.“


    Warum er allerdings fand, dass Senator oder Feldherr zu sein keine besondere Ehre war, verstand Axilla nicht. Er war beides, oder zumindest gewesen, da müsste er doch wissen, welche Ehre das war? Und für Axilla war Soldatentum ohnehin etwas, das an und für sich schon mit höchsten Ehren behaftet war. Wie man das nicht so sehen konnte, kapierte sie wirklich nicht.
    “Aber wie meinst du, dass diese Aufgaben nicht erstrebenswert seien? Es gibt doch kaum eine höhere Ehre und keinen besseren Weg, um Ruhm für das Imperium, für die Gens und nicht zuletzt für sich selber zu verdienen, indem man so mit ganzer Kraft dem Reich dient?“ Axilla verstand es wirklich nicht. Wie konnte ein ehrbarer Mann da nicht danach streben?

    “Grrrrrrrrrrrrrr!“
    Kaum, dass die Tür ins Schloss gefallen war, konnte Axilla nicht mehr an sich halten. Dieser verweichlichte... Argh! Da fiel ihr nicht mal ein Wort ein, dass es wirklich traf. Wie konnte man nur so gleichgültig sein? Und wegen so einer Lapalie kam er her, nur um dann den Schwanz einzukneifen und zu gehen?
    Axilla schnappte sich das erstbeste, was sie in die Finger bekam. Es war eine kleine Tonfigur, ein Tand, den sie auf dem Markt gekauft hatte, weil sie es hübsch gefunden hatte. Es landete krachend an der Tür, durch die Silanus eben hinausgegangen war, und zerbrach in hundert Stücke. Eine Glasphiole aus dicken Bleiglas mit Parfum darin folgte, ebenso wie drei Tiegelchen mit Schminkfarbe. Die Tür ging gerade einen Spalt weit auf, als die große Dose mit dem weißen Puder durch den Raum segelte und dort in einer beeindruckenden Staubwolke zu Bruch ging.
    “Herrin? Darf ich reinkommen, oder erschlägst du mich?“
    Axilla erkannte Leanders Stimme, und versuchte, sich ein wenig zu beruhigen. Wie ein gefangener Löwe im Käfig stapfte sie wütend auf und ab und brüllte ihm halb ein “Komm rein“ entgegen.
    Vorsichtig öffnete der Sklave die Tür und schaute durch den Spalt herein. Er sah, dass offenbar keine weiteren Geschosse folgten, und stieg vorsichtig über den Haufen an Scherben, Puder und Farbe. “Herrin, geht es dir gut?“
    “Gut? Nein, mir geht es nicht gut. Weißt du, was er gesagt hat? Ich soll auf Rache verzichten! VERZICHTEN! Und hier in Rom in SIHCERHEIT Däumchen drehen!“
    Es folgte ein Katarakt an übelsten Beschimpfungen, von denen Leander nie gedacht hätte, sie jemals aus dem Mund einer Frau zu hören zu bekommen. Der Grieche hatte keine Ahnung, woher seine Herrin solche Ausdrücke überhaupt kannte, bei ein paar zuckte er sogar leicht zusammen, gingen die doch sehr gegen die Männlichkeit. Aber er war klug genug, sie nicht zu unterbrechen, und kam der noch immer Furchen in den Boden laufenden Iunia nur einfach näher.
    “Dieses Weichei hat nur Angst um seine Karriere. Und sowas will Iunier sein!“, schimpfte sie ungehalten weiter. “Unsere gesamte Ahnenreihe müsste eigentlich als Lemures wegen diesen Worten allein hier das Haus heimsuchen. Wie kann man so wenig Ehrgefühl besitzen?“
    “Herrin, vielleicht siehst du das alles nur ein wenig zu sehr schwarz-weiß?“ versuchte er einen Vorstoß und erntete dafür einen drohend erhobenen Zeigefinger.
    “Fang du jetzt nicht auch noch damit an. Immer dieses elende 'Grau'! Ich sag dir, es gibt kein grau! Das ist nur so ein Mist der Politiker, um sich rauszureden, damit sie das machen können, was sie wollen. Urgulania ist tot, und jetzt erzähl mir nicht, das wäre ein gefühlsmäßiges Grau! Das ist schwarz, das ist sogar tiefschwarz! Und jeder, der Ehre im Leib hat, muss da an rache denken. Wie würdest du dich fühlen, wenn du umgebracht wurdest und jetzt in der Unterwelt auf Gerechtigkeit wartest, und diene teuren Verwandten sagen 'Ach, war bestimmt nur ein Versehen'? Hm? Nein, also komm mir nicht mit grau!“ Axilla war wütend und wollte mehr kaputt machen, aber sie fand grade nichts. Also blieb sie vor der Wand stehen und hieb ihre Faust so stark dagegen, dass die Knöchel leicht aufplatzten und blutig wurden.
    “Herrin, nicht!“ kam Leander sofort dazu und nahm Axilla sanft bei den Handgelenken, um sie von der Wand abzuhalten. Er merkte, dass sie vor Wut zitterte, und Tränen liefen noch immer – oder schon wieder.
    Axilla stand wie steif da und atmete zitternd. Warum nur wollte er ihr nicht bei der Rache helfen? Sie verstand es einfach nicht. Und es tat so weh. “es war meine Schuld, Leander. Wenn ich da gewesen wäre...“
    “Was, Herrin? Was dann? Dann würdest du nun tot neben ihr liegen.“
    “Nein, ich hätte sie beschützt. Ich hätte es gekonnt. Ganz sicher.“
    “Herrin, das waren bewaffnete Männer. Was hättest du gegen sie tun können. Es ist nicht deine schuld, Herrin.“ Er nahm sie richtig in den Arm, denn er wusste schon, wie wichtig ihr Körperkontakt in ihrem Leben war, auch wenn sie sich wehrte und man sie zu ihrem Glück im Moment zwingen musste.
    “Lass mich los! Es ist meine Schuld. Ich hätte... ich kann kämpfen... ich hätte...“ Sie versuchte, sich aus dem Griff zu befreien, aber Leander ließ sie nicht los. Er wusste, dass sie ihn nicht bestrafen würde dafür, er diente ihr jetzt bald zwei Jahre lang und kannte sie ganz gut. Und sie würde nie aufhören, wenn er sie ließ.
    “Es ist nicht deine Schuld“, wiederholte er noch einmal ruhig und hielt sie fest.
    “Lass mich los...“ jammerte Axilla nochmal und versuchte, sich zu befreien, aber ihr Widerstand brach bereits.
    “Es ist nicht deine Schuld“, wieder ruhig, ohne sie loszulassen, und endlich klappte sie zusammen, so dass er sie stützen musste. Er hielt sie eine Weile so, dann trug er sie zum Bett rüber. Als er sie abgelegt hatte, streichelte er ihr ein wenig über den Rücken. “Die Götter sind gerecht, Herrin. Du wirst deine Rache bekommen. Ich weiß, es schmerzt, aber gedulde dich. Du wirst sehen, es wird alles gut...“ Und weiteres sagte er ihr, weil er wusste, dass sie es hören musste.
    Axilla wiederum weinte, bis die Tränen versiegten. In ihrem Herz verhärtete sich der Ort, der für Urgulania reserviert war, wurde umschlossen von festem Stein. Ja, sie würde ihre Rache bekommen, das war sie ihrer Cousine schuldig. Egal, was Silanus dazu auch sagen mochte. Aber nicht heute. Leander hatte recht, nicht heute.

    “Das weiß ich noch nicht so genau. Ich werde auf jeden Fall bis zur Hochzeit zwischen Aelius Archias und Decima Seiana bleiben, und bis die Frühjahrsunwetter vorbei sind. Danach.. naja, mal schauen, was sich so ergibt. Vielleicht findet mich ja jemand so unwiderstehlich, dass er mcih nicht mehr gehen lassen will und mich heiraten möchte?“ Axilla zuckte leicht lachend die Schultern. “Ich lass es einfach auf mich zukommen und entscheide dann im Frühsommer.“


    Eine weitere Frau stieg in das Becken und grüßte kurz alle anwesenden. Allerdings war sie doch etwas älter als der restliche Durchschnitt hier im Becken. “Salve“, grüßte Axilla einfach kurz zurück, da sie annahm, die Frau würde auch irgendwie zu Serranas Freundeskreis gehören, und irgendwer würde sie ihr sicher gleich vorstellen. Daher dachte sie sich auch nichts, als sie auf Calvenas Vorschlag einfach antwortete. “Und ja, das klingt nach einer ausgezeichneten Idee. Das ist bestimmt spannend. Ich kann ja mal meinen Arbeitgeber fragen, ob er weiß, wann wieder eines stattfindet. Er ist bei der Veneta. Oder war es die Aurata? Ich weiß es nicht mehr, irgend eine halt.“ Bestimmt konnte Archias da etwas organisieren. Und wenn nicht, fragen kostete ja auch nichts.
    Da ein paar Frauen zu einer anderen, älteren Dame rüberlächelten, drehte sich auch Axilla neugierig einmal in die Richtung, um zu schauen, und lächelte der Frau zu. Sie hatte keine Ahnung, wer das war, aber wenn es wichtig war, würde Serrana ihr hoffentlich etwas sagen oder sie zumindest in die Seite pieksen.

    Zitat

    Original von Iunia Serrana


    "Da drüben stehen Calvena und Furia Calliphana, das ist die Braut, musst du wissen." antwortete sie ihrer Cousine ebenso leise und deutete dabei unauffällig auf die hübsche rothaarige Frau neben ihrer Freundin. "Und da auf der anderen Seite...."jetzt ging ihr Blick mit deutlich weniger Freude hinüber zur gegenüberliegenden Ecke des Raums,".....die ältere Dame mit dem silbergrauen Kleid, das ist meine Großmutter." Wie kam die denn bloß auf dieses Fest? Serrana konnte sich gar nicht vorstellen, dass irgendjemand Laevina freiwillig eingeladen hatte.


    Zitat

    Original von Sergia Chaerea
    "Salvete Serrana, schön dass du kommen konntest. Ich sehe du hast eine Begleitung mitgebracht, sehr schön, je mehr desto besser! Mein Name ist Sergia Chaerea, freut mich dich kennen zu lernen, ich glaube wir hatten noch nicht das vergnügen. Darf ich vorstellen? Das ist Iulius Antoninus, er wohnt auch hier in der Casa seit ein paar Tagen und..." - sie unterbrach sich kurz und erblickte den einen Ehrengast in der Tür. Calliphana war endlich da!! Und wie versprochen sie ahnte nichts, und wirkte sehr überrascht, sprachlos und begeistert. Aber vor allem sprachlos, und das war auch gut so, das wollte Chaerea ja auch erreichen.


    Sie verabschiedete sich kurz von der kleinen Gruppe "Entschuldigt mich bitte für einen Moment...", ließ auch Antoninus bei den Frauen "Keine Sorge, die beißen schon nicht..." und rannte Calliphana entgegen.



    Axilla folgte dem Fingerzeig ihrer Cousine rüber zu der Braut, die gerade einen etwas verwirrten Eindruck machte. Das hier war wohl eher eine Überraschungsfeier als mit dem Paar abgesprochen, wie es schien. Axilla musste grinsen, irgendwie hatte das ja was. Wie auch immer das bewerkstelligt worden war, immerhin war das hier ja das Haus des Bräutigams. Aber vielleicht war der ja eingeweiht?
    Auch dem zweiten Deuten folgte Axilla und betrachtete die Frau, die Serrana als ihre Großmutter bezeichnete. De iure waren sie ja eigentlich nicht miteinander verwandt, ging Verwandtschaft ja nur streng über die männliche Linie, und wenn es nach Axilla ging, würde sie der Germanica auch genau das an den Kopf werfen, nach allem, was sie Serrana angetan hatte, aber im Moment beobachtete sie nur. Die Frau sah... sah... ALT aus. Vielleicht war sie mal hübsch gewesen, aber im Moment war sie einfach nur alt und sah in dem grauen Kleid furchtbar konservativ aus. Würden Axilla und sie nebeneinander stehen, würde sich wohl jeder Besucher des Festes hier wundern, wie gegensätzlich zwei Frauen nur sein konnten. “Versteck dich einfach hinter mir, dann sieht sie uns vielleicht nicht“ schlug Axilla nur halb im Scherz vor, als sie auch schon begrüßt wurden.


    “Salve Sergia Chaerea, ich bin Iunia Axilla, Serranas Cousine. Salve, Iulius Antoninus.“ Axilla begrüßte die beiden gerade, als die Gastgeberin auch schon weiterschwirrte. Sie flüsterte dem doch recht schnuckeligen Iulier noch etwas zu und ging dann auch schon weiter in Richtung der Braut.
    Axilla sah ihr nur kurz hinterher und entdeckte bei der Gelegenheit noch jemanden, den sie kannten. Sie beugte sich zu ihrer Cousine hinüber, um Serrana wiederum etwas zuzuflüstern. “Ich hab noch jemanden entdeckt, schräg hinter uns. Ich bin ja mal gespannt, wie er reagiert, wenn er dich mit der Frisur sieht.“


    Mit einem breiten Lächeln im Gesicht wandte sie sich wieder dem Iulier zu. Auch wenn Axilla meistens einen doch recht scheuen Eindruck machte, manches hatte sie doch von Urgulania gelernt. Und im Schauspielern war sie ohnehin sehr geübt, so dass sie, obwohl sie aufgeregt war und ihn eigentlich gar nicht kannte, charmant sein wollte und Antoninus anlächelte. “Und du bist auch erst seit kurzem in Rom?“ fing sie ein belangloses Gespräch an.

    Axilla war sich nicht sicher, ob das nun ein Kompliment war oder doch eher ein Tadel. Es klang nicht so, als wäre Livianus wirklich davon überzeugt, dass es eine gute Sache war, wenn eine Frau sowas machte. So, wie er betonte, dass das in Rom bei einigen Familien nicht gut ankam, oder wie er über Alexandria sprach, kam in Axilla der Eindruck auf, ihm gefiel das nicht, nur, dass er zu höflich war, das auch zu sagen. Vielleicht hätte sie doch besser auf Seiana hören sollen und einfach mal ihre Klappe halten. Jetzt aber war es schon zu spät, und ein Teil von Axilla wollte das auch gar nicht verbergen. Sie war stolz auf das, was sie erreicht hatte, und noch viel stolzer, was ihre Gens anging. Ein klein wenig also regte sich dieser Stolz, aber dieses Mal konnte sie den Impuls, ihm Ausdruck zu verleihen, einigermaßen widerstehen.
    “Naja, ich werde auf jeden Fall weder Senator, noch Feldherr“, meinte sie also mit einem möglichst charmanten Lächeln, das klar machen sollte, das das wirklich ein Scherz war. Auch wenn sie der Meinung war, dass eine Frau sicher auch das ein oder andere zu so einem Posten beisteuern könnte. Zumindest ein wenig.
    “Aber vielleicht heirate ich mal einen“, fügte sie mit einem Schulterzucken noch hinzu. Auch wenn Axilla keine Ahnung hatte, was ihre künftige Männerwahl betraf, Ehrgeiz sollte er auf jeden Fall genug mitbringen, um das zu erreichen. Axilla brauchte einen Mann und niemanden, der sich auf seinen Erfolgen ausruhte. Das war langweilig.
    Doch irgendwie war das Thema an sich sehr seltsam, so dass Axilla in üblicher Manier schnell ein anderes suchte und einfach, als wäre nichts weiter gewesen, dahin wechselte. “Und dies hier ist dein Haus?“ fragte sie also in Ermangelung eines besseren Spontaneinfalls einfach gerade heraus.