Beiträge von Marcus Artorius Menas

    Kaum angekommen, rückte Menas wieder aus. Er war sich noch nicht ganz sicher, ob er zur richtigen Zeit oder genau falsch in Ägypten angekommen war. Zwar hatte er einen Teil der Grundausbildung bereits absolviert, doch war er noch kein Legionär, das Töten ihm fremd, und er wusste nicht, was er im Süden zu erwarten hatte.


    Vorerst hatte man ihn zum Rudern eingeteilt. Die Rudertruppe war bunt gemischt. Probaten wie Legionäre gleichermaßen saßen auf den schmalen Bänken. Menas war kein Schwächling, er hatte nur ab und an Probleme mit dem Zittern, das ihn ab und an heimsuchte, und das er bisher erfolgreich vor allen anderen verborgen hatte. Für gewöhnlich achtete Sacadas auf ihn, doch seit er im Militär diente, hatte er allein damit fertig werden müssen. Es war bisher auch erst einmal passiert, und da war Menas allein gewesen, glücklicherweise. Er legte sich in die Riemen, zog und schob im Takt und bekam kaum etwas davon mit, wie das Schiff Fahrt machte, sondern konzentrierte sich darauf, gleichmäßig zu atmen und nicht aus der Reihe zu fallen.

    Die Antwort auf die Frage nach seinem Ausbilder war nur wenig ergiebig, doch Menas gab darauf nicht viel. Er würde es noch früh genug erfahren, und es würde ihm nicht viel bringen, wenn er den Namen seines Ausbilders schon vorher erfuhr. Ohnehin kannte Menas hier niemanden außer Serapio, und selbst ihn nicht richtig. Was machte es da schon, wenn er den Namen seines Ausbilders schon am heutigen Abend kannte?


    Der Verbleib Sacadas' war da deutlich interessanter. Zwar bot sich keine Gelegenheit für den Sklaven, im Kastell zu verbleiben, doch wusste Serapio eine andere Möglichkeit. Im Grunde war es Menas einerlei, solange jemand Vertrautes zugegen sein würde, wenn er ihn brauchte, und das war hier in der Fremde nun einmal Sacadas. Auch für das Pferd würde sich eine Unterkunft finden lassen, und der Grieche würde das Tier bewegen, damit es nicht fett und träge wurde. Die Finanzierung mochte vielleicht zu einem Problem werden, doch da Menas Kost und Logis entgeltlos erhielt, konnte er seinen Sold genauso gut für die Unterbringung von Pferd und Sklave ausgeben. Er war hier recht praktisch veranlagt. Sacadas lauschte aufmerksam. »Libri Decimae, die Buchhandlung in Alexandrien. Ja, Herr«, wiederholte der Grieche und senkte den Kopf, während er mit den Pferden am Zügel hinter ihnen her ging. Menas warf ihm einen kurzen Blick zu und wandte sich dann wieder an Serapio. »Danke, das weiß ich sehr zu schätzen.« Und es war immerhin besser als nichts.


    Als Serapio von seinen Pferden sprach, dachte Menas sogleich an rasante Wagenrennen. Es erschien ihm allerdings unpassend, den Tribunen nun danach zu fragen, also schwieg er dazu und gönnte sich ein kurzes Lächeln. Offensichtlich mochte der Decimer Pferde, und damit hatten sie etwas gemein, denn auch Menas mochte Tiere, insbesondere Pferde, und zog sie oftmals der menschlichen Gesellschaft vor. »Beduinenpferde? Ich dachte, für die Wüste verwendet man Kamele. Heißt es nicht, sie können Wasser in ihren Höckern speichern?« Wenn die Wüste tatsächlich so unwirtlich war wie man sagte, dann war es Menas ganz recht, dass er seinen Schimmel nicht hier behalten musste. Im Zweifelsfall würde ein Pferd der Legion draufgehen.


    Kurz darauf verabschiedete sich der Tribun. Menas nickte ihm zum Abschied zu. »Danke, Tribun Decimus.« Er sah dem Decimer noch einen Moment nach, ehe er sich aufmachte, um herauszufinden, wo er Quartier beziehen sollte.

    Eigentlich war es schon klar gewesen, bevor er hierher gekommen war. Er hätte es in Rom längst tun sollen, daher bedurfte es auch keiner Bedenkzeit mehr, denn Menas war sich sicher. So führten ihn an diesem Abend seine Schritte zum Haus des Tribunen Serapio. Die Sonne ging eben unter, glutrot verschwand sie hinter verschwimmenden Bergen. Menas war inzwischen allein, er hatte seinen Kumpanen erfolgreich abhängen können. Es gab Dinge im Leben eines Mannes, die man alleine zu erledigen hatte, und dies hier zählte dazu. Als Menas die Faust hob, um zu klopfen fühlte er sich gut. Es war der richtige Schritt, das wusste er, auch wenn seine Mutter dazu einige Bedenken geäußert hatte. Doch sie wusste nichts über das Soldatenleben, und so gab er diesbezüglich nur wenig auf diese Bedenken, obwohl er sonst große Stücke auf seine Mutter und ihre Meinung hielt. Menas klopfte.

    »ROMA VICTRIX!!!« Menas tat es unzähligen Kehlen gleich. Dieses Fieber hatte auch ihn gepackt. Sie würden gegen die Barbaren bestehen und sie bezwingen, das stand fest und Menas war zuversichtlich. Die Worte des Tribunen waren mitreißend, und nicht zum ersten Mal empfand Menas großen Respekt und Achtung vor dem Decimus. In gewisser Weise war er wie Avitus. Ob das daran lag, dass er früher gemeinsam mit ihm gedient hatte oder dass beide Parthien-Veteranen waren, konnte er nicht beurteilen. Aber er sah zu ihm auf, wie er zu Avitus aufgesehen hatte.

    Er musste sich eine Landkarte organisieren. Menas wusste bislang nicht sonderlich viel über die Provinz, in der er nun stationiert war. Mit Ortsangaben wie Syene und einem so genannten Zwälfmeilenland konnte er demnach noch nichts anfangen, doch das würde er dem Tribun ganz sicher nicht auf die Nase binden. Ein wenig ärgerte er sich schon, dass er die langweilige Überfahrt nicht für Kartenstudien genutzt hatte, doch das war nun einmal nicht mehr zu ändern, und er würde es nachholen. Nach Möglichkeit noch vor dem Aufbruch. Zu Menas' Glück genügte hier ein Nicken vollkommen, um den Tribunen weitersprechen zu lassen, und wie sich herausstellte, hatte Menas die Wüste schon ganz recht eingeschätzt. Auch wenn der Decimus gen Ende recht poetisch wirkte. Menas warf ihm nur einen kurzen Seitenblick zu und stellte sich dann lieber das Problem des schmirgelnden Sandes vor als leuchtende Sterne. Mit Romantik hatte er recht wenig am Hut. Es würde unangenehm werden, so viel stand fest. Für viele würde es wohl auch eine Art Prüfung darstellen, das stand genauso fest. Menas beschloss, sich nicht unterkriegen zu lassen. Der Marsch durch die Wüste würde dann zeigen, ob sich dieses Vorhaben auch in die Tat umsetzen ließ.


    Die nächsten Worte des Tribunan allerdings ließen Menas dann wieder überrascht zur Seite sehen. »Alle?« Das bedeutete wohl, dass es sich nicht um ein paar wenige Strauchdiebe handelte, die nächtens Karawanen überfielen, sondern um ein untergründiges Netzwerk, das routiniert und gewalttätig vorging... In Menas' Geist entsponnen sich soeben die wildesten Geschichten. Denn warum sonst sollten so viele Soldaten ausrücken?


    Serapio fuhr fort und verlor einige Worte über Menas' zukünftigen Platz innerhalb der Legion. Er sog diese Informationen auf wie ein Schwamm. Septimius Palaemon, morgen zum Appell antreten. »Jawohl, Tribun«, erwiderte er reflexartig und unterstützte seine Worte mit einem Nicken. »Der Optio Septimius wird mich ausbilden?« stellte er dann noch eine weitere Frage, denn so hatte es sich angehört. Er glaubte nicht, dass Serapio die Ausbildung selbst übernommen hatte und er dazustoßen würde. Andererseits implizierte der Hinweis auf den morgigen Apell genau dies. Menas warf einen Blick über die Schulter hin zu Scamander. Den hätte er fast vergessen. »Ja, Tribun. Du hast bestimmt Beziehungen in Alexandrien. Kannst du mir einen Vorschlag machen, wo er unterkommen kann? Er kann lesen und schreiben und versteht sich gut auf Verwaltungsaufgaben.« Menas stellte diese Frage nicht ohne Grund. Sacadas würde nicht zurück nach Rom reisen, ebensowenig die Pferde. Er würde in der Stadt schon eine Beschäftigung finden, zumindest war es so angedacht worden. Vielleicht aber erkannte auch der Tribun den Wert des griechischen Sklaven und hatte die Idee, auf die Menas insgeheim spekulierte. Denn einem Tribun war es erlaubt, Sklaven zu halten. »Er entstammt einer iberischen Zuchtlinie«, fuhr Menas dann fort, und Stolz schwang durchaus in seiner Stimme mit. »Sein Name ist Haliaetos.« Ganz treffend, wie Menas fand, denn die Musterung seines Schimmels ähnelte stark einem Fischadler, und auch was die Majestät anging, hatte das Pferd keine Abstriche zu machen. Auf seine Art war es Menas stets ein treuer Freund gewesen, seitdem er es als Jungpferd erstanden hatte.

    Sim-Off:

    Wertkarte.




    Servius Artorius Reatinus
    Kastell der Legio I • Mantua
    Provinz Italia


    M Artorius Menas S Artorio Reatino s.p.d.


    Reatinus, ich melde mich aus Aegyptus bei dir. Mir ist bewusst, dass ich dies unlängst hätte tun müssen. Bitte entschuldige meine Verfehlung. Ich erhielt vor zwei Wochen meinen Marschbefehl hierher und zog es vor, Mutter auf dem Land persönlich in Kenntnis zu setzen, dass ich meine Grundausbildung in Ägypten vollenden werde. Für eine Reise nach Mantua blieb mir keine Zeit, obschon ein Brief wohl Genüge getan hätte.


    Nun befinde ich mich seit genau sechs Stunden hier und muss dir schreiben, dass die XXII. ausrücken wird. Im Süden gab es offenbar wiederholte Übergriffe auf wichtigen Karawanenrouten.


    Ich bin stolz, dir berichten zu können, dass Onkel Avitus' Andenken auch hier im Süden in Ehren gehalten wird. Kennst du den Tribunen Decimus Serapio? Er war schon bei den Stadtkohorten mein Vorgesetzter. Nach meinem Empfinden gleicht er in gewisser Weise Avitus.


    Die Götter mit dir.


    [Blockierte Grafik: http://img6.imageshack.us/img6/7518/menassig.gif]
    ANTE DIEM XVIII KAL IUL DCCCLX A.U.C. (14.6.2010/107 n.Chr.)
    _________________________________________________________
    Marcus Artorius Menas
    Kastell der XXII. Legion • Cen. II Coh. II • Nikopolis • Aegyptus


    [Blockierte Grafik: http://img171.imageshack.us/img171/7836/artoriasiegel.gif]

    Menas kannte hier niemanden außer Serapio. Das war ein Umstand, den es zu ändern galt. Während der täglichen Übungen gab es nicht viele Möglichkeiten, Bekanntschaften zu machen, und Menas war nicht der Typ Mann, der sich einfach zu einem eingefleischten Trupp an den Tisch setzte um mitzuwürfeln. Dann lieber die Thermen. Menas passte einen Moment ab, an dem sich seine Truppe nicht in Übung befand und demnach viele hier anzutreffen waren. Phanias war wieder mit von der Partie, und auch wenn er Menas bereits nach wenigen Stunden auf die Nerven ging, so war er doch der einzige, der sich bisher mit ihm befasst hatte. Menas kannte inzwischen schon die halbe Lebensgeschichte des Kameradens, während Phanias selbst nicht mehr als Menas' Namen wusste. Und Phanias war ein recht dankbarer Gesprächspartner. Es bedurfte lediglich keiner gemurmelter Zustimmungen oder einer kurzen Frage, und der Tedier sprudelte weiter vor sich hin, eine niemals versiegende Quelle der Belanglosigkeit. Gemeinsam saßen sie im Becken, und Phanias redete, während Menas mehr auf sein Umfeld und eventuelle Bekanntschaften achtete denn auf das Plappermaul neben ihm.


    Es gehörte sich so. Eine der ersten Handlungen Menas' als Probat der Zweinundzwanzigsten bestand darin, Mars ein kleines Opfer darzubringen. Irgendwo hatte er Kekse aufgetrieben, einen Apfel hatte er sich abgespart, und sich damit zu dem kleinen Marsheiligtum aufgemacht, das sich in einem jeden Militärkastell befand. Warten musste er nicht, obgleich der kleine Marstempel gut besucht war. Wie meistens vor einem Manöver. Die Handgriffe kannte er aus dem FF. Weihrauch glomm noch von seinem Vorgänger in einer kleinen Schale, Rauch kräuselte sich zu filigranen Figuren. Menas streute noch ein paar Körner auf die Glut und fachte sie durch Pusten zu neuem Leben an. Das Kultbild des Mars thronte auf einem schmalen Sims. Schalen mit Obst und Gebäck standen daneben, Reste eingetrockneten Blutes waren auf dem Boden zu sehen, und Weinflecken zierten das Loch am Boden vor dem Altar. Menas bedeckte sein Haupt und hob die Hände in bittender Geste dem Kultbild des Mars entgegen. »Mars, Kriegsherr«, sagte er. »Hab Dank für dein Geleit. hab Dank für deinen Schutz. Hab Dank für deine Stärke. Ich stehe hier als dein treuer Diener, und danke dir für deinen Beistand.« Er zog die Kekse aus seiner Tasche und platzierte sie bei den übrigen auf dem Altar. Der Apfel folgte. »Nimm diese Gaben, großer Kriegsherr, zum Dank für dein Geleit, auf dass sie dir schmecken.« Menas überlegte kurz, ob auch er Mars um einen Sieg im bevorstehenden Gefecht bitten sollte, doch er entschloss sich dagegen. Solche Wünsche wurden dieser Tage gewiss oft vorgebracht. Menas entschloss sich, Mars nur zu danken, obgleich er natürlich hoffte, dass sie siegen würden. Er beendete sein Opfer mit einer Wendung nach rechts und blickte dann noch das Kultbild des Mars an. In gewisser Weise glaubte er, dass Avitus und Mars in Verbindung standen. Zumindest hoffte er das. Avitus war für ihn ein Krieger gewesen, ein Vorbild. Ein Idol.


    Das Pferd war verstaut worden, sein Sklave irgendwo zum Arbeiten untergekommen. Menas wollte ihn nicht um sich haben, und darüber hinaus war es einem so Rangniederen wie ihm selbst auch nicht erlaubt, einen Sklaven mitzubringen. Er war demnach allein, als er die Stube betrat. Seinen Seesack trug er geschultert, er enthielt seine sämtlichen Habseligkeiten abgesehen von dem, was er am Leib trug. Ein junger Bursche sah auf, als Menas eintrat. »Chaire. Du bist der Artorius?« fragte der Dunkelhaarige. »Marcus Artorius Menas«, stellte sich Menas vor und reichte dem neuen Kameraden seine Hand. Der bleckte die Zähne zu einem Grinsen. »Manius. Manius Tedius Phanias« erwiderte er und schüttelte dabei Menas' Hand. Dieser nickte ihm grüßend zu. »Welches ist noch frei?« wollte er dann wissen und deutete mit dem Kinn auf ein offensichtlich bewohntes Bett. »Da hinten«, sagte Phanias und ließ endlich Menas' Hand los. Bereitwillig lief er zu dem Bett, das bisher unbezogen war. Menas platzierte seinen Seesack darauf. »Danke.« »Gern geschehen, Kamerad!« Phanias grinste. Er klopfte freundschaftlich Menas' Schulter.


    Menas war froh, dass der Tribun nicht weiter auf seinen Vater einging. Und eigentlich war er auch froh, dass sie nicht weiter über Avitus redeten, denn dessen Verlust war nach wie vor etwas, an dem Menas sehr zu kauen hatte, wenn er genauer darüber nachdachte. Er hätte schließlich niemals angenommen, dass eine plötzliche Krankheit einen so kerngesunden und gestandenen Mann wie Avitus hätte bezwingen können. Doch Menas war nicht der einzige gewesen, der falsch gedacht hatte, und so war Artorius Avitus zu Grabe getragen worden. Menas schob die Erinnerung daran weit von sich, zurück in das Eckchen, in dem er sie sonst aufbewahrte. Und dann verschloss er es sorgfältig und beschäftigte sich mit dem Grund für den Trubel im Lager, den Serapio ihm eben erklärte.


    Leuchtende Augen bekam Menas nicht ganz, doch war er selbstverständlich begierig darauf, seinen Mann zu stehen, und das war in seinem Blick ganz gewiss ersichtlich. Wüstenräuber! Karawanenüberfälle... Das versprach nicht nur heiß zu werden, in zweierlei Hinsicht, sondern auch sehr, sehr sandig. Menas war bisher nicht in der Wüste gewesen. Aber er hatte davon gehört. Es sollte eine riesige Fläche aus Sand sein, groß wie das Mare Internum, nur eben aus Sand statt aus Wasser bestehen. Das Marschieren auf solchem Terrain war schwer, das wusste er von den Übungsläufen am Strand von Ostia. Und sein Ausbilder dort hatte sie oft im Sand laufen lassen. »Im Süden?« hakte Menas nach und betrachtete den Tribunen von der Seite. Er wirkte schon stattlich. Menas hoffte, dass auch die Probaten mit ausrücken durften. »Ich habe bisher nur von der Wüste gehört. Es heißt, man soll sehr viel Wasser mitnehmen, sonst würde man verdursten«, sagte Menas. »Welche Kohorten rücken aus?« Er nahm automatisch an, dass Serapio mit von der Partie sein würde.


    Menas, der immer noch das Versetzungsdokument in der Hand hielt, reichte es umgehend Serapio. »Hier, Tribun. Ich war Probat der Stadtkohorten in Ostia, dritte Kohorte, zweite Zenturie. Manius Memmius Verres war mein Zenturio«, gab er bereitwillig preis. Besondere Aufgaben hatte er nicht gehabt, nicht als Probat, obwohl er sich angestrengt hatte. Vielleicht hatte er hier bessere Karten. So schlecht war die Versetzung also doch nicht. Zuerst war Menas in Rom stationiert gewesen, dann nach Ostia versetzt worden. Die Gründe kannte er nicht, hatte sie jedoch auch nie hinterfragt, ebensowenig wie bei dieser Versetzung.


    Menas schritt schweigend neben dem ebenso schweigsamen Tribun einher. Um sie herum herrschte durchaus etwas wie eine Aufbruchstimmung, das entging ihm nicht. Irgend etwas lag hier in der Luft. Er hatte sich gerade dazu entschlossen, den Grund für das Treiben zu erfragen, da sprach der Decimer, und Menas sah ihn zunächst überrascht von der Seite an. Er rechnete fest damit, dass Serapio Avitus meinte, doch dann fiel der Name seines Vaters, und Menas heftete seinen Blick wieder nach vorn, einem unsichtbaren Punkt irgendwo am Ende der Via Praetoria entgegen, und presste die Lippen zu einem blutleeren Strich zusammen. Bei all seiner Strenge. Menas unterdrückte mit Mühe einen abfälligen Laut. Sein Vater war alles andere gewesen, doch nicht streng. Menas unterschlug bei diesen Gedanken geflissentlich den Umstand, dass er seinen Vater niemals während eines Einsatzes oder auch nur im Umgang mit anderen Soldaten erlebt hatte, sondern stets nur als Ehemann und Vater im häuslichen Umfeld. Sofern er denn überhaupt einmal da gewesen war. Und dort hatte er auf ganzer Linie versagt. Menas konnte ich noch zu lebhaft erinnern, wie bedrückt und unglücklich seine Mutter gewesen gewesen und noch immer war. Der Tod seines Vaters hatte daran rein gar nichts geändert, diesen Zustand vielleicht sogar noch verschlimmert. »Danke«, rang sich Menas schließlich ab. Alles andere wäre eines Sohnes nicht würdig gewesen, deshalb behielt er die Gedanken für sich. Es klang trotzdem hölzern und hohl. Wie das auf den Tribunen wirken musste, daran dachte Menas nicht. Für ihn war ein ohnehin kaum vorhandener Vater nun vollends nicht vorhanden, und das machte für ihn keinen Unterschied. Anders sah es bei Avitus aus, denn im Gegensatz zu seinem Vater hatte Menas Avitus regelrecht vergöttert. Sein Onkel hatte immer ein offenes Ohr gehabt, sogar zu schlichten versucht zwischen Imperiosus und ihm. Menas hatte seine Rüstung geerbt. Irgendwann einmal würde er sie tragen, wenn es passte, und er nicht mehr nur ein einfacher Legionär war.


    Menas' Ausdruck hatte sich geändert, war weicher geworden und sah nun leicht gequält aus. Er warf dem Tribunen einen kurzen Seitenblick zu und besah sich dann die Steine zu seinen Füßen. »Ja«, sagte er. »Mein Onkel war ein großartiger Mann. Ein Vorbild.« Wohl nicht nur für Menas selbst. Er überlegte. Eigentlich wollte er das alles nicht so offen an sich heran lassen. Es musste ein anderes Gesprächsthema her, und das schnell. Menas sah auf und ließ den Blick wieder schweifen. Die Aufbruchstimmung im Lager bot die gewünschte Ablenkung. »Tribun?« begann er und sah Serapio seitlich an, während sie gingen. »Was ist denn hier los? Und wie war das gemeint, als du eben am Tor sagtest, ich käme genau zur richtigen Zeit?« Es war keine Rede von einem Krieg gewesen in Rom, und auch auf dem Weg durcj Alexandrien bis hierher nicht. Menas war neugierig geworden. Und ihm lag auch noch eine weitere Frage auf der Zunge. »Ich nehme an, ich sollte mich dann im Rekrutierungsofficium melden?« Menas hatte keine Ahnung, ob er mit Erhalt des Versetzungsschreibens bereits der XXII angehörte oder ob das noch einen bürokratischen Akt erforderte. In jedem Falle musste er in Erfahrung bringen, welcher Einheit er angehören würde.


    Rechtzeitig eingetroffen... Menas gestattete sich kurz einen verwunderten Blick. Er würde nachfragen, wie das gemeint war, wenn es passte. Der Tribun winkte seinen Leuten, und Menas sah seinen Sklaven auffordernd an. Er folgte ihnen beiden mit den beiden Pferden und dem spärlichen Reisegepack auf deren Rücken. Menas nickte der Torwache noch einmal abschließend zu, dann folgte er seinem Tribun ins Innere des Lagers.


    Menas grübelte noch über diese seltsame Formulierung nach - der richtige Zeitpunkt? -, als plötzlich Haltung angenommen wurde. Er wandte sich halb um und entdeckte seinen vormaligen Ausbilder hoch zu Pferd, was dazu führte, dass auch Menas in sekundenschnelle zu den Salutierenden gehörte. Tribun war der Decimus hier unten also. Da hatte er es weit gebracht. Vielleicht sollte er sich das in absehbarer zu Nutzen machen. Es schadete nichts, wenn er hier unten so weit im Süden Freunde hatte, und den Decimer hatte er schon immer geschätzt. Das Dokument, was niemand hatte sehen wollen, hielt Menas noch immer in der freien Hand, als Serapio ihn ansprach.


    »Jawohl, Tribun«, erwiderte er, inzwischen etwas bequemer stehend, und steuerte seinen Worten ein kurzes, etwas abgehacktes Nicken bei. »Man hat mich hierher versetzt. Meinen Glückwunsch auch zu deiner Beförderung.« Was hätte er auch anderes sagen sollen? Erst jetzt brachte er die Worte seines letzten Vorgesetzten mit denen der Torwache in Zusammenhang. »Die können da unten jeden gebrauchen« hatte er abwertend interpretiert. Nicht etwa ernsthaft.


    »Ich bin hierher versetzt worden«, antwortete Menas ohne mit der Wimper zu zucken und ohne den ironischen Unterton der Wache zu sehr an sich heranzulassen. Er kramte die Versetzungspapiere heraus und reichte sie der Torwache, dann wartete er. Ägypten war nicht warm. Ägypten war heiß. Menas standen schon seit einer geraumen Weile die Schweißperlen auf der Stirn. In voller Montur zu üben wäre bei diesem Klima sicherlich eine Herausforderung.


    Ohne Umschweife war Menas unter Führung des Sklaven Sacadas hierher geritten. Als das Tor des Militärkastells in Sicht kam, verlangsamten beide ihre Geschwindigkeit, bis sie das Tor schließlich im Schritt erreicht hatten und der Sklave absaß, um Menas' Pferd zu halten. Der Artorier allerdings hatte bereits abgesessen, als der Sklave nach den Zügeln griff. »Marcus Artorius Menas, probatus der Stadtkohorten, meldet sich zum Dienst«, sagte er und grüßte militärisch. Wenn er eines gelernt hatte bisher bei seiner Grundausbildung, dann war es, dass man mit Gehorsam und Disziplin weit kommen konnte, auch wenn es mitunter sehr schwer fiel.


    Menas lehnte an der Reling und betrachtete griesgrämig die weite blaue Wasserfläche, durch die das Schiff pflügte. Er mochte Wasser nicht besonders, zumindest nicht so viel davon. Seit Tagen waren sie nun schon unterwegs. Im Gegensatz zu vielen anderen auf dem Schiff hatte er sich nicht ein einziges Mal über Bord lehnen müssen, um das Frühstück wieder herauszuwürgen. Die Möwen hatten am zweiten Tag beigedreht und waren zur Küste zurück geflogen, und mit ihrem Verschwinden hatte auch das nervtötende Kreischen endlich aufgehört. Nun waren nur noch die harschen Rufe der Seeleute zu hören, und natürlich das ständige Branden des Meeres, das einlullende Schlagen der Wellen an den Bug des Schiffes.


    Diese Versetzung war nicht sein Wunsch gewesen, doch er fügte sich bereitwillig. Er würde damit den Namen seiner Familie über das Meer in den Süden tragen und seine Mutter stolz machen. Der Tod seines Vaters hatte ihn nicht sonderlich mitgenommen. Der seines Onkels Avitus schon. Ihm und seiner Mutter wollte er Ehre machen. Seinen Vater sollten die Würmer fressen. Nie hatte er ihm etwas abgewinnen können, stets hatte er seine Mutter bemitleidet für das Los, das sie gezogen hatte. Und nun, da es ihr frei stand, sich einen neuen Mann zu nehmen, zog sie es vor, weiterhin zurückgezogen zu leben. Er verstand sie nicht. Doch er liebte sie, und das wollte durchaus etwas heißen bei Menas.


    »Laaaaand! Land in Sicht!« Der Wind verzerrte die Worte, trug sie aber dennoch hinunter auf Deck. Und als hätte der scharfäugige Kerl im Krähennest damit eine Maschinerie in Gang gesetzt, wimmelte es auf Deck plötzlich von Matrosen und Reisenden. Menas blieb, wo er war. Er hatte bisher keinen Finger krumm gemacht und das würde auch so bleiben. Immerhin hatte er für diese Überfahrt bezahlt. Abschätzend beobachtete er die Handgriffe der Seeleute. Die Aufregung der anderen Passagiere. Ein kleines Mädchen zeigte auf den Leuchtturm Alexandriens, der sich inzwischen deutlich vom Horizont abhob. Menas folgte ihrem aufgeregten Winken. Imposant, durchaus. Und trotzdem nur ein Turm aus Steinen. Er stieß sich ab und begab sich unter Deck. Oben brüllte man sich Befehle zu und lief hektisch hin und her. Menas hingegen suchte die Gesellschaft seines Pferdes. Den Schatten an seiner Seite bemerkte er nach all den Jahren nicht mehr. »Du solltest jetzt nicht dort hineingehen, Herr. Das Schiff wird bald anlegen, und die Tiere werden unruhig«, prophezeite der Sklave Sacadas. Menas machte eine unwirsche Geste. Der Sklave schwieg, und Menas öffnete den winzigen Verschlag seines Tieres. Unruhig spielte Haliaetos mit seinen Ohren, während Menas beruhigende Worte zuflüsterte. Das wärmere Klima hier unten war vielleicht gut, vielleicht aber auch schlecht für den Hengst. Vermutlich auch für Menas und seine Krankheit. Wer wusste das schon? Schlimmer konnte es ohnehin nicht mehr werden, sagte er sich. Und wenn doch, dann würden ihn die Würmer fressen.


    Eine gute Stunde später hatten sie einen freien Liegeplatz gefunden und angelegt. Arbeitergriechen und die römische Besatzung hatten bereits begonnen, die Fracht zu löschen, Passagiere flossen regelrecht von Bord. Menas stand ein wenig abseits, immer noch auf Deck, und wartete darauf, dass das Chaos ein wenig lachließ. sein Sklave hielt zwei Pferde am Zügel. Den stattlichen Schimmel des Artoriers und eine kleine haselnussbraune Stute mit weichen Augen. »Komm«, sagte Menas schließlich und schritt voraus. Sacadas folgte ihm, und hinter ihm die Pferde mit ihren Reisepacken auf dem Rücken.


    Der Hafen Alexandriens war ein Kessel Buntes. Neben den kuriosesten Gerüchen und den seltsamsten Waren gab es eine bunte Mischung Menschen aller Schichten und Altersklassen. Menas hatte inzwischen seinem Sklaven den Vortritt gelassen und folgte ihm. So war es einfacher, denn Sacadas musste sich so den Weg durch die Massen bahnen, nicht er. Am Rande angelangt, stiegen beide auf ihr Pferd. »Du hast dich schlau gemacht?« fragte Menas. »Ja, Herr. Dort entlang.« Menas nickte und bedeutete dem Sklaven, vorauszureiten. Er selbst folgte. Ihr Ziel war nicht weit entfernt: Das Kastell der Zweiundzwanzigsten.