Beiträge von Iunia Axilla

    Ab heute Mittag bin ich auf einem klitzekleinen Kurztripp auf Norderney, folglich nicht da. Ich komm irgendwann Freitag Nachmittag/Abend wieder heim, und je nachdem, wie platt ich bin, schau ich dann auch hier weder rein oder eben erst Samstag ;)

    Axilla stand noch so da, die grüne Palla passend zu ihrer grünen, langen Tunika über dem Haar, inzwischen statt auf der Unterlippe auf dem Zeigefinger ihrer linken Hand leicht kauend, als ein junger Mann vorbeikam und sie ansprach. Sie erschreckte regelrecht, als sie erkannte, dass es Nikolaos ist und schaute ihn mit großen Augen an, wie er sie so anlächelte und musste selber ein wenig lachen.
    “Ich hab dich ja gar nicht erkannt. Du.. siehst… anders aus.“ Sogar so, dass er Axilla beinahe schon gefiel. Mit der vielen Schminke fand sie ihn doch eher lustig als irgendwie anziehend, aber so sah er in ihren Augen schon eher nach jemandem aus, für den Mädchen auch mal schwärmen konnten. Allerdings hatte sie bei Männern auch bislang nicht den besten Geschmack bewiesen, wie sie sich selber eingestand.
    Von der Betrachtung seiner Person kurz gefangen, brauchte sie einen Moment, ehe sie mit einem “Hmm?“ erstmal fragend schaute und dann verstand.
    “Oh, ähm, ich weiß nicht recht. Es gibt so vieles, und ich will dir ja auch kein Thema aufzwängen.“
    Eine kleine Notlüge, aber eine nette. Dass sie ihn im Gegenzug zwingen würde, sich ein Thema auszusuchen, war Axilla dabei bewusst, und ein klein wenig fühlte sie sich auch schuldig. So sehr, dass sie nun doch einen Versuch machte und das erste ansprach, was ihr in den Sinn kam.
    “Meintest du das vorhin eigentlich ernst mit dem Reden? Also, ich meine, sollte sowas nicht eher ein Junge lernen?“

    “Ach, das macht doch nichts. Braucht ja nicht jedes Ding immer einen Namen zu haben, den man kennt. Das Unbekannte ist doch viel spannender“, plapperte Axilla fröhlich daher, ehe ihr auffiel, dass das wohl wieder unter die Kategorie „Dinge, bei denen ich erst nachdenken sollte, ehe ich sie ausspreche“ fiel. Sie lächelte etwas verlegen und fügte noch schnell an: “Also, wenn man es nicht wissenschaftlich betrachtet, sondern nur zur Zerstreuung.“
    Naja, ein schlechter Rettungsversuch, aber besser als gar keiner.


    Zum Glück kam Nikolaos gleich auf die Garderobe und den Treffpunkt zu sprechen, und Axilla nickte eifrig und voller Vorfreude.
    “Ja, werd ich gleich anziehen. Wobei mich glaube ich trotzdem jeder erkennen wird.“ sie grinste etwas schief. So viele junge Römerinnen gab es in Alexandria nicht, und auch, wenn sie mit ihrer braungebrannten Haut und ihrer lockeren Art sich dem Leben hier doch schon sehr angeglichen hatte, war doch zumindest auf den zweiten Blick zu erkennen, was sie war.
    Axilla drehte sich also flink um, damit der Gymnasiarchos sich umziehen konnte, und suchte draußen ihre Palla, um sie sich über das Haupt zu legen. So angezogen ging sie auch gleich hinaus in den Portikus, um dort auf Nikolaos zu warten.

    Die ganze Zeit über überlegte Axilla schon, worüber sie sich mit Nikolaos unterhalten könnte. Er war so gebildet und wortgewandt, da kam sie sich richtig dumm und klein und unwichtig daneben vor. Sie wollte mit ihm ja auch nicht über belanglosen Unsinn reden, aber worüber sonst?
    Die Geschehnisse der letzten Wochen schieden wohl aus. Das war kein Thema für einen einfachen Spaziergang, und sie wusste nicht, ob Nikolaos so etwas wichtiges mit jemandem wie ihr überhaupt besprechen wollte.
    Desgleichen schied wohl jedes zu persönliche Gespräch aus. Sie wollte ihm ja nicht auf die Nase binden, wie ihr Gefühlsleben aussah. Da sie darüber ohnehin mit niemandem eigentlich redete, bot sich da ihr Arbeitgeber noch am allerwenigsten an. Und was hätte sie ihm schon erzählen sollen? Dass sie den Liebeskummer zu Silanus nun endlich überwunden hatte, Rufus vermisste, aber nur als Freund und ihr Körper sich nach einem Mann zwar sehnte, sie sich aber nicht traute, zu Timos zu gehen, um dieses Bedürfnis zu stillen, aus Angst, er könne sie abweisen? Wohl eher nicht. Und ihre Sorgen bezüglich einer angemessenen Heirat waren erst recht nicht für leichte Konversation geeignet.
    Also, was dann? Dichter? Sie kannte hauptsächlich Liebesgedichte, aber ob die so gut geeignet waren, um über sie zu reden? Also auch nein.
    Götter? Ihr Lieblingsgott war Faunus. Eigentlich der einzige, an dessen Kraft sie noch immer glaubte. Alle anderen Götter nahmen zwar Opfer willig an, aber taten im Gegenzug nichts. Sie hatte in ihrem Leben viel geopfert, dennoch waren ihre Eltern tot. Hatte es also etwas gebracht? Wohl eher nicht. Nur Faunus versprach nichts, musste folglich auch nichts halten. Da genoss sie einfach nur seine Natur. Allerdings waren weder ihre Ansichten zu den einen Göttern noch ihr Hang zu dem doch recht freizügigen und ausgelassenen Herrn der Wälder, wilden Tiere und Nymphen besonders vorteilhaft. Also auch eher nein.
    Axilla überlegte noch einmal zusammenfassend. Keine Politik, keine Familie, keine Religion, keine Literatur. Blieb ja eigentlich nur noch das Wetter übrig…


    Missmutig kaute sie auf ihrer Unterlippe herum und zermarterte sich ihren Kopf auf der Suche nach einem Gesprächsthema, während sie auf Nikolaos wartete

    Ihr war heiß. Nein, ihr war kalt. Ihr war schlecht und sie hatte Durst. Ihr Kopf dröhnte so sehr und jedes Licht blendete. Axilla hatte die Augen geschlossen und gab sich der Elegie ihrer Gedanken einfach hin. Doch man ließ sie nicht einfach ausruhen.
    Etwas berührte sie, so kalt, und sie zuckte zusammen und stöhnte leise auf. Aber es ging nicht weg. Sie hob kraftlos den Arm, um dieses lästige Ding zu verscheuchen, aber es wurde aufdringlicher und berührte sie an der Wange wie kalte Nadeln auf ihrer Haut. Sie öffnete die Augen. Ihre Pupillen waren erweitert, und so sah sie nur gleißend helles Licht und davor dunkle Gestalten. Ein besonders großer Schatten beugte sich über sie und sprach sie an, aber sie verstand ihn nicht richtig. Seine Worte hallten in ihrem Kopf und ergaben wenig Sinn. Ihr war, als müsse sie diesen Dämon kennen, aber es wollte ihr nicht einfallen.
    Statt einer vernünftigen Antwort bekam Anthi ein erschöpftes Stöhnen, gefolgt von einem Hustenanfall, bei dem Axillas Körper heftig zusammenzuckte. Ihre kleinen, glühend heißen Hände versuchten seine von ihrem Gesicht zu schieben, aber die Koordination passte nicht ganz, so dass sie eher kraftlos in der Luft herumfischte, ohne ihn auch nur ansatzweise wirklich zu greifen.


    Während die meisten Sklaven losgegangen waren, um die Anweisungen des Arztes zu befolgen und alles zu organisieren, war Leander dageblieben und wandte sich nun leise an Ánthimos.
    “Herr? Die Herrin kam noch nicht wirklich zu sich heute. Vorhin war sie kurz wach und hat ein wenig geredet, aber es ergab keinen Sinn. Etwas von Centauren und dass wir nicht gehen sollten. Und vor Licht schreckt sie zurück.“
    Leander schaute kurz über die Schulter, um sich zu vergewissern, dass niemand mithörte. Als Arzt musste Anthimos wissen, was Axilla gemacht hatte, aber Leander wollte nicht, dass andere mitbekamen, was seine Herrin ihm so alles anvertraute.
    “Vor drei Tagen war sie auf einem Ausritt. Sie ist in den Regen gekommen und war sehr nass und schlammig, als sie heimgekommen ist. Und an der Schulter hat sie einen Kratzer, der sich aber meiner Meinung nach nicht entzündet hat. Sie wird doch wieder gesund, Herr?“


    Die anderen Sklaven kamen mit dem Wasser und den Lappen wieder, und Leander verstummte und trat still wieder auf seinen Platz, um die anderen Sklaven im Zimmer anzuweisen, dem Iatros behilflich zu sein.

    Im ersten Moment ließ Axilla etwas resignierend den Kopf hängen, als Nikolaos meinte, sie könnte auch heim gehen. Doch dann überraschte sie der Grieche so sehr, dass sie richtig mit dem Kopf hochruckte und einen Moment völlig sprachlos dastand.
    “Du… willst wirklich… mir etwas beibringen?“
    Der letzte Grieche, der ihr etwas beigebracht hatte, war ihr Hauslehrer Iason gewesen, und das schien Axilla mittlerweile aus einem anderen Leben zu stammen. Und der hatte mehr als einmal die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen und gemeint, sie würde nicht nur so gerne klettern wie ein Eichhörnchen, sondern hätte von den Göttern in ihrer Weisheit auch gleich noch den Verstand dazu mitbekommen.


    Erst nach einer weiteren Sekunde fiel Axilla all das auf, was Nikolaos an Möglichkeiten genannt hatte. Das war ja eine ganze Hülle an Dingen, die sie machen konnten. Und das wollte er alles machen? Für sie? Axilla wusste gar nicht so recht, ob sie sich freuen sollte, sich geschmeichelt fühlen sollte oder doch weiterhin einfach nur erstaunt und erschreckt sein sollte. Vor allem, als er den Fremdenmarkt erwähnte, wurde sie auch ein bisschen kleiner. Wusste er das eigentlich schon, was da mit dem Schiff gewesen war und dass sie da auch anwesend gewesen war? Sie fragte besser nicht danach, denn sonst wüsste er es mit Sicherheit. Nur aber dann von ihr.
    Lieber gleich auf das andere eingehen, ehe er es sich doch noch anders überlegte. Und Axilla würde wirklich alles gerne machen von dem, was er vorgeschlagen hatte. Jetzt musste sie sich nur schnell entscheiden, was ihr da wirklich nicht leicht fiel.
    “Also, ich würde alles gerne machen. Ich liebe das Paneion, das ist wirklich wunderschön da. Faunus gefällt das sicher, und die vielen Tiere. Ich war schon lange nicht mehr da, bestimmt haben die schon wieder ganz neue Tiere.
    Oh, aber ich wusste noch gar nicht, dass es das auch im Museion gibt. Da war ich noch nie. Das wäre dann ganz neu.
    Aber das mit den Dichtern klingt auch verlockend. Ich mag ja sehr gerne Gedichte. Aber… ähm…“
    Sallust und Catull waren vielleicht nicht so ein gutes Gesprächsthema, stellte sie dabei gerade fest, vielleicht sollte es doch ein anderes Thema sein “… ähm, griechische kenn ich jetzt gar nicht so“
    Puh, das war doch gar nicht so schlecht gerettet. Allerdings fehlte immer noch eine Entscheidung, was sie machen wollte.
    “Hmmm, wir könnten ja zum Museion spazieren und da den Hain anschauen. Da war ich noch nie. Und uns dabei unterhalten. Aber in Geschichte kenn ich mich nicht gut aus. Höchstens die von Alexander und so ein paar Feldzüge sowas. Da ist etwas anderes vielleicht dann besser, oder?“
    Sie wollte ihn ja nicht damit ärgern, wenn sie hinterher alles durcheinanderbrachte. Iason hatte das immer furchtbar geärgert, weil er dann dachte, sie würde nicht zuhören. Was aber so nicht ganz stimmte, die uninteressanten Dinge konnte sie sich nur nicht gut merken. Aber zugehört hatte sie immer sehr genau.
    Das mit der Redekunst griff Axilla nicht auf. Sie wusste nicht, ob er das ernst gemeint hatte, und traute sich da nicht so recht, ihn danach zu fragen. Immerhin war das auch wieder so eine Sache, die Mädchen nicht unbedingt lernen sollten, sondern eher Männern vorbehalten war, die auch einmal in die Politik gehen wollten. Auch wenn es sie wohl interessiert hätte. Vielleicht würden dann ja mal die wirren Gedanken in ihrem Kopf anfangen, weniger chaotisch herumzukreisen, ehe sie aus ihrem Mund herauspurzelten.

    Müßig drehte Axilla die Feder in ihren Fingern, ließ die Spitze schnell rotieren, während der angespitzte Kiel auf dem leeren Pergament vor ihr herumkratzte. Immer wieder pustete sie langsam gegen Fahne, so dass sich das Schreibutensil ein wenig mehr beim drehen verbog. Es war interessant, mit anzuschauen, wie die Spitze vor den Augen verschwamm, wenn man sie schnell genug nur drehte.


    Nein, war es eigentlich nicht. Aber Axilla war langweilig. L-A-N-G-W-E-I-L-I-G. Es gab absolute nichts zu tun. So wirklich auch gar nichts. Die Listen waren alle, aber auch wirklich alle, alle aktuell. Briefe gab es grade auch keine, nicht mal Notizen. Und die anderen, die hier arbeiten, verrichteten stumm und zufrieden die Arbeiten, die sie hatten. Keiner brauchte auch nur ansatzweise so etwas wie Axillas Hilfe.
    Rufus war bestimmt schon in Germania wieder angekommen, seine Abreise lag nun schon ein paar Wochen zurück. Sie sollte ihm schrieben, aber sie wusste nicht so genau, was sie schreiben sollte. Überhaupt war es schwer, mit dieser Langeweile einen klaren Gedanken wirklich zu fassen.
    Axilla stützte ihr Kinn in ihre Hand und überlegte, was sie machen könnte. Den Brief konnte sie schreiben, aber danach? Sie hatte einfach keine Ahnung, was sie machen konnte, um sich längerfristig ein wenig zu beschäftigen. Seitdem ihr Leander auf Schritt und Tritt folgte, weil sie es Urgulania versprochen hatte, fühlte sie sich dazu verpflichtet, auf ihren Sklaven auch etwas Rücksicht zu nehmen und kein Risiko einzugehen. Ihre Erkundungstouren durch die Stadt lagen wegen der momentanen Lage auch komplett auf Eis, und in Basileia war es noch langweiliger als überall anders in der Stadt.


    Sie atmete noch einmal tief und lustlos aus und betrachtete die Feder. Das machte irgendwie auch keinen Spaß mehr. Also legte Axilla sie weg. Irgendwas musste es doch geben? Hoffnungsvoll sah sie zu den anderen Schreiberlingen, aber die waren alle in ihre Listen vertieft. Keiner machte auch nur einen Mucks.
    Offenbar war hier keine Hilfe zu erwarten. Toll.


    Ein wenig kaute Axilla auf ihrer Unterlippe herum. Sollte sie Nikolaos einfach überfallen und ihn fragen, ob er etwas zu tun für sie hatte? Das wäre zumindest mal ein Anfang, wenn auch nur für heute. Aber immer noch besser, als gar nichts zu machen.
    Elegant erhob sich also die Iunierin von ihrem Sitzplatz, schaute noch einmal erwartungsvoll zu den Schreiberlingen – die aber völlig erwartungslos immer noch auf ihre Listen schauten – und wandte sich dann der Tür zu, hinter der Nikolaos saß.
    Ihr Anklopfen war mehr eine höfliche Geste, denn sie wartete gar nicht auf das Herein, sondern kam direkt danach durch die Tür, die sie hinter sich sofort wieder zuzog und lächelte Nikolaos an. So machte sie es eigentlich immer, sie wartete nur ganz selten auf sein „herein“.
    “Nikolaos? Hast du noch etwas, was ich machen könnte?“
    Die Hoffnung, die in ihren Worten mitschwang, war kaum zu überhören. Alles war besser als Langeweile.

    Levi, ein judäischstämmiger Sklave des iunischen Hausstandes, kam recht atemlos am Museion und am Haus der Ärzte an. Hilfesuchend schaute er sich um. Hier war er noch nie gewesen, und warum Leander ausgerechnet ihn hierher geschickt hatte, war ihm ein Rätsel. Aber der zwanzigjährige war durch die Straßen gesprintet – gerade so, um nicht von einer Wache angehalten zu werden, aber in den Nebenstraßen dafür umso schneller – bis er schließlich hier angekommen war.
    “Chaiiiireeee? Ist jemand da? Meine Herrin ist krank. Jemand muss mitkommen. Bitte, schnell. Meine Herrin ist wirklich sehr krank.“
    Na, hoffentlich hörte ihn einer der Halbgötter in weiß hier. So wie seine Herrin fieberte, brauchte sie wirklich schnell Hilfe.

    Leander stand im Zimmer, um ihn herum ein paar Sklaven, die neugierig auch nach der jungen Herrin sahen. Alle sahen, dass sie krank war, aber was sollte man jetzt genau machen? Urgulania war außer Haus. Durften sie einfach entscheiden und den Arzt holen? Keiner wollte derjenige sein, der schuld war, wenn es falsch wäre.


    Schließlich übernahm der Grieche die unliebsame Aufgabe des Verantwortlichen und schickte zwei Sklaven los. Einen ans Museion, um einen Arzt zu suchen, der herkommen würde, und einer, um Urgulania zu informieren, dass Axilla krank war.

    Zuerst war es nur ein kleines Unwohlsein gewesen. Nichts wildes, ein kleines Ziehen im Rücken, ein wenig Kopfschmerz, nichts wildes. In der Trauer über Rufus’ Abreise war es ganz untergegangen. Am nächsten Tag war es völlige Appetitlosigkeit gewesen, aber die hatte Axilla ja öfter. Und da sie gewusst hatte, dass Rufus am nächsten tag wohl für immer aus ihrer Welt verschwinden würde und sie ihn wohl nie mehr wiedersehen würde, hatte sich die junge Römerin auch nicht weiter um die Zeichen ihres Körpers gekümmert.


    Jetzt in der dritten Nacht wälzte sich Axilla in ihrem Bett herum. Ihr Kopf fühlte sich leicht und schwer zugleich an, und sie hatte Schweiß überall am Körper. Deckte sie sich auf, war ihr entsetzlich kalt, aber kaum deckte sie sich zu, war ihr unerträglich warm. Und ihr Kopf dröhnte leicht und beständig.
    Immer wieder verfiel Axilla ins Träumen. Wirre Bilder blitzten vor ihr auf, immer wieder verworren mit Erinnerungsfetzen.
    Sie war ein Kind auf ihrem Baum in Tarraco und sah ihrem Vater beim Satteln seines Pferdes zu. Sie war eine Nymphe im Wald und sah dem Centauren zu, wie er herumtollte. Sie saß mit Rufus an ihrem Geburtstag auf dem Pferd und hielt sich dabei an ihm fest. Der Centaure lud sie ein, mit ihm zu reiten, und sie hielt sich ängstlich an ihrem Baum fest. Regen, Schlamm, ein Krokodil aus dem Fluss, dunkler Waldboden, lichtes Herbstlaub, sterbende Äste, eine Umarmung, der tiefe Herzschlag von Rufus im Gästebett, das Gefühl von Rinde unter ihren Fingern, als sie sich an den Baum schmiegte und Trost suchte. Lachen, Tränen, ein zärtlicher Kuss, der leidenschaftliche Kuss eines Centauren an eine Nymphe, seine Umarmung. Silanus, wie er wegsegelte. Timos heißes Verlangen nach ihr. Der abbrechende Ast, der sie mit in die Tiefe riss. Das Lächeln ihres Vater. Nur Mut, kleines Eichhörnchen. Rufus’ vor Zorn blitzende Augen…


    Immer wieder wachte sie mit einem Stöhnen kurz auf und drehte sich, deckte sich auf und zu, drehte sich noch einmal, versuchte zu schlafen. Die Sonne ging auf und brannte in Axillas Augen, der Kopfschmerz wurde bohrend und ihr Atem ging so schwer und rasselnd. Sie musste husten, was den Kopfschmerz aber noch verschlimmerte und ihr ein gequältes Wimmern entlockte.
    Die Sklavin, die sie fand, fühlte nur einmal kurz ihre Stirn und lief dann hektisch nach draußen, um Hilfe zu suchen. Axilla war krank und hatte Fieber. Ansprechbar war sie kaum und murmelte nur die ganze Zeit etwas von “Nicht weggehen…“

    Das verwirrte Axilla jetzt doch ein bisschen. Was konnte Urgulania denn dafür, wenn der Terentier sie bedrohte? Axilla konnte sich nicht vorstellen, dass ihr Vorbild hier in Alexandria irgendwas dazu getan haben könnte, dass dieser Mann sich dazu veranlasst sah. Soweit sie wusste, war Terentius Cyprianus ja auch verheiratet, also konnte es wohl kaum um einen verschmähten Antrag gehen, und sonst war Urgulania immer so selbstsicher und gewandt, dass Axilla sich nicht vorstellen konnte, wie sie ihn beleidigt haben könnte.
    “Da kannst du doch nichts dafür? Mach dir mal keine Sorgen, ich komme damit schon klar. Es muss dir nicht leid tun.“
    Und so irrwitzig es klang, Axilla meinte das ganz aufrichtig. Für Urgulania würde sie das bisschen – oder auch das größere bisschen – Ärger schon ertragen. Und sie war bisher noch immer mit allem klar gekommen, mehr oder weniger. Da machte sie sich um einen einzelnen, wütenden Mann nicht mehr Sorgen wie um den ganzen Rest der Welt, der sie gerne mit allerlei Hindernissen plagte.

    Mit dieser Graustellung von Terenrius Cyprianus konnte Axilla wenig anfangen. Aber wenn er Urgulania als Feindin betrachtete, dann würde sie es mit ihm ebenso halten. In Zukunft würde sie vorsichtig sein, wenn der Legionspräfekt im Spiel war.
    Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in Axilla breit. Sie hatte noch nie einen Feind gehabt – oder Beinahe-Vielleicht-Feind. Es war ein sehr ungutes Gefühl, Axilla mochte es nicht besonders.
    “Gut, dann werde ich vorsichtig sein. Leander ist vielleicht nicht der beste Beschützer, aber sehr vertrauenswürdig. Ich werd ihn dann jetzt immer mitnehmen.“
    Der ältere Grieche stand in Axillas Vertrauen unter allen Sklaven am Höchsten. Er wusste sowohl von der Sache mit Silanus als auch der mit Timos und hatte sie nicht verpetzt. Und auch bei Rufus hatte er keinen Mucks gemacht, obwohl es da ja auch nichts zum Petzen eigentlich gab. Wenn er da Urgulanias Zorn riskierte, um ihr beizustehen, würde er ihr sicher auch auf der Straße beistehen. Auch wenn er als Kämpfer wohl eher ungeeignet war, aber Axilla hatte nun mal keinen Psammytichus.

    Sim-Off:

    Sorry, total vergessen


    Einen Moment stutzte Axilla, dann wurde ihr Blick noch entsetzter.


    “Du meinst doch nicht, er würde… mich… ich meine... Er ist Römer! Er ist Soldat! Hat der Mann denn keine Ehre? Traust du ihm wirklich zu, dass er so nieder sinken könnte?“
    Allein der Gedanke widerstrebte Axilla. Für sie waren die Legionen des Kaisers in ihrer Vorstellung etwas Edles und Gutes. Ein Kommandant musste daher in ihrer Welt auch zwar durchaus stark und auch in gewissem Maße hart und Rücksichtslos sein, aber nie so verkommen wie das, was Urgulania da gerade andeutete. Ein junges Mädchen abstechen zu lassen, einfach so, das war in ihrer Welt etwas, das ein Halsabschneider machen würde, aber kein Präfekt. Allein die Vorstellung war absurd.
    Axilla schüttelte ungläubig den Kopf und war sichtlich erschüttert. Erst, dass Urgulania vom kreuzigen sprach, und nun das. Das war wirklich viel für ein Mädchen, dass von der Welt eigentlich nur das Landgut ihrer Eltern nahe Tarraco bislang kannte und das ganze Intrigenspiel erst noch lernen musste.
    “Ist er unser Feind? Also, so richtig?“ fragte sie also vielleicht etwas naiv. Aber sie musste ihn irgendwie richtig zuordnen, und in dem Fall gab es bei Axilla nun mal nur schwarz oder weiß.

    Sie hatten es wahrlich lange herausgezögert, aber ewig ging das nicht. Dennoch kam es für Axilla trotz allem viel zu schnell und zu plötzlich, und sie suchte noch nach einem Grund, ihn abzuhalten. Aber seine Worte stimmten sie zu traurig, als dass sie einen klaren Gedanken fassen konnte. Und sie wollte ihre letzten gesprochen Worte an ihn nicht mit einer Belanglosigkeit oder einer Lüge verschwenden.
    So stand sie einen Moment einfach stumm da und biss sich auf der Lippe herum. Als sie den metallischen Geschmack von Blut plötzlich auf der Zunge hatte, hörte sie damit abrupt auf, hatte aber immer noch keine originelle Antwort.


    Also folgte sie einfach ihrem Gefühl, dem was sie tun wollte und wofür sie keine Worte brauchte. Mit tapsigen Schritten kam sie auf Rufus zu und umarmte ihn einfach ganz fest und ganz nah. Die Tränen kamen wieder, und sie schluchzte ein wenig, drückte ihn aber immer noch fest und doch zärtlich an sich, ohne ihn auch nur eine Sekunde loszulassen.
    “Du bist mein bester Freund, und ich wird dich unendlich und immer vermissen.“
    Es war schrecklich pathetisch, aber es war die Wahrheit, und Axilla schämte sich nicht dafür. Für jede Abschwächung dieser Wahrheit hätte sie sich viel mehr geschämt.
    Sie löste sich nur ganz leicht, gerade weit genug, um Rufus mit verweinten Augen noch einmal in die Augen zu schauen. Dann neigte sie leicht den Kopf und gab ihm einen kurzen, sanften Kuss, ehe sie ihn losließ und mit gesenktem Kopf zurücktrat. Sie wollte ihn nicht noch einmal anschauen, weil sie nicht sehen wollte, was er davon hielt, was sie gesagt und getan hatte. Sie wollte ihn fröhlich in Erinnerung behalten, und vor allem wollte sie nicht jetzt laut losheulen, wenn er ging.
    “Vale, Ragin. Ich werd dir schreiben, so oft ich kann.“

    Axilla musste ein wenig schmunzeln, aber zu einem richtigen Lächeln reichte es nicht heran. Sie konnte sich schon gut vorstellen, wie Rufus aus Höflichkeit einfach tapfer weitergegessen hatte. Er war einfach ein lieber und netter Kerl.
    “Nein, ich hab ihn nur gebraten. Aber… naja, der Hase wurde nicht gleichmäßig gar und das Salz war eben zuviel und… naja, ich kann halt nicht kochen.“
    Axilla zuckte leichthin mit den Schultern. Das war auch noch ein weiterer Punkt, der sie nicht besonders fraulich machte. Sie hoffte nur, dass sie nie in die Lage kommen würde, kochen zu müssen. Das würde in einer Katastrophe enden.
    “Naja, ich hatte noch nie so richtig Hunger. Ich meine, ist ja eher anders herum, dass ich gar nichts essen will, aber ständig jemand kommt und mir etwas anbietet. Aber wirklich Hunger hatte ich noch nie. Auch, wenn ich mal drei Tage lang nur mal einen Happen esse. Keine Ahnung…“
    Das war eines der wenigen Dinge, die Axilla von ihrer Mutter geerbt hatte. Auch wenn bei dieser die Appetitlosigkeit auch auf ihre lange Krankheit zurückzuführen gewesen war.


    Axilla suchte noch etwas, worüber sie reden konnten, aber ihr Kopf war ganz leer und alles, was sie fand, war durcheinander. Also schwieg sie einfach und kratzte sich noch einmal verlegen am Unterarm.

    Betrübt nickte Axilla bei seiner Bemerkung, dass sie es besser verstechen würde müssen.
    “Ja, da muss ich besser aufpassen. Ich glaube, nicht viele Männer finden das gut, wenn eine Frau sowas kann. Da wird ich noch ein bisschen besser aufpassen…“


    So richtig Gedanken, ob das ihrem späteren Mann überhaupt recht war oder sie es bis ans Lebensende verstecken würde müssen, hatte sie bis zu diesem Zeitpunkt gar nicht. Aber jetzt, wo Rufus es ansprach, musste sie es kurz. Kein schöner Gedanke. Da war sie froh, dass Rufus noch viel mehr gesagt hatte, wovon sie einfach das erstbeste aufgriff.


    “Ich bin ja froh, dass die Köchin hier nicht so ist. Die will zwar auch immer, dass ich mehr esse, aber wenn ich mich nicht wohl fühle, dann kann ich gar nichts essen. Da macht sie sich dann immer Sorgen, dass ich zu dünn werde.
    Aber sie lässt mich jetzt auch gar nicht mehr in die Küche. An den Parentalia habe ich einen Hasen gekocht. Ich fand ihn gar nicht so schlecht, vielleicht ein bisschen schwarz und versalzen, aber das ging noch. Also… Vater hätte ihn sicher noch gegessen, und der war ja für ihn.
    Aber seitdem darf ich nicht mehr in die Küche. Sie meint, sie hätte noch nie gesehen, wie ein Mädchen so ein Chaos mit Essen anrichten kann. Ich musste ihr versprechen, nie wieder in ihrer Küche etwas kochen zu versuchen…“


    Axilla hätte das wahrscheinlich nie im Leben erzählt, aber sie musste über irgendetwas weiterreden. Einfach nur, um den Abschied hinauszuzögern, der wie ein Damoklesschwert über ihnen beiden schwebte.

    Axilla nahm das Sax noch einmal, wickelte es aus de Tuch und zog es dann vorsichtig aus der Scheide. Wie man ein Gladius hielt, wusste sie zu Genüge, und auch wenn die Waffe ein wenig anders war, war sie in den wesentlichen Grundzügen doch gleich. Ihr Griff war fest und sie wog die Waffe in ihrer Hand.


    “Ja, sie hat nur eine Schneide und ist ein wenig anders balanciert. Ich hab mich schon gewundert, warum eine Seite stumpf ist.“


    Zugegeben, das Thema war weder sehr originell noch sehr ergiebig, aber Axilla wollte nicht, dass Rufus ging. Allerdings glaubte sie, wenn sie schon wieder damit anfangen würde, würde er wohl erst recht schnell gehen. Außerdem würde sie dann schon wieder weinen, und das wollte sie auch nicht.
    Sie spielte also ein wenig mit der Klinge, führte ein paar kleine, halbherzige Stöße in die Luft aus und übergab dann das Sax mit dem griff nach oben an Rufus.


    “Wenn man weiß, wie man damit kämpfen muss, ist es sicher eine gute Waffe. Ich kenn ja nur das Gladius von meinem Vater, das ist ein wenig anders. Mehr zum Stechen und weniger zum säbeln…“


    Ein wirklich nicht sehr ergiebiges Thema, aber Axilla redete einfach stur weiter. Vielleicht fand sie ja im Reden etwas, worüber man länger reden konnte.


    “Hast du eigentlich auch eine passende Rüstung zu dem Schwert?“

    Auch wenn sich axilla Zeit ließ, fand sie das Sax schnell und war viel zu schnell wieder zurück im Tablinum. Sie wollte nicht, dass die Zeit so schnell verging. Wenn sie vorbei war, wäre Rufus weg. Für immer. Jeder Schritt war ein Schritt hin zu einem Ende, das Axilla nicht wollte. Und doch kam sie rasch mit dem Schwert zurück, noch so eingewickelt, wie sie es erhalten hatte.
    “Ich hab es einmal geöffnet, weil ich neugierig war. Ich hoffe, das ist nicht so schlimm. Aber ich hab es wieder sorgfältig verpackt.“
    Ihre Stimme war noch immer zittrig und leise, als sie Rufus das Schwert reichte. Als er es nahm, berührten sich kurz ihre Finger, und Axilla zuckte etwas bei der Berührung. Sie wusste, dass ihre Entscheidung so richtig gewesen war, und doch tat sie ihr ein wenig leid. Vor allem, je länger sie Zeit hatte, darüber nachzudenken. Ein grund mehr, nicht nachzudenken, fand sie.
    Nachdem er sein Sax hatte, strich sich Axilla verlegen über den Unterarm und sah ein wenig seitlich weg. Sie hätte Rufus so gerne noch einmal umarmt, aber er würde das bestimmt nicht wollen. Nicht hier im Tablinum, wo immer wieder mal ein Sklave im Gang vorbeihuschte. Immerhin war das nicht schicklich, wie er schon gesagt hatte.

    Das Sax, natürlich. Axilla hatte es schon ganz vergessen, dass sie das ja noch von ihm hatte. Nicht, dass sie nicht darauf aufgepasst hätte, immerhin hatte sie es ja versprochen, nur war im Moment alles so durcheinander, dass sie wohl von selbst nie daran gedacht hätte. Auch wenn es logisch war, dass er es zurückhaben wollte.


    “Achja, das Sax. Natürlich, das brauchst du ja.“
    Sie würden sich ja nicht wiedersehen, hatte er gesagt. Noch einmal traf Axilla diese Erkenntnis schwer und sie ließ den Kopf leicht hängen. Sie bemühte sich, stark und ruhig zu bleiben, sie wollte nicht schon wieder heulen. Sie weinte ohnehin viel zu viel. Sie schluckte.
    “Es ist in meinem Cubiculum. Ich geh es dann mal holen.“
    Sie atmete noch einmal kurz durch, ehe sie sich von der Kline erhob. Ihren Beinen traute sie nicht so ganz, aber es ging. Sie fiel zumindest nicht hin, das war doch schon was.
    Sie schenkte Rufus noch etwas, was einmal ein Lächeln hätte werden sollen, und machte sich dann auf, sein Sax zu holen.