Beiträge von Iunia Axilla

    Sim-Off:

    Keine Hektik


    Auch sein Kompliment konnte das Gefühl in Axilla nicht vertreiben, etwas zu tun, dass sie eigentlich gar nicht wollte. Ein bisschen grummelig schaute sie zu ihm hoch und biss sich überlegend auf der Unterlippe herum. Diese schlechte Angewohnheit hatte sie schon immer, so dass sie es auch jetzt gar nicht merkte.
    Keine Ahnung. Vielleicht erzählst du mir erstmal ein bisschen von ihr, bevor ich ein Gedicht für sie schreibe? Wie heißt sie, wie sieht sie aus? Was fühlst du, wenn du sie anschaust? Und warum kannst du ihr nicht selber sagen, was du für sie fühlst?


    Ein bisschen Information brauchte Axilla schon. Sie konnte ja nicht einfach irgendwas schreiben, in der Hoffnung, dass es sich schon richtig anhören würde.

    Tränen der Verzweiflung flossen ungehindert über Axillas Wangen. Was sollte sie denn noch machen? Sie würde doch alles, alles tun, wenn er sie nur dafür lieben würde. Warum liebte er sie nicht? War es nur die Angst vor den Konsequenzen?
    Aber, das muss doch nicht so sein. Ich… ich war in der Bibliothek, und hab nachgelesen. Tiberius Claudius Caesar Augustus Germanicus, ja, dieser Imperator, hat das Gesetz geändert. Ab dem dritten Grad darf man heiraten, Silanus. Wir sind erst im fünften verwandt.
    Am erstaunlichsten an dieser verzweifelten Aussage war wohl, dass sie den vollen Namen des Imperators ohne eine Spur von Unsicherheit herunterrattern konnte. Denn alles an Axilla schien zu zittern.
    Und wenn du mich nicht heiraten willst, ist es mir auch egal. Ich will nur bei dir sein.
    Völlig in Tränen aufgelöst sank Axilla auf die Knie. Warum nur liebte er sie nicht?


    Sie meinte, eine Bewegung von Silanus wahrzunehmen. Aber sie wollte jetzt nicht. Sie wollte nicht, dass er sie tröstete, und erst recht wollte sie nicht, dass er weiter mit seinen gemeinen Worten fortfuhr. Obwohl sie blind war vor Tränen, sprang sie auf und rannte aus dem Officium. Sie wollte nur noch allein sein.

    Nachdem ein Sklave ihr erzählt hatte, dass ein neuer Cursus beim Museion stattfand, musste Axilla das natürlich sofort überprüfen. Zuhause fiel ihr noch die Decke auf den Kopf, wenn sie noch länger nur rum saß und im Grunde genommen nichts tat. Da kam ihr so ein Kurs ganz gelegen.
    Und tatsächlich gab es eine Liste, in die man sich scheinbar nur eintragen musste, um am Kurs später teilnehmen zu können. Voller Vorfreude und in bester Schönschrift schrieb Axilla also auch ihren Namen dazu.


    Iunia Axilla

    Etwas ganz ähnliches hatte ihr Vater auch gesagt. „Sei nicht traurig, Axilla, ich komme ja bald wieder. Und ich schreib dir auch jeden Tag.“ Ja, sie wusste es noch ganz genau. Aber auch das versuchte sie sich nicht anmerken zu lassen. Das waren ihre Probleme, nicht seine. Und sie wollte es ihm nicht schwer machen, obwohl sie bezweifelte, dass es für ihn auch nur halb so schwer war wie für sie.
    Also lächelte sie und nickte. „Ja, bestimmt.
    Und bevor sie hier noch beide ewig standen, beschloss sie, sich nun richtig zu verabschieden. „Ich geh dann besser wieder ins Haus zurück. Vale, Achilleos.


    Den Bettler im Hintergrund nahm sie überhaupt nicht wahr.

    Oh, natürlich, werde ich machen. Und ich will doch mal hoffen, dass ich dann ein Buch bekomme. Wenn ich dir schon sowas in den Kopf setze, möchte ich doch dann auch wissen, was dabei herauskommt.
    Axilla lachte, aber es konnte nicht ganz verdecken, dass sie traurig war. Sie hatte noch so wenig Bekannte und Freunde, und jeder, der wegfiel, war für sie schlimm. Aber sie versuchte, es sich nicht anmerken zu lassen und verdeckte es unter einer Maske von Fröhlichkeit.
    Dann ist es jetzt wohl soweit, oder? Ich wünsche dir, dass die Winde dein Schiff schnell über das Meer führen, und dass Neptun und Mercur dich sicher ans Ziel führen.
    Und sie wünschte ihm einen besseren Magen als ihrer. Bei ihrer Reise von Tarraco nach Alexandria hing sie die meiste Zeit über der Reling. Aber sowas sagte man nicht zum Abschied.

    Ein wenig bezweifelte Axilla, dass sie ihn einmal besuchen kommen können würde. Sie konnte ja nicht um die halbe Welt reisen, um einen älteren Mann zu besuchen, wie sähe das denn aus? Obwohl sie dann bestimmt Lust darauf hätte. Naja, vielleicht sahen sie sich doch noch, ein wenig Hoffnung gab es ja. Trotzdem war Axilla ein bisschen traurig, dass Marcus gehen musste.
    Ja, wenn du so eine weite Reise vor dir hast, musst du bestimmt noch einiges erledigen. Ich danke dir, dass du vorbeigekommen bist. Ich hätte mich sicher gefragt, wo du steckst, wenn du plötzlich nicht mehr da gewesen wärst.
    Axilla stand auf und strich sich kurz den gröbsten Sand aus ihrem Kleid.
    Ich bring dich dann noch zur Porta.

    Wie alle jungen Mädchen hatte auch Axilla den Drang, das Schmuckstück anzufassen, hielt sich aber gerade noch im allerletzten Moment zurück. Das gehörte sich nicht, an fremder Leute Schmuck herumzufingern, solange sie ihn trugen. Nach seiner Erzählung konnte sie ihm zumindest ansatzweise folgen. Wobei sie immer noch glaubte, dass er sich selbst geißelte und Vergebung von Außen suchte, anstatt sich selbst zu verzeihen. Aber das sagte sie nicht.
    Dann sehen wir uns wohl nicht wieder, oder? Das ist… traurig. Aber deine Reise ist wichtig. Ein Vater ist immer wichtig.
    Axilla vermisste ihren so furchtbar schrecklich. Vor allem in diesem Moment wünschte sie sich, sie hätte auch ein Medallion oder so etwas von ihm, um sich immer an sein Gesicht zu erinnern. Noch konnte sie in Gedanken sein Lächeln und seine Augen sich vorstellen, das strenge Kinn, wenn sie etwas ausgefressen hatte. Aber sie hatte furchtbare Angst, dass sie es eines Tages vergessen könnte.
    Wenn das nicht zu aufdringlich ist, würdest du mir dann schreiben? Ich würde gerne wissen, ob du gut angekommen bist. Und so.
    Vor allem das „und so“ würde sie interessieren, aber das wollte sie ihm nicht auf die Nase binden. Allzu neugierig musste sie ja nun auch wieder nicht sein.

    Oh.
    Ein intelligenterer Kommentar fiel Axilla im ersten Moment nicht ein.
    Das ist natürlich schade. Wohin musst du denn reisen?
    Axilla verstand nicht so ganz, warum er jetzt verreisen musste, um seinen Seelenfrieden zu finden. Was gab es woanders, was es in Alexandria nicht gab? Und außerdem war sie von Grund auf neugierig.

    Axilla lächelte traurig. Ich bin kein Staub, dachte sie sich nur, sagte es aber nicht. Den Satz hätte sie genauso gut der Wand sagen können.
    Aber kein Mensch ist frei von Liebe und Hass. Selbst Sklaven fühlen das. Und auch alles andere. Ich finde, man sollte nicht versuchen, alle Gefühle loszuwerden. Was ist mit Freude, Freundschaft, Ehre, Treue? Muss man sich davon auch befreien? Von allen Tugenden?
    Ich würde nicht sagen, dass du ein schlechter Mensch bist, weil du zu nah an die Sonne geflogen bist. Gut, du bist vielleicht abgestürzt, aber du lebst noch. Die Götter wollten also nicht deinen Tod, was auch immer du gemacht hast.

    Axilla mochte die Geschichte von Ikarus gerne. Vor allem, weil sie sie selbst so oft gehört hatte, wenn sie über die Strenge geschlagen hatte. „Maß halten“ war die Lieblingsphrase ihrer Mutter gewesen.

    Axilla hörte sich alles an und nickte schweigsam. Wäre auch zu einfach gewesen, wenn es einfach wäre. Aber wie sagte ihr Lehrer schon so schön? Wenn du etwas willst, musst du dafür arbeiten. Von nichts kommt nichts.
    Nun, da ich diese Lehre gar nicht kenne, maße ich mir kein Urteil darüber zu. Aber ich verstehe es nicht ganz. Nichts begehren, heißt das nicht auch, nie lieben? Nie hassen? Nie leben?
    Vielleicht sehe ich das zu einseitig, aber die Götter werfen uns nicht zu Boden, um uns zu quälen. Sie tun es, damit wir stärker wieder aufstehen.

    Zumindest dachte Axilla gerne so von den Göttern.
    Axilla hätte noch etwas zu sagen, aber da war sie sich nicht ganz sicher. Ihre Freundschaft, so man es so bezeichnen wollte, stand noch auf sehr wackeligen Füßen, und sie wollte es nicht durch ihr vorlautes Mundwerk gleich wieder alles kaputt machen. Und ein Vortrag darüber, dass er sich erst einmal selber vergeben musste, ehe er irgend etwas wieder gut machen konnte, war jetzt vielleicht zuviel des Guten.

    Ja, aber er sollte nicht nur zu hoch fliegen wegen der Sonne, sondern auch nicht zu tief wegen dem kalten Wind über den Wellen.
    Axilla holte einmal Luft. Irgendwie hatte sie gerade ein ganz starkes deja-vu , nur dass Iason ihr immer mit solchen Geschichten gekommen war und sie erst nicht wusste, worauf er hinaus wollte.
    Nach zuviel zu streben ist schlecht. Aber auch nach zuwenig.
    Ich glaube nicht, dass du ein schlechter Mensch bist. Ich weiß nicht, was du alles getan hast, aber ich mag grundsätzlich keine schlechten Menschen. Und dich mag ich, also kannst du kein durch und durch schlechter Mensch sein.

    Sie ließ die Worte erst einmal wirken. Wenn sie zuviel auf einmal plapperte, war das wie ein Vortrag, und sie wollte ihm bestimmt keinen halten.

    Wieso kniete er sich jetzt neben der Bank auf den Boden? Marcus war manchmal schon ein besonders komischer Kauz. Axilla wollte aber auf gleicher Augenhöhe mit ihm sprechen, und wenn er nicht zu ihr auf die Bank kam, musste sie eben zu ihm auf den Boden kommen. Es war zwar ein wenig schade um das Kleid, aber was soll’s? Der Boden war zwar natürlich sauber, aber der ägyptische Sand war einfach hartnäckig. Sie setzte sich also auf den Boden, die Knie zur Seite und angewinkelt, sich auf einer Hand ein bisschen abstützend.
    Sie überlegte, wie sie es am besten anfangen konnte.
    Hmm, kennst du die Geschichte von Ikarus?
    Das war vielleicht ein bisschen ein holpriger Anfang, aber ein besserer fiel ihr grade nicht ein, um langsam auf das Thema zu kommen, das sie eigentlich sagen wollte. Und die Geschichte von Ikarus und seinem Vater war eine der bekannteren.

    Warte! Bitte, komm, bitte setz dich.
    Leucos? Ich komme ohne dich zurecht.

    Mit dieser etwas freundlicheren Variante teilte sie dem Sklaven mit, dass sie ungestört sein wollte. Der Alte verstand und entfernte sich.
    Ich möchte bitte ein wenig mit dir reden, wenn du erlaubst.
    Irgendetwas an seinen Worten verursachte bei Axilla den dringenden Drang, ihm helfen zu wollen.

    Das musste sie jetzt nicht verstehen, oder doch? Er war nur hergekommen, um vor ihr auf die Knie zu fallen und sie um Entschuldigung zu bitten, und wollte dann gleich wieder gehen? Ohne eine Erklärung, ohne ein paar freundschaftliche Worte zu wechseln, ohne alles? Das überstieg irgendwie ihren Horizont.
    Ähm, wie du möchtest. Ich, ähm, will dich nicht aufhalten, wenn du keine Zeit hast.
    Auch wenn eine Erklärung ganz nett gewesen wäre. Oder überhaupt ein paar Worte. Im Moment hinterließ das ganze nur ein „Was ist eigentlich passiert?“-Gefühl.

    Eigentlich wollte Axilla ja mit ihm böse sein und schmollen. Sie hatte sich schon ausgemalt, wie sie ihn mit Missachtung strafen könnte, wenn er hereinkam, und ihm zeigte, wie eine waschechte Römerin sich verhalten konnte. Aber wie konnte man auf jemanden böse sein, der sich selbst so erniedrigte, um sich bei einem zu entschuldigen? Das nahm ihr den ganzen Wind aus den sprichwörtlichen Segeln, so dass sie nur völlig perplex dastehen und ungläubig auf ihn hinuntersehen konnte. Der würde noch in der Mitte durchbrechen, wenn er weiter so dastand!
    Ja, ich glaube dir, dass es dir leid tut. Ich akzeptiere deine Entschuldigung. Jetzt bitte, steh dich richtig hin. Das macht mich ganz kirre.
    Nicht, dass er sich noch weh tat.

    Ich… kannst du… ich kann keine Entschuldigung von einem Rücken annehmen. Steh bitte auf.
    Dass er sich vor ihr so auf den Boden warf und da blieb, war für Axilla zutiefst verwirrend. Sie war doch keine Göttin oder die Augusta oder sowas, was ein solches Verhalten auslösen könnte. Und ja, sie war sauer auf ihn, sogar ganz gewaltig sauer, aber deshalb musste er sich doch nicht wie ein Häuflein Elend zusammenkrümmen und auf dem Boden krauchen?
    Axilla stellte sich hin und ging zu Marcus hinüber, tänzelte dann wieder einen Schritt zurück, weil sie nicht wusste, ob er nun aufstand oder ob sie ihm aufhelfen musste oder was das ganze hier zu bedeuten hatte. Das war so verwirrend!

    Als Marcus hereintrat, saß Axilla noch auf ihrer Bank. Demonstrativ sah sie einen Moment nicht zu ihm herüber und blieb auch sitzen, anstatt ihn zu begrüßen. Aber was er daraufhin tat, überraschte sie so, dass sie vor Schreck die Beine auf die Bank hochzog und ihre Knie umarmte. Normalerweise war sie ja nicht so schreckhaft, aber dieses Verhalten war so unerwartet, dass Axilla vollkommen verwirrt auf Marcus hinunterstarrte.
    Wa… was machst du da?“ Es dauerte einen Moment, bis sie ihre Sprache wiedergefunden hatte.

    Axilla war mit einem Buch bewaffnet im Perystilum untergetaucht. Sie saß auf einer der Bänke und ganz in die Gedichte vertieft, als Leucos vorbeikam und sich räusperte. Axilla brauchte einen Moment, bis sie den Kopf aus dem Buch hob und ihn so richtig bemerkte.
    Leucos? Was gibt es denn?
    Eigentlich wollte sie ja hier ungestört ein wenig lesen.
    Verzeih, Herrin. Vor der Türe steht ein Marcus Archilleos und lässt ausrichten, dass ihm sein Verhalten leid täte und er sich entschuldigen möchte.
    Der schon wieder“, grummelte Axilla vor sich hin. Sie überlegte einen Moment, ob sie ihn einfach vor der Tür stehen lassen sollte.
    Na gut, er kann reinkommen. Aber Leucos? Du bleibst bei dem Gespräch da.
    Ja, Herrin, ich hole ihn.

    Das war ja mal eine komische Bitte. Die meisten wollten erst ins Haus und sowas persönlich machen. Leucos war etwas überrascht, und andererseits auch nicht. Die junge Herrin war gestern sehr wütend nach Hause gekommen und hatte dementsprechend auch Anweisung gegeben, sie sei nicht zu sprechen. Ob das heute immer noch so war, auch angesichts einer Entschuldigung, wusste Leucos aber nicht.
    Gut, ich werde es ihr ausrichten. Warte hier einen Moment.
    Und damit schloss er die Tür und begab sich auf die Suche nach seiner Herrin. Er glaubte, sie beim Perystilum gesehen zu haben.