Es war ein bewölkter Tag in Alexandria. Nicht anders als die Tage davor, denn die Regenzeit brachte jeden Tag viele Wolken und manchmal schüttete es wie aus Kübeln, so dass man meinen mochte, die Welt wolle ertrinken. Und doch war dieser 13. Tag des Februar anders als die Tage davor, zumindest für Axilla. Sie ging nicht zur Arbeit, sie würde es die nächsten neun Tage nicht tun. Dass Nikolaos sie dann auch nicht bezahlte, war ihr egal, und ebenso, dass er deshalb böse auf sie sein könnte. Immerhin war er ein Grieche und wusste darüber hinaus nichts von Axillas genauer Geschichte. Niemand wusste etwas genaues, niemand fragte auch danach. Nicht, dass Axilla etwas erzählt hätte, aber dennoch war es so, dass sich auch niemand dafür zu interessieren schien.
Und so war dieser 13. Februar etwas besonderes, auch wenn es kein Freitag war. Obwohl das ja auch niemanden eigentlich kümmerte, welcher Tag denn war, konnte doch niemand wissen, dass in über 1800 Jahren ein Haufen Leute wegen kleiner, bedruckter Papierscheinchen so unglücklich sein würden, dass sie wegen deren Verlust an einem Ort namens Nova Eboracum an einem Freitag gleich aus diversen Fenstern springen würden. Wenn es Goldmünzen gewesen wären, die sie verloren hätten, könnte man es ja vielleicht verstehen, aber wer sprang wegen buntem Papier in den Tod?
Doch an diesem Tag begannen die Parentalia. Axilla hatte schon die Vornacht nicht schlafen können. Es gab nicht viel, was sie feierte, oder was sie fürchtete, insgesamt glaubte sie nicht mehr wirklich daran, dass die Götter den Menschen helfen würden. Der einzige Gott, zu dem sie eine Verbundenheit verspürte, war der wilde und freie Faunus. Daher waren ihr alle Feiertage eigentlich egal. Außer den Parentalia, an denen man der eigenen Vorfahren gedachte.
Am Morgen hatte sie sich in ihre einfachsten, schlichtesten, schwarzen Sachen gekleidet. Es war nur ein sehr einfaches Kleid und ihr eigentlich fast zu klein, denn in den letzten zwei Jahren war sie doch noch ein Stückchen gewachsen. Aber sie wollte sich kein neues anfertigen lassen, und vor allem wollte sie heute nicht einkaufen. Da nahm sie lieber in Kauf, dass das Kleid etwas zu kurz war und eben nicht bis zum Boden, sondern nur bis knapp zu den Knöcheln ging. Ihr Haar war offen und nicht zusammengesteckt wie sonst meistens. Und sie lief barfuß herum, auch wenn das wohl als übertrieben gelten mochte. Doch war sie ohnehin nur im Haus.
Ganz in der Frühe hatte sie Leander gebeten, ihr mit der Rüstung des Vaters zu helfen. Sie stellten ein Holzgestell beim Ara und dem Lararium auf, das auch mannshoch war. Auf dieses stellten sie die Rüstung auf, ganz vorsichtig, damit nichts beschädigt wurde. Axilla war da sehr penibel und genau und scheuchte Leander schließlich von der Rüstung, um sie selbst perfekt aufzuhängen und zu verschließen. Selbst den Roßhaarbusch auf den Helm schraubte sie auf, obwohl sie wusste, dass ihr Vater das Teil albern gefunden hatte.
Sie hatte keine andere Möglichkeit, mit ihren Vorfahren in Kontakt zu treten als mit dieser behelfsmäßigen Sache. Die Gräber ihrer Ahnen waren hauptsächlich in Hispania, aber sie war hier. Nur sie und ihre Laren und die Rüstung waren hier, sonst hatte sie nichts von ihren Vorfahren. Doch Axilla war fest entschlossen, ihrer Vorfahren zu gedenken.
Danach war die Küche ihr Ziel, wo sie die arme Köchin herumscheuchte. Am Vortag hatte sie einen Hasen gekauft. War gar nicht so einfach gewesen, denn hier in Ägyptus liefen nicht hunderte von diesen Rammlern frei auf den Feldern herum, sondern wurden zumeist im Stall gezüchtet. Nun musste dieser geschlachtet und ausgenommen werden. Und auch, wenn die Köchin heftig widersprach, ließ sich Axilla es nicht nehmen, es selbst zu machen. Das Essen war für ihre Vorfahren, und das würde sie zubereiten.
Sie nahm also den Hasen aus seinem Verschlag und hielt ihn erstmal nur in der Hand. Das Tierchen hatte Angst, und wenn sie ihn so schlachten würde, würde sein Fleisch ganz zäh sein. So hielt sie den Hasen vorsichtig und doch fest und kraulte ihn ein Weilchen, bis er sich entspannte. Erst, als er sich beruhigt hatte und die Anspannung aus seinen Muskeln gewichen war, kam ein gut gezielter und sehr Kräftiger schlag ins Genick des Tieres, der daraufhin nur einmal kurz ruckte und dann ruhig war. Es war nicht der erste Hase, den Axilla geschlachtet hatte. Beim Ausnehmen und Häuten ließ sie sich aber ausnahmsweise helfen, denn da waren die geschickten Handgriffe der Köchin wirklich besser.
Dann kam das Anbraten. Am liebsten hätte Axilla das Vieh einfach aufgespießt und auf offener Flamme gebraten, aber das ging bei dem komischen Ofen nicht. Also musste erst vernünftig Brennmaterial herangeschafft werden und nach einigem hin und her an einem Ort entzündet werden, wo nicht Gefahr bestand, das Haus abzufackeln. Dennoch bestand die Köchin auf zwei Sklaven, die mit Wassereimern bereitstanden. Und das, obwohl Axilla eigentlich die Herrin war! Aber sie wollte heute nicht streiten, also nahm sie diese Bewachung zähneknirschend hin.
Der Hase wurde also mehr oder weniger – mehr weniger – fachgerecht aufgespießt und über die knisternden Flammen gehalten. Das wurde mit der Zeit ganz schön schwer, und auch das drehen fiel Axilla nicht so leicht, und die Versuche der Köchin, ihr zu erklären, dass es für sowas auch handliche Vorrichtungen gab, wo man den Spieß aufhängen konnte, kamen ein wenig zu spät, und Axilla war zu stur, es jetzt anders zu machen. So kochte sie auf ihre bevorzugte Kochweise: Außen schwarz, Innen roh.
Wieder in der Küche und mit sehr, wirklich sehr sorgfältig gelöschtem Feuer im Garten wurde der Hase dann schließlich verteilt und auf einen Teller angerichtet. Axilla nahm die nicht allzu essbar wirkende äußere Form sehr bedrückt hin. Sie wollte ihre Vorfahren ja nicht vergiften. Sie nahm also zur Wiedergutmachung eine großzügig bemessene Portion Salz zum würzen und gutes Öl, dazu von der Köchin gebackenes Brot und den besten Wein des Hauses. Sie hoffte, Urgulania wäre deshalb nicht böse, aber immerhin ging es hier um ihre Ahnen. So bewaffnet, wobei sie sich von Leander helfen ließ, ging Axilla also wieder zurück zum Ara, damit sie mit der Speisung ihrer Ahnen und deren Gedenken beginnen konnte.