Seine Tonlage brachte sie beinahe zur Verzweiflung. Wieso war er so nett zu ihr? Konnte er nicht einfach gemein und ekelig zu ihr sein, damit sie ihn nicht mehr mochte? So, wie er mit ihr redete, wollte sie nichts lieber, als sich ihm an den Hals werfen und von ihm beschützen lassen. Aber wenigstens war diese Tonlage dazu geeignet, den bislang dringenderen Wunsch in ihrem Unterleib zu ersticken.
„Doch es stimmt. Ach, Silanus, siehst du das denn nicht? Was ich getan habe? Was ich tue? Eine gute Frau macht das nicht.“
Verstand er denn wirklich nicht? Sie blickte ihm verzweifelt in die Augen. War sie denn nicht nur schlecht, sondern auch vollkommen unfähig? Hatte er wirklich nichts gespürt, nichts bemerkt?
„Ich wollte immer nur wie Mutter werden, so ruhig und still, und jetzt bin ich so schlecht geworden. Ich seh dich an und seh nicht den Vetter, den ich sehen sollte. Ich hätte vorhin aus dem Bad gehen sollen und nicht versuchen sollen… ach, Silanus…“ Sie konnte es nicht einmal aussprechen. Wenn sie es sagte, dann war es wirklich wahr.
Beiträge von Iunia Axilla
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Gerade, als sich Axilla der zweiten Hälfte ihres Weinbechers zuwenden wollte, hielt Silanus ihren Arm fest. Wenn sie nur ein bisschen hätte trinken wollen, hätte er mit seinen Sorgen Recht, aber ihr Ziel war es ja eigentlich, sich zu betrinken, und da war seine Berührung in doppelter Hinsicht hinderlich. Er hinderte sie ja nicht nur am Trinken, sondern rief ihr den Grund, warum sie trinken wollte, auch noch so eindringlich in Erinnerung. Von daher wäre „untergehen“ das, was sie jetzt am liebsten getan hätte. Am besten gleich im Boden versinken, wenn es ihre Gedanken nur beruhigen würde.
„In Ordnung?“ Axilla atmete einmal und schaute ein wenig starr, als müsse sie über die Bedeutung der Worte überlegen. Schließlich schüttelte sie den Kopf und ließ den Kopf hängen. „Ich bin ein schlechter Mensch“, murmelte sie schließlich kleinlaut vor sich hin.
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Als sich ihre Finger kurz berührten, als sie ihm den Becher gab, hätte Axilla ihn beinahe fallen lassen. Schnell klammerte sie sich an ihren Becher und wollte schon trinken, als sie sich wenigstens ein wenig an ihre Manieren erinnerte. Sie prostete ihrem Vetter leicht zu. „Bene tibi.“
Erst dann nahm sie einen ordentlichen Schluck. Sie war es absolut nicht gewohnt, Wein zu trinken, also nahm sie gleich beim ersten Schluck zuviel. Und auch wenn er verdünnt war, war er ihr fast schon zu stark. Er schmeckte irgendwie dumpf und säuerlich für sie, und hatte nicht die viel gepriesene, Sorgen vergessen lassende Wirkung. Aber Axilla war auch noch zu jung, um zu wissen, dass Sorgen gut schwimmen konnten und sich nicht in Wein ertränken ließen.
Aber sie versuchte es, indem sie noch ein paar kleinere Schlucke nahm. Das Resultat war dann ein kleiner Schluckauf und ein Glühen auf den Wangen. -
Axillas Blick folgte seinem Fingerzeig. Dort stand eine Amphore und einige Becher, aber leider außerhalb der Reichweite ihrer beider Arme. Eine würde also aus dem Wasser steigen müssen, um sie zu holen. Und Axilla traute sich noch nicht so weit, dass sie nicht gucken würde, wenn Silanus aus dem Wasser stieg. Anders herum traute sie ihm aber. Gerade eben wollte er sie nicht, also würde es jetzt auch nicht anders sein.
„Ich hol sie schnell her. Drehst du dich um?“
Axilla wartete, bis er ihrer Aufforderung nachgekommen war. Ein Teil von ihr hoffte, er würde sich nicht daran halten, als sie zum Rand des Beckens watete und sich nach oben zog. Sie hätte auch die bequeme Treppe nehmen können, aber sie war sportlich genug, um sich am Rand hochzuziehen und gelenkig genug, dann gleich mit dem Fuß am Boden aufzusetzen und aufzustehen, ohne auf allen vieren herumzukriechen. Sie wand kurz ihre Haare aus, um nicht das ganze Balneum vollzutropfen, und ging dann zu dem Tischchen.
Immer schön mit kleinen Schritten, um nicht auf dem Boden auszurutschen, erreichte sie den Tisch. Sie nahm sich zwei Becher in die Linke und die Amphore in die Rechte. Das Gefäß war zwar schwer, aber nicht untragbar, und Axilla war nicht so schwächlich wie sie aussah. Und sie hatte keine Lust für jeden neuen Becher wieder aus dem Becken zu klettern.
Sie stellte die Amphore und die Becher auf den Beckenrand, ehe sie sich daneben setzte und ins Wasser gleiten ließ.
„Du kannst dich wieder umdrehen“, meinte sie an Silanus gerichtet.
Sie schenkte zwei Becher ein, was aufgrund des Höhenunterschieds zur Amphore gar nicht so einfach war. Ein bisschen schüttete sie sich selbst über die Schulter und sie fluchte leise über das Missgeschick. Aber wenigstens war sie schon am Baden, da war es nicht so schlimm.
Sie nahm seinen Becher – obwohl sie nicht einmal wusste, ob er überhaupt einen wollte – und mit ihrem in der anderen brachte sie ihn Silanus. Ganz allein zu trinken wäre noch deprimierender als die Situation ohnehin schon war. -
Silanus zog sich so schnell von ihr zurück, dass ein Gefühl der Kälte auf Axillas Schultern zurückblieb. Sie rechnete schon damit, dass er sie verstoßen würde, weil er sie durchschaut hatte. Aber er redete nur von der Massage, wenn Axilla seinem Ton auch etwas anderes anzuhören glaubte.
Sie traute sich nicht, sich sofort zu ihm herumzudrehen, noch traute sie ihrer Stimme. Also nickte sie einfach und meinte heiser „mmhmm“. Ihr war sehr wohl bewusst, dass Silanus eben das getan hatte, was sie nicht geschafft hätte. Sie hätte sich nicht von ihm lösen können, und sie hätte ihn sicher auch nicht abweisen können, wenn er in diese Richtung weiter gemacht hätte.
Das Kribbeln in ihrem Bauch verwandelte sich langsam in einen dumpfen Schmerz und ein Gefühl der unendlichen Leere. Sie wusste, sie wollte ihn noch immer, trotz allem. Das Beste wäre wohl, sie würde sich von ihm fernhalten, bis dieses elende Gefühl vollkommen weg war. Axilla war allein bei diesem Gedanken nach heulen zumute.
Sie zwang sich, sich gleichmütig zu geben und zu Lächeln, als sie sich zu ihm umdrehte. Als sie ihm in die Augen schaute, begann ihr Herz wieder so wild zu schlagen und sie wusste auch, dass ihr Blick sie wohl verraten würde, also schaute sie schnell wieder auf die Wasseroberfläche.„Silanus? Ich wollte noch sagen…“ Sie wollte sich ihm erklären. Sie wollte ihm alles sagen, alles beichten. Aber sie konnte nicht. Die Worte kamen einfach nicht heraus. Sobald sie ihn anschaute, konnte sie nichts sagen, denn statt einer Erklärung wäre sicher nur etwas anderes herausgekommen. Venus, warum tust du mir das an?
„ähm… ich meine… danke… für die Massage.“
Das sie das eigentlich nicht hatte sagen wollen hätte wahrscheinlich selbst ein Tauber gehört. Aber was sollte sie sonst schon sagen? „Entschuldige, dass ich dich verführen wollte“? Sicher nicht, vor allem hätte es nicht einmal ansatzweise ehrlich klingen können. Es tat ihr nicht leid."Du hast nicht zufällig etwas Wein hier?"
Eigentlich trank Axilla ja nichts. Wein stieg ihr so wahnsinnig schnell zu Kopf, und sie war noch etwas jung für einen Rausch. Aber im Moment glaubte sie, ein Glas gut vertragen zu können. -
Bei seinem Kompliment wurde sie leicht rot und musste lächeln. „Die bewundernden Blicke gelten bestimmt alle dir.“
Axilla hakte sich bei ihm ein, darauf achtend, nicht auf den Saum seiner Toga versehentlich zu treten. Sie war manchmal so ungeschickt und es wäre nicht das erste Kleidungsstück, das aufgrund ihrer Unachtsamkeit ein vorzeitiges Ende als Putzlappen fand. Aber für heute blieb dem Stoff ein solches Schicksal erspart.
„Ja, ich wäre soweit.“ Axilla strahlte Silanus regelrecht an in Vorfreude auf den Spaziergang. -
Seine Hände in ihrem Nacken und an ihrem Hals jagten ihr Schauer über den ganzen Körper. Axilla versuchte krampfhaft an irgendetwas anderes zu denken, aber es ging einfach nicht. Immer wieder kamen kleine Laute von tief aus der Kehle über ihre Lippen, die sie einfach nicht zu unterdrücken vermochte. Es war ihr so unendlich peinlich. Aber sie konnte sie einfach nicht zurückhalten.
Dieses Kribbeln in ihrer Bauchgegend hatte sich mehr ausgebreitet, und sie hatte dieses Gefühl, dass es nie wieder aufhören würde. Es war so furchtbar. Es war so schön. Sie schämte sich so sehr. Sie spürte, dass ihre Wangen glühten, wusste aber nicht sicher zu sagen, ob nun aus Scham oder aus einem anderen Grund.Als seine Hände wieder über ihren Halsansatz strichen, hielt sie sie mit ihren Händen fest. Sie zitterte und wusste, dass er es spürte. Sie hielt seine Hände einfach nur fest, streichelte leicht mit ihren Fingern über seine. Sie wollte nicht, dass er aufhörte, aber sie konnte nicht sagen, was sie tun würde, wenn er weiter machte. In ihr wütete ein Aufruhr, den ihr Geist zu verlieren drohte.
Sie atmete zitternd. Sie wollte es ihm gerne erklären, wusste aber nicht wie. Dafür gab es keine richtigen Worte. Sie ließ ihren Kopf leicht zur Seite sinken, so dass ihre Wange seine Finger berührte. Sie wollte ihn so unbedingt. Sie durfte ihn so auf keinen Fall haben. Wie sollte sie ihm DAS nur sagen? -
Axilla hatte sich von einer Sklavin die Haare noch einmal durchkämmen und ordentlich zusammenstecken lassen. Die Haarspangen, die wunderschön in der Form von Seepferdchen geschnitzt worden waren, zwickten zwar ein wenig, aber Axilla nahm es hin. Wenn sie heute tatsächlich zum Haus des Präfekten gehen würde, wollte sie nicht nur schön sein, nein, sie musste umwerfend aussehen.
Dazu noch ihre besten Ausgehschuhe aus gutem Leder. Nur das Kleid war dasselbe, aber ein neuer Gürtel vervollkommnete das Bild. Da es in dieser Aufmachung vollkommen unmöglich war, zu rennen, Axilla aber ihren Vetter nicht warten lassen wollte, tippelte sie so schnell es ging zum Eingang. Silanus war natürlich schon vor ihr da, und war mindestens genauso stattlich angetan wie sie selbst. Axilla bremste ihre Geschwindigkeit und kam gemessenen Schrittes auf ihn zu. Sie betrachtete ihn einmal bewundernd von unten bis oben.
„Die Toga steht dir”, bemerkte sie bewundernd. Sie gesellte sich neben ihn, um sich bei ihm einzuhaken. -
Seine Haut war wärmer als ihre. Das war das erste, was Axilla bemerkte, als seine Hände sie berührten. Für sie fühlte es sich an, als würde eine kleine Flamme mit seiner Hand über ihre Haut fahren. Ihr Herz begann so wild zu schlagen, dass sie meinte, es müsste nach außen hin laut hörbar sein. Ihre Hände und Füße wurden kälter, als würde ihre ganze Wärme zentraler gebraucht, als sich ein Kribbeln im Bauchraum dazugesellte. Axilla hielt ihren Bauch ganz leicht mit ihren Armen, gerade so, dass es nicht auffiel. Sie hatte Angst, dieses Gefühl würde ganz aus ihr herausbrechen wie der Pegasus aus dem Haupte der Medusa.
Was tat sie hier eigentlich? Diese Frage drängte sich geradezu auf. Schon bei den ersten Sätzen, die sie mit Silanus gewechselt hatte, hätte sie diese Frage sich stellen sollen. Ein anständiges Mädchen hätte das getan. Ein sittsames Mädchen hätte das getan. Und solch ein Mädchen wüsste sicher auch eine Antwort. Axilla indes wusste keine.
Und sie konnte sich auch keine Gedanken wirklich darum machen. Denn wann immer sie anfing, darüber nachzudenken, wanderten ihre Gedanken weiter. Was, wenn Silanus nun dies tun würde? Was, wenn Silanus sie nun dort berühren würde? Wenn er diese kleine, kribbelnde Stelle an ihrem Hals küssen würde? Oder beißen? Vor allem beißen klang gerade in ihren Gedanken mehr als nur ein wenig verlockend, und sie schämte sich für ihre Gedanken.
Sie ließ den Kopf leicht hängen. In ihr stritten sich Lust und Scham, und je mehr Lust sie empfand, umso mehr lastete die Scham auf ihrem Gewissen. Sie beobachtete mit starrem Blick das Wasser, ob auch alle Körperstellen vor seinem Blick verborgen waren, die ihr – in ihren Augen – niederes Wesen offenbaren könnten. Sie versuchte, ihren Atem ruhig zu halten, aber bei jeden neuen Atemzug war sie sich sicher, dass Silanus es einfach genauso laut wie sie hören musste. -
Axilla schaute einmal kurz prüfend zum Eingang des Bades, ob auch wirklich niemand da war. Aber es rührte sich dort nicht einmal ein Lüftchen, wie man so schön sagte. Sie waren wirklich absolut allein und ungestört hier im Bad. Vielleicht war Axilla deshalb auf einmal so forsch und mutig, wie sie es unter prüfenden Blicken wohl niemals gewesen wäre.
Als wäre es das normalste der Welt, stellte sie mit beiläufig klingender Stimme ihre Frage an Silanus.
„Jetzt wäre doch eine Gelegenheit?“
Sie kam näher zu ihm, immer darauf achtend noch tief genug im Wasser zu sein. Sie wollte sich schließlich nicht nachsagen lassen, sie wäre unanständig. Trotzdem schlug ihr Herz wie wild, auch wenn sie sich nach Außen ganz ruhig gab. Sie bemerkte ein Kribbeln auf der Haut, als sie eine Gänsehaut bekam.
Und dabei war doch gar nichts. Zumindest redete sie sich selber das ein. Ein kleines Stimmchen in ihr beharrte hartnäckig darauf, dass sie ganz genau wusste, was sie da tat, und dass das nicht richtig war. Aber ein anderes bemerkte ganz richtig, dass es ja gerade deshalb so aufregend war.
Sie setzte sich so ins Wasser, dass sie ihm beinahe den Rücken zuwandte. Eine leichte Drehung würde genügen, und sie würde perfekt dasitzen, um sich massieren zu lassen.
„Ich meine, wo wir schon mal beide im Bad sind…“
Sie hoffte, dass man ihrer Stimme nichts anhören würde, sondern sie wirklich so ruhig war, wie sie sie hatte klingen lassen wollen. -
Ein wenig hatte sie doch gehofft, er würde sich selbst anbieten, aber dem war nicht so. Vielleicht würde sie aber später wirklich einmal das Angebot mit der Sklavin annehmen, viele solcher Angebote würde sie wohl nicht erhalten.
„Naja, es wäre auf alle Fälle sicherer. Ich weiß ja nicht so genau, was da gemacht wird, und wenn das dann ein fremder Mann macht… da ist eine Frau vielleicht wirklich sicherer. Oder vielleicht ein Mann, dem man da vertrauen kann, ein Verwandter oder so.“So ganz hatte Axilla die Hoffnung doch nicht aufgegeben, aber sie wollte Silanus da nicht bedrängen. Er schien sich gerade etwas zu entspannen, und das wollte sie durch zu forsches Vordringen kaputtmachen.
„Musst du morgen schon wieder zurück zu deiner Legion oder gönnen sie dir ein paar Tage mit deiner Familia?“
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Irgendwie hatte Axilla das Gefühl, als hätte sie Silanus überfallen und seine verdiente Ruhe gewaltsam zerstört. Sie hatte manchmal das „Talent zum Chaos“, wie es ihre Lehrer liebevoll umschrieben, aber es lag ganz gewiss nicht in ihrer Absicht. Hätte sie etwas angehabt, hätte sie wahrscheinlich eine Ausrede erfunden, um ihrem Vetter seine Ruhe wieder zu lassen. Aber sie hatte nichts an, und ein kleiner Teil von ihr fand es ungemein aufregend, mit ihm hier zu sitzen und eben nichts anzuhaben. Und ein noch kleinerer Teil fand eben das beängstigend.
„Massieren? Klingt gut, hab schon sehr viel darüber gehört. In Taracco gabs leider niemanden, der das hätte tun können. Aber für Frauen ist das wohl ohnehin etwas… schwieriger, jemanden geeignetes zu finden.“
Axilla konnte sich schon gut vorstellen, dass der eine oder andere Sklave sie gerne massiert hätte, auch ohne Ausbildung dazu. Aber so groß war Axillas Neugier dann doch wieder nicht.
Ihr kam plötzlich eine Idee. Silanus könnte sie doch jetzt massieren! Erwartungsvoll sah sie ihn an, doch dann traute sie sich doch nicht. Er war grade so komisch, vielleicht würde er das falsch verstehen. -
„Na, dann ist vielleicht gut, dass ich hier so hereingeplatzt bin. Im Wasser einschlafen ist gefährlich. Nicht, dass du mir noch ertrinkst.“
Axilla meinte das voll und ganz ernst. Als Silanus gesagt hatte, er sei eingeschlafen, hatte sie sich besorgt ihm zugewandt und erst einmal sein Gesicht gemustert. Aber sie sah darin nichts Unheilschwangeres, dafür etwas anderes. Irgendwie wirkte er ein wenig unsicher.
Hatte er sie gesehen und wusste nun nicht, wie er damit umgehen sollte? Oder war ihre Nähe ihm unangenehm? Axilla konnte ihn schlecht fragen, was genau er denn nun hatte, denn für ersteren Fall wäre es unschicklich darüber zu reden, und bei letzterem wollte es Axilla nicht wissen.
Ein seltsames Gefühl breitete sich in ihr aus, und sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie wollte etwas Kluges und Geistreiches sagen, was Silanus seine Befangenheit vielleicht nehmen würde und ihn auf andere Gedanken brachte, aber ihr fiel nichts ein. Sie plätscherte ein wenig verlegen mit dem Wasser.
„Ich wusste nicht, dass noch jemand so spät baden würde. Aber es ist schön gemacht. Mit den Kerzen und so, richtig… schön.“
Eigentlich wollte sie romantisch sagen, aber bevor es ihr rausrutschte, fing sie sich. Statt dessen schloss sie etwas unverfänglicher, wenn auch lahm. -
„Dann zieh ich mir noch schnell bessere Schuhe an. Bis gleich.“
Axillas Stimme hatte diesen Unterton, in dem freudige Erwartung, Ungeduld und Begeisterung zu gleichen Teilen mitschwang und den wohl nur junge Menschen mit Inbrunst hervorbringen konnten. Sie gab ihrem Vetter noch einen flüchtigen Kuss auf die Wange und war auch schon aus dem Officium hinaus, um ihre Schuhe zu suchen. Dass ihr Vetter diese vertraute Geste von ihr noch nicht kannte, bedachte sie dabei gar nicht. Zuhause hatte sie das immer so gehandhabt bei Menschen, die sie liebte, da dachte sie gar nicht darüber nach. -
Hochrangige und angesehene Bürger Alexandrias und eine Sechzehnjährige, die nicht einmal genau wusste, wie sie in so erlauchte Gesellschaft gekommen war. Aber das war Axilla jetzt auch egal, es galt eine Chance zu nutzen. Carpe Diem!
„Natürlich will ich! Worauf warten wir noch?“
Sie war schon ganz aufgeregt. Axilla war da nicht anders als die meisten anderen Jugendlichen, und wollte Dinge, die sie begehrte, lieber gestern als morgen haben. Auch wenn für eine Frau Zurückhaltung als schicklich galt, das war ihr egal. -
Das Wasser war herrlich, beinahe wie ein Traum. Axilla stieg die Treppe hinunter, bis sie mit der Hüfte im warmen Wasser stand. Die Kerzen tauchten alles in ein herrlich irreales Licht, das zum träumen verlockte. Sie drehte sich leicht – und erstarrte.
Ganz deutlich hörte sie Silanus Stimme, der ihren Namen sagte. Instinktiv blickte sie Richtung Eingang, aber da war er nicht. Es dauerte einen Augenblick, bis sie realisierte, dass er im Wasser war, und einen weiteren, bis sie realisierte, dass sie immer noch nackt dastand und sich nicht bewegte. Als erstes stieß sie die angehaltene Luft aus und nahm einen tiefen Atemzug. Geschmeidig sank sie tiefer ins Wasser, so dass es sie bis zu den Schultern bedeckte, und wendete ihren Kopf zu Silanus.
„Hast du mich grade erschreckt. Ich hab dich gar nicht gesehen. Ich dachte, ich wäre alleine.“
Sie lächelte, teils aus Freude ihn zu sehen, teils aus Verlegenheit erwischt worden zu sein und teils aus Scham, weil sie nicht wusste, wie viel er nun gesehen hatte. Oh, Axilla schämte sich ganz und gar nicht für ihren Körper, sie wusste, dass sie hübsch war. Aber Silanus sollte nicht denken, dass sie sich absichtlich vor ihm eben ausgezogen hatte.
„Ich hoffe, ich hab dich nicht bei irgendwas gestört?“
Sie kam ein kleines Stückchen näher zu ihm, damit sie nicht so laut reden mussten, aber nicht zunahe, als dass er einen falschen Eindruck bekommen könnte. Sie war sich nicht sicher, wie viel man bei dem Licht nun wirklich sah, und drehte sich sittsam etwas mehr seitlich, um ihm den Blick zu nehmen. -
„Und da dürfen wir einfach so reinspazieren?“
Silanus hatte „in den Statthalterpalast“ gesagt, nicht „zum Statthalterpalast“. Axilla war noch nie in irgendeinem Palast gewesen, egal ob von einem Statthalter oder sonst wem. Allein der Gedanke war schon aufregend. Das war ja fast so, als würde man in Rom sagen, man spaziere „mal so als Abstecher“ ins Palatium, einfach so, um es sich einmal anzusehen. So nah an der wirklichen Regierung ihrer Welt war Axilla noch nie, und Silanus sagte das so, als wäre das etwas ganz Selbstverständliches.
„Oh das wäre… huh… da dürfen wir wirklich reingehen, wenn wir hingehen?“ Axilla fehlten einfach die Worte. Also diesen Spaziergang würde sie sicher nicht so schnell vergessen. -
Eher zufällig kam Axilla am Balneum vorbei. Sie hatte eigentlich kein bestimmtes Ziel oder eine bestimmte Absicht, sie schlenderte einfach so einmal durchs Haus, um sich die Langeweile zu vertreiben. Der Abend war bereits fortgeschritten und Axilla hatte absolut nichts mehr zu tun, aber um zu Bett zu gehen war es zu früh.
Abgesehen davon kämen bestimmt nur diese unerwünschten Träume wieder. Axilla träumte in letzter Zeit sehr viel, und bei den Träumen, bei denen sie sich hinterher erinnern konnte, wachte sie in letzter Zeit schweißgebadet auf. Nicht, dass diese Träume besonders Furcht einflößend oder schrecklich gewesen wären, eher im Gegenteil. Aber sie wälzte sich dabei so im Bett, dass sie hinterher nackt und aufgedeckt dalag.
Und aus diesem Grund schob sie die Zeit fürs Schlafengehen gerne auf, bis es wirklich vollkommen dunkel war und ihre Verwandten schon alle im Bett.Aber nun war sie erstmal an der Tür zum Balneum und wunderte sich. Das Bad lag im Halbdunkel verschiedener Kerzen, das Wasser war ganz ruhig und eine kleine Dampfschicht zeigte, dass es noch warm war. Aber Axilla sah niemanden. So ruhig, wie Silanus entspannt im Bad lag, hüllte ihn der sanfte Nebel ein und das Zwielicht der Kerzen tat sein übriges, damit er vor ihrem Blick verborgen blieb.
Axilla überlegte kurz, ob sie einen Sklaven rufen sollte, damit er die Kerzen löschte und das Wasser abließ. Aber andererseits, sie selbst hatte heute auch noch nicht die Vorzüge eines Bades genossen. Sie hatte zwar nicht die passende Unterkleidung dabei, aber es war ohnehin so spät, dass wohl keiner mehr zu ihr kommen würde. Und sollte ein Sklave das Bad betreten, scheuchte sie ihn einfach wieder raus. Solange sie im Wasser war, konnte man ohnehin nichts sehen. Und sie war heute zu bequem, um noch einmal in ihr Zimmer zu tapern, um ihre Badesachen zu holen. Dazu war das Wasser zu verlockend.Axilla spähte also noch einmal links und rechts in den Gang, ob sonst wirklich niemand grade hier war, und trat leise ein. Ganz leise schlich sie zu einer Bank an der Seite, als wäre es verboten, so spät abends noch zu baden. Sie entkleidete sich vorsichtig und langsam. Zum einen, um noch rechtzeitig den Stoff wieder hochreißen zu können, falls gerade jetzt ein Diener hereinkam, und zum anderen, damit ihr Kleid nicht noch nass wurde. Da das Bad ja eingelassen und geheizt war, musste ja jemand gebadet haben, aber bei dem schwachen Kerzenlicht sah sie eventuelle Pfützen auf dem Boden nicht.
Als sie damit fertig war, warf sie noch einen prüfenden Blick in Richtung Eingang. Aber da war absolut niemand. Sie legte ein Lächeln auf und drehte sich dem Becken zu. Mit vorsichtigen, kleinen Schritten tippelte sie hinüber und stieg die Treppe hinein ins Wasser. -
„Oh ja!“Mit einem freudigen kleinen Hüpfer kam Axilla ein Stück auf Silanus zu, bevor ihr ihr Gefühlsausbruch so richtig bewusst wurde. Verschämt senkte sie kurz die Augen, aber ihr freudiges Lächeln zu unterdrücken vermochte sie nicht. „Ich meine, das wäre sehr schön und ich würde mich sehr freuen.“
Axilla bedachte ihren Vetter mit einem schelmischen Blick und hakte sich bei ihm ein. „Wohin wollen wir denn spazieren?“ -
„Ach, das macht doch nichts. Stehen hat auch einige Vorteile, wie ich gemerkt habe. Im Sitzen umarmt es sich so schwer, und um den Hals fallen kann man da auch nicht. Stehen ist da geradezu perfekt, da könnt ich sogar noch mit dir tanzen, wenn ich wollte.“
Nun, den letzten Satz fand Axilla selbst ziemlich albern, aber ihr fiel nichts mehr ein, um das Gespräch noch ein wenig in die Länge zu ziehen. Ihr Vetter brauchte keine Hilfe, und sie selber hatte keine Fragen mehr, die nicht allzu offensichtlich preisgaben, dass sie darauf gar keine Antwort brauchte.„Nun… ich denke, ich sollte dich dann besser nicht weiter aufhalten. Auch wenn es nur wenige Briefe und Berichte sind.“
Sie sprach langsam, um jederzeit aufhören zu können, wenn Silanus sie unterbrach. Irgendwie kam sie sich dabei albern vor, so kannte sie sich gar nicht. Anhänglich wie ein kleines Kind… es war vielleicht wirklich besser, wenn sie jetzt einfach ging, ehe es noch peinlich wurde.
Sie überspielte ihre Gedanken mit einem strahlenden Lächeln, das höchstens ihre engsten Vertrauten durchschaut hätten, und wartete noch auf seine Erwiderung.