Beiträge von Iunia Axilla

    Da Axilla nicht die geringste Ahnung hatte, was der praefectus annonae denn den lieben langen Tag so tat, zuckte sie nur ganz leicht mit den Schultern und streichelte geistesabwesend weiter. Nur, als Archias kurz meinte, er sei immer für sie da, wenn sie ihn brauchte, unterbrach sie kurz die Bewegung, um zu ihm aufzuschauen. Auch wenn Axilla so gut wie nie eifersüchtig oder neidisch war, in diesem Moment beneidete sie Seiana aufrichtig. Es musste ein wundervolles Gefühl sein, geliebt zu werden von dem, den man liebte. Ein trauriges, kleines Lächeln umspielt kurz ihre Lippen, und sie hätte etwas sehr liebevolles zu ihm sagen wollen, hätte er nicht just in dem Moment weitergeredet und wäre wieder auf Urgulanias Tod zu sprechen gekommen.
    Axilla legte ihren Kopf wieder in die Kuhle an seiner Schulter und fuhr damit fort, ihn sanft zu streicheln. Es war beruhigend, seinen Herzschlag zu hören, und sie schloss einen Moment ihre Augen.
    “Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, dass er es war. Ganz tief in meinem Herzen weiß ich das.“ Wie sollte sie das nur erklären? Urgulania hatte so lange Angst vor ihm gehabt, hatte sich so lange Sorgen um Axilla gemacht. Er muste es einfach gewesen sein, es musste wahr sein. Denn jede andere Wahrheit wäre noch um ein vielfaches schrecklicher als diese.
    “Ich weiß nicht, wie sie gestorben ist. Merula hat ja fast nichts geschrieben. Ich werde Timos gleich nachher schreiben und ihn bitten, mir alles zu berichten. Er ist ja Strategos, und er macht das bestimmt für mich. Seine Familie und meine sind schon so lange in Alexandria verbündet, er muss es einfach...“ Axilla krallte sich wieder etwas fester an Archias, als sie merkte, dass sie wieder drohte, den Halt zu verlieren. Sie zitterte kurz und versuchte, den neuerlich sich anbahnenden Heulkrampf zu ersticken.
    Es dauerte ein wenig, bis sie sich soweit unter Kontrolle hatte, ihn wieder loszulassen und mit leicht wässrigen Augen nochmal anzuschauen. “Du glaubst mir doch, oder?“ fragte sie fast schon verzweifelt. Sie fühlte sich wie verrückt, wie wahnsinnig, aber sie wusste einfach, dass sie es nicht war.


    Und dann aus einem inneren Impuls heraus spannte Axilla einmal und gab Archias einen ganz sanften Kuss. Er war nicht wie der aus Alexandria, der aus Blödelei geboren war und sehr schnell sehr begehrend und heftig geworden war. Ein Versprechen für Leidenschaft eben. Dieser hier war ganz sanft und liebevoll und vorsichtig, mehr wie eine stumme Bitte ohne jedes Drängen.
    “Tut mir leid“, hauchte Axilla nur leise, als sie sich nach nur ein paar Sekunden auch gleich zurückzog und wieder hinlegte. Sie fühlte sich nur so tot und leer und wusste nicht, wie sie das ändern sollte.

    Axilla war nicht sehr religiös. Zu sehen, wie die Mutter immer schwächer und kränker wurde, ohne dass ein Opfer etwas gebracht hätte, hatten sie zu der Überzeugung kommen lassen, dass die Menschen den Göttern im Grunde genommen egal waren. Sie hatte, wenn überhaupt, höchstens hier und da Mal die Macht von Faunus gefühlt, die zerstörerisch-schaffende Kraft der Natur, aber andere Mysterien waren ihr stets verschlossen.
    Und doch fühlte sie die Kälte und die Macht des Herrn der Unterwelt, hörte die stummen Schreie der Klagegeister. Ihr war ganz schlecht von der dunklen Aura, die sie gefangen hielt und zu Boden zu drücken schien. Was war schon ein kleines Leben, gemessen am ewigen Tod? Wer war sie, verglichen mit einer Macht so alt wie die Menschheit?


    Ihre Kehle schnürte sich zu, und Axilla hatte Angst, ihre Stimme könnte bei dem folgenden versagen. Sie drehte ganz leicht den Kopf, um Leander zu symbolisieren, dass sie jetzt den Vogel wollte. Der Sklave holte ihn aus dem Käfig und brachte ihn mit sicherem Griff zu seiner Herrin.
    Es war eine Taube, dunkelgrau. Die dunkelste, die Axilla finden konnte. Sie hatte schon überlegt, ob sie versuchen sollte, einen Raben irgendwoher zu bekommen, damit es ein ganz schwarzer Vogel wäre, sich dann aber doch für die Taube entschieden. Es sollte ja nur ein Vorgeschmack sein.
    Sie nahm das Tier mit einer Hand entgegen. Kurz flatterte die Taube, eine Chance witternd, zu entkommen, dann hatte Axilla ihre Hand sicher so um den Körper gelegt, dass sie die Taube in einer Hand mit Bauch nach oben halten konnte.
    “Herr der Dunkelheit, ich weiß, ich hab dir nicht so viel und so oft geopfert, wie ich hätte sollen. Meist habe ich meinen Ahnen direkt geopfert und dich dabei wohl übergangen. Dennoch bitte ich dich, erhöre mich und lass es geschehen.
    Ich schenke dir... diese Taube...“
    Mit dem mittlerweile stumpfen Messer war es nicht so einfach, den Vogel zu töten, ohne sich selbst dabei zu verletzen. Auch wenn es wohl nicht ganz im Sinne des Erfinders war, spießte Axilla das Tier halb auf, so dass helles Vogelblut einmal auf ihr Kleid und über die Bleitafel spritzte, ehe Leander es mit einer Opferschale auffing. “...als kleine Gabe vor dem großen Geschenk, das ich dir machen will. In deinem Tempel will ich dir einen Ochsen opfern, so schwarz wie die Nacht, mit Hörnern aus Silber. Gleich morgen früh will ich gehen und mit deinem Priester sprechen. Dafür, dass du Urgulania in dein Reich aufnimmst und mir diesen Wunsch gewährst.“
    Das Leben des Tiers war beendet, und auch kein Blut floss mehr. Schlaff und tot hing die Taube in Axillas Hand, und vorsichtig legte sie ihn neben den Weihrauch auf den Hausaltar. Sie würde sie noch verbrennen, aber im Moment brannte hier kein Feuer und kein Kohlebecken, auf dem sie den Vogel ganz dem Gott hätte übergeben können.
    Axilla wusste, dass sie bei dem Opfer wahrscheinlich tausend Fehler gemacht hatte, aber besser wusste sie es nicht. Und wenn sie sich nicht nur einbildete, dass der Gott hier war, mit seinen Fingern um ihr Herz, dann würde er es wissen, wie ernst es ihr war.
    “Ich schwöre es“, flüsterte sie noch leise und sah auf die Tafel vor ihr, die sie gleich einrollen und Levi auf seine Reise mitgeben würde.

    “Warmhalten?“ Axilla blinzelte einmal verwirrt und es dauerte einen Augenblick, bis sie begriffen hatte, was Serrana damit andeuten wollte. Ganz hektisch und mit viel Gestik versuchte sie sofort, es richtig zu stellen. “Nein, nein, das ist ganz anders. Archi und ich... nein, also, so ist das nicht! Ganz bestimmt nicht! Wir sind wirklich nur Freunde!“
    In diesem Moment glaubte Axilla, dass man es ihr an der Nasenspitze würde ablesen können müssen, dass sie mit dem Aelier dieses eine Mal im Bett gewesen war. Aber selbst das änderte nichts daran, dass sie wirklich nur Freunde waren und nichts anderes.
    “Er ist doch mit Decima Seiana verlobt, und, und, ich hab ja sogar ein Gedicht für ihn geschrieben! Also, nicht für ihn, sondern für Seiana. Also von ihm. Also, ich hab's geschrieben, aber damit er es ihr schenken kann.“
    Axilla hoffte, dass das nun einigermaßen verständlich war. Sie wollte nur ganz sicher klarstellen, dass sie kein Interesse an Archias hatte, was eine Beziehung anging, oder gar eine Ehe. Für ihre Familie wäre das zwar wahrscheinlich ein unheimlicher Prestige-Gewinn, aber... das könnte sie ihm als Freund doch nicht antun! Er liebte Decima Seiana ja!

    Als Piso so auf sie zukam und so herzlich begrüßte, lächelte Axilla so, dass man fast sehen konnte, dass sie es nicht unterdrücken hätte können. Sein Kompliment ließ sie ganz leicht erröten, denn wie jede Frau hörte natürlich auch Axilla sehr gerne, ob sie denn auch wirklich hübsch war, denn wie jede Frau sah sie an sich selbst eher die Makel als die Vorzüge. “Ja, ich denke, ich kenne alle“, meinte sie leise und dankbar, nur, um es eine Sekunde später doch noch einmal revidieren zu müssen.
    Eine andere Frau kam herein. Wie Axilla trug sie ein grünes Kleid, höchstens etwas heller. Und wie Axilla trug sie dazu Gold. Nur an der dunkelblonden Frau sah es einfach fantastisch aus, fand Axilla, während es an ihr irgendwie... aufgesetzt wirkte. So im wirklich unmittelbarem Vergleich fühlte sich Axilla irgendwie wie eine blasse Kopie – auch wenn sie mit ihrer gebräunten Haut um einiges un-blasser war – und fast etwas verschämt wurde ihr Lächeln, als sie den Blick etwas weiter gen Boden richtete.
    Die Fremde sprach Piso mit 'Bruder' an, war folglich wohl dessen Schwester. Axilla kam sich etwas albern vor, sich so über sein Kompliment gefreut zu haben, wo er doch so hübsche Frauen direkt um sich herum hatte. Aber vielleicht gehörte das auch zu Rom dazu, Imperiosus hatte sie in Alexandria damals ja auch mit Komplimenten überhäuft. Jetzt hingegen tat er das nicht, sondern bat alle, mit ihm zu trinken. Ein bisschen überrascht schaute Axilla zu den Sklaven, die ihr auch gleich einen Becher reichten. Natürlich hatte sie angenommen, dass sie nicht drum herumkommen würde, auch mal einen Becher Wein heute zu trinken. Aber auf leeren Magen, und auch noch den ägyptischen? Oha, wenn das mal gut ging.
    Unsicher, wo sie sich hinsetzen sollte, wartete sie erst einmal, bis die anderen ihre Plätze eingenommen hatten, um dann das zu nehem, was frei war. Seiana würde sicher neben Archias sitzen, und Pisos Schwester neben ihm. Sie wollte sich da nirgens dazwischendrängen.

    Eine unheilige Ruhe überkam Axilla, als sie sah, wie das Messer das Blei fast schon durchdrungen hatte. Lediglich die harten Steinfliesen am Boden hatten das Blei davor bewahrt, durchbohrt zu werden. Und auch, wenn das hier nur symbolisch der Terentier war, es tat gut, Rache zu üben. Schlechtes Gewissen hatte Axilla keines, auch nicht für das folgende, was sie ihm wünschen würde.
    “Hört mich an, Mächte der Unterwelt und von allem, was nach dem Tod kommt. Ich will euch alles geben, was ihr begehrt, wenn ihr mir meinen Wunsch erfüllt.
    Ich will, dass sein Herz ihm in der Brust gefriert“
    Axilla machte ein dickes X dort, wo das Herz sitzen müsste, und zerstörte es damit. “Er soll keine Freude mehr kennen, nichts soll sein Gemüt erheitern. Er soll nur Verzweiflung und Anstrengung kennen. Defigo!
    Sie wandte sich seinen Armen zu und begann damit, diese fein säuberlich mit der Messerspitze zu zerstören. “Nehmt seine Arme, denn alles, was er berührt, soll zum scheitern verurteilt sein. Es soll unter seinen Fingern verrinnen wie der Sand der Wüste, soll zerbrechen und zerreißen, soll verrosten und verderben. Keine Erfolge soll er mehr vorzuweisen haben, keine Gunst. Sein Besitz soll ihm entgleiten und von Plagen heimgesucht werden, bis er nichts mehr besitzt. Defigo!
    Axilla sah hinunter auf die zerkratzte Platte und überlegte. Der Fluch war grausam, den sie ihm bis jetzt auferlegte. Wenn er ihn traf – und an der Wirksamkeit hegte sie keinen Zweifel – war der Terentier wirklich verflucht und ein gewaltiges Unglück würde ihn treffen. War das nicht schon die gerechte Strafe?


    Nein, war es nicht, es war nicht genug.
    “Nehmt seine Beine, denn er soll der Ehre hinterherlaufen, und sie nicht mehr erreichen. Er soll stolpern auf seinem Weg, straucheln und verzweifeln. Seine Ziele sollen vor seinen Augen unerreichbar werden! Defigo!
    Jedes Mal, wenn sie den Fluch bekräftigte, ihn auf dem Blei festnagelte, stach sie auf die Platte ein, als würde sie auf ihn einstechen. Und mittlerweile zitterte schon ihr Arm davon. Aber eine Sache gab es noch, um die sie in ihrer Wut bitten wollte, noch einen Gefallen, den der Herr der Unterwelt ihr erweisen sollte.
    “Ich bringe euch seine Augen, Mächte der Unterwelt. Ich will, wenn er gestrauchelt, zerschmettert und am Boden ist über ihm stehen. Ich will, dass er zu mir aufsieht und weiß, wer ihm das angetan hat. Ich will, dass er weiß, dass kein Mann sich ungestraft den Zorn einer Frau der Iunier erwecken darf. Ich will, dass er weiß, dass dies für Urgulania geschah. Und cih will die Verzweiflung in seinen Augen sehen, wenn er dann zu mir aufblickt und erkennt, welchen Fehler er begangen hat. Defigo!


    Axilla sah hinunter auf das zerstörte, zerkratzte, zerstochene Strichmännchen, neben dem nur noch der eingeritzte Name lesbar war. Appius Terentius Cyprianus, und daneben nur die Striche von dem Messer, das mittlerweile stumpf geworden war durch den Fluch.
    Axilla zitterte und ihr war übel. Es war böse, was sie tat, das fühlte sie. Aber es besänftigte ihren Zorn und gab dem Schmerz etwas, worauf er bauen konnte. Es ging nicht um Gerechtigkeit, es ging um Bestrafung, und die sollte der Terentier erhalten.

    Axilla war über gar keine Lagen informiert, erst recht nicht die in Rom. Sie wr gerade mal 2 Tage jetzt hier, und für Politik hatte sie sich noch nie so sehr interessiert, als dass sie dafür extra Erkundigungen eingezogen hätte. Folglich war das, was Brutus ihr jetzt anvertraute, ziemlich erschreckend, und Axilla versuchte, nicht zu sorgenvoll auszusehen, als sie vor sich hinstarrte und überlegte.
    Silanus in Gefahr? Ihr Herz krallte sich allein bei dem Gedanken daran zusammen. Nun, er war Soldat gewesen, sogar Tribun, und damit eigentlich immer in Gefahr gewesen, aber so direkt darauf angesprochen zu werden... Noch dazu sie, als Mädchen, von einem – sofern sie das vom reinen Sehen her beurteilen konnte – doch recht stattlichen Krieger! Das war dann doch erschreckender und irgendwie ernster.
    “Nein, woher soll ich etwas wissen? Ich kenn hier doch noch gar niemanden. Aber das klingt erschreckend.“
    Für Axilla sogar zweifach erschreckend, denn sollte dieser Präfectus, wer auch immer es war, wirklich die Macht an sich reißen wollen und damit die Erbfolge des Kaisers durchbrechen, als Usurpator den Thron beanspruchen... Das zwang eine Verschwörung gegen ihn ja schon beinahe herauf! Und kaum eine Gens hatte bei derartig großen Verschwörungen einen Ruf wie die Iunia. Axilla wusste nicht, zu welchen Entscheidungen die Ehre dann Silanus zwingen würde. “Silanus hat auch nichts zu mir gesagt. Ich weiß nicht, was er denkt. Wenn er es überhaupt weiß.“ Sie und Silanus hatten sich Ewigkeiten nicht gesprochen, und die paar Worte bei der Begrüßung und später bei der Cena, die sie gewechselt hatten, die zählten wohl kaum als wirkliches Gespräch. Irgendwie war eine Mauer zwischen ihnen, seit Axilla seinen Antrag damals abgelehnt hatte. Und so gern Axilla diese eigentlich einreißen wollte, so genau wusste sie, dass diese Mauer notwendig war, damit nicht noch mehr passierte, als schon geschehen war. Zum Wohle der Familie war es einfach notwendig, auch wenn es bedeutete, dass sie niemals mit ihm zusammen sein konnte.

    “Ach der“, machte Axilla nur, als ob ihr gerade da, als er es sagte, wieder alles eingefallen wäre. Sicherlich hatte sie die Geschichte schonmal gehört, auch wenn die meisten Römer das gerne stillschweigend vergaßen, aber um ehrlich zu sein, sie hatte sich nicht ein Stückchen daran erinnert.
    Dass er sie nicht runter ließ, hätte sie sich eigentlich denken können. Trotzdem protestierte sie, als er sie so mitten über den Platz trug, und strampelte und trommelte sogar kurz in kindischem Eifer auf seinem Rücken herum. Zwar nicht so fest, wie sie könnte, denn sie wollte ihm ja wirklich nicht weh tun, aber so fest, dass er merkte, dass sie lieber nicht getragen werden würde, zumindest nicht so! Romantisch in seinen Armen, das wäre was anderes – wobei auch das hier auf offener Straße vollkommen unangebracht wäre – aber wie so ein erlegtes Reh über die Schulter gehängt zu werden war nicht wirklich nach ihrem Geschmack. Und auch seine Ablehnung ihres Angebots und seine tadelnden Worte ließen sie einmal tief durchschnaufen. Allerdings verkniff sie sich einen Kommentar.
    Ein gutes hatte die kurzzeitige Wut, weil sie ihren Kopf nicht hatte durchsetzen können und er offenbar auf weibliche Bestechungsversuche nicht reagierte: Die Aufregung ließ nach. Und nachdem auch die Wut nachgelassen hatte und Axilla sich damit abgefunden hatte, nun herumgetragen zu werden und von allen angegrinst zu werden, war es eigentlich ganz schön. Sie winkelte einen Arm an und stützte ihr Kinn so ab, den Ellbogen an seinem Schulterblatt anstützend. Hinter ihnen beiden hatte sich eine Schar Kinder eingefunden, die ihnen ein paar Straßen weit folgten. Axilla grinste zu ihnen hinunter und erwiderte die Grimassen, die sie ihr schnitten.
    Eigentlich war es ja ganz schön, so nah bei ihm zu sein, überlegte sie. Nun, es war entwürdigend, aber andererseits... sie war ihm ganz nahe, ohne dass sie dabei irgendeinen Fehler machte. Er hielt sie, wenn auch nicht gerade schmeichelhaft, so doch sicher und sanft. Weh tat er ihr nicht. Und so nach und nach hatte sie Zeit, Kleinigkeiten an ihm wahrzunehmen. Wenn sie den Kopf so weit drehte, dass sie seinen Kopf sehen konnte, erblickte sie dunkelblonde Locken. Als das Haar nass war, hatte sie es für braun gehalten, aber jetzt sah sie, dass es eigentlich blond war. Und es strubbelte ganz lustig. Er hatte eine kleine Narbe bei seinem Ohr, die sie irgendwie charmant fand. Und er roch gut, wenn man den Restgeruch des Tibers und die Gerüche der Stadt außen vor ließ. Ja, eigentlich war es gar nicht so schrecklich, und sie lächelte.


    Und dann war es vorbei. Er setzte sie ab und fragte, ob sie vor dem richtigen Haus waren. Etwas verwirrt sah Axilla sich um, überrumpelt, dass sie so schnell angekommen waren. “Ähm, ja, richtig, das ist unser Haus. Das in Alexandria ist etwas... pompöser, aber das hier ist auch sehr... nett?“ Was sollte sie zu dem Haus schon sagen? Es war klein, aber fein, und es gehörte der Gens. “Danke, dass du mich hergebracht hast“, fügte sie noch mit einem kleinen Lächeln hinzu.
    Und dann auf einmal verneigte er sich und verabschiedete sich. Und Axilla fühlte sich überrumpelt. Schon wieder. So langsam glaubte sie, er machte das mit Absicht, um sie zu verwirren. Sie überlegte gerade, wieso sie ihn zurückrufen könnte, als er sich nochmal umdrehte und ihr seinen Namen nannte. Jetzt wurde das Lächeln breiter, sehr offen und geradezu verzaubert. “Vala...“ ließ sie seinen Namen über ihre Lippen rollen, als hätte sie gerade ein wundervolles Geschenk erhalten. Und während ihr Hirn gerade die Information verarbeitete, dass ihr sein Gensname etwas sagen müsste, war er auch auf einmal schon verschwunden.
    “Titus Duccius Vala...“ schmachtete sie ihm einmal nochmal hinterher, ehe es 'klick' machte. “Du... Duccius? Vielleicht ist er ja... wobei, kann ja auch nur zufällig der gleiche Name sein. Aber...“ Mit einem aufgeregten Quietschen drehte sich Axilla einmal um die Achse. Sie hatte einen Namen, und sie hatte soeben einen guten Grund gefunden, vielleicht nochmal Kontakt mit ihm aufzunehmen. Vielleicht war er ja wirklich mit Rufus verwandt. Und auch wenn nicht, das war ein sehr plausibler Grund.
    Sie ging zur Porta und klopfte mit einem unauslöschlichen Grinsen im Gesicht an. Der Ianitor öffnete nach wenigen Augenblicken und ließ sie ein.
    “Hast du einen schönen Tag gehabt, Herrin? Du strahlst so.“
    Axilla grinste den freundlichen, alten Mann an und nickte. “Ja, irgendwie... ja, doch, Araros. Einen aufregenden Tag.“
    “Das freut mich für dich, Herrin.“ meinte er noch freundlich und schloss dann die Tür.

    Natürlich bekam Axilla die lachenden und die vorwurfsvollen Blicke mit, die sie beide begleiteten. Man sah es ja auch nicht jeden Tag, dass ein Kerl eine Frau wie ein Stück Gepäck durch die Gegend trug. Sie lief deswegen gleich noch leicht rot an und versuchte, sich aus dieser Lage irgendwie zu befreien, ohne ihm weh zu tun. Sie wand sich auf seiner Schulter, spannte die Bauchmuskeln an, ließ sich schlaff sinken, aber nichts nützte etwas. Nein, eigentlich viel schlimmer, es fing an, ihr irgendwie zu gefallen. Sie fand es fast schon charmant. Wenn seine Sprüche nicht wären.
    “Was heißt hier 'Weib'?“ maulte sie ein wenig empört, aber der weitere Protest wurde bei dem Hüpfer über die Pfütze erstickt. Sie krallte sich instinktiv kurz an ihm fest, um ihn sofort danach pflichtschuldig wieder loszulassen, aus Angst, sie könnte ihm wehgetan haben.
    “Am Domus wo?“ Axilla war noch keine zwei Wochen in der Stadt, und ihr Namensgedächtnis war sowieso eine einzige Katastrophe. Sie versuchte, sich irgendwie zu verdrehen, um zu sehen, was er meinte. Ihr Gedächtnis für Bilder allerdings war hervorragend, und sie erkannte das Gebäude, als sie einen flüchtigen Blick darauf erhascht hatte. “Wir müssen nach rechts in die Straße rein und die dann runter, an der Bibliothek da hinten vorbei und da dann rein. Aber du willst mich doch nicht wirklich über den Platz da tragen? Meine Gens ist alt, aber nicht so alt, als dass ich eine Sabinerin wäre.“ Noch einmal unternahm Axilla einen versuch, sich freizuwinden, ohne Vala weh zu tun.
    “Komm, bitte, lass mich runter. Ich mach was du willst, versprochen.“

    Nachdem Axilla einige Tage nicht aus dem Haus gegangen war und so ziemlich jede Träne geweint hatte, die ihr Körper hervorzubringen vermocht hatte, war sie an diesem Tag doch aufgestanden. Sie hatte sich gebadet und ein einfaches, schwarzes Kleid angelegt. Ohne irgendwie sich zu erklären oder zu entschuldigen hatte sie eine Entscheidung getroffen, die sie den anderen nur knapp und kurz mitgeteilt hatte. Sie würde heute zum Tempel von Pluto in seiner Eigenschaft als Dis Pater gehen, um ein Opfer für Urgulania vorbereiten zu lassen. Es war mehr eine einfache Ansage gewesen denn etwas, wozu sie eine Meinung brauchte. Sie hatte nur einmal mit ihren leergeweinten Augen in die Runde gesehen und war dann auch schon gegangen, ohne etwas zu essen. Seit Urgulanias Tod war ihr ohnehin wieder so übel wie seit der Überfahrt nicht mehr, und sie wollte nichts essen.


    Mit Leander und einem großen, ostländischem Sklaven – Parther oder sowas, Axilla hatte zum einen keine Ahnung und zum anderen nicht nachgefragt – als Leibwache im Schlepptau war sie zum Tempel gelangt.
    “Ihr könnt hier auf mich warten“, meinte sie zu beiden vor dem Eingang, weil sie merkte, wie beide unruhig nach oben zu den Kapitellen der Säulen und dem blauen Himmel jenseits des Daches starrten, als gehe es in den Schlund der Unterwelt und das wäre das letzte, was sie davor sehen würden.
    Axilla hingegen trat furchtlos ein. Sie schreckte der Tod nicht, sie kannte ihn schon lange. So lange, wie ihre Mutter krank gewesen war, so lange, wie ihr Vater schon gefallen war, da fürchtete sie die Unterwelt nicht. Das Leben war schwieriger und schlimmer. Sterben konnte jeder.


    Ihre Schritte hörten sich in den stillen Hallen irgendwie Laut in ihren Ohren an, obwohl sie ganz sanft eigentlich auftrat. Sie sah sich um, ob sie vielleicht einen Priester ausmachen konnte, der ihr helfen könnte. Sie hatte etwas zu besprechen, was über den Tod einer Taube hinausging, und dafür brauchte sie jemanden, der sich auskannte.


    Sim-Off:

    Einmal NPC bitte^^

    Das ihre Frage ihn so ausbremste, hätte Axilla sich eigentlich denken können, nein sogar müssen. Aber sie hatte nicht daran gedacht, ihr Mundwerk war mal wieder schneller gewesen als ihr Verstand, und nun tat es ihr leid. Aber zurücknehmen konnte sie es leider nicht. Und so schaute sie nur etwas verlegen, während Piso ihr gestand, dass er verliebt gewesen war und es vorbei war, und schaute zum Teil verlegen, zum Teil mitleidig zu ihm hoch.
    Kurz kaute sie sich auf der Unterlippe, weil sie unschlüssig war, ob sie ihrem ersten Impuls folgen sollte, und dann trat sie noch einen Schritt auf ihn zu, so dass sie mit ihm flüstern konnte und es sonst kein anderer hier hörte. Sie glaubte, sie war ihm ein paar Worte schuldig, und sie machte sich über unangebrachte Nähe nicht so viele Sorgen.
    “Das hört nicht auf, zu schmerzen. Aber man gewöhnt sich daran, und irgendwann vergisst man, dass es Schmerz ist, den man dabei fühlt, und man lacht wieder.“ Axilla sah unsicher zu Piso auf. Er hatte schöne, traurige, graue Augen. Sie suchte kurz darin, ob er sie vielleicht verstanden hatte, und trat wieder zurück, als wäre nichts gewesen.
    Als der Moment der kurzen Nähe und Verbundenheit vorbei war, lächelte Axilla wieder, als wäre nichts vorgefallen. Sie nahm einfach das alte Thema wieder auf und plapperte einfach drauf los, was ihr einfiel.
    “Wenn man dich so hört, muss ich mich ja richtig geschmeichelt fühlen. Die meisten Männer haben eine Muse als Inspiration. Nicht, dass die Göttinnen noch eifersüchtig werden.“ Sie legte frech den Kopf schief und grinste Piso an, dann sah sie sich kurz auf dem Platz um.
    Etwas weiter hinten war eine kleinere Versammlung, und Menschen klatschten im Takt. Man konnte es bis hier hin hören, aber Axilla hörte die Melodie, die das Klatschen begleitete, nicht. Sie schaute eine Weile, bis sie sah, dass ein paar Leute tanzten. Kurz überlegte sie, was das sein konnte.
    “Sind heute Faunalia?“ fragte sie schließlich, schon zum zweiten Mal das Thema wechselnd, und sah Piso fragend an. Sie hatte keine Ahnung, welches Datum war, sie wusste nur, es war Anfang Dezember.

    Der Raum war dunkel. Keine Kerzen waren hier, keine Kohlebecken, keine Lichtquelle. Die Fenster, durch welche Licht des Tages hätte eintreten können, waren abgehängt worden. Nur fahl leuchteten die Sonnenstrahlen durch den dunklen Stoff und boten gerade soviel Licht, dass man noch alles sehen konnte. Wenn man dunkle Mächte beschwor, einem zu helfen, musste der Raum dunkel sein.
    Räucherwerk war bereits angezündet worden und erfüllte den Raum mit seinem scharfen Geruch, schwach glomm der Weihrauch vor sich hin und zog wabernd vom Hausaltar. Direkt davor auf dem blanken Steinfußboden lag eine einfache Bleitafel und daneben ein scharfes Messer.
    Axilla trug ein einfaches, schwarzes Kleid. Die Haare waren offen und fielen ihr bis über die Schulterblätter in wilden Strähnen. Sie trug keinen Schmuck, keine Schminke, nicht einmal Schuhe. Barfuß ging sie über die kalten Fliesen bis direkt vor den Ara, um sich dort hinzuknien.
    Im Hintergrund standen Leander und Levi, die Axilla aus Ägypten mitgebracht hatte. Sie sollten Zeugen sein, und außerdem würde Levi noch heute nach Alexandria reisen, damit das Ritual auch vollendet werden und sein Ziel erreichen konnte. Auch die beiden waren einfach gekleidet.
    “Ihr zwei seid meine Zeugen, ja?“ fragte sie noch einmal mit todernster Stimme ihre Sklaven, die nur betreten nickten. Diese Situation war nichts, was einer von ihnen auf die leichte Schulter nahm. Es war eine ernste Angelegenheit mit ernsten Folgen, und einmal ausgesprochen konnte es nicht so leicht zurückgenommen werden.


    Normalerweise wäre Axilla nicht so rachsüchtig. Eifersucht, Habgier, Rachsucht, Neid, das waren alles Eigenschaften, die ihr weitestgehend fehlten. Sie war nie besonders nachtragend, und wenn, dann normalerweise nicht lange. Meistens holte sie das schlechte Gewissen doch recht rasch ein.
    Aber das hier war anders. Das hier war persönlich. So persönlich, wie es für Axilla nur sein konnte. Und ihr Herz schrie nach Rache, verlangte Blut. Und es reichte ihr nicht, ihn einfach als Strafe töten zu lassen, wie Urgulania getötet worden war. Nein, Axilla wollte ihn leiden sehen.
    Sie hatte es nicht mit ihren Verwandten abgesprochen. Sie wusste, die würden sie wahrscheinlich beschwichtigen, und sie würde von ihrem Plan ablassen, ihnen zuliebe. Aber sie wollte das nun machen, sie wollte, dass es getan wurde, sie wollte, dass es geschah.


    Sie nahm das Messer in die Hand, die Klinge nach unten, wie ein Mörder sie wohl halten würde. Vor ihr lag die Platte aus dünnem Blei, schwarz glänzend in der Dunkelheit des Raumes. Ganz vorsichtig fuhr sie mit dem Messer über die glatte Oberfläche. Die spitze ritzte ganz leicht in das weichere Metall und ließ es so zu, dass Axilla damit zeichnen konnte. Es war kein Kunstwerk, nur ein einfaches Strichmännchen. Ein runder Kopf mit ein paar Strichen als Haar, ein Strich als Körper, Arme, Beine.
    “Ich rufe die Lemuren, die ruhelosen Seelen. Ich rufe die Laren, die Hüter des Hauses. Ich rufe die Manen, die Geister der Toten.“ intonierte sie zu Ehren ihrer Ahnen, die ihr helfen sollten.
    “Ich rufe die Parzen, die das Schicksal weben. Ich rufe die Furien, die die Missetäter bestrafen. Ich rufe Nemesis, die blutige Rache. Dis Pater, Herr der Unterwelt, zu dir rufe ich in der Dunkelheit!
    Götter, Geister, Mächte, seid meine Zeugen.“

    Das Stichmännchen war fertig gemalt und Axilla hob ihre Hand mit dem Messer bis hoch über den Kopf, so dass es wirklich aussah, als wolle sie jemanden mit voller Wucht gleich erstechen.


    “Ich verfluche Appius Terentius Cyprianus!“ Und das Messer ging nieder, trag zielgenau das Strickmännchen dort, wo bei dem, den es symbolisierte, wohl das Herz saß “Defigo!“

    Axilla griff vorsichtig mit nach dem Becher, ließ sich aber von ihm die Tasse halten. Vorsichtig blies sie erst auf den heißen Wein und nahm dann einen kleinen Schluck. Sie wusste, dass ihr Wein schon im kalten Zustand fast augenblicklich zu Kopf stieg, trotzdem trank sie jetzt. Vielleicht wollte sie sich sogar ein klein wenig betrinken, um so das dumpfe Gefühl in ihr loszuwerden. Sie nahm gleich noch einen zweiten Schluck und einen dritten, ehe sie sich wieder richtig auf Archis Brust legte und sich mit der Hand die Tränen von den Wangen wischte. Es wärmte tatsächlich, zumindest ein wenig.
    “Die Pyrtanen sind die gewählten Beamten. Urgulania war erst Eutheniarche, und dann Exegete. Also erst für die Getreideverwaltung und -verschiffung zuständig, und dann für die Tempel der Stadt. Ich weiß nicht, ob man das gleichsetzen kann, ich kenn mich in der Politik nicht so gut aus...“
    Axilla dachte sich nichts dabei, wenn sie es Archias nochmal erklärte. Die Ämter Alexandrias kannte sie inzwischen sehr gut, vor allem, weil sie jedem ein Gesicht zuordnen konnte. Bei den römischen Ämtern tat sie sich da irgendwie sogar schwerer, weil sie da eben keine Gesichter zu den Aufgaben zuordnen konnte. Und sie hatte keine Ahnung, was ein Duumvir denn eigentlich genau machte.
    Der Wein begann langsam, zu wirken, und ihr Atem wurde immer ruhiger, und die Tränen versiegten auch. Einzig das Gefühl von Leere ging nicht ganz weg, wenngleich auch die Kälte sich etwas abmilderte. Axilla kuschelte sich noch ein wenig mehr an Archias, seine Nähe tat gerade so unendlich gut.
    “Ich bin so froh, dass du da bist“ flüsterte sie an seiner Brust und begann geistesabwesend, sanft darüber zu streichen. Sie war einfach froh, dass sie jetzt nicht alleine sein musste.

    “Er hasst sie. Er hat gedroht, sie zu kreuzigen, wenn die Pyrtanen nicht tun, was er will...“, versuchte Axilla schluchzend an seiner Brust zu erklären. Sie krallte sich beim Weinen leicht in Archias Kleidung und verursachte so ein paar nette Falten. Aber sie musste sich jetzt einfach festhalten, sie hatte das Gefühl, als würde sie fallen, und Boden gab es keinen mehr unter ihr.
    Die Tür ging auf, und Axilla hielt die Luft an, um die Schluchzer zu unterdrücken. Archias redete mit jemandem und schickte ihn weg, und Axilla atmete weiter. Jeder einzelne Atemzug brachte ihren Körper zum Zittern und Beben, obwohl sie sich zu beruhigen versuchte. Aber es war einfach alles so schrecklich, dass sobald sie daran dachte, alles wieder schlimmer wurde.
    Also weinte sie wieder ein wenig und robbte sich dabei auf der Suche nach Nähe noch näher an ihn. Sie fühlte sich so einsam gerade, so unendlich verloren. “Ich fühl mich so leer“ gestand sie resignierend an ihn gekuschelt und stupste ihn einmal leicht mit dem Kopf. Sie war so froh, dass er da war, denn sie wusste nicht, was sie sonst jetzt getan hätte.

    Er stand auf. Er kam auf sie zu. Ein Instinkt in Axilla zuckte ganz kurz, sich der Gefährlichkeit der Situation eben erinnernd, und wollte sie flüchten lassen. Aber sie blieb tapfer stehen und blickte Vala nur unsicher entgegen. Und dann packte er sie auch schon, hob sie hoch und warf sie sich über die Schultern. Instinktiv versuchte Axilla, sich aufzurichten, zappelte kurz leicht und versuchte, sich irgendwie mit den Händen abzustützen. Aber Vala ruckte nur ein, zwei Mal mit der Schulter, auf der sie lag, und schon hatte er sie sicher wie einen Getreidesack, denen sie vorhin noch beim Verladenwerden zugesehen hatte.
    Seine Kleidung war noch ganz klamm vom kurzen Bad im Tiber. Auch wenn sie schon am Trocknen war, ebenso wie seine Haare, war sie eben noch nicht ganz durchgetrocknet, und Axilla fühlte die Feuchtigkeit auf ihren Händen und an dem nicht allzu dicken Stoff. “Lass mich runter. Du machst mich ja ganz...“ 'Feucht' hatte sie sagen wollen, aber irgendwie erschien ihr das Wort im Moment sehr anrüchig. Und die einzige Alternative, die ihr einfiel, war 'nass' und die war nicht wirklich besser. Also verschluckte sie den Rest des Satzes und versuchte, die Situation irgendwie zu begreifen.
    Sie verstand es einfach nicht. Eben hatte sie ihn nur an der Hand gehalten, und er war ausgeflippt, und jetzt warf er sie sich über die Schulter und stellte damit ja noch viel mehr wundervoll grausame Nähe her. Er musste sie ja sogar festhalten, damit sie so auf seiner Schulter blieb. Fehlte eigentlich nur noch ein Klaps auf den Po, um jedes Maß an Abstand zwischen ihnen einzureißen.
    Aber etwas anderes beschäftigte Axilla fast noch mehr. Sie merkte, dass sie auf ihn reagierte. Ihr Herz raste im Moment so sehr, dass sie meinte, er musste es sicher fühlen. Zwischen ihrer Brust und seinen Schultern war ja nicht unbedingt viel Abstand. Dementsprechend ging auch ihr Atem schneller. Sie war aufgeregt, sehr aufgeregt. Die ganze Angst von eben manifestierte sich jetzt in einer völlig irrationalen Euphorie und gleichzeitigen Panik, so dass Axilla sich zwischen wehren und geschehen lassen nichtmal so wirklich entscheiden konnte. Und sie zitterte, weil ihr noch immer etwas kalt war. Sie versuchte also, sich an Vala wenigstens so weit abzustützen, dass er wenigstens das nicht merkte.
    Warum auch musste er das einfach so machen? Warum eine körperliche Antwort anstelle einer verbalen? Axilla fühlte sich von sich selbst überrumpelt, weil sie so viel mehr reagierte, als sie es durch egal welche Worte getan hätte. Und das war viel peinlicher für sie, als so über die Schulter getragen zu werden, wo andere das sehen konnten.
    “Bitte, lass mich runter.“ Sie sprach es möglichst ruhig und sachlich, um ihre Aufregung nicht zu verraten, aber sie wusste nicht, wie überzeugend es war. Also setzte sie schnell noch ein “Ich zeig dir ja den Weg“ hinzu.

    Axilla hatte sich aufgebrezelt. Andere würden zwar sagen, dass sie nur versuchte, den schlechten Eindruck, den Imperiosus von ihr haben musste, wieder auszubügeln, aber sie sah das anders. Imperiosus hatte sie 3 Wochen lang jeden Tag in einer einfachen Tunika gekleidet und die Haare zu einem einfachen Zopf geflochten über der Reling hängen sehen, da bezweifelte sie, dass sie diesen Eindruck durch irgendwas wieder aus seinem Gehirn löschen konnte. Aber sie wollte es wenigstens dadurch wieder gutmachen, dass sie jetzt so bezaubernd wie möglich aussah und er sich so vor seinen anderen Gästen nicht schämen musste.
    Sie hatte ein dunkelgrünes Kleid an, Schmuck und Gürtel aus Gold dazu. Ihre Haare wren zu Locken gedreht und hochgesteckt, nur ein paar Strähnen hatten sich befreit, was aber eigentlich ganz passend aussah. Dem Winter zum Trotz hatten die Haarnadeln an ihren Enden kleine, goldene Schmetterlinge, so dass es nach etwas aussah. Schminke trug Axilla keine, sie mochte das verklebte Gefühl auf der Haut nicht, aber ansonsten konnte man sie so schon auf die feine Gesellschaft loslassen – sofern sie den Mund hielt.
    Axilla glaubte, dass Imperiosus nach der katastrophalen Überfahrt so doch angenehm überrascht sein dürfte. Außerdem täuschte das vielleicht über den Umstand hinweg, dass Silanus nicht mitgekommen war. 'Arbeit', hatte er gesagt, aber Axilla glaubte ja fast, dass es mehr an ihr lag. Er meinte zwar immer, alles wäre normal, in den wenigen Momenten, wenn sie sich sahen, aber sein ausweichendes Verhalten ihr gegenüber sagte ihr etwas anderes.


    Nunja, nun war sie ja da, wenngleich auch ohne Begleitung. Sie hätte ja vielleicht jemanden im Kopf gehabt, den sie wohl gerne mitgebracht hätte, aber das erschien ihr zum einen unpassend und zum anderen hätte sie sich sowieso nicht getraut, zu fragen. Nachdem sie also angeklopft hatten – Leander war natürlich als ihr Schatten dabei und verabschiedete sich an der Tür dann zu den übrigen Sklaven in Richtung Küche – und eingelassen worden waren, wurde Axilla ins Triclinum geführt.
    Und da staunte sie erst einmal nicht schlecht, als sie lauter bekannte Gesichter erblickte. Da waren Archi und seine Verlobte, und Flavius Piso, den sie erst auf dem Viehmarkt kennengelernt hatte. Manchmal war Rom wohl wirklich ein Dorf. Sie hatte schon Befürchtung gehabt, sie würde sich den Abend an den Gastgeber hängen müssen, weil sie sonst niemanden kannte. So aber trat sie mit einem strahlenden Lächeln ein und begrüßte damit die anwesenden.
    “Salvete.“

    Und plötzlich sprudelte Piso vor Ideen beinahe über, und Axilla hatte fast schon Mühe, ihm zu folgen. Wäre sie nicht selbst die ungekürte Königin des Gedankensprungs, hätte sie seine Rede wohl verwirrt. So aber sprang sie einfach mit ihm mit und nickte bekräftigend oder schüttelte den Kopf, wenn er zweifelte. “Nein, zetern ist nicht gut. Aber aus Angst fliehen, das ist eine gute Idee. Das passt zu der feigen Tat an Lucretia.“ Auch Axillas Augen sprühten vor Begeisterung, aber mehr, weil sie da sehr leicht anzustecken war und der Flavier so enthusiastisch war.
    “Natürlich das Begräbnis auch. Und den Zorn des Volkes vielleicht als Höhepunkt? Oder ist das zu viel? Die wogende Kraft des wütenden Volkes, bereit zu rächen, was an Frevel...“ Axilla musste lachen, weil sie sich so lyrisch auszudrücken anfing, und hatte den Satz auch schon wieder vergessen, den sie sagen hatte wollen. “Also, ich würde es sehr gerne hören, wenn es dann fertig ist. Aber dann nicht hier am Viehmarkt.“
    Dass sie sich damit selbst einlud – oder auch ihn – zumindest indirekt, bemerkte Axilla gar nicht. Nur das hier war nicht der richtige Rahmen für so ein Werk, fand sie. Außerdem hatten die vielen Blicke vorhin sie beinahe rot werden lassen. Axilla war es nicht gewohnt, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu sein.


    Warum er das ganze machte aber, ließ sie ihre Euphorie kurz beiseite schieben. Mitfühlend – oder besser, wissend – schaute sie ihn fragend an. “Du bist verliebt?“ fragte sie ihn leise und sanft. Axilla fühlte deshalb keine Eifersucht oder Überlegenheit. Sie wusste genau, wie es sich anfühlte, wenn man jemanden liebte, den man nicht haben konnte. Ganz genau.
    Aber im nächsten Moment merkte sie, wie persönlich die Frage war, und sie kannten sich gerade mal vielleicht eine halbe Stunde, wenn überhaupt. Ihre Wangen überzog eine leichte Röte, und ihr Blick wandelte sich ins Ertappte. “Entschuldige, ich wollte nicht neugierig sein. Ich meine... geht mich ja eigentlich nichts an...“, versuchte sie noch zu retten.

    Dankbar kuschelte sich Axilla an Archias an. Er hatte ihre Bitte verstanden, und genau das brauchte sie jetzt. Sie fühlte sich so verloren und allein, und das wollte sie nicht sein. Seine Nähe tat da gut, und er war warm und schenkte ihr etwas ruhe. Sie schlang einen Arm um ihn und kuschelte sich in die Kuhle an seiner Schulter, den Kopf halb auf seine Brust gelegt und den Rest des Körpers eng an ihn geschmiegt. Dazu die weiche Felldecke, und Axilla hätte sich rundum wohl gefühlt, wenn die Umstände andere gewesen wären. Aber auch das konnte den Schmerz in ihr nur lindern, aber nicht löschen.
    “Das war der Terentier, ganz sicher. Er hat Urgulania ja schon damit gedroht. Sie hat mich ja nur noch mit Leibwächtern rausgelassen, weil sie gedacht hat, er würde mich...“ Wieder lief ein Schauder durch Axillas Körper, und sie hielt sich an Archias fest, zog sich etwas mehr an ihn, um sich bei ihm zu verstecken und sich so zu beruhigen. “Aber... warum? Ich versteh das nicht. Warum hasst er sie so? Ich verfluche ihn...“ Bei den letzten drei Worten fing sie wieder an zu weinen und vergrub ihr Gesicht wieder an Archias' Brust. Ja, sie verfluchte ihn wirklich. Bei den Lemuren und den Parzen, sie würde ihm einen Fluch zukommen lassen, der ihn verderben würde. Sie würde die Furien zu ihm schicken, sie würde... sie wusste es nicht. ALLES, einfach ALLES Übel der Welt wollte sie dafür auf ihn loslassen.
    Doch später. Denn im Moment überwog der Schmerz, und sie weinte in Archias Armen, versuchte einfach, bei ihm ein wenig Halt zu finden und irgendwas, woran sie sich festhalten konnte.

    Axilla übrlegte einen Moment, was sie gesagt hatte. Es musste gut gewesen sein, nur konnte sie sich nicht denken, was daran so gut gewesen war. Aber Vala verabschiedete sich wider erwarten nicht – erst recht nicht giftig, wie sie es erwartet hätte – sondern setzte sich irgendwie fast resignierend hin. Und sein Satz schließlich stürzte Axilla in komplette Verwirrung.
    Was er mit ihr machen sollte? Was wollte er denn mit ihr machen? Vor einem Moment noch hätte sie auf Iuppiters Stein schwören können, das er sie nicht leiden konnte und nur schnell loswerden wollte, und jetzt sollte sie ihm zeigen, wo sie wohnte. Und er war dabei sogar freundlich. Axilla traute der Sache nicht so ganz und machte, was sie immer tat, wenn sie sich unschlüssig war: Sie kaute sich auf der Unterlippe kurz herum.
    “Bist du sicher?“ fragte sie noch einmal überprüfend und sah Vala ein bisschen so an, wie man wohl einen Löwen im Paneion betrachtete, wenn man sich gerade fragte, ob die Gitter seines Käfigs auch stabil genug waren.


    Normalerweise lag Axilla mit ihrer Menschenkenntnis beinahe daneben. Sie sah fast nur die guten Seiten einer Person und vergaß darüber hinaus die schlechten. Das war einer der Gründe, warum sie leicht verzieh und warum sie auch leicht Gesprächspartner fand. Was sie allerdings gut konnte, war, Gefühle ihrer Umgebung aufzunehmen. Sie wusste meistens, wie ihr Gegenüber sich fühlte, sah die kleinen Zeichen und konnte Blicke gut deuten. Daher hätte sie Stein und Bein schwören können, dass Vala wütend gewesen war und sie nicht leiden mochte. Aber das hier jetzt? Das passte nicht.
    Axilla war natürlich alles andere als traurig deswegen. Eigentlich war es ja das, was sie sich gewünscht hatte. Nur, sie verstand es nicht. Es gab viele Dinge, die verstand sie nicht, und sie machte sich keine Gedanken darüber. Ob sich der Mond um die Erde oder die Erde um den Mond kreiste, wie einige der griechischen Philologen versuchten, herauszufinden, war ihr beispielsweise vollkommen gleichgültig. Solange es funktionierte, war es gut.
    Aber das hier gehörte zu den Sachen, die sie gerne begreifen würde. Was Menschen anging, brauchte sie etwas, worauf sie vertrauen konnte. Sie verschenkte ihr Vertrauen zwar freizügig und ohne Bedingungen, aber wenn es einmal erschüttert war, brauchte auch sie einen Grund, es erneut zu vergeben. Wobei es in diesem Fall – das wusste sie selbst – nur ein ganz kleiner Grund sein musste, denn sie wollte Vala sehr gerne vertrauen.

    Als er aufstand – und sie damit losließ – wollte Axilla am liebsten protestieren. Aber es entrang sich ihr nur ein ganz kleiner Wimmerlaut, und sie wandte den Kopf ganz leicht nach den Geräuschen. Irgendwas fiel auf den Boden und raschelte und klickerte dabei. Axilla sah nicht, was es war, und sie fühlte sich zu elend, um sich umzudrehen und nachzusehen. Und dann war Archias auch wieder da und legte ihr etwas weiches um die Schultern. Axilla regte sich kurz und registrierte, dass es eine Felldecke war. Schöner aber war es, wie er sie zudeckte, das spendete mehr Trost.
    Er setzte sich wieder vor sie, und sie nickte etwas zaghaft auf seine Frage. Es war besser, wenn auch nur ein ganz klein wenig. Aber sie fühlte sich immernoch leer und kalt. Sie ruckte etwas unruhig auf dem Bett und kuschelte sich etwas mehr ein, aber irgendwie wollte die Kälte nicht wirklich weichen. Es fühlte sich mehr so an, als wäre ihr von innen heraus kalt, als wäre dort etwas gerade eingefroren.
    “Mir ist immernoch kalt“ gestand sie ganz leise und kleinlaut und sah beschämt zu Archias hoch. So langsam verebbten auch die Tränen und ließen nur rotgeäderte glänzende Augen zurück, deren grüne Iris dadurch irgendwie grell hervorstach.
    “Achi? Würdest du....“ sie sah ihn kurz bittend an, dann aber sah sie wieder ins nichts und traute sich nicht. Nicht, weil sie ihm nicht vertraute, dass er die Frage schon richtig auffassen würde, sondern aus Angst, er könnte es abschlagen. Sie wollte jetzt nur gern jemand nahe bei sich haben und etwas kuscheln, mehr nicht, aber das konnte sie auch von einem Freund nicht verlangen. Erst recht nicht nach dem, was schon passiert war, und wie es aussehen könnte.
    “Warum ist das passiert?“ fragte sie also, weil das das nächste war, das ihr durch den Kopf ging. Sie kannte keine Antwort darauf.