Beiträge von Iunia Axilla

    Er hatte ihr schon beim Übergeben gesagt, wie wichtig ihm das Stück war, aber jetzt verstand Axilla es richtig. Ein Erbstück vom eigenen Vater, darauf musste man auch aufpassen wie auf sonst nichts. Alles andere konnte verloren gehen, aber sowas musste man hüten wie sein Augapfel. Und nun würde Axilla noch mehr darüber wachen, wie sie auch über die Sachen ihres Vaters wachte. Aber so direkt sagen wollte sie das nicht, das hätte zu sehr das Gespräch auf ihren Vater gelenkt, und die Parentalia waren ihr noch zu nah. Doch auch anders hätte sie eher weniger über ihren Vater gesprochen.


    Doch zum Glück kamen sie zügig voran, und waren auch schon bald am Tetragon angekommen. Durch die großen, steinernen Torböden traten sie auf den großen, perfekt quadratischen Platz, in dessen Mitte sich die Statue des Stadtbegründers majestätisch erhob, mitsamt Heiligtum.
    “Ich glaub aber, das haben noch die Ägypter damals gebaut, da hatte Alexander ja nur einen Teil seiner Armee zurückgelassen und ist dann weiter gezogen, wieder nach Persien und Indien. Aber die sind auch klein. Also, die Ägypter. Also, die meisten sind kleiner als ich, aber ich bin ja auch kleiner als du. Wobei ich nicht weiß, was das mit dem Handwerken zu tun hat?“
    Waren da kleine Menschen besser als große? Axilla hatte sich damit nie so genau beschäftigt. Sie kannte nur ein paar Handwerker, aber nur eher oberflächlich. Sie kannte mehr die Händler auf dem Markt, aber die waren auch alle unterschiedlich groß. Da hatte sie keine Regel feststellen können, ob man besser mit großen oder kleinen handelte. Aber sie hoffte, Rufus würde sie gleich aufklären.

    Im Grunde war der Weg ganz einfach. Sie mussten nur aus der Basileia raus, zur Meson Pedion, und die solange entlang Richtung Osten, bis sie aus der Stadt raus waren. Allerdings war das ein gutes Stückchen zu laufen. Vor allem auf der Hauptstraße konnte es da sehr voll sein, wobei um die Mittagszeit die meisten doch eher was anderes machen, als draußen zu sein. Auch jetzt, im Winter – oder eher der Regenzeit – war der Rhythmus des Lebens hier einfach so, dass bis zum Nachmittag erstmal weitestgehend Ruhe sein würde.
    Axilla blieb trotzdem recht dicht bei Rufus. Nicht so dicht, dass sie sich berührten, aber so nah, dass sie sich von ihm ein wenig beschützt fühlen konnte. Nicht, dass sie Angst hatte, allein durch die Strassen zu ziehen, das machte sie ja meistens. Aber bei dem ganzen hin und her, von dem man in letzter Zeit hörte, war es sicher nicht verkehrt, jemanden dabei zu haben, der einem beim Verteidigen helfen konnte. Da fiel Axilla auch was ein.
    “Achja, hast du eigentlich wegen deinem… ähm, wie hieß es gleich noch mal…. Ähm… nicht sagen, ich hab’s gleich…. Sax! Genau, wegen dem Sax. Also, gefragt, bei deiner Cousine. Ich bewahr es auch gerne weiter für dich auf, wenn du das da nicht mitbringen darfst, wirklich. Ist mir nur eben eingefallen.“

    Rufus schaute sie kurz ein bisschen komisch an. Vielleicht hätte sie sich doch standesgemäßer kleiden sollen. Immerhin wohnte er im Palast des Statthalters, des zweimächtigsten Mann des gesamten Imperiums! Da war er sicher noblere Frauen gewohnt als Axilla mit ihren fast offenen Haaren und der Tunika, die wohl eher für einen Mann gedacht wäre. Kurz schaute sie etwas beschämt zu Boden, versuchte aber dann, sich nichts anmerken zu lassen. Sie wollte Rufus einerseits nicht erschrecken, andererseits war er mit seinem Hund und den hellen Haaren und allem auch nicht grade der typischste Urrömer. Und wenn sie Freunde waren, was er ja versprochen hatte, dann würden sie es auch so sein.


    “Gut, dann gehen wir nach Osten, dann müssen wir nicht so viel durch die Stadt, nur am Delta vorbei. Aber dann kommen wir über das Tetragon! Warst du da jetzt schon, seit du hier bist?“


    Axilla winkte Leucos noch kurz zu, der noch immer an der Tür stand, und ging munter auch gleich los. Immerhin hatte sie ja nur ein paar Stunden, weil irgendwann am Nachmittag sollte sie ja wieder bei Nikolaos vorbeischauen. Immerhin arbeitete sie ja, zumindest theoretisch.

    “Öhm, ausreiten?“
    Axilla guckte ein wenig verwirrt zu Rufus, und dann zu seinem Pferd. Damit hatte sie jetzt nicht gerechnet. Klar, er hatte gesagt, dass sie das machen wollten, und Axilla ritt ja wirklich, wirklich gerne. Aber sie hätte nicht gedacht, dass er sein Wort so schnell halten wollte. Sie hatte das mehr als so ein „irgendwann mal“-Versprechen wahrgenommen. Daher war sie jetzt einen Moment lang perplex, ehe sie sich wieder gefangen hatte.
    “Oh, ähm, ja. Also, ich meine, gerne! Ich muss mir dann nur was anderes anziehen, die Tunika hier ist zu lang, da rutscht dann ja alles hoch, und die ist auch so fest, das scheuert sich durch. Ähm, ich war aber auch noch nicht außerhalb der Stadt. Ich hab ja kein Pferd oder so. Aber ich kenn die Karten von der Gegend. Also, das klappt dann schon. In Alexandria sollten wir dein Pferd lieber führen. Ich meine, wir müssen da die Hauptstraße runter. Vielleicht zum Porta Lunae, dann sind wir fast am Strand und können den Fischern vielleicht ein wenig zuschauen. Oder willst du lieber Richtung Nikopolis? Also, da sind die Legionen, da müssen wir dann aber in die andere Richtung, also zum Porta Solis.
    Ähm, ja, du überlegst dir das, und ich zieh mich solang schnell um. Bin gleich wieder da!“

    Und schon war Axilla im Haus verschwunden und hätte dabei beinahe noch Leucos umgerannt, der es nun auch geschafft hatte, vom Perystil zur Porta zurückzuschlurfen. Der ältere Grieche schüttelte nur ein bisschen den Kopf und stellte sich neben die Tür, die Axilla sperrangelweit offen gelassen hatte, als sie losgeflitzt war, um sich in ihrem Zimmer umzuziehen. Die Jugend…


    Es dauerte keine fünf Minuten, ehe Axilla auch schon wieder zurück war. Ihre lange Seidentunika hatte sie gegen eine grade mal knielange aus dünner, aber dennoch robuster grüner Wolle getauscht. Auch hatte sie die ganzen Spangen, die ihr Haar so perfekt zusammengehalten hatten, herausgenommen und ihre Haare einfach nur mit einem Stoffband zusammengebunden. Das sah zwar ein wenig wild aus, aber sie wollten ja auch reiten, da durfte das auch sein. Axilla hatte ja nicht vor, nur im Schneckentempo dahinzutrotten. Zumindest, wenn Rufus da mitmachte und sie deshalb dann nicht komisch anschauen würde.
    “So, ich bin fertig. Hast du dir überlegt, wo du hinwillst?“

    Zu Axilla. Irgendwie wollten alle Leute zu Axilla, wenn er die Türe öffnete. Manchmal glaubte Leucos schon fast an kosmische Zusammenhänge zwischen seinem Erscheinen an der Türe und Gästen für die junge Herrin. Oh, außer dem einen Legionär, der tatsächlich zum Maiordomus wollte, aber der zählte irgendwie nicht, weil es kein richtiger Gast war.
    Gut, dass der junge Herr zur Mittagszeit gekommen war, denn seine Herrin war wirklich gerade zuhause. Mittags arbeitete ja niemand freiwillig, wenn er es sich hier in dieser Hitze aussuchen konnte. So war sie auch jetzt daheim.
    “Ich werde fragen. Warte bitte einen Moment.“
    Natürlich ließ er offen, was er fragen würde. Immerhin könnte es ja sein, dass seine Herrin den blonden Mann nicht empfangen wollte, und da war es immer günstiger, zu sagen, sie sei grade gar nicht da, oder eben unpässlich, wie Frauen manchmal waren.
    So schloss er noch einmal die Tür und schlurfte durchs Haus zu seiner Herrin, die wie er wusste gerade im Garten war.


    Aber Rufus musste nicht lange warten. Denn als Axilla hörte, wer da an der Tür wartete, lief sie selber zur Türe und öffnete. Dabei war sie bedeutend schneller als Leucos, der hinter ihr zurückgeschlurft kam.
    Sie riss die Tür fast auf und schaute strahlend in das Gesicht ihres neuesten Freundes.
    “Rufus! Salve! Komm doch rein. Das ist jetzt eine Überraschung, ich meine, waren ja erst Parentalia, da hab ich nicht gedacht, so schnell danach schon Besuch zu kriegen, die meisten sind da ja noch etwas in Gedanken. Oh… ähm, du hast ja dein Pferd dabei. Das sollte dann aber besser in den Stall, das können wir ja nicht vor dem Haus stehen lassen. Oh, und deinen Hund auch!“
    Axilla wuschelte Amala über den Kopf und kraulte sie hinter den Ohren. Natürlich nicht mit wilden Bewegungen, sondern hundegerecht mit vorherigem Schnuppern an der Hand. War ja nicht der erste Hund den Axilla anfasste.
    “Na, Amala, kommst du auch mit? Oh, dann müssen wir aber vorsichtig sein, Urgulania hat da so eine große Vase im Gang stehen, die dafür prädestiniert ist, früher oder später umgeworfen zu werden. Unser alter Hund daheim hat dauernd was umgeschmissen. Aber… das ist lang her.“
    So plapperte Axilla ganz fröhlich vor sich hin. Sie war wirklich froh um den Besuch, auch wenn sie nicht wirklich einen Plan hatte, was sie beide machen könnten. Aber sie wollte ihm ja von Alexander dem Großen erzählen, das hatte sie nicht vergessen. Da konnte man schon gut einen Nachmittag füllen.

    Inzwischen hatte Leucos das Zimmer neben der Porta bezogen. Das war zwar nicht so luftig wie sein altes Zimmer, da er aber sowieso die meiste Zeit den Ianitor spielte, war es einfach praktischer. So störten diese Besucher nicht so sehr seinen Mittagsschlaf, und er konnte sich immer mal wieder bequem hinlegen. In seinem Alter war das nicht zu verkennen.
    So öffnete er auch an diesem Mittag die Tür einem großen, blonden Burschen. Fast war er versucht, diesmal es Psammitychus gleichzutun und nur „Was du wollen?“ zu sagen, aber der Herr war römisch gekleidet, und da traute er es sich noch weniger als bei dem griechischen Besucher vor einer Woche. Aber der Römer hier kam wenigstens nicht während der Trauertage vorbei. Auch wenn das der hellste Römer war, den er je gesehen hatte.
    “Was kann ich für dich tun, junger Herr?“

    Nun, sie glaubte nicht so ganz, dass sie und Urgulania wirklich aus demselben Holz waren. Urgulania war mehr ein teures, edles Kirschholz und sie mehr sowas wie eine billige, plumpe Eiche oder Tanne. Eher eine Tanne, zwar schön grün nach außen, beim näherkommen aber pieksig. Und dass Urgulania Axilla um irgendwas beneidete, konnte sie sich auch nicht vorstellen. Der einzige Vorzug, den Axilla hatte, war, dass sie jung war, aber selbst das Alter machte Urgulania nur eher noch edler.
    Doch ehe sie irgendwas wirklich erwidern konnte, sagte Anthi auch schon, dass er ganz dringend weiter musste. Axilla schaute ein wenig enttäuscht auf, sie hätte sich gerne von ihrer Erdbeerseite gezeigt, vielleicht wäre sie ja noch etwas aufgetaut. Aber andererseits war es vielleicht wirklich besser, dieser tage nur kurze Besuche zu empfangen.
    “Oh, die werden nicht da sein, die werden wieder gegangen sein, als du ins Haus gekommen bist. Unser Majordomus hat das auch erst falsch verstanden gehabt, aber die bleiben nur, bis man in ein Haus gelassen wurde, oder begleiten einen andernfalls wieder raus. Aber das stimmt schon, Terentius Cyprianus ist… vorsichtig.“
    Es war nicht so, dass Axilla ihn nicht mochte, aber… sie mochte ihn nicht wirklich. Bei dem Essen mit Silanus, als er über sie wie über ein Reitpferd gesprochen hatte, war sie doch ein klein wenig verschnupft gewesen und hatte es ihm nicht vollständig verziehen.
    “Aber, ähm, also, wenn du mich öfter besuchen magst. Könnte ich dich ja auch als Gast eintragen? Also, ich meine, gibt ja keinen Grund, warum du öfter kommen solltest, ich meine, die Betriebserlaubnis und die Tunika hab ich ja jetzt. Aber dann dürftest du ohne Eskorte herkommen. Nur untersuchen werden sie dich glaub ich trotzdem, wobei ich das nicht so genau weiß. Ähm, also, war jetzt nur so eine Idee.“
    Eine recht vorlaute und unüberlegte Idee. Eine axillanische Idee, sozusagen. Verlegen holte Axilla einmal tief Luft, um Anthi nicht noch länger aufzuhalten, wenn er so dringend los musste.
    “Ähm, ja, dann begleite ich dich noch zur Tür, nicht, dass du dich noch mehr verspätest.“

    “Das war jetzt aber gemein“, schmollte Axilla noch einen Augenblick und verschränkte dabei die Arme vor der Brust. Aber wirklich böse konnte sie Ánthimos auch nicht sein, also umspielte kurz darauf auch schon ein leises Schmunzeln ihre Mundwinkel und ihre ganze Körperhaltung wurde wieder offener. Wenn auch nicht so beschwingt und fröhlich, wie sonst. Doch ihre sonst übliche Maskerade aufrecht zu erhalten schien ihr angesichts dieser Woche nicht rechtens. Vielleicht übertrieb sie es ja auch, normalerweise war sie ja alles andere als fromm und dem Feiertagskalender verpflichtet. Sie glaubte ja nichtmal, dass die Götter sich auch nur ein bisschen um das scherten, was die Menschen anstellten oder nicht. Aber bei diesem Fest hier war es anders. Die Parentalia waren zu Ehren der Verstorbenen, derer, die man liebte. Und an ihre Ahnen glaubte Axilla ja trotz allem noch, auch an ihre Lares. Daher ließ sie es zu, dass man ihre fröhliche Fassade etwas durchschauen konnte, eine Woche im Jahr musste das auch gehen ohne Konsequenzen.
    “Ich kenn mich da ja gar nicht so aus, was man in welchem Amt so genau macht. Ich meine, wir haben ja schon darüber gesprochen in deinem officium. Ähm, ich meine, in deiner Stege.“ Nikolaos bekam immer Kopfschmerzen, wenn Axilla statt einem griechischen Wort ein römisches sagte, wie gerade bei officium. Nicht, dass es Anthi da auch noch so ging, und sie wollte es sich ja auch angewöhnen, es richtig zu sagen. “Schmeckt der Saft denn?“
    Einen Augenblick schaute Axilla erwartungsfroh zu dem Griechen hinüber, dann ließ sie kurz resignierend den Kopf hängen. “Tut mir leid, ich bin eine furchtbare Gastgeberin, Urgulania kann das viel besser als ich.“
    Es war wirklich eine Schande, wie man als Frau so wenig Sinn für das Bewrten und Unterhalten von Gästen haben konnte. Aber Axilla hatte nie wirklich Gäste gehabt, woher sollte sie sowas wissen? Und in Tarraco hatten sie auch eher abgeschieden gelebt, etwas außerhalb, und da Mutter krank war, auch kaum Gäste empfangen. Woher also sollte sie sowas auch können?

    Also wollte er was trinken. Naja, axilla hatte es ja auch angeboten, und das gehörte ja auch dazu, wenn man Gastgeberin war. Sie legte also die Tunika und die Betriebserlaubnis schnell auf einen der gepolsterten Stühle und huschte ein paar Schritte zur Tür, die weiter nach hinten führte. Natürlich war grade kein Sklave direkt um die Ecke, also rief sie etwas lauter nach “Leander?!“ Ihrer Stimme war ein wenig anzuhören, dass ihr die volle Kraft fehlte, aber es war trotzdem noch laut genug. Der Grieche mittleren Alters kam nach wenigen Augenblicken schon herbei, verneigte sich leicht in Richtung des Gastes und wartete, warum man ihn gerufen hatte.
    “Ähm, Leander, gehst du bitte und holst einen Saft für meinen Gast?“
    Leander nickte. “Selbstverständlich, Herrin.“ Dann ging er zwei Schritte, um noch einmal stehen zu bleiben und nachzufragen. “Was für einen Saft, Herrin? Und für dich auch einen?“
    Axilla stutzte kurz. Sie hatte doch keine Ahnung, was grade in der Küche war. Nach dem Hasen-Desaster hatte die Köchin sie sehr eindrücklich gebeten, die Küche nie, nie, NIE wieder zu betreten. “Bring einfach einen Krug von dem, was da ist, und bring zwei Becher mit.“
    Leander nickte noch einmal und ging los. Axilla rief ihm noch ein kurzes “Danke“ hinterher. Erst danach erinnerte sie sich, dass sie das ja eigentlich vor Gästen nicht machen sollte und sich bei Sklaven so laut bedanken sollte. Angeblich durfte man das ja nicht bei Sklaven, weil man sie sonst verzog und hochnäsig machte. Axilla hielt das für quatsch, und Anthi würde ihr dieses kleinen Lapsus sicherlich verzeihen.
    Während sie also auf Leander kurz warteten, atmete Axilla kurz durch, um ein Gesprächsthema zu finden. Bei Urgulania sah das immer so unendlich einfach aus, aber sie selber fühlte sich im Moment so überhaupt gar nicht originell.
    “Aber die Betriebserlaubnis gilt auch völlig ohne Datum? Also, nicht, wenn neu gewählt irgendwannmal wird und vielleicht wer anderes Agoranomus ist, dass der dann meckert…“
    Sie glaubte ja nicht, dass Anthi da was falsch gemacht hätte und sie vertraute ihm auch, aber eine bessere Frage fiel ihr im Moment auch gar nicht ein. Zum Glück aber erlöste sie auch in diesem Moment Leander, der einen Tonkrug mit gelborangenem Inhalt sowie zwei Tonbecher herbeibrachte.

    Anthi kam wie immer mit einer Art herein, die den halben Raum mit seiner Präsenz zu füllen schien. Axilla wünschte sich manchmal, auch so viel Selbstvertrauen auszustrahlen. Dass sie das durchaus manchmal tat, vor allem mit ihrer unerschrockenen Art, war ihr nie bewusst, sie hielt sich selbst eher für unauffällig. Aber so waren halt die Unterschiede von Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung.
    “Stören? Nein, nein. Ich hab nur diese Woche keinen Besuch erwartet. Komm doch richtig rein. Willst du was trinken?“
    Vielleicht hätte sie Leander doch nicht wegschicken sollen. So musste sie jetzt dann rufen, wenn er etwas wollte, aber Axilla wollte ja eine gute Gastgeberin sein. Doch ihre Stimme zu erheben traute sie sich nicht ganz, selbst jetzt redete sie für ihre Verhältnisse eher leise und bedacht. Sie wollte wirklich nicht, dass irgendjemand sie so sah. Bei ihren Sklaven und bei Urgulania war das dieser Tage egal, da konnte sie es jetzt auch nicht gänzlich zurückhalten, wenn sie den meisten auch schon aus dem Weg ging. Aber bei Anthi war das was anderes.
    “Achja, die Erlaubnis. Die hatte ich schon fast vergessen. Und die Tunika. Ähm… ich nehm sie dann nachher mit hoch.“
    Axilla streckte schon mal die Hände aus, damit er ihr das verschnürte Bündel und die Betriebserlaubnis geben konnte. Er musste die beiden Sachen ja nicht seinen ganzen Besuch über tragen, schließlich standen hier im Tablinum auch Sitzmöbel, auf denen man diese Dinge zwischenlagern konnte.

    Ein Besucher während der Parentalia? Nungut, diese Stadt kannte dieses römische Fest nicht, zumindest nicht zu diesem Zeitpunkt und in dem Ausmaß. Natürlich verehrten auch die Griechen ihre Ahnen. Trotzdem war Leucos jetzt nicht ganz sicher, was zu tun sei.
    “Ich werde fragen, ob sie dich empfängt. Warte.“


    Es dauerte eine ganze Weile, bis Leucos wieder zurückkam. Immerhin waren seine alten Knochen nicht die eines Pferdes des Cursus Publicus. Und bis er die Herrin gefunden und alles erklärt hatte und überrascht vernommen hatte, dass sie wirklich gewillt war, den Griechen zu empfangen, dauerte es schon ein wenig. Zur Tür zurückschlurfen musste er dann natürlich auch noch.


    “Tritt ein. Die Herrin Iunia erwartet dich im Tablinum.
    Hoffentlich fand der Grieche das allein, Leucos war jetzt heute schon genug wieder gelaufen. Dass man ihn in seinem Alter nicht einfach in Ruhe lassen konnte. Dabei war er doch schon fast siebzig.

    Axilla war mehr als nur überrascht gewesen, als Leucos Besuch angekündigt hatte. Immerhin waren Parentalia, und sie erwartete da eigentlich niemanden. Nungut, in Alexandria war alles anders, sie hatte sogar gehört, die Tempel wären geöffnet. Und Lupercalia zu Ehren von Faunus gab es trotz des großen Paneions wohl auch keine. Aber trotzdem war sie einen Moment sehr perplex gewesen.
    Aber andererseits war es Anthi, der da stand. Und irgendwie gehörte der fast zur Familie. Axilla würde nicht sagen, wie ein großer Bruder, immerhin hatte sie nie einen Bruder gehabt, schon gar keinen großen, und wusste nicht, wie sich das anfühlte. Aber vielleicht wie ein entfernter Cousin neunten Grades oder so. Bevor sie länger darüber nachgrübelte, schickte sie Leucos los, Anthi von der Tür abzuholen, und Leander, ihr kurz zu helfen, das Gesicht abzuwaschen. Sie wollte nicht verheult aussehen, und geheult hatte sie die letzten Tage reichlich.
    Als Leander dann weg war, wartete sie auf Ànthimos einfach im Tablinum. Ihr dunkles, schlichtes Gewand war vielleicht ungewöhnlich an ihr, aber sie hoffte, es würde ihn nicht weiter stören. Und noch viel mehr hoffte sie, er würde ihre Traurigkeit nicht bemerken, die sie sonst die restlichen Wochen des Jahres so gut zu verbergen wusste. Von gelegentlichen Schreiattacken auf arme Griechen einmal abgesehen.

    Der alte Leucos war irgendwie seit dem Auszug des Herren Silanus zum Ianitor geworden. So langsam hatte er sich damit abgefunden, machte er es seiner Meinung nach doch erheblich besser als dieser nubische Riese der Herrin Urgulania. Wobei ihm ein „Was du wollen?“ einfach auszuspucken auch mal gefallen würde.
    Aber so öffnete er nur seinem neuen Schicksal ergeben die Tür. Vor ihm stand noch so ein Riese wie der Nubier, wenn der hier auch Grieche war. Sofern es bei Riesen da große unterschiede gab, der alte, weißhaarige Mann ging Ánthimos grademal bis zum Bauchnabel.
    “Wie kann ich dir helfen, Herr?“
    Schade, wieder eine Chance für „Was du wollen?“ ungenutzt verstrichen. Aber irgendwann vor seinem Ableben würde er das noch machen, ganz sicher.

    Das einfache Weihrauchstäbchen glimmte düster vor sich hin und verbreitete seinen Duft in dem Raum mit dem Ara, überlagerte so den Geruch des Essens leicht, aber nicht vollständig. Axilla nahm ihre Laren ganz vorsichtig, gab jeder einzelnen kleinen Statue einen vorsichtigen Kuss und stellte sie ehrfürchtig wieder so hin, dass sie alle vor dem Teller mit dem Essen standen und neben der Rüstung.
    Außer Leander hatte sie alle Sklaven weggeschickt. Leander hätte sie auch freigegeben, aber sie brauchte jemanden, der ihr half. Und außerdem war der Grieche nun ihr persönlicher Sklave und gehörte damit zu ihrer Familie, damit waren das hier auch irgendwo seine Ahnen. Zumindest im übertragenen Sinne, doch für Axillas Gefühlswelt so stark, dass er teilnehmen sollte. Axilla also kniete sich vor die Rüstung ihres Vaters und den Laren und atmete erst ein paar Mal. Sie überlegte, ob es feste Formeln gab, an die sie sich halten musste, aber sie erinnerte sich nicht daran. Früher hatte ihre Mutter die Gebete initialisiert, und letztes Jahr war sie noch zu verweint um die Zeremonie zu leiten, da ihre Muter erst ein halbes Jahr tot war, so dass ihr Lehrer Iason das übernommen hatte. Dieses Mal war sie zum ersten Mal ganz alleine. Sie ließ den Kopf leicht sinken und atmete ein paar Mal, um sicherzugehen, dass sie ihre Stimme unter Kontrolle haben würde. Sie wollte bei der Ehrung ihrer Ahnen nicht verheult klingen und japsen.


    “Geister meiner Ahnen…“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Wispern, und Axilla räusperte sich einmal, um Klang in ihr Stimmchen zu bekommen. Dann begann sie erneut, diesmal in hörbarer Lautstärke
    “Geister meiner Ahnen, kommt herbei und nehmt die Gaben, die ich euch gebracht habe. Ich habe euch Hase zubereitet, nur für euch. Er ist mir etwas angebrannt, aber man kann ihn essen. Seht…“
    Axilla nahm zum Beweis einen kleinen Bissen. Das äußere war verbrannt und die Idee mit dem Salz war vielleicht nicht gar so gut gewesen. Es schmeckte trotz allem zäh und faserig, außen zu trocken und innen noch zu roh. Selbst Soldaten auf dem Feld würden wohl etwas schmackhafteres zustande bringen als Axilla in der großen Küche. Aber dennoch war es mehr oder weniger essbar. Axilla schluckte schwer und sah betreten zu Boden.
    “Und Brot habe ich euch gebracht, dass die Köchin hier gebacken hat. Das schmeckt sehr gut. Und auch gutes Öl…“
    Leander half Axilla, indem er aus der Amphore das Öl vorsichtig auf das Brot gab.
    “Und ich habe euch Salz und Wein mitgebracht. Nehmt diese Gaben, denn sie sind nur für euch. Geister meiner Ahnen, ich ehre euch. Ich habe euch nicht vergessen und will versuchen… ich will versuchen zu leben, wie ihr mit guten Vorbild….“
    Axilla musste schlucken. Ihr Blick ging hoch zu der Rüstung, die so bedrohlich und doch bekannt dastand. Sie blickte direkt in die dunkle Leere des Helms hinein, als versuche sie, dem Geist ihres Vaters in die Augen zu schauen. Sie wusste, sie lebte nicht wirklich zum besten Andenken ihrer Ahnen. Die Iunier waren eine so altehrwürdige Familie, die soviel geleistet hatte. Und was tat sie? Sie war nicht verheiratet, aber keine Jungfrau mehr. Sie hatte so ziemlich jeden Fehler begangen, den man begehen konnte. Sie konnte ihre Vorfahren nicht anlügen und behaupten, sie würde in ihrem Andenken leben und alles so machen, wie sie wollten.
    “Ich hoffe, ich bin keine zu große Enttäuschung für euch. Ich weiß, dass ich viel falsch mache und viel gemacht habe, worauf man nicht gerade stolz sein kann. Aber ich bemüh mich, wirklich. Ich…
    Ich vermiss dich so.“

    Sie schaute noch immer hoch zu der Rüstung, und so sehr sie sich vorgenommen hatte, nicht zu weinen, es ging einfach nicht. Die Tränen liefen einfach und ihr Körper wurde vom Schluchzen geradezu geschüttelt. Sie wünschte sich ja so sehr, dass er nun hier wäre und ihr helfen würde.
    “Ich weiß nicht, was ich tun soll. Ich will doch so sehr, dass du stolz auf mich bist. Ich will doch nur so sein, wie du es mir beigebracht hast. Aber das ist so schwer alleine.
    Du hast versprochen, du kommst wieder, an dem Tag am Baum. Und jetzt bist du tot. Ich weiß doch nicht….“

    Axilla krümmte sich und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen. Das Ritual war ihr vollkommen entglitten und sie konnte nur noch weinen und dabei zuckte ihr Körper so heftig, weil sie gar keine Luft mehr bekam. Sie fühlte, wie Leander erst vorsichtig ihr die Hand auf den Rücken legte, als sie sich aber nicht beruhigte, sondern nur immer heftiger zitterte, sie richtig umarmte und an sich zog, so dass sie erst einmal richtig weinen konnte. Und da war es Axilla auch völlig egal, dass er ein Sklave war und für sowas eigentlich ihr Einverständnis brauchte. Sie weinte einfach, bis sie keine Tränen mehr hatte und ihr Körper völlig entkräftet war.


    Sie löste sich wieder aus Leanders Umarmung und schenkte ihm nur einen kurzen Blick, in dem Dankbarkeit und Leid sich vermischten. Es war viel Zeit wohl vergangen, denn der Weihrauch war schon abgebrannt und das Essen war kalt. Aber Axilla wollte das Gebet noch zuende bringen. Nicht, dass ihre Vorfahren als Geister durchs Haus streifen würden, weil sie dachten Axilla hätte sie vergessen und ihren Totenschmaus.
    Nun war ihre Stimme heiser vom Weinen und kaum mehr als ein Hauch.
    “Geister meiner Vorfahren. Ich ehre euch. Ich vermisse euch. Ich will eurer Gedenken. Nehmt diese bescheidenen Gaben als Nahrung an, damit ihr in Plutos Reich versorgt seid, und damit ihr ruhen könnt.“
    Axilla blieb einfach da. Sie ließ sich von den Knien leicht seitlich sinken, so dass sie auf dem Fußboden saß, und schaute einfach hoch und hing ihren Gedanken nach. Um aufzustehen fehlte ihr ohnehin die Kraft, und sie wollte noch ein wenig bleiben in der Hoffnung, vielleicht den Geist ihres Vaters kurz in ihrer Nähe zu fühlen.

    Es war ein bewölkter Tag in Alexandria. Nicht anders als die Tage davor, denn die Regenzeit brachte jeden Tag viele Wolken und manchmal schüttete es wie aus Kübeln, so dass man meinen mochte, die Welt wolle ertrinken. Und doch war dieser 13. Tag des Februar anders als die Tage davor, zumindest für Axilla. Sie ging nicht zur Arbeit, sie würde es die nächsten neun Tage nicht tun. Dass Nikolaos sie dann auch nicht bezahlte, war ihr egal, und ebenso, dass er deshalb böse auf sie sein könnte. Immerhin war er ein Grieche und wusste darüber hinaus nichts von Axillas genauer Geschichte. Niemand wusste etwas genaues, niemand fragte auch danach. Nicht, dass Axilla etwas erzählt hätte, aber dennoch war es so, dass sich auch niemand dafür zu interessieren schien.
    Und so war dieser 13. Februar etwas besonderes, auch wenn es kein Freitag war. Obwohl das ja auch niemanden eigentlich kümmerte, welcher Tag denn war, konnte doch niemand wissen, dass in über 1800 Jahren ein Haufen Leute wegen kleiner, bedruckter Papierscheinchen so unglücklich sein würden, dass sie wegen deren Verlust an einem Ort namens Nova Eboracum an einem Freitag gleich aus diversen Fenstern springen würden. Wenn es Goldmünzen gewesen wären, die sie verloren hätten, könnte man es ja vielleicht verstehen, aber wer sprang wegen buntem Papier in den Tod?


    Doch an diesem Tag begannen die Parentalia. Axilla hatte schon die Vornacht nicht schlafen können. Es gab nicht viel, was sie feierte, oder was sie fürchtete, insgesamt glaubte sie nicht mehr wirklich daran, dass die Götter den Menschen helfen würden. Der einzige Gott, zu dem sie eine Verbundenheit verspürte, war der wilde und freie Faunus. Daher waren ihr alle Feiertage eigentlich egal. Außer den Parentalia, an denen man der eigenen Vorfahren gedachte.
    Am Morgen hatte sie sich in ihre einfachsten, schlichtesten, schwarzen Sachen gekleidet. Es war nur ein sehr einfaches Kleid und ihr eigentlich fast zu klein, denn in den letzten zwei Jahren war sie doch noch ein Stückchen gewachsen. Aber sie wollte sich kein neues anfertigen lassen, und vor allem wollte sie heute nicht einkaufen. Da nahm sie lieber in Kauf, dass das Kleid etwas zu kurz war und eben nicht bis zum Boden, sondern nur bis knapp zu den Knöcheln ging. Ihr Haar war offen und nicht zusammengesteckt wie sonst meistens. Und sie lief barfuß herum, auch wenn das wohl als übertrieben gelten mochte. Doch war sie ohnehin nur im Haus.
    Ganz in der Frühe hatte sie Leander gebeten, ihr mit der Rüstung des Vaters zu helfen. Sie stellten ein Holzgestell beim Ara und dem Lararium auf, das auch mannshoch war. Auf dieses stellten sie die Rüstung auf, ganz vorsichtig, damit nichts beschädigt wurde. Axilla war da sehr penibel und genau und scheuchte Leander schließlich von der Rüstung, um sie selbst perfekt aufzuhängen und zu verschließen. Selbst den Roßhaarbusch auf den Helm schraubte sie auf, obwohl sie wusste, dass ihr Vater das Teil albern gefunden hatte.
    Sie hatte keine andere Möglichkeit, mit ihren Vorfahren in Kontakt zu treten als mit dieser behelfsmäßigen Sache. Die Gräber ihrer Ahnen waren hauptsächlich in Hispania, aber sie war hier. Nur sie und ihre Laren und die Rüstung waren hier, sonst hatte sie nichts von ihren Vorfahren. Doch Axilla war fest entschlossen, ihrer Vorfahren zu gedenken.
    Danach war die Küche ihr Ziel, wo sie die arme Köchin herumscheuchte. Am Vortag hatte sie einen Hasen gekauft. War gar nicht so einfach gewesen, denn hier in Ägyptus liefen nicht hunderte von diesen Rammlern frei auf den Feldern herum, sondern wurden zumeist im Stall gezüchtet. Nun musste dieser geschlachtet und ausgenommen werden. Und auch, wenn die Köchin heftig widersprach, ließ sich Axilla es nicht nehmen, es selbst zu machen. Das Essen war für ihre Vorfahren, und das würde sie zubereiten.
    Sie nahm also den Hasen aus seinem Verschlag und hielt ihn erstmal nur in der Hand. Das Tierchen hatte Angst, und wenn sie ihn so schlachten würde, würde sein Fleisch ganz zäh sein. So hielt sie den Hasen vorsichtig und doch fest und kraulte ihn ein Weilchen, bis er sich entspannte. Erst, als er sich beruhigt hatte und die Anspannung aus seinen Muskeln gewichen war, kam ein gut gezielter und sehr Kräftiger schlag ins Genick des Tieres, der daraufhin nur einmal kurz ruckte und dann ruhig war. Es war nicht der erste Hase, den Axilla geschlachtet hatte. Beim Ausnehmen und Häuten ließ sie sich aber ausnahmsweise helfen, denn da waren die geschickten Handgriffe der Köchin wirklich besser.
    Dann kam das Anbraten. Am liebsten hätte Axilla das Vieh einfach aufgespießt und auf offener Flamme gebraten, aber das ging bei dem komischen Ofen nicht. Also musste erst vernünftig Brennmaterial herangeschafft werden und nach einigem hin und her an einem Ort entzündet werden, wo nicht Gefahr bestand, das Haus abzufackeln. Dennoch bestand die Köchin auf zwei Sklaven, die mit Wassereimern bereitstanden. Und das, obwohl Axilla eigentlich die Herrin war! Aber sie wollte heute nicht streiten, also nahm sie diese Bewachung zähneknirschend hin.
    Der Hase wurde also mehr oder weniger – mehr weniger – fachgerecht aufgespießt und über die knisternden Flammen gehalten. Das wurde mit der Zeit ganz schön schwer, und auch das drehen fiel Axilla nicht so leicht, und die Versuche der Köchin, ihr zu erklären, dass es für sowas auch handliche Vorrichtungen gab, wo man den Spieß aufhängen konnte, kamen ein wenig zu spät, und Axilla war zu stur, es jetzt anders zu machen. So kochte sie auf ihre bevorzugte Kochweise: Außen schwarz, Innen roh.
    Wieder in der Küche und mit sehr, wirklich sehr sorgfältig gelöschtem Feuer im Garten wurde der Hase dann schließlich verteilt und auf einen Teller angerichtet. Axilla nahm die nicht allzu essbar wirkende äußere Form sehr bedrückt hin. Sie wollte ihre Vorfahren ja nicht vergiften. Sie nahm also zur Wiedergutmachung eine großzügig bemessene Portion Salz zum würzen und gutes Öl, dazu von der Köchin gebackenes Brot und den besten Wein des Hauses. Sie hoffte, Urgulania wäre deshalb nicht böse, aber immerhin ging es hier um ihre Ahnen. So bewaffnet, wobei sie sich von Leander helfen ließ, ging Axilla also wieder zurück zum Ara, damit sie mit der Speisung ihrer Ahnen und deren Gedenken beginnen konnte.

    Einen Moment stand Axilla nur perplex da und suchte nach der richtigen Antwort. Es gab ein paar Antworten, die ihr in den Sinn kamen, aber keine davon wollte passen. Angefangen bei einem zornigen „Das geht dich gar nichts an, von wem ich das kann“ über ein verwundertes „Dich stört es nicht, dass ich ein Mädchen bin?“ bis hin zu einem sehnsüchtigen „Das wäre sehr schön, das hat mich schon lange keiner mehr gefragt“, aber das alles schien nicht richtig zu sein aus dem einen oder anderen Grund. So sah sie ihn nur eine Weile etwas betreten an und wusste nicht so recht, was sie darauf erwidern sollte. Schließlich fing sie sich und schaute kurz zu Boden.
    “Ja, genau, ich sag’s ihm dann. Ähm, war schön, dich zu sehen. Ich… ähm, geh dann mal wieder.“
    Axilla war sich sehr wohl bewusst, dass sie sein Angebot eben vollkommen ignoriert hatte, aber sie wusste wirklich nicht, was sie dazu sagen sollte oder durfte. Zum einen würde sie ja wirklich, wirklich, wirklich gerne wieder trainieren. Sie hatte das schon so lange nicht mehr machen können. Aber nicht nur Urgulania würde ihr die Ohren langziehen, wenn sie davon erfahren würde. Ein römisches Mädchen machte so etwas nicht. Nicht eines aus einer Familie mit einer so langen Geschichte. Auch wenn die Iunier überschaubar klein waren und bei weitem nicht die Macht wie noch vor hundertvierzig Jahren hatten, so war sie ja doch kein niemand. Das hatte Urgulania erst auf der Hochzeit von Penelope und Ánthimos zum Ausdruck gebracht, als der junge Prudentier sie angesprochen hatte.


    Axilla drehte sich um und ging zu ihren beiden Sklaven, die noch immer da warteten, wo sie sie gelassen hatte. Auch wenn ihr Abgang vielleicht etwas plötzlich wirkte, aber sie wollte nicht schon wieder etwas machen, was vollkommen falsch wäre. Davon hatte sie schon zu viele Dinge gemacht, und sie wollte doch wirklich endlich vorbildhaft sein.
    Sie gab den beiden Sklaven einen etwas unwirsch wirkenden Wink, der soviel bedeuten sollte, wie dass sie gehen konnten. Erst schon fast am Tor packte es Axilla doch noch einmal und sie drehte sich noch einmal und plötzlich auf dem Absatz um und schaute zu Marcus zurück.
    “Ähm, Marcus. Also, wegen dem Schwert… ähm… ich meine… ja, ähm… du hast recht.“
    Womit genau, ließ sie offen. Eigentlich stimmte ja alles, was er dazu gesagt hatte. Ihr Vater hatte es ihr beigebracht, sie würde gerne trainieren und Urgulania hätte ganz sicher etwas dagegen. Aber das musste sie jetzt nicht so aufschlüsseln.
    “Also, vale.“

    Vorsichtig nahm Axilla das Schwert entgegen und trat damit einen Schritt von Marcus zurück, um genug Sicherheitsabstand zu ihm zu haben. Bis dahin hielt sie es vorsichtig und zu locker in der Hand, aber nun war es fast wie ein kleiner Ruck, der durch ihren Körper ging, als sie den Griff richtig hielt. Sie drehte sich leicht seitlich, so dass sie im Profil zu Marcus stand, und hielt die Klinge am ausgestreckten Arm gerade von sich, als wäre sie eine Verlängerung des Armes. Eine perfekte gerade Linie, an der sie entlangschauen konnte. Die Klinge war wirklich sehr gerade, durch die Länge aber schwer. Der Schwerpunkt lag anders als bei einem Gladius, etwas weiter vorne, wenn auch nicht viel. Axilla ging in den etwas breitbeinigen Grundschritt eines Legionärs und hob die Klinge leicht am angewinkelten Arm neben sich, vollführte damit einen schnellen Stich gegen einen unsichtbaren Gegner, während ihr linker Arm sich fast wie von selbst unmerklich hob, als würde sie mit einem Schild einen Gegenschlag blocken.


    Der Tag war sonnig. Sie waren auf einer Wiese, etwas entfernt von jedem, der sie sehen könnte. Etwas weiter hinten grasten die Pferde von ihrem Vater und seinem Schwertbruder, Castricius Tegula. Sie waren heute beide heimgekommen, und er war Gast bei ihnen zuhause. Axilla war mit ihrem Vater geritten, er war allein geritten. Tegula saß auf einem Stein in der Sonne und grinste sie und ihren Vater an.
    „So, mein Eichhörnchen. Halt das Gladius nicht zu fest. Du musst es locker genug halten, damit der erste kräftige Hieb dir nicht gleich den Arm bricht, aber fest genug, dass es dir niemand aus der Hand schlägt“
    Axilla versuchte es, als der donnernde Bass von Tegula dazwischenschallte. „Wie wenn man seinen Schwanz hält beim…“
    “Ich hab gar keinen Schwanz“ funkte Axillas helle Kinderstimme dazwischen, sichtlich verwirrt, und Tegula lachte. Vater warf ihm einen etwas strengeren Blick zu. Dann wandte er sich wieder an Axilla, und lächelte dieses Lächeln, bei dem sie immer zurücklächeln musste.
    „Komm schon, Cassiodor, es ist und bleibt ein Mädel. Gib ihr lieber ne Nadel in die Hand als das Ding. Ist doch zu groß für sie.“
    Das kleine Mädchen zog eine Schnute und griff fester um den zu großen Ledergriff und hielt das Schwert tapfer vor sich. Und ihr Vater wandte sich mit seinen grauen Augen und diesem siegessicheren Ausdruck um den Mundwinkel an seinen Freund. „Sie ist meine Tochter. Nichts ist zu groß oder zu schwer für sie.“


    Axilla hatte gar nicht bemerkt, dass sie in ihrer Bewegung vollkommen erstarrt war, als die Erinnerung sie überschwemmt hatte. Mit deutlich schlacksigeren Bewegungen nahm sie das Schwert herunter, als die Körperspannung auf einmal aus ihrem Körper zu weichen schien und sie mit ihren Gefühlen kurz einen heftigeren Kampf ausfocht als gegen jeden imaginären Gegner. Wie sie es gelernt hatte, gab sie die Klinge an Marcus zurück, mit der Spitze zum Boden zeigend und dem griff so, dass er ihn gut und einfach greifen konnte.
    “Ist… anders als ein gladius. Aber sicher ein gutes Schwert. Liegt gut in der Hand, gute Balance, und nicht zu schwer. Der Schwerpunkt ist etwas anders, aber daran gewöhnt man sich sicher.“
    Sie schluckte noch einmal und suchte nach einem Themenwechsel. Das war ihr doch ein wenig peinlich. “Ähm, ich sag das dann dem Gymnasiarchos. Übermorgen, spätestens, richtig? Ja, das richte ich ihm dann aus.“

    Die Sonne glitzerte auf der Klinge, als Markus sie zog und vor sich auf den Händen balancierte. Axilla bewegte ihren Kopf, um dem Lichtspiel einen Moment zuzusehen, wie dieser kleine Fleck Sonnenlicht am Eisen entlangglitt. Erstaunt bemerkte Axilla, dass der Lichtfleck dabei nicht hüpfte. Die Klinge musste wirklich über die gesamte Länge sehr gerade sein. Und dabei war sie so dünn! Nungut, ein gladius war ja auch eher eine Stichwaffe und keine Hiebwaffe wie eine dieser Barbarenäxte, von denen sie gehört hatte, oder eine Keule, und musste daher ja eigentlich nicht sooo breit sein. Aber das Dingelchen hier musste doch beim Auftreffen auf eine schwere Rüstung brechen! Wie konnte man da genug Wucht in den Schlag legen, um durch eine Rüstung hindurchzudringen, ohne dass die Klinge brach?
    “Und damit kann man richtig kämpfen, oder sind die nur zum Anschauen? Ich meine, es ist so… schmal. Muss die Klinge dann nicht brechen, wenn sie auf einen harten Panzer trifft, oder gleitet sie dann einfach ab? „
    Axillas Hand glitt einen Fingerbreit über der Klinge an dieser entlang, ohne sie zu berühren. Für viele Soldaten war ihre Waffe etwas wichtiges, für manche etwas heiliges. Das tatschte man nicht so ungefragt einfach an. Aber sie wollte ein Gefühl für die Waffe haben. Sie biss sich noch einmal auf die Unterlippe, bevor sie ihren Mut zusammennahm und einfach mal fragte.
    “Darf ich es mal halten? Ich bin auch ganz vorsichtig.“

    Ach, dann war das Schwert sicher aus diesen Land Han, das eigentlich Chin hieß, oder so ähnlich zumindest, wenn Axilla sich alles richtig gemerkt hatte. Sie war schon sehr versucht, danach zu fragen, ob sie es vielleicht mal anschauen dürfte, aber Marcus fragte gleich nach der Nachricht. Kurz blinzelte sie fast verwirrt und schaute dann kurz ertappt zu Boden.
    “Oh, ähm, ja, die Nachricht, genau.“
    Sie holte kurz Luft, um noch eine Sekunde Zeit zu schinden, in der sie überlegte, was sie denn alles sagen sollte. Sie wollte ja nichts vergessen.
    “Der Gymnasiarchos Nikolaos Kerykes bittet dich, ihn unbedingt in den nächsten Tagen zu besuchen. Er möchte mit dir über deinen Gesetzesentwurf sprechen, bevor er ihn im Koinon vorlegt, und er möchte das nicht verzögern. Deshalb wäre es wichtig, dass du die nächsten Tage vorbeikommst. „
    Hatte sie etwas vergessen? Sie glaubte nicht. Von den Schwierigkeiten, die er und Axilla diskutiert hatten, würde er ihm sicher selber erzählen wollen, das sollte sie jetzt nicht ausrichten.
    Sie schaute sich noch einmal Marcus an und ihr Blick glitt wieder kurz über das Schwert, und sie biss sich kurz auf die Unterlippe, um nicht der Versuchung zu erliegen, doch danach zu fragen. Das gehörte sich sicher nicht, sie sollte an sowas kein Interesse haben. Stattdessen sollte sie sich lieber endlich mal fürs Weben interessieren. Also wartete sie lieber, ob Marcus ihr eine Antwort mitgeben würde, und hielt sich eisern zurück, der Versuchung nachzugeben.

    Die wohlbekannte Stimme kam von etwas weiter hinten, und sofort zuckte Axilla auch hoch und sah sich um. Marcus Achilleos stand leicht erhöht und in der typischen Art eines Soldaten da. Sofort musste Axilla lächeln, es ging gar nicht anders. Sie mochte Soldaten einfach, es erinnerte sie an ihren Vater, wie könnte sie da nicht lächeln?
    “Salve, Marcus Achilleos.“ Wenn er ihren ganzen Namen nannte, dann nannte sie auch seinen. “Ich hab eine Nachricht für dich, vom Gymnasiarchos.“
    Sie kam näher und ließ die Frau mit den roten Haaren und ihre beiden Sklaven kurz einfach stehen. Marcus hatte ein etwas komisch anmutendes Schwert an seiner Seite. Sofort war Axillas Blick irgendwie darauf geheftet, weil es so anders aussah als die, die sie kannte. Sie legte den Kopf leicht schief und Nikolaos war irgendwie vergessen.
    “Dein Schwert sieht irgendwie anders aus. Und trägst du es nicht auf der falschen Seite?“
    Ein römisches gladius wurde rechts getragen. Dort, wo man es auch zog, damit es beim Formationskampf nicht versehentlich an den Schild stieß oder ablenkte, wenn man mit der Schildhand gerade einen Hieb abwehren musste. Dass man ein Schwert auch über Kreuz ziehen könnte, auf die Idee war Axilla daher noch nicht einmal gekommen. Sie wunderte sich nur, weil es doch so anders aussah wie üblich.