Sim-Off:Viel Spaß beim Lesen. Ich wünsch euch ein schönes Julfest;)
Phelans Worte nagten an Ragin. Sicher hatte es sein Vetter nicht so gemeint, wie es sich im ersten Moment angehört hatte, aber trotzdem fraßen sie sich wie Gift in Ragins Gedanken. So lag er lange in seinem Bett wach, geschüttelt vor Trauer und gram vor Schuldgefühlen. Er hatte seinen Bruder vergrault! Lieber wollte dieser in Magna als Bauer leben, als die Schmach zu ertragen hier nicht so gut zu Recht zu kommen wie Ragin. Wieso hatte er das nur nicht rechtzeitig bemerkt und ihn so aufhalten können? Wieso hatte er nur vor ihm angegeben, wie viel er schon wusste und wie gut er die Sprache der Römer beherrschte? Der arme Ratbald musste sich furchtbar gefühlt haben, hinter seinem kleineren Bruder zurückzustehen. Viele weitere solche Gedanken spukten Ragin durch den Kopf, bis er in einen von Albträumen gepeinigten Schlaf fiel.
Es war der Abend des Julfestes. Ragin freute sich schon, denn seine Mutter machte an diesem Abend immer Bratäpfel und erzählte schöne Geschichten von den Göttern und Helden. Besonders gerne hatte er immer die Geschichten von Wotan gehört, wie dieser als Grimnir unter den Menschen wandelte und ihnen Gutes tat, ohne das diese merkten, wer ihr Wohltäter eigentlich war. Natürlich durften auch die Geschichten nicht fehlen in denen er als Oski zu den Menschen und Tieren kam und ihnen am Julfest ihre Wünsche erfüllte.
Ragin hatte seinen Kopf auf den Schoß seiner Mutter gelegt, und sie streichelte ihm sanft übers Haar. Wie er es genoss, diese Nähe zu seiner Mutter. Er liebte sie sehr, war sie doch zusammen mit Ratbald das Wichtigste was er hatte. Er fühlte sich unglaublich wohl, es war warm, die Streicheleinheiten jagten ihm einen wohligen Schauer über den Rücken und es lag noch der Geruch der Bratäpfel in der Luft, die sie vorhin verzehrt hatten. Ragin wunderte sich kurz, warum Ratbald eigentlich nicht da war, doch dann begann seine Mutter ein Gedicht über Oski zu rezitieren und er hörte gespannt zu. Mit einer warmen und weichen Stimme, wie sie nur eine Mutter haben konnte, begann sie zu sprechen:
Heil dir Oski, Wunscherfüller,
segensreicher Freudenbringer,
lässt die Herzen sich erwärmen,
Kinder fangen an zu schwärmen,
mögen sich nun alle laben
an Deinen guten Liebesgaben.
Später lasst uns lärmend toben,
zu bannen Geister und Dämonen,
das nun auch im neuen Jahr Verderben
bei uns macht sich rar.
Bringst Glück hinein in unser Haus
und trägst das Unglück rasch hinaus.
Heil Dir, Oski!
Dieses Gedicht rezitierte sie jedes Mal am Julfest, und Ragin hatte es in Gedanken mitgesprochen. Allerdings nicht laut, denn seiner Mutter war die Ehre vorbehalten es vorzutragen, so war es Tradition bei ihnen.
Er war wohl kurz eingenickt und wollte sich fester an seine Mutter schmiegen, doch auf einmal war sie ganz hart. Er blickte nach oben und sah in das Gesicht eines Totenschädels. Erschrocken sprang Ragin nach hinten und krabbelte von dem Skelett weg. Doch nicht nur das hatte sich verändert, auch ihr Haus war verschwunden! Er war in einer gigantischen und düsteren Höhle, deren fahles Licht sich auf riesigen Knochenbergen niederließ. An den Händen sah er riesige Wurzeln, die sicher so dick waren, dass drei dutzend Männer sie nicht hätten umfassen können. Durch die Mitte der Höhle schoss ein schwarzer Fluss, und in dessen Gischt meinte er durchscheinende Gesichter und Körper zu sehen. Der Strom schien hier zu enden, oder unterirdisch weiter zu fließen, und zwar genau an der Stelle wo sich der höchste Skelettberg auftürmte. Drei gab es ander Zahl, die sich meterhoch türmten. Davor wurden in unregelmäßigen Abständen Leichen angeschwemmt.
Nun wusste Ragin wo er war, hatte der Gode doch leider allzu oft davon berichtet: Er war im Reich der Hel, und dies hier musste der Leichenstrand sein, an dem… er kam nicht dazu den Gedanken zu Ende zu denken, denn aus dem Augenwinkel wurde er einer Bewegung gewahr. Ein großer schwarzer und schlangenhafter Leib bewegte sich zwischen den Knochen. Blutiger Schleim schien ihn teilweise zu bedecken und ein Geruch von Verwesung raubte ihm kurz den Atem. Er stand wie gebannt da und verfolgte den Leib, denn er hoffte so auch dessen Kopf zu finden. Ragin wusste in seinem inneren schon, wem dieser Körper gehörte, doch wagte er die Antwort nicht einmal zu denken. Zwischen den Knochen verlor sich der riesige Leib. Allerdings war es auch nicht mehr nötig, um den Kopf der Schlange zu finden, denn dieser erhob sich kurz darauf hinter dem mittleren und größten der drei Berge. Er war groß wie ein Haus, schwertlange Giftzähne schmückten das riesige Maul, aus dem blutiger Schaum troff. Die bösartigen Augen richteten sich kurz auf Ragin. Der Junge meinte sein Herz müsse sofort stehenbleiben, so tief blickten diese hasserfüllten Augen in sein Innerstes.
Doch dann schoss der Kopf plötzlich nach vorne und packte einer der Leichen, die auf dem Berg lagen. Es war eine blonde Frau mit zwei langen Zöpfen-es war Ragins Mutter! Er blieb wie angewurzelt stehen, zu groß war der Schock. Der Wurm hob ihren Körper nach oben und leise Schmatzlaute waren zu hören. Seine Mutter veränderte sich. Ihre Haare verschwanden, ihre Haut wurde erst fahl, dann rissig bis sie ganz verschwand. Auch dem Fleisch darunter ging es nicht anders. Der Nidhöggur, den nur das konnte diese Kreatur sein, saugte den Körper von Raginhild auf und ließ anschließend ihre weißen Knochen einfach auf den Berg fallen. Er wolte Schreien und wüten, doch das konnte er nicht. Er war absolut bewegungsunfähig und musste diese Folter stumm beobachten. Doch Ragins Qualen sollten noch nicht enden. Als nächstes war sein Vater Teutomar an der Reihe. Dann Sigmar, Gero und Brandinar. Bei keinem konnte Ragin sich bewegen oder Sprechen. Er war absolut hilflos. Tränen liefen über seine Wangen, denn die Hilflosigkeit gegenüber dem Schicksal wurde ihm nur allzu gut bewusst, denn selbst wenn er sich hätte bewegen können, was hätte er tun sollen? Er war kein Donar und hatte auch keinen Mjöllnir um mit dieser Kreatur zu kämpfen. Er war nur ein Junge…nur ein Junge…nur ein Junge…nur …ein…Junge, hallte es in seinem Kopf wieder und immer wieder.
Irgendetwas riss seine Aufmerksamkeit auf sich. Ragin meinte eine Bewegung bei den Leichen zu sehen. Auch der Pestdrache schien das bemerkt zu haben und stieß sofort zu. Er hatte sein Opfer schnell erwischt und was Ragin sah, das erschreckte ihn noch mehr als alles was er davor gesehen hatte: Sie hatte Ratbald zwischen ihren Zähnen…und er schien noch zu leben. Er kreischte schmerzerfüllt, voller Pein, und zappelte wie ein Käfer durch den man eine Nadel gestochen hatte. Ragin wollte ihm helfen, den Nidhöggur zur Not mit bloßen Händen angreifen, aber er war völlig paralysiert, unfähig zu bewegen, hilflos, machtlos, klein und schwach... Es ging langsam vor sich. Bedeutend langsamer als bei den anderen vor ihm. Ratbalds Augen blickten Ragin an und er begann artikuliert zu schreien: "Ragin! Ragin! Du bist schuld! Es ist alles deine Schuld! Wegen dir bin ich nach Magna gegangen! Du hast mich vertrieben! Du hast mich auf dem Gewissen!" Seine Haut war nun abgelöst und sein Fleisch begann sich langsam zu zersetzen. Aber er rief weiter, seine Stimme klang nun nicht mehr menschlich und hatte so ein pfeifen. Offenbar kam das von den Löchern in seinem Hals, die schnell größer wurden und durch die die Luft pfiff. "Du mussssst Dagmar retten! Sssssssschnell! Nur wenn du essssss ssssssschafst, dassssssss ssssssie ssssstolzsssss auf dich isssssssst kanssssst du ihr dasssssss ersssssssparen, wassssss du mir angetan hasssssst!" Dann verstummte sein Bruder für immer. Nachdem auch Ratbalds Knochen auf den Knochenberg gefallen waren, richtete die Schlange abermals ihren Blick auf Ragin. Ihre gelben fauligen Zähne blitzen auf. Beinahe schien das Monster zu grinsen. Kurz beugte sich der ekelhaft stinkende Körper nach hinten und schoss dann nach vorne um sich ihn zu packen…
Ragin erwachte schweißgebadet und er weinte. Sein Gesicht war nass und klamm vor lauter erkalteter Tränen. Amala lag neben ihm und schaute ihr Herrchen beinahe prüfend an. Dann kam sie zu dem Schluss, dass er ihre Zuneigung brauchte und begann ihm das Gesicht zu lecken. Es schmeckte salzig und das mochte sie ganz besonders. Ragin ließ es mit sich geschehen, denn die Nähe und die Wärme der Hündin taten ihm gut. Er zitterte, obwohl es nicht kalt war hier im Zimmer. Es war der Morgen des Julfestes…