Menas lehnte an der Reling und betrachtete griesgrämig die weite blaue Wasserfläche, durch die das Schiff pflügte. Er mochte Wasser nicht besonders, zumindest nicht so viel davon. Seit Tagen waren sie nun schon unterwegs. Im Gegensatz zu vielen anderen auf dem Schiff hatte er sich nicht ein einziges Mal über Bord lehnen müssen, um das Frühstück wieder herauszuwürgen. Die Möwen hatten am zweiten Tag beigedreht und waren zur Küste zurück geflogen, und mit ihrem Verschwinden hatte auch das nervtötende Kreischen endlich aufgehört. Nun waren nur noch die harschen Rufe der Seeleute zu hören, und natürlich das ständige Branden des Meeres, das einlullende Schlagen der Wellen an den Bug des Schiffes.
Diese Versetzung war nicht sein Wunsch gewesen, doch er fügte sich bereitwillig. Er würde damit den Namen seiner Familie über das Meer in den Süden tragen und seine Mutter stolz machen. Der Tod seines Vaters hatte ihn nicht sonderlich mitgenommen. Der seines Onkels Avitus schon. Ihm und seiner Mutter wollte er Ehre machen. Seinen Vater sollten die Würmer fressen. Nie hatte er ihm etwas abgewinnen können, stets hatte er seine Mutter bemitleidet für das Los, das sie gezogen hatte. Und nun, da es ihr frei stand, sich einen neuen Mann zu nehmen, zog sie es vor, weiterhin zurückgezogen zu leben. Er verstand sie nicht. Doch er liebte sie, und das wollte durchaus etwas heißen bei Menas.
»Laaaaand! Land in Sicht!« Der Wind verzerrte die Worte, trug sie aber dennoch hinunter auf Deck. Und als hätte der scharfäugige Kerl im Krähennest damit eine Maschinerie in Gang gesetzt, wimmelte es auf Deck plötzlich von Matrosen und Reisenden. Menas blieb, wo er war. Er hatte bisher keinen Finger krumm gemacht und das würde auch so bleiben. Immerhin hatte er für diese Überfahrt bezahlt. Abschätzend beobachtete er die Handgriffe der Seeleute. Die Aufregung der anderen Passagiere. Ein kleines Mädchen zeigte auf den Leuchtturm Alexandriens, der sich inzwischen deutlich vom Horizont abhob. Menas folgte ihrem aufgeregten Winken. Imposant, durchaus. Und trotzdem nur ein Turm aus Steinen. Er stieß sich ab und begab sich unter Deck. Oben brüllte man sich Befehle zu und lief hektisch hin und her. Menas hingegen suchte die Gesellschaft seines Pferdes. Den Schatten an seiner Seite bemerkte er nach all den Jahren nicht mehr. »Du solltest jetzt nicht dort hineingehen, Herr. Das Schiff wird bald anlegen, und die Tiere werden unruhig«, prophezeite der Sklave Sacadas. Menas machte eine unwirsche Geste. Der Sklave schwieg, und Menas öffnete den winzigen Verschlag seines Tieres. Unruhig spielte Haliaetos mit seinen Ohren, während Menas beruhigende Worte zuflüsterte. Das wärmere Klima hier unten war vielleicht gut, vielleicht aber auch schlecht für den Hengst. Vermutlich auch für Menas und seine Krankheit. Wer wusste das schon? Schlimmer konnte es ohnehin nicht mehr werden, sagte er sich. Und wenn doch, dann würden ihn die Würmer fressen.
Eine gute Stunde später hatten sie einen freien Liegeplatz gefunden und angelegt. Arbeitergriechen und die römische Besatzung hatten bereits begonnen, die Fracht zu löschen, Passagiere flossen regelrecht von Bord. Menas stand ein wenig abseits, immer noch auf Deck, und wartete darauf, dass das Chaos ein wenig lachließ. sein Sklave hielt zwei Pferde am Zügel. Den stattlichen Schimmel des Artoriers und eine kleine haselnussbraune Stute mit weichen Augen. »Komm«, sagte Menas schließlich und schritt voraus. Sacadas folgte ihm, und hinter ihm die Pferde mit ihren Reisepacken auf dem Rücken.
Der Hafen Alexandriens war ein Kessel Buntes. Neben den kuriosesten Gerüchen und den seltsamsten Waren gab es eine bunte Mischung Menschen aller Schichten und Altersklassen. Menas hatte inzwischen seinem Sklaven den Vortritt gelassen und folgte ihm. So war es einfacher, denn Sacadas musste sich so den Weg durch die Massen bahnen, nicht er. Am Rande angelangt, stiegen beide auf ihr Pferd. »Du hast dich schlau gemacht?« fragte Menas. »Ja, Herr. Dort entlang.« Menas nickte und bedeutete dem Sklaven, vorauszureiten. Er selbst folgte. Ihr Ziel war nicht weit entfernt: Das Kastell der Zweiundzwanzigsten.