Beiträge von Iunia Axilla

    'Oh' war beinahe genauso treffend wie 'deplorabel', wenngleich noch weitaus vielschichtiger. Es bedeutete, dass der Flavier wusste, von wem sie sprach, und mehr noch, wusste, warum genau dieser Umstand so deplorabel war. Wer wünschte sich schon einen Ehemann, der vom Verräterfelsen gesprungen war? Und mehr noch, wer wollte näher mit der Witwe eben jenes Mannes zu tun haben? Axilla hatte sich schon an die teils scheelen Blicke gewöhnt, die ihr dann und wann zugeworfen worden waren, an das Flüstern hinter vorgehaltenen Händen, an die übertriebene Freundlichkeit im Gespräch mit ihr, die sich in hurtiges Nuscheln verwandelte, sobald man sie außer Hörweite wähnte. Mittlerweile war es lange genug her, so dass es dringlichere Tagesthemen gab. Der Skandal von Nemi hatte auch sein Übriges dazu beigetragen, Archias Tat in den Hintergrund treten zu lassen. Wo man über Patrizier munkelte, die sich an der Göttin vergangen hatten, über Mord auf heiligem Boden, was war da ein einzelner Aelier, bei dem nicht gewiss war, was nun zu seinem Tod geführt hatte? Nur dann und wann gab es in letzter Zeit noch einen Blick oder eine Bemerkung. Die letzte wohl von Flavius Piso, dem sie deshalb ihren Standpunkt handfest klar gemacht hatte. Ein weiteres 'oh', sozusagen. Vor allem, wenn man bedachte, dass nun ein anderer flavischer Senator und Pontifex neben Axilla saß und keine Anstalten machte, aufzuspringen, sich zu entschuldigen, sie zu mustern oder zu verurteilen oder dergleichen.
    Im Gegenteil: Nachdem er und sie sich einen peinlichen Moment angeschwiegen hatten, brach er erneut eine Lanze für Axilla und ging gänzlich in dem Thema des Theaters auf. Eine durch und durch angenehme Überraschung, wie Axilla zuerst mit vorsichtigem, dann immer freudigerem Lächeln feststellte. Sie hatte zwar von der Hälfte von dem, was er sprach, keine Ahnung, aber er schien das Thema wirklich zu genießen. Und somit – was umso erstaunlicher für die Iunia war – das Gespräch mit ihr.


    “Ich wusste nicht, dass es mehrere solcher Stücke gibt. In Ägypten habe ich kein solches gesehen. Was aber nichts heißen muss, ich war in Alexandria nicht oft in einem Theatron oder Odeion. So richtig eigentlich nur beim Neujahrsfest und dem musischen Agon, aber da gab es ja kein richtiges Stück, das war mehr ein Wettstreit.“
    Axilla merkte, wie ein wenig Druck von ihr abfiel. Der Flavier saß noch immer neben ihr und unterhielt sich mit ihr, obwohl er das von Archias sicher wusste. Und das von Piso wusste er offensichtlich nicht. Das Thema war, wenn auch auf einer Notlüge aufgebaut, dennoch leicht und angenehm. Die Sonne schien und kündete vom nahen Frühjahr. Es war einfach ein einzelner, leichter Moment, und Axilla hatte schon lange keinen mehr gehabt.
    Zumindest kurz, bis Gracchus die Arena erwähnte und Axilla sich doch ein wenig ertappt fühlte. “Nunja, die hat auch ihre Glanzstunden. Ich meine, es geht ja nicht um das Blut und die Gewalt, sondern um den heldenhaften Kampf und den Mut und das Geschick, also all das, wovon die Dichter so gerne auch reden. Also, es sollte zumindest darum gehen.“ Ein bisschen was zur Ehrenrettung der Arenen und deren Besucher musste sie sagen, denn irgendwie gehörte Axilla ja selber dazu. Und sie fand sich ganz und gar nicht blutrünstig. Das Training im Ludus anzusehen gefiel ihr sogar besser als die richtigen Kämpfe in der Arena, da es dabei wirklich nur um die Technik des Kämpfens ging und nicht ums Blutvergießen. Naja, und große, gut durchtrainierte Männer in Rüstungen mit viel gezeigter Haut...
    “Ähm, Thyestes den Tantaliden?“ Schnell ablenken war vielleicht besser, als das Thema zu vertiefen. Und Axilla kannte weder das eine noch das andere Stück. Aber wenn es um den Thyestes ging, den sie aus den Geschichten kannte, dann war es wohl definitiv keine leichte Kost. Eine Familie, dazu verflucht, miteinander Inzest zu betreiben, der Vater jeweils vom Sohn erschlagen oder umgekehrt, oder von Liebschaften der untreuen Frau oder dergleichen. Definitiv nichts für eine Komödie.
    “Das Stück kenn ich gar nicht, aber es klingt... gewichtig.“ Es war schwer, nette Worte für 'Das erschlägt einen sicher' zu finden. Aber heute versuchte sich Axilla in allen Formen der Diplomatie. “Ich fand ja in der Odyssee sehr beeindruckend, wie Homer die Qualen seines Ahnen geschildert hat.
    Auch den Tantalos sah ich, mit schweren Qualen belastet.
    Mitten im Teiche stand er, den Kinn von der Welle bespület,
    Lechzte hinab vor Durst, und konnte zum Trinken nicht kommen.
    Denn so oft sich der Greis hinbückte, die Zunge zu kühlen;
    Schwand das versiegende Wasser hinweg, und rings um die Füße
    Zeigte sich schwarzer Sand, getrocknet vom feindlichen Dämon.
    Fruchtbare Bäume neigten um seine Scheitel die Zweige,
    Voll balsamischer Birnen, Granaten und grüner Oliven,
    Oder voll süßer Feigen und rötlichgesprenkelter Äpfel.
    Aber sobald sich der Greis aufreckte, der Früchte zu pflücken;
    Wirbelte plötzlich der Sturm sie empor zu den schattigen Wolken.

    In feinstem Ionisch trug Axilla die Zeilen vor, wenn auch etwas leise und fast verlegen. Sie wollte ja angeben, aus keinem anderen Grund hatte sie diesen Bogen geschlagen und die Zeilen aus ihrem Gedächtnis gekramt. Und sie wusste, dass ihr Ionisch gut war, war es doch der erste griechische Dialekt, den sie gelernt hatte. Auch wenn den kaum einer Sprach, außer eben der griechische Sklave, der sie unterrichtet hatte. Und eben Homer.
    Aber sie war sich nicht sicher, ob es nicht doch zu dick aufgetragen war. Sie wollte ja nicht nach Komplimenten fischen. Naja, vielleicht ein wenig, aber nicht sehr. Und sie hoffte, dass der Flavier ihren Gedankensprüngen noch folgen konnte. Leicht machte sie es ihm sicher nicht.


    “Dann magst du also lieber Rhapsoden?“ meinte sie schnell, nachdem sie ihre eigene kleine Rhapsodie beendet hatte, ehe dadurch noch ein peinlicher Moment entstehen mochte.

    Am Rand des Aventin in einer größeren Seitenstraße stand das Holztheatrum des Lucius Decrius Pandus recht unscheinbar zwischen den übrigen Gebäuden. Der Platz, den das Theatrum in Anspruch nahm, war hart erkämpft, und immer wieder drängten Barbiere und kleiner Verkaufsstände weiter vor und drängten so den Platz der halboffenen Arena zusammen. Eine wirklich feste Begrenzung gab es hier nicht, vielmehr war die Arena auf der einen Seite begrenzt von der halbrunden Tribüne, wo die Zuschauer schon auf Kopfhöhe der Kämpfer unten sitzen konnten, und auf der anderen Seite von einer einfachen Holzkonstruktion, nicht viel mehr als ein paar Klappböcke mit einem dünnen Schlagbaum darüber, wo die Zuschauer Platz fanden, die aufgrund von Stand oder späten Ankunft kein Anrecht auf einen Sitzplatz hatten.
    Rechterhand war noch ein einfaches Tor gezimmert worden, durch welches die Gladiatoren dieser kleinen Arena selbige betreten konnten. Der Boden, der in diesen Straßen ohnehin nicht mehr als festgestampfte Erde war, war mit etwas Sand bestreut worden, um so das Flair der großen Arenen herzubringen – und wohl auch, um das Blut aufzusaugen.
    An der Querseite schließlich war noch freier Platz, wo der ein oder andere Käfig aufgestellt wurde: Entweder mit neuen Gladiatoren, oder Verurteilten, denn nicht selten wurden Verbrechen, die hier am Aventin begangen wurden, auch direkt hier am Aventin gerichtet, so dass alle Angehörigen und Zeugen auch die Gerechtigkeit Roms hautnah miterleben konnten. Natürlich nur, wenn die Verurteilung „ad ferrum“ oder „ad gladium“ hieß, für alles weitere war man hier nicht ausgerüstet.


    Zwei Mal bereits war die Arena abgebrannt und wieder errichtet worden, allein in den letzten 15 Jahren. Lucius Decrius Pandus vermutete dahinter hauptsächlich die nahen Händler, die den Platz nur zu gerne für weitere Verkaufsstände genutzt hätten. Vor allem ein Metztger aus der Gegend fragte immer wieder einmal an, ob der alte Decrius sein kleines Gewerbe nicht lassen und stattdessen lieber sich an der lukrativeren Metzgerei beteiligen wolle. Mit dem Platz könnte man einige Viehstände anbauen, nicht für Kühe, aber Schweine und Ziegen und Hammel, die dann auch frisch nach bedarf geschlachtet werden konnten. Aushängen konnten die Tierhälften dann in den Vorratskammern der Käufer. Aber Decrius behielt lieber sein kleines Theatrum und handelte mit einer anderen Art von Fleisch und Blut.


    Die Kämpfe hier waren mit jenen in den großen Theatern bei großen Munera nicht zu vergleichen. Die Gladiatoren hier hatten sich kaum einen Namen gemacht. Lediglich die, die hier die Urteile gegen Verbrecher vollstreckten, hatten bei den amatores dieses kleinen Theaters ihren Ruf. Laut wurde gejubelt, wenn sie einen Verbrecher hinrichteten. Dann wurden ihre Namen gebrüllt und gesungen. Doch nie würden sie die Gelegenheit haben, in den großen Arenen aufzutreten. Dafür waren sie schlicht zu alt, zu schwerfällig, nicht spektakulär genug, nicht gut genug ausgebildet.


    Aber um Neulinge in das harte Leben der Gladiatoren einzuführen, wurde diese Örtlichkeit immer wieder gern von den verschiedensten Lanistae augesucht.

    Axilla nahm die Tafel und einen Stylus entgegen und fing auch gleich an, zu schreiben. Als der Ianitor ihr das Kompliment machte, schaute sie kurz einmal schüchtern auf und errötete ganz leicht. Vermutlich meinte der Mann das zwar gar nicht so ernst, dennoch fühlte Axilla sich geschmeichelt. Auch wenn der Ianitor ja schlecht sagen könnte, er würde die Iunia furchtbar langweilig und häßlich finden, selbst wenn er das fand, glaubte Axilla, dass er das ehrlich meinte, und entsprechend schüchtern musste sie kurz lächeln.


    Die Einladung indes war schnell geschrieben, auch wenn Axilla sich nicht ganz sicher war, ob es denn auch wirklich angemessen war. Aber es war ja nur eine Einladung, und auf der anderen Seite hatte sie ohnehin keine große Wahl. Wenn Seneca Imperiosus kennen lernen wollte, und das bevor der Praefectur Urbi eine Hochzeit anordnete, dann sollte sie keine Zeit verlieren. Zwar bestand die Chance, dass Salinator das alles vergessen hatte, aber Axilla wollte sich da nicht darauf verlassen. Man wurde nicht so ein hohes Tier, wenn man vergesslich war. Und selbst wenn, würde es auch nichts schaden, wenn Imperiosus und Seneca sich kennenlernten, unabhängig von weiteren Geschehnissen.



    Salve Imperiosus,


    ich habe gehört, dass du derzeit in Rom bist, und da würde es mich sehr freuen, dich zum Essen einladen zu dürfen. Wir haben uns eine lange Zeit nicht mehr gesehen und sollten unsere Freundschaft da auffrischen.
    Wenn du es einrichten kannst, würde es mich freuen, wenn du in zwei Tagen in der Casa Iunia zur Cena vorbeischauen würdest.


    Vale
    Axilla


    Sie las noch einmal darüber, ob es auch nicht zu vertraulich war, aber angesichts der Tatsache, dass sie einander ja auch immerhin über ein Jahr schon kannten, war der vertrauliche Tonfall wohl nicht übertrieben. Außerdem würde sie ihn vermutlich heiraten, bei allen Göttern! Auch wenn das kein wirkliches Argument war, aber zumindest eine Grundlage für Vertraulichkeit. Selbst wenn der Pompeier noch nichts davon wusste.


    “Hier bitte. Und dankeschön. Einen schönen Tag noch.“ Axilla übergab die Tafel und verabschiedete sich dann auch schon wieder. Mehr hatte sie ja gar nicht gewollt.

    Der Blick des Directors glitt über die Zeilen, und dann immer wieder auf zu dem 'nichtsnutzigen Sklaven', der hier vor ihm stand. Ein wenig verzwickt war die Sache schon. Üblicherweise nahm der Iuventius Geld im Voraus, wenn er Eigentum fremder Leute trainierte. Aber hier lag die Sache etwas anders. Mit viel gutem Willen mochte man herauslesen, dass der Terentier seinen Sklaven an den Ludus überschrieben hatte. Etwas vergleichbares wäre auch nötig, da es ja immerhin dazu kommen konnte, dass der Sklave starb, und man sich sonst der Sachbeschädigung oder gar des Diebstahls schuldig machte. Man konnte ja nicht einfach fremder Leute Eigentum kaputt machen. Oder gar von Verwandten des Mordes bezichtigt werden, weshalb ja auch Freie, die sich zum Gladiatorendasein verpflichteten, sich selbst für die Dauer dieses Vertrages an den Ludus als Sklave verkauften. Rechtsprechung war da schon eine herrliche Sache. Bürokratisch, aber eindeutig.
    Nur der Terentier war nicht irgendwer, er war der höchste Ritter, den das Imperium aufzubieten hatte. Zumindest, solange er Präfectus Aegypti war. Da war es wohl angebracht, sich ein wenig entgegenkommend zu zeigen und sowohl auf eine hieb- und stichfeste Überschreibung als auch auf Bezahlung im Vornherein zu verzichten. Wenn etwas schief lief, würde die große Entfernung zum Besitzer dieses Mannes schon dafür sorgen, dass man diese Dinge verschleiern konnte.


    “Wie alt bist du?“ fragte der Iuventier also einmal nach. Soldat hin oder her, das beste Einstiegsalter für einen Gladiator war genau wie in der Armee 15 Jahre. Und diesen Zeitraum hatte der Mann hinter sich gelassen. “Welches ist deine Waffenhand? Erfahrung mit dem Kampf mit Schild oder mit zwei Waffen?“ Irgendeiner Gattung musste er ihn zuordnen, bevor er ihn einquartieren konnte.

    Der Kleine war irgendwie drollig. Axilla sah zu dem Jungen runter und musste schmunzeln, als dieser zu erklären anfing, dass Imperiosus zwar in Rom war, aber nicht da. Und zu gern hätte sie gewusst, wie der Satz geendet hätte, doch da schob sich auch schon der Ianitor vor und beendete den Satz für den Sklavenjungen.
    “Oh, prima. Also, ich meine, dass er in Rom gerade ist. Kannst du ihm etwas von mir ausrichten? Oder noch besser, hast du eine Wachstafel? Dann kann ich's aufschreiben. Ich wollte ihn gerne einladen.“
    Ja, eine schriftliche Nachricht war da vielleicht besser, wenn das eine richtige Einladung werden sollte. Jetzt musste Axilla nur überlegen, für wann sie diese aussprechen sollte. “Wie lang wird er denn in Rom sein? Weißt du das zufällig?“ Wenn er nur heute hier war, dann würde das alles ziemlich knapp werden. Vor allem musste ja auch Seneca Zeit haben.

    “Vielleicht sollte ich mal für dich kochen. Danach wird dir Catos Puls wie ein Festmal des Licinius Lucullus vorkommen.“ So ganz war Axilla noch nicht bei der Fröhlichkeit angelangt, die ihre Worte vermitteln sollten, aber sie gab sich Mühe. Obwohl sie etwas verweint aussah, lächelte sie – auch wenn es nicht echt war, es sah immerhin so aus. Sie wollte nicht, dass Seneca sich zusätzlich zu dieser Situation auch noch Sorgen um sie machte. Sie würde das schon schaffen, irgendwie.


    Aber Seneca schien zum Glück jetzt weit genug abgelenkt zu sein, so dass sich Axilla da keine Sorgen mehr machen musste. Als er meinte, er brauche mehr Muskeln, kniff sie ihn einmal leicht in den Oberarm, um seine Muskeln zu testen. “Hmmm... schaden kann's nicht“, meinte sie frech und sah dann aber doch an sich herunter. Ja, sie war schon ziemlich dünn. Aber doch nicht sooo dünn, oder? “Und ich bin nicht zu dünn. Ich bin nur... platzsparend und kompakt.“ Sie strich das Klein einmal an ihrem Bauch glatt und sah an sich herunter. Naja, vielleicht war sie ein bisschen dünner als der Durchschnitt, aber noch lange nicht dürr! Sie konnte ja nichts dafür, dass sie nichts essen konnte, wenn sie aufgewühlt war. Und in letzter Zeit war sie sehr aufgewühlt.


    Sp. Iuventius Murcus Flaviae Nigrinae s.d.


    Werte Flavia, die Ausbildung des dem Ludus Dacicus zur Ausbildung gegebenen Sklaven mit dem Namen Shayan ist soweit vorangeschritten, dass sein Können der praktischen Anwendung bedarf, um weiter vorangetrieben werden zu können. Dein Einverständnis vorausgesetzt werde ich einen Kampf für ihn arrangieren.
    Mit Bestehen dieser obligatorischen Prüfung wird ihm der Rang eines Tirones gladiatoris zuerkannt und im Zuge dessen wird er seine Tätowierungen erhalten. Da er laut unserer Vereinbarung als dein Eigentum verbleibt, benötige ich nähere Spezifikationen deiner Wünsche zu eben jenen. Mögliche Orte sind Arme, Beine und das Gesicht. Um den Trainingsausfall gering zu halten, rate ich zu Beinen, wobei Arme und Gesicht höheren Wiedererkennungswert garantieren.


    Lasse mir deine Entscheidung bei nächster Gelegenheit übermitteln, so dass alles weitere in die Wege geleitet werden kann.


    Spurius Iuventius Murcus
    Director Ludi Dacici

    Auch wenn es einfacher gewesen wäre, einfach Levi vorbeizuschicken und den Sklaven alles fragen lassen, stand Axilla selbst vor der Tür der Casa Pompeia. Sie hatte einfach Lust auf einen Spaziergang gehabt und nichts zu tun, und außerdem wusste sie so gleich, woran sie war. Und wenn sie etwas vergaß, zu fragen, dann war es ihre eigene Schuld. Und sie hatte wirklich Lust auf einen Spaziergang gehabt!
    Während Malachi anklopfte, erinnerte sie sich noch an das letzte Mal, dass sie hier gewesen war. Das war schon Ewigkeiten her. Archias war noch mit Seiana verlobt gewesen. Was auch so ziemlich alles war, was sie erinnerte, denn kaum hatte der Abend angefangen, hatte sie irgendwie ein ziemlich großes, schwarzes Loch in ihrem Gedächtnis...


    Als die Tür geöffnet wurde, sprach sie auch gleich selbst, ohne Malachi sie ankündigen zu lassen. Immerhin war anzunehmen, dass der Hausherr gerade in Mantua weilte.
    “Salve. Mein Name ist Iunia Axilla, und ich wollte fragen, wann Pompeius Imperiosus denn das nächste Mal wohl in Rom weilt und ob es möglich wäre, ihm dann eine Nachricht zu übermitteln? Oder vielleicht auch früher, wenn er längere Zeit absent ist.“

    Das traurige war, Axilla würde alles Leid der Welt auf sich nehmen, wenn sie dadurch sicher wäre, dass es Seneca nützen würde und sie den Sohn bekommen würde, der den Namen ihres Vaters ehren würde. Und so lächelte sie nur ganz schwach und reichlich schief, als Seneca meinte, er wolle sie nicht leiden sehen. In diesem Moment hätte sie ihn einfach nur küssen können.
    “Ich werd versuchen, ihn einzuladen. Wenn er mal in Rom ist, wär das nicht schlecht. Ich werd einfach mal in der Casa Pompeia fragen, ob die ihm eine Nachricht zukommen lassen können.“


    Er nahm ihre Hand und strich so sanft darüber, und Axilla bekam einen sehr weichen Gesichtsausdruck. Das hier, das war fast zuviel. Diese Sorge um sie, dieses Gefühl, das war einfach fast zuviel. Nur ein wenig mehr noch, und Axilla wusste, wie würde wegrennen. Einfach weg, weil sie damit nicht umgehen konnte. Weil sie nicht wieder weinen wollte, aber das sicher gleich tun würde. Es war verdammt schwer, tapfer zu sein, wenn das Gegenüber von einem gar nicht erwartete, dass man eben das war. Aber Axilla wollte tapfer sein, für die Gens, für Seneca, und auch für sich selbst. Ein Soldat weicht nicht zurück, hallten die Worte ihres Vaters in ihrem Kopf.
    Sie schüttelte nur leicht den Kopf. “Ich schaff das schon. Du weißt ja, Unkraut vergeht nicht.“ Sie sagte fast genau dasselbe wie er noch vor wenigen Momenten. Und machte dann, was sie immer machte: ablenken.
    “Aber du könntest mehr essen, du siehst ja halb verhungert aus. Muss ich dir Fresspakete in die Castra schmuggeln, damit du etwas Fleisch auf die Rippen kriegst?“

    Ein abschätziger Blick von oben bis unten folgte, gepaart mit einem nur kaum verhohlenen Grinsen. Erst danach war fast sowas wie Verwunderung zu sehen, als der Mann einmal nach links und rechts schaute, und bemerkte, dass der Mann hier vor ihm ganz allein da stand und nicht von irgendwem hergebracht wurde. Die, die sich nicht selbst verpflichteten, wurden meist bewacht. Wenn es Kriegsgefangene waren, wurden sie sogar in Ketten angeliefert.
    “Na dann, Leinsklave des Statthalters, hereinspaziert.“ Der Mann öffnete das Tor und ließ Alexion ein. Mit einem grob gebrüllten “Hey du!“ winkte er den erstbesten Angestellten aus einem der Gänge herbei. “Bring den da zum Director. Wenn er Zeit hat.“


    Der Angestellte bedachte die Wachen nur mit einem Blick, der fast sowas wie „Warum ausgerechnet ich?“ auszusagen schien, nickte dann aber bedeutete Alexion, ihm zu folgen. Es ging seitlich durch das Innenleben des Ludus, nicht geradeaus in die Arena, und über eine Treppe nach oben. Hier oben war ein Säulengang, der den Blick nach unten über die Tribüne mit ihren weißen Marmorbänken erlaubte, bis hinunter in die Arena, wo die hohen Übungspfähle tief im Boden verankert waren. Auch jetzt war Training, wie jeden Tag, abseits der Essenszeiten.
    Der Mann blieb vor einem Officium stehen und bedeutete Alexion, zu warten. Dann klopfte er an und ging nach dem obligatorischen “Herein“ nach innen. Eine kleine Weile passierte nichts, dann kam der Angestellte wieder nach draußen und deutete Alexion an, dass er hineingehen könne.


    Spurius Iuventius Murcus saß an einem breiten Schreibtisch aus dunklem Holz, der sicher fürchterlich teuer gewesen war. Und dennoch schaffte der dünne, große Mann dahinter es, das Mobiliar dennoch spartanisch wirken zu lassen. Alles war akkurat aufgeräumt, nirgends waren Schnörkel oder Verzierungen. Und der Director selbst saß gerade und fast gelangweilt hinter dem Tisch, als hätte er einen Stock verschluckt.
    “Ich nehme an, dein Herr hat dir etwas für mich mitgegeben?“ kam er auch gleich ohne größere Umschweife direkt zum Punkt. Er schätzte alles sehr effizient und akkurat, auch Gespräche. Vor allem solche, die er nicht der Höflichkeit halber in die Länge ziehen musste, da sein Gegenüber sich kaum darüber beschweren konnte.

    Es dauerte eine Weile, bis man den Sklaven am Tor bemerkte. Jeden Tag kamen viele Menschen, vor allem Frauen, um dem ein oder anderen Gladiator ein Geschenk zu überbringen. Wenn man die alle immer sofort bediente, die Wachen wären nur damit beschäftigt gewesen, hin- und herzulaufen. So aber schauten sie alle viertel Stunde einmal zum Tor und Namen dann in Empfang, wer auch immer da stand. Immerhin war das hier ein Ludus und keine Patriziervilla.
    Und so waren es auch jetzt zwei grobschlächtige Kerle mittleren Alters, die sehr danach aussahen, als hätten sie selbst einst in der Arena gestanden, die bei dem Tor vorbeischauten und durch das Eisengitter den wartenden Alexion sahen. Und wohl auch bemerkten, dass der nicht nur neugierig einen Blick auf die Gladiatoren zu erheischen versuchte. Also ging einer vor und fragte durch das Gitter: “Was willst du?“

    Er hätte auch dem Regen sagen können, er solle nicht fallen. Natürlich machte Axilla sich Sorgen um ihn. Er war alles an Familie, das sie noch hatte. Silanus war krank und in Hispania, Merula war in Ägypten und ließ nichts von sich hören. Und Serrana... ja, die war für Axilla nichtmal eine Iunia, sondern eine Germanica. Was dieser vermutlich sogar lieber wäre, hatte sie doch nichts als Spott für die Iunier übrig und stilisierte die Gens ihres Mannes über alle Maßen hoch. Seneca war der einzige Mensch, den sie noch wirklich für sich hatte, und natürlich sorgte sie sich um ihn. Sogar mehr als um sich selbst. Wobei er vermutlich weit besser auf sich aufpassen konnte als sie auf sich.
    “Naja, ich meine... Pompeius ist ja eigentlich keine schlechte Wahl... also, wenn er dich fragt, dann... ich meine, irgendwen muss ich ja sowieso heiraten, und wir hatten ja schon gesprochen und... er ist ja eine gute Wahl.“
    Die Iunii konnten es sich im Moment nicht leisten, negativ aufzufallen, so wie Axilla das sah. Sie hatten keine Senatoren, der letzte Consul war schon etliche Zeit her. Sie gehörten nicht einmal mehr zur Nobilitas. Nicht einmal einen Ritter hatten sie in Rom. Und starke Verbündete hatten sie auch nicht, die sie schützen würden. Wenn der Präfectus Urbi also etwas wünschte, hatten sie nicht wirklich die Macht, es ihm abzuschlagen.
    Immerhin kannte Axilla Imperiosus schon. Und wenn sie verheiratet wäre, würde es sicher besser werden. Und vielleicht fragte der PU ja auch gar nicht, und vielleicht sagte Octavius Dragonum ja auch ja. Sofern Seiana ihr Versprechen überhaupt hielt und fragte.
    “Ich wollte nur, dass du weißt, was... passiert ist, und dass man dich da nicht überraschen kann. Auch Vescularius nicht.“

    Deplorabel, ja, in der Tat. Wenn ein Wort traf, was Axilla bei der ganzen Angelegenheit fühlte, war es wohl deplorabel. Zutiefst deplorabel. Nicht, dass ihr dieses Wort je eingefallen wäre, aber jetzt, wo sie es hörte, konnte sie innerlich nur zustimmen. Es waren einige Dinge vorgefallen in diesem Zusammenhang, die sie bedauerte. Dass sie und Archias im Bett gelandet waren, als dieser noch mit Seiana verlobt gewesen war. Dass sie darüber hinaus schwanger geworden war. Dass der Abbruch nicht geglückt war und sie dabei beinahe selbst gestorben wäre. Dass Archias das alles rausgefunden hatte. Dass er so unendlich eifersüchtig auf Vala bei der Hochzeit der Tiberia und des Aurelius reagiert hatte, so dass er da den Grundstein für seine eigene Paranoia und seinen Abstieg im Ansehen in der Gesellschaft gelegt hatte. Dass er sich mit Seiana so zerstritten hatte, dass er die Verlobung gelöst hatte. Dass er sie geheiratet hatte, obwohl sie ihn mehrfach gebeten hatte, sich das mit Seiana noch zu überlegen. Der Überfall in der Subura, bei dem Axilla dann das Kind doch verloren hatte. Die ganze Zeit der Ehe, wo sie fast nur gestritten hatten. Vor allem über Vala, den Archias unbedingt als Mörder des Kindes sehen wollte und wo er sich nicht davon abbringen ließ. Die Intrige, die er sogar gegen Vala gesponnen hatte, indem er Aelius Quartos Siegel benutzt hatte, um den Duccius zu sich zu locken. Und schließlich sein Selbstmord, indem er sich vom tarpejischen Felsen gestürzt hatte. Das war wirklich alles sehr, sehr deplorabel.
    Axilla atmete einmal tief durch und nickte als stumme Zustimmung. Es gab einige Dinge, die sie hierbei bedauerte. Eine ganze Menge sogar. Und doch wusste sie nicht, an welcher Stelle der Geschichte sie wirklich etwas anders gemacht hätte. Sie hatte Fehler gemacht, sogar ganz viele und sehr schwere, doch zu den Zeitpunkten waren sie nicht als solche erschienen. Aber dennoch war sie sicher nicht schuldfrei. Sie hätte sich nie auf Archias einlassen sollen, dann wäre er wohl noch am Leben. Und Leander wäre noch am Leben. Wäre sie nicht aus Ägypten abgereist, wäre vielleicht sogar noch Urgulania am Leben. Ja, sie bedauerte eine Dinge. Überaus deplorabel.


    Und der Flavier kannte auch nur wenig Gnade und fragte nach, wer denn ihr Mann gewesen war. War an sich auch nichts ungewöhnliches, Axilla hätte damit rechnen müssen, vor allem nach dieser Einlassung. Und doch wär es ihr lieber gewesen, das Thema wäre irgendwie vergessen worden. Es förderte nicht unbedingt ihren inneren Versuch, sich von etwaigen Schuldgefühlen abzulenken. Dennoch versuchte sie sich an einem freundlichen, kleinen Lächeln.
    “Natürlich darfst du. Ich war die Frau des damaligen Procurator a memoria. Caius Aelius“ – soweit der Teil, den man laut und geradeheraus ohne irgendeine Scham sagen konnte, gefolgt von einem leicht genuschelten “Archias.“ Es gab viele Caii, und auch ein paar Aelii, aber wohl nur einen mit dem Cognomen Archias, der sich von dem Felsen gestürzt hatte, wo sonst nur Verräter und flüchtige Sklaven hingerichtet wurden. Es war ja nun schon eine ganze Weile her, aber Axilla konnte nur hoffen, dass der Senator das vergessen hatte. Wobei das nicht unbedingt wahrscheinlich war, stürzte sich doch nicht alle Tage ein Mitglied der Gens des Kaisers von tarpejischen Fels.


    Da war das andere Thema schon besser. Wenn der Senator es auch erstmal schaffte, Axilla kurz zu verwirren. “Welches Stück?“ Axilla blinzelte Gracchus einmal perplex an, bis ihr nach einer Sekunde aufging, dass er ihr unvorsichtig dahingeworfenes ludi sehr vorteilhaft interpretiert hatte. “Oh, äh, ja. Also... Das Stück. Natürlich. Entschuldige, ich war grade durcheinander.“ Und das vergebungsheischende Lächeln war sogar nicht einmal gespielt.
    Doch wie das nun ausnutzen? Axilla war schlecht im Lügen, und sie wollte ja auch gar nicht so wirklich lügen. Aber wenn der Senator ihr schon so großzügig einen Fluchtweg in ungefährliche Gefilde offerierte, dann musste sie ja fast schon annehmen. Also begab sich Axilla auf das Terrain der Halbwahrheiten.
    “Es war ein kleineres Stück, nichts bekanntes. Noch recht neu. Ich denke, es war eine Komödie. Es ist niemand gestorben.“ Bei Tragödien stürzte sich der Held irgendwann doch in sein Schwert, nachdem er irgendwas oder irgendwen erschlagen hatte. “Aber es war nicht wirklich witzig. Mehr... heroisch. Wurde viel gekämpft. Und auch gut gekämpft, es sah wirklich sehr überzeugend aus. Aber an den Namen kann ich mich nicht mehr erinnern, tut mir leid.“ Axilla glaubte, dass es technisch unmöglich war, noch mehr die Wahrheit zu sagen, ohne die Wahrheit zu sagen. Jetzt musste der Flavius ihr nur noch glauben.

    “Und wie alt ist die Meldung?“
    Als gegen Mittag der Bote aus Mantua gekommen war, mit der Bitte der dortigen Stadtverwaltung, die Todesliste der Stadt doch einfach öffentlich zu drucken, stand Axilla etwas neben sich. Natürlich hatte sie auch die Gerüchte gehört, in Mantua solle es eine Seuche geben. Aber über das genaue Ausmaß und die Schwere war einfach nichts bekannt gewesen. Es waren eben Gerüchte, und denen konnte man nicht trauen. Schon gar nicht zu einer Zeit, wo Nemi wieder in aller Munde war, da der Senat endlich mal etwas unternahm. Da konnte man sich nicht auf Meldungen verlassen, Pluto würde umgehen. Das waren meist Übertreibungen.
    Eine Todesliste aber war keine Übertreibung. Die war greifbar, wertbar, unumstößlich. In Mantua starben wirklich Menschen an der mysteriösen Krankheit. Viele Menschen. Sehr viele Menschen. Die Liste der Verstorbenen war lang, und vermutlich würde sie noch länger werden.
    “Immernoch drei Tage.“ Inzwischen war der ein oder andere Schreiberling im Domus der Acta von Axilla schon etwas genervt. Sie fragte nicht zum ersten Mal. Noch nicht einmal zum zehnten Mal. Vermutlich war sie inzwischen beim zweiundvierzigsten Mal angelangt, und auch dem geduldigsten Subauctor ging irgendwann die Gelassenheit aus.


    Axilla nickte stumm und malträtierte wieder ihre Unterlippe. Wieder ging sie die Namen durch. Jeden einzelnen, damit sie den einen Namen, den einzigen Namen, der sie interessierte, nicht überlesen würde. Sie hatte die Liste zwar mindestens ebenso oft gelesen, wie sie nach deren Aktualität gefragt hatte, aber vielleicht hatte sie ihn ja dennoch überlesen? Und überhaupt, wenn die Meldung schon so alt war, was hieß das dann schon, wenn er nicht auf der Liste stand? Was er nicht tat. Und er war ja auch im Legionslager vor der Stadt und nicht mitten in Mantua. Aber wer konnte schon sagen, dass die Seuche nicht auch dahin gelangen würde? Wer wusste schon, warum sie überhaupt ausgebrochen war? Wenn es wirklich Pluto war, der so durch die Straßen wandelte...
    “Und wann kriegen wir neue Meldungen?“
    “Na, woher soll ich das denn wissen? Ist sowieso erstaunlich, dass wir überhaupt welche bekommen, wo die da doch sterben wie die Fliegen.“
    Der metallische Geschmack von Blut breitete sich in Axillas Mund auf, als sie ihre Unterlippe nach langer Tortur doch endlich blutig gebissen hatte. Nur in diesem Moment erstarrte sie kurz und sah den Subauctor vor ihr erschreckt an. “So schlimm ist es?“
    “Na, aber hallo! Mach doch mal die Augen auf! Lies dir die Namen durch! Wieviele sind es? Fünfzig? Sechzig?“
    “Sechsundachtzig“, murmelte Axilla halblaut. Sie musste überlegen.
    “Ist noch einer von uns da?“
    “Wie, einer von uns? Von der Acta? Bist du verrückt?“
    “Ja, aber... ich meine, das interessiert die Leute doch, wie es nun da aussieht, und wie schlimm es ist, und... so.“
    “In Ordnung. Du BIST verrückt. Sicher interessiert das die Leute, aber die können ja gerne hingehen und sich anstecken und dann selber tot im Graben liegen.“
    Bilder formten sich in Axillas Geist. Graue Augen, starr ins Nichts blickend, scharfe, starke Züge, nun blass und leer und tot, kalte Erde und Raben, die auf ihre Mahlzeit schon warteten. Es schüttelte sie. “Ich könnte gehen.“
    Es folgte ein Moment des Schweigens, in der ihr Gegenüber Axilla einfach nur anstarrte. “Gut, jetzt ist es amtlich. Du bist durchgeknallt. Du willst gehen? Nach Mantua? Wenn du Todessehnsucht hast, kannst du dir auch die Pulsadern im Bad öffnen.“
    Verlegen kratzte sich Axilla am Unterarm. “Ja, aber... ich meine, ich muss ja gar nicht krank werden. Wenn ich nur kurz nachschaue, bei der Legio vielleicht, ganz in Sicherheit...“
    Ihr Gegenüber bekam einen sarkastischen Lachanfall. “Ja, genau. Iunia packt ihre Koffer und schnappt sich höchstselbst einen Wagen, mit der sie die ganze Strecke bis nach Mantua hinaufrollt und berichtet dann sehr ausführlich über das Leichenfeld und die Reste unserer Legion.“
    Eigentlich hatte Axilla vor, sich ein Pferd zu kaufen und zu reiten. Vielleicht. Sie könnte sich als Junge verkleiden. Würde sicher keiner merken. Und zum Schutz konnte sie Malachi mitnehmen. Sie würde nicht mehr als vier Tage brauchen. Vielleicht fünf.
    “...Und diese werden sie natürlich mit offenen Armen empfangen, weil alles, was Ihnen zu ihrem Glück fehlt, ein Subauctor der Acta ist. Damit sind natürlich alle Probleme gelöst, weil ja JETZT jemand da ist, dem sie ihr Leid klagen können. Genau.“
    Axilla fühlte sich gerade elend dumm und einfältig. Natürlich hatte der Mann hier recht. Natürlich konnte sie nicht nach Mantua gehen. Natürlich hatten die da ganz andere Sorgen. Aber sie konnte doch nicht hier sitzen und nichts tun. Was interessiert er dich überhaupt. Du interessierst ihn auch nicht. Du bist niemand...
    “Ja, ich denke, du hast recht.“ Es klang nicht einmal für sie überzeugend. Und auch, wenn sie noch so sehr daran dachte, dass er sie vermutlich nicht einmal sehen wollte, sie konnte nicht aufhören, darüber nachzudenken, ob er noch lebte, und ob es ihm gut ging. Wenn er tot wäre... Axilla wusste nicht, was dann passieren würde. Sie wollte nicht einmal darüber nachdenken.

    Seneca reagierte geschockt. Natürlich tat er das! Axilla wusste nicht, wie sie reagiert hätte, wenn ihr jemand SO WAS erzählte. Aber er machte ihr keine Vorwürfe, hielt ihr nicht ihre Dummheit vor. Er ließ sie nicht einmal los. Er hielt sie weiter fest und sagte, dass es ihm leid tat.
    Es war ein seltsames Gefühl. Axilla wünschte sich so sehr, er würde ihr sagen, was jetzt zu tun war. Einfach nur ihr sagen, dass alles gut werden würde und alles unter Kontrolle war. Aber er war nicht ihr Vater, und er sagte das auch nicht. Und Axilla war gleichzeitig so unendlich erleichtert und froh, dass er einfach da war und sie festhielt. Und sie hielt sich an ihm fest und vergab wiederum ihm, dass er genauso ratlos war wie sie.
    “Ich weiß. Ich... ich wollte ja, dass er aufhört. Und ich hab ihm deshalb erzählt... dass ich Pompeius Imperiosus vielleicht heiraten will. Er hat aber nicht aufgehört. Er fand das gut. Und er meinte...dass du das tun würdest, wenn er es so will. Dass ich dein Einverständnis da nicht brauchen würde.“ Axilla wollte, dass er es wusste und nicht davon überrascht wurde.
    “Ich hab Angst, Seneca. Ich hab Decima Seiana gefragt, ob sie Octavius Dragonum vielleicht doch fragen kann, ob er Interesse hat. Aber... was ist, wenn Vescularius dann böse ist? Ich...ich hab Angst, dass er nochmal... ich...“ Axilla zog sich fester an Seneca. Sie wollte nicht, dass ihm irgendwas passierte. Das war das einzige, vor dem Axilla noch mehr Angst hatte, als vor Salinator. “Vielleicht hat er es ja schon ganz vergessen, auch das mit Pompeius, aber... vielleicht spricht er dich auch an. Ich weiß es nicht.“

    Eigentlich wollte Axilla gar nicht weinen, aber jedes Mal, wenn sie sich von Seneca lösen wollte und es ihm erzählen wollte, schämte sie sich so unendlich. Am liebsten wär sie einfach in Grund und Boden versunken. Aber schließlich fand sie doch die eigene Stimme.
    “Ich war bei Vescularius Salinator. Wegen dem Erbe. Ich habe gedacht, wenn ich ihn selbst nochmal frage, dass ich vielleicht was erreichen kann. Ich meine, ich hab gedacht, schlimmer kann es kaum werden, und... und... Ich war also da, und auf einmal waren wir allein, und er hat...“ Axilla brachte es nicht heraus, auch nicht noch so kleinlaut. Aber Seneca musste wohl kein besonderer Hellseher sein, vor allem, als Axilla panisch und mit flehentlichem Blick fortfuhr.
    “Ich wollte das nicht! Wirklich! Ich hab das ganz sicher nicht geplant, und... ich konnte ihm aber doch nicht sagen, dass ich nicht mag! Ich meine... er wäre doch wütend geworden, und... ich weiß nicht, was er dann getan hätte. Und ich wollt nicht, dass er dir dann was tut. Germanica Calvena hat ihn verärgert, und ihr Mann war kaum eine Woche später nach Germania versetzt. Und... ich meine... ich wollt das doch nicht. Ich hab es einfach über mich ergehen lassen, aber ich wollte das nicht!“ Wieder wollte sie schluchzen, und nur schwer schluckte sie es herunter. Sie schämte sich so unendlich. Das war ihre Schuld, und Axilla wusste es. Sie hätte sich umbringen müssen, und wusste auch das. Aber sie konnte das einfach nicht. Sie wollte leben, trotz allem. Auch wenn sie am liebsten im Boden versunken wäre.

    Okay, für Klugscheißer wie dich:
    Der kleine Pauly, Lexikon der Antike in 5 Bänden. Ich hab die Ausgabe von 1979 daheim von dtv.
    Jane Kidd, Pferde - Rassen, Zucht, Ausbildung, Eine Enzyklopädie mit 450 Farbabbildungen, Karl Müller Verlag 1985


    Und auch wenns kein Beleg ist: Wikipedia (denen ich da mal vertraue, von wann die ältesten Funde eines Kummet waren, ohne das in der Fachliteratur nochmal nachzurecherchieren ;) )


    Und das traurige ist ja, dass das meiste davon schon in der Wiki hier schon steht und es dennoch keiner liest...

    Da bei einigen anscheinend ein erhebliches Unwissen herrscht, dachte ich, versuch ich mal ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen und erzähl mal einen vom Pferd :D Vielleicht interessiert es ja den einen oder anderen und die abstrusen Geschichten nehmen mancherorts etwas ab.


    Ein Pferd war ein absolut teures Luxusgut. Die wenigsten besaßen Pferde, da sich ihre Haltung nicht wirklich rentierte. Weite Reisen unternahm Caius Normalrömer nicht, wenn es sich vermeiden ließ, und wenn doch, nahm er viel Gepäck mit. Das ein Pferd nicht tragen konnte und erst recht nicht hinter sich herziehen. Der Eques heißt deshalb Eques, da er sich ein Pferd (ein equus) leisten konnte. Ein Normalbürger konnte das ganz sicher nicht.


    Römische Wägen kannten nur zwei Arten, ein Tier daran festzuschnallen. Über ein Brustgeschirr (wie bei einer Biga), wobei man pro zu ziehender Person 2 Pferde benötigt. Hierbei wird vor die Brust des Tieres eine Querstange gespannt, die mit der Achse verbunden ist. Die Kraft des Zuges liegt dann beim Tier im unteren Brustbereich und an der Seite, die der Mittelachse zugewandt ist. Ist brauchbar für Pferderennen und Streitwagen, aber nicht zum Transport von schweren Gütern, da würden die Riemen reißen.
    Die zweite Art war ein Joch, das über den Hals eines Tieres gelegt wird und da von oben runterdrückt und so die Kraft des Zuges auf die Schultern verteilt. Aufgrund der Anatomie des Pferdes kann man die nicht unter ein Joch spannen, da ihre Hälse nach oben gehen, und nicht wie bei einer Kuh nach vorne.
    Kurz gesagt, Pferde waren als Transporttiere für längere Reisen absolut ungeeignet. Wenn eine Person ohne Gepäck schnell von A nach B kommen musste, konnte sich die sicher auf ein Pferd setzen und lospreschen. Aber wenn es etwas schweres zu transportieren gab, wie einen massiven Holzwagen, dann spannte man Ochsen davor.
    Das änderte sich erst gegen die Jahrtausendwende, als das Kummet erfunden wurde. Da sind wir aber schon mitten im Mittelalter, und selbst dann blieb der Ochse das verbreitetste Zugtier.


    In der Landwirtschaft war aus selbigem Grund ein Pferd absolut nicht zu gebrauchen. Zum einen war es viel zu teuer, nicht nur was die Anschaffung anging. Pferde sind schlechte Futterverwerter, da sie nicht wiederkäuen und ihren Energiebedarf so direkt aus Pflanzen gewinnen müssen. Jeder, der sich mal einen Pferdeapfel etwas genauer angeguckt hat, wird feststellen, dass da noch viel nur teilweise verdautes Gras enthalten ist, da Pferde die Zellulose nicht aufspalten können. Während man also einen Ochsen problemlos mit Heu ernähren kann, muss man beim Pferd zufüttern. Und dann kann das Tier noch nicht einmal einen Pflug ziehen, da man das Kummet ja noch nicht kannte, Brustriemen reißen würden und man ein Pferd nicht unter ein Joch spannen kann, ohne dass das Tier sich erwürgt.
    Was aber so ziemlich jeder Bauernhof hatte, war ein Esel. Die fraßen nur die Hälfte von einem Pferd und konnten klaglos (trotz aller nachgesagter Sturheit) dasselbe Gewicht schleppen, wenn nicht sogar mehr. Und sie nahmen wesentlich weniger Platz weg.


    Rassen gab es nicht. Um mal den kleinen Pauly zu zitieren: „Unterscheidung nach Rassen im mod. Sinne war unbekannt, nur den Körperbautypen schrieb man Erfahrungswerte zu.“ Man hat zwar gezüchtet, nannte die Tiere auch Vollblut und Halbblut, aber das war weit entfernt davon, sowas wie eine Pferderasse zu sein. Man züchtete vielleicht weiße Pferde mit kurzem Rücken, aber sicher keine Rassen.


    Ponys sind was gänzlich neumodernes. Irgendwann im 19. Jhdt. kam der Begriff auf und bezeichnete ein besonders kleines und zierliches Pferd. Nach moderner Definition ist jedes Pferd ein Kleinpferd (Pony), wenn seine Rasse im Mittel nicht mehr als 1,48 m Stockmaß erreicht. Nach dieser Definition wären aber SÄMTLICHE römischen Pferde Ponys.
    Man muss sich hierbei von dem Bild des großen und schweren Kaltblüters oder von Springpferden verabschieden. Das römische Pferd war klein. Sehr klein. Das ideale Pferd war keinesfalls größer als 1,40 Stockmaß. Und das hatte auch einen sehr einfach zu erklärenden Grund:
    Der römische Sattel kennt keine Steigbügel! Wenn man also nicht ständig jemanden um sich hatte, der einem aufs Pferd half, oder überall ein Trittleiterchen mit sich rumzuführen pflegte, tat man sich mit dem Aufsteigen sehr schwer. Vor allem, da der durchschnittliche Römer selber mehr so um die 1,50 war. Steigbügel kamen erst ein paar Jahrhunderte nach unserer Zeit mit dem netten Herrn namens Attila nach Europa, der sehr eindrucksvoll bewiesen hat, dass diese nützlich sind.
    Da man aber durchaus öfters vom Pferd fällt, vor allem wenn der Sattel keine Steigbügel hat, musste man auch irgendwie alleine wieder hochkommen. Da war jeder Pferderücken, der höher ging als die eigene Brust, ein ziemlich großes Problem. Ein Klimmzug an einem Sattel ist äußerst kraftraubend und kein Garant dafür, am Ende auf dem Pferd zu sitzen.
    Und wie bereits gesagt gab es keine Rassen. Alle Pferdearten in ganz Europa hatten ähnliche Stockmaße, irgendwo zwischen 1,20 und 1,40, waren möglichst robust und kräftig. Simon von Athen beschrieb das ideale Pferd folgendermaßen: Hohe Hufe, weiche Beugen, starke Polsterung an Brust und Schenkeln, knochiger Kopf mit kleinen Ohren und kleinem Kinn, hoher Widerrist, tiefe Flanken, kurze, flache Hüften, kleine Hoden.
    Mannus oder mannullus (was häufig mit Pony übersetzt wird) hingegen war ein Schimpfworf für ein besonders klein und struppig geratenes Pferd und keinesfalls ein Rassemerkmal.


    Frauen ritten nicht. Und zwar aus mehreren Gründen. Zum einen, weil so ein Pferd wie gesagt verdammt teuer war und als Prestigeobjekt dann eher einen Mann unterstützte. Damensättel gab es auch nicht, und mit einem römischen Kleid kann man nicht breitbeinig auf einem Pferd sitzen. Seitlich auf einem Pferd sitzen geht, dann darf sich das Tier aber nur im Schritttempo bewegen.
    Darüber hinaus war man der festen Überzeugung, reiten könne unfruchtbar machen. Das ist auch einfach nachzuvollziehen: Ein Pferd schaukelt einen beim Reiten ganz schön durch. In einer Zeit, in der medizinische Betreuung eher rudimentär war, konnte es schon einmal passieren, dass eine Schwangerschaft frühzeitig abgebrochen wurde, weil sich die Plazenta durch heftiges Schütteln gelöst hat. Dazu noch die nicht unerhebliche Gefahr, vom Pferderücken zu stürzen – was wie jeder Sturz zu einem Abort führen kann. Selbst heutzutage raten die meisten Frauenärzte wegen der Sturzgefahr davon ab, während der Schwangerschaft zu reiten.
    Darüber hinaus trainiert reiten den Beckenboden und stärkt dort die Muskulatur. Die wird aber in Vorbereitung der Geburt bei Frauen weicher und elastischer, damit das Kind durch den Geburtskanal passt. Wenn dem nun durch aktives Training, wie beispielsweise Reiten, entgegengewirkt wird, resultiert daraus eine besonders langwierige Geburt. Heutzutage wird das mit einem Kaiserschnitt gelöst, in der Antike standen da die Überlebenschancen der Frau wohl eher schlecht.



    So, ich hoffe, ich konnte das eine oder andere im Bezug aufs Pferd erhellen...

    Seneca musste nicht allzu lange warten. Axilla war in der Bibliothek gewesen und hatte gelesen, so dass sie schon das lautstarke Gepolter gehört hatte, als Seneca die Casa betreten hatte. Der Sklave, dem der Iunier den Befehl entgegengebellt hatte. musste sie nicht einmal wirklich holen. Sie begegnete ihm auf halbem Weg zum Atrium und rauschte nur mit einem kurzen “Ich weiß“ an ihm vorbei.


    Axilla hatte Angst gehabt. Sie hatte noch immer Angst, das auszusprechen, weshalb sie Seneca die Nachricht geschickt hatte. Auch wenn sie wusste, dass er es wissen musste, vor allem, da sie das nicht ganz allein mit sich ausmachen konnte. Irgendwem musste sie es erzählen. Sie konnte nicht so tun, als wäre nichts. Das war etwas, das zu groß war, zu groß für sie alleine.
    Und dennoch war die Angst erst einmal vergessen, als sie ihren Vetter im Atrium stehen sah. Sie ging auf ihn zu, beschleunigte ihre Schritte, so dass sie letztendlich ihm so in die Arme flog, dass der Aufprall deutlich zu hören war. Sie hielt sich einfach an ihm fest, krallte sich an ihn und vergrub ihren Kopf irgendwo an seiner Halsbeuge. Sie versuchte ja, nicht zu heulen, aber es ging nicht. Irgendwie schluchzte sie doch. Sie hatte so viel Angst, ihm zu sagen, was bei Salinator geschehen war, und auf der anderen Seite war sie so froh, dass er da war und ihr zuhören würde. Es zerriss sie. Und im ersten Moment brachte sie keinen Ton heraus.

    Ein Jahr ist es jetzt seit dieser Ankündigung vergangen. Ich denke, da ist es legitim, einmal nachzufragen, was aus den ständigen CC's nun geworden ist bzw. was daraus wird.


    Ich möchte nicht drängeln, aber ich finde, anch einem Jahr ist so eine frage definitiv kein Drängeln mehr. Ja, es kann immer Stress geben. Ja, es gibt Weihnachten. Und Prüfungsphase. Und Stress im Job. Und Urlaub, der jedem vergönnt sei. Und Ostern. Und Geburtstage. Und man ist mal krank.
    Aber das betrifft sicher nicht 365 volle Tage. Und es betrifft ja auch nicht nur eine Person. In der Schola Atheniensis sind laut Tabularium 9 Leute. Streichen wir die weg, bei denen "nur" Cursus Iuris oder Architektur dransteht, sind das immernoch 5 Leute.


    Daher die Frage: Kommt da jetzt noch irgendwann mal was? Angesichts der Tatsache, dass man zumindest im CH so einen Curs auch BRAUCHT, sollte sich meiner Meinung nach dieser Zustand doch so langsam mal ändern. Daher fände ich eine positive Meldung da doch sehr schön :D