Beiträge von Iunia Axilla

    Axilla trat mit Elan in das Zimmer, der ihre Unsicherheit überspielen sollte. Als sie dann aber sah, dass Ihr Vetter nicht einmal aufgeblickt hatte, nahm es ihr schon wieder den Schwung. Andererseits gab es ihr die Gelegenheit, ihn sich einen Augenblick in Ruhe anzusehen, ehe sie ihn ansprach. Sie hatte ihn anders in Erinnerung. Größer… und weniger attraktiv. Was aber beides auch einfach daran liegen mochte, dass sie damals nicht einmal zehn Jahre alt war und alle Jungs prinzipiell schon mal doof waren. Und jetzt mit 16 war sie eben in einem Alter, in dem sich das ein klein wenig geändert hatte und die meisten Mädchen ihre Zeit damit verbrachten, miteinander die Vorteile der verschiedenen männlichen Zeitgenossen ausgiebigst zu diskutieren.
    Salve, Vetter.
    Sie hatte lange überlegt, wie sie ihn begrüßen sollte, hatte nach ihrer Ankunft sogar damit begonnen, vor dem Spiegel zu üben. Bis eben war sie sich noch nicht sicher gewesen, ob sie „Vetter“ oder „Silanus“ oder eine förmlichere Anrede wählen sollte. Aber nun war es raus, und hoffentlich klang es so gut wie vor dem Spiegel. Axilla war immer noch etwas nervös.

    Er war da! Der Sklave hatte es ihr vorhin erst gesagt. Schnell war sie in ihr Cubiculum daraufhin gelaufen und hatte sich umgezogen. Üblicherweise trug sie eine einfache Tunika, aber so wollte sie ihrem Vetter nicht das erste Mal über den Weg laufen. Nein, sie machte sich für ihn hübsch, er sollte beeindruckt sein.
    Also stand sie nun vor seinem Officium mit dem grünen Kleid, das ihre Augenfarbe so schön unterstrich und ihrer Haut diese noble Blässe verlieh. Unter der ägyptischen Sonne war sie ohnehin viel zu dunkel geraten, da war das Kleid goldrichtig, um es weniger auffallen zu lassen. Ihre Haare, die sie sonst wild offen trug, waren zusammengesteckt, so dass sie fast wie eine richtig edle Dame aussah. Sofern ein Mädchen von 16 Jahren, das nervös vor einem Zimmer auf und ab lief und sich nicht traute, anzuklopfen, wie eine edle Dame aussehen konnte.
    Die Sklaven, die aus verschiedensten Gründen vorbeigingen, konnten sich mittlerweile ein Schmunzeln schon nicht mehr verkneifen. Sie musste auch zu komisch aussehen. Als würde ihr Cousin sie auffressen, wenn sie anklopfte! Sie wollte ihn dabei doch nur begrüßen und ihn vielleicht darum bitten, ihr ein paar Tipps zu geben, wie sie am besten eine angesehene Arbeit fand. Aber das war leichter gedacht als getan.
    Komm schon, Axilla, er wird dich schon nicht beißen“, machte sie sich selbst noch einmal Mut und klopfte dann beherzt an die Tür.

    Nachdem alles sorgfältig ausgepackt und alles an seinem Platz war, brachte Axilla auch ihre Lares an den für sie vorgesehenen Platz: Das Lararium. Diese eigentlich einfache Aufgabe erwies sich als schwieriger denn angenommen, denn Axilla musste feststellen, dass die Sklaven ihre Sprache wohl nur lückenhaft sprachen – oder sich dumm stellten, was sie aber nicht annahm. Schließlich aber hatte einer doch verstanden, was sie wollte, und sie zum Ara begleitet.
    Wie das ganze Haus war auch der Ara prachtvoll ausgestaltet. Eine schöne Statue der Göttin Iuno stand aus weißem Marmor gehauen erhaben da. Lediglich die etwas welkeren Blumen, die am Altar als kleine Opfergaben aufgestellt waren, ließen erkennen, dass ihre übrige Verwandtschaft die Göttin wohl ebenso langweilig fand wie Axilla. Auch wenn sie das niemals laut gesagt hätte, aber sie konnte mit Ehe und Kinderkriegen und dem Ganzen einfach nicht wirklich etwas anfangen. Da waren Götter wie Mars, Mercurius, Apollo oder auch Diana und Venus einfach viel interessanter als Iuno. Nichts desto trotz beschloss Axilla, sich ein wenig mehr um die Göttin hier zu kümmern. Immerhin war sie Namensgeberin ihrer Gens, und sie wollte ja nicht, dass wegen ein paar Welken Blumen der sprichwörtliche Haussegen schief hing.
    Sie ging zum Lararium direkt neben dem Ara, um dort ihre Lares auch unterzubringen. Schöne, gemalte Schlangen zeigten, dass dieses Haus auch lares loci hatte, die es von diesem Ort aus beschützten. In eine Nische dieser bemalten Wand war eine Art kleiner Tempel gehauen, in der die anderen Lares der Iunier standen.
    Axilla betrachtete ihre eigenen kleinen Statuen. Sie wirkten irgendwie viel schäbiger, abgenutzter, als diese glänzend polierten Lares, die hier schon standen. Und auch irgendwie etwas kleiner. Axilla verschob die vorhandenen Figuren und machte so Platz für ihre Lares. Sie hoffte, die Geister würden sich hier wohl fühlen. Ein bisschen fühlte sie sich selbst wie diese Statuen: Etwas zu gewöhnlich für so einen schönen Haushalt, etwas zu ärmlich und zu ländlich. Aber auch sie hoffte, sich in diesem erhabenen Kreis bald heimisch fühlen zu können.
    Nachdem sie alles zu ihrer Zufriedenheit gerichtet hatte, scheuchte sie noch einen Diener los, ein kleines Schälchen mit Wein für die Laren und frische Blumen für Iuno zu holen. Als auch das zu ihrer Zufriedenheit erledigt war, begab sich Axilla müde in ihr Cubiculum um sich auszuruhen.

    Das heillose Durcheinander an Kisten in ihrem neuen Cubiculum lenkte Axilla soweit ab, dass sie sich nicht schluchzend auf die nächstbeste Liege schmiss, sondern ganz geschäftig rumgestikulierte. „Nein, die Kiste nicht da hin, dort rüber. Und Vorsicht mit der da. Nein, nein, nicht einfach absetzen, die muss noch da rüber. War das eben ein Scheppern?
    Die armen Träger und die noch viel ärmeren Sklaven wurden mit den verschiedenen Kisten und Truhen durchs ganze Zimmer gehetzt, und als sie endlich alle an den gewünschten Positionen waren, noch einmal herumgescheucht, da Axilla es sich doch noch einmal anders überlegt hatte. Als sie schließlich zufrieden war, wurden die Träger vom Hafen etwas weniger herzlich aus dem Zimmer hinauskomplimentiert und von einem Sklaven aus dem Haus geleitet.
    Axilla machte sich sogleich daran, ihr Gepäck richtig zu sortieren. Die Truhen mit der Kleidung konnten so bleiben, wie und wo sie waren, aber die Kisten wurden nun geöffnet und ihr Inhalt schön säuberlich verteilt. Da waren schön gearbeitete Vasen und Schalen, von denen sie sich nicht hatte trennen können, das ein oder andere candelabrum, das bisschen Schmuck, das sie besaß. Und noch das wichtigste: Ihre Lares. Sie war sich zwar sicher, dass ihr Vetter eigene Lares hatte, aber sie konnte ihre ja nicht so einfach in Hispania zurücklassen. Wer würde den Schutzgeistern denn sonst die Anbetung zuteil werden lassen, die sie verdienten? Da wären die übrigen Geister sicher sehr böse mit ihr gewesen. Und Geister verärgerte man besser nicht.
    Vorsichtig nahm sie die Figurinen aus dem mit Stroh gefüllten Kasten und stellte sie auf den Tisch. Gründlich untersuchte sie sie, ob auch nichts kaputt gegangen war, aber sie waren noch ganz. Liebevoll strich sie einmal über den geschnitzten Körpers der Kriegerstatue. Er erinnerte sie immer an ihren Vater, und deshalb war sie Axilla die liebste von allen.

    Nach dem Gespräch mit Urgulania war Axilla nach draußen gegangen. Ihr Gepäck mitsamt den Trägern und den beiden Soldaten wartete immer noch, und irgendwie war es ihr peinlich, alle so lange warten zu lassen. Sie hob ihre Stimme, damit alle Träger sie hören konnten.
    "Tragt mein Gepäck ins Haus. Dieser Sklave zeigt euch, in welchen Raum."
    Die Träger nahmen die abgesetzten Kisten und Truhen wieder hoch und folgten dann im Gänsemarsch dem Sklaven ins Hausinnere. Axilla wandte sich unterdessen mit ihrem charmantesten Klein-Mädchen-Lächeln an die beiden Soldaten. "Verzeiht, dass ich euch beide so lange von eurer Pflicht abgehalten habe."
    Dem Blick nach zu urteilen, war es wohl in Ordnung. Axilla hoffte, dass die Wachen ihr die Wartezeit nicht übel nahmen. Beim nächsten Besuch am Tor würde sie es sonst sicher erfahren.


    Und schließlich kam der schwerste Teil. Sie wandte sich von den Soldaten ab, und ging zu Iason herüber. Er hatte sich in den Schatten eines Baumes gestellt, in seinem Alter vertrug er die Sonne nicht mehr so gut.
    "Iason..." Axilla wußte nicht, was sie ihm sagen wollte. Sie wusste, er musste nach Hause, wusste, dass seine Frau und seine beiden Kinder auf ihn warteten, wusste, das Schiff würde nicht warten. Aber es fiel ihr so unendlich schwer, die passenden Worte zu finden für den Sklaven, nein, den Freund, der sie so lange behütet hatte. Eine Träne kullerte über ihre Wange, und er wischte sie mit seiner rauhen Hand weg. "Eine Dame weint nicht in der Öffentlichkeit."
    Und da war ihr der Anstand egal, und sie umarmte Iason, drückte ihn ganz fest an sich, barg ihr Gesicht an seiner Brust, wie sie es als kleines Kind unzählige Male getan hatte. Sie hielt ihn ganz fest, als wolle sie ihn nie mehr loslassen. "Versprich mir, dass du schreibst. Versprich mir, dass du mich nicht vergisst." Sie wollte weinen, und dass ihre Nachbarn es vielleicht sehen konnten, war ihr egal.
    Iason hob ihr Kinn und stellte sie gerade vor sich hin. Erst, als sie wieder wie eine Frau und nicht mehr wie ein Kind dastand, gab er Antwort. "Ich verspreche es dir."


    Gerne hätte sie ihn noch einmal umarmt. Gerne hätte sie ihm noch so viele Dinge gesagt. Gerne hätte sie alles Beigebrachte vergessen. Aber sie atmete einmal tief durch, besann sich auf ihre Ruhe.
    "Dein Schiff wartet. Danke, Iason, dass du mich begleitet hast. Aber deine Familie hat lange auf dich gewartet. Ich gehe jetzt mal besser wieder zu meiner zurück."
    Sie rang sich ein letztes Lächeln ab, und dann wandte sie sich um. Ihn weggehen zu sehen ertrug sie nicht, also stapfte sie stur wieder zum Haus zurück, ohne sich auch nur einmal noch umzudrehen. Sie hoffte, dass ihr Zimmer sie lange genug ablenken würde, ehe sie eine Dummheit machte.

    Axilla nickte und wusste einen Moment nichts zu sagen. Es war alles irgendwie anders, als sie es erwartet hatte, aber nichts desto trotz gut. Sie hatte ein neues Zuhause, ihr Zimmer würde hergerichtet sein und sie konnte sich um alles kümmern. Vielleicht konnte ihr Urgulania ja auch helfen, eine anständige Arbeit zu finden. Sie hatte in ihrem Leben zwar bisher nicht arbeiten müssen, aber sie wollte ihren Verwandten nicht auf der Tasche liegen. Und bevor diese beschlossen, sie zur Aufbesserung der Haushaltskasse noch gar zu verheiraten, war arbeiten wohl das kleinere Übel.
    Aber zunächst galt es, nahe liegendere Probleme zu beseitigen. Ihre Sachen mussten geordnet werden, sie musste schauen, was fehlt, und Iason musste schleunigst zum Schiff zurück, ehe es wirklich ohne ihn abfuhr.
    Sie zögerte noch einen Moment, hinauszugehen. Sie wollte gerne irgendwas zu Urgulania sagen, aber sie wusste nicht was. „Danke“ wäre das einleuchtendste und treffendste, aber es klang ihr zu profan. Ein Lächeln, das zwischen Dankbarkeit und Scham lag, war das einzige, was sie noch hervorbringen konnte, ehe sie das Tablinum verließ, um nach ihren Sachen zu sehen.

    Ein Stein fiel von Axillas Herzen, als sie Urgulanias Worte vernahm. Sie durfte hier bleiben, sie war willkommen. Sie wäre nicht mehr allein, sie hatte wieder eine Familie um sich, in der sie sich geborgen fühlen konnte. Alles würde gut werden, ganz sicher. Ganz spontan ließ sie sich von ihrem Glücksgefühl mitreißen und umarmte Urgulania.
    Als sie sie wieder losließ, schaute sie ganz verlegen drein. Wieviele Stunden hatten ihre Lehrer versucht, ihr ihre spontanen Einfälle auszureden? Aber manchmal musste man seinen Gefühlen eben Ausdruck verleihen.
    Oh, Essen möchte ich lieber noch nichts. Ich habe immer noch das Gefühl, als würde der Boden unter mir sich bewegen. Aber ein richtiges Bett klingt sehr verlockend, und vielleicht ein Bad.
    Da fiel ihr plötzlich ein, dass Iason noch mit ihren ganzen Sachen draußen wartete. Und dass er ja zum Schiff zurückmusste. Irgendwie wurde ihr bei dem Gedanken ganz anders. Er war der letzte Mensch in ihrer Umgebung, der ihre Mutter gekannt hatte. Ihn ziehen zu lassen war fast, als würde sie ihre Mutter ziehen lassen. Aber sie wusste, es musste sein.
    Aber erst müssten meine Sachen noch ins Haus gebracht werden.Und ich muss mich noch verabschieden, dachte sie, auch wenn es ihr sehr schwer fiel.

    Axillas Wut verrauchte, so schnell sie gekommen war. Eigentlich war sie auch gar nicht wirklich wütend, sie war nur so… so… sie wusste es selbst nicht. Traurig, verzweifelt, aufgeregt, einsam, alles gleichzeitig und nichts so wirklich, und vor allen Dingen eins: durcheinander.
    Die Matrosen zumindest behaupten, dass die Reise angenehm gewesen sei. Wir sind auch einen Tag zu früh wegen dem schönen Wetter. Aber… ich vertrage Seefahrten nicht so gut.
    Über die näheren Einzelheiten musste Axilla sich nicht auslassen. Urgulania konnte sich sicherlich ihren Teil denken, und wie oft sie sich nun über die Reling erbrochen hatte war nun wirklich alles andere als ein angemessenes Gesprächsthema. Axilla fühlte sich noch immer unsicher, auch wenn die ältere Frau ihr zu glauben schien. Verlegen kratzte sie an ihrem Arm.
    Ich habe mich zu entschuldigen. Du konntest ja nicht erwarten, dass ich so plötzlich vor der Türe stehe. Es ist nur… ich… ich hatte gehofft, dass vielleicht Silanus da ist, oder mein Onkel Varus, und dass… ach, ich weiß auch nicht genau. Es ist alles so ein Durcheinander seit Mutter tot ist.
    Den letzten Satz hatte sie eigentlich nicht sagen wollen, der war ihr herausgeplatzt. Sie biss sich dafür auch gleich auf die Zunge. Immerhin war sie schon sechzehn Jahre alt, da konnte man von einer Frau ein wenig Selbstständigkeit erwarten. Unter normalen Umständen wäre sie wahrscheinlich schon verheiratet mit zwei Kindern und der Herrschaft über ein eigenes Haus. Aber sie war es nicht, und sie fühlte sich mit der ganzen Situation schrecklich überfordert.

    Axilla stockte bei der Frage. Wusste Urgulania es nicht, oder wollte sie sie veralbern? Gerade Scherze über dieses Thema nahm Axilla gar nicht gut auf. Sie hatte ihren Vater geliebt, auch wenn seine Anwesenheit zuhause ein eher seltenes Phänomen gewesen war. Wie alle Soldaten war er mal hier, mal dort, und das war meistens eben eher „dort“ als „hier“.
    Dazu kam, dass sie seit dem Tod der Mutter ohnehin etwas empfindlicher als üblich war. Wenigstens ihr Beileid hätte sie kundtun können, ehe sie mich so was fragt, schoss es ihr wütend durch den Kopf. Aber jetzt war nicht die Zeit, wütend zu sein. Schließlich wollte Axilla etwas, und nicht umgekehrt. Also galt es, sich zu benehmen, und auf jede Frage brav, höflich und ruhig zu antworten.
    Er ist gestorben, schon vor über zwei Jahren. Soweit ich weiß, war er davor auch nie in Britannia.
    Ein Klos hatte sich in ihrem Hals beim Sprechen gebildet, und Axilla hoffte, dass man es nicht hörte. Sie wollte doch nobel, stark und selbstsicher wirken, nicht wie ein weinerliches kleines Kind.

    Das also war Urgulania. Axilla fand sie trotz des Alters wunderschön, eine Respekt einflößende Persönlichkeit. Ganz eine Dame. Ganz all das, was Axilla nicht war.
    Sie hörte auf, auf der Unterlippe wie ein kleines Mädchen herumzukauen und bemühte sich um eine möglichst gerade Haltung. Schön damenhaft, wie es ihr beigebracht wurde – naja, zumindest versuchsweise, sie schlug halt auch da mehr nach dem Vater.
    Ja, ja das stimmt. Ich hab ihm geschrieben.
    Dass das vielleicht ein bisschen wenig Information war, merkte selbst sie. Sie atmete einmal richtig durch, und beschloss, noch mal ganz von vorne anzufangen.
    Ich bin Iunia Axilla, die Tochter von Atticus Iunius Cassiodor. Silanus und mein Vater waren Vettern und… Mutter ist vor zehn Wochen gestorben, und da hab ich ihm geschrieben.
    Sie war nervös und ihre Hände spielten etwas miteinander, verknoteten sich beinahe, während sie sprach. Sie hatte so furchtbare Angst, dass sie gleich wieder weggeschickt wurde. Sie hatte doch noch nicht einmal das Geld, um wieder nach Hause zu fahren.

    Na dann ich hier warten, dachte sich Axilla und schaute sich in dem Raum um. Ein wenig wirkte er noch, als wäre er nicht fertig. Er war schön und gradezu luxuriös, wie das ganze Haus, aber irgendwas sagte Axilla, dass etwas fehlte. Wenn sie nur wüßte, was?
    Nervös kaute sie auf ihrer Unterlippe herum und versuchte, sich abzulenken.

    Axilla gab Iason mit einem Zeichen zu verstehen, dass er auf die Träger aufpassen solle. Nicht, dass die mit ihrem Gepäck noch Blödsinn anstellten. Dann folgte sie dem großen Sklaven.

    Silanus nicht da? Großartig. Axilla meinte fast Neptunus und Mercurius lachen zu hören. Da hatten sie eine so schnelle Überfahrt, nur damit jetzt ihr Vetter gar nicht da war.
    Axilla überlegt kurz, wer Urgulania war. Da sie hier im Haus wohnte und sie nicht annahm, von den Soldaten zum falschen Haus geführt worden zu sein, musste sie mit ihr verwandt sein. Sie meinte, es könnte die Tante ihres Vaters gewesen sein, aber ganz sicher war sie nicht. Sie hatte definitiv zu wenig Kontakt mit der Familie gehabt, weil sie immer bei ihrer kranken Mutter daheim geblieben war.
    Gut, dann möchte ich bitte mit deiner Herrin sprechen.
    Hoffentlich durfte sie rein. So langsam aber sicher bedauerte sie es, sich bei der Palla gegen Iason durchgesetzt zu haben. Die Sonne hier brannte ja fürchterlich um diese Tageszeit.
    Und hoffentlich war es wirklich so, wie alle immer sagten, und sie war ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Denn eines war sicher, sollte sie nicht hierbleiben dürfen, wußte Axilla nicht, wohin sie hätte gehen sollen.

    Axilla stand einen Herzschlag wie erstarrt einfach nur da und schaute zu dem Riesen, der ihr gegenüber stand, hinauf. Erst nach zweimal Blinzeln hatte sie sich wieder gefangen und plapperte geradezu drauf los.
    Ich bin Iunia Axilla, Cousine von Lucius Iunius Silanus. Und ich will gerne mit deinem Herrn sprechen, damit meine Sachen möglichst schnell in mein Zimmer gebracht werden. Hier draußen ist es heiß, weißt du?
    Sie war es ganz und gar nicht gewohnt, von einem Sklaven so angegrummelt zu werden. Und hitzköpfig wie sie eben war, schimpfte sie gleich zurück. Dass sie immer noch nicht sicher war, ob denn alles überhaupt geregelt war für ihre Ankunft, vergaß sie dabei einfach.

    Nicht sicher, ob sie von den Soldaten jetzt geführt oder vielmehr eskortiert wurde, folgte Axilla samt Anhang den beiden dichtauf. Sie war so aufgeregt, dass sie die Schönheit des Viertels gar nicht richtig zu würdigen weiß. Sie spielte so lange mit einer Haarsträhne herum, bis Iason kurzerhand ihre Hand ergriff und sie so in die Realität zurückholte. Jeder andere Sklave oder Freigelassene hätte dafür eine Strafe bekommen, aber er durfte das. Er hatte ihr als Kind schon aufgeschorfte Knie verarztet und darauf geachtet, dass sie sich benahm, sie dachte gar nicht darüber nach, dass er es nun eigentlich nicht mehr durfte.
    Am Haus angekommen war der Drang, an den Fingernägeln zu kauen, beinahe überwältigend. Aber sie unterließ es, bevor Iason sich noch genötigt sah, ihr Seife auf die Nägel zu schmieren, und das mitten in der Öffentlichkeit. Sie bedankte sich bei den beiden Soldaten, die sich allerdings keinen Fingerbreit rührten. Damit war sie sich sicher, dass es mehr eine Eskorte als eine nette Geste war.
    Dennoch lächelte sie charmant und trat auf die Türe zu. Sie holte noch einmal tief Luft und klopfte dann beherzt an. Bitte, ihr Götter, lasst sie zuhause sein, betete sie lautlos zu jedem Gott, der gerade zuhören mochte.

    Mit ihren sechs menschlichen Packeseln im Schlepptau war Axillas Ankunft am Tor gar nicht zu übersehen. Mit mehr Selbstsicherheit, als sie eigentlich gerade verspürte, trat sie auf die nächststehende Wache zu und schenkte ihr sogar ein kleines Lächeln.
    Salve.
    Ich bin Iunia Axilla, das hier ist Atticus Iunianus Iason, und die da tragen mein Gepäck. Ich suche das Haus meines Vetters, Lucius Iunius Silanus.

    Sie hoffte nur, dass sie in das Viertel gelassen wurde. Immerhin war sie einen Tag zu früh. Und ihre Bedenken, dass sie vielleicht doch nicht willkommen sei, waren trotz Iasons aufmunternden Worten am Hafen dennoch nicht gänzlich verschwunden.

    Natürlich hatte Iason auf dem förmlichsten aller Kleider bestanden, und natürlich hatte Axilla in ihrem jugendlichen Trotz sich aufs heftigste dagegen erwehrt. Schließlich lag die Antwort in einem Kompromiss. Sie trug eine blaue Stola aus sehr feinem und luftigem Stoff und ihre guten Schuhe und brüstete sich noch die Haare, damit sie sie offen tragen konnte. Aber die Palla wanderte zurück in die Truhe. Kurz vor dem Einlaufen in den Hafen war sie damit auch fertig, so dass die letzte Truhe hastig gepackt und verschlossen werden konnte.
    Die Matrosen halfen zwar beim Ausladen, allerdings stellten sie Axillas gesamte Habseligkeiten einfach auf dem Pier ab, wo sie natürlich nicht lange bleiben konnten. Wäre das Wetter nicht gar so gut gewesen, wären sie nicht zu früh angekommen und es wäre sicher jemand aus ihrer Familie da, um sie zu begrüßen. Aber da es so war, wie es war, musste Axilla wohl selbst dafür sorgen, dass ihre Habseligkeiten transportiert wurden.
    Hilfesuchend sah sie sich nach Iason um. Eigentlich war geplant gewesen, dass er auf dem Schiff blieb und damit weitersegelte. Das Schiff würde mit der Abendflut wieder absegeln, sobald die Waren für hier ausgeladen waren und neue Waren für Ostia eingeladen waren. Aber sie konnte doch unmöglich ganz allein durch die Stadt gehen?
    Der Libertus sah ihren Blick und natürlich blieb er bei ihr. Nichts anderes hatte sie erwartet. Mit den letzten paar Münzen, die sie noch hatte, suchte er ein paar Träger.
    Ich werde dich noch zu deinem Vetter begleiten, Herrin, aber wenn du dort sicher angekommen bist, muss ich gleich zurück. Das Schiff wartet nicht auf mich.
    Axilla nickte nur und sagte nichts. Alles, was sie hätte sagen können, hätte weinerlich geklungen. Er war der letzte Rest dessen, was einst ihre Familie war, und sie hatte Angst vor dem, was kommen könnte. Was, wenn der Brief nicht angekommen war? Was, wenn Silanus zurück geschrieben hatte, sie solle nicht kommen, und sie nur zu früh schon abgereist war?


    Während die angeheuerten Männer die Kisten und Truhen schulterten, trat Axilla zu Iason und musste ihm einfach ihre Sorgen mitteilen. „Was ist, wenn er mich nicht erkennt? Wir haben uns das letzte Mal gesehen, da war ich ein kleines Kind. Ich erinnere mich kaum noch daran.
    Dein Vetter müsste schon blind sein, um dich nicht zu erkennen. Du bist deinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Mach dir da mal keine Sorgen.
    Und wenn er mich nicht mag?
    Dich kann man gar nicht „nicht mögen“, Herrin. Jeder, der dich ansieht, liebt dich. Du bist schön, klug, jung, du solltest dir lieber darum Gedanken machen, dass er dich nie wieder gehen lässt, wenn er dich erst einmal kennen gelernt hat und du ihm den Kopf verdreht hast.
    Iason übertrieb, maßlos, aber Axilla war ihm dafür sehr dankbar. Es linderte ein wenig ihre Ängste, wenn sie auch nicht verschwanden. Iason fragte nach dem Weg zur Basilea, und ihre kleine „Karawane“ setzte sich in Bewegung.

    In ihrer kurzen Tunika und den Schnürsandalen hatte Axilla beinahe etwas Knabenhaftes an sich, wie sie sich mit beiden Armen auf der Reling des Schiffes abstützte und der näher kommenden Küste entgegen blickte. Sie hoffte, dass die paar Brocken Brot, die sie heute gegessen hatte, dieses eine Mal in ihrem Körper bleiben würden. Ihr Haar war aus diesem Grund auch zu einem einfachen Zopf geflochten. Normalerweise trug sie es lieber offen, aber so oft, wie sie sich über die Reling beugen musste, hatte es sich als praktischer erwiesen.
    Und dabei war ihre Reise eigentlich ruhig. Sie hörte die Seemänner davon schwärmen, das Neptunus und Mercurius wohl gerade besonders gute Laune haben mussten, selbst die Winde taten ihr bestes, sie schnell übers Meer zu führen. So waren sie sogar einen Tag eher in Alexandria, als angenommen.
    Und trotzdem war es für Axilla noch viel zu lange. Vor allem die Tage, als man kein Land mehr sehen konnte, waren besonders schlimm für das junge Mädchen. Dieses ständige auf und ab des Schiffes ließ sie kaum einen Bissen bei sich behalten. Wenn sie überhaupt etwas aß, denn ihre Trauer raubte ihr den Appetit.


    Als ihr Vater vor einigen Jahren gestorben war, hatte es Axilla schwer getroffen. Zwar war ihr Vater Soldat und damit viel von Zuhause fort gewesen, aber die Momente, in denen er daheim war, hatte sie sehr genossen. Doch die Trauer damals war nichts im Vergleich zu dem Gefühl jetzt, dass ihr jedes bisschen Lebensfreude geradezu auszuquetschen schien und nichts zurückließ als eine tiefe Leere. Ihre Mutter war noch nie mit robuster Gesundheit gesegnet gewesen, aber dass sie so jung schon sterben würde, damit hätte Axilla nie gerechnet. Und nun fühlte sie sich so allein, so leer, so einsam.
    Furchtsam blickte sie dem Leuchtturm entgegen, der schon gut zu erkennen war, und den noch undeutlicheren Häusern dahinter. Irgendwo dort wohnte der Vetter ihres Vaters, Silanus. Irgendwann hatte sie ihn mal gesehen, sie war vielleicht 10 Jahre alt gewesen, aber eigentlich kannte sie ihn nicht. Auch ihr letzter verbliebener Onkel, Marcus Iunius Varus, lebte soweit sie wusste dort. Auch ihn hatte sie schon eine Weile nicht gesehen. Überhaupt hatte sie die letzten Jahre nicht viel Kontakt mit der Familie ihres Vaters gehabt.


    Es würde nicht mehr lange dauern, bis sie im Hafen anlegen würden. Weil sie einen Tag zu früh waren, würde auch niemand sie abholen kommen. Überhaupt hoffte sie, dass der Brief über ihre Abreise aus Tarraco noch rechtzeitig angekommen war und sie in ihrem neuen Zuhause willkommen geheißen würde.


    Iason?“ Axilla wusste, dass er in der Nähe war. Der letzte Gefallen, den der ehemalige Sklave seiner Herrin noch schuldete, war es, sie sicher nach Alexandria zu bringen. Und diese Aufgabe erfüllte er sehr gewissenhaft. „Ist alles schon gepackt?
    Die letzte Truhe noch, Herrin, nachdem du dich umgezogen hast.
    Achja, umziehen. Bei ihren Verwandten konnte sie wohl nicht wie ein Tagelöhner gekleidet auftauchen. Seufzend wandte sie sich um und ging, um sich etwas passender anzukleiden. Ob der ägyptischen Sonne würde sie aber auf allzu förmliche Kleidung verzichten, egal was Iason sagen mochte. Sollte ihre Verwandtschaft sie gleich richtig kennen lernen.

    Nein, keine besonderen Wünsche, mit der Aufnahme in der Gens bin ich wunschlos glücklich. :D :D


    Bezüglich des Einstiegs ins Spiel meld ich mich dann nochmal per PN