Beiträge von Iunia Axilla

    Die Musik ging los, und Axilla lauschte den Klängen und Stimmen der Künstler. Der zweite Künstler – Axilla hatte den Namen im selben Moment vergessen, als sie ihn gehört hatte – hatte eine so tiefe Stimme, dass sie sie beinahe in sich selbst vibrieren fühlte, während er sang. Sie lauschte ganz verzückt den Liedern und strahlte Imperiosus überglücklich an, als er sich kurz zu ihr beugte und ihr zuflüsterte. Ja, das war wirklich weitaus besser als Theater.


    Schließlich wurde Penelopes Name aufgerufen, und Axilla wurde selbst ein wenig hibbelig. “Oh, jetzt muss ich Daumen drücken“, flüsterte sie Imperiosus freudestrahlend zu und in jugendlichem Eifer drückte sie tatsächlich ganz fest die Daumen, während Penelope spielte und sang.
    Ihr Lied war ein wenig anders als die davor – wahrscheinlich auch, weil sie die einzige Frau unter den vielen Männern war und ihre Stimme damit deutlich höher – aber Axilla gefiel es. Auch wenn es irgendwie traurig und schaurig war.
    Als Penelope wieder zurückging, fiel Axillas Blick kurz auf Nikolaos. Er murmelte irgendwas, aber sie konnte es nicht verstehen. Hatte es ihm denn nicht gefallen? Er sah so blass aus irgendwie. Aber ihn jetzt danach zu fragen traute sich Axilla auch nicht. Stattdessen wandte sie sich wieder an Imperiosus.
    “Das war gut, oder? Ich hoffe, sie gewinnt.“
    Sie biss sich kurz auf der Unterlippe herum, als sie überlegte, was sie noch sagen könnte. Sie wollte ihren Gesprächspartner ja nicht mit Platituden langweilen. In Rom war er sicher redegewandtere Gesprächspartner gewohnt, aber Axilla wollte nicht einfältig wirken. Vielleicht fragte sie ihn einfach weiter, dann musste er reden und sie konnte einfach nur zuhören? Abgesehen davon, dass sie sowieso neugierig war.
    “Und bleibst du lange in Alexandria, oder willst du wieder schnell zurück nach Rom?“

    Und wieder einmal öffnete nach einer Weile der alte Leucos die Tür, die ins Haus der Iunier führte. Kurz blickte er auf den Mann, der da gerade geklopft hatte. Verdammt, das war aber kein Römer, und nach Grieche sah der auch nicht aus. Latien jetzt also, oder Koine? Latein – Koine – Latein- Koine? Ach verdammt, das war ein römisches Haus, wenn der Mann ihn gleich anschauen würde wie ein Kalb, wenn es donnerte, konnte er ja noch mal fragen.
    “Salve. Was wünscht du, Herr?“

    Über seinen ersten Satz musste Axilla erst einmal grübeln. Auch ihr vater hatte gesagt, dass ein Mann mit seinen Aufgaben wächst und dabei manchmal sogar über sich hinauswächst. Aber sie war sich sicher, dass das bei ihr eher anders war. Sie konnte sich wirklich nicht vorstellen, dass sie sowas wichtiges könnte. Sie war ja nur Axilla, nichts weiter.
    Daher war auch der nächste Satz fast schon ein wenig erschreckend für Axilla. Natürlich hatte auch sie bemerkt, dass ihre Cousine langsam älter wurde. Sie bekam graue Haare, in letzter Zeit irgendwie immer mehr, und war deshalb ein wenig niedergeschlagen. Axilla tat dann immer so, als würde sie das überhaupt gar nicht bemerken – abgesehen davon, dass Urgulania für sie trotzdem noch die schönste Frau der ganzen Stadt war. Aber natürlich war sie nicht so blind, wie sie sich gab, und wenn Nikolaos es so direkt sagte, amchte es ihr fast ein wenig Angst.
    “Ach, sie bleibt uns bestimmt noch lange erhalten.“ Ob sie das aus Überzeugung sagte oder nur, um sich selber zu beruhigen, wusste Axilla selber noch nichtmal so genau. “Und irgendwann werd ich wohl heiraten müssen. Es ist ja unanständig, wenn eine Frau nicht heiratet. Also, außer, man wird Vestalin, aber… ich glaub, das ist noch weniger was für mich als Eutheniarche.“ Abgesehen davon, dass sie es aufgrund von so einer Kleinigkeit wie fehlender Jungfräulichkeit auch gar nicht mehr konnte.
    “Also, wenn sich mal jemand findet. Hier sind ja nur Legionäre.“
    Leichthin zuckte Axilla die Schultern. Warum sie sich mit Nikolaos überhaupt darüber unterhielt, war ihr ein Rätsel. Wahrscheinlich, weil er selber so gelassen und fröhlich wirkte, so dass sie sich darüber gar keine Gedanken machte und einfach drauflosplapperte. Es tat auch gut, einfach mal zu reden, ohne immer nachzudenken, was man da sagte.
    Von den zwei Heiratsanträgen, die sie schon abgelehnt hatte (wobei beide ja gar keine richtigen waren), erzählte sie trotzdem nichts, ein bisschen Anstand hatte sie ja doch.


    Ihr Gespräch kam wieder auf die Zeichnungen, und Axilla schüttelte lachend den Kopf.
    “Silanus? Nein, bestimmt nicht. Der hat mir ja sogar verboten, ihn im Castellum zu besuchen, weil er nicht wollte, dass die Soldaten mich erschrecken mit sowas. Aber das hätten die nicht.
    Weißt du, mein Vater war ja auch bei der Legion. Und sein Schwertbruder war… naja, also, ich will jetzt nichts böses sagen. Aber er war halt schon sehr direkt und so. Mutter hat immer gemeint, er hätte gar keine Manieren und hat geschimpft, wenn Vater ihn eingeladen hatte zum Abendessen. Castricius Tegula hieß er.
    Naja, und der hat öfter sowas erzählt. Mutter war dann immer böse, weil ich noch so jung war. Sie meinte immer, das sei kein Umgang für ein Mädchen der Iunier.“

    Sie lächelte, als sie sich daran zurückerinnerte. Ja, damals war ihre kleine Welt noch perfekt gewesen. Ihr hatte die herbe Sprache immer sehr wenig ausgemacht. Davon fiel schon keiner gleich um. Und ihr Vater hatte dann ihr immer heimlich zugezwinkert, wenn Mutter nicht hingeschaut hatte, ehe er ihr wieder schuldbewusst recht gegeben hatte, sobald der Gast weg war.
    Ein wenig wurde ihr wehmütig ums Herz, und sie begann es wieder schnell unter noch mehr gezeigter Fröhlichkeit zu begraben. Die ließ sich auch nicht durch die Frage nach Khristianern in der Familie beirren, im Gegenteil lachte Axilla jetzt sogar.
    “Bei uns? Oh, ich glaube, da würden einige Ahnen aufschreien, immerhin war mein Vorfahr der erste Consul, den Rom hatte. Nein, da haben wir keinen in der gens, zum Glück.
    Aber ich versteh sowieso nicht, wie man an sowas glauben kann. Gut, lieb und nett zueinander sein ist ja in Ordnung, aber diesen Quatsch den sie reden, dass die Götter nicht existieren und nur ihr einer Gott, den man nichtmal sehen kann… das ist intolerant. Nichtmal die Juden sind so schlimm. Aber zu sagen, die Götter existierten gar nicht, ist doch verrückt.“

    Selbst für Axilla, die sich weigerte, zu opfern – außer zu ganz speziellen Anlässen – existierten die Götter sehr wohl. Sie sah nur keinen Sinn darin, ihnen Opfer darzubringen, da diese Wesen ohnehin nicht machten, was man wollte, und einem nichtmal zuhörten. So zumindest ihr Gefühl, von dem sie sich auch nicht durch religiöse Eiferer abbringen ließ.
    Und so schüttelte sie nur heftig den Kopf und drückte damit ihr Unverständnis darüber aus. Und dann lächelte sie wieder.
    “Und keine Sorge, ich würde niemals einen Freund verraten. Nie.“ Auch wenn Axilla lachte und offensichtlich in scherzhafter Stimmung war, meinte sie das vollkommen ernst. Bewusst würde sie nie ein Geheimnis verraten, das ihr zugetragen worden war. Eher würde sie selber alles mögliche erdulden, als einen Freund zu verraten. In dieser Beziehung war sie standhaft und verlässlich wie ein Fels. Solange sie sich nicht verplapperte.

    Bei seinen Worten über die Zeit, die so ein Präfekt wohl hatte, geriet Axilla ein bisschen ins Grübeln. Vielleicht hatte Silanus ja wirklich keine Zeit gehabt, ihr zu schreiben? Aber andererseits waren die Caristia ein besonderes Fest. Nicht dazu von der Familie eingeladen zu sein war genauso gut, wie aus der gens verstoßen zu werden. Und er hatte nicht einmal eine Zeile geschrieben, nichts. Sie hatte ihm einen ellenlangen Brief geschrieben. Aber…
    Ach, egal, sie wollte jetzt nicht darüber nachdenken. Das machte sie nur verdrießlich, und so konnte sie die Musik gar nicht genießen. Und deswegen war sie ja schließlich hier! Außerdem wusste Imperiosus ja sicher nichts von allem, was geschehen war, also sollte sie jetzt nicht eingeschnappt reagieren, nur weil er ein bestimmtes Thema für den Gesprächsanfang gewählt hatte.


    Und er wechselte auch gleich das Thema! Ganz leicht lächelte Axilla ihn an. Wenn sie das Thema wechselte – was sie eigentlich andauernd machte – sahen sie die Leute nach einer Weile seltsam an. So aber musste sie es gar nicht wechseln, da er es schon getan hatte. Sie lächelte noch ein wenig mehr.
    “Oh, da gibt es mehrere Gründe. Zum einen bin ich ja Scriba personalis vom Gymnasiarchos. Da muss ich ja bei den Spielen schon fast hier sein, wenn ich schon die Einladungen dazu in alle Welt verschickt habe.“ Sie grinste kurz ein wenig spitzbübisch. Zwar war es nicht üblich, dass Frauen arbeiteten – zumindest nicht in der höheren römischen Gesellschaft, und auch wenn die Iunier keine Patrizier mehr hatten, hatte man ja doch einen gewissen Stolz und einen großen Namen – aber Axilla war durchaus stolz auf ihre Position. Nicht zuletzt, weil sie es ganz allein geschafft hatte.
    “Zum zweiten ist die Künstlerin, die für Alexandria antritt, eine gute Bekannte. Ich war auf ihre Hochzeit eingeladen vor… fünf Monaten, glaub ich. Ja, müsste so hinkommen. Da muss ich doch Daumen drücken.
    Und nicht zuletzt: Ich liebe Musik! Und Gedichte! Und die Theaterstücke hier sind immer so schwer und langweilig und philosophisch. Aber das hier ist bestimmt viel besser.“

    Zumindest hoffte das Axilla so sehr, dass ihre Augen richtig leuchteten, während sie redete. Sie glaubte zwar nicht an so schöne (und vielleicht leicht anzügliche) Gedichte wie von Catull oder Sallust, aber auch Sappho hatte schöne Lieder geschrieben. Irgendwas würde schon dabei sein. Auch wenn sie vielleicht ein bisschen mehr Ruhe und Zurückhaltung und etwas weniger Vorfreude deswegen zeigen sollte, aber das war Axilla egal.

    Gut, ein Glück, er hakte nicht weiter nach. Sie kamen als ersten bei einem Käfig mit Affen vorbei. Ein großer Nubier hielt die Leute davon ab, zu nah an die Tiere heranzugehen, so dass man sie nur aus ein paar Schritt Entfernung anschauen konnte. Sie schauten mit großen Augen zurück und kreischten immer wieder mal, kratzten sich oder schlugen Purzelbäume auf dem Boden des Käfigs.
    “Ja, sie scheinen gerne zu spielen.“ Zumindest sah es so für die Iunierin aus, als sie sah, wie sie umeinander herumhüpften und sich um die Früchte, die noch im Käfig lagen, zankten. Wobei sie die Meinung mit den Kindern nicht unbedingt teilen konnte. Sie hatten schon etwas, das sie ähnlich wie Menschen aussehen ließ, aber Kinder waren doch irgendwie ganz anders. Axilla war ja ohnehin nicht der mütterliche Typ, aber bei den Tieren bekam sie noch weniger mütterliche Gefühle.


    Der Tiger allerdings war etwas, wofür sich Axilla schon mehr begeistern konnte. Kaum hatte Severus das Wort gesagt, wirbelte sie auch schon auf der Ferse herum und schaute in die angegebene Richtung. Einen Tiger hatte sie bislang nicht gesehen. Ein paar Löwen, eine Hyäne, einen Leopard und etliche Geparden (die sich sogar wie Hunde anleinen ließen. Angeblich hatte Cleopatra auch zwei besessen), aber noch nie einen Tiger aus dem Osten. Und so war sie mehr als nur ein bisschen neugierig.
    “Die sind ja riesig“, stellte sie voller kindlichem Erstaunen fest, als sie sich dem Käfig näherte. Der Tiger lag und war dennoch so groß, dass sie wohl zweimal in ihn hineingepasst hätte. Seine Augen waren irgendwo zwischen gelb und grün und blickten stur geradeaus, während sein gewaltiger Kopf auf seinen Pfoten lag. Das rote Fell sah wundervoll aus, und die streifen waren fast schon hypnotisierend für Axilla.
    Gedankenlos ging sie näher an den Käfig heran, weil sie es sich anschauen wollte. Plötzlich richtete sich das Tier auf und brüllte ihr wütend entgegen. Seine Zähne waren lang und gelb und spitz, und sein Atem roch nach totem Fleisch.


    Axilla war nur ganz leicht zusammengezuckt, hatte sich aber sonst keinen Milimeter gerührt. Auch jetzt hatte sie eigentlich keine angst. Der Tiger war ja hinter dicken Gittern und konnte ihr gar nichts tun. Sie legte den Kopf leicht schief und sah ihm in die wütend blitzenden Augen, ehe sie wieder ein wenig zurücktrat.
    “Er ist ziemlich wütend“, stellte sie ziemlich nüchtern fest, ehe sie Severus anlächelte. “Wäre ich wohl auch, wenn man mich einsperrt.“ Jetzt lachte sie wirklich ein bisschen, schaute dann aber fast ein wenig traurig zu dem Tiger zurück. Auch wenn es nur ein Tier war, ein bisschen tat er ihr schon leid.
    “Und hast du auch schon andere Tiere transportiert? Und wohin hast du sie gebracht? Bestimmt hast du schon viele Orte besucht, oder?“ plapperte Axilla plötzlich drauf los, ehe sie merkte, dass sie ihn vielleicht nicht so löchern sollte und entschuldigend lächelte. “Entschuldige, ich bin sehr neugierig. Ich bin noch nie viel gereist. Ich kenne nur das hier und Tarraco.“

    Gefällt ihm? War das ein Kompliment? Verdammt, musste er sie so durcheinander bringen? Sie fühlte sich ganz durcheinander, wenn er sowas sagte. Axilla war für feine Andeutungen nicht geschaffen, und auch nicht für versteckte Komplimente. Sie fiel mit der Tür immer gleich ins Haus und war es auch gewohnt, dass ihr gegenüber klare Ansagen gemacht wurden. Da brachte sie Severus jetzt ganz schön durcheinander, was ihrer Nervosität neuen Nährboden gab.
    Flirtete er mit ihr? Das war so verdammt schwierig für sie festzustellen. Der einzige Mann, der mit ihr wirklich je geflirtet hatte, war Timos gewesen, und der war darin nicht so römisch-stoisch-würdevoll gewesen, sondern sehr direkt und fordernd. Und bevor Axilla nach Alexandria gekommen war, war sie nie groß in Gesellschaft gewesen, als dass irgendein Mann mit ihr hätte flirten können. Aber sie konnte Severus ja schlecht danach fragen.
    Und er lächelte so süß!
    Noch nervöser fing sie an, auf ihrer Unterlippe herumzukauen. Sie hatte absolut keine Ahnung, was sie machen und wie sie richtig reagieren sollte. Sie konnte ihm ja nicht einfach irgendwas unterstellen, was gar nicht stimmte. Das wäre dann am Ende noch peinlicher. Sie merkte, dass sie auch leicht mit den Händen wrang und zwang sich selbst zur Ruhe, auch wenn ihr Gang dadurch nun etwas steif wirken mochte.



    Zum Glück kam aber auch gerade der Tierpark des Paneions in Sicht, so dass sie um eine einfältige Antwort wohl drum herum kam.
    “Oh, schau, da vorne sind schon die Käfige.“

    Er wollte sich Urgulania vorstellen, wenn sie sich öfter trafen? Axilla schaute ihn einen Moment ganz verwirrt an. Hieß das, er wollte sie öfter treffen? Also, nicht nur jetzt, damit er die Stadt sehen konnte, sondern wegen ihr? War das hier ein Rendezvous? Vor lauter Gucken übersah Axilla gleich mal einen etwas größeren Stein auf dem Weg und glitt leicht aus, fing sich aber wieder. Ihr wilder Hüpfer sah aber sehr undamenhaft aus.
    “Nichts passiert“, sagte sie gleich, einem Automatismus schon folgend. Sie stieß sich so häufig oder fiel beim Kippeln vom Stuhl oder lief irgendetwas um, dass das schon gleich von selbst kam.
    Sie versuchte, eine möglichst würdevolle Position neben Severus wieder einzunehmen und war froh, dass er auch gleich weiterredete. Bei seinem Scherz musste sie lächeln, auch wenn es noch ein wenig von Nervosität durchdrungen war. In ihrem Kopf gingen viele Fragen herum, die aber allesamt eher wenig mit dem Soldatenleben zu tun hatten.


    “Ach, das kenn ich. Als Kind bin ich immer überall auf den Bäumen rumgeklettert, dass meinem Lehrer beinahe das Herz stehengeblieben ist. Und ich hab ja meiner Cousine versprechen müssen, dass ich immer einen Sklaven nun mitnehme zum Spazieren. Wegen der Unruhen, die kürzlich waren, und überhaupt. Davor bin ich immer allein in die Stadt und über den Markt. Mir würd auch jetzt nichts passieren, wenn ich allein losgehen würde, da bin ich mir sicher. Aber versprochen ist versprochen. Aber Angst hatte ich da noch nie.“
    Axilla war noch so in Gedanken, dass sie gar nicht merkte, wie ehrlich sie im Moment war. Nun, sie war schon immer eine Spur zu ehrlich und aufrichtig gewesen, doch manchmal wäre eine abgeschwächtere Version der Wahrheit doch besser. Eigentlich sollte Severus besser nicht wissen, wie sorglos sie im allgemeinen war und wie unbedacht sie mit ihrer Sicherheit umging. Aber dafür waren ihre Gedanken viel zu sehr noch immer mit seinem ersten Satz beschäftigt.
    Erst die frage, was sie hier nach Alexandria geführt hatte, riss sie jäh aus ihren Gedanken. Kurz hielt die Maske nicht, die sie sich mühsam antrainiert hatte, also schaute sie zur Seite, ehe sie wieder gleichmütig, fast lächelnd herüberschauen konnte. Sie hatte es nun schon oft erzählt, aber dennoch tat sie es nicht gerne.
    “Mein Vater ist gefallen, als ich 12 war. Danach war ich mit meiner Mutter allein in Taracco. Sie war ziemlich krank und ist vor anderthalb Jahren dann gestorben. Allein bleiben konnte ich ja schlecht, also wurde Silanus mein Vormund und ich bin zu ihm nach Alexandria gereist. Und naja, jetzt ist das hier mein zuhause…“
    Axilla mochte nicht so trübsinnige Gespräche führen. Vor allem wollte sie sich nicht mit dem Tod ihrer Eltern auseinandersetzen, erst recht nicht mit dem ihres Vaters, obwohl der schon deutlich länger her war. Also machte sie das, was sie immer machte, und redete einfach weiter über etwas anderes.
    “Meine Cousine will mich ja überreden, dass ich am Museion studiere. Aber ich wüsste gar nicht, was. Und ich weiß nicht, ob es mich nicht langweilen würde. Da bleib ich lieber weiterhin Scriba bei Nik… beim Gymnasiarchos. Da lern ich auch was und bin beschäftigt. Und ich hab ja auch noch zwei Betriebe, um die ich mich kümmern muss.
    Naja, eigentlich macht das alles der Vorarbeiter, aber ich schau halt immer mal vorbei, und so.“

    Hoffentlich hatte sie ihn jetzt nicht mit Informationen überflutet. Sie hatte manchmal diese Eigenschaft, hatten schon mehrere Leute ihr gesagt, und ihre Gedanken sprangen gern von einer Sache zur nächsten und weiter. Aber andererseits hatte sie ihn so vielleicht weit genug abgelenkt von den Dingen, die sie nicht so gerne mochte.

    Von Alexandria hatte Axilla auch noch nicht alles gesehen, und das, obwohl sie wirklich viel unterwegs war. Oder zumindest, ehe sie Urgulania in die Hand hatte versprechen müssen, dass sie nichtmehr allein herumstreifte, weil ihre Cousine um ihre Sicherheit fürchtete. Vielleicht war es da naiv gewesen, zu glauben, Imperiosus kenne Rom besser als sie Alexandria, immerhin war Rom auch größer. Zwar war Alexandria die zweitgrößte Stadt im ganzen Imperium, dennoch war Rom der Mittelpunkt der Welt, und fast tat es Axilla leid, dass sie damals zu Silanus nein gesagt hatte, als er sie mitnehmen wollte.
    Doch ehe sie in diese Richtung weiterdenken oder etwas sagen konnte, überraschte sie ihr Gesprächspartner mit einer etwas seltsamen frage.
    “Öhm, ja, mein Vater war Atticus Iunius Cassiodor....“ Gab es denn auch unechte Iunierinnen? Oder war das eine leichte Anspielung auf irgendwas? Das, was ihrer gens wohl in alle Ewigkeit nachhing, war wohl die Verschwörung von Marcus Iunius Brutus, an der auch Gaius Cassius Longinus beteiligt war, der Ehemann von Iunia Tertia. Aber sie hatte doch ncihts gesagt, worauf man mit einer Stichelei diesbezüglich antworten würde? Nein, so gemein kam ihr Imperiosus nicht vor, sowas würde er nicht meinen.
    Er fragte auch gleich weiter, nach Silanus. “Ähm, ja. Bevor er nach Germania versetzt wurde, war er mein Vormund hier in Alexandria.“


    Imperiosus hatte irgendwie ein Talent dafür, ein Fettnäpfchen nicht nur zu finden, sondern geradezu reinzuhechten. Kopfüber. Axilla wurde nicht so gerne an ihren Cousin erinnert. Sie hatte endlich mit ihren Gefühlen für ihn soweit abgeschlossen, dass es sie nicht mehr reute, wie sie sich verabschiedet hatten. Doch dass er sich weigerte, ihre Briefe zu beantworten, schmerzte doch sehr. Nichtmal zu den Parentalia, oder noch wichtiger zu der Caristia hatte er ihr geschrieben. Seit ihrem Abschied hatte sie nicht ein Wort von ihm erhalten. Hätte er sie angemault, wäre das ja noch verkraftbar gewesen, aber dieses eiserne Schweigen belastete Axilla mehr, als sie zugeben wollte.


    Etwas bedrückt sah sie beiseite und war froh, dass das Agon nun losging. Ein Mann mit einer hübschen Schüssel lief herum, und dann wurden Namen der Künstler verkündet.
    Aber dann fiel ihr ein, dass Imperiosus ja wohl nicht ohne Grund gefragt hatte. Vielleicht kannte er ja Silanus näher und konnte ihr etwas sagen!
    Schnell drehte sie sich ihm wieder zu und versuchte, nicht zu wissbegierig auszusehen.ie wollte die Frage diplomatisch stellen. Immerhin saß hier ein Diplomat auch vor ihr, den durfte sie nicht gleich verschrecken, wenn sie mit der Tür ins Haus fiel.
    “Kennst du meinen Cousin näher?“
    Sie hörte quasi das Holz knirschen von der Tür, mit der sie ins Haus gestürmt war. Egal, schon zu spät, er würde ihr hoffentlich schon nicht böse deswegen sein.

    “Ob man Urgulania kennen sollte? Zumindest in Alexandria sollte man das, ja.“ Axilla lächelte ein wenig verschmitzt bei der Frage nach ihrer Cousine. “Sie war letztes Jahr hier Eutheniarche und dieses Jahr wurde sie zur Exegetes gewählt und zur Archo… nein, Archepyrtanes. So muss es heißen.“ Schon wieder ein Versprecher, und das nach nun über einem Jahr hier in der Provinz. Ein wenig verlegen schaute Axilla weg. Sie wäre gerne viel selbstsicherer und gewandter, aber andauernd verhaspelte sie sich, stieß irgendwo an oder veranstaltete kleinere bis mittelschwere Katastrophen. Ihr alter Hauslehrer hatte das den Geist des Chaos genannt, der in ihr wohnte. Aber in Momenten wie diesen wünschte sie sich besonders, sie könne ein wenig mehr wie ihre Cousine sein.


    Während Axilla so zuhörte, dass es bei den Octaviern wohl so war, dass sie alle zur See fuhren, betrachtete sie Severus ein wenig aus den Augenwinkeln. Mit der Toga sah er schon sehr römisch aus, was in diesen Breiten schon ein verdammt seltener Anblick war. Hier trug eigentlich alles römische einen Brustpanzer. Sie fragte sich, wie unbequem so ein Ding wohl war. Als Frau trug man sowas ja nie. Außer vielleicht, man arbeitete in einem gewissen Gewerbe. Viel bequemer als eine Stola aus dicken Stoff konnte das auch nicht sein, da waren die Männer sicher nicht zu beneiden. Und ein bisschen sah es aus, als müsse er beim Gehen den Stoff festhalten, damit er nirgends runterrutschte.
    Ein wenig musste Axilla noch breiter Lächeln bei dem Gedanken. Hoffentlich nahm er es ihr nicht übel. Vielleicht sollte sie lieber ein wenig erzählen, um davon abzulenken?
    “Ich glaub, ich kenn keinen Iunier, der zur See gefahren ist. In meinem Teil der Familie sind eigentlich alles Soldaten. Außer mein Cousin Merula, das ist der Sohn von einem jüngeren Bruder meines Vaters, der ist Priester geworden.“
    Sie hatte sich sehr über den kleinen Briefwechsel damals gefreut. Vielleicht wollte er sie besuchen kommen, hatte er geschrieben. Oder vielleicht besuchte sie ihn ja mal in Rom? Wäre auch eine Möglichkeit.
    “Du hast wohl großes Glück gehabt, dass Neptun euch wieder ausgespuckt habt. Seid ihr dann gestrandet, oder wie bist du hierher gekommen?“
    Schiffbruch klang abenteuerlich. Axilla liebte Abenteuer, auch wenn sie sich eines auf See eigentlich nicht vorstellen konnte. Sie glaubte kaum, dass sich ihre Übelkeit auf See je legen könnte. Lieber auf dem Festland bleiben, da gab es schließlich auch genug, was man erleben konnte. Auch, wenn man das als Mädchen nicht sollte.

    Ein klein wenig erinnerte sie die Situation gerade an die mit Rufus, als sie das Hippodingens suchen wollten. Axilla hatte schon wieder den Namen von diesem Tier vergessen, dabei hatte sie doch erst von einem Monat ein Bild davon verschickt. Nun, eigentlich war es auch egal, hier im Tierpark war ohnehin keines, und auch war die Situation irgendwie ganz anders als damals.
    Axilla lächelte und nickte. Auch wenn Severus fast so unsicher schien wie sie – was sie sich eigentlich nicht vorstellen konnte, immerhin war er ein Kapitän, da konnte man doch nicht so unsicher sein – fand sie seinen Plan gut. Vor allem, da er so gut zu ihrem passte.
    “Gut. Der Tierpark ist gleich da hinten, halb um den Hügel herum. Abends gibt es dort auch Fackeljongleure und Schlangenbeschwörer und all sowas. Aber… bis dahin sollte ich wohl besser wieder daheim sein, sonst macht sich meine Cousine noch Sorgen.“
    Verlegen biss sich Axilla ein bisschen auf der Unterlippe herum, nachdem sie Urgulania erwähnt hatte. Die gute wusste ja gar nicht, dass Axilla überhaupt hier war. Nun, wenn sie nur so hier wäre, wäre das auch nichts, worüber sie mit Urgulania gesprochen hätte. Aber sie war ja nicht hier, um allein ein wenig zu spazieren, und der Umstand, dass sie einen Octavier begleitete, der hätte ihre Cousine bestimmt interessiert. Ein Grund, warum Axilla es nicht erzählt hatte, denn dann hätte sie am Ende vielleicht sogar noch nein dazu gesagt.


    So machten sie sich auf den Weg, langsam und gemächlich. Axilla lief zwar nah neben Severus her, aber so, dass sie einander auf keinen Fall berührten. Ein wenig Anstand hatte sie ja doch, wenn sie sonst auch immer viel zu übereifrig und unbedacht war. Sie sah zu ihrer Begleitung hinüber. Bestimmt war ihm warm.
    Sie war nun schon über ein Jahr hier und hatte sich an das Klima gewöhnt. Auch war ihre Kleidung den Umständen hier angepasst. Auch wenn ihr Kleid einen römischen Schnitt hatte und damit nicht ganz so luftig und freizügig wie ein griechischer Chiton war, der Stoff war leicht und dünn gewebt, so dass sie darin nicht schwitzte.
    Das war eines der Dinge, die hier sehr gefragt waren: Hauchdünne Stoffe. Angeblich hatte Cleopatra damals Marcus Antonius als Venus empfangen in einem Kleid, das so dünn gewebt war, dass man komplett hindurchschauen konnte durch den Stoff. So dünn war Axillas Kleid nun nicht, aber doch war es viel luftiger als alles, was sie aus Tarraco kannte.


    “Und du bist schon lange Nauarchos?“ versuchte sie einfach auf gut Glück ein Gespräch anzufangen.

    Sie war ansteckend! Jetzt brachte Severus auch schon keine zusammenhängenden Sätze mehr heraus! Damit war für Axilla der Beweis geführt, dass Wahnsinn tatsächlich eine ansteckende Krankheit war, und das war die Vorform davon. Sowas wie Schnupfen, nur eben auf geistiger Basis.
    Verlegen schaute sie ausgiebig zu Boden, und die Bäume in der Umgebung fielen ihr auch plötzlich viel mehr auf als sonst. Sie kratzte sich, wie sie es oft machte, nervös am Unterarm und versuchte, eine Antwort zu finden, die vernünftig klang.
    “Naja, ich bin nur einmal auf dem Schiff gefahren, von Tarraco hierher, und da war mir die ganze Zeit schlecht. Aber dafür kenn ich nun den Unterschied zwischen Luv und Lee…“
    Und dass das wohl auch kein Thema war, das man tiefer erörtern sollte. Bestimmt hatte Severus als Nauarchos oft genug mit Passagieren zu kämpfen, die ihr Frühstück auf der falschen Seite von Bord bringen wollten und fand das wohl nicht ganz so scherzhaft. Und überhaupt war das wohl kein sehr ergiebiges Gesprächsthema, und peinlich obendrein.
    Und erst, als Severus mit seinem Vorschlag geendet hatte, bemerkte Axilla auch, was er da eigentlich gesagt hatte. Er wollte sich mit ihr gerne den Sonnenuntergang am Paneion anschauen? Kurz schaute sie etwas irritiert zu ihm hoch – und aufgrund seiner Größe musste sie wirklich hoch schauen. Er sah gerade zu ihr herunter, und sie bemerkte, dass er graue Augen hatte, die ihr bislang noch gar nicht aufgefallen waren. Vielleicht schaute sie eine Idee zu lang hinein, denn sie schaute ganz verlegen wieder weg und räusperte sich kurz, ehe sie wieder sprach.
    “Ähm, aber ich dachte, du wolltest die Stadt dir zeigen lassen? Ich meine, hier im Park sieht man davon ja nicht so viel. Oh, außer die wilden Tiere, die sind wirklich sehenswert. Seit letzter Woche haben sie ein Giraffonom oder so ähnlich. Die sind riesig, und gefleckt wie ein Leopard. Hast du schonmal so eins gesehen?“
    Puh, ausgewichen. Sie konnte ihm ja nicht einfach so zusagen, wie sähe das denn aus? Vielleicht, wenn es sich ergab… es wäre sicher sehr schön… aber Urgulania würde sie wohl köpfen… wenn sie es mitbekam… wenn…
    “Aber die Sonne geht hier sehr schnell unter. Es wird wohl noch heiß sein, wenn wir dann hinaufgehen. Also, wenn du das noch magst.“

    “Von der Gesamtsituation?“ fragte Axilla im ersten Moment sichtlich verwirrt nach, ehe die Erkenntnis langsam dämmerte. “Oh, achso, du meinst wegen… den Unruhen und so. Ja, da muss der Kaiser natürlich jemanden schicken…“
    Da hätte sie auch früher selber dran denken können. Urgulania wär so eine dumme frage sicher nicht herausgerutscht, ihre Cousine hätte sicher deutlich schneller kombiniert, worum es ging, wenn ein kaiserlicher Beauftragter hier in der Provinz unterwegs war. Eigentlich war das ja die einzig logische Erklärung. Weshalb sonst sollte jemand aus Rom hierher kommen? Nungut, außer vielleicht wegen dem Museion.
    Aber Axilla wollte nicht über die Unruhen sprechen. Schon gar nicht, wenn sie dabei Gefahr lief, als Zeugin „entlarvt“ zu werden. Decimus Cursor hatte ihr ja die geshcichte abgekauft, dass sie sich nicht mehr erinnere, aber ob das bei einem kaiserlichen Beamten ebenso leicht ging? Lieber schnell das Thema wechseln.
    “Gibt es in Rom auch sowas? Also, so musische Wettkämpfe. Ich hab ja gehört, es gibt in den Theatern und Circussen viel Unterhaltung, viel mehr als hier, aber haben sie auch Musik?“
    Während sie ihn so anschaute, bemerkte Axilla, dass er grüne Augen hatte. Fast so grün wie ihre.

    Bei seinem Kompliment schlug Axilla schüchtern die Augen nieder, aber ihr Lächeln verriet, dass es ihr gefiel. Auch wenn es vielleicht nicht ganz schicklich war, aber auf sowas legte sie ohnehin eigentlich keinen Wert. Das passierte wohl mal, wenn ein Kind auf dem Land aufwuchs und mehr mit dem Klettern auf diverse Bäume beschäftigt war, als mit der feinen Gesellschaft der Stadt. Andererseits kam Axilla so auch wunderbar mit jedem aus, egal welchen Stand er hatte. Einfach, weil sie sich über sowas nur äußerst selten Gedanken machte.


    Im Moment aber waren ihre Gedanken nur in dem üblichen Chaos, das in ihr schlummerte, und sie war sehr konzentriert darauf, nicht allzu freudig zu strahlen und das Kompliment nicht zu sehr zu genießen. Urgulania hatte ja schon so manches Mal sie auf ihre dignitas hingewiesen, die sie doch bitte bewahren sollte. Aber würdevolles Auftreten verlor einfach gegen nette Komplimente.


    “Oh, ja. Von da oben sieht man die ganze Stadt, und nach Süden hin kann man bis über den Lacus Maetoris blicken. Abends ist das toll, wenn die Sonne untergeht, dann scheint der Horizont ganz rot und…“ Das interessierte wahrscheinlich weniger, also rettete sich Axilla erst in ein rhetorisch sehr wertvolles “äähm..“, ehe sie schließlich mit “also, sieht wirklich hübsch aus, wenn man sich sowas gerne ansieht.“ schloss.
    Komm schon, Verstand, ich weiß, du bist da irgendwo. Arbeite!, versuchte sie ihre grauen Zellen in Gang zu bringen, bevor sie nochmal so drauf losplapperte.


    Ein wenig verlegen schaute sie also kurz zurück zu Leander, dann wieder zu Severus. In seiner Toga war es sicher kein so leichter Weg, es war schon ein ganzes Stück zu laufen.
    “Ist dir in der Toga nicht warm?“ fragte sie wieder schneller, als sie über ihre Frage hätte nachdenken können und biss sich direkt danach auf die vorlaute Zunge. “Ähm, ich meine, also… was ich sagen wollte, wir können auch hier im Park im Schatten, wo es kühler ist… ähm… weil der Weg ist ziemlich steil, und… ich weiß ja nicht, wie gut man mit einer Toga so hinaufgehen kann. Also… das geht bestimmt, nur… ich…“
    Am besten sagte sie gar nichts mehr. Je mehr Axilla redete, umso mehr erschien ihr das eben gesagte als absolute Katastrophe. Sie sollte wirklich unterricht bei Nikolaos nehmen! Ganz dringend!

    Eigentlich hätte Axilla gar nicht ja sagen sollen zu diesem Treffen. Eigentlich hätte sie Urgulania davon sofort berichten sollen, wenn sie sie schon nicht um Erlaubnis gefragt hatte. Und noch viel eigentlicher hätte sie gleich mehrere Sklaven mitnehmen sollen. Tja, eigentlich.
    Uneigentlich hatte Axilla nur Leander im Schlepp, der seine Herrin davon abhielt, allzu schnell durch das Straßengewirr voranzuschreiten. Nachdem sie sich soviel Mühe damit gegeben hatten, die wilden Haarsträhnen in eine ordentliche Frisur zu verwandeln und auch noch Kunstvoll die Kette mit den kleinen Seepferdchen eingeflochten hatten, die Axilla so gerne mochte, sollte sich das ganze nicht schon auf dem Weg in Wohlgefallen auflösen. Und auch die durchsichtig-grüne Palla machte mehr Anstalten, davonzufliegen, als auf dem Kopf zu bleiben.
    So war sie etwas spät dran, als sie endlich zum Paneion kam. Zwei Häuserecken vorher musste sie auch ganz anhalten, damit sie nicht so abgehetzt aussah und gemütlich schlendernd ankam. Der Nauarchos sollte ja auf keinen fall denken, sie hätte sich seinetwegen beeilt. Auf eine Dame wartete Mann schließlich gerne, und nicht andersherum. So kam sie in ihrem grünen Kleid, das sie so gerne mochte und ihre Augenfarbe so schön unterstrich, langsam zu der verabredeten Stelle. Leander folgte ihr in kaum zwei Schritten abstand, aber wie es sich für einen Sklaven gehörte irgendwo dennoch unsichtbar.
    Den großen Octavier sah sie schon aus einiger Entfernung. Bei den kleinen Griechen stach seine Gestalt regelrecht heraus, noch dazu, wo er sich so römisch gekleidet hatte. Aber es sah gar nicht schlecht aus. Nein, überhaupt nicht schlecht.
    “Ich hoffe, du musstest nicht lange warten“, meinte sie lächelnd zur Begrüßung und versuchte in seinem Gesicht zu lesen, was er wohl über sie gerade dachte. Hoffentlich nur gutes.

    Im ersten Moment war Axilla freudig sprachlos bei dem Kompliment. Sie überlegte einen Moment, wann sie das letzte Mal eines erhalten hatte. Sie meinte, das sei an ihrem Geburtstag vor über 3 Monaten gewesen, als Rufus meinte, er finde sie „nicht unhübsch“. Aber so ein Kompliment wie das eben, das war ihr ganz neu. Sie fühlte sogar ein ganz leichtes Glühen auf ihren Wangen und merkte, dass sie wohl etwas errötete. Schnell senkte sie lächelnd den Blick, ehe sie es nicht mehr aufhalten konnte, als auch Nikolaos ihr indirekt ein mindestens ebenso großes Kompliment machte.
    DAS verblüffte sie jetzt doch wirklich. Der Gymnasiarchos hielt sie für klug? Bezüglich ihrer Tugendhaftigkeit konnte er ja nicht wissen, welchen Blödsinn sie in ihrem jungen Leben schon alles angestellt hatte – und mittlerweile bereute – und ein paar Tugenden gestand Axilla sich ja durchaus zu. Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit, Freundschaft und Treue besaß sie. Aber Klugheit? Er hielt sie wirklich für klug, obwohl sie nicht nur einmal eine bemerkenswerte Tollpatschigkeit bewiesen hatte?


    Zwei Komplimente an einem Tag, von zwei verschiedenen Männern, die beide auf ihre Weise eine hohe Position in der Gesellschaft einnahmen, das brachte Axilla doch wirklich in Verlegenheit. Damit hatte sie nun überhaupt nicht gerechnet, und ihr fiel nichtmal eine annähernd kluge Erwiderung darauf ein. Also lächelte sie nur sprachlos und versuchte, möglichst doch nicht zu erröten. Sie hätte sich wohl doch besser schminken sollen und nicht wie immer fast ungeschminkt herumlaufen sollen. Und etwas origineller frisieren, und geschmackvoller anziehen, ach und überhaupt.


    Als Nikolaos ihr dann schließlich sagte, wohin sie sich setzen konnte, war sie sehr dankbar. Wenigstens etwas, das geklärt war.
    “Danke. Ich… setz mich dann mal.“
    Sie lächelte Imperiosos schüchtern an, als sie an ihm vorbeiging zu besagtem Platz und warf noch einmal einen kurzen Blick zurück zu ihm, während Nikolaos sich an die Künstler wandte.
    Der Ansprache hörte sie nur kurz und mit halbem Ohr zu, während sie sich etwas verlegen auf der Unterlippe herumkaute und überlegte. Eigentlich sollte sie hier still sitzen bleiben und sich höchstens aus der Ferne weiter bewundern lassen. Aber eigentlich war das Wort „eigentlich“ per se schon dafür gedacht, genau das Gegenteil davon zu tun, was man eigentlich nicht tun sollte.
    Entschuldige bitte. Würde es dir etwas ausmachen, Plätze zu tauschen?“ wandte sie sich also flüstern und leise, um die Ansprache und die Künstler nicht zu stören, an einen Herren vier Sitze weiter, der zufällig genau neben dem Pomeianer saß. Der schaute sie einen Moment etwas verwirrt und despektierlich an, konnte dann aber ihrem Hundeblick nicht widerstehen und nickte ergeben. Urgulania war ja sowieso grade nicht da und würde daher Axilla neben sich wohl kaum vermissen.


    Und so setzte sie sich lächelnd neben den Mann, der auch grade vom Gymnasiarchos persönlich als Ehrengast angekündigt wurde und strahlte ihn zwar noch immer etwas verlegen, aber nicht mehr gar so schüchtern an.
    “Du hast meine Frage noch gar nicht beantwortet“, stellte sie etwas neckisch fest, als wäre das der Grund, warum sie jetzt neben ihm sitzen musste. Sollte ja nur keiner auf die Idee kommen, dass es gar wegen des Komplimentes wäre.

    “Ich nehm es doch mal an. Die gens Octavia ist ziemlich alt“, plapperte Axilla drauf los, als Nikolaos nachfragte, ob es denn ein Römer sei. “Außerdem trägt er gerade eine sehr feine Toga.“ Und jetzt musste sie doch lächeln, auch wenn sie es gleich hinter einem schüchternen Blick zu Boden versteckte. Nikolaos sollte ja nicht auf falsche Gedanken kommen. Sie war ja schließlich hier, um zu arbeiten.
    Zum Glück sagte Nikolaos gleich, sie könne ihn hereinbitten, so dass Axilla schnell wieder nach draußen entschlüpfte und so der vielleicht peinlichen Situation mit ihrem Chef entging. Im Flüchten war Axilla schon immer gut gewesen, und so machte sie es auch hier, noch ehe Nikolaos noch etwas sagen konnte.


    Draußen angekommen bemerkte sie aber die kleine Schwäche ihres Plans. Hier stand ja noch der Octavier in seiner Toga. Hoffentlich hatte er vergessen, wie tollpatschig sie sich eben noch verhalten hatte (wobei sein Kurzzeitgedächtnis dann schon erstaunlich kurz hätte sein müssen).
    Nicht anhimmeln, und nicht anlächeln! ermahnte sie sich noch in Gedanken.


    “Der Gymnasiarchos empfängt dich. Hier herein, bitte.“
    Und natürlich lächelte Axilla ihn trotz jeden guten Vorsatzes an, als sie ihm die Tür, die sie eben unnötigerweise noch einmal geschlossen hatte, wieder für ihn öffnete und ihn mit einer einladenden Geste hineinbat. Und ihre Augen sprachen wohl auch nicht unbedingt von stoischer Gleichgültigkeit.

    Lächelte er sie an oder lachte er sie aus? Axilla war sich nicht ganz sicher, aber egal welche der beiden Möglichkeiten, beide trugen zu ihrer Nervosität bei. Sie sollte wirklich Unterricht in der Redekunst bei Nikolaos nehmen! War ja heute mal wieder ganz schrecklich mit ihr.
    “Oh, gut. Dann werde ich dich mal anmelden. Genau.“ Sie nickte noch einmal bekräftigend, auch wenn das wohl etwas albern aussehen mochte und ging dann zur Tür, hinter der Nikolaos arbeitete.
    Bevor sie den Türgriff fasste, drehte sie sich noch einmal halb zu Severus um. “Ich bin Iunia Axilla“ stellte sie sich mit einem Lächeln vor, und fügte dann nach dem Anklopfen beim Entschwinden durch die Tür von Nikolaos noch fast unhörbar leise hinzu: [size=6]“Falls dich das überhaupt interessiert, wer sich hier so grade zum Affen gemacht hat…“[/size]



    Drinnen schloss sie hinter sich erst einmal die Tür und blieb einen Moment stehen. Hoffentlich war sie wenigstens nicht rot geworden. Wenn doch, würde sie es mit einem Blick in die Augen ihres Chefs wissen.
    “Nikolaos? Draußen steht ein Nauarchos, der für dich arbeiten will. Sein Name ist Lucius Octavius Severus“ Und jetzt nur nicht lächeln! schalt sie sich noch in Gedanken. “Soll ich ihn reinbitten?“

    Völlig in Gedanken hatte Axilla im ersten Moment nichtmal gemerkt, dass jemand eingetreten war. Sie hatte nur auf die Feder und das Papier vor ihr gestarrt und sich mit eiserner Disziplin davon abzuhalten versucht, irgendwelche Strichmännchen zu malen, weil ihr langweilig war. Das erforderte in diesem Fall schon ein Höchstmass an Konzentration. Mittlerweile wurde es in Alexandria wieder richtig heiß um die Mittagszeit, da kamen dann noch weniger Leute hierhin als ohnehin schon.


    Als sie angesprochen wurde, sah Axilla etwas verschlafen und langsam auf. “Und wen darf… ich…. melden…?“
    Je höher ihr Blick gewandert war, umso mehr war sie ins Stocken geraten. Sie hatte einen kleinen Griechen erwartet, aber anstatt auf eine Chlamys fiel ihr Blick zunächst auf etwas, das verdächtig nach Toga aussah. Und je höher er wanderte, umso togaartiger wurde das ganze. Und klein war ihr Besuch auch nicht, nein, hochgeschossen war er regelrecht. Unter den vielen Griechen, denen selbst Axilla auf den Kopf spucken konnte – nicht, dass sie das jemals machen würde – war das hier ein Riese!
    Und süß war er!
    “Ähm, salve…“, meinte sie etwas verträumt, ehe sie merkte, dass sie ja hier war, um zu arbeiten, und er ja was vom Gymnasiarchos wollte, und überhaupt es wohl nicht unbedingt damenhaft war, einen völlig Fremden so anzuschauen. Hastig stand sie auf, wobei ihr die Feder runterfiel, so dass sie sich schnell noch einmal danach bückte, im noch viel hastigeren Wieder-Aufstehen mit ihrem Kopf noch leicht die Tischplatte erwischte, was diese mit einem leisen „Plong“ auch verkündete, sich den Kopf rieb und die dumme Feder, die sie nun wie einen Tölpel aussehen ließ, mit einem nur halb unterdrückten bösen Blick wieder auf den Schreibtisch legte.
    “Ähm, ja, Gymnasiarchos, genau. Ist ja hier sein officium“, sie lächelte verlegen. Reiß dich gefälligst zusammen! Verlegen, weil die Situation ihr doch sehr peinlich war, kratzte sie sich ein wenig am Arm. “Ähm, ja, aber Namen brauch ich wohl.“
    Das bis auf den allerersten Satz, als sie noch nicht wusste, wer da vor ihr stand, alles auf Latein und nicht in Koine gesprochen war, fiel Axilla erst jetzt auf. Hoffentlich hatte sie sich von der Toga jetzt nicht irreleiten lassen und dem Mann vor ihr alles mögliche in einer unbekannten Sprache erzählt.

    Ah, Nikolaos hatte sie gesehen und gab ihr mit einem Nicken zu verstehen, dass sie näherkommen sollte. Das tat Axilla natürlich nur allzu gern, dann stand sie schon nicht wie bestellt und nicht abgeholt in der Gegend herum, wo jeder sie so erwartungsvoll anschaute und sie nur völlig ahnungslos zurückschauen konnte.
    Kaum war sie heran, war Nikolaos so freundlich, den fremden Römer vorzustellen. Axilla schenkte dem Mann ein ehrliches, freundliches Lächeln und konnte die Neugier in ihren Augen nicht wirklich verbergen.
    “Salve, freut mich, dich kennen zu lernen.“
    Sie schaute kurz zu Nikolaos, sie wollte ihn ja nicht in Verlegenheit bringen, wenn sie einfach so überschwänglich dahinplapperte, aber die Neugier war doch zu groß.
    “Hat der Imperator extra wegen den Spielen einen Gesandten geschickt?“
    Es war schon sehr komisch, einen Gesandten des Kaisers zu treffen. Aber er war hier und saß ganz vorne und wollte sich das musische Agon wohl genauso wie sie selbst anschauen. Da war Axillas Neugierde natürlich riesig, wieso er denn hier war, und das war das erstbeste, was ihr eingefallen war. Natürlich war der Schluss logischer, dass es wegen den Unruhen war, aber Axilla war nur sehr selten logisch und konkludent. Daher kam ihr der Gedanke in ihrer Naivität im Moment gar nicht.
    Wäre er ihr gekommen, hätte sie Imperiosus wohl weitaus weniger freundlich angestrahlt. Seit dem Verhör von Decimus Cursor schwebte diese Zeugensache noch immer wie ein Damoklesschwert über ihr, auch wenn sie nach der langen zeit hoffte, dass es nun wirklich vorbei wäre und sie niemand mehr dazu ausfragen versuchen würde.
    “Oh, und ich würde mich gern setzen, ich bin mir nur nicht sicher, wohin. Ich will ja niemandem den Platz wegnehmen“, schwatzte sie munter weiter.