Beiträge von Decima Serrana

    Serrana lächelte befangen. Niemand hatte sie darauf vorbereitet, wie man sich korrekt in Gegenwart eines jungen Mannes verhielt, der im Begriff stand, sich für sie zu interessieren, damit sie nicht wie eine dahergelaufene einfältige Göre wirkte. Das schlimmste was sie nun machen konnte, war wie ein kleines Mädchen zu kichern. Zum Kichern war ihr aber gar nicht zumute. Im Grund freute sie sich ja, ihn wieder zu sehen, denn er war ein netter Kerl, so ganz anders, als sie sich einen Patrizier vorgestellt hatte. Nicht so aufgeblasen und von sich selbst eingenommen. Wäre da nur nicht ständig dieses Gefühl gewesen, sich Fehl am Platz zu fühlen.
    Piso antwortete auf ihre Frage nach seinem Befinden mit einem Wortschwall. Ein Satz nach dem anderen quoll nur so aus ihm hervor und es schien, als wolle er gar nicht mehr aufhören.
    "Schön!", antwortete sie und lächelte weiter, währenddessen sich eine Art Vakuum zwischen ihnen bildete, in dem nur die Hintergrundgeräusche des Marktes und der vorbeiziehenden Menschenmassen zu hören war.
    Piso durchbrach irgendwann die Stille und fragte, nein er bat schon fast darum, sie begleiten zu dürfen. Diese Frage traf sie sehr unvorbereitet, was der Grund dafür war, weshalb sie ihn erst etwas erstaunt anstarrte, als habe sie soeben die Sprache verloren. "Äh, ja aber gerne doch!", sagte sie schließlich. Was sprach schon dagegen? Sie war sich sicher, im Sinne ihres Vaters zu handeln.

    Wie schön es war, ihn einmal wieder lachen zu sehen. Bei ihrem letzten Treffen hatte ihr Bruder so wenig Zeit für sie gehabt. Aber alleine die Tatsache, dass er nun hier war und sie besuchte, ließ sie doch hoffen, dass es dieses Mal anders war.
    Bevor sie sich auch zu ihm setzte, nahm sie eine Kanne mit verdünntem Wein, die ein Sklave vor noch gar nicht zu langer Zeit gebracht hatte und bot ihm einen Becher an. "Du möchtest bestimmt etwas trinken, nicht wahr?" Noch bevor er ihr antworten konnte, goss sie zwei Becher voll. Dann nahm sie Platz und strahlte ihn an. Ihre Freude verblasste ein wenig, als er berufliche Pflichten nannte, die ihn her geführt hätten. Doch dies war nur ein Scherz ihres Bruders, wie sich sogleich herausstellte.
    "Vater?" hörte sie sich fragen. "Du wirst Vater sehen? Hier in Rom? Wird er denn herkommen?" Serrana war ganz erstaunt, vermutete sie ihren Vater doch in Misenum. Umso besser dachte sie sich, dann musste sie auch diesen Brief nicht scheiben und konnte ihm alles persönlich sagen, was sie ihm mitteilen wollte.
    Natürlich gab es viele Neuigkeiten, von denen ihr Bruder noch gar nichts wusste. Aber das konnte sich ganz schnell ändern, wenn es nach Serrana ging. Sie brannte richtig darauf ihm alles zu berichten.
    "Du wist nicht glauben, was alles geschehen ist, Tiberius!" Sie überschlug sich fast vor Eifer. "Vater hat mich auf eine Patrizierhochzeit mitgenommen. Sehr vornehme Leute! Dort habe ich jemanden kennengelernt oder soll ich besser sagen, Vater hat jemanden für mich kennengelernt. Er ist sehr nett und er ist ein Patrizier! Ach ja, und Vater hat auch jemanden kennengelernt. Vor einigen Wochen. Eine Frau. Ich glaube er ist verliebt!" Das freudige Lächeln war aus ihrem Gesicht gewichen. Diese Nachricht würde ihren Bruder wahrscheinlich genauso treffen, wie es sie getroffen hatte.

    Zitat

    Original von Aulus Flavius Piso


    Serrana hätte noch den Rest des Tages hier verbringen und den sanften Wellen zuschauen können. Die Möwen sorgten für die passende Untermalung. Abgerundet wurde das Bild nur noch von dem strahlenden azurfarbenen Himmel.
    "Ja zu Hause! Zu Hause in Griechenland, zu Hause in Italien. Wohl dem, der überall zu Hause ist", antwortete sie versonnen. Serrana gehörte zu jenen Menschen die dort zu Hause war, wo sie sich wohl und geborgen fühlte. Im Augenblick tat sie das auf eine ganz ungewohnte Weise. Sie hatte bislang nur wenig Erfahrung in Bezug auf Männer gesammelt. Im Grunde hatte sie sie stets nur aus der Ferne beobachtet. Zu einem persönlichen Gespräch war es bis zu diesem Tag nie gekommen. Das schickte sich einfach nicht für eine junge Frau, fand sie. Außerdem hatte es bisher auch keinerlei Gelegenheit gegeben. Umso mehr hatte sich Serrana auf dieses Ereignis gefreut, zu dem ihr Vater eingeladen worden war und er sie mitgenommen hatte. Die Ankündigung ihres Vaters, dort einen Patrizier kennenzulernen, hatte sie nicht ernst genommen. Ihr Vater schon. Kurzerhand stand sie nun diesem Flavier gegenüber, der ihr von der Schönheit des Meeres vorschwärmte und der sich durch ihre Schönheit betört fühlte. Niemand hatte Serrana darauf vorbereitet, was zu tun war, wie sie sich verhalten sollte oder was sie auf Komplimente dieser Art entgegnen sollte. Zweifellos fühlte sie sich geschmeichelt aber auch unendlich hilflos. Wäre doch nur ihr Vater in der Nähe! Einen anderen Vertrauten hatte sie hier nicht.
    "Oh, das… das ist.. So etwas hat noch niemand zu mir gesagt."

    Womöglich lag es einfach daran, weil sie ihren Vater noch nicht richtig kennengelernt hatte. Die Zeit, in der eine Bindung hätte entstehen können, war viel zu kurz gewesen. Genau besehen, war er fast noch ein Fremder für sie. Alleine die Tatsache, dass er sie und ihren Bruder als seine Kinder anerkannt hatte, konnte nicht über die Jahre ohne ihn hinweg täuschen. Natürlich hatte auch eine ordentliche Portion Verbitterung eine Rolle gespielt, für ihr Verhalten und ihre Ablehnung. Verbitterung wegen einer Kindheit ohne Vater. Verbitterung wegen der Mutter, die ihre beiden Kinder ohne Vater aufziehen musste. Auch dawurde ihr bewusst, wie wenig sie über ihren Vater bereits wusste und seine genauen Beweggründe.
    Wenigstens war Calvena nicht nachtragend gewesen. Sie verzieh ihr und hatte einen glänzenden Vorschlag zu machen: neu anzufangen. Gerne wollte Serrana diese zweite Chance nutzen.
    "Danke, dass du das so siehst. Ich könnte auch gut eine Freundin gebrauchen, denn auch ich kenne in Rom fast noch niemanden. Ich bin Serrana! Ich freue mich, dich kennen zu lernen!" Eine große Last fiel von Serranas Schultern. All ihre Anspannung war wie verflogen.
    "Aber jetzt musst du mir unbedingt erzählen, was dir zugestoßen ist!", forderte sie sie neugierig auf. Denn nur so war sie in der Lage, Calvena ihre Hilfe anzubieten.

    "Flavius Piso!", bemerkte sie richtig. Fast war es so, als hätte sie einen Geist gesehen. Besonders beängstigend war es, da sie gerade noch an ihn gedacht hatte und jetzt stand er leibhaftig vor ihr. So als hätte Serrana ihn sich herbei gewünscht, wie in einem Kinderspiel, das sie als kleines Mädchen mit ihren Freundinnen gespielt hatte.
    Das Erstaunen wollte nicht aus ihren Gesichtszügen weichen, was auf ihren Betrachter wohl sehr lächerlich wirken musste. Hätte man ihr einen Spiegel vorgehalten, sie hätte sich wahrscheinlich auf der Stelle in ein Erdloch verkrochen und hätte sich erst wieder heraus getraut, wenn sie in Sicherheit war. Aber so viele Fluchtmöglichkeiten bot ihre derzeitige Lage nicht. Außer die Flucht nach vorne vielleicht!
    "Oh, ja! Das ist wirklich unglaublich." Wäre ihr Vater in der Stadt gewesen, hatte sie ihn hinter dieser Unglaublichkeit vermutet. Doch der war wieder nach Misenum zurückgekehrt und war demzufolge unschuldig.
    "Äh, danke es geht mir gut. Ja, alles Bestens. Äh ja!", beantwortete sie etwas ungeschickt das Fragenbombardement und bemerkte erst nach einigen verstrichenen Atemzügen, wie unhöflich es war, sich nicht nach seinem Befinden zu erkundigen. Ein verlegenes Lächeln, gepaart mit auftretender Schamesröte zeichnete sich bei ihr ab. "U..und wie geht es dir?"
    In ihrem jugendlichen Leichtsinn war sie ohne sklavische Begleitung losgezogen. Wie sehr bereute sie das nun! Das war unschicklich. Zu spät!

    Serrana hatte die Gunst der Stundegenutzt, um einen Brief aufzusetzen. einen Brief an ihren Vater, in dem sie sich entschuldigen wollte, für alles, was in den letzten Wochen schief gelaufen war zwischen ihnen. Endlich hatte sie erkannt, wie sehr sie geirrt hatte. Sie saß an ihrem Schreibtisch und grübelte nach den geeigneten Worten, die sie auf den Papyrus, der vor ihr lag, bannen wollte. Wie sollte sie nur beginnen. Alles, was ihr eingefallen war, hatte sie gleich darauf wieder verworfen. Hätte sie es ihm doch von Angesicht zu Angesicht sagen können. Das wäre viel leichter gewesen. Serranas Vater war aber wieder zurück in Misenum.
    Dann klopfte es auch noch! Herrje, konnte man denn nicht einmal in Ruhe nachdenken? Musste man ständig gestört werden? Es half alles nichts! Serrana stand seufzend auf und öffnete die Tür.
    Sie traute ihren Augen nicht!
    "Bruder! Du bist es! Aber bitte, komm doch herein!", rief sie erfreut und bat ihn, einzutreten. Es war lange her, seit sie sich das letzte Mal gesehen hatten.
    "Setz dich doch, Tiberius!" Sie bot ihm einen Stuhl an und strahlte ihn an vor Wiedersehensfreude. Der Brief an ihren Vater war vorerst vergessen.
    "Sag, was führt dich nach Rom, Tiberius?" Serrana setzte sich neben ihren Bruder und war gespannt darauf, was er zu sagen hatte.

    Von Vaters Geld hatte Serrana nichts angerührt, nicht eine einzige Sesterze! Lediglich hatte sie den Beutel mit den Münzen in ihrer Truhe verwahrt. Es schien ihr verwerflich, sich mit dem "Schweigegeld" etwas Schönes zu kaufen. Lieber hätte sie auf alles verzichtet. Dass sie damit ihrem Vater Unrecht getan hatte, erfuhr sie erst Tage später, nach einem aufschlussreichen Gespräch im hortus der Casa. Da nun das vermeintliche Schweigegeld keines mehr war, sondern alleine nur eine liebevolle Aufmerksamkeit ihres Vaters, konnte sie es ja auch ohne Weiteres verwenden. Serrana wusste aber auch, dass nun ein paar entschuldigende Worte an ihren Vater angebracht waren. Einen Brief hatte sie schon aufgesetzt. Sie musste ihn nur noch abschicken. Vielleicht sollte sie ihn auch einmal besuchen. Serrana hatte von der wunderschönen Landschaft Campanias gehört. Außerdem waren auch Baiae und Puetoli nicht weit entfernt von Misenum gelegen. Während sie dabei war, Pläne für die nähere Zukunft zu schmieden, schlenderte sie über den Markt und warf flüchtig ihr Augenmerk auf die vielen, teils exotischen Waren, die feilgeboten wurden. Für Serrana waren die Marktbesuche immer auch Reisen in fremde Länder zu fremden Kulturen. Natürlich spielten sich diese Reisen nur in Serranas Kopf ab. Aber trotzdem wollte sie diese Besuche nicht missen.
    Sie überlegte, was sie sich alles kaufen wollte. Einen seidenen Schal, eine neue Tunika, Sandalen oder lieber Kosmetik und Schmuck. Das Letztere verwarf sie ganz schnell wieder. Wofür brauchte sie denn Kosmetik und Schmuck? Sie saß doch sowieso nur zu Hause und hatte kaum Gelegenheit, sich für eine besondere Gelegenheit herauszuputzen. Die Hochzeit kürzlich, ja! Das war etwas ganz besonderes gewesen, auch wenn sie damit einige ungute Erinnerungen verband. Von dem Flavier, den sie dort kennengelernt hatte, oder sollte sie besser sagen, den ihr Vater für sie ausgesucht hatte, hatte sie nichts mehr gehört. Sie persönlich hatte sich auch keine großen Hoffnungen gemacht, jemals wieder etwas von ihm zu hören. Aber sie war ja noch jung und es gab viele Mütter mit jungen hübschen Söhnen!
    Serrana blieb an einem der Stände stehen und schaute sich die ausgestellte Ware etwas genauer an. Nein, das war doch nicht für sie! Wieder ging sie weiter, bis sie plötzlich im wahrsten Sinne des Wortes in die Arme einer ihr nicht ganz unbekannten Person lief.
    "Oh! Du?" Das konnte kein Zufall sein! Das war höhere Fügung.

    Calvena bestritt natürlich alles. Sie lachte sogar kurz auf. Doch in ihren Augen konnte man es sehen, sie flunkerte nicht. Es war ihr ernst damit, was sie sagte. Auch wenn es für Serrana schwierig war, so begriff sie doch langsam, dass sie einem Irrtum aufgesessen war. Dass sich durch das Verhalten ihres Vaters die Dinge anders dargestellt hatten, wie sie tatsächlich waren.
    "Dann hat du also nicht versucht, ihn für dich zu gewinnen? Aber er hat doch.." Sie brach den Satz ab und begann noch einmal alles Revue passieren zu lassen. Jede Einzelheit, Stück für Stück. Je länger und intensiver sie das tat, umso mehr kam sie zu der Überzeugung, wie einfältig sie doch gewesen war. Ihre Wut und ihre Eifersucht, hatten sie blind gemacht für das Wesentliche. sie kam sich jetzt so beschämt vor. Was sollte Calvena jetzt nur von ihr denken?
    "Dann…, dann bleibt mir nur eines übrig. Ich möchte mich bei dir entschuldigen. Es tut mir leid. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. Weißt du, ich habe meinen Vater selbst erst vor einigen Wochen kennengelernt. All die Jahre habe ich davon geträumt, ihn zu finden. Nun hatte ich ihn gefunden und dann kamst du."
    Serrana fand ihr Lächeln wieder und streckte Calvena ihre Hand zur Versöhnung entgegen. Nach alldem, was vorgefallen war, hätte Serrana Verständnis dafür gehabt, hätte ihr Gegenüber ihr Freundschaftsangebot abgelehnt. Doch sie hoffte darauf, es wieder gut machen zu können.

    Es hätte keinen besseren Moment geben können, den Garten und somit auch Calvena zu verlassen, als diesen jetzt. Die andere schwieg und gab ihre Geschichte nicht preis. Etwas anderes hatte Serrana auch nicht mit ihrer Antwort bezweckt. Dummerweise hatte sie aber diese wunderbare Gelegenheit verstreichen lassen. Nur die Götter wussten, warum. Vielleicht war sie einmal wieder das Opfer ihrer Erziehung geworden. Ihrer Mutter zufolge war es unhöflich, sich einfach während eines Gesprächs zu entfernen. Dabei hatte sie doch gar nicht das Gespräch gesucht. Es hatte sich aus einer Verlegenheit heraus ergeben, mehr nicht.
    In ihrem Gegenüber hatte sich auch so einiges angestaut, was nun unverzüglich an die Oberfläche quellen wollte. Selbst Serrana hätte ihr das nicht verübeln können, wenn sie es hätte zugeben müssen.
    "Das fragst du noch, du Unschuldslämmchen?", konterte Serrana, als hätte sie darauf gewartet, dass es endlich zu einem offenen Streitgespräch kam. Dabei war sie über sich selbst erstaunt. Sie hatte nicht geahnt, welche Kräfte in ihr ruhten. "Das hast du wirklich fein hinbekommen! Meinen Vater hast du um den Finger gewickelt. Aber bei mir wirst du kein Glück haben! Meine Mutter ist tot und ich brauche keine neue mehr! Schon gar nicht eine, die kaum älter ist, als ich selbst." Endlich war es ausgesprochen. Serrana fühlte sich auch tatsächlich für kurze Zeit wohler. Aber dieses Gefühl legte sich ganz schnell wieder.

    Zitat

    Original von Aulus Flavius Piso


    Es machte ihn noch um einiges sympathischer, als er ihr auch mit Verlegenheit begegnete. Die Selbstsicherheit, mit der er ihr vorhin begegnet war, als er mit ihrem Vater gesprochen hatte, war kurzzeitig wie wegegeblasen. Serranas Befangenheit ihm gegenüber ließ spürbar nach. Es war, als fiele eine schwere Last von ihren Schultern.
    Sie lächelte und blickte wieder auf das Meer hinaus, als er es auch tat. In seinen Worten erkannte sie sich wieder. Das konnte doch kein Zufall sein!
    "Ja, das ist es! Das Meer hat von jeher auch eine besondere Faszination auf mich ausgeübt. Ich habe oft davon geträumt, dass das Meer mich zu fremden Ländern bringt. Aber dazu ist es nie gekommen.", antwortete sie, während ihre Augen auf dem Horizont ruhten. Irgendwann löste sie sich davon und sah ihn forschend an.
    Es musste doch einen Grund dafür geben, dass ein Mann, wie er, sich ausgerechnet mit ihr abgab. Vielleicht aber machte sie sich auch einfach nur zu viele Gedanken drüber und es gab womöglich auch gar keinen Anlass dazu. Womöglich diente sie im Augenblick einfach nur dazu, um dem Patrizier die Zeit zu vertreiben. Sie errötete über diese Mutmaßung. Sie war doch ein törrichtes, naives Ding!

    Serrana riskierte einen kurzen Seitenblick. Zu ihren Verwandten wollte sie gehen. Natürlich, das war das wahrscheinlichste. Sie hatte ja das Gleiche getan, nachdem sie in Italia angekommen war. Aber das war noch lange keine Grund, um diese Frau sympathisch zu finden. Ganz im Gegenteil! Wenn sie ehrlich war, dann war es eigentlich ihr Vater, über den sie sich ärgerte. Es hatte sie so gekränkt, als sie glaubte, hinter seine Absichten gekommen zu sein. Diese Fremde würde niemals ein angemessener Ersatz für Serranas Mutter sein.
    Aber was war das? In ihren Augenwinkeln entdeckte sie, wie die Frau neben ihr, mit den Tränen kämpfte. Was war nur los mit ihr? Sie war doch nicht so zartbesaitet und weinte deshalb fast, weil Serrana ihr mit einer ordentlichen Portion Kälte begegnete! Da musste noch mehr dahinter stecken. Das allein, konnte es nicht sein. Serrana war schon drauf und dran, sich ein schlechtes Gewissen einzureden. Eigentlich war sie nicht so – so grausam und gefühlskalt.


    Doch die Fremde begann ihr zuzusetzen, ohne, dass sie davon wohl geahnt hatte. Die Frage nach ihrem Vater hatte sie getroffen. "Mein Vater?", fragte sie überrascht. Ihr Vater hatte lediglich ihr Schweigen erkauft. Erzählt hatte er nicht viel. Was hätte er auch erzählen sollen? Wie er eine Wildfremde irgendwo aufgegabelt hatte, die verletzt war, weshalb auch immer, und in die er sich, quasi über Nacht verliebt hatte. Nein, eigentlich wollte sie das gar nicht wissen. Es ekelte sie an.
    "Nein, er hat nichts erzählt." antwortete sie schließlich belanglos, nicht wirklich darauf erpicht, näheres zu erfahren.

    Serrana spürte in den Worten der Frau die gleiche Eiseskälte, die auch sie ihr entgegengebracht hatte. "Dann wirst du ja nicht mehr allzu lange bleiben.", wollte sie ihr schon entgegenbringen, doch sie ließ davon ab. Diese Art von Kaltschnäuzigkeit stand ihr nicht und es war auch nicht das, was ihre Mutter ihr beigebracht hatte. Das dieses ungewollte Aufeinanderprallen im Garten in alles andere, als in einer lockeren, freudegeladenen Plauderei ausarten würde, war ihr klar. Eigentlich wollte sie ja auch gar nicht mit dieser Person sprechen. Allein der Gedanke widerstrebte Serrana. Dafür wäre Serrana im Augenblick auch viel zu verskrampft gewesen. Es war ihr höchst unangenehm, in diese Situation geraten zu sein. Am liebsten wäre sie wieder fortgerannt. Aber sie war kein kleines Kind mehr. Sie war eine erwachsene junge Frau, von der man erwartete, dass sie sich auch so benahm.
    "Was gedenkst du jetzt zu tun?", fragte sie sie schließlich, denn sie musste irgendetwas sagen, bevor das Schweigen zwischen ihnen noch unerträglicher wurde.

    Zitat

    Original von Aulus Flavius Piso


    Das Meer hatte schon immer eine besondere Wirkung auf Serrana gehabt. Schon als Kind konnte sie sich lange am Anblick der brechenden Wellen verweilen. Immer spielte ein wenig die Sehnsucht mit und die Träume von fernen Ländern mit. So war es auch jetzt an Bord des Schiffes. Serrana stand an der Reling, sah hinaus auf das Meer und träumte davon, wie es wäre, wenn sie auf Reisen gehen könnte, in fremde Länder zu fremden Völker. Um so mehr erschrak sie, als sie die Stimme hinter sich wahrnahm. Wenige Minuten vorher hatte sie noch an ihn gedacht und nun stand er hinter ihr und sprach sie an. Der entscheidende Vorteil bestand darin, dass diesmal ihr Vater nicht in unmittelbarer Nähe war, was ihr die Möglichkeit gab, einige Worte mit dem Flavier wechseln zu können.
    "Oh, salve!" Sie lächelte verlegen und drehte sich nun zu ihm um. Serranas Verlegenheit nahm noch zu, als der Flavier sich bei ihr zu entschuldigen begann. Gewiss, es war ihr unangenehm, als ihr Vater sie ganz offensichtlich an den Mann bringen wollte. Sie hatte sich sehr überfahren gefühlt, wollte aber den Wunsch ihres Vaters respektieren.
    "Oh ja…. Äh nein, äh ich meine, mir tut das auch leid. Aber nein, bitte…, du musst nicht gehen. Nicht wegen mir." Der Flavier machte einen ganz sympathischen Eindruck, ganz anders, wie sie es von einem Patrizier erwartet hätte. Auch sie fühlte sich nun wesentlich leichter und ungezwungen.

    Serrana hatte den Flavier etwas aus den Augen verloren, nachdem er mit seinen Sklaven zur Rampe begeben hatte, um das Schiff zu besteigen. Sie blieb vorerst bei ihrem Vater stehen, bis auch sie an der Reihe waren, das Schiff zu betreten. In dem allgemeinen Gedränge, das nun entstand war sie von ihrem Vater getrennt worden und fand sie bald recht einsam und verloren an Bord des Schiffes wieder. Diese Tatsache beunruhigte sie aber nicht im Geringsten, denn auf diesem Schiff ging so leicht niemand verloren. So blickte sie sich erst suchend nach ihrem Vater um und als sie ihn nicht auf Anhieb fand, wandte sie ihren Blick dem Meer entgegen, das nur darauf wartete, dass das Schiff endlich auslief.
    Einen kurzen Moment widmete sie ihre Gedanken noch dem netten jungen Flavier der sie angesprochen hatte und den ihr Vater mehr oder weniger für seine Tochter als zukünftigen Gatten auserkoren hatte. Serrana selbst empfand diesen Gedanken als sehr abstrus. Sie, ein Mädchen vom Land, das erst seit einigen Wochen in Rom weilte und dieser weitgereiste Patrizier, der bereits die halbe Welt gesehen hatte. Nein, eine solche Verbindung war doch sehr unwahrscheinlich! Sie schüttelte leicht ihren Kopf und war über ihre eigenen Gedanken belustigt. Lieber schaute sie noch ein wenig hinaus aufs Meer und genoss dieFrische Brise.

    Diese Frau war die letzte Person, die Serrana treffen wollte. Prinzipiell hatte sie ja nichts gegen sie, außer dass sie es mit Bravour geschafft hatte ihren Vater um den Finger zu wickeln, der ihr nun wie ein sabbernder Hund zu Füßen lag. Kaum zu glauben, dass dies der gleiche Mann war, der nun vor fast achtzehn Jahren ihre Mutter mit zwei kleinen Kindern m Stich gelassen hatte. Schon wieder spürte sie, wie der Ärger in ihr aufstieg.
    Diese Frau brachte ihr ein gewisses Maß an Freundlichkeit entgegen. Sie bat Serrana einen Platz neben sich an und wirkte dabei sehr verlegen. Mit einem Hindernis, wie es Serrana darstellte hatte sie nicht gerechnet. Die junge Decima, die einer marmornen Statue gleich da stand, wirkte nun gleichermaßen unbeholfen, denn nun war es an ihr, sich zu äußern. Serranas Mutter hatte ihre Tochter so erzogen, dass sie ihren Mitmenschen freundlich und aufgeschlossen aber mit einem Fünkchen Zurückhaltung begegnete. Daher konnte sie nun nur schwerlich die Bitte der Frau ablehnen. Auch sie hat eine Chance verdient, hätte in diesem Fall ihre liebe Mutter gemeint.
    "Äh, ja danke sehr!" Endlich trat sie an die Bank heran und nahm Platz. Sie war darum bemüht, dass ein gehöriger Abstand zwischen den beiden jungen Frauen entstand, der genau auch dem gleich kam, der zwischen den beiden im zwischenmenschlichen bestand.
    "Geht es dir schon besser?", erkundigte sich Serrana und wollte damit nur herausfinden, wie lange die Fremde noch in der Casa blieb. Wie sehr diese Frau mittlerweile ihrem Vater etwas bedeutete, davon hatte sie keine Ahnung. Sie war der festen Überzeugung, dass sie es war, die ihnen Vater in den Liebestaumel getrieben hatte, in dem er sich nun befand.

    Serrana hatte seit Tagen auf eine weitere Begegnung mit ihrem Vater verzichtet. Besonders nachdem er einen Sklaven mit einer Nachricht und einem Beutel mit Münzen zu ihr geschickt hatte. Das hatte sie noch mehr gekränkt! Nicht nur, dass er sich mit zwielichtigen Frauen, die kaum älter waren, wie sie selbst vergnügte und sie es auch noch mit ansehen musste. Nein, jetzt auch das noch! Er versuchte auf diese Art, ihre Zuneigung zu erkaufen. Serrana war so verzweifelt. Wäre doch nur Tiberius hier! Immer wieder musste sie an ihre arme Mutter denken, die sogar noch bis zum Schluss immer warmherzig von ihrem Vater gesprochen hatte.
    Serrana wollte fliehen. Nur noch weg von hier. Weg von ihrem Vater, den sie nun mit ganz anderen Augen sah. Inzwischen stellte sie sogar in Frage, ob es tatsächlich so gut gewesen war, ihn zu suchen. Aber wo hätte sie hin sollen? In Griechenland gab es nichts mehr für sie. Blieb nur noch Mantua. Aber völlig überstürzt nach Mantua abzureisen kam auch nicht in Frage. Tiberius hatte sie nicht ohne Grund in Rom gelassen.
    Sie kam sich verloren und hin und hergeschoben vor und sie war unglaublich traurig. Alles hatte so hoffnungsvoll begonnen. Ihr Vater, die Hochzeit, auf die sie ihn begleitet hatte, die Pläne, die er mit ihr vor hatte. Nun kam ihr alles so hinfällig vor.
    Sie hatte sich einer Illusion hingegeben, endlich den Platz gefunden zu haben, den sie ihr Leben lang gesucht hatte. Nun hatte sie leidlich erkennen müssen, dass sie mit allem falsch lag.


    Nun tat sie das, was sie auch schon früher zu tun gepflegt hatte, wenn sie Kummer hatte. Sie zog sich eine Stola um und ging hinaus in den Garten. Dort konnte sie für eine kurze Zeit wenigstes Frieden finden.
    Serrana hatte jeher eine Leidenschaft für Gärten. Sie liebte es, in der Natur zu sein, den Vöglen zuzusehen, ihrem Gezwitscher zu lauschen und einfach die Seele baumeln zu lassen. Heute war zudem auch ein wunderschöner Vorfrühlingstag, der darauf hinwies, dass der Winter letztendlich seine Macht doch verloren hatte und der Sommer wieder Einzug halten würde.
    Sie atmete tief ein, als sie hinaus ins Freie trat. Die frische Luft war so wohltuend. Der leichte Wind strich durch ihr Haar. Blinzelnd sah sie gen Himmel. Die Sonne wärmte ihr Gesicht und auch ein wenig ihr Herz, das so sehr schmerzte.
    Langsam promenierte sie den Kiesweg entlang und sie spürte, wie allmählich ihre Sorgen von ihr abzufallen schienen. Serrana hielt Ausschau nach einer Bank, auf der sie sich setzen konnte, um die Sonne zu genießen. Sie musste nicht allzu lange suchen, bis ihr eine Marmorbank ins Auge fiel. Im nächsten Moment fiel ihr auf, dass dort bereits jemand saß. Sie konnte die Person nicht erkennen, denn sie saß mit dem Rücken zu ihr.
    Nichtsahnend, trat sie näher. "Darf ich mich zu dir setzen?", fragte sie freundlich, erstarrte dann allerdings, als sie die Frau wiedererkannte, die dort saß.

    Wie es nicht anders zu erwarten war, sahen die beiden recht überrascht aus, als ihnen bewusst wurde, dass sie nicht mehr allein waren. Die Frau sah sie mit ihren verweinten Augen an und ihr Vater sagte das, was man in solch einer peinlichen Situation eben am Besten sagte. "Oh ja, natürlich!", meinte sie übertrieben verständnisvoll.
    Wie konnte ihr Vater nur! Diese Frau war nicht älter als seine eigene Tochter! Schämen sollte er sich!
    Serrana kam nicht umhin, zwangsläufig an ihre Mutter zu denken, die von ihrem Vater vor vielen Jahren einfach verlassen worden war, mit zwei kleinen Kindern! Pfui!
    Plötzlich sah sie ihn aus einem ganz anderen Blickwinkel.
    Serrana öffnete wieder die Tür. Mit ihrem "Ich will nicht länger stören!", verließ sie das cubiculum ihres Vaters.

    In der Küche hatte Serrana ein Tablett mit einer Kanne starkverdünntem Wein und Bechern beladen. Sie hatte erst suchen müssen, denn dort kannte sie sich überhaupt nicht aus und niemand war um diese Zeit noch dagewesen, der ihr hätte helfen können. Etwas mühsam jonglierte sie das Tablett bis zur Tür ihres Vaters. Ohne etwas zu verschütten, gelang es ihr, den Türgriff nach unten zu drücken, damit sie eintreten konnte.
    Was sie dort sah, ließ sie erstarren. Ihr Vater umarmte die fremde Frau!
    Sie hatte sich doch gleich schon gedacht, dass hier etwas nicht stimmen konnte! Wer nahm auch schon eine wildfremde Frau, die verletzt war, mit nach Hause? Er hätte sie doch auch in das Haus eines medicus bringen können. Da musste mehr dahinter stecken! Was es ja auch offenkundig tat.
    Es war ihr durchaus peinlich, ihren Vater in flagranti zu erwischen. Um sich bemerkbar zu machen, räusperte sie sich etwas lauter.
    "Hier ist der Wein! Ich stelle ihn hier auf den Tisch.", sagte sie schließlich mit einem gereizten Unterton. Es war wohl für alle Beteiligten besser, wenn sie nun ging. Nachdem sie das Tablett abgestellt hatte, wendete sie sich zum gehen um.

    Dies Frau auf dem Bett ihres Vaters, sie konnte kaum älter sein, als sie selbst. Doch ihre Wunde war es, die Serrana nicht losließ. Was war nur geschehen? Wie war die Frau zu ihrer Wunde gekommen? Es war wohl nur der Großzügigkeit und Anteilnahme ihres Vaters zu verdanken, dass die Fremde nun hier weilen durfte. Trotzdem erschien ihr das ganze Szenario als sehr unwirklich.
    Doch Serranas viele fragen sollten vorerst unbeantwortet bleiben. Ihr Vater drehte sich zu ihr um und bat sie um etwas verdünnten Wein. Serrana sah ihn ganz verstört an, nicht etwa, weil sie sich deswegen zu schade war, schließlich hätte er auch einen Sklaven danach schicken können. Vielmehr weil sie mit dieser Situation am wenigsten gerechnet hatte. "Äh, ja!", sagte sie nur irritiert und verließ dann das Zimmer ihres Vaters.


    Sie strahlte übermäßig, als ihr Vater die Tür öffnete und sie sofort begrüßte."Vater! Wie schön!" Es war doch einfach wunderbar, endlich wieder jemanden im Leben gefunden zu haben, der sich um sie sorgte und sich an ihrer bloßen Anwesenheit erfreuen konnte. Danach hatte sie sich Serrana doch so sehr nach dem Tod der Mutter gesehnt.
    Sie erwiderte die Umarmung ihres Vaters. Doch spürte sie bald, dass er nicht alleine gewesen war. Noch ehe er sie herein gebeten hatte, erblickte sie in ihren Augenwinkeln Lycomedes, den Hausarzt. "Vater, du bist nicht allein? Ist etwas..?" Ihre Freude schlug in Besorgnis um. Ihr Vater war doch nicht krank? Doch im nächsten Moment fiel ihr Blick auf die fremde Frau, die auf dem Bett ihres Vaters lag.
    Trotz der sehr spärlichen Erklärungsversuche ihres Vaters sah sie ihn fragend an. Sie wusste nicht, was sie davon halten sollte.
    Doch dann regte sich die Fremde und schien das Bewusstsein wieder zu erlangen. Ihr Vater wendete sich von ihr ab und beschwichtigte die Fremde, sie sei nun in Sicherheit.
    Auch Serrana trat näher, unfähig auch nur etwas zu sagen. Es bedurfte noch einiger Erklärungen ihres Vaters, bevor sie sich einen Meinung bilden konnte.