Beiträge von Iunia Axilla

    Axilla war sehr erleichtert, dass er sie noch als Freundin sah. Ein ganz klein wenig zuckten ihre Mundwinkel in sowas ähnlichem wie einem Lächeln, aber es hielt nicht lange genug, um wirklich eines zu werden. Der Moment war zu traurig.
    “Gut. Ich möchte doch auch wissen, wie es meinem Freund so geht.“
    Sie sah noch einmal traurig auf und ließ den Kopf dann hängen. Abschiede waren nicht ihre stärke, waren es nie gewesen. Vor allem nicht solche, bei denen ihr Herz dran hing.


    Sie beide schwiegen sich einen Moment lang nur gegenseitig an,, jeder auf seiner Kline. Axilla kämpfte mit der Situation und ihren Gefühlen. Sie wünschte sich so sehr, er würde es sich vielleicht doch noch einmal überlegen, auch wenn sie da keine Hoffnung haben durfte.


    “Und was machen wir jetzt?“, fragte sie schließlich nach einer ganzen Weile ratlos. Sie hatte wirklich keine Ahnung, was sie noch tun sollte, um ihn zum bleiben zu bewegen. Und das war das einzige, was sie eigentlich tun wollte.

    Axilla hielt sich an der Kline fest, um sich nicht zu sehr anmerken zu lassen, wie sehr sie seine Worte trafen. Drei Tage waren eine kurze und doch unendlich lange Zeit. Aber dass er sie in diesen drei Tagen nicht noch einmal sehen wollte, traf sie sehr hart. Er war doch ihr einziger Freund, den sie hatte. Traurig schaute sie auf und versuchte, zu verstehen, ob dieser Satz nun ihre Schuld war. Hatte sie ihn doch so sehr beleidigt mit ihrem nein? Silanus hatte von ihr aus denselben Gründen auch ein nein erhalten und hatte seitdem auch kein Wort mehr mit ihr gewechselt. Noch nicht einmal ihren Brief hatte er beantwortet, und dass er in Germania nun war wusste sie auch nur aus der Acta.
    Sie holte Luft, um etwas zu sagen, brach aber dann noch ab, weil sich ein dicker Klos in ihrem Hals gebildet hatte und sie noch einmal schlucken musste. Erst danach traute sie sich, noch mal etwas zu sagen.
    “Und können wir uns schreiben? Also, wenn du wieder in Mogontiacum bist?“
    Beim letzten Satz brach ihre Stimme und sie senkte den Blick zu Boden. Sie wollte jetzt nicht noch einmal so weinen anfangen oder etwas noch dümmeres tun. Aber die Gefahr bestand, und sie wusste nicht, was sie machen würde, wenn Rufus dann gegangen wäre.

    Wenn sie nur wirklich wüsste, was ihren Vater glücklich gemacht hätte, wäre das Ganze so viel einfacher für sie. Sie wusste, dass er sie geliebt hatte und gewollt hätte, dass sie glücklich wäre. Aber er hatte ja auch nie erfahren, wie chaotisch sie wirklich war, wenn er nicht da war. Und dass sie so wie jetzt war, hätte er sicher nicht gewollt.
    Seine Worte schmerzten ein wenig, denn so hatte sie es eigentlich gar nicht sagen wollen. Aber sie wusste rein gar nichts über seine Familie, was nicht gerade für ihre hohe Stellung und lange Geschichte sprach. Und er selbst hatte ihr gesagt, er sei eigentlich Germane mit römischem Bürgerrecht. Urgulania würde das sicher nicht besser als einen Peregrinus einschätzen.
    “Ich wollte nicht sagen, dass deine Familie… also… es ist nur… weißt du, der erste Konsul Roms war Iunier und… auch wenn ich es anders sehe, aber meine Verwandten müssten zustimmen, weißt du…“
    Sie fühlte sich ehrlich geknickt, weil sie über ihre Worte nicht besser nachgedacht und sie nicht diplomatischer formuliert hatte. Sie wollte ihrem Freund doch nicht weh tun, das war das allerletzte, was sie gewollt hatte.
    Zu dem guten Mann und dem Sohn sagte sie nichts, das lag ihr zu schwer im Magen. Vielleicht würde sich da jemand finden, aber Axilla hoffte da noch nicht einmal darauf. Einen passenden Mann zu finden, den sie auch noch genug mögen würde, um ihm treu zu sein und mit ihm zusammenzubleiben, darauf vertraute sie im Moment lieber nicht.


    Sie bemerkte, dass sie noch immer auf dem Boden vor ihm kniete und eigentlich halb auf ihm lag, um sich in seine Arme flüchten zu können. Ganz langsam und reumütig machte sie sich los und kämpfte sich auf wackelige Beine. Sie setzte sich wieder auf ihre Kline und sank ein wenig in sich zusammen, als sie saß.
    “Und wann musst du gehen?“, versuchte sie das Gespräch wieder auf die sachliche Ebene zu ziehen, obwohl sie die Antwort auf diese Frage fürchtete.

    Tiridates verwechselte die Hälfte von dem, was Axilla gesagt hatte. Wahrscheinlich sollte sie am besten nie versuchen, jemand anderem etwas beizubringen. Vielleicht sollte sie Nikolaos mal fragen, ob er sie in der Redekunst unterrichtete, vielleicht half das, ihre wirren Gedanken für andere verständlicher zu machen. Oder aber es würde den armen Gymnasiarchos zur Verzweiflung treiben.
    “Nein, nein, den Römer haben sie in Rhakotis getötet, und die sind dann nur hierher gezogen, weil die stadtwache den Leichnam hierher in Sicherheit gebracht hatte. Und den Gymnasiarchos hat niemand eingesperrt, der durfte nur nicht in die Baileia dann rein, solange der Aufstand war.“
    Zum Glück fasste Tiridates dann das ganze noch mal zusammen, so dass Axilla zustimmen konnte. Zumindest Großteils.
    “Ja, genau, viele Missverständnisse und ein Haufen Hitzköpfe und nichts zu tun, während es so viel geregnet hat.“
    Das war Axillas vornehmlichste Theorie, dass die Leute einfach nicht genug zu tun hatten. Wenn alle zu tun hätten, hätte keiner Zeit für solchen Blödsinn.


    Die Basileia kam in Sichtweite, von nun war es nur ein Katzensprung bis nach Hause, und hinter den Toren war sie ja auch vor allem geschützt. Zumindest vor wütenden Mobs, Gefahren gab es ja immer.
    “So, den Rest schaff ich auch alleine. Danke, dass du mich begleitet hast.“
    Auch wenn sie sehr wohl wusste, dass der Nauta nur einen Befehl ausgeführt hatte und das wohl nicht aus freundlicher Höflichkeit getan hatte, konnte sie sich dennoch bedanken. Für eine Frau alleine wäre es vielleicht wirklich gefährlich gewesen. Wobei die 8 Mann starke Truppe hinter ihnen wohl auch Geleitschutz genug waren.
    “Vale, Castor“, verabschiedete sie sich von dem Griechen und machte sich dann auf in Richtung Tor und nach Hause.

    Er ließ sie nicht los, und Axilla war erleichtert. Hätte er sie losgelassen, wäre sie zerbrochen, fühlte sie. Sie hatte einfach keine Kraft mehr. Sie konnte nichtmal versuchen, alles mit einem Lächeln wie so oft zu überspielen. Es ging nicht, nicht einmal wenn sie sich anstrengte. Sie war so unendlich traurig und leer.
    Sie blieb noch ein Weilchen einfach still weinend in seiner Umarmung, ließ seine Worte über sich hinwegplätschern, ohne sie wirklich aufzunehmen. Sie hörte sie zwar und verstand sie auch, aber jede Antwort wurde erst einmal von der Leere in ihrem Innersten verschluckt. Da war nur Traurigkeit und kein Platz für Worte und Gedanken.
    “Ich muss doch an Vater dabei denken…“ Ihre Stimme war nur ein Wispern, dem jede Kraft fehlte. Sie dachte gar nicht darüber nach, als sie nun anfing, zu reden. Normalerweise kamen bei den bloßen Gedanken an ihren Vater schon beinahe die Tränen, aber die waren nun schon alle verweint und Axilla hatte im Moment keine, weshalb sie mit tonloser Stimme sprechen konnte.
    “Ich muss ihn doch ehren. Ich kann mit der Familie nicht brechen, das würde doch seine Ehre verletzen. Ich muss doch so tugendhaft sein, wie eine Römerin es sein sollte, um sein Andenken damit auch zu ehren. Und vielleicht darf mein Sohn, wenn ich mal einen habe, ihn in seinen Totenkult aufnehmen. Vater hatte doch keine Söhne…“
    Ihre Gedanken gingen zurück zu ihrem Vater, wie er war, und sie fragte sich, was er für sie wohl gewollt hätte. Bestimmt hätte er schon einen Mann für sie gefunden. Wie wäre der wohl gewesen? Sie wusste es nicht.
    “Ich will doch, dass er stolz auf mich ist. Ich will doch alles richtig machen, damit ich der Familie Ehre mache. Ich will doch gehorsam sein und es so machen, wie die Familie es sagt. Ich will doch… nicht mehr soviel Chaos sein. Ich will doch vernünftig sein, und..“
    Erschöpft legte Axilla ihren Kopf nun richtig auf Ragins Schulter und ließ sich einfach kraftlos gegen ihn sinken. Wie sollte sie nur all das ausdrücken, was sie fühlte.
    “Ich vermisse ihn so unendlich. So wahnsinnig und unendlich, jede Minute. Ich will doch nur, dass er stolz auf mich ist. Ich will ihn doch nur nicht enttäuschen. Ich will doch, dass alles so wird, wie er es gewollt hätte.“

    Sie fühlte seine Erregung, wie er sie an sich leicht zog und ihren Hals küsste. Axilla schloss einfach die Augen und ließ ihm die Führung, erschauderte unter der Berührung seiner Lippen mit einem leichten Stöhnen und wagte, zu hoffen. Wenn er sich darauf einließ, würde er sicher bleiben. Sie würde ihn nicht auch noch verlieren, wie sie alle anderen verloren hatte. Er würde ganz sicher bleiben.


    Doch dann hörte Rufus auf. Er hielt sie zwar noch, aber irgendwie anders. Es war nicht das begehrliche Heranziehen, sondern lediglich ein Hindern des Wegrückens. Und dann sagte er das, was Axilla nicht hören wollte. Was sie nicht wahrhaben wollte.
    Sie stockte in ihrer Bewegung, ihre Hände krallten sich verzweifelt in Rufus Rücken. Sie versuchte noch, sich zu beherrschen, vielleicht bestand ja noch die Möglichkeit, ihn ein wenig mehr zu verführen, so dass er seine Meinung änderte. Aber es ging nicht, das Zittern erfasste sie wieder und kurz darauf fing sie wieder an zu schluchzen und zu weinen und sich wieder einfach nur an ihm festzuhalten.
    “Ich… kann… nicht…“, weinte sie an seiner Schulter. Sie liebte Rufus nicht. Zumindest nicht auf diese Weise. Nicht genug, um dafür ihre Familie vor vollendete Tatsachen zu stellen und alles durchzustehen, die so eine Verlobung mit sich brächten. Urgulania würde ganz sicher nichts davon halten, Silanus würde sie sich nichtmal zu fragen trauen. Und was war mit seiner Familie? Wäre sie überhaupt mit so etwas einverstanden? Nein, Axilla fühlte sich für derlei Probleme eindeutig nicht stark genug.


    Sie wollte nicht darüber nachdenken, sie wollte gar nicht mehr denken. Sie wollte einfach nur nicht, dass er ging. Sie wollte, dass er bei ihr blieb. Sie wollte ihn so unbedingt als Freund behalten, war er doch der einzige, wirkliche Freund, den sie hatte.
    Und sie wollte Trost. Sie wollte nicht mehr diese Leere und Traurigkeit spüren. Sie wollte nicht mehr denken müssen. Sie wollte hören, dass alles gut werden würde, fühlen, dass alles gut werden würde.
    “Ich will nicht mehr nachdenken…“ meinte sie erschöpft und schmiegte sich wieder ein wenig näher an ihn. Sie wollte nur Trost.

    Er tröstete sie, aber irgendwie machte das alles nur noch schlimmer. Axilla musste schluchzen, so dass es ihren ganzen Körper dabei schüttelte, und sie konnte gar nicht aufhören, zu weinen. Natürlich verstand sie seine Gründe, und die Familie musste man schließlich ehren. Aber weil ihr verstand etwas wusste hieß das ja nicht, dass ihr Herz deshalb weniger weh tat. Axilla war nicht so stoisch, wie es tugendhaft gewesen wäre. Sie war Chaos und Gefühl.
    “Ich.. will aber… keinen Mann… ich will dich…“ brachte sie kaum verständlich an Rufus’ Schulter hervor und krallte sich noch ein wenig fester an ihn. Sie fühlte seinen brüderlichen Kuss auf ihrer Stirn und ein aus Verzweiflung geborener Plan kam ihr in den Sinn.
    Sie bewegte sich leicht, so dass sie sich mehr aufrichtete und dabei ihren Oberkörper mehr gegen seinen drängte. Ihr Atem war immer noch zittrig, aber es war deutlich zu hören, dass sie in Gedanken schon woanders war. Mit ihrer Wange, die von ihren Tränen noch ganz nass war, fuhr sie an seiner entlang, bis ihre Nasenspitze sein Ohr erreichte. Noch immer hielt sie sich an ihm fest, aber es hatte deutlich mehr von Anschmiegen als von Festhalten an sich.
    “Bitte bleib bei mir. Ich mach auch, was du willst. Bitte…“
    Und sie schmiegte sich noch ein wenig mehr an ihn, um die Ernsthaftigkeit ihres Angebotes noch zu unterstreichen.

    “Natürlich bin ich gefährlich, meine Aufmachung ist nur Tarnung!“ versuchte Axilla zurückzuscherzen, aber so ganz gelang es ihr auch nicht. Warum wohl gleich acht Legionäre sie verfolgten? Sie war ja schon versucht, einfach Fersengeld zu geben und loszusprinten. So schnell wären die Legionäre nicht, sie dann noch zu erwischen, außer, Tiridates hier würde sie vielleicht festhalten, ehe sie richtig weg war. Aber andererseits hatte sie ja auch wirklich nichts angestellt, also warum wegrennen? Das war sicher nur ein kleiner Denkzettel für den Kommandanten des Schiffes oder sowas. Oder der Soldat nahm die Sache mit dem persönlichen Schutz von vorhin wirklich sehr ernst.


    “Wie, wer ich wirklich bin?“
    Die Frage war doch so verwirrend, dass Axilla von ihrer Betrachtung der ihnen folgenden Legionäre total hochschreckte und den Griechen an ihrer Seite verwirrt anschaute. Wer sollte sie schon sein? Sie war Axilla! Das hatte sie doch aber schon gesagt? Und der Soldat hatte es ja bestätigt?
    “Ich bin nur ich. Iunia Axilla eben. Meine Cousine Urgulania ist Exegetes, mein Cousin Silanus war hier Tribun und ist nun in Germania Präfekt der Ala.“
    Er hatte ihr immer noch nicht geschrieben. Sie hatte diese Sache erst aus der Acta erfahren müssen und war deswegen mehr als nur ein wenig geknickt. Offenbar war er ihr wirklich böse, dass sie ihn nicht hatte begleiten wollen. “Oh, und ich bin Scriba personalis vom Gymnasiarchos. Und mit dem Strategos und dem Agoranomos gut bekannt. Hätt ich fast vergessen.“
    Ja, wenn man sich das alles so ansah, eigentlich kannte sie bis auf den Präfekten so ziemlich jeden in der Stadt recht gut, der etwas zu sagen hatte. Und eigentlich verstand sie sich auch mit allen. Bis auf diese kleine Sache mit Terentius Cyprianus, natürlich. Und dass die Frau des Präfekten sie auch nicht leiden mochte ließ sie besser auch unerwähnt.
    Aber bei dem Wort Agoranomos fiel ihr noch etwas wieder ein. Er sprach von seinem Onkel in der Gegenwart. Wußte er das noch gar nicht? Sollte sie es ihm sagen? Vielleicht besser nicht, sie war nicht gut in sowas, und sie kannten sich ja auch kaum. Er würde das schon noch erfahren, dass Mithridates Castor verstorben war. Das musste nicht jetzt sein.
    “Und das hier ist eine laaaaange Geschichte. Also, eigentlich war es immer ganz friedlich, also bis kurz vor der Regenzeit. Da gab es ein kleines Missverständnis oder so. Also, die Legion hat neue Patroullien eingeführt und hat damit direkt vor einem Tempel angefangen. Das fanden die Griechen allerdings nicht lustig, und dann gab es ein bisschen hin und her mit dem neuen Militärpräfekten einer Legion hier in Nikopolis, weil der und die meisten Pyrtanen sich nicht ganz grün sind und dazu noch der neue Magister Officorum in der Regia den Präfekten besser abschirmt als den Kaiser höchstselbst… Tja, und dann gab es da so ein Manöver im Delta, was wohl auch nicht auf so breiten Zuspruch gestoßen ist, und in Rhakotis… also…“
    Axilla schaute noch mal zurück, mittlerweile waren sie aus Sichtweite des Schiffes und damit auch von Marcus Achilleos. Eigentlich wollte Axilla das ja nicht so erzählen, denn auf eine verdrehte Art und Weise mochte sie ja auch Marcus, aber das gehörte der Vollständigkeit halber nun mal dazu.
    “Also, der Mann mit dem Schwert vorhin, du hast ihn sicher gesehen. Also, das ist Marcus Achilleos, und der hat eine etwas andere philosophische Schule besucht und nun eine Akademie dafür in Rhakotis gemacht. Und die haben da ganz komsiche, strenge Regeln, und das gefällt den Leuten in Rhakotis nicht so. Und die Römer mögen sie da ja auch nicht so, aber Marcus mag sie schon, und deshalb ist er da auch schon angegriffen worden. Also, seine Akademie, er selber weiß ich gar nicht.
    Und naja, vor zwei Wochen dann schließlich ist es richtig in Rhakotis eskaliert. Da war ein römischer Soldat, den sie da getötet haben, das musst du dir mal vorstellen. Und nicht nur das, sie haben… also… seine Leiche… also…
    Auf jeden Fall sind sie dann bis zu den Toren der Basileia gezogen. Ich war da auch, und ich hatte Glück, dass mich die Soldaten dann rein gelassen haben. Den Gymnasiarchos haben sie ausgesperrt, das musst du dir mal vorstellen! Und dabei wohnt er auch in Basileia!
    Aber das wurde dann von der Stadtwache zerschlagen, aber seitdem ist die Stimmung noch so komisch. Ich glaub, das ist noch nicht ganz vorüber. Aber ich versteh gar nicht, warum. Es war ja sonst immer sehr friedlich hier, wie du schon sagtest.“

    “Du... du... du... du.... gehst?“
    Axilla fühlte sich mit einem Mal, während sie seine Worte hörte, ganz leer. Er ging? Wieso? Aber das konnte doch gar nicht sein! Sie liebte ihn doch gar nicht, zumindest nicht so, und sie hatten sich weder geküsst noch miteinander geschlafen! Warum also musste er gehen? Hatten die Götter sie nicht nur verflucht, dass alle Männer, die sie liebte, gingen, sondern auch alle, die sie gern hatte und mochte?
    Axilla zitterte und sah fassungslos zu Rufus hinüber. Gerade eben noch wollte sie ihm klarmachen, dass sie besser nicht heiraten sollten, und jetzt sagte er, er müsse gehen. Und auch noch bald! Wie bald war bald?
    Axilla fühlte sich mit der Situation überfordert. Sie wollte nicht, dass er ging. Sie wollte sich damit auch gar nicht befassen, wollte nicht daran denken und am wenigsten wollte sie, dass es wahr war.
    “Aber du... du bist doch grade erst gekommen und... wir sind doch nur Freunde, ich meine... wir...“
    Ihre Gedanken waren noch ein wenig mehr durcheinander als sonst, denn nicht einmal in ihrem Kopf ergaben sie mehr einen Sinn. Alles schien sich nur zu drehen und zu verschwimmen, bis sie nicht mehr richtig sehen konnte. Es dauerte einen Augenblick, bis sie realisierte, dass sie weinte.
    Jeder Vorsatz, erwachsen zu sein und sich vernünftig zu verhalten, war mit dieser Erkenntnis wie hinweggefegt. Sie wollte nicht,dass er ging, und das war alles, was sie gerade wusste.
    Mit einer blitzschnellen Bewegung war sie von ihrer Kline herunter, den halben Schritt zu der, auf der Rufus saß, und kniete direkt vor ihm, umarmte ihn und barg ihren Kopf an seiner Brust. Sie zitterte, schluchzte und hielt ihn fest. Sie ließ ihn nicht gehen, er durfte nicht gehen. Nicht er auch.
    “Bitte, Rufus. Bitte, ich will nicht... bitte...“
    Sie wollte nicht den einzigen Freund verlieren, den sie hatte.

    Rufus war irgendwie komisch. Redete er denn gar nicht über dasselbe wie sie? Oder wie kam er darauf, sie würden sich falsch verstehen? Vielleicht verstanden sie sich ja wirklich falsch, dann wäre ihre Annahme aber extrem peinlich. Axilla kaute sich auf der Unterlippe herum und überlegte kurz, ob sie es offen ansprechen sollte. Aber was, wenn er das gar nicht gemeint hatte? Noch schlimmer: Was, wenn er sie deswegen auslachte? Nein, vielleicht sollte sie ausnahmsweise mal den Mund halten und nicht vorschnell wilde Vermutungen äußern.
    “Ähm, ich weiß nicht. Wovon redest denn du?“
    Einfach mal die Frage zurückgeben, da konnte sie schon nicht so viel falsch mit machen.

    Axilla schaute ganz verwundert, als der Legionär sie unter seinen persönlichen Schutz stellte. Verlegen schaut sie zu ihm auf und konnte ein ganz kleines, schwärmerisches Lächeln einfach nicht unterdrücken. Es war lange her, dass sie sich von einem Soldaten beschützt gefühlt hatte, und in diesem Moment wollte sie es nur gerne glauben. Auch wenn sie zugeben musste, dass sie nicht einmal den Namen ihres Helden wusste.
    Doch das war auch von recht kurzer Dauer. Der Nauta, der ihr auf die Beine geholfen hatte, machte eine freche Bemerkung – auch wenn sie nicht ganz von der Hand zu weisen war – und ihr Beschützer reagierte säuerlich. Doch der Kommandant ließ sich wohl von beiden nicht sonderlich beeindrucken und schickte sie, persönlichen Schutz hin oder her, einfach weg.
    Das hatte man nun davon, wenn man helfen wollte. Zugegeben, es war eine sehr dämliche Idee gewesen, aber dass sie einfach so wieder weggeschickt wurde, wurmte Axilla schon ein bisschen. Aber auf welcher Grundlage hätte sie da nun streiten sollen? Sie hatte in dieser ganzen Situation eindeutig am wenigsten von allen zu sagen und sollte froh sein, dass sie eigentlich so glimpflich davongekommen war. Ihre unüberlegte Handlung hätte auch ganz schön ins Auge gehen können. Da wie ein Kind einfach weggeschickt zu werden war vielleicht nicht das schlechteste, ehe sie noch so weit involviert sein würde, dass Urgulania noch etwas mitbekam.
    Ohne groß Einspruch einzulegen folgte sie also dem Nauta, wenn auch ein wenig geknickt. Sie warf noch einmal über die Schulter einen Blick zurück zu den Soldaten und dem Schiff, und trottete dann gehorsam hinter Tiridates her.
    “Ich wollte eigentlich noch einkaufen, aber das verschieb ich wohl besser. Hmmm, wenn du mich vielleicht einfach in Sichtweite des Tors zur Basileia begleitest, das sollte dann schon passen. Weiter werden diese… ach, egal. Ab da sollte ich ja sicher sein.“
    Axilla wollte nicht auf den Mob schimpfen, auch wenn es sie geärgert hatte, dass es so eskaliert war. Sie verstand sowieso nicht, wieso es in den letzten Wochen alles so zunahm. Als sie vor einem Jahr hier angekommen war, war alles so friedlich und ruhig gewesen. Sie hatte keine Ahnung, was sich da verändert haben könnte. Für sie war die Welt nach wie vor gleich gewesen, so dass sie die jetzige Gewalt nicht wirklich verstand.
    Sie lief noch ein paar Schritte, als ihr etwas anderes einfiel. Irgendwie kam sein Name ihr bekannt vor. Sie überlegte ein Weilchen und grübelte, ehe sie einfach fragte, was ihr in den Sinn kam.
    “Bist du mit dem ehemaligen Agoranomos verwandt?“
    Der hatte doch auch so ähnlich geheißen, wenn sie sich recht erinnerte.

    Ein Mann trat zu ihr, kaum dass sie hingefallen war, und in der ersten Schrecksekunde ballte Axilla die Hand zur Faust, um sich zu verteidigen. Allerdings kam nicht der erwartete Angriff, sondern ihr wurde nur eine durchaus freundlich wirkende Hand mit einem ebenso freundlichen Kommentar entgegengestreckt. Kurz zögerte Axilla, immerhin war sie gerade das erste Mal in ihrem Leben so grob weggeschubbst worden, und griff dann nach der Hand. Sie ließ sich von dem Mann hochziehen und klopfte sich erst einmal ab, als sie stand. Schlimmere Blessuren würde sie wohl nicht davontragen. Was am schlimmsten verletzt war, war wohl ihr Stolz.
    Die Soldaten der Classis drängten die verbliebenen Angreifer am Schiff zurück, und auch sonst schien das kurze Auflodern der Gewalt nun vorüber. Auch wenn die Leute wütend waren, so dumm, sich in offener Schlacht mit den Legionen anzulegen waren sie wohl doch nicht.
    “Du hast wohl recht, das ist kein passender Ort. Ich hab mal wieder nicht nachgedacht, als ich euch helfen wollte. Tut mir leid…“, plapperte Axilla etwas geknickt auf Koine, war sie doch auch in dieser Sprache angesprochen worden. Nach nun fast einem Jahr Ägypten dachte sie über ihren fliegenden Sprachenwechsel nicht einmal mehr nach und antwortete ohne darüber nachzudenken in der Sprache, in der sie angesprochen wurde – zumindest, sofern das Latein, Koine oder Ionisch war.
    Sie wollte gerade dazu ansetzen, zu erklären, was hier seit Tagen in Alexandria los war, als der Kommandant plötzlich den Mann neben ihr und sie ansprach. Oder besser, ihr ein paar Sachen unterstellte, die so gar nicht stimmten!
    “Also, zum einen bin ich keine Peregrina, sondern Römerin. Und zum anderen wollte ich euch nur helfen“, maulte sie ein bisschen wehleidig, - diesmal in ihrer Muttersprache - ehe sich ihr Verstand wieder einschaltete und sie erkannte, dass es wohl angesichts der Sitten im Allgemeinen und dieser Situation gerade im Besonderen nicht wirklich klug war, ein Mitglied der Classis anzumaulen, nur weil der eigene Stolz gerade einen kleinen Knick erhalten hatte.
    “Tut mir leid. Das sollte jetzt nicht so klingen, ich meine… Ich bin Iunia Axilla.“ Vielleicht war eine neutrale Vorstellung ein geeigneterer Anfang für einen Wortwechsel.

    “Aber, ich meine… du hast es deiner Familie doch nicht erzählt, oder? Ich meine, das wissen doch nur wir beide, das muss doch gar niemand wissen? Meine Familie weiß ja auch nichts, und es war ja auch gar nichts.“
    Es war ja wirklich nichts passiert. Oder dachte er, dass er sie damit schon der Unehre preisgegeben hatte oder so etwas? Sie hatten ja nichts gemacht, sie waren nur nass gewesen und voller Schlamm, aber sie hatten sich ja noch nichtmal richtig berührt der geküsst! Wieso meinte er da, er musste sie heiraten?
    Sie sah noch mal fragend zu ihm. Wollte er sie etwa so sehr, dass er das als einzigen Weg sah? Liebte er sie vielleicht sogar, oder war das nur begehren?
    “Solange niemand etwas weiß, muss man da doch nicht gleich… ich meine, wir haben ja auch gar nicht, aber selbst wenn wir hätten… Ich meine… ist es denn wirklich das, was du willst, oder willst du eigentlich nur… na du weißt schon?“

    Oweia, dachte er also wirklich daran, dass sie auch… Axilla zog die Knie noch ein wenig weiter heran. Was sagte sie ihm jetzt nur?
    “Ähm, weißt du, also… ich meine, das muss ja nicht sein. Also, ich meine, es ist ja nichts passiert, und… ähm… willst du denn nicht, dass wir nur Freunde sind?“
    Ehe und Freundschaft schloss sich zwar nicht aus, aber das hier war sehr kompliziert und das eine konnte hier das andere kaputtmachen. Axilla wollte Rufus nicht so auf den Kopf zu sagen, dass sie ihn eigentlich nicht heiraten wollte, weil sie ja auch gar nicht in ihn richtig verliebt war und für eine Vernunftehe ihre Familien wohl zu wenig miteinander zu tun hatten. Aber sie konnte ja auch kaum sagen, dass das, was er begehrte, auch ohne Ehe möglich war, dann würde er sie für unehrenhaft halten.
    Verdammt, Axilla hasste komplizierte Situationen!

    Ein bisschen zornig war Axilla schon über Rufus’ Antwort. Natürlich konnte man das auch so sehen, aber deshalb war das noch lange nicht ehrenhaft. Das war, als würde man sagen, dass jedes Mittel ehrenhaft war, solange es zum Ziel führte. Irgendwie widersprach das Axillas Moral doch ein wenig. Ihr war nicht jedes Mittel zum Zweck recht.
    Und dass die Trojaner sich verschanzt hatten war ja ganz logisch für sie. Eine Stadt einzunehmen verbrauchte zehnmal so viele Ressourcen wie eine Stadt zu halten. Hätten sich die Trojaner in offener Feldschlacht gestellt, hätten sie viel höhere Verluste erlitten. Was war denn dann mit deren Frauen und Kindern?


    Doch ehe Axilla noch wirklich Luft geholt hatte, um dagegen zu argumentieren, kam Rufus mit dem eigentlichen Thema heraus. Axilla hielt also gespannt den Atem an, um zu hören, was denn los war, und stieß ihn dann ganz langsam. Die Nachrichten waren wirklich sehr gemischt, und Axilla wusste nicht, worauf Rufus hinaus wollte. Vor allem, da er das mit dem Heiraten so zum Schluss gesagt hatte. Trug er sich mit dem Gedanken, sie auch zu heiraten, wenn seine verwandten gerade alle heirateten, weil er das als einzig ehrbare Lösung der Vorfalls im Schlamm ansah?
    Axillas Augen weiteten sich kurz und sie zog schützend die Beine hoch auf die Kline, um die Knie zum umarmen und den Kopf darauf zu legen. Wenn sie recht hatte, war das wirklcih eine verdammt schwierige Situation, und axilla hatte keine ahnung, wie sie da wieder rauskommen sollte.
    “Ähm, ja, das sind doch sehr schöne Neuigkeiten. Also, außer das mit deiner Cousine, natürlich.“

    Keiner hörte sie. Nicht wirklich. Axilla sah auf, aber der Mob war wohl außer sich. Spätestens, als die Legion anrückte und Marcus Achilleos sein Schwert gezogen hatte, war es ganz vorbei. Da würde ein einzelnes, junges Mädchen ganz sicher nichts dran ausrichten können. Was sollte sie schon auch machen? Wenn die Meute nicht einmal mehr reagierte, wenn es – nungut, angeblich, aber dennoch – brannte, und stattdessen lieber selber Feuer legte, was sollte sie dann jetzt noch sagen, dass man sie überhaupt bemerkte? In diesem Chaos, wohlgemerkt? „Chaire, ich bin der Gnorimos vom Gymnasiarchos, vertragt euch bitte?“ Wohl eher nicht.
    Außerdem hatte Axilla nun auch schon die Erfahrung gemacht, dass die Legion absolut nicht bereit war, zu verhandeln oder deeskalierend einzuwirken. Nachdem Axilla gehört hatte, was deren Kommandant, Terentius Cyprianus, ihrer Cousine angedroht hatte, hatte sie auch nichts anderes erwartet. Wenn es dazu überging, dass Römerinnen mit dem Kreuz gedroht wurde, dann war das Chaos wirklich da und die Ordnung verdrängt.
    Seltsam, eigentlich hätte man meinen mögen, dass so ein chaotischer Geist wie der ihre sich dann besser zurechtfinden würde. Aber irgendwie fühlte sie sich, als wäre das Gegenteil der Fall.
    Irgendwie fühlte sie jetzt schon, dass das hier noch ein weiteres Nachspiel nach sich ziehen würde. In Rhakotis brodelte es, und das war nun auf den Fremdenmarkt wohl in ersten Ausläufen übergeschwappt. Und diese Männer hier, allesamt, hatten wohl ihren Spaß daran, denn keiner schien auch nur ansatzweise verhandeln zu wollen. Alle wollten sie nur ihre eigene Stärke und Entschlossenheit demonstrieren.
    Nicht, dass Axilla plötzlich zur Christianerin geworden wäre und diese seltsame Lehre des Passivseins begreifen könnte, aber was hier im Moment geschah würde nichts fruchtbares hervorbringen. Das hier war Chaos. Das nützte niemandem und würde auch nie jemandem von Nutzen sein.
    Axilla sah zu den Männern auf der Planke, die die wenigen aus dem Mob, die dort geblieben waren und sich nicht den Legionären gestellt hatten, zurückdrängten. Allerdings war das ohne Waffen nicht so einfach, die hatten nach wie vor die Männer, die die Matrosen vorhin niedergerungen hatten.
    Sie atmete einmal tief durch und stapfte dann einfach los. Sie hatte keine Ahnung, ob sie überhaupt etwas tun konnte, aber wie so oft dachte sie da gar nicht darüber nach. Sie wusste, dass sie etwas tun wollte, dass sie helfen wollte, über das wie und die Erfolgsaussichten machte sie sich eher weniger Gedanken.
    Zum Schiff durchzukommen war relativ einfach sogar. Die meisten Menschen versteckten sich oder liefen gar weg, die Händler verteidigten ihre Stände, so gut es ihnen möglich war. Sie hingegen war nur ein Mädchen in Tunika, und ohne Palla und mit von der Sonne Ägyptens geküsster Haut sah sie nicht mehr so urrömisch aus wie Neuankömmlinge oder gar Legionäre. Das war fast wie unsichtbar zu sein. Zumindest in diesem Tumult achtete eigentlich niemand auf sie, bis sie wirklich beim Schiff war.
    Ein Mann machte sich gerade daran, die Planke hochzugehen, und Axilla griff ihn beim Arm.
    “Bitte, tu’s nicht. Geht doch einfach wieder heim, bevor es noch Tote gibt.“
    Etwas besseres fiel ihr einfach nicht ein, und sie hoffte, der Mann sprach überhaupt griechisch. Doch war der Plan sehr Fehlerhaft, und anstatt auf sie zu hören – was ja auch einem Wunder gleichgekommen wäre – befreite er herrisch seinen Arm und stieß Axilla so heftig von sich, dass sie rückwärts gegen einen Stapel Taue fiel.

    Ah, also wollte er wohl wirklich darüber reden! Er hatte doch hoffentlich nicht noch immer die Idee, dass sie einfach mit ihm mitgehen sollte? Als sie nur Freunde waren, war das eine gewagte Idee. Aber jetzt, wo eigentlich klar war, dass sie auch durchaus mehr füreinander sein könnten, war die Idee undenkbar. Wenn sie mit ihm ging, auf diese wirklich lange Reise, und sie dabei so eng beieinander waren – das hätte doch niemals gut gehen können. Niemals.
    Axilla versuchte also krampfhaft, das Thema beim Buch zu halten, bevor Rufus noch so etwas sagte und sie damit gezwungen war, ihm da eine negative Antwort zu geben. Immerhin konnte sie nicht einfach als seine Geliebte da mit ihm durchs halbe Imperium reisen, dann würde sie ja nie einen angemessenen Mann mehr finden. Abgesehen davon, dass Urgulania dann sowieso höchstselbst erwürgen würde.
    “Naja, ich finde, Agamemmnon ist nur machtgierig, und es ist gerecht, dass Klytaimnestra ihn dann umgebracht hat, als er mit Kassandra wieder heim gekommen ist. Wobei es auch gerecht war, dass Elektra dann sie und ihren Liebhaber als Rache für den Vater umgebracht hat. Aber das ist ja eine ganz andere Geschichte, das steht ja gar nicht mehr in der Ilias.
    Aber ich mag Odysseus und seine List auch nicht. Das war sehr unehrenhaft, wie sie die Stadt eingenommen haben. Ein Mann von Ehre würde sich zu sowas nicht herablassen und Schlafende so abstechen. Das hat nichts mit militärischer Taktik mehr zu tun, finde ich.“

    Verdammt! Wie hatten die denn das geschafft? Axilla stockte in ihrem schritt, als plötzlich die Soldaten zu Boden gingen und sie sah, wie der Mob sich daran machte, deren Waffen gegen sie einzusetzen. Sie sah noch einen Mann über die Planke hetzen, der den am Boden befindlichen wohl helfen wollte, aber was konnte er allein schon machen?
    Was konnte sie allein machen, um das aufzuhalten? Sie konnte doch nicht zulassen, dass diese Römer da noch umgebracht wurden wie der römische Offizier, wegen dem das Ganze vor Basileia überhaupt stattgefunden hatte?! Wenn ein toter Römer beinahe in einem Bürgerkrieg endete, was würde dann passieren, wenn eine ganze Schiffsmannschaft überwältigt wurde? Axilla wollte hier keine Kämpfe, sie wollte doch, dass alles friedlich war und sie bei Nikolaos arbeiten konnte, ohne ständig von Leibwächtern umzingelt zu werden.
    Axilla zögerte noch eine Sekunde, und machte dann das erstbeste, was ihr einfiel.


    “Es brennt! Feuer! Hilfe! Feuer! Es brennt!“


    Sie schrie auf Koine das erstbeste, von dem sie glaubte, es würde den Mob aufhalten. Vor Feuer hatten alle Angst. Das war eine Gefahr, die größer war als die Römer, denn Feuer nahm einem wirklich alles weg und mit dem konnte man nicht verhandeln, wenn es ausgebrochen war.

    Irgendwie schien Rufus sehr nervös zu sein, und Axilla glaubte nicht, dass er wirklich mit ihr über das Buch reden wollte. Aber als andere Möglichkeit fiel ihr nur ein, dass er noch einmal mit ihr über die Situation im Schlamm reden wollte. Das allerdings wollte sie tunlichst vermeiden, also vermied sie es, in diese Richtung auch nur zu denken und ging stattdessen voll auf das Buchthema ein.
    “Oh, noch nicht so weit, noch fast am Anfang. Ist noch nichtmal Patroklos tot.
    Ich mag ja am liebsten Hektor. Ich sollte ja eigentlich sagen, Aeneas, immerhin war er Stammvater der Römer und Sohn der Venus, aber… ich mag Hektor lieber. Der ist so gut und aufrecht und edel, und ein toller Soldat und treuer Sohn. Auch wenn er dann von Achilles erschlagen wird und dass er Patroklos erschlagen hat nicht so gut war. Aber… den mag ich trotzdem am liebsten.“

    Axilla setzte sich auf die Cline Rufus schräg gegenüber und begann ihrerseits auch nervös mit den Händen zu spielen. Er war ja sicher nicht gekommen, um mit ihr über Literatur zu sprechen, aber sie hoffte, er sagte jetzt nichts Dummes wegen der Sache im Schlamm.

    Axilla war eher zufällig am Hafen. Nachdem sie ihre Tunika an ihrem Geburtstag wirklich nach allen Regeln der Kunst ruiniert hatte, brauchte sie eine Neue. Und möglichst eine, die genau so aussah wie ihre Alte, damit keiner was merkte und sie nicht nachträglich noch erwischt wurde. Bei Urgulanias Schneiderei selber konnte sie daher wohl schlecht einkaufen, aber am Xenai Agorai gab es ja jede Menge Händler, unter anderem auch für römische Tuniken.


    Axilla schlenderte also – entgegen der von Urgulania erbetenen Vorsicht aufgrund der Notwendigkeit der Geheimhaltung alleine – über die Hafenanlagen auf dem Weg zum Fremdenmarkt, als sie ein neues Schiff einlaufen sah. Sie blieb kurz stehen und schaute zu, wie es vertäut wurde und wie die Planke ausgelegt wurde und wie angefangen wurde, es neu zu beladen. Es war ein römisches Schiff, bemerkte sie.
    Aber offenbar hatten das auch andere bemerkt. In der Nähe hörte sie einen Betrunkenen, der auf schlechtem Koine herumkrakeelte. Die Umstehenden murrten erst nur, doch sehr schnell kippte die Stimmung und sogar Steine flogen durch die Luft! Axilla stand einen Moment einfach nur da und glotzte ungläubig. Nicht schon wieder! Reichte das bei der Basileia denn nicht?
    Doch der römische Offizier – Axilla nahm einfach an, es war einer – reagierte auf typisch römische Weise auf den Mob: Er sammelte seine Männer und rückte vor, um seine Stellung zu sichern. Sie kniff kurz die Augen zu, sie wollte da gar nicht hinsehen. Das konnte doch nur in einer Katastrophe enden.
    “Urgulania wird mich umbringen…“, murmelte sie, als sie die Augen öffnete und zu den römischen Soldaten schaute. Sie wollte nicht, dass es schon wieder so ausuferte, am Ende würde Nikolaos noch mal verletzt werden. Auch wenn der Gymnasiarchos momentan nichtmal in Sicht war. Und auf jeden Fall würden die Griechen und Ägypter und die ganzen anderen Menschen in dem Mob verletzt werden. Da hatte sie wenig Zweifel, dass die römische Flotte, auch wenn es weniger Männer waren, weit überlegen waren.
    Sie löste sich von ihrem Fleck und ging näher zu den beiden Streitparteien. Vielleicht konnte sie ja noch was machen? Auch wenn sie keine Ahnung hatte, was sie genau machen könnte, um eine Eskalation zu verhindern.
    Die Möglichkeit, dass sie dabei selbst in Gefahr schweben könnte, kam ihr mal wieder überhaupt nicht in den Sinn.